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    Die populistische Herausforderung: Pure Vernunft darf niemals siegenvonTobiasBoosundBenjaminOpratko

    Die Benennung einer politischen Partei,einesPolitikersodereinerPolitikerinalspopu-listisch ist folgenschwer. Denn Populismusistzunchstvorallemeines:politischerKampf-begriff.Mit ihmverhieltessich langehnlichwie mit der Ideologie. Wie der britische Li-teraturwissenschaftler Terry Eagleton einmallaunig bemerkte, ist diese wie Mundgeruchimmer das, was die anderen haben (Eagle-ton 2000: 8). Niemand wollte populistischsein,dasAttributwar,jedenfallsinEuropa,nieSelbstbezeichnungsondernstetsFremdurteil.So eingesetzt vollzieht die Bezeichnung einedoppelteOperation.Zumeinendisqualifiziertsie das Gegenber als gefhrlichen Demago-gen,dermitdenHoffnungenundEmotionenseinerUntersttzerInnenspielt;alseinen,derleereVersprechungenttigt,umandieMachtzugelangenodersichandieserzuhalten.Zumanderen stellt der Adressant sich selber insRecht.ErmarkiertseineneigenenStandpunktalsvernunftgeleiteten,dersichgegendieIrra-tionalitterrichtet.AnderenPositionenwirdindieser rationalistischen Geste die Legitimittabgesprochen.

    LangeZeitwurdedieseOperationfastaus-schlielichgegenberderpolitischenRechtenvollzogen.Ja,derBegriffBegriffPopulismusselbstwurdewieselbstverstndlichderRech-ten zugeschlagen. Als in den 1990er JahrenrechtsextremeParteienwiederFrontNationaloderdieFreiheitlicheParteisterreichseuropa-weitAufsehenerregendeWahlerfolgefeierten,wurdediesmeistsorgenvollalsAufstiegdesRechtspopulismusdiskutiert.InweitererFolgewurde Rechtspopulismus fast zum Pleonas-mus,dasAttributrechtskonntegeflissentlichweggelassen werden. Dass populistische Par-teienzugleichauslnderfeindlichundnationa-listischagierten,schienselbstverstndlich.

    Die gegenwrtige Hochkonjunktur des Po-pulismus-Begriffs in Deutschland hat auchmit dem Aufstieg neuer rechter und rechts-extremer politischer Formationen zu tun. DieregionalenWahlerfolgederAfDsowiedieStra-enmobilisierungenvonPegidaundAblegerngelten als Beleg dafr, dass der Rechtspopu-lismus nun auch in der Bundesrepublik ange-kommen sei (vgl. Decker 2014; Husler 2016).SiefindetallerdingsunterverndertenBedin-gungenstattdenndasDebattenfeldhatsichindenletztenJahrenmerklichundinzweierleiHinsichtverschoben.ErstenswirddieBezeich-nung,undmitihrdasUrteil,vonseinerexklusi-venVerortungamrechtenRanddespolitischenRaums gelst. Das Attribut populistisch istseitkurzemauchschnellbeiderHand,umpo-litischeKrftevonlinkszudisqualifizieren,diesich zum Beispiel gegen die AusterittspolitikderEuropischenUnionstellen.WeretwaJan-WernerMllerszuletztvieldiskutierten1Essay-bandzumThemazurHandnimmt,erblicktun-terdemTitelWasistPopulismusnichtnurdieKonterfeisvonRechtspolitikernwieMarineLePen,GeertWildersundViktorOrbn,sondernauchdenverstorbenenRevolutionrundvene-zolanischen Staatsprsidenten Hugo Chvez(Mller 2016). Als populistisch gilt in der me-dialen und politischen Debatte DeutschlandszudemdiejungeParteiPodemos,dieinSpani-endieOppositionzureuropischenAusterit-tspolitikorganisiert;auchSYRIZAinGriechen-landwurdesogeheien,bisdasLinksbndnissichdemDruckderTroika-InstitutionenbeugteunddenWiderstandgegendiePolitikneolibe-raler Strukturanpassung aufgab. Indem die inder Abgrenzung von Rassismus und Nationa-lismusaufgeladeneVokabelnunjenenKrften

    1 Vgl. u.a. das Buchforum auf http://www.theorieblog.de/index.php/2016/05/buchforum-jan-werner-mueller-wie-populistische-op-position-den-demokratischen-pluralismus-gefaehrdet/.

