Die Rechtsquellen des Kantons St.Gallen · Das Neujahrsblatt 2013 des Historischen Vereins des...

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Die Rechtsquellen des Kantons St.Gallen Editorische Tradition, neue Projekte, praktische Anwendung 153. Neujahrsblatt, 2013 Herausgegeben vom Historischen Verein des Kantons St.Gallen Peter Erhart Lukas Gschwend Werner Kuster Sibylle Malamud Hans Jakob Reich Martin Salzmann Stefan Sonderegger Pascale Sutter Ernst Ziegler

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Die Rechtsquellen des Kantons St.GallenEditorische Tradition, neue Projekte, praktische Anwendung

153. Neujahrsblatt, 2013

Herausgegeben vom Historischen

Verein des Kantons St.Gallen

Peter Erhart

Lukas Gschwend

Werner Kuster

Sibylle Malamud

Hans Jakob Reich

Martin Salzmann

Stefan Sonderegger

Pascale Sutter

Ernst Ziegler

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153. NeujahrsblattHerausgegeben vom Historischen Verein des Kantons St.Gallen

Die Rechtsquellen des Kantons St.Gallen

Editorische Tradition, neue Projekte, praktische Anwendung

Satz und Druck: Toggenburger Druckerei, 9630 Wattwil2013

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© Historischer Verein des Kantons St.GallenRedaktion:

Pascale Sutter (Hauptteil)Johannes Huber (Gesamtblatt)

Satz, Druck und Lithos:Toggenburger Druckerei, 9630 Wattwil

Bezugsquelle:Toggenburger Verlag

Ebnaterstrasse 18, CH-9630 [email protected]

ISSN 0257-6198

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Die Rechtsquellen des Kanton St.Gallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Lukas Gschwend, Pascale Sutter: Geschichte der Rechtsquellenforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . im Kanton St.Gallen mit Ausblick in die digitale Zukunft der Rechtsquellenforschung

Stefan Sonderegger: Chartularium Sangallense (Bde. III–XIII) und Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . zur künftigen Edition von Quellen aus dem Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St.Gallen

Peter Erhart: Editionsprojekte am Stiftsarchiv St.Gallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Sibylle Malamud, Pascale Sutter: Die Rechtsquellen des Sarganserlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Werner Kuster: Die Rechtsquellen des Rheintals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hans Jakob Reich: Die Rechtsquellen der Grafschaft Werdenberg, . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freiherrschaft Sax-Forstegg und Herrschaft Gams

Martin Salzmann: Die Rechtsquellen der Städte Wil (SG) und Bischofszell (TG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Pascale Sutter: Die Rechtsquellen der Stadt und Herrschaft Rapperswil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ernst Ziegler: Die Rechtsquellen der Stadt St.Gallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Thementexte in BoxenSibylle Hofer: Alte Rechtsordnungen und modernes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10André Holenstein: Die SSRQ aus Sicht der historischen Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13Hans-Peter Schifferle: Wörterbücher – Historische Lexikographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19Anne-Marie Dubler: Was Rechtsquelleneditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26dem Historischen Lexikon der Schweiz (HSL) nützenMarkus Turnherr: Rechtsquellen im Praxistest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32Michael Piotrowski: Rechtsquellen und Computerlinguistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38Beat Frei: Rechtsquellen als Grundlage für Ortsgeschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41Stefan Gemperli: Frische Impulse für die Geschichtsschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45Carolin Krumm: Rechtsquellen als Grundlage für die Kunstdenkmälerinventarisation . . . . . . . . . . . 49Patrick Bernold: Rechtsquellen im Geschichtsunterricht an Mittelschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51Mark Wüst: Rechtsquellen im Museumsbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53Benedikt Zäch: Münzgeschichte und Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62Martin Hannes Graf: Ortsnamenforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67Armin Eberle: Bauernhausforschung und Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70Stephan Häsler: Tiere im alten St.Gallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Martin Peter Schindler: Archäologischer Jahresbericht 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Kantonale Denkmalpflege

Pierre D. Hatz: Jahresbericht der Kantonalen Denkmalpflege 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regula M. Keller: Beton und Denkmalpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Jahresberichte der regionalen Geschichtsvereine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Peter Müller: Kulturhistorischer Verein der Region Rorschach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Werner Kuster: Museumsgesellschaft Altstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Werner Kuster: Verein für die Geschichte des Rheintals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Sigrid Hodel-Hoenes/Susanne Keller-Giger: Historisch-heimatkundliche Vereinigung Werdenberg . . . . . . .

