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Die Rahn’schen Häuser

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Die Rahn’schen Häuser

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Gerda Hettwer

Die „Rahn’schen Häuser“ im Badergraben und in der Barbaragasse

Beim Betrachten alter Fotos aus Wurzens Vergangenheit fühle ich mich angeregt, an die Fa-

milie Rahn zu erinnern.

Westlicher Ausgang des Badergrabens (vor 1904). Barbaragasse 1 (vor 1904)

Links hinten das Beyerlein’sche Grundstück

Von 1871 bis 1905 betrieb Moritz Rahn an der Ecke Barbaragasse/ Wenceslaigasse ein

Posamenten- Wolle und Modewarengeschäft. Sein Sohn Rudolf kaufte ab 1899 einige

Grundstücke und kleine Häuser der Nachbarschaft, z.B. das Beyerlein‘sche Anwesen am

Badergraben, hinzu und ließ dort gemeinsam mit der Familie Freimark neue stattliche Wohn-

und Geschäftshäuser errichten. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Vor allem die prächti-

gen Jugendstilfassaden im Badergraben waren und sind eine Bereicherung für das Stadtbild.

Die Fassaden zum Badergraben auf einer alten Ansichts- Treppenfenster Badergraben 4

karte

Bis heute sind die Schönheit der Fassaden mit ihren Jugendstilelementen und die Innenar-

chitektur zu bewundern. Man findet wunderschöne Treppenaufgänge mit massivem Gelän-

der, teilweise farbige Bleiglasfenster im Treppenabsatz und in Türen, die zusätzlich mit

Schnitzereien geschmückt sind. Die Kaminöfen in den schönsten Räumen waren auserwähl-

te Schmuckstücke. In den Etagen entstanden Wohnungen unterschiedlicher Größen von

herrschaftlich bis für jedermann.

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Am westlichen Ausgang des Badergrabens (Nr. 2) entstand 1903-1905 zuerst das neue Ge-

schäftshaus der Firma Moritz Rahn nach Plänen des Leipziger Architekten Karl Poser.

Blick aus der Wenceslaigasse zur Liegenbank (1904) Blick durch die Wenceslaigasse nach Süden

Bereits ab 1905 folgte nebenan das Haus Nr. 2a. In seinem Erdgeschoss befanden sich

lange Zeit das Hutgeschäft von Käthe Hannover und das Salamander-Schuhgeschäft der

Familie Uhlemann. Bauherr der 1904 bereits fertiggestellten Nr. 2b war Gustav Freimark, der

im Erdgeschoss zunächst seine Delikatessenhandlung betrieb, nach dem 1. Weltkrieg je-

doch hier eine Filiale der Gewerbebank weiterführte. Rudolf Rahn ließ bis 1906 das anschlie-

ßende Haus (die 2c) als Reichsbanknebenstelle errichten, ebenfalls als Sitz eines Geld-

instituts entstand bis 1910 im Auftrag von Rudolf Rahn das Eckhaus zu Unter der Tanne.

Hier zogen die Städtische Sparkasse und die Stadtgirokasse ein.

1911 war schließlich die gesamte Jugendstilfront am Badergraben fertiggestellt.

Im gleichen Jahr erwarben die Rahns vom Glasermeister Robert Wagner das Grundstück

Barbaragasse 3 und errichteten dort bis 1913 das Wohnhaus, in dem ich geboren worden

und aufgewachsen bin. Daher weiß ich, wovon ich berichte.

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Blick in die Barbaragasse (vor 1910) Blick in die Barbaragasse (um 1930)

1927 wurde unten an der Wenceslaigasse noch einmal umgebaut und erweitert, um das

„Modehaus Moritz Rahn“ entstehen zu lassen. Die Barbaragasse 1 wurde einbezogen und

aufgestockt. So entstand aus einem kleinen Textilgeschäft ein für die damalige Zeit sehr

modernes und attraktives Kaufhaus, das alle Wünsche an Bekleidung und Haushaltwäsche

befriedigen konnte. Für Maßschneiderei gab es eine große Stoffabteilung, und fürs Hobby

eine umfangreiche Handarbeitsabteilung. Aus dem Erdgeschoss führte eine geschwungene

Treppe nach oben zur Galerie und zur Konfektionsabteilung. Nicht vergessen werden darf

die Front von 12 Schaufenstern, die von der eigenen Deko-Abteilung gestaltet wurden.

