Die Positivlistenregelung des § 33a SGB V – Ein neuer Anwendungsfall für die...

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MedR 2001, Heft 6 295 AUFSÄTZE Christian Koenig und Claude Sander Die Positivlistenregelung des § 33a SGB V – Ein neuer Anwendungsfall für die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung? I. Einleitung Der durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22. 12. 1999 1 in das SGB V eingefügte § 33a sieht vor, dass das „Institut für die Arzneimittelversorgung in der gesetz- lichen Krankenversicherung“ bis zum 30. 6. 2001 eine Vor- schlagsliste für verordnungsfähige Arzneimittel beschließt (§ 33a Abs. 9 SGB V). Auf der Grundlage dieser Vorschlags- liste wird das Bundesministerium für Gesundheit ohne wei- tere Prüfung gemäß § 33a Abs. 1 S. 1 SGB V eine wirkstoff- bezogene Liste verordnungsfähiger Arzneimittel als Rechts- verordnung erlassen. Diese Liste dient wiederum als Grund- lage für eine ebenfalls vom Bundesgesundheitsministerium zu erstellende Fertigarzneimittelliste, in der die verord- nungsfähigen Arzneimittel mit ihren jeweiligen Handels- namen aufgeführt werden. Erst diese Fertigarzneimittelliste bildet die eigentliche „Positivliste“. Sie ist unverzüglich nach Erlass der Rechtsverordnung bekannt zu geben und dem datenbankgestützten Informationssystem des Deutschen Instituts für medizinische Dokumentation und Information zur Verfügung zu stellen (§ 33a Abs. 1 S. 2 SGB V). Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollen mit der Positivliste alle verordnungsfähigen und somit im System der gesetzlichen Krankenversicherung erstattungsfähigen Arzneimittel erfasst werden. Nicht in die Positivliste aufge- nommene Arzneimittel sind von der generellen Verord- nungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen, dürfen von den Vertragsärzten also grund- sätzlich nicht mehr an Patienten in der gesetzlichen Kran- kenversicherung verschrieben werden. Sie stehen dement- sprechend fortan auf einer „ungeschriebenen Negativliste“, die von der Gesamtheit der nicht in der Positivliste erfass- ten Arzneimittel gebildet wird 2 . Der Gedanke einer Positivliste ist nicht neu. Durch das Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetz- lichen Krankenversicherung vom 21. 12. 1992 3 war schon einmal der Versuch unternommen worden, eine Positivliste der in der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungs- fähigen Arzneimittel einzuführen 4 . Nicht zuletzt wegen Bedenken gegen die Vereinbarkeit mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht wurden die für die Positivliste maßgeb- lichen Bestimmungen jedoch wieder aufgehoben und der Erlass einer entsprechenden Liste zunächst aufgegeben 5 . Die europarechtlich begründeten Bedenken bestehen mit Blick auf den durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 in das SGB V eingefügten § 33a fort 6 . Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) hat mit einer Beschwerde bei der Europäischen Kommission die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Bundesrepublik Deutschland angeregt, weil die deutsche Positivlistenrege- lung gegen die EG-Arzneimittel-Transparenzrichtlinie vom 21. 12. 1988 verstoße. Bereits zuvor hatte die Kommission aufgrund vergleichbarer Sachverhalte Vertragsverletzungs- verfahren gegen Österreich 7 und Finnland 8 eingeleitet. In beiden Verfahren wirft die Kommission den Mitgliedstaa- ten vor, die Vorgaben der EG-Transparenzrichtlinie in ihren nationalen Positivlistenregelungen nur unvollständig oder fehlerhaft umgesetzt zu haben. Das Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 226 EG dient der Feststellung einer Verletzung des Gemeinschafts- rechts seitens eines Mitgliedstaates. Allerdings bringt eine – durch Verbände oder betroffene Unternehmen erhobene – Beschwerde der Kommission das möglicherweise vertrags- rechtswidrige Verhalten eines Mitgliedstaates nur zur Kenntnis und ist als Anregung zur Einleitung eines Verfah- rens gemäß Art. 226 EG zu verstehen. Ein subjektives Recht des Beschwerdeführers auf Einleitung und Durch- führung einer Aufsichtsklage beinhaltet das Beschwerde- recht nicht 9 . Ebensowenig räumt Art. 226 EG dem Be- schwerdeführer eine eigene Verfahrensstellung ein, durch die er aktiv Einfluss auf den Verfahrensablauf nehmen könnte. Gleichzeitig ist das Vertragsverletzungsverfahren durch ein „Vollstreckungsdefizit“ gekennzeichnet, das die Durchsetzung feststellender Vertragsverletzungsurteile er- schwert. Der EuGH begegnet den Defiziten im Bereich der Voll- streckung und des Individualrechtsschutzes jedoch mit einem gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch, den er im Wege richterlicher Rechtsfortbildung entwickelt hat 10 . Die Gefahr staatshaftungsrechtlicher Inanspruchnahme und die damit verbundenen finanziellen Lasten sollen die Mit- gliedstaaten zur Herstellung gemeinschaftsrechtskonformer Zustände „motivieren“ 11 . In dem grundlegenden Francovich- Urteil des EuGH zum gemeinschaftsrechtlichen Staatshaf- tungsanspruch sanktionierte der Gerichtshof die mitglied- staatliche Verpflichtung rechtzeitiger und fehlerfreier Richt- Prof. Dr. iur. Christian Koenig, LL.M., Direktor am Zentrum für Europäische Integrationsforschung (ZEI) an der Universität Bonn, und Claude Sander, LL.M., wissenschaftlicher Referent am ZEI, Walter-Flex-Straße 3, D-53113 Bonn 1) BGBl. I S. 2626. 2) Finkelnburg/Arndt, Pharma Recht 1995, 84, 85. 3) BGBl. I S. 2266. 4) Vgl. hierzu z. B. v. Czettritz/Runge, Pharma Recht 1994, 258 ff. 5) Vgl. hierzu auch die amtl. Gesetzesbegründung, BT-Dr. 13/2725, S. 4 f. 6) Vgl. z. B. Arndt, Pharm.Ind. 2001, 154, 164 ff. 7) ABl.EG C 6/19 v. 8. 1. 2000. 8) ABl.EG C 247/16 v. 26. 8. 2000. 9) EuGH, Rs. 247/87 (Star Fruit/Kommission), Slg. 1989, S. 291 (Tz. 11). 10) Siehe hierzu z. B. Beljin, Staatshaftung im Europarecht – Kontu- ren des Haftungsinstitutes, Mitgliedstaatliche Pflichten und sub- jektive Gemeinschaftsrechte, Innerstaatliche Durchführung, 2000, S. 12 ff.; Henrichs, Haftung der EG-Mitgliedstaaten für Verletzung von Gemeinschaftsrecht: Die Auswirkungen des Francovich-Ur- teils, 1995, S. 8 ff.; Hidien, Die gemeinschaftsrechtliche Staatshaf- tung der EU-Mitgliedstaaten, 1999, S. 14 ff. 11) Koenig/Sander, Einführung in das EG-Prozeßrecht, 1997, Rdnrn. 212 f.

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MedR 2001, Heft 6 295

AU F S Ä T Z E

Christian Koenig und Claude Sander

Die Positivlistenregelung des § 33a SGB V – Ein neuer Anwendungsfall für die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung?

