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DIE PARDOS VOM OSMANISCHEN REICH ÜBER DIE NEUE WELT NACH HAMBURG Begleitheft zur Ausstellung Spurensuche. Ein Stolperstein für Gertrud Pardo

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DIE PARDOSVOM OSMANISCHEN REICH

ÜBER DIE NEUE WELT NACH HAMBURG

Begleitheft zur Ausstellung Spurensuche. Ein Stolperstein für Gertrud Pardo

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Bearbeiter: Nicol Trepka - Maria Koser - Michael Halévy - Lutz ThalackerLayout: Dagmar Wienrich

Gedruckt mit Unterstützung des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden /Eduard-Duckesz-Fellow

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Anlässlich des Schuljubiläums im Jahr2009 wurde die Geschichte der Berufli-chen Schule Eppendorf erforscht. Dabeiwurden wir auf das Schicksal derGewerbelehrerin Gertrud Pardo auf-merksam, die in diesem Schulgebäudevon 1920 an unterrichtet hat. Weil sieJüdin war, musste Gertrud Pardo 1933die Schule verlassen. Sie wechselte zur

Beratungsstelle für jüdische Wirtschafts-hilfe, einer privaten Haushaltungsschulefür jüdische Schülerinnen, die von staat-lichen Schulen verwiesen wurden. 1941wurde Gertrud Pardo ins Ghetto vonLodz deportiert und 1942 in Chelmnoermordet.

Um Gertrud Pardo zu würdigen, ent-stand die Idee eines Projektes, das zuBeginn des Jahres 2013 in zwei Klassender Höheren Handelsschule im Rahmendes Unterrichts in Wirtschaft undGesellschaft durchgeführt wurde. DieSchülerinnen und Schüler der KlassenHH 11/1 und HH 11/2 widmeten sichdem Projekt drei Monate lang an zweiUnterrichtsstunden pro Woche. Siebegaben sich auf Spurensuche, erkunde-

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Spurensuche Ein Stolperstein für Gertrud Pardo

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ten das Schicksal der Gewerbelehrerinund dokumentierten ihre Ergebnisse.Die Spurensuche stellte die Schülerinnenund Schüler vor eine besondere Heraus-forderung, da sie nicht, wie sonst oftüblich, Informationen im Internet überdie gängigen Suchmaschinen generierenkonnten. Statt dessen begaben sie sichmit viel Kreativität und Engagement aufdie Suche nach weiteren Informations-quellen und fanden an den unterschied-lichsten Orten die Spuren aus demLeben und Wirken Gertrud Pardos. ImHamburger Staatsarchiv wurde eineWiedergutmachungsakte mit vielen Ori-ginaldokumenten ausgewertet; in derStaatsbibliothek fanden die Schülerinnenund Schüler einen Vortrag der engagier-ten Gewerbelehrerin, und aus Polenkonnten Unterlagen zum Verbleib vonGertrud Pardo im Ghetto von Lodzbeschafft werden. So erschloss sich denSchülerinnen und Schülern nach undnach ein Gesamtbild vom Leben undSchicksal der Gertrud Pardo.

Die Ergebnisse der Spurensuche werdenvon den Schülerinnen und Schülern ineiner Ausstellung im Erdgeschoss derBeruflichen Schule Eppendorf vom 27.Mai bis 7. Juni 2013 präsentiert. Mit derStolpersteinlegung am 31. Mai 2013 vordem Eingang der Schule findet die Pro-jektarbeit einen würdigen Abschluss.Der Stein wird hoffentlich noch lange andas Schicksal von Gertrud Pardo erin-nern.

Die vorliegende Broschüre mit Ergeb-nissen des Projektes sowie weiteren Hin-tergrundinformationen soll darüber hin-aus zur bleibenden Erinnerung beitra-gen. Sie entstand in Zusammenarbeitmit Maria Koser vom StadtteilarchivEppendorf und Michael Studemund-Halévy vom Institut für die Geschichteder deutschen Juden. Beide haben dasProjekt entscheidend unterstützt. MariaKoser hat den Schülerinnen und Schü-lern insbesondere bei ihren Recherche-

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vorhaben wertvolle Hilfestellung gege-ben. Michael Studemund-Halévy hatsowohl in direkten Interviews mit seinerSachkenntnis als auch mit der zur Verfü-gung gestellten Literatur sehr zumGelingen des Projektes beigetragen.

Für die Lehrkräfte war das Projekt eineeindrucksvolle Erfahrung mit einembesonders berührenden Thema und sehraufgeschlossenen Schülerinnen undSchülern. Zwei von ihnen haben ihreEindrücke wie folgt widergegeben: „Wirkonnten einen tieferen Einblick in daswirkliche Leben zur NS-Zeit bekommenanstatt das Thema nur oberflächlichdurchzunehmen. Wir haben mit derStolpersteinverlegung etwas erschaffen,das immer an der Schule bleiben wird.“(Zitat von Sofia und Nadine, HH 11/2)

24. April 2013

Nicol TrepkaLutz ThalackerBerufliche Schule Eppendorf

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An der Ausstellung

SPURENSUCHE. EIN STOLPERSTEIN FÜR GERTRUD PARDO

haben folgende Schülerinnen und Schüler der Höheren HandelsschuleEppendorf (HH 11/1 und HH 11/2) teilgenommen:

HH 11/1 HH 11/2

ASAMOAH, Emmanuel ALMISDÖRT, MelanieCUVAK, Suzan BAUMGART, StevenDIETZ, Frederik BAUS, LizethHAJAIEJ, Samar HAUSCHILDT, NadineHARTMANN, Selin HERKNER, JuliaLAPORTE, Daniel KHAN, FarzokLESSMANN, Florian KLAPHECK, René BastianLOHRKE, Denise KONIECZNY, PatrickMARTIN PRADAS, Loredana KÖNIG, AnnikaMASCHMEYER, Kimberley MACHADO, SofiaMENZELL, Leroy MARZAZ, SalihPFEFFER, Josephine OESER, Kim AnnaSCHNELL, Swenja PETERSEN, LiaSCHUBERT, David RAHIMY, GinaSCHUBERT, Vanessa RÜSTAMOVA, GülcohraSCHÜTZMANN, Sonja SANER, VanessaSECILIR, Hülja SARFARAZ RAD, TaymazSTRAUBE, Birte SCHÄFER, JohnTIUEKU, Gloria SPAHIK, SanelTORLAKOVIC, Senko ZAHIB, SosanURBAN, JasminVAN LONDERZELE, SaraWINKLMANN, Tim

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DIE PARDOSVOM OSMANISCHEN REICH ÜBERDIE NEUE WELT NACH HAMBURG

Im 19. und 20. Jahrhundert lassen sich zahl-reiche Mitglieder der weitverzweigten spa-nisch-portugiesischen Diaspora in Hamburgund Altona nieder. Sie kommen nicht nuraus der Amsterdamer Portugiesengemeinde,sondern vor allem aus Nordafrika (Tunis),dem Osmanischen Reich (Belgrad, Ploiesti,Plovdiv, Saloniki, Istanbul, Smyrna), Portu-gal (Azoren) und der Neuen Welt. Portugie-sische, spanische, englische und französi-sche Grabinschriften von den vier Portugie-senfriedhöfen in Hamburg (Königstraße,Grindel, Bornkampsweg, Ilandkoppel) zei-gen, dass die Beziehungen zur Neuen Weltbesonders eng und dauerhaft waren: Mit-glieder der Familien Pardo, Luria, de Sola,Mendez Monsanto und Senior kommen ausCaracas, Surinam, St. Thomas und Amster-dam nach Altona und Hamburg.