Nach dem Tod von Thekla Rahn (1919), der Witwe von Rudolf Rahn, führten ihre beiden

Söhne Walter und Georg gemeinsam das Modehaus, und sie waren sehr angesehen und

beliebt. Nach einigen Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs nahm die Politik eine schick-

salhafte Wendung. Es ging in Richtung Krieg. Tatsächlich kam es zum Krieg. Die Waren

wurden knapp. Die beiden Chefs jonglierten das Geschäft durch die mageren Kriegsjahre, so

gut sie konnten. Walter Rahn hatte inzwischen eine Familie gegründet und vier kleine Kinder.

Der Krieg ging 1945 zu Ende. Es folgte ein totaler Umsturz in allen Ämtern, Verwaltungen

und Behörden: Privatbesitz hatte keine Chance zum Überleben. Die Familie Rahn wurde

enteignet. Eine Ungeheuerlichkeit! Die unmittelbare Nachkriegszeit war nur zum Teil ein Auf-

atmen. Eine schlechte Nachricht löste die nächste Meldung ab. So erfuhr man, dass eines

Abends das Ehepaar Walter und Lieselotte Rahn hinter der Unterführung am Bahnhof er-

schossen worden war. Man konnte es nicht fassen, auch bis heute nicht. Der Mord wurde nie

aufgeklärt, vielleicht nicht mal untersucht. Die vier kleinen Kinder wurden von Verwandten

großgezogen.

In dieser turbulenten Zeit gab es Nachrichten ähnlicher Art täglich: dass z.B. Leute abgeholt

wurden und nie wiederkamen. Manches geriet in Vergessenheit. Deshalb meine ich, dass es

Zeit wäre, an eine Erinnerungstafel für die Familie Rahn zu denken. Das müsste es der Stadt

doch wert sein. Ich bitte auch den Oberbürgermeister, Herrn Röglin, meinen Wunsch zu

unterstützen.

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Grabstein für die ermordeten Walter und Walter Rahn (1892-1946)

Lieselotte Rahn auf dem Wurzener Friedhof

Das Ensemble der genannten Häuser ist dank der Initiative und des Muts von Herrn Michael

Wolk, einem Enkel der ermordeten Walter und Lieselotte Rahn und Verwalter des Erbes, und

seiner Ehefrau Sylva restauriert worden, z. T. den heutigen Wohnbedürfnissen angepasst,

und erstrahlt nunmehr in neuem Glanz. Darauf kann Wurzen stolz sein.

Blick vom Turm der Wenceslaikirche auf die Rahn’schen

Häuser (im Mittelgrund)

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Blick durch die Wenceslaigasse zum früheren Kaufhaus Rahn (nach 1946 Konsum-Kaufhaus)

Fotos: K. Just (Wurzen)

Blick in den Badergraben (rechts die Front der Rahn’schen Häuser)

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Das Areal zwischen Badergraben, Unter der Tanne, Barbaragasse und Wenceslaigasse ist

durch die Bautätigkeit vor allem dreier Generationen der in Wurzen seit über zwei Jahrhun-

derte ansässigen Riemerfamliie Rahn zu einem nahezu city-ähnlichen und attraktiven Teil

der Wurzener Innenstadt gestaltet worden. Die Autorin des vorangehenden Textes hat seit

ihrer Geburt in diesem Areal gewohnt oder gearbeitet. Ihre lebendigen Erinnerungen offen-

baren, dass ein solcher Stadtteil wie ein besonderer Biotop wahrgenommen werden kann,

der einen Menschen lebenslang zu prägen vermag.

Foto: Richard Nitzsche

Sommer 1932 im Hof des Modehauses Moritz Rahn – die Welt schien noch in Ordnung zu

sein. Der Größe nach haben sich die Kinder aus der Barbaragasse und dem Badergraben

für den Fotografen aufgestellt (von rechts nach links):

Horst Venth Barbaragasse 3 Sohn des Lokomotivführers Hermann Venth

Karl-Heinz Lieder Badergraben 2 Sohn des Diplomingenieurs Karl Lieder

Hans Lieder Badergraben 2 Bruder von Karl-Heinz Lieder

Günter Venth Barbaragasse 3 Bruder von Horst Venth

Christa Nitzsche Badergraben 2 Tochter des Kassierers Richard Nitzsche

Gerda Lohmann Barbaragasse 3 Tochter des Modelltischlermeisters Max

(die Autorin) Lohmann

Annelies Biermann Badergraben 2a Tochter des Handlungsgehilfen Otto Biermann

Renate Nitzsche Badergraben 2 Schwester von Christa Nitzsche

Werner Petrich Badergraben 2 Sohn des Schachtmeisters Albert Petrich

(Wolfgang Ebert)

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Blick in die Barbaragasse (rechts das Haus Nr. 3/ 5)

Fotos: Wolfgang Ebert

Blick vom Parkhaus Sperlingsberg (im Mittelgrund das „Rahn’sche Quartier“)

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1933