I. Einleitung

Der durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 vom22. 12. 19991 in das SGB V eingefügte § 33a sieht vor, dassdas „Institut für die Arzneimittelversorgung in der gesetz-lichen Krankenversicherung“ bis zum 30. 6. 2001 eine Vor-schlagsliste für verordnungsfähige Arzneimittel beschließt (§ 33a Abs. 9 SGB V). Auf der Grundlage dieser Vorschlags-liste wird das Bundesministerium für Gesundheit ohne wei-tere Prüfung gemäß § 33a Abs. 1 S. 1 SGB V eine wirkstoff-bezogene Liste verordnungsfähiger Arzneimittel als Rechts-verordnung erlassen. Diese Liste dient wiederum als Grund-lage für eine ebenfalls vom Bundesgesundheitsministeriumzu erstellende Fertigarzneimittelliste, in der die verord-nungsfähigen Arzneimittel mit ihren jeweiligen Handels-namen aufgeführt werden. Erst diese Fertigarzneimittellistebildet die eigentliche „Positivliste“. Sie ist unverzüglichnach Erlass der Rechtsverordnung bekannt zu geben unddem datenbankgestützten Informationssystem des DeutschenInstituts für medizinische Dokumentation und Informationzur Verfügung zu stellen (§ 33a Abs. 1 S. 2 SGB V).

Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollen mit derPositivliste alle verordnungsfähigen und somit im Systemder gesetzlichen Krankenversicherung erstattungsfähigenArzneimittel erfasst werden. Nicht in die Positivliste aufge-nommene Arzneimittel sind von der generellen Verord-nungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassenausgeschlossen, dürfen von den Vertragsärzten also grund-sätzlich nicht mehr an Patienten in der gesetzlichen Kran-kenversicherung verschrieben werden. Sie stehen dement-sprechend fortan auf einer „ungeschriebenen Negativliste“,die von der Gesamtheit der nicht in der Positivliste erfass-ten Arzneimittel gebildet wird2.

Der Gedanke einer Positivliste ist nicht neu. Durch dasGesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetz-lichen Krankenversicherung vom 21. 12. 19923 war schoneinmal der Versuch unternommen worden, eine Positivlisteder in der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungs-fähigen Arzneimittel einzuführen4. Nicht zuletzt wegenBedenken gegen die Vereinbarkeit mit dem europäischenGemeinschaftsrecht wurden die für die Positivliste maßgeb-lichen Bestimmungen jedoch wieder aufgehoben und derErlass einer entsprechenden Liste zunächst aufgegeben5. Dieeuroparechtlich begründeten Bedenken bestehen mit Blickauf den durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 indas SGB V eingefügten § 33a fort6. Der Bundesverband derPharmazeutischen Industrie (BPI) hat mit einer Beschwerdebei der Europäischen Kommission die Einleitung einesVertragsverletzungsverfahrens gegen die BundesrepublikDeutschland angeregt, weil die deutsche Positivlistenrege-lung gegen die EG-Arzneimittel-Transparenzrichtlinie vom21. 12. 1988 verstoße. Bereits zuvor hatte die Kommissionaufgrund vergleichbarer Sachverhalte Vertragsverletzungs-verfahren gegen Österreich7 und Finnland8 eingeleitet. Inbeiden Verfahren wirft die Kommission den Mitgliedstaa-ten vor, die Vorgaben der EG-Transparenzrichtlinie in

ihren nationalen Positivlistenregelungen nur unvollständigoder fehlerhaft umgesetzt zu haben.

Das Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 226 EGdient der Feststellung einer Verletzung des Gemeinschafts-rechts seitens eines Mitgliedstaates. Allerdings bringt eine –durch Verbände oder betroffene Unternehmen erhobene –Beschwerde der Kommission das möglicherweise vertrags-rechtswidrige Verhalten eines Mitgliedstaates nur zurKenntnis und ist als Anregung zur Einleitung eines Verfah-rens gemäß Art. 226 EG zu verstehen. Ein subjektivesRecht des Beschwerdeführers auf Einleitung und Durch-führung einer Aufsichtsklage beinhaltet das Beschwerde-recht nicht9. Ebensowenig räumt Art. 226 EG dem Be-schwerdeführer eine eigene Verfahrensstellung ein, durchdie er aktiv Einfluss auf den Verfahrensablauf nehmenkönnte. Gleichzeitig ist das Vertragsverletzungsverfahrendurch ein „Vollstreckungsdefizit“ gekennzeichnet, das dieDurchsetzung feststellender Vertragsverletzungsurteile er-schwert.

Der EuGH begegnet den Defiziten im Bereich der Voll-streckung und des Individualrechtsschutzes jedoch miteinem gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch, dener im Wege richterlicher Rechtsfortbildung entwickelt hat10.Die Gefahr staatshaftungsrechtlicher Inanspruchnahme unddie damit verbundenen finanziellen Lasten sollen die Mit-gliedstaaten zur Herstellung gemeinschaftsrechtskonformerZustände „motivieren“11. In dem grundlegenden Francovich-Urteil des EuGH zum gemeinschaftsrechtlichen Staatshaf-tungsanspruch sanktionierte der Gerichtshof die mitglied-staatliche Verpflichtung rechtzeitiger und fehlerfreier Richt-

Prof. Dr. iur. Christian Koenig, LL.M., Direktor am Zentrum fürEuropäische Integrationsforschung (ZEI) an der Universität Bonn,und Claude Sander, LL.M., wissenschaftlicher Referent am ZEI, Walter-Flex-Straße 3, D-53113 Bonn

1) BGBl. I S. 2626.2) Finkelnburg/Arndt, Pharma Recht 1995, 84, 85.3) BGBl. I S. 2266.4) Vgl. hierzu z. B. v. Czettritz/Runge, Pharma Recht 1994, 258 ff. 5) Vgl. hierzu auch die amtl. Gesetzesbegründung, BT-Dr. 13/2725,

S. 4 f.6) Vgl. z. B. Arndt, Pharm.Ind. 2001, 154, 164 ff.7) ABl.EG C 6/19 v. 8. 1. 2000.8) ABl.EG C 247/16 v. 26. 8. 2000.9) EuGH, Rs. 247/87 (Star Fruit/Kommission), Slg. 1989, S. 291

(Tz. 11).10) Siehe hierzu z. B. Beljin, Staatshaftung im Europarecht – Kontu-

ren des Haftungsinstitutes, Mitgliedstaatliche Pflichten und sub-jektive Gemeinschaftsrechte, Innerstaatliche Durchführung, 2000,S. 12 ff.; Henrichs, Haftung der EG-Mitgliedstaaten für Verletzungvon Gemeinschaftsrecht: Die Auswirkungen des Francovich-Ur-teils, 1995, S. 8 ff.; Hidien, Die gemeinschaftsrechtliche Staatshaf-tung der EU-Mitgliedstaaten, 1999, S. 14 ff.

11) Koenig/Sander, Einführung in das EG-Prozeßrecht, 1997, Rdnrn. 212 f.