Neuer Portugiesenfriedhof Ilandkoppel/Ohlsdorf(Foto: Michael Halévy)

Von Joseph zu Gertrud PardoStammbaum der Familie Pardo

Stammbaum Pardo(Nachlass Karl Georg Pardo de Leygonie)

I[Rabbiner] Joseph Pardo (Saloniki c. 1550 -Amsterdam 1619) – Reina c. 1555 -Amsterdam 1631

Grabverzeichnis mit den Grabstellen der Familie Pardo aufdem Friedhof Ouderkerk bei Amsterdam(Nachlass Karl Georg Pardo de Leygonie)

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II

[Rabbiner] David de Joseph Pardo (Salonikic. 1582 - Amsterdam 1657) – Rahel deFrancisco (Josias) Sanchez alias David deSalom (Moura/Portugal c. 1590 - Amster-dam 1627)

1610 übersetzt David de Joseph Pardo in Amsterdam aus demHebräischen das Buch ‹Pflichten der Herzen› von Ibn Paquda

III

[Rabbiner] Josiau de David Pardo (Curaçaoc.1622 - Jamaica 1691) - Sara de Saul LeviMorteira (Amsterdam 1630 - ?)

Josiau [Hizkiau] Pardo(Grabstein vom Friedhof Hunt’s Bay auf Jamaika) [Foto: Marilyn Delevante, The Knell of Parting Day. A Histo-ry of the Jews of Port Royal and the Hunt’s Bay Cemetery,Kingston 2008, S. 174]

Grabinschrift (portugiesischer Teil)

Unter diesem Stein / ruht der hervorragende Körp-er, die heroische Tugend, / die exemplarischeBescheidenheit und das einzigartige / Wissen desberühmten und geachteten Mannes, des Rabbiners/ unseres Lehrers Rabbi Josiau / Pardo [...] vomGerichtshof [Bet Din] dieser Heiligen Gemeinde,den G’tt / zu sich rief am 17, Elul [des Jahres]5444 [= 27. August 1694]

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IV[Rabbiner] Saul de Josiau Pardo (Rotterdamc. 1650 - Surinam 1702) – Esther (1672 -New York 1708)

V

[Kaufmann] Josiau de Saul Pardo (NewYork 1694 - Curaçao 1755) – Esther deJacob Israel Monsanto (1712 – 1792Curaçao)

VI

[Kaufmann] Isaac de Josiau Pardo (London1720 - Amsterdam 1790) – Abigail Vaz Far-ro (1734 – Curaçao 1782)?

VI

[Gemeindeangestellter] Aron de Josiau Par-do (Curaçao 1757 - Curaçao 1814) – Hanade Jacob Abendana Mendes Belmonte(Hamburg 1760 - Hamburg 1828)

VII

Jacob de Aron Pardo (Amsterdam 1786 –St. Domingo 1826) – Angelina de Michaelde Joseph Nehemias da Costa (1788 - LaGuayra/Venezuela 1848, bestattet auf demJüdischen Friedhof Altona/Königstraße

VIII

[Kaufmann] David de Jacob Pardo (1826 -Hamburg 1881, bestattet auf dem Grindel-friedhof, 1937 überführt auf den JüdischenFriedhof Ilandkoppel/Ohlsdorf) – MalkaHirsch Lazarus (1828-1915)

Grabstein von David Pardo(Foto: Michael Halévy)

Der Stein wurde zusammen mit den Grab-steinen von Esther und Sara Pardo (Ehe-frauen von Michael Pardo) auf Veranlas-sung von Mitgliedern der Hamburger PardoFamilie bei der Auflassung des Grindel-friedhofs 1937 auf den Jüdischen FriedhofOhlsdorf/Historischer Grindelfriedhof ver-bracht.

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IX

[Kaufmann] Isaac de David Pardo (Ham-burg 1858 - Hamburg 1938) – SophieFrän[c]kel (Hamburg 1853 - Hamburg1931)

Grabstein von David und Sophie Pardo auf dem Neuen Portu-giesenfriedhof an der Ilandkoppel (Ohlsdorf) (Foto: Michael Halévy)

X

[Gewerbelehrerin] Gertrud de Isaac Pardo(Hamburg 1883-c. 1942)

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VON HAMBURG NACH CARACAS UND ZURÜCK:ISAAC JOSEPH PARDO BERICHTET

Isaac José de Jacob Pardo jr.,geb.14.10.1905 in Caracas, bedeutenderSchriftsteller, Essayist, Arzt und Politiker,besucht das Colegio Alemán in Caracas, zuseinen Lehrern zählt der berühmte Schrift-steller José Antonio Ramos Sucre. 1921 Besuchdes Gymnasiums von Caracas, zu seinenLehrern zählt der spätere Politiker RómuloGallegos. 1922 Archivar an der UniversidadCentral, später Studium der Medizin in Cara-cas, Paris und Barcelona, Tätigkeit im natio-nalen Gesundheitsdienst (Sanatório SimónBolivar), 1941 Mitbegründer der humoristi-schen Wochenzeitung El Morrocoy Azul.1948 bietet ihm der Staatspräsident undDichter Rómulo Gallegos die Leitung desGesundheitsministeriums an, was durcheinen Staatsstreich jedoch zunichte gemachtwird. 1955 erhält Pardo für sein Buch ‹Estatierra de gracia. Imagen de Venezuela en el sigloXVI› den Literaturpreis ‹Miles Sherover›.1961 veröffentlicht er seine große Studieüber ‹Juan de Castellanos. Estudio de las Elegíasde Varones Ilustres de Indias›. Von 1977 bis1985 ist er Präsident des Museo y CentroBibliográfico Rómulo Gallegos. Der politischaktive Isaac José Pardo gehörte zu denGründern der Unión Republicana Democratica(URD) und der Integración Republicana.

In seiner 1998 in Caracas erschienenenautobiographischen Skizze La caida de lashojas (Beim Fallen der Blätter) berichtetIsaac José Pardo über sich, seine Familiesowie über seine jüdischen Vorfahren ausHamburg-Altona. Sein Bericht stützt sichauf ein Manuskript, das sein unterneh-mungsfreudiger Großvater Isaac José(Joseph) Pardo sen. während seiner Über-

fahrt in die Neue Welt angefertigt hatte unddas später von ihm selbst ins Spanischeübersetzt und den Familienmitgliedernzugänglich gemacht wurde:

Mein Großvater väterlicherseits wurde am 7. Sep-tember 1824 in Hamburg geboren. Mein Großva-ter Isaac verließ Altona um 3. Oktober 1841 aufder Bergantin Georg Andrea. Das Schiff erreichteLa Guaira am 3. Dezember 1841, also genauzwei Monate nach der Abfahrt. Aber erst am fol-genden Tag konnte er wegen der stürmischen Seeden kolumbianischen Boden betreten, wo ihn seinBruder Michael erwartete.