Mathias Bugg: Historischer Verein Sarganserland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Alois Stadler: Geschichtsfreunde vom Linthgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ernst Grob: Toggenburger Vereinigung für Heimatkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Benno Ruckstuhl: Kunst- und Museumsfreunde Wil und Umgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Alois Ebneter/Urs Schärli: MUSA Museen AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anton Rechsteiner: Genealogisch-Heraldische Gesellschaft Ostschweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Marina Widmer: Archiv für Frauen-, Geschlechter- und Sozialgeschichte Ostschweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Cornel Dora: Historischer Verein des Kantons St.Gallen: Jahresbericht 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Verzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Die Rechtsquellen des Kantons St.GallenEditorische Tradition, neue Projekte, praktische

Anwendung

Das Neujahrsblatt 2013 des Historischen Vereins des Kan-tons St.Gallen stellt im Hauptbeitrag das Editionsprojekt der Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen (SSRQ) vor. Im Zentrum stehen das Gebiet des Kantons St.Gallen und die verschiedenen Rechtsquellensammlungen, die bereits veröffentlicht sind, unmittelbar vor der Publikati-on stehen, sich in Bearbeitung befinden oder geplant sind.

Bezogen auf das Gebiet des Kantons St.Gallen blickt das Editionsprojekt auf über 100 Jahre zurück. In dieser Zeit ist eine Sammlung entstanden, die einen Hauptpfeiler der historischen Forschung für die entsprechenden Regionen bildet. Nicht nur Fachhistorikerinnen und Fachhistoriker nutzen die Sammelbände, sondern auch Stadtführerinnen oder Museumskuratoren. Rechtsquellensammlungen sind wahre Fundgruben, die zu vielen Lebensaspekten in der Zeit vor 1800 Auskunft geben.

Im jüngsten Neujahrsblatt geht es auch um die praktische Verwendung der Rechtsquellen, zum Beispiel durch die Namensforschung, die Bauernhausforschung oder die Lehre, um nur einige der zahlreichen Anwendungsberei-che zu nennen. Nebst einem Überblick über den Stand des Projektfortschritts kommen in zufällig gestreuten Boxentexten zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer der Rechtsquellensammlungen zu Wort. Ihre Berichte von der «vielgestaltigen Front der Verarbeitung und Vermitt-lung historischer Fakten» veranschaulichen, dass Rechts-quellen heute eine breite Beachtung und Verwendung finden. Moderne Rechtsquellensammlungen, gut er-schlossen durch Register und die einzelnen Stücke jeweils mit aktueller Forschungsliteratur unterlegt und kommen-tiert, erleichtern das Auffinden und Zusammentragen brauchbarer Informationen zur Beantwortung histori-scher Fragestellungen.

Rechtsquellensammlungen schliessen jedoch hauptsäch-lich Lücken in der traditionellen Geschichtsschreibung und ermöglichen Überblicke zu grösseren historischen Komplexen. Dies zeigt der Kernartikel im Neujahrs- blatt 2013: Sibylle Malamud und Pascale Sutter veröffent-

lichen mit ihm einen stattlichen Teil der Einleitung zur Rechtsquellenedition Sarganserland, die 2013 erscheinen wird. Herrschaften, Herrschaftsträger und herrschaftliche Einrichtungen zwischen Walenstadt und Wartau werden in kurz gefassten Kapiteln stringent vorgestellt.

Aus der Idee, Ergebnisse aus dem geplanten und vor der Veröffentlichung stehenden Sarganserländer Band zu prä-sentieren, ist dieses Neujahrsblatt hervorgegangen und aufgrund der Vielfalt der Aspekte bald einmal zu dichter Verzweigung gewachsen. Der Schreibende dankt Pascale Sutter für die konstruktive Zusammenarbeit. Dank ihrer engen Kontakte zu den Autorinnen und Autoren der ver-schiedenen Beiträge kann dieses Jahr ein Blatt mit beson-ders reichhaltiger, aber portionierter und gut verdaubarer Kost vorgelegt werden. Selbstverständlich geht auch an die Verfasserinnen und Verfasser der Beiträge ein verdien-tes Dankeschön für ihre Arbeit.