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linienumsetzung mit einem Staatshaftungsanspruch derdurch die Nichtumsetzung Geschädigten12. Die praktischeWirksamkeit (effet utile) des Gemeinschaftsrechts würde lei-den, wenn Rechtsverstöße der Mitgliedstaaten bei der Um-setzung von EG-Richtlinien ohne gemeinschaftsrecht-liche Haftungskonsequenzen blieben. Die BundesrepublikDeutschland konnte die Folgen dieses Sanktionsinstrumentszum ersten Mal im Fall des MP Travel Line-Konkurses er-fahren: Wegen verspäteter Umsetzung der Pauschalreise-Richtlinie13 musste sie Ersatzansprüche geschädigter Pau-schalreisender mit einem Gesamtvolumen von über 30 Mio.DM befriedigen14. Der nachfolgende Beitrag geht vor die-sem Hintergrund der Frage nach, ob sich die Positivlisten-regelung gemäß § 33a SGB V als ein neuer – für denStaatshaushalt erhebliche Belastungen heraufbeschwörender– Anwendungsfall der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaf-tung entpuppen könnte.

II. EG-rechtliche Bedenken gegen die Zulässigkeitdes § 33a SGB V

Der mit der Nichtaufnahme eines Arzneimittels in die Po-sitivliste bewirkte Ausschluss von der Verordnungsfähigkeitim System der gesetzlichen Krankenkassen bildet – insbe-sondere unter Berücksichtigung der marktbeherrschendenNachfragestellung der Krankenkassen auf den deutschenArzneimittelmärkten15 – eine wirksame Schranke für dasInverkehrbringen des betroffenen Produkts. Die mit demAusschluss einhergehende massive Einschränkung der Ab-satzmöglichkeiten wirkt sich zumindest mittelbar auf dieImportfähigkeit des Arzneimittels aus, so dass die Positiv-liste ohne weiteres als verbotene „Maßnahme gleicher Wir-kung“ wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung imSinne der Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 EG qualifi-ziert werden kann.

Die Kommission und der EuGH haben jedoch wieder-holt zum Ausdruck gebracht, dass das Europäische Ge-meinschaftsrecht es den Mitgliedstaaten nicht verwehrt,Maßnahmen zur Eindämmung des Preisanstiegs bei Arznei-mitteln zu ergreifen, vorausgesetzt, importierte Arzneimit-tel werden dadurch gegenüber inländischen Erzeugnissennicht diskriminiert16. In der Duphar-Entscheidung ent-wickelte der EuGH erstmals allgemeine Kriterien für dieVereinbarkeit regulatorischer Maßnahmen im Bereich desArzneimittelversorgungsrechts mit der EG-Warenverkehrs-freiheit. Die Arzneimittel-Transparenzrichtlinie vom 21. 12.1988, die die vom EuGH in der Rechtssache Duphar ent-wickelten Kriterien übernahm, erklärt Positivlistenregelun-gen grundsätzlich für zulässig, knüpft ihre Vereinbarkeit mitArt. 28 EG aber an die Beachtung bestimmter, in Art. 6 derRichtlinie normierter Voraussetzungen. Mitgliedstaaten, diePositivlisten anwenden, haben danach insbesondere sicher-zustellen, dass innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagenüber die Aufnahme in die Positivliste entschieden und dieseEntscheidung dem Antragsteller mitgeteilt wird. Kommenweitere Prüfungsaspekte hinzu, verlängert sich die Frist um90 Tage. Eine Fristverlängerung bzw. -aussetzung ist je-doch möglich. Die Ablehnung der Aufnahme in die Posi-tivliste ist objektiv und substantiiert zu begründen und demAntragsteller mit den Rechtsmitteln und Rechtsmittelfris-ten mitzuteilen. Gleiches gilt für die Entscheidung, ein Er-zeugnis oder eine Arzneimittelkategorie aus der Positivlistezu streichen.

Die deutsche Positivlistenregelung in § 33a SGB V wirddiesen Anforderungen nicht gerecht17.

1. Fehlende Fristsetzungen zur Bescheidung von AufnahmeanträgenSoweit § 33a SGB V überhaupt Antragsrechte der Arznei-mittelhersteller auf Aufnahme in die Positivliste normiert,

fehlt es an den von Art. 6 Ziff. 1 der Transparenz-Richt-linie geforderten Fristsetzungen. Während die Transparenz-Richtlinie die Verfahrensdauer über die Bescheidung einesAufnahmeantrags auf insgesamt 180 Tage begrenzt, sindentsprechende Fristen in § 33a SGB V nicht vorgesehen.Ebenso wenig ist eine Frist für die erforderliche Umsetzungder Vorschlagsliste in die eigentliche Positivliste vorgese-hen.

2. Fehlendes Antragsrecht auf ListenaufnahmeDie Mitgliedstaaten müssen gemäß Art. 6 Ziff. 1 der Trans-parenz-Richtlinie sicherstellen, dass „eine Entscheidungüber einen Antrag auf Aufnahme eines Arzneimittels in dieListe (…) innerhalb von 90 Tagen nach Eingang des An-trags getroffen und dem Antragsteller mitgeteilt wird“. DieRichtlinie setzt somit als selbstverständlich voraus, dass dievon der Positivliste betroffenen Arzneimittelhersteller einenAntrag zur Aufnahme ihrer Produkte in die Liste stellenkönnen18. Abgesehen von einem auf neu zugelassene Arz-neimittel begrenzten Antragsrecht (§ 33a Abs. 10 S. 2 SGBV) sehen die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des § 33aSGB V ein Antragsrecht betroffener Arzneimittelherstellerauf Aufnahme ihrer Erzeugnisse jedoch weder für die Vor-schlagsliste noch die eigentliche Positivliste vor19.

Gerade das Fehlen eines Antragsrechts auf Aufnahme indie Vorschlagsliste fällt dabei besonders ins Gewicht. Zwarist die Vorschlagsliste nach Anwendungsgebieten und Stoff-gruppen zu ordnen (§ 33a Abs. 6 S. 3 SGB V), so dass dieeinzelnen Arzneimittel hier noch nicht spezifisch mit ihrenHandelsnamen erfasst werden. Da die Vorschlagsliste abervom Bundesministerium für Gesundheit ohne weitere Prü-fung gemäß § 33a Abs. 1 S. 1 SGB V als Rechtsverordnungerlassen wird und aus der Verordnung wiederum die Fer-tigarzneimittelliste hervorgeht, in der die verordnungsfähi-gen Arzneimittel mit ihren jeweiligen Handelsnamen auf-geführt werden, bildet das Verfahren zur Erstellung derVorschlagsliste den einzig effektiven Zeitpunkt, in dem dieArzneimittelhersteller sinnvollerweise Aufnahmeanträgestellen können20. Indem es der Gesetzgeber unterlassen hat,Antragsrechte auch für andere als neu zugelassene Arznei-mittel in § 33a SGB V zu normieren – wohl um das dieVorschlagsliste erstellende Institut vor einer Antragsflut undeiner daraus resultierenden Blockierung zu schützen –, hater die Arzneimittel-Transparenzrichtlinie nicht vollständigumgesetzt21.

12) EuGH, verb. Rs. C-6/90 u. C-9/90 (Francovich), Slg. 1991, S. I-5357 ff.

13) RL 90/134/EWG des Rates v. 13. 6. 1990 über Pauschalreisen,ABl.EG 1990 L 158/59.

14) EuGH, verb. Rs. C-178/94, C-179/94, C-188/94 u. C-190/94(Dillenkofer), Slg. 1996, S. I-4845 ff.; vgl. dazu auch Kopp, DÖV1994, 201; Wittkowski, NVwZ 1994, 326.