In einem fünf Jahre vor seinem Todgeführten Interview mit der SchriftstellerinMaria Ramirez Ribes schreibt er über sichund seine weitverzweigte Familie:

Ich stamme aus einer ursprünglich aus Portugalbeheimateten Familie, die seit dem 18. Jahrhundertin Deutschland ansässig war. Daher rührt meineVerbindung zu Deutschland. Mein Großvaterkam nach Caracas, wo er die jüdische Gemeindeaufsuchte. Hier verliebte er sich in die kleine WaiseMaria de Jesus Mendez Monsanto Rivas, die erspäter heiratete, nachdem er zum Christentumübergetreten war.

Der Kontakt mit Hamburg bestand nichtallein auf Grund der engen verwandtschaft-lichen und kaufmännischen Beziehungen zuden zahlreichen Mitgliedern der Großfami-lie Pardo in Hamburg und Altona, sondernvor allem durch den am 4. September 1854in Caracas geborenen und 1914 in Ham-burg gestorbenen vermögenden KaufmannManuel Fortunato Pardo, Sohn des IsaacJosé Pardo sen. Sein Grab liegr auf demOhlsdorfer Friedhof.

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Château de Castres im Besitz der Familie Pardo

Der polyglotte Manuel Fortunato zieht vonCaracas nach Frankreich, wo er in demKakao- und Kaffee-Importgeschäft Bain-bridge arbeitet, das er später erfolgreichunter dem Namen Manuel F. Pardo weiter-führt, mit Filialen in Hamburg, Le Havreund Bordeaux.

Enriqueta und Manuel Fortunato Pardo(Goya Museum Castres)

In Paris heiratete er die am 18. August 1858in Sevilla geborene Enriqueta de Leygonie,Tochter des aus England stammenden Hof-arztes der Infantin Maria Cristina von Spa-nien. Ihre Tochter Henrietta, geb. am27.10.1882 in Paris, gest. 1936 in Hamburg,führt 1903 durch ihre Heirat mit RobertMichael Pardo die Familien von Isaac José(Joseph) Pardo (römisch-katholisch) undMichael Pardo (jüdisch) wieder zusammen.In den unveröffentlichten Tagebüchern desHamburger Kaufmanns Siegmund Robi-now, geb. 9.7.1808 in Hamburg, gest.15.7.1870 in Hamburg, Sohn von MarcusRobinow (Mitbegründer des HamburgerReformtempels) und der Emma Beit, findetsich eine kurze Notiz über die mit der Fa-milie Robinow befreundete Familie Pardo:

Ein alter Bekannter hat sich wieder blicken lassen,Moses Pardo aus Caracas, der Sohn eines altenjetzt verstorbenen Freundes meines Vaters und mei-ner: Isaac Pardo jun. als La Guayra - früher eineZeitlang hier domiciliert und später wieder nach St.Thomas und La Guayra zurückgegangen: die Söh-

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ne Aaron und Moses wurden theilweise bei uns imHause erzogen, und sind jetzt sehr reiche Kaufleutein Caracas. Moses Pardo bringt jetzt mit Frau und10 Kindern den Winter hier zu. Moses Pardo hatnoch einen Dividend für des Vaters Masse bezahlt

Über Moses Pardo schreibt der aus eineraschkenasisch-sefardischen Familie stam-mende Hamburger Gelehrte FerdinandMeisel (1854-1938) in seinen unveröffent-lichten Erinnerungen folgende kurze Notiz:

‹Moses Pardo war ebenfalls Großkaufmann. Erhatte sein Geschäft in La Guaira (Venezuela), leb-te aber mit seiner Familie in Hamburg. SeineFrau, Esther Pardo, eine ungewöhnlich kluge,scharfdenkende Frau, war seine Kusine, eine Schwe-ster Michael Pardos. Das Ehepaar hatte 12 Kin-der, die alle spanische Namen trugen und wohl alleauf traurige Weise zu Grunde gegangen sind. Esschien ein besonderer Unstern über dieser Familiezu schweben. [...] Die Ehe fiel unglücklich aus unddie junge Frau wurde irrsinnig. Sie starb vor langenJahren. [...] Die Familie – Mann, Frau, 12 Kin-der und eine schwarze Amme – wohnte Monatehindurch im Hôtel de l’Europe am Neuen Jung-fernstieg, damals das erste Hotel Hamburgs. Alsmeine Mutter ihrer Kusine Esther be-merkte, dasmüsse doch furchtbar teuer sein, erwiderte diese:“Aber, liebe Julie, billiger kann man doch gar nichtleben!”

Ester und Moses Pardo wurden auf demGrindelfriedhof, Portugiesischer Teil, be-stattet, ihre Grabsteine später auf den Jüdi-schen Friedhof Ohlsdorf (historischerGrindelfriedhof) überführt. Grabinschriftenfür Moses und Esther Pardo:

Hier ruhet unser geliebter PapaMOSES PARDOgeb. 18. Juni 1814

gest. 18.September 1878Hier ruhet unsere geliebte Mama

ESTHER PARDOGEB. PARDO

geb. 15. April I816gest. I. März 1894

VII/2 Michael de Jacob Pardo

Der am 18.11.1818 in Schwerin geboreneund am 22.4.1885 in Hamburg gestorbeneLehrer und Kaufmann Michael de JacobPardo war zweimal verheiratet. In ersterEhe mit Esther de Joseph Luria de Lemos(geb. 27.6.1818, gest. 13.2.1872), und inzweiter Ehe mit seiner Schwägerin Sara deJoseph Luria (geb. 30.6.1823, gest.14.11.1899). Michael Pardo ist Lehrer in derportugiesischen Gemeindeschule in Altona.Aufgrund seiner guten spanischen und por-tugiesischen Sprachkenntnisse tritt er in denDienst des Großherzogs von Mecklenburg,um die Handelskontakte der Stadt Schwerinmit Südamerika zu stärken. Ab 1839 arbei-tet er in La Guaira (Venezuela) für das eng-lische Handelshaus Boulton. 1841 lässt ersich in Caracas nieder und wird 1847Geschäftspartner des deutschen KaufmannsG. Blohm, ein Jahr später Kompagnon derFirma Blohm, Lindo y Cia. in Puerto Cabel-lo. Auf einer Hamburgreise lernt er seinespätere Frau Ester Luria kennen, die er am13.10.1850 heiratet.

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Ketubba (Heiratsvertrag) zwischen Michael Pardo und EstherLuria (Hamburg 1850)(Nachlass Karl Pardo de Leygonie)

Nach der Hochzeit geht er mit seiner Fraunach Venezuela zurück, wo er von 1847 bis1850 Schatzmeister der Sparkasse von LaGuaira wird und später Sekretär der Compa-ñia Paquebotes de Vapor. 1858 verlässt er LaGuaira und kehrt nach Hamburg zurück,wo er am 30. 4.1858 Hamburger Bürgerwird. Hier gründet er die Firma Michael Par-do & Co. 1868 wird er zusammen mit Leo-pold Jessurun und Simon Ruben Henriquesin der Vorstand der Portugiesisch-JüdischenGemeinde gewählt.