Johannes HuberSt.Gallen, im März 2013

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7153. Neujahrsblatt, 2013 Herausgegeben vom Historischen Verein des Kantons St.Gallen

Die Rechtsquellen des Kantons St.GallenEditorische Tradition, neue Projekte, praktischeAnwendung

Peter Erhart

Lukas Gschwend

Werner Kuster

Sibylle Malamud

Hans Jakob Reich

Martin Salzmann

Stefan Sonderegger

Pascale Sutter

Ernst Ziegler

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Von der Rechtsquellenkommission zur Rechtsquellenstiftung des Schweizerischen

Juristenvereins

Der Schweizerische Juristenverein beauftragte 1894 seine dazu ins Leben gerufene Rechtsquellenkommission unter der Leitung von Andreas Heusler-Sarasin1, eine gross an-gelegte Edition der bis 1798 im Gebiet der Schweiz ent-standenen Rechtsquellen zu erarbeiten, die Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen (SSRQ).2 Die mittlerweile auf bald 120 Bände angewachsene Sammlung zeigt die sich wandelnden Anforderungen an eine Quellenedition. Anfangs sollte die «monumentale Edition»3 in erster Linie

Juristen Einblick in die verschiedenen historischen Rechtslandschaften und deren Entwicklung geben, gene-tische Grundlagen für die damals anstehenden Kodifika-tionsprojekte liefern und «der nationalen Selbstfindung, -erklärung und -erneuerung»4 dienen. Heute nutzen ne-ben Rechtshistorikern Forschende unterschiedlicher Rich- tungen die Rechtsquellensammlung für die Behandlung ihrer wirtschafts-, sozial-, kultur- und sprachhistorischen Fragestellungen.

Der später in Bonn und Berlin lehrende Kirchenrechts-historiker Ulrich Stutz veröffentlichte 1897 eine wegwei-sende Edition zu den Rechtsquellen von Höngg, einer damals noch selbständigen Zürcher Gemeinde.5 Das Bändchen diente insbesondere in methodologischer Hin-sicht als Vorbild für den ersten offiziellen Rechtsquellen-band der SSRQ mit dem Stadtrecht von Aarau, den 1898 der spätere Aargauer Oberrichter Walther Merz6 bearbei-tete. Während der Unternehmensjurist und Rechtshisto-

Geschichte der Rechtsquellenforschung imKanton St.Gallen mit Ausblick in die digitale

Zukunft der Rechtsquellenforschung

Lukas Gschwend, Pascale Sutter

1 ZuAndreasHeusler(1834–1921)vgl.http://hls-dhs-dss.ch/textes/d/

D14802.php,Zugriff27.08.2012.FernerderBeitragüberAndreas

Heusler-Sarasinin:Kunz,Ronald:GeschichtederBaslerJuristischen

Fakultät1835–2010,hrsg.vonFelixHafner,KurtSeelmannund

ThomasSutter-Somm,Basel2011,S. 211–216.

2 ZurGeschichtederSammlungSchweizerischerRechtsquellenvgl.

Gschwend,Lukas:RechtshistorischeGrundlagenforschung:die

SammlungSchweizerischerRechtsquellen,in:SchweizerischeZeit-

schriftfürGeschichte58(2008),Nr. 1,S. 4–19;Gschwend,Lukas:

DieSammlungSchweizerischerRechtsquellen,herausgegebenvon

derRechtsquellenstiftungdesSchweizerischenJuristenvereins:Ein

MonumentalwerkrechtshistorischerGrundlagenforschung,in:Zeit-

schriftfürSchweizerischesRecht(2007)I,S. 435–457.–Weiterfüh-

rendeLiteraturfindetsichaufunsererWebsite:http://www.ssrq-

sds-fds.ch/.ZurGeschichtedesSchweizerischenJuristenvereinsvgl.

Gschwend,Lukas/Ingber,Karin/Wehrle,Stefan:ZSR2011,Sonder-

heft150JahreJuristenverein1861–2011,Basel2011.

3 Blickle,Peter:Ordnungschaffen.AlteuropäischeRechtskulturinder

Schweiz.EinemonumentaleEdition,in:HistorischeZeitschrift268

(1999),S. 121–136.