15) Die gesetzlichen Krankenkassen haben ihren Versicherten inFolge des in der GKV gemäß § 12 SGB V maßgeblichen Sachlei-stungsprinzips die medizinisch notwendigen Sachleistungen alsNaturalleistungen zur Verfügung zu stellen. Wer aber seine sozia-len Aufgaben mit Sachleistungen erfüllt, muss diese auf dem rele-vanten Markt nachfragen und ist insoweit Marktteilnehmer; OLGDüsseldorf, Urt. v. 27. 7. 1999 – U (Kart) 36/98 –, PharmaRecht 1999, 283, 285 ff.

16) Mitteilung der Kommission v. 4. 12. 1986, ABl.EG C 310/7;EuGH, Rs. 238/82 (Duphar), Slg. 1984, S. 523.

17) Zuletzt dazu auch Millarg, PharmaRecht 2001, 49 ff., 50 f.18) V. Czettritz, PharmaRecht 1995, 118, 119; v. Czettritz/Runge,

PharmaRecht 1994, 260.19) S. hierzu auch Arndt, Pharm.Ind. 2001, 154, 164 f.20) V. Czettritz/Runge, PharmaRecht 1994, 261.21) So auch v. Czettritz, PharmaRecht 1995, 119.

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3. Fehlende Begründungspflichten für die Ablehnung von Aufnahmeanträgen und die Herausnahme von Arzneimitteln aus der Liste

Art. 6 Ziff. 2 und Ziff. 5 der Transparenz-Richtlinie for-dern, dass Entscheidungen über die Ablehnung der Auf-nahme eines Arzneimittels in die Positivliste bzw. über dieHerausnahme von Arzneimitteln aus der Liste auf objek-tiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründun-gen enthalten. Während der Aufnahme von Arzneimittelnin die Positivliste – mit Ausnahme neu zugelassener Pro-dukte – systembedingt schon keine überprüfbare Individual-entscheidung vorausgeht, sieht § 33a SGB V für Entschei-dungen über die Herausnahme von Arzneimitteln aus derListe weder Begründungs- noch Rechtsmittelbelehrungs-pflichten vor. Vielmehr erfährt der betroffene Arzneimittel-hersteller von dem Ausschluss erst durch die Veröffentli-chung der aktualisierten Listen.

4. Kein effektiver RechtsschutzDie Arzneimittel-Transparenzrichtlinie verlangt außerdem,dass Entscheidungen über die Nichtaufnahme und die Her-ausnahme eines Arzneimittels aus der Positivliste mitRechtsmittelbelehrungen versehen werden (Art. 6 Ziff. 1und Ziff. 5). Damit setzt die Richtlinie implizit das Beste-hen effektiver Rechtsschutzformen voraus. Ein effektiverRechtsschutz ist jedoch im Rahmen von § 33a SGB V nichtgewährleistet. § 33a Abs. 12 S. 1 SGB V schließt Rechtsmit-tel gegen die Vorschlagsliste generell aus. Rechtsschutz istallein gegen die vom Bundesgesundheitsministerium zu er-lassende Rechtsverordnung möglich (§ 33a Abs. 12 S. 2SGB V)22. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu berück-sichtigen, dass für den Erlass der Rechtsverordnung – andersals für die Erstellung der Vorschlagsliste – weder ein Zeit-punkt noch eine Frist bestimmt ist. Es muss aber damit ge-rechnet werden, dass die Vorschlagsliste nach ihrer Verab-schiedung – also spätestens zum 30. 6. 2001 – am Marktkommuniziert werden wird23. Hierdurch könnten sich dieKassenärzte unter Druck gesetzt fühlen und sich in „voraus-eilendem Gehorsam“ bei ihren Arzneimittelverordnungenan der Vorschlagsliste orientieren. Sollte nun zwischen der„Bekanntgabe“ der Vorschlagsliste und dem Erlass derRechtsverordnung längere Zeit verstreichen, entfaltete dieVorschlagsliste bereits faktische Wirkungen, ohne dass sichdie betroffenen Arzneimittelhersteller hiergegen effektiv zurWehr setzen könnten24. Da im Übrigen die aufschiebendeWirkung von Klagen gegen die Rechtsverordnung ausge-schlossen ist (§ 33a Abs. 12 S. 3 SGB V), besteht effektiverRechtsschutz weder gegen die Nichtaufnahme in die Listenoch gegen die Herausnahme aus der Liste.

5. Verstoß gegen das EG-WettbewerbsrechtNeben der Vereinbarkeit mit der Arzneimittel-Transpa-renzrichtlinie ergeben sich auch aus der Sicht des EG-Wettbewerbsrechts Bedenken gegen die Zulässigkeit desdeutschen Positivlistensystems. Die Positivliste zwingt dieauf den Arzneimittelmärkten als Nachfrager agierendenKrankenkassen zu einem kartellförmigen, koordiniertenNachfrageverhalten, durch welches die Absatzmöglichkei-ten für Arzneimittelhersteller, deren Produkte nicht in derListe erfasst sind, in der gesetzlichen Krankenversicherungpraktisch ausgeschlossen werden. Da der Staat den im Rah-men der Arzneimittelbeschaffung als „Unternehmen“ imSinne des Art. 81 Abs. 1 EG tätig werdenden Krankenkas-sen das kartellrechtsrelevante, die Marktgegenseite beein-trächtigende Verhalten vorschreibt, kommt ein Verstoß desMitgliedstaats gegen Art. 86 Abs. 1 i. V. mit Art. 81 Abs. 1EG in Betracht. Staatliche Zwangskartelle öffentlicher Un-ternehmen stellen einen klassischen Fall des Umgehungs-verbots gemäß Art. 86 Abs. 1 EGV dar. Mitgliedstaaten

dürfen keine Maßnahmen erlassen, die geeignet sind, diepraktische Wirksamkeit der Wettbewerbsregeln zu beein-trächtigen.

Die mögliche Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts sollvorliegend jedoch außer Betracht bleiben. Zwar kann dergemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch auch in Fäl-len der Verletzung primären Gemeinschaftsrechts durch denStaat oder ihm zurechenbare Einrichtungen zur Anwendunggelangen25. Vorliegend soll jedoch das Augenmerk nicht aufdas Positivlistensystem als solches gelegt werden. Vielmehrsoll allein der Frage nachgegangen werden, inwieweit sichdie Bundesrepublik Deutschland durch die unvollständigeUmsetzung der EG-Transparenzrichtlinie in § 33a SGB Vder Gefahr einer staatshaftungsrechtlichen Inanspruchnahmedurch diejenigen Arzneimittelhersteller aussetzt, denen hier-durch zukünftig ein Schaden entstehen kann.

III. Anwendbarkeit des gemeinschaftsrechtlichenStaatshaftungsanspruchs

Nicht fristgerecht oder fehlerhaft umgesetzte EG-Richtlini-en können unter bestimmten Voraussetzungen unmittelba-re Wirkungen entfalten oder zumindest im Rahmen derrichtlinienkonformen Auslegung des nationalen RechtsBerücksichtigung finden26. Ungeachtet dieser „Korrek-turmechanismen“ führen Fehler bei der Umsetzung vonRichtlinien in nationales Recht zu gefährlichen Beein-trächtigungen der einheitlichen Anwendung des Gemein-schaftsrechts. Der EuGH hat daher mit dem gemeinschafts-rechtlichen Staatshaftungsanspruch in mittlerweile gefestig-ter Rechtsprechung ein Instrument zur Sanktionierung derfehlerhaften oder unvollständigen Umsetzung von EG-Richtlinien entwickelt, das dem Gemeinschaftsrecht einestärkere Wirkung verleihen und den Begünstigten dieDurchsetzung ihrer Rechte ermöglichen soll27.