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    umgehngtwird,gertdiePopulismus-Diskus-sionallzuleichtzumAbwehrmanver,dasge-sellschaftlicheAlternativendelegitimiert.StattPolitikalsKonfliktzwischenunterschiedlichenPositionenundAuseinandersetzungumalter-native gesellschaftliche Entwicklungsweisenzuverstehen,wirddasGegebenealsvernnf-tig, seine Herausforderung als irrational undgefhrlich markiert. Darin wird der postpoli-tischeCharakterdieserGestedeutlich.Siever-teidigtvorallemdenStatus-quo.

    Eine zweite Verschiebung in der Populis-mus-DiskussionderjngstenZeit,diemitderersteneinhergehtist,dasszumindesteinzelnelinkeKrftebeginnen,sichselbstaffirmierendaufdenBegriffdesPopulismuszubeziehen.SoetwaPodemosinSpanien:igoErrejn,Wahl-kampagnenleiter und sogenannte NummerzweivonPodemos,nimmtfrsichexplizitdiePositioneineslinkenPopulismusinAnspruch(vgl. Errejn/Mouffe 2015). Ein weiterer wich-tiger Bezugspunkt sind zudem die progres-siven Linksregierungen in Lateinamerika, aufderenErfahrungendasProjektPodemosstarkBezug nimmt (vgl. Iglesias 2015). Auch in derdeutschenLinkenkommtdieseDebattelang-saman(vgl.Solty/Werner2016).Sieistinspi-riertvondenErfahrungenvonPodemos,Syriza,aberauchvonBernieSandersindenUSAundJeremyCorbyninGrobritannien.Dazukom-menintellektuelleInterventionenwiejenederPolitikwissenschaftlerin Chantal Mouffe, diefr eine europaweite linkspopulistische Be-wegung wirbt (Mouffe 2015). Was darunterzuverstehensei,bleibtjedochrechtvage.Posi-tiveBezgeaufeinenzuschaffendenLinkspo-pulismusversprechensichvonihmeineechteAlternative zur neoliberalen Einheitsfront,die den rechten Populisten das Monopol aufOpposition gegen die Eliten streitig machenknnte(vgl.Bebnowsky/Goes2015;Nachtwey2016; Solty/Werner 2016). Linkspopulismusist in diesem Sinne Code fr eine politischeBesinnung auf ein Programm sozialer De-mokratie mit aktiver Massenbeteiligungin klarer Abgrenzung von technokratischer

    Austerittspolitik (Solty/Werner 2016: 283).Demgegenber mahnen andere Linke, wiederHerausgeberderBltterfrdeutscheundinternationalePolitik,AlbrechtvonLucke,vorder linkspopulistischenVersuchung und Ge-fahr(Lucke2015:50):DieimLinkspopulismusenthaltene Dynamik der Polarisierung undEmotionalisierung der Politik wrde verhee-rendeFolgenfrdasdemokratischeGemein-wohl zeitigen, die von der Linken nicht mehreingefangenwerdenknnten.ThomaszKonicz(2016)bestreitetebenfallsvehement,dasseinLinkspopulismus,zumal inDeutschland,poli-tischzumPositivenwirkenknnte.Diedamitaus seiner Sicht notwendig einhergehendeAnbiederunganimVolkweitverbreiteteras-sistischeRessentimentsverwandlelinkenna-hezuzwangslufiginRechtspopulismus.

