Die Reaktion von tert-Butylbromid mit Ethanolat-Ionen - eine überraschende Reaktionsordnung

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DAS EXPERIMENT Stichworte: Nucleophile Substitution . Reaktionsmechanismen . tert. -Butylbromid Die monomolekulare nucleophle Substitution, der sog. %l- Reaktionsmechanismus,wird zumeist an der Hydrolyse von ter- titiren Alkylhalogeniden in wiiBrigen bzw. warig-alkalischen Lo- sungen dargestellt und erlautert [ 1 , 21. Bei diesen in zwei Schrit- ten verlaufenden Reaktionen erfolgt prim& die Dissoziation des Halogenid-Ions unter Bildung ekes Carbo-Kations als ge- s c h w i n d i g k e i t s b e s t d e r Schritt und anschlienend die Anla- gerung der nucleophilen Hydroxid-Ionen bzw. der im Uberschurj vorhandenen Losungsmittel-MoleMe. Charakteristisch fiir die h1-Reaktion ist nun, dan am geschwindigkeitsbestimmenden Schritt nur eines der Ausgangsteilchen beteiligt ist, d.h. die Re- aktion verliiuft nach dem Geschwindigkeitsgesetz 1. Ordnung. Besonders leicht verlaufen solche h1-Reaktionen in stark pola- ren Losungsmitteln bzw. solchen mit einer hohen Dielektrizittits- zahl E wie z.B. Wasser (E = 78,8), die die Dissoziation des Halogenid-Ions durch Solvatation erleichtern. Das Losungsmittel, in dem man eine bestimmte Reaktion ablaufen l a t , ifbt daher oft einen tiefgreifenden Einflurj auf die Reaktionsgeschwindigkeit aus. Ein Wechsel des Ldsungsmittels bei der Hydrolyse von tert.- Butylchlorid von reinem Wasser zu einem AcetodWasser- Gemisch von 30/70 Vo1.-% fiihrt z.B. zu einer erheblichen Verringerung der Reaktionsgeschwindigkeit [3]. Dd der EinflUn des Losungsmittels auf den Verlauf von %I- Reaktionen noch gr6l3er ist als bisher vielfach angenommen, be- obachtet man bei der Reaktion von tert. -Butylbromid mit Ethano- lat-Ionen in reinem Ethanol. Hierbei zeigt sich, dal3 die ReaMion nicht mehr einer Kinetik 1. Ordnung gehorcht, sondern nach einer Kinetik 2. Ordnung verlauft. Versuch 1: Amperometrische Verfolgung der Reaktion yon tert.- Butylbromid mit Ethanolat-Ionen Ger&te und Chemikalien: Computer (ab dx-2/86), MeBwerterfas- sungssohare Unimess 1, Spannungsquelle (0,5 V-), Ampere- meter (Metex, 20 mA), Voltmeter, durchbohrter Gummistopfen, Unterputzkabel, Verbindungskabel, Krokodilklemmen, tempe- rierbarer M a g n e m e r mit Magnetkern, Kristallisierschale (0 19 cm), 100 mi-Zweihalsrundkolben, 10 ml-Kolbenpipette, Ethanol p.a. (leichtentziindlich, F), tert. -Butylbromid (leichtentzifndlich F), Kalium (iitzend C, leichtentziindlich F) DurchNhrUng: Das Unterputzkabel wird durch dell Gummistop- fen gefiihrt und anschlienend gut abgedichtet. In einem 100 ml- Rundkolben werden in 100 ml Ethanol 1,96 g Kalium (0,5 mol) gelost und auf 60 "C temperiert. Die Apparatur wird nun entspre- chend der Abb. 1 aufgebaut. Es wird eine Spannung von 0,5 V angelegt. Nach der Zugabe von 5,63 ml tert.-Butylbromid (0,5 mol) wird das MeBprogramm gestartet und die h d e r u n g der Strornstiirke etwa eine Stunde lang verfolgt. Steht keine com- puterunterstlltzte MeBwerterfassung zur Verfiigung, kann die zeitliche Veriinderung der Stromwerte auch manuell festgehalten Die Reaktion von terl: -Butylbromid mit E thanola t-Ionen - eine uberraschende Reaktionsordnung Jens Friedrich, Monika Sieverding und AlfLed Flint werden. Dazu wird die Anfangsstromstiirke festgestellt, dann ca. eine Stunde lang jeweils alle zwei Minuten die hderung der Stromstiirke notiert. Abb. 1 : Versuchsaufbau zur amperomebischen Verfolgung der Reaktion von fert-Butylbromidmit Ethanolat-Ionen Auswertung und Ergebnisse: Man erstellt Tab. 1, in der die Geschwindigkeitskonstanten, jeweils nach einer Kinetik 1. und 2. Ordnung, berechnet worden sind. Ein Konzentrations-Zeit- Diagramm zeigt die Abb. 2. Tab. 1: MeDwerte und Auswertung der Reaktion von tert-Butylbromid mit Ethanolat-Ionen dc dl IC __= dC dl t I C --=k c S mA mi rl k 1u4 I mor' S" k 10" 1 mr' S" 0 4,Ol 0.5 960 2,52 0.327 4,43 11,05 1080 2.5 0,312 438 11,18 1200 2.4 0.299 4,20 11.18 1320 2.31 0,288 4,10 11,15 1440 2,21 0.276 4,14 11,3l 1560 2,13 0,266 4m 11,3l 1680 2.05 0,256 3.99 11-38 1800 1,99 0.240 3.89 11.27 1920 1.91 0,238 3,86 11,45 2040 1.85 0.231 3,79 11,44 2160 1.79 0,223 3#73 11,48 2280 1,75 0,218 3,63 11,32 2400 1,69 0.211 3,60 11,44 2520 1,63 0,203 337 11,s 2760 1,55 0,193 3.44 11.50 2640 1,59 0,198 3.50 1 1.53 2880 1.5 0,187 3.40 11.52 135 CHEMKON (Weinb.) 0 VCH Verlagsgesellschaff mbH, D-69451 Weinheim. 1997 0944-5846/97/0306-135 $17.50 + .SO/O