Nach der Rechtsprechung des EuGH hängen die Voraus-setzungen für einen gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungs-anspruch gegen einen Mitgliedstaat von der Art des Ver-stoßes ab, auf dem der Schaden beruht28. Den „typischen“staatshaftungsauslösenden Fall bildet die nicht fristgerechteUmsetzung einer Richtlinie. Vorliegend steht die unvoll-ständige oder fehlerhafte Umsetzung der Arzneimittel-Trans-parenzrichtlinie in Frage. Die fehlerhafte oder unvollständigeUmsetzung einer Richtlinie ist aber nichts anderes als dasUnterlassen der korrekten Umsetzung, so dass kein Grund füreine unterschiedliche Behandlung dieser mitgliedstaatlichenFehlverhaltensweisen besteht29. Bei einem Verstoß gegen diePflicht zur Umsetzung einer EG-Richtlinie ist ein Entschä-digungsanspruch nach der Rechtsprechung des EuGH gege-ben, wenn die verletzte Vorschrift auf die Verleihung sub-jektiver Rechte zielt, deren Inhalt sich auf der Grundlage der

22) § 33a Abs. 12 S. 2 SGB V ordnet die entsprechende Geltung derVorschriften über die Anfechtungsklage an.

23) Ehlers/Werner, Pharm. Ind. 2000, 419, 420; Millarg, PharmaRecht2001, 51; s. dazu auch Arndt, Pharm. Ind. 2001, 166.

24) Nur wenn der Nachweis einer kontrollierten Steuerung der Ver-breitung gelänge, könnten ggf. Abwehransprüche in der Formeinstweiliger Untersagungsverfügungen geltend gemacht werden;vgl. hierzu LG Hamburg, Beschl. v. 14. 12. 1999 – 315 O839/99 –.

25) EuGH, Rs. C-46/93 u. C-48/93 (Brasserie du Pêcheur), Slg.1996, S. I-1029 ff.; s. hierzu auch Streinz, EuZW 1996, 201 ff.

26) Vgl. dazu z. B. Koenig/Haratsch, Europarecht, 2000, Rdnrn. 402 ff.;Ruffert, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), Kommentar zu EU-Vertragund EG-Vertrag, 1999, Art. 288, Rdnrn. 23 ff.

27) Streinz, Europarecht, 1996, Rdnr. 410. 28) EuGH, Rs. C-5/94 (Hedley Lomas), Slg. 1996, S. I-2553

(Rdnr. 24); EuGH, Rs. C-188/94 u. C-190/94 (Dillenkofer),Slg. 1996, S. I-4845 ff. (Rdnr. 20).

29) Henrichs (Fn. 10), S. 89.

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Richtlinie bestimmen lässt, und wenn zwischen dem Ver-stoß und dem den Geschädigten entstandenen Schaden einKausalzusammenhang besteht30.

1. Hinreichend qualifizierte Verletzung eines subjektiven RechtsDie haftungsauslösende mitgliedstaatliche Rechtshandlungmuss rechtswidrig sein, d.h. sie muss gegen Gemeinschafts-recht verstoßen. Außerdem muss die verletzte Vorschriftdes Gemeinschaftsrechts auf die Verleihung eines subjek-tiven Rechts zielen.

a) Hinreichend qualifizierte VerletzungEs wurde bereits dargestellt, dass die Positivlistenregelungdes § 33a SGB V die Vorgaben der Arzneimittel-Transpa-renzrichtlinie, deren Umsetzungsfrist am 31. 12. 1989 ab-gelaufen ist, in mehreren Punkten nicht oder nur unvoll-ständig umsetzt. Nicht jeder durch hoheitliches Verhaltenveranlasste Pflichtenverstoß begründet jedoch einen Haf-tungsanspruch31. Seit der Entscheidung in der RechtssacheBrasserie du Pêcheur fordert der EuGH, dass die Verletzungdes EG-Gemeinschaftsrechts hinreichend qualifiziert seinmuss32. Ein hinreichend qualifizierter Rechtsverstoß setztwiederum voraus, dass ein Mitgliedstaat die Grenzen desgemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Ermessens offenkun-dig und erheblich überschreitet33. Zu den vom EuGH für dieBeurteilung der Offenkundigkeit und Erheblichkeit der Er-messensüberschreitung angeführten Gesichtspunkten gehö-ren insbesondere „das Maß an Klarheit und Genauigkeitder verletzten Vorschrift sowie der Umfang des Ermessens-spielraums, den die verletzte Vorschrift den nationalen oderGemeinschaftsbehörden beläßt“34.

Eine besondere Qualifiziertheit des Pflichtenverstoßes istallerdings nur in denjenigen Fällen zu fordern, in denen dieverletzte Richtlinienbestimmung den Mitgliedstaaten über-haupt einen Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung ein-räumt. Hierdurch soll die wirtschaftspolitische Gestaltungs-freiheit der Mitgliedstaaten gegenüber Einschränkungendurch Haftungsansprüche Privater geschützt werden35. Fehlthingegen ein solcher Ermessens- oder Gestaltungsspielraumoder ist er – wie z. B. mit Blick auf die reine Verpflichtungzur fristgerechten Umsetzung – sehr eng gefasst, so löst be-reits der bloße Pflichtenverstoß den Haftungsanspruch aus.

Die Richtlinie setzt voraus, dass die Mitgliedstaaten – so-weit sie sich zur Einführung einer Positivliste entscheiden –den betroffenen Arzneimittelherstellern ein Antragsrechtauf Aufnahme ihrer Produkte in die Liste gewähren36.Zwar regelt die Richtlinie nicht, wie das Antragsrecht aus-zugestalten ist. Aus Formulierung und Zweck des Art. 6Ziff. 1 S. 1 der Richtlinie ergibt sich aber, dass ein Antrags-recht für alle „Inhaber einer Genehmigung für das Inver-kehrbringen“ von Arzneimitteln vorhanden sein muss. EinEntscheidungsspielraum bei der inhaltlichen Umsetzungdieser Forderung wird den Mitgliedstaaten nicht einge-räumt. Hätte der Richtliniengeber ein Ermessen der Mit-gliedstaaten über die Einführung eines Antragsrechts nor-mieren wollen, so hätte er eine entsprechende „Kann“-Be-stimmung formuliert37. Im Übrigen würden die einzelnenBestimmungen der Richtlinie (z. B. zur Begründungs-pflicht sowie zur Neunzig-Tage-Frist) sinnentleert, wäredie Verankerung eines Antragsrechts in den nationalen Po-sitivlistenregelungen nicht als verbindliche Forderung andie Mitgliedstaaten zu verstehen.

Der deutsche Gesetzgeber ist dieser aus der Transparenz-richtlinie erwachsenden Verpflichtung zur Implementie-rung eines Antragsrechts durch die in § 33a SGB V vorge-sehenen Regelungen nicht nachgekommen. Soweit denVerbänden der pharmazeutischen Industrie im Verfahren zurErstellung der Vorschlagsliste „Gelegenheit zur Stellung-nahme“ eingeräumt wird (§ 33a Abs. 9 S. 2 SGB V), istdies in keiner Weise mit einem Antragsrecht einzelner Arz-

neimittelhersteller gleichzusetzen38. Zwar wird den Herstel-lern neu zugelassener Arzneimittel ein Antragsrecht beiFortschreibung der Vorschlagsliste gewährt. Hierdurchwird aber im Umkehrschluss die Mehrzahl der bereits imVerkehr befindlichen Präparate von dem Antragsrecht ineiner der Arzneimittel-Transparenzrichtlinie zuwiderlau-fenden Weise ausgeschlossen.