4 Gschwend2007(wieAnm.2),S.438.

5 Stutz,Ulrich:DieRechtsquellenvonHöngg,hg.vonderRechtsquel-

lenkommissiondesSchweizerischenJuristenvereins,Basel1897.–

ZuUlrichStutz(1868–1938)vgl.http://hls-dhs-dss.ch/textes/d/

D15842.php,Zugriff27.08.2012,sowieBühler,Theodor:Schweize-

rischeRechtsquellenundSchweizerischeVerfassungsgeschichte

nacheinerVorlesungvonUlrichStutz(1868–1938)nacheiner

NachschriftvonDr.AdolfImHof(EuropäischeRechts-undRegio-

nalgeschichte10),ZürichundSt.Gallen2010.

6 ZuWaltherMerz(1868–1938)vgl.http://hls-dhs-dss.ch/textes/d/

D27083.php,Zugriff27.08.2012.

TitelblattdeserstenRechtsquellenbandesderSammlungSchweize-

rischerRechtsquellenmitdemStadtrechtvonAarauvonWalther

Merz.

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riker Friedrich Emil Welti7 sich den Berner Rechtsquellen widmete, arbeitete Oberrichter Merz in seiner Freizeit un-unterbrochen an der Herausgabe der Rechtsquellen des Kantons Aargau. In St.Gallen erschienen zwar 1903 – rechtzeitig zum 100-jährigen Bestehen des Kantons – die Dorfrechte der alten Landschaft von Max Gmür8, der aus St.Gallen stammte und damals neu ein Ordinariat für Rechtsgeschichte und Privatrecht an der Universität Bern innehatte, danach geriet das Editionsvorhaben jedoch we-gen Geldmangels und fehlenden geeigneten Bearbeitern für längere Zeit ins Stocken.

Als der Berner Rechtshistoriker Hermann Rennefahrt9 1935 das Präsidium der Kommission von Walther Merz übernahm, bearbeitete er mit grosser Schaffenskraft selbst die Rechtsquellen des Kantons Bern und förderte weitere Projekte in Freiburg, Genf und Zürich. Dem nächsten Präsidenten Hans Herold10, Rechtshistoriker an der Uni-versität Zürich und Sekretär des Schweizerischen Han-dels- und Industrievereins (Vorort), gelang in den Sech-ziger Jahren des 20. Jahrhunderts die dauerhafte Un-

terstützung des Projekts durch den Schweizerischen Nationalfonds (SNF). Er baute gemeinsam mit engagier-ten und sachkundigen Kommissionsmitgliedern das Edi-tionsunternehmen aus. Unter seinem Präsidium ersetzte der Schweizerische Juristenverein die Rechtsquellenkom-mission durch eine Rechtsquellenstiftung, die 1980 zum Zweck der Herausgabe Schweizerischer Rechtsquellen ge-gründet wurde. 1988 übernahm Claudio Soliva, der da-mals an den Universitäten Zürich und St.Gallen Lehr-stühle für Rechtsgeschichte innehatte, die Führung derselben und professionalisierte das Unternehmen, in-dem er Martin Salzmann als hauptamtlichen administra-tiven und wissenschaftlichen Koordinator einsetzte. Der Stiftungsrat vereinheitlichte unter der Leitung von Claudio Soliva und Martin Salzmann das formale Er-scheinungsbild der Sammlung, erliess die ersten verbind-lichen Transkriptions- und Editionsrichtlinien, fand neue Finanzierungsmodelle und ermöglichte dadurch in den letzten zwanzig Jahren dank zahlreichen Mitarbeiten- den die Herausgabe von über dreissig Rechtsquellen- bänden.

Alte Rechtsordnungen und modernes RechtSibylle Hofer

Die Sammlung Schweizer Rechtsquellen wurde 1894 von Juristen initiiert. Das Engagement wurde damals von der Auffassung getragen, dass eine Kenntnis alter Regelungen eine wichtige Grundlage für das Verständnis des modernen Rechts darstelle. Eine derartige Auffassung ist heute unter Juristen nicht mehr verbreitet. Wenn bei Untersuchungen zum geltenden Recht überhaupt einmal ältere Rechtstexte herangezogen werden, handelt es sich ausschliesslich um Quellen aus der Entstehungszeit der aktuellen Kodifikatio-nen – d. h. um Quellen aus dem 19. Jahrhundert, die gerade nicht Gegenstand der Rechtsquellenedition sind, da diese nur Texte vor 1798 erfasst. Die Sammlung Schweizer Rechts-quellen wird daher heute aus dem Kreis der Juristen fast nur noch von Rechtshistorikern genutzt. Dabei ermöglichen die Texteditionen keineswegs nur Detailstudien zu vergangenen Rechtsinstituten. Sie können vielmehr auch dazu eingesetzt werden, dem modernen Juristen die grundsätzlichen Kon-zeptionen des heutigen Rechts und deren Bedeutung ins Bewusstsein zu rufen. Dieses Ziel kann nämlich besonders gut durch einen Vergleich mit Gegenmodellen erreicht wer-den. Gerade Rechtsordnungen vor 1800 liefern solche Ge-genmodelle. So zeigt etwa der Blick auf die fürsorglich be-vormundende Einmischung der Obrigkeit im Ancien Régime ein Extrem, zu dem die heute immer wieder erhobene For-derung nach einer sozialen – anstelle einer freiheitlichen – Gestaltung des Privatrechts führen kann. Auch der Wert des Grundsatzes «Keine Strafe ohne Gesetz» wird deutlich er-

sichtlich, wenn man aus alten Quellen eine rechtliche Situa-tion kennen lernt, in der dieser Satz keine Bedeutung hatte. Derartige Vergleiche ermöglicht die Rechtsquellenedition, indem sie umfangreiches Quellenmaterial zuverlässig und mit ausführlichen Registern bereitstellt.

AndreasHeusler-Sarasin(1834–1921),ca.1865,dererstePräsidentderRechtsquellenkommissiondesSchweize-rischenJuristenvereins.Fotohttp://www.unigeschichte.unibas.ch/cms/upload/IBB_1_004295968.jpg

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Seit 2006/2007 leiten Lukas Gschwend, Ordinarius für Rechtsgeschichte, Rechtssoziologie und Strafrecht an der Universität St.Gallen, als Präsident, und Pascale Sutter als wissenschaftliche Leiterin zusammen mit einem stark ver-jüngten, engagierten Stiftungsrat das Projekt. In den ver-gangenen sechs Jahren konnten 12 Bände der Öffentlich-keit übergeben werden. Die Rechtsquellenstiftung ist als modernes, interdisziplinäres Editionsunternehmen seit mehreren Jahren bestrebt, das Traditionsunternehmen nun auch ins digitale Zeitalter zu führen.11

Auf dem Weg ins Internet: Retrodigitalisierte Sammlung und künftige digitale Edition

In den letzten Jahren hat die digitale Erschliessung von Originalquellen und Editionen im Internet rasant zu- genommen.12 Nach einer zweijährigen Retrodigitali-sierungsphase sind seit 2011 die gescannten Seiten aller Bände der SSRQ in einem benutzerfreundlichen Online-Viewer auf <http://ssrq-sds-fds.ch/online/can-tons.html> als Faksimiles frei zugänglich.13 Der Zugriff auf die Quellen erfolgt via Abteilungen/Kantone oder mit Hilfe einer Suche in den Stückverzeichnissen oder nach Datum.

In Zukunft werden die neuen Rechtsquellenbände als di-gitale Volltexte, die mit TEI14 – einem internationaler Standard zur Codierung digitaler Texte und Editionen – ausgezeichnet sind, in einem Rechtsquellenportal verfüg-bar sein. Neben der Volltextsuche werden im Text mit Marken ausgezeichnete text- und sachkritische Informa-

tionen wie Streichungen, Nachträge, Datierungen, Mas-se, Gewichte, Währungen etc. in die Suchoptionen mit-einbezogen.15 Die digital erstellten und miteinander verlinkten Orts-, Personen- und Sachindices sowie das Glossar enthalten analog den klassischen Registern wert-volle Schlüsselinformationen wie Lebensdaten, Ver-

7 ZuFriedrichEmilWelti(1857–1940)vgl.http://hls-dhs-dss.ch/

textes/d/D32177.php,Zugriff27.08.2012.

8 ZuMaxGmür(1871–1923)vgl.http://hls-dhs-dss.ch/textes/d/

D45916.php,Zugriff27.08.2012.

9 ZuHermannRennefahrt(1878–1968)vgl.http://hls-dhs-dss.ch/

textes/d/D31771.php,Zugriff27.08.2012.

10 ZuHansHerold(1908–2002)vgl.http://hls-dhs-dss.ch/textes/d/

D48223.php,Zugriff27.08.2012.

11 WeiterführendeInformationenzurStiftungfindensichaufder

Website:http://www.ssrq-sds-fds.ch/.

12 Vgl.dazudieÜberblicksdarstellungenvonSahle,Patrick:Urkunden-

EditionenimInternet.EinführungundÜberblick,in:ArchivfürDip-

lomatik52,2006,S. 429–448;Vogeler,Georg:DigitaleUrkunden-

bücher.EineBestandesaufnahme,in:ArchivfürDiplomatik56,

2010,S. 363–392.

13 WährendderRetrodigitalisierunghatsichgezeigt,dassfürMittel-

undFrühneuhochdeutschnochkeinebefriedigendenOCR-Resultate

erzieltwerdenkönnen.DerStiftungsrathatentschieden,dassalle

digitalisiertenTexteinderselbenQualitätwiediegedrucktenTexte

vorliegensollten.DieshatzurFolge,dassvorerstnurdieFaksimiles

derSeitenundkeinedurchsuchbarenBändezurVerfügungstehen.

14 TextEncodingInitiativevgl.http://www.tei-c.org/.

15 Esmussfestgehaltenwerden,dasseineVolltextsuchekeinenErsatz

fürdieAnnotationen,insbesonderedieRegister,darstellt.Ausser-

demistVolltextsuchefürdieQuellentextedurchdiehistorischeund

nichtnormierteSchreibungdeutlichwenigereffektivalsfürmoder-

neTexte.

DieSuchedesOnline-ViewersderretrodigitalisiertenSammlungSchweizerischerRechtsquellen.

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wandtschaftsbeziehungen, Ortsidentifikationen, Worter-klärungen usw., die durchsuchbar sind. Neue Zugangs- möglichkeiten durch die Verknüpfung von historisch wichtigen Informationen mit weiterführenden externen Ressourcen (Geodaten von ortsnamen.ch und swisstopo, HLS [Historisches Lexikon der Schweiz], Wörterbücher etc.) werden geschaffen.

Die digitale Edition bietet den Vorteil, dass sie schrittwei-se Ergebnisse im Internet zur Verfügung stellen kann und die Volltexte sich dank der Auszeichnungen nach den un-terschiedlichsten Fragestellungen der verschiedenen Wis-senschaftszweige hin durchsuchen und auswerten lassen. Die Hemmschwelle, sich mit schwer lesbaren hand-schriftlichen Quellen auseinanderzusetzen, fällt, da die Originaltexte gut aufbereitet und jederzeit verfügbar sind,

was zu einem neuen Aufschwung insbesondere der regio-nalhistorischen Forschung in der Schweiz führen wird. Als Nebenprodukt der Rechtsquellenforschung gilt es, die Datenbankerfassung und Erschliessung der Quellen einer bearbeiteten Region zu nennen. Auch Quellen, die nicht in der SSRQ publiziert sind, werden über die Archivda-tenbanken online der künftigen Forschung verfügbar ge-macht.

Was sind Rechtsquellen?

Der Begriff «Rechtsquellen» ist dynamisch und unterliegt einem ständigen historischen Wandel.16 In den Anfängen folgten die Herausgeber einem relativ engen, für die älte-re Rechtsgeschichte typischen Rechtsquellenbegriff. So enthalten die frühen Bände vor allem Stadtrechte, Ge-richtssatzungen, ländliche Statutarrechte, Hofrechte oder Offnungen. In jüngerer Zeit werden zunehmend auch Rechtsquellen im weiteren Sinn aufgenommen. Die Sammlung ist heute offen für wichtige Verträge, bedeut-same Gerichtsurteile und -urkunden sowie für Auszüge aus Notariats-, Ratsprotokoll- und Gerichtsbüchern, aber auch für Urkundensammlungen, Schiedssprüche, Anträ-ge sowie für kurze chronikalische Berichte.