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DAS EXPERIMENT

Stichworte: Nucleophile Substitution . Reaktionsmechanismen . tert. -Butylbromid

Die monomolekulare nucleophle Substitution, der sog. %l- Reaktionsmechanismus, wird zumeist an der Hydrolyse von ter- titiren Alkylhalogeniden in wiiBrigen bzw. warig-alkalischen Lo- sungen dargestellt und erlautert [ 1 , 21. Bei diesen in zwei Schrit- ten verlaufenden Reaktionen erfolgt prim& die Dissoziation des Halogenid-Ions unter Bildung ekes Carbo-Kations als ge- schwindigkei t sbes tder Schritt und anschlienend die Anla- gerung der nucleophilen Hydroxid-Ionen bzw. der im Uberschurj vorhandenen Losungsmittel-MoleMe. Charakteristisch fiir die h1-Reaktion ist nun, dan am geschwindigkeitsbestimmenden Schritt nur eines der Ausgangsteilchen beteiligt ist, d.h. die Re- aktion verliiuft nach dem Geschwindigkeitsgesetz 1. Ordnung. Besonders leicht verlaufen solche h1-Reaktionen in stark pola- ren Losungsmitteln bzw. solchen mit einer hohen Dielektrizittits- zahl E wie z.B. Wasser (E = 78,8), die die Dissoziation des Halogenid-Ions durch Solvatation erleichtern. Das Losungsmittel, in dem man eine bestimmte Reaktion ablaufen l a t , ifbt daher oft einen tiefgreifenden Einflurj auf die Reaktionsgeschwindigkeit aus. Ein Wechsel des Ldsungsmittels bei der Hydrolyse von tert.- Butylchlorid von reinem Wasser zu einem AcetodWasser- Gemisch von 30/70 Vo1.-% fiihrt z.B. zu einer erheblichen Verringerung der Reaktionsgeschwindigkeit [3].

D d der EinflUn des Losungsmittels auf den Verlauf von %I- Reaktionen noch gr6l3er ist als bisher vielfach angenommen, be- obachtet man bei der Reaktion von tert. -Butylbromid mit Ethano- lat-Ionen in reinem Ethanol. Hierbei zeigt sich, dal3 die ReaMion nicht mehr einer Kinetik 1. Ordnung gehorcht, sondern nach einer Kinetik 2. Ordnung verlauft.