Gleiches gilt mit Blick auf die fehlende Verankerung derneunzigtägigen Bescheidungsfrist für Aufnahmeanträge so-wie auf die ebenfalls fehlende Implementierung einer Be-gründungspflicht für ablehnende Entscheidungen. Auch in-soweit gewährt die Transparenzrichtlinie den Mitgliedstaa-ten keinen eigenen Entscheidungsspielraum bei der Umset-zung dieser Forderungen in die nationalen Positivlistenre-gelungen. Dennoch normiert § 33a SGB V keine zeitlichenoder inhaltlichen Verfahrensmaßgaben für Entscheidungenüber entsprechende Anträge.

b) Verletzung eines gemeinschaftsrechtlichen subjektiven RechtsNach allem stellt die unvollständige Umsetzung der EG-Transparenzrichtlinie durch § 33a SGB V eine Gemein-schaftsrechtsverletzung dar. Staatshaftungsbegründend wäredieser Verstoß jedoch nur dann, wenn die Richtlinie aufdie Verleihung subjektiver Rechte zielte. Da Richtliniennur hinsichtlich des in ihnen bezeichneten Ziels verbind-lich sind, ist hier zu fordern, dass erstens das durch dieRichtlinie vorgeschriebene Ziel die Verleihung von Rech-ten an Einzelne beinhaltet und zweitens der Inhalt dieserRechte auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werdenkann39. Diese Voraussetzungen sind vorliegend jedoch oh-ne weiteres erfüllt. Schon die Einleitung der Transparenz-richtlinie stellt klar, dass „sich die Festlegung einer Reihevon Anforderungen als dringend notwendig [erwiesen hat],die darauf abzielen, sicherzustellen, dass alle Betroffenenüberprüfen können, dass die einzelstaatlichen Maßnahmenkeine mengenmäßigen Beschränkungen für die Ein- undAusfuhr oder Maßnahmen gleicher Wirkung darstellen“.Nach ihrem objektiven Regelungszweck schützen die inArt. 6 Abs. 1 der Transparenzrichtlinie unbedingt formulier-ten Verfahrensregeln Interessen Privater, nämlich die derbetroffenen Arzneimittelhersteller. Die Richtlinie zielt so-mit auf die Verleihung von subjektiven Rechten, für derenUmsetzung den Mitgliedstaaten hinsichtlich des „Ob“ keinEntscheidungsspielraum eingeräumt wird und deren Inhaltsich hinreichend genau bestimmen lässt (Antragsrecht, An-spruch auf Bescheidung und Begründung) 40.

c) Kein Ausschluß der Staatshaftung in Folge unmittelbarer Richtlinienwirkung

Die Literatur wies dem gemeinschaftsrechtlichen Staatshaf-tungsanspruch bisher vielfach die Funktion eines „Reserve-

30) EuGH, verb. Rs. C-6/90 u. C-9/90 (Francovich), Slg. 1991, S. I-5357 ff.

31) Hidien (Fn. 10), S. 50. 32) EuGH, verb. Rs. C-46/93 u. C-48/93 (Brasserie du Pêcheur),

Slg. 1996, S. I-1029 ff. (Rdnr. 42).33) EuGH, verb. Rs. C-46/93 u. C-48/93 (Brasserie du Pêcheur),

Slg. 1996, S. I-1029 ff. (Rdnr. 42); Hidien (Anm. 10), S. 50; Ruf-fert (Fn. 26), Art. 288, Rdnr. 42.

34) EuGH, verb. Rs. C-46/93 u. C-48/93 (Brasserie du Pêcheur),Slg. 1996, S. I-1029 ff.

35) Vgl. dazu EuGH, Rs. 5/71 (Schöppenstedt), Slg. 1971, S. 975.36) V. Czettritz/Runge, PharmaRecht 1994, 260. 37) V. Czettritz/Runge, PharmaRecht 1994, 260.38) V. Czettritz/Runge, PharmaRecht 1994, 261.39) EuGH, verb. Rs. C-6/90 u. C-9/90 (Francovich), Slg. 1991,

S. I-5357 ff.40) Arndt, Pharm. Ind. 2001, 164 f.

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Koenig und Sander, Die Positivlistenregelung des § 33a SGB V MedR 2001, Heft 6 299

schutzes“ zu, der nur zum Tragen kommen könne, wenneine unmittelbare Richtlinienwirkung und deren Geltend-machung vor den nationalen Gerichten fehlgehe41. Nachder neueren Rechtsprechung steht die unmittelbare Wir-kung einer Gemeinschaftsrechtsnorm der gemeinschafts-rechtlichen Staatshaftung jedoch nicht entgegen42. In derBrasserie du Pêcheur-Entscheidung sieht der EuGH im staats-haftungsrechtlichen Schadensersatzanspruch „die notwendi-ge Ergänzung der unmittelbaren Wirkung“, die als Korrek-turmechanismus und „Mindestgarantie“ nicht in allen Fäl-len adäquaten Rechtsschutz und volle Wirksamkeit des Ge-meinschaftsrechts sichert43. So erklärte auch GeneralanwaltTesauro in seinen am 28. 11. 1995 zu vier Vorabentschei-dungsverfahren vorgelegten Schlussanträgen, dass die Ent-schädigungspflicht des Staates auch im Falle des Verstoßesgegen Vorschriften mit unmittelbarer Wirkung eingreife44.Bisweilen reiche es nämlich gerade im Hinblick auf einentatsächlichen und wirksamen Schutz der Rechte der Bürgernicht aus, dass ein als rechtswidrig erkannter Akt für nichtigerklärt wird oder ein anderes Mittel des materiellenSchutzes zur Verfügung steht. Häufig sei für einen effek-tiven Schutz auch der vermögensmäßige Ausgleich und da-her der Ersatz des Schadens erforderlich. Der Generalan-walt statuiert mit anderen Worten, dass der Grundsatz derStaatshaftung neben den Instrumenten der richtlinienkon-formen Auslegung und der unmittelbaren Wirkung nichtfristgerecht umgesetzter Richtlinien sowohl als Alternativeals auch als zusätzliche Abhilfe Anwendung finden kann.

Die unmittelbare Wirksamkeit einer nicht vollständigoder fehlerhaft umgesetzten Richtlinienbestimmung könn-te jedoch gegebenenfalls bei der Feststellung des Umfangsder Ersatzleistungen zur Annahme eines „Mitverschuldens“führen, soweit die Geschädigten es versäumen, die sich ausder unmittelbaren Wirkung der EG-Richtlinie ergebendenmateriellen und verfahrensrechtlichen Rechtsschutzmög-lichkeiten in Anspruch zu nehmen. Zwar ist die Haftungder Mitgliedstaaten für Verstöße gegen das Gemeinschafts-recht verschuldensunabhängig, so dass auch die Figur desMitverschuldens nicht ohne weiteres zur Anwendung ge-langen kann. Gleichwohl gilt im Gemeinschaftsrecht als all-gemeiner Rechtsgrundsatz eine Schadensverhinderungs-oder Schadensbegrenzungspflicht des Geschädigten45. DerGeschädigte ist danach verpflichtet, sich in angemessenerForm um die Verhinderung des Schadenseintritts zu be-mühen, insbesondere trifft ihn die Pflicht, rechtzeitig vonallen zur Verfügung stehenden RechtsschutzmöglichkeitenGebrauch zu machen. Kommt er seiner Schadensminde-rungspflicht nicht nach, muss er sich sein Mitwirken an derEntstehung des Schadens zurechnen lassen und läuft Ge-fahr, den Schaden ganz oder teilweise selbst tragen zu müs-sen46.