Esther und Michael Pardo (1869)(Portraits von Wilhelm Georg Volkhardt, Nachlass Karl Par-do Leygonie)

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Nach dem Tod seiner Frau Ester heiratet erderen Schwester Sara. Am 22.4.1885 stirbter in Hamburg. Die Gräber von Esther undSara Pardo liegen heute auf dem JüdischenFriedhof Ilandkoppel (Ohlsdorf) / Histori-scher Grindelfriedhof. Der Grabstein vonMichael Pardo ist unbekannt.

Über Michael Pardo schreibt der Hambur-ger Lehrer Ferdinand Meisel:

Die drei Pardos Michael, Moses und David warenunter sich wie Vettern [...] Michael Pardo war einreicher Kaufmann, Chef des Export- und Import-geschäfts Michel Pardo & Co. Er war ein kleiner,feiner, kluger, guter, stiller Mann. Bei ihm trat ichspäter in die Lehre; davon werde ich noch erzählen.Als ich ein großer Junge war, ließ er sich von demdamals berühmten Architekten [Wilhelm Georg]Hauers in Hamburg, einem fantastischen SchülerHase’s in Hannover, ein prächtiges Wohnhaus[Mittelweg 13] bauen. Ich erinnere mich noch, diePerspektive, die sehr schön in Aquarell ausgemaltwar, gesehen zu haben. M. P. hat sich aber in die-sem Hause nie recht wohl gefühlt; es ging ganzgegen seinen Geschmack. Er war ein begeisterterVerehrer der Antike und hatte sich wohl nurdurch die schöne Perspektive blenden lassen. Ganzbesonders unangenehm war ihm die Ausmalung desTreppenhauses mit gotischen Ranken-Ornamenten.Sie rührte von einem Maler namens HermannSchmidt, einem hochbegabten Künstler, mit dem ichspäter noch genauer bekannt wurde, her.

Grabinschrift:Dem Andenken von

Angelina Pardogeb. d. 17. Nov. 1853gest. d. 28. Oct.1854

gewidmet von ihren ElternMichael Pard[o]

und Ester geb. Luria

Wohnhaus von Michael Pardo am Mittelweg 13(das Haus wurde im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstört)

Michael Pardo war ein Mann von feiner Geistes-kultur, er studierte mit Vorliebe Spinoza undLeibnitz. [...] Michael Pardo war, wenn auch eindurchaus freidenkender Mann, so doch ein begei-sterter Jude. Er hatte die heitere Ruhe des wirklichvornehmen Mannes. Er hatte die Welt gesehen,hatte lange in Venezuela gelebt und sich ein reifesUrteil erworben.

Grabstein für Angelina de Michael Pardo(Jüdischer Friedhof Altona an der Königstraße, Foto: Michael Halévy)

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IN HAMBURG:DIE FAMILIEN VON DAVIDUND ISAAC PARDO

VII/3 DAVID PARDO

David de Jacob Pardo(Foto: Sammlung Michael Halévy)

Ein Bruder von Isaac und Michael Pardo istder seit seiner frühesten Jugend gelähmteKaufmann und Zigarrenhändler David deJacob Pardo (3.6.1826 - 4.8.1881), verheira-tet mit Malka /Amalia de Eleasar bar Zvialias Lazarus Hirsch Lazarus (20.5.1828 inAltona – Hamburg 20.12.1915). Auf derVorstandssitzung der Portugiesisch-Jüdi-schen Gemeinde wird er am 27. 8.1862 zumMitglied der Baukommission bestellt.Bestattet zunächst auf dem Grindelfried-hof, der Grabstein wird 1937 auf den Jüdi-schen Friedhof Ilandkoppel (Ohlsdorf)überführt:

Dem Andenkenan

David Pardogeb. a. 3. Juni 1826

gest. a. 4. August 1881

Grabstein von Amalie Pardo

Amalie Pardogeb. Lazarus

geb. 20. Mai 1828gest. 20. Dezember 1915

Über David Pardo schreibt Ferdinand Mei-sel:

David Pardo lebte in sehr bescheidenen Verhältnis-sen. Er wohnte in einem winzigen Häuschen amRothenbaum neben der Dreyerschen Wirtschaft. Erwar gelähmt und wurde in meiner frühen Jugend imFahrstuhl gefahren. Später machte ihm eingeschickter Bandagist so geschickte Bandagen, dasser gehen konnte. Er war ein gescheiter Mann, derin seinem Liegestuhl liegend schöne Stickereienanfertigte. Von seiner Frau, ‹Tante Malchen› istmir besonders die große rote Nase erinnerlich. Siesoll noch (1915) leben. Das Ehepaar hatte vieleKinder, von denen mir besonders der Sohn Isaac,der später eine größere Schirmfabrik gründete, erin-nerlich ist. Dann war noch eine Kusine meinerMutter, Hannchen Pardo, da, die meine Muttersehr liebte, sie war total verwachsen.

Kinder von David und Malka Pardo:

VIII/1

Jacob de David Pardo, geb. 3.3.1853 inAltona.

VIII/2

Eleasar Pardo, geb. 15.7.1854 in Altona,1897 Ausreise nach Santo Domingo, dortgestorben 1931, verheiratet mit Rahel Perei-ra in Santo Domingo Seine Tochter SaraAimée, verheiratet mit Heinrich Jesse, geb.

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23.2.1880 in Santo Domingo, lebt seit 1896in Hamburg, und stirbt am 27.11.1940 inBerlin.

Sara Aimée Pardo(Foto: Sammlung Halévy)

VIII/3

Michael Pardo, geb. 17.8.1855 in Altona.

VIII/4

Angela Pardo, geb. 20.2.1857 in Altona.

VIII/5

Aron Pardo, geb. 16.2.1862 in Hamburg.

VIII/6

Isaac de David PardoIsaac Pardo wird am 10. 11.1858 als jüng-stes Kind von David de Jacob Pardo inHamburg geboren. Er ist verheiratet mitSophie Fränckel (geb. 1853, gest.

22.4.1931). Isaac Pardo gründet eine gutge-hende Regen- und Sonnenschirmfabrik. Am27. 5. 1933 kann er auf eine 25-jährigeTätigkeit als ehrenamtlicher Mitarbeiter derJugendbehörde zurückblicken. Der Grab-stein von Isaac und Sophie Pardo liegt aufdem Neuen Portugiesenfriedhof in Ham-burg-Ohlsdorf:

SOPHIE PARDOGEB. FRÄNCKEL

GEST. 22. APRIL 1931ISAAC PARDO

GEST: 10. MAI 1938

Das Ehepaar Isaac und Sophie Pardo wech-selt häufig die Wohnadresse, wie aus denHamburger Adressbüchern hervorgeht:

1883 – Steindamm 171890 – Steinthorweg 21900 – Grindelhof 12a1910 – Grindelallee 1571913 – Eppendorfer Landstraße 12

Wohnhaus Eppendorfer Landstraße 12(Foto W. Hundt)

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Nach dem Tod seiner Frau Sophie ziehtIsaac Pardo mit seiner Tochter Gertrud anden Rainweg 9. Nach der Deportation 1941nach Litzmannstadt (Lodz) verzeichnet dasHamburger Adressbuch weiterhin die Ge-schwister Gertrud und Angela Pardo alsMieterinnen des Hauses Rainweg 9, zweiterStock:

1942 - Rainweg 9, Frl. Ang. Sara Oberina.D., Gertr. Sara Pardo Gewerbelehrerin i.R.1943 - Rainweg 9, Frl. Ang. Sara Oberina.D., Gertr. Sara Pardo Gewerbelehrerin i.R.