Versuch 1: Amperometrische Verfolgung der Reaktion yon tert.- Butylbromid mit Ethanolat-Ionen Ger&te und Chemikalien: Computer (ab dx-2/86), MeBwerterfas- sungssohare Unimess 1, Spannungsquelle (0,5 V-), Ampere- meter (Metex, 20 mA), Voltmeter, durchbohrter Gummistopfen, Unterputzkabel, Verbindungskabel, Krokodilklemmen, tempe- rierbarer Magnemer mit Magnetkern, Kristallisierschale (0 19 cm), 100 mi-Zweihalsrundkolben, 10 ml-Kolbenpipette, Ethanol p.a. (leichtentziindlich, F), tert. -Butylbromid (leichtentzifndlich F), Kalium (iitzend C, leichtentziindlich F) DurchNhrUng: Das Unterputzkabel wird durch dell Gummistop- fen gefiihrt und anschlienend gut abgedichtet. In einem 100 ml- Rundkolben werden in 100 ml Ethanol 1,96 g Kalium (0,5 mol) gelost und auf 60 "C temperiert. Die Apparatur wird nun entspre- chend der Abb. 1 aufgebaut. Es wird eine Spannung von 0,5 V angelegt. Nach der Zugabe von 5,63 ml tert.-Butylbromid (0,5 mol) wird das MeBprogramm gestartet und die hderung der Strornstiirke etwa eine Stunde lang verfolgt. Steht keine com- puterunterstlltzte MeBwerterfassung zur Verfiigung, kann die zeitliche Veriinderung der Stromwerte auch manuell festgehalten

Die Reaktion von terl: -Butylbromid mit E thanola t-Ionen - eine uberraschende Reaktionsordnung

Jens Friedrich, Monika Sieverding und AlfLed Flint

werden. Dazu wird die Anfangsstromstiirke festgestellt, dann ca. eine Stunde lang jeweils alle zwei Minuten die hderung der Stromstiirke notiert.

Abb. 1 : Versuchsaufbau zur amperomebischen Verfolgung der Reaktion von fert-Butylbromid mit Ethanolat-Ionen

Auswertung und Ergebnisse: Man erstellt Tab. 1, in der die Geschwindigkeitskonstanten, jeweils nach einer Kinetik 1. und 2. Ordnung, berechnet worden sind. Ein Konzentrations-Zeit- Diagramm zeigt die Abb. 2.

Tab. 1: MeDwerte und Auswertung der Reaktion von tert-Butylbromid mit Ethanolat-Ionen

d c d l IC

_ _ = dC d l

t I C - - = k c

S mA mi rl k 1u4 I mor' S" k 10" 1 mr' S"

0 4,Ol 0.5

960 2,52 0.327 4,43 11,05 1080 2.5 0,312 438 11,18

1200 2.4 0.299 4,20 11.18

1320 2.31 0,288 4,10 11,15

1440 2,21 0.276 4,14 11,3l

1560 2,13 0,266 4 m 11,3l

1680 2.05 0,256 3.99 11 -38

1800 1,99 0.240 3.89 11.27 1920 1.91 0,238 3,86 11,45

2040 1.85 0.231 3,79 11,44 2160 1.79 0,223 3#73 11,48

2280 1,75 0,218 3,63 11,32

2400 1,69 0.21 1 3,60 11,44

2520 1,63 0,203 337 11 ,s

2760 1,55 0,193 3.44 11.50

2640 1,59 0,198 3.50 1 1.53

2880 1.5 0,187 3.40 11.52

135 CHEMKON (Weinb.) 0 VCH Verlagsgesellschaff mbH, D-69451 Weinheim. 1997 0944-5846/97/0306-135 $17.50 + .SO/O

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O J 0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000

t i n s

Abb. 2: Konzentrations-hit-Diagramm

0.0002

0.00015

O.l t 0 0.05 0.1 0.15 0.2

cz in moP 1"