Zwar liegt hier kein eindeutiger Fall einer unmittelbarenRichtlinienwirkung vor. Der Einzelne kann sich nämlichnur dann auf die unmittelbare Wirkung einer unzulänglichin innerstaatliches Recht umgesetzten Richtlinienbestim-mung berufen, wenn diese inhaltlich als unbedingt undhinreichend genau erscheint47. Gegen eine unmittelbareWirkung der nicht umgesetzten Bestimmungen der Arz-neimittel-Transparenzrichtlinie könnte vor allem einge-wandt werden, dass die Richtlinie das „Wie“ der dort an-gelegten subjektiven Rechte, insbesondere des Antrags-rechts, nicht hinreichend genau festlege. Art. 6 Ziff. 1 derRichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten nur, in den na-tionalen Positivlistenregelungen überhaupt entsprechendeAntragsrechte vorzusehen („Die Mitgliedstaaten stellen si-cher …“), überlässt diesen aber die inhaltliche, auf ver-schiedene Weise denkbare Ausgestaltung dieser Rechte.

Die Literatur bejaht allerdings überwiegend die unmit-telbare Wirkung des aus der Richtlinie folgenden Antrags-rechts48. Um sich vor diesem Hintergrund nicht dem Vor-

wurf auszusetzen, selbst zum Schadenseintritt beigetragenzu haben, sollten pharmazeutische Unternehmen bereitszum gegenwärtigen Zeitpunkt unmittelbar beim „Institutfür die Arzneimittelversorgung“ Anträge auf Aufnahme dervon ihnen produzierten Arzneimittel in die Positivliste stel-len. Sollten diese Anträge erwartungsgemäß nicht innerhalbder durch die Transparenzrichtlinie vorgegebenen Frist be-schieden werden, wäre unter Hinweis auf die Richtliniegegebenenfalls Rechtsschutz vor den innerstaatlichen Ge-richten zu suchen. In diesem Falle hätten betroffene Arz-neimittelhersteller alles in ihrer Macht stehende unternom-men, um einen möglichen Schadenseintritt zu verhindern.

2. Schaden und KausalitätDer haftungsbegründende Schaden liegt vorliegend in denUmsatz- und Verdiensteinbußen derjenigen Arzneimittel-hersteller, deren Produkte in der Vorschlags- und der Posi-tivliste infolge des fehlenden Antragsrechts keine Berück-sichtigung finden und dadurch die Verordnungsfähigkeit inder GKV verlieren. Dieser Fall wird spätestens nach Erlassder Rechtsverordnung durch das Bundesgesundheitsmini-sterium eintreten. Sollte die Vorschlagsliste bereits im Vor-feld der eigentlichen Positivliste durch ihre Weitergabe andie Vertragsärzte faktische Wirksamkeit entfalten, könnte esschon entsprechend früher zu einem Schadenseintritt kom-men.

Die geschädigten Arzneimittelhersteller müssten aller-dings nachweisen, dass zwischen der unvollständigenRichtlinienumsetzung und dem eingetretenen Schaden einunmittelbarer Kausalzusammenhang besteht. Dies erscheintproblematisch, weil nicht nur nachzuweisen wäre, dass inFolge der Nichtumsetzung kein Antrag auf Aufnahme indie Positivliste gestellt werden konnte. Vielmehr müsstegrundsätzlich auch nachgewiesen werden, dass ein Antragauf Aufnahme positiv zu bescheiden gewesen wäre, er alsozur Aufnahme in die Positivliste geführt hätte. Denn nur indiesem Falle könnte der in Folge der Nichtaufnahme in dieListe entstandene Verdienstausfall auf die Nichtumsetzungdes Antragsrechts kausal zurückgeführt werden. Ein solcherNachweis wird von den betroffenen Arzneimittelherstellernaber in der Regel nicht zu erbringen sein, da dem „Institutfür die Arzneimittelversorgung“ als unabhängigem Sach-verständigengremium bei der Ausfüllung der unbestimmtenRechtsbegriffe des § 33a Abs. 7 SGB V („Geeignetheit“,„mehr als geringfügiger therapeutischer Nutzen“) ein ge-richtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspiel-raum zukommt49. Dies erscheint unbefriedigend, da der er-forderliche Kausalitätsnachweis die Erlangung staatlicher

41) Gellermann, Die Beeinflussung des bundesdeutschen Rechts durchRichtlinien der EG, 1990, S. 235 ff.; Albers, Die Haftung derBundesrepublik Deutschland für die Nichtumsetzung von EG-Richtlinien, 1995, S. 97 ff.

42) Ruffert (Fn. 26), Art. 288, Rdnr. 37. A. A. Martin/Ehlers, EuR1996, 376, 382; Schlemmer=Schulte/Ukrow, EuR 1992, 82, 89.

43) EuGH, verb. C-Rs. 46/93 u. C-48/93 (Brasserie du Pêcheur),Slg. 1996, S. I-1029 ff. (Rdnr. 42); dazu Wathelet/Raepenbusch, Laresponsabilité des États membres en cas de violation du droitcommunautaire, C.D.E. 1997, 44 f.

44) S. hierzu die Zusammenfassung der Schlussanträge des General-anwalts in EuZW 1996, 34 ff.

45) EuGH, verb. Rs. C-178/94, C-179/94, C-188/94 u. C-190/94(Dillenkofer), Slg. 1996, S. I-4845 (72 f.).

46) EuGH, verb. Rs. C-46/93 u. C-48/93 (Brasserie du Pêcheur),Slg. 1996, S. I-1029 ff. (Rdnr. 42); Koenig/Haratsch (Fn. 26),Rdnr. 440.

47) EuGH, Rs. 9/70 (Leberpfennig), Slg. 1970, S. 825 (Rdnrn. 6 f.).48) V. Czettritz/Runge, PharmaRecht 1994, 261; Arndt, Pharm. Ind.

2001, 164 f. 49) Vgl. hierzu Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 11. Aufl.

1999, S. 446 ff.

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Entschädigung in Folge des bestehenden Beurteilungsspiel-raums praktisch unmöglich machte und mithin den effekti-ven Schutz der subjektiven Rechte minderte. Vor diesemHintergrund ist davon auszugehen, dass der EuGH zu einerBeweislastumkehr greifen würde: Geschädigte Arzneimittel-hersteller müssten danach darlegen, dass ihre in der Listeunberücksichtigten Produkte die Kriterien des § 33a Abs. 7SGB V grundsätzlich erfüllen. Dem Staat obläge es dann alsAnspruchsgegner, nachzuweisen, dass der Antrag eines Arz-neimittelherstellers auf Aufnahme seines Produkts in diePositivliste trotzdem erfolglos geblieben wäre.