RETTUNG IN WEITER FERNE:

Gertrud, Angela, Jacob Richard,David Manfried und Herbert Pardo

Herbert, David Manfried, Angela, Ruth (Ehefrau von Her-bert) und Frieda Pardo (Ehefrau von David Manfried)(Foto: Sammlung Halévy)

IX/1

David Manfried de Isaac Pardo, geb. 27.3.1882,gest. 20.2.1948 in New York (Suizid), ist mitFrieda Johanna Margareta Niese verheiratet,geb. 10.5.1889, gest. November 1950 inNew York. Am 10.9.1920 diskutiert derVorstand der Portugiesisch-JüdischenGemeinde über seinen Antrag, seiner FrauFrieda, die vom Tempelverband in dasJudentum aufgenommen wurde, einst aufdem Ohlsdorfer Gemeindefriedhof/NeuerPortugiesenfriedhof zu bestatten zu dürfen.1935 beabsichtigt das Ehepaar, wohnhaftam Loogestieg 12, eine Informationsreisenach Palästina anzutreten, vermutlich, umin Haifa Bruder und Schwager Herbert Par-do zu treffen. Die Apotheke von DavidManfried Pardo gehörte 1935 zu neunzehnnoch bestehenden ‹jüdischen Apotheken›.Nachdem er 1936 seine Apotheke am Win-terhuder Marktplatz/Hudtwalckerstr. 39verpachten musste, verringerten sich seineEinkünfte beträchtlich, so dass eine Aus-

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wanderung in Erwägung gezogen wird.Über England gelangt das Ehepaar mit denKindern nach New York. Das DeutscheGeneralkonsulat in New York bescheinigtam 8.4.1940, dass

David Manfried Israel Pardo am 1. April 1940mit dem Dampfer Britannia in New York einge-troffen und mit einem Einwanderungsvisum desAmerikanischen Generalkonsulats in Londonzugelassen worden sei und seitdem in New YorkCity, 54 West 91st Street wohnen würde.

Seine Tochter Käthe Pardo, geb. 14.3.1922in Hamburg, ist mit dem Psychiater Theo-dore Lipin verheiratet. Nach ihrer Schei-dung lässt sich Käthe Pardo-Lipin in

Schweden nieder, wo sie 3.8.2010 stirbt.Sein Sohn Herbert Jacob Pardo, geb.20.7.1925 in Hamburg, stirbt am 25.5.2009in Orlando, Florida. Er war verheiratet mitLiana Silvia Cavalieros, geb. 1924.

IX/2

Gertrud Pardo >

IX/3

Richard Jacob Pardo, geb. 30. August 1884,gest. 10.12.1961 in Israel, verheiratet mitBetty de Isaac Halevi, geb. 30.4.1887. 1933macht als Schätzungsdeputierte und aktivesGemeindemitglied der Portugiesisch-Jüdi-schen Gemeinde den Vorschlag, ein neuesLeben in der Gemeinde zu wecken, und zwardurch Veranstaltung von Vorträgen und derglei-chen. 1934 fordert er die Gemeinde auf, dasInteresse der Jugend neu zu wecken; außerdemrichtet er den dringenden Appell an dieMitglieder, die Synagoge treuer zu besuchen. DasEhepaar emigriert im Mai 1935 mit derTochter Ruth Pardo, geb. 30.7.1914, nachPalästina.

IX/4

Angela Rosette (Anne) Pardo, geb. 28.8.1885 inHamburg.

Geburtsurkunde von Angela Rosette Pardo(StaH 314-15, R 1938/3586)

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Angela Pardo wird im August 1895 als drit-tes Kind von Isaac und Sophie Pardo inHamburg geboren. Über ihre Kindheit undJugend ist nichts bekannt. 1914 beginnt sie,vielleicht unter dem Eindruck des Krieges,eine Ausbildung als Krankenschwester amIsraelitischen Krankenhaus Hamburg. ImSeptember des folgenden Jahres besteht siedie Kriegsnotprüfung mit der Note “gut”.

Protokollbuch des Israelitischen Krankenhauses Hamburg(StaH 522-1.- Jüd. Gemeinden 528a)

In den folgenden Jahren arbeitet sie nichtnur im Israelitischen Krankenhaus alsSchwester, zwischen 1918-1919 und 1923-1924 ist Angela Pardo auch als Gemeinde-schwester und Sozialarbeiterin tätig undvertritt zeitweise die Oberin Klara Gordon(1866-1937) des Israelitischen Pflegeheimes.

Reisepass von Sophie Pardo, geb. Fränckel (Mutter) und AngelaPardo (StaH 332-8, A24 Bd. 320)

Im März 1928 unterschreibt sie einen Ar-beitsvertrag als Oberin des neu eingerichte-ten, hochmodernen Eitingon-Krankenhau-ses in Leipzig. Die nach ihrem Stifter, demvermögenden Rauchwarenhändler ChaimEitingon (1857-1932) benannte Klinik, istdas erste jüdische Krankenhaus in Sachsen.Es steht Patienten aller Konfessionen offen,wird aber nach den streng rituellen jüdi-schen Speisegesetzen geführt.

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Leipziger Jüdisches Jahr- und Adressbuch 1933

Chaim Eitingon-Klinik (Postkarte c. 1930) Das Foto zeigt vermutlich Angela Pardo (oben Mitte)(Foto: Privatbesitz von Irene Lawford-Hinrichsen)

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Angela Pardo arbeitet bis Ende des Jahres1938 in Leipzig. Als nach der Pogromnachtim November bis auf einen Chirurgen alleÄrzte in das KZ Buchenwald gebracht wer-den, unterschreibt sie stellvertretend Rech-nungen an die Devisenstelle Leipzig.

Das Foto zeigt vermutlich Angela Pardo(Foto: Sammlung Halévy)

Der Chefarzt der Chirurgie, Dr. LudwigFrankenthal (1881-1944 Auschwitz), wurdenach dem Novemberpogrom verhaftet undins KZ Buchenwald gebracht, aus dem erüber mehrere Konzentrationslager nachTheresienstadt und später Auschwitzdeportiert wurde. Er stellte Angela Pardo,die wohl die Absicht gehabt hatte, nachPalästina auszuwandern, folgendes Zeugnisaus:

Mit Frau Oberin Angela Pardo, geboren am28.8.85, habe ich 10 1/2 Jahre zusammen gear-beitet. Sie wurde auf meinen Vorschlag von demStifter des Krankenhauses, Herrn Chaim Eitin-gon, 3/4 Jahr vor Eroeffnung des Hauses ange-stellt, und zwar wurde sie mir von der tuechtigstenund erfahrensten juedischen Oberin Deutschlands,Frau Gordon, Hamburg primo et uno loco alsOberin fuer unser Haus empfohlen. Sie hat unter

den allerschwierigsten Umstaenden den Aufbau desHauses geleitetet und ist schon in das Haus einge-zogen, als noch keine Treppen vorhanden waren,und nicht nur die personellen sondern auch diesachlichen Schwierigkeiten in ungewoehnlichemMaasse zu ueberwinden waren. Sehr bald hat siedas Vertrauen der Stifter und vor allem des Ver-waltungsrates gewonnen und sie hat unter den aller-groessten Schwierigkeiten eine aus den hetrogenstenTeilen zusammengesetzte Schwesternschaft geschaf-fen, mit der sie die schwierige Aufgabe, das Kran-kenhaus zu konstituieren vollzog. Sie hat unsAerzte in jeder Weise und in jeder Situation unter-stuetzt. Fuer ihre grosse Aufgabe brachte sie zweiunbedingt notwendige Eigenschaften mit: auf dereinen Seite grosse pflegerische und schwesterlicheKenntnisse, auf der anderen Seite ausgezeichnetewirtschaftliche Erfahrungen, Verstaendnis undEinfuehlung in die verschiedenartige soziale Konsti-tution unserer Gemeinde. Wenn sie auch denSchwestern gegenueber eine gewisse Strenge an denTag legen musste, so war diese immer wieder mitMilde gepaart und letzten Endes namentlich beiden jungen Schwestern, durch das Verantwortungs-gefuehl den Angehoerigen gegenueber diktiert. EineReihe aelterer Schwestern, die dem Haus jahrelangdie Treue gehalten haben, haben auch bald ihregrossen Werte erkannt und sie mit allen Mitteln inihrer Autoritaet unterstuetzt und sind ihr in jederWeise beigestanden.Sie hat den Schwerkranken gegeueber eine ruehren-de Hingabe gezeigt und es hat kaum einen Fallgegeben, wo sie nicht in der Nacht neben den Aerz-ten bei den Schwerkranken blieb und ihre Schwe-stern immer wieder zu neuer Tatkraft und Hilfeanfeuerte.Sie ist hier genuegend bekannt fuer die vorbildlicheWirtschaftsfuehrung des Hauses. Sie hat wohl mitdem Pfennig geknausert, aber wo es sich um dieeine Aufgabe, die grossen Ziele des Hauses, handel-te, war sie die grosszuegigste von allen und hatimmer wieder dazu geraten, neue Apparate anzu-schaffen und die alten zu verbessern. Als das Hausnoch von den staedtischen Organisationen kontrol-liert wurde, hat einer der besten Krankenhausexper-

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ten, der Verwaltungsdirektor Schilling des Staedti-schen Krankenhauses, St. Jacob zu Leipzig dasLob der Oberin in allen Tonarten gesungen, weilsie es verstanden hat, das Haus in den allerschwer-sten Zeiten gesund zu erhalten. Wenn sie zu einzel-nen Untergebenen streng sein musste, so geschah esnur in Hinblick auf die Sauberkeit und Korrekt-heit. Unser Haus war auch in dieser Hinsicht vor-bildlich und sie hat hierin nicht mit sich paktierenlassen.Im Laufe der Jahre hat sie gesundheitlich sehr vielhergegeben und ihre ganze Persoenlichkeit nur demHaus geoeffnet. Ihre Taetigkeit ist deshalb auchvon der Bevoelkerung Leipzigs und Mitteldeutsch-lands besonders loben anerkannt. Ich selbst bedaureausserordentlich, dass ich durch mein Ausscheidenaus dem Krankenhaus eine so hervorragende cha-ractervolle und treue Mitarbeiterin verliere.Chef der chirurgischen Abteilung des IsraelitischenKrankenhauses, Leipzig.gez. Dr. Frankenthal

Angela Pardo darf wahrscheinlich ab demFrühjahr 1939 auf Befehl der Gestaponicht mehr im Krankenhaus arbeiten. Sieverlässt Leipzig und zieht zu ihrer Schwe-ster Gertrud nach Hamburg an den Rain-weg Nr. 9.

Bereits 1936 wird sie als Mitglied der Zioni-stischen Vereinigung Leipzig geführt. Jetzt willsie nach dem Tod ihres Vaters zu ihrenBrüdern Herbert und Richard Jacob nachPalästina auswandern, zahlt im August 1939zweihundert Reichsmark an den KerenHajessod Berlin, ein Gründungsfond undeine zionistische Sammelorganisation, dieGeld für die Aufbauarbeit in Palästina sam-melt und die Angelegenheiten der Juden fürderen Auswanderung bearbeitet. Im Okto-ber 1940 bezahlt sie nochmals 650 Reichs-mark beim ‹Reisebüro Hauptbahnhof Ham-burg› für ihre Auswanderung ein. Aber ihreHoffnung auf eine Ausreise erfüllt sich

nicht. Im Oktober 1941 erreicht sie derDeportationsbefehl. Zusammen mit ihrerSchwester Gertrud wird Angela Pardo indas Ghetto Litzmannstadt (Lodz) depor-tiert.

Auszug aus der Deportationsliste nach Litzmannstadt (Lodz)StaH 522-1, Jüdische Gemeinden, 922e2 Bd.1

Dort bezieht sie Anfang 1942, zusammenmit ihrer Schwester Gertrud und weiterenelf Menschen, ein Zimmer in der Rauch-gasse 25. Vermutlich werden beide Schwe-stern im Mai 1942 vom Ghetto Lodz in dasVernichtungslager Chelmno deportiert undermordet.

IX/5

Herbert Joseph Pardo, geb. 20.8.1887, gest.8.2.1974, verheiratet mit Ruth de BinjaminNeuländer, geb. 20.8.1888, gest. März 1974.Herbert Pardo besucht das Wilhelmgymna-sium, studiert Jura in München, Berlin undKiel, 1909 Promotion zum Dr. jur. inRostock [Das strafrechtliche Kriterium derWucherlichkeit eines Darlehns, Hamburg 1909].Nach dem Assessorexamen 1912 Eintritt indie Anwaltskanzlei Dres. Heckscher & Par-do. In einem Brief an den SPD-Vorsitzen-den Dr. Kurt Schumacher vom 18.9.1946 gibter einen kurzen Abriss über sein Leben:

Ich bin am 20.8.1887 in Hamburg als Sohn einesHamburger Bürgers geboren und gehörte dort eineralteingesessenen portugiesisch-jüdischen Familie an.Von Juli 1912 bis September 1933 war ich alsRechtsanwalt beim Hanseatischen Oberlandesge-

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richt und der Hamburger Gerichte tätig, mit einemder bedeutendsten Hamburger Anwaltsbüros unterder Firma Drs. M.. Heckscher und Pardo.

Dr. jur. Herbert Pardo(links: Portraitzeichnung von Otto Quirin)

1910 Eintritt in die SPD, im Ersten Welt-krieg Militärhilfsrichter, 1918/1919 imArbeiter- und Soldatenrat, Mitglied derNotverfassung gebenden Bürgerschaft. Mit-glied der Bürgerschaft 1919-1932, Mitglieddes Staatsgerichtshofs, der Steuerdeputati-on, der Gefängnisbehörde, des Universitäts-ausschusses, des gemischten Eingabenaus-schusses (1926-1928) und des Bürgeraus-schusses (seit 1927) sowie im Vorstand desReichsbanners Schwarz-Rot-Gold, Mitglied desHamburger Zionistischen Verbandes (H.Z.V.).Ab 1920 Syndikus des Polizeibeamtenver-bandes, wird Herbert Pardo mehrfach inden Vorstand der Portugiesisch-JüdischenGemeinde gewählt, zuletzt 1933.

Synagoge der Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde in der Innocenti-astraße(Foto: Sammlung Halévy)

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Wegen seines forschen Auftretens in denGemeindeversammlungen war Herbert Par-do nicht bei allen Gemeindemitgliedernbeliebt. Als Abgeordneter der HamburgerBürgerschaft setzt er sich vehement gegenAntisemitismus zur Wehr, zum Beispiel1920 anlässlich der Ausschreitung beimAuftritt des Schauspielers Alexander Moissi.Im September 1933 Emigration nach Palä-stina, dort betreibt er eine Fabrik für Stahl-möbel ohne großen Erfolg. 1935 kehrt erfür einige Tage nach Hamburg zurück, umseine Vermögensverhältnisse zu regeln.Nach dem Krieg möchte Herbert Pardo,der “innerlich unverändert, trotz aller Geschehnis-se [seiner] alten Heimat und Partei verbundenbleibt nach Hamburg zurückkehren, vorzugsweisein ein juristisches Amt” (Brief an Dr. KurtSchumacher vom 18.9.1946). In einemSchreiben vom 15.3.1946 an Dr. HerbertRuschewey erkundigt er sich nach demSchicksal seiner Schwestern Gertrud undAngela Pardo sowie zahlreicher Freundeund Parteigenossen. Obwohl sein Angebot,nach Hamburg zurückzukehren, wenig ver-ständnisvoll aufgenommen wird, kehrt erschon im Herbst 1947 nach Hamburgzurück und nimmt aktiv an den Vorstands-sitzungen der am 18. September 1945 neugegründeten Jüdischen Gemeinde Ham-burgs teil. In Hamburg wohnt er in derGreflingerstraße 1 bei seinem Cousin Kurtde Robert Pardo de Leygonie. Diesem wares in der NS-Zeit gelungen, seine jüdischeHerkunft zu verschleiern.

Nach dem Krieg stellen ihm die britischenMilitärbehörden einen Mitgliedsausweis der“Notgemeinschaft der durch die Nürnber-ger Gesetze Betroffenen aus”.

(Nachlass Karl Georg de Leygonie)

Robert (oben) und Karl Pardo de Leygonie (unten)

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Am 8.10.1947 stellt Herbert Pardo denAntrag, in Hamburg als Rechtsanwalt wie-der zugelassen zu werden. Diesem Antragstimmt am 7.11.1947 der Senat zu. Auf derVorstandssitzung vom 14.12.1947 wird Her-bert Pardo zum Justitiar der Gemeindebestellt, ab Mai 1948 wird er in den Vor-stand gewählt. Im Auftrag der SPD und mitUnterstützung der Gemeinde nimmt eraktiv an dem Prozess gegen den RegisseurVeit Harlan teil, in dem er als Nebenklägerauftritt. Zusammen mit seinem späterenSozius Siegfried Schiffner veröffentlicht er eineSchrift gegen Veit Harlan.

Anfang der 1950er Jahre verlässt HerbertPardo Hamburg, ist aber bis 1971 halbjähr-lich in Hamburg als Anwalt tätig (mitWohnsitz in Haifa), vor allem in Wiedergut-machungsfragen, darunter auch für Mitglie-der der ehemaligen Portugiesisch-JüdischenGemeinde. Am 19.7.1962 gratuliert ihm Sena-tor Hans-Har-der Biermann-Ratjen (1901-1969) zum 50-jährigen Dienstjubiläum. Undder Präsident der Hamburger BürgerschaftHerbert Dau (1911-2000) gratuliert ihm zuseinem 75. Geburtstag mit den Worten: ‹Siegehören zu jenen ehemaligen Bürgerschaftsabgeord-neten, deren sich die heutigen Parlamentarier mituneingeschränkter Hochachtung erinnern›.

Am 2. 6. 1971 gibt Herbert Pardo seine seit1912 bestehende Zulassung als Rechtsan-walt zurück. Nach langer Krankheit kehrt er1971 nach Haifa zurück. Nach Herbert Par-do wurde 1996 im Stadtteil Allermöhe eineStraße benannt.

Herbert und Ruth Pardo in Haifa (Mitte)(Foto: Familie Pardo, Haifa)

IX/2

Gertrud Henriette Pardo

Gertrud Henriette Pardo wird am 10.7.1883 alsältestes Kind des Ehepaars Isaac undSophie Pardo in Hamburg geboren.

Geburtsurkunde von Gertrud Henriette Pardo(StaH 314-15, R 1938/3536)

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Über das Leben von Gertrud Pardo sindwir nur unzureichend unterrichtet. In einemeinseitigen, 1938 verfassten Lebenslauf,erfahren wir nur das Allernötigste:

Kurzer Lebenslauf von Gertrud Pardo vom 30.12.1938(StaH 314-15)

Gertrud Pardo wohnt an der EppendorferLandstraße 12, nicht weit von ihrer Gewer-beschule am Schrammsweg 34 entfernt: Gewerbeschule Schrammsweg 34/Kellinghusenstr.

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Unterricht an der Gewerbeschule Schrammsweg 34/Kellinghusenstraße

Als Gewerbelehrerin ist Gertrud Pardoaktiv im Verein der Lehrerinnen an beruflichenSchulen in Hamburg e. V. (ADLV) tätig:

Nach § 4 des am 7. 4. 1933 verabschiedeten‹Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamten-tums› wird die Gewerbelehrerin GertrudPardo entlassen, da sie vor 1933 angeblichSympathien für republikanische Parteienhatte erkennen lassen. Die Beratungsstelleder Deutsch-Israelitischen Gemeinde fürjüdische Wirtschaftshilfe richtet in der

Heimhuderstraße 70 eine Haushaltungs-schule ein. Deren Leiterin wird GertrudPardo. Diese Schule besucht 1938 auch fürkurze Zeit ihre Cousine Leonor Pardo de Ley-gonie.

1935 berichtet das Gemeindeblatt über dieSchule im Gemeindehaus Heimhuderstr. 70:

Gemeindeblatt der Deutsch-Israelitischen Gemeinde zu Ham-burg (Bibliothek des Instituts für die Geschichte der deutschenJuden)

Jüdische Haushaltungsschule Heimhuderstraße 70(Foto: Vanessa Schubert)

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Am 14. Oktober 1938 berichtet das JüdischeGemeindeblatt über die Ausbildungslehrgängeder Gemeinde für Schulentlassene:Hauswirtschaftliche-gewerbliche Jahreskurse /Vorbereitung für handwerkliche Berufe.Lehrfächer: Wäschenähen, Schneidern, einfa-che und feine Handarbeiten, Zeichnen undGestaltungslehre.Hauswirtschaftlicher Unterricht: Kochen,Waschen, Plätten, Theorie. Die Ausbildun-gen sind für die Hachschara [Vorbereitungfür die Auswanderung nach Palästina] aner-kannt.Leiter: Gertrud Pardo, Dienstags von 10 bis12 Uhr.