Abb. 4 Geschwindigkeits-Konzentrations-Diagramm nach v = k c*

Aus Tab. 1 ist ersichtlich, daR die Geschwindigkeitskonstan- ten, die nach dem Geschwindigkeitsgesetz fllr eine Reaktion 1. Ordnung berechnet wurden, keine Konstanz aufweisen, sondern mit zunehmender Reaktionsdauer abnehmen. Dagegen zeigen die Geschwindigkeitskonstanten, die nach dem Geschwindgkeits- gesetz fur eine Reaktion 2. Ordnung berechnet wurden, im mittle- ren Wertebereich eine hohe Konstanz, so daB die Bildung eines Mttelwertes gerechtfertigt erscheint. Dieser errechnet sich zu

k = 11,32 lo4 1 m01-l s l . Dies l a t sich auch durch die graphische Auswertung einfach

zeigen. TI%@ man die graphisch ermittelten Momentange- schwindigkeiten der Reaktion gegen die jeweilige Konzentration auf, so erklt man keine lineare Abhiingigkeit (Abb. 3).

0.00025

0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5

c in mol I -1

Abb. 3: Geschwindigkeits-Konzentrations-Diagramm nach v = k . c

Triigt man dagegen die Momentangeschwindigkeiten und das Rod& der Konzentrationen an tert.-Butylbromid und Ethanolat-Io- nen gegeneinander ad, so wird der lineme Zusammenhang zwischen der Geschwindigkeit und dem Quadrat der Konzentration deutlich, d.h. die Reaktion verlauft nach einer Kinetik 2. Ordnung (Abb. 4).

Als weiterer Beweis dafilr, daD die W o n einer Kinetik 2. Ordnung gehorcht, mag die Tatsache dienen, da13 sich bei einer Er- hahung der Konzentration eines der Reaktioqartner auch die Re- aktionsgeschwindigkeit erhoht. So beobachtet man bei einer Ver- dopplung der Konzentration an tert.-Butylbromid bzw. an Ethanolat- Ionen auch eine Verdopplung der Reaktionsgeschwindigkeit.

Fuhrt man dieselbe Reaktion statt in Ethanol in einem Lo- sungsmittel durch, dessen Polaritiit zwischen der von Wasser und der von Ethanol liegt, z.B. Acetonitril (E = 3 7 3 , so stellt man zum einen eine erhebliche Erhohung der Reaktionsgeschwindig- keit fest. Dies ist mit der hoheren Polarittit von Acetonitril ge- geniiber Ethanol erklilrbar. Zum anderen l a t sich keine eindeu- tige Aussage mehr bezuglich der Kine* der Reaktion trbffen. Sie verkuft weder nach einer reinen Kinetik 1. Ordnung noch nach einer reinen Kinetik 2. Ordnung. Vielmehr ist hier eine nerlage- rung zweier Reaktionsordnungen festzustellen.

Damit wird deutlich, welcher erhebliche Einfld dem Lo- sungsmittel bei nucleophilen Substitutionsreaktionen zukommt. Mit der her dargestellten Versuchsvorschrift ist es mit einfachen schulischen Mitteln moglich zu zeigen, dal3 ein Wechsel von ei- nem polaren zu einem unpolareren Losungsmittel bei hl-Reak- tionen nicht nur zu einer Verringerung der Reaktionsgeschwin- digkeit, sondem sogar zu einer hderung des Reaktionsmecha- nismus flihren kann. Durch die Wahl des entsprechenden Lo- sungsmittels lassen sich also auch tertiiire Alkylhalogenide nach einer Kinetik 2. Ordnung nucleophil substituieren.

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[2]

[3]

R Morrison, R. Boyd, Lehrbuch der Organischen Chemie, Weinheim 1974,514 H. Beyer, W. Walter, Lehrbuch der Organischen Chemie, Stuttgart 1991,132 B. Ralle, W. Jansen, MNU 7/34 (1981) 413ff

Anschniftn: Jens Friedrich und Monika Sieveding, Fachbereich Chemie der Universitdt Oldenburg, Postfach 2503, 261 1 1 Oldenburg Dr. Alfred Flint; Johann Worfgang Goethe-Universitdt Frankfurt, Institutflr Didaktik der Chcmie, Marie-Curie-Str. 11, 60439 Frankfurt am Main

Eingegangen am 05.07.1YY6 0

136 CHEMKOW4. Jahrg. IYY7Nr. 3