IV. Haftungsfolgen

Die unvollständige Umsetzung der Arzneimittel-Transpa-renzrichtlinie in § 33a SGB V durch den Gesetzgeber kannnach allem zu einem gemeinschaftsrechtlich begründetenStaatshaftungsanspruch betroffener Arzneimittelherstellergegen die Bundesrepublik Deutschland führen. Gewährungund Umfang der Ersatzleistungen richten sich dabei nachnationalem Recht. Das nationale Recht darf die Erlangungder Entschädigung jedoch nicht praktisch unmöglich ma-chen oder übermäßig erschweren. Nach der Rechtspre-chung des EuGH muss der Umfang des Schadensersatzesangemessen sein, so dass ein effektiver Schutz der Rechtedes Einzelnen gewährleistet ist50. Der EuGH stellte außer-dem klar, dass zur Ersatzleistung insbesondere auch dieEntschädigung für entgangenen Gewinn gehört51. DieGeltendmachung des Staatshaftungsanspruchs erfolgt inDeutschland vor den innerstaatlichen Gerichten in demVerfahren nach § 839 BGB i. V. mit Art. 34 GG. Soweitsich dabei Fragen nach der Auslegung der gemeinschafts-rechtlichen Richtlinien ergeben, kann das Gericht im Rah-men des Verfahrens nach Art. 234 EG den EuGH um Vor-abentscheidung ersuchen.

V. Ergebnisse

(1) Die fehlerhafte Umsetzung des Art. 6 der EG-Arznei-mittel-Transparenzrichtlinie durch die deutsche Positivli-stenregelung gemäß § 33a SGB V stellt einen potenziellenAnwendungsfall für die gemeinschaftsrechtliche Staatshaf-tung dar.

(2) Das Instrument der gemeinschaftsrechtlichen Staats-haftung erlaubt es betroffenen Arzneimittelherstellern, dieBundesrepublik Deutschland für alle Schäden unmittelbarin Anspruch zu nehmen, die ihnen im Rahmen der Posi-tivlistenerstellung aus der fehlerhaften oder unvollständigenUmsetzung der Transparenzrichtlinie entstehen.

(3) Um die mit der Geltendmachung der Haftungsan-sprüche durch Arzneimittelhersteller verbundenen finan-ziellen Belastungen des Staatshaushalts zu verhindern, solltevon einer Bekanntgabe der Vorschlagsliste des „Instituts fürdie Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Kranken-versicherung“ zum 30. 6. 2001 abgesehen und eine richt-linienkonforme – auf die Herstellung von Transparenz aus-gerichtete – Umgestaltung des § 33a SGB V vorgenommenwerden.

(4) Um sich im Falle des Festhaltens der Bundesregie-rung an § 33a SGB V nicht dem Vorwurf auszusetzen,selbst zum Schadenseintritt beigetragen zu haben, solltenpharmazeutische Unternehmen bereits zum gegenwärtigenZeitpunkt unmittelbar beim „Institut für die Arzneimittel-versorgung“ Anträge auf Aufnahme der von ihnen produ-zierten Arzneimittel in die Positivliste stellen.

Fortsetzung von Seite 294

dubio pro reo“ und „in dubio pro libertate“ – Im Zweifel gegen die Straf-barkeit! – zu behandeln.

II. Umfang und Inhalt der Neuauflage des Werkes von Körner –Oberstaatsanwalt und Leiter der Hessischen Zentralstelle für dieBekämpfung der BtM-Kriminalität,. Frankfurt a.M. – haben gegenü-ber der Vorauflage – auch wegen des nunmehr verwendeten größerenFormats – nochmals erheblich zugenommen; 90 % des Textes sindden neun strafrechtlichen Vorschriften des aus 39 Paragrafen beste-henden, eigentlich unter „Verwaltungsrecht“ firmierenden BtMG ge-widmet. Es ist ausgeschlossen, die 1960 Seiten Text im Rahmen einerRezension angemessen zu würdigen. Deshalb nur einige Schlaglichterentlang den eingangs genannten Kriterien.

Am Anfang steht mit dem berühmten Paracelsus-Zitat „… dieDosis macht, dass ein Ding kein Gift ist“ und vier Leitsätzen ein vor-bildliches, dem gewandelten Stand wissenschaftlicher Aufklärung undden Menschenrechten gleichermaßen verpflichtetes kriminalpoliti-sches Credo – gleichsam oberste Richtlinie für die Rechtsauslegung:„Drogenhilfe darf nicht strafbar sein – Strafverfolgung muss wirksamsein – Drogenpolitik muss glaubwürdig sein – Forschung … musswillkommen sein“. Als Einleitung folgt ein informativer historischerAbriss internationaler und nationaler Drogenpolitik und ihrer gesetz-lichen Kristallisationen.

Schon die Kommentierung des § 1 erweist eine hervorragenddurchgehaltene Tugend des Kommentars: Die klar gegliederte Be-handlung des gesamten interdisziplinären Wissensspektrums zwischenDrogenforschung, gesellschaftlich-juristischer Problembearbeitung undverfassungsrechtlicher Oberaufsicht. Unter § 3 werden sorgfältig die

juristischen Kriterien für Ausnahmegenehmigungen für wissenschaft-liche Versuche dargelegt, gegebenenfalls auch durch einzelne Medizi-ner. Ausführlich wird die peinliche Blockadepolitik des BfArM doku-mentiert. Bei § 4 gibt es z. B. praktische Aufklärung über Möglichkei-ten der Drogen-Analyse im Interesse von harm reduction. Sachgerechterläutert werden die Bedingungen für den Betrieb von Fixerräumen (§ 10a) – zusammen zu studieren mit der ausgezeichneten Kommen-tierung von § 29 Abs. 1 Nr. 11. Für den Medizinbereich besondersnützlich sind die das Sozialrecht und viele Praxisprobleme sachkundigeinbeziehenden genauen Maßgaben der Substitutionsbehandlung (§13).

Der folgende strafrechtliche Teil ist gewissermaßen ein fortlaufen-des umfangreiches Forschungsprojekt. Neutral werden jeweils der Ge-setzeswortlaut und die gesetzgeberischen Motive erklärt. Gewissenhaftwird die gesamte einschlägige, auch untergerichtliche Rechtsprechungdokumentiert. Affirmative ebenso wie kritische Urteilsanmerkungenund allgemeine rechtswissenschaftliche Äußerungen zum Thema wer-den rezipiert. Alles zusammen wird jeweils abgewogener Stellung-nahme des Kommentators zugeführt – das ist vorbildliches rechtswis-senschaftliches Arbeiten, auch wenn der Rezensent nicht allen Mei-nungen des Kommentators zustimmt. Z. B. erscheint die Wertung desLagerns von Cannabissamen als „schwerer Fall“ (Strafbarkeit bis zu 15 Jahren!) absurd, wenn unendlich viele zukünftig daraus erwachsen-de Samen mitgerechnet werden (§ 29, Rdnr. 33). Trotz des durch-gängig, fast bis zur Grenze der Erschöpfung praktizierten lexikalischenVorgehens bleibt die Stofffülle kraft übersichtlicher Gliederung hand-habbar. Jede Benutzergruppe kann schnell die relevanten Aspekte her-ausfiltern.

Fortsetzung auf Seite 305

50) EuGH, verb. Rs. C-46/93 u. C-48/93 (Brasserie du Pêcheur),Slg. 1996, S. I-1029 ff. (Rdnr. 84).

51) EuGH, verb. Rs. C-46/93 u. C-48/93 (Brasserie du Pêcheur),Slg. 1996, S. I-1029 ff. (Rdnr. 87).

BU C H B E S P R E C H U N G E N