Kochunterricht in der Jüdischen Haushaltungsschule Heimhuderstraße 70

Auch Gertrud Pardo hatte nach dem Todeihres Vaters eine Auswanderung ins Augegefasst. Wohl zu diesem Zweck lässt siesich 1938 von dem aus dem Justizdienstentlassenen ehemaligen OberstaatsanwaltDr. Eduard Guckenheimer (Hamburg 1893 –Buenos Aires 1961), der seit Anfang 1936als Leiter der Wohlfahrtsabteilung bei derJüdischen Gemeinde tätig ist, ein Zeugnisausstellen: (StaH 314-15 R 1938/3536)

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Ab 1937 wohnt Gertrud Pardo am Rainweg9, zweiter Stock (Eppendorf), wie aus derHausmeldedatei hervorgeht:

Hausmeldedatei(StaH 741-4 R 2352)

Wohnhaus von Gertrud und Angela Pardo am Rainweg 9(Foto: Michael Halévy)

Das Vermögen von Gertrud Pardo wird1938 unter ‹vorläufige Sicherheitsanord-nung› gestellt, sie kann also nur einge-schränkt und nur mit ausdrücklicherGenehmigung der Devisenstelle über ihrGeld verfügen. Mit Genehmigung darf siemonatlich nur 400 Reichsmark bei ihrerBank abheben.

Die Zollfahndungsstelle verfügt mit einer Sicherungsanordnungüber das Vermögen von Gertrud Pardo

Ende 1938 wird Gertrud Pardo Mitglied inder Deutsch-Israelitischen Gemeinde.

Kultussteuerdatei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde, mitAngabe ihrer ‹Aussiedlung› vom 25.10.1941(StaH 522-1, Jüd. Gemeinden, 992b)

Unter immer schwieriger werdenden Bedin-gungen leitet Gertrud Pardo die JüdischeHaushaltungsschule, bis diese am 1. Juni1941 auf Anweisung der Gestapo geschlos-sen wird.

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ERMORDET IM OSTEN

Die Schwestern Angela und Gertrud Pardowerden am 25. Oktober 1941 ‹ausgesiedelt›und ins Ghetto Litzmannstadt (Lodz)deportiert.

Anmeldung Gertrud Pardos im Ghetto Lodz (Archivum Panstwone, Lodz)

Am 3. Juni 1942 verlassen zwei Lastwagenmit 187 Menschen das Ghetto Lodz. IhrZiel ist angeblich Warschau. Die SchwesternPardo sind unter ihnen. Dort müssen sieunter unmenschlichen Bedingungen zuzwölft in einem Zimmer leben.

Abmeldekarte Gertrud Pardo für das Ghetto Lodz (Archivum Panstwowe, Lodz)

Im Mai 1942 werden sie, laut Fritz AugustSanne (1906-1955), einem Überlebenden, indas Vernichtungslager Collo (gemeint istwohl Chelmno) bei Kalisz/Kalisch ver-bracht.

Deportation vom Ghetto Lodz in das Vernichtungslager Chelm-no (Kulmhof) [Foto: Die Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt 1942,Göttingen 2007, S. 822]

Gertrud Pardo ist 59 Jahre alt, ihre Schwe-ster Angela 57 Jahre alt, als beide vermut-lich in Chelmno ermordet werden.

Gedenkstein für die Opfer des Ghettos Lodz in Chelmno [Foto: Die Chronik des Gettos Lodz / Litzmannstadt 1942,Göttingen 2007, S. 831]

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EPILOG 1

DIE BRÜDER PARDO AUF DERSUCHE NACH IHREN SCHWE-STERN

Die 1945 neu gegründete Jüdische Gemein-de bescheinigt dem Amtsgericht Hamburg,dass die Schwestern Gertrud und AngelaPardo zwischen dem 5. und 8. Mai 1942 ausLitzmannstadt (Lodz) in das Vernichtungs-lager Collo bei Kalisz überführt wordensind:

(StAH 314-15 R 1938/3536)

Am 22. April 1947 stellen der in New Yorklebende Bruder David Manfried Pardo unddie in Haifa lebenden Brüder Jacob undHerbert Pardo einen Antrag auf Todeser-klärung für ihre Schwestern Gertrud andAngela Pardo:

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EPILOG 2

DIE PARDOS: EINE FAMILIE, VERSCHIEDE-NE RELIGIONEN

Mitglieder der seit 1658 in Hamburg ansäs-sigen jüdischen Familie Pardo fanden ihreletzten Ruhestätten auf den JüdischenFriedhöfen Königstraße (Altona) und Iland-koppel (Ohlsdorf). Gräber von vierzehnMitgliedern dieser Familie, die ihren jüdi-schen Glauben beibehalten hatten, Mitglie-der der katholischen Kirche wurden oderkeiner Religionsgemeinschaft mehr ange-hörten wollten, liegen auf dem kommuna-len Friedhof Ohlsdorf.

EPILOG 3

SPÄTES ERINNERN

Zu Ehren von Gertrud Pardo wird imStadtteil Alsterdorf eine Straße benannt. ImMai 2013 wird ein Stolperstein für GertrudPardo vor ihrer ehemaligen SchuleSchrammsweg 34 gesetzt und ein weitererfür ihre Schwester Angela am Rainweg 9.Schüler der Höheren Handelsschule Kel-linghusenstraße erarbeiten eine Ausstellungüber die Gewerbelehrerin Gertrud Pardo.

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Danksagung

Einen herzlichen Dank an Dr. Andrea Lorzund Irene Lawford-Hinrichsen für dieDokumente und Auskünfte zur LeipzigerZeit von Angela Pardo

Literatur

Hamburg und seine Bauten mit Altona,Wandsbek und Harburg-Wilhelmsburg1918-1929, hrsg. v. Architekten- und Inge-nieur-Verein zu Hamburg, Hamburg 1929.

Hamburgisches Lehrer-Verzeichnis nebsteinem Anhang, hrsg. von der Gesellschaftder Freunde des vaterländischen Schul- undErziehungswesens in Hamburg und vomVerein Hamburger Volksschullehrerinnen,Hamburg 1932.

Lorz, Andrea, Die Erinnerung soll zumGuten gereichen, Aus dem Leben und zuden Leistungen Leipziger jüdischer Ärzte,Leipzig 2005.

Nachlass Karl Pardo de Leygonie, IGDJ.

Offenborn, Peter, Jüdische Jugend in Ham-burg 1933-1941, Berufliche Ausbildung,zionistische Schulung, Auswanderung, Teil2, Hamburg 2008.

Studemund-Halévy, Michael, Biographi-sches Lexikon der Hamburger Sefarden,Hamburg 2000.

Studemund-Halévy, Michael, ZwischenWestindien und Hamburg,Isaac Joseph undMichael Pardo - die zwei gleich-ungleichenBrüder, Teil 1 - 10, in: Majaan - Die Quelle,2002 Heft 63, 64, 65, 2003 Heft 66, 68, 69,2004 Heft 70, 72.

Studemund-Halévy, Michael, Pardo, in:Hamburgische Biografie Bd. 2, S. 315,Hamburg 2003.

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DIE PARDOS - VOM OSMANISCHEN REICH ÜBER DIE NEUE WELT NACH HAMBURG

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