    Im deutschen Streit um den Linkspopu-lismus werden aktuell grundlegende strate-gische, weltanschauliche und gesellschafts-theoretische Differenzen auch und geradeinnerhalbderLinkenneuvermessen.Gelegent-lichermglichterproduktiveundnotwendigepolitisch-strategische Auseinandersetzungen,in denen die verschiedenen Positionen zu-mindest sichtbar gemacht und gewogenwerdenknnen(vgl.Kaindl/Solty/Lucke2016).ZugleichdivergierendiezahlreichenAbhand-lungenzumThemajedochstarkinihrentheo-retischenBezgenundmethodischenHeran-gehensweisen.Esdominiertvorwiegendeinevergleichende Perspektive, die versucht un-terschiedliche Typologien des Populismus zuerstellen.DerFokusliegthierzumeistaufdenpolitischen Institutionen sowie Formen derKommunikation.Weil jedoch zumeist westli-che liberal-reprsentative Demokratien ahis-torischalsAbgrenzungsfoliefirmieren,kippendiese nicht selten in eine Defizitperspektive:PopulismuswirdalsdeviantePolitikformver-standen, anti-institutionell, anti-pluralistischundletztlicheineGefahrfrdieDemokratie.

    Um sinnvoll ber die Potenziale und Ge-fahrendesPopulismusfrprogressivePolitik

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    zu diskutieren ist also eine theoretische Kl-rungntig.NichtzuletztumMissverstndnis-senwiejenemzuentgehen,demThomaszKo-niczaufsitzt,wennermeint,diezentraleThesedeslinkenPopulismusseiDasVolkweiambesten, was es will. Man muss ihm nur gutzuhren und ihm dienen (Konicz 2016).Tat-schlich bezieht sich die Politik des Linkspo-pulismus,wiesiederzeitamprominentestenvonPodemosinSpanienverfolgtwird,aufeindurchauskomplexesSetangesellschaftstheo-retischenberlegungen.Diesesindvorallemmit dem Namen Ernesto Laclau verbunden.Der 2014 verstorbene politische TheoretikerwarindenJahrenvorseinemTodzueinemderwichtigsten ffentlichen Intellektuellen derprogressivenLinksregierungeninLateinameri-kaaufgestiegen.SeineThesenliefertensoet-waswiedenpolittheoretischenUnterbaufrderenaufdiepopularenKlassengerichtetePo-litik. Der laclauscheTheoriebaukasten wurdehufigalseineArtStrategieanleitunggelesen(Boos/Schneider 2016). Auch die Fhrungs-riegevonPodemosunddortinsbesonderei-goErrejngrndetweiteTeilederlinkspopu-listischenStrategieaufLaclausberlegungen(vgl.Errejn/Mouffe2015).Diesezukennenistntig,umjeneverstehenundeinschtzenzuknnen.

    Ernesto Laclaus Interesse am Populismusreichtweitzurck.Bereitsinden1970erJahrenbeschftigte sich der argentinischeTheoreti-ker mit dem Phnomen des Populismus (vgl.Laclau1981).Bevorer2005mitdemBuchOnPopulistReasonexplizitzumThemazurck-kehrte, war er hauptschlich durch sein ge-meinsammitChantalMouffeverfasstes,1985erschienenes Werk Hegemony and SocialistStrategy (dt. Hegemonie und radikale De-mokratie, Laclau/Mouffe 1991) zu einem derprgendstenTheoretiker der globalen Linkengeworden. In Retrospektivewar die Frage desPopulismusjedochauchindiesemWerkstetsprsent.DasbrachteLaclaudenVorwurfein,dassihmbeiderAusarbeitungseinerHegemo-nietheorie eigentlich stets eine populistische

    Hegemonievorgeschwebtsei.UndtatschlichwandelnsichseineBegriffeHegemonie,Politikund Populismus in seiner letzten Schaffens-phasezunehmendzuSynonymen. InOnPo-pulistReason,stelltderschlielichfest,dassdieLogikdesPopulismusnichtsGeringeresseialsderKnigsweg,umetwasberdieontolo-gischeKonstitutiondesPolitischenalssolcheszu verstehen (Laclau 2005: 67). PopulismusistihmalsonichtdieAusnahme,sonderndieRegelderPolitikimmodernenStaat.Diesebe-stehtmageblichimRingenumHegemonie,d.h.inderAuseinandersetzungdarum,welcheKollektivwillen ausreichend gesellschaft-liche Zustimmung organisieren knnen, umihrjeweiligespolitisch-moralischesProjektzurLeitideegesellschaftlicherEntwicklungzuma-chen.DieserProzess,soLaclau,folgteinerspe-zifischenLogik,dieeranhanddesPopulismusmeint besonders anschaulich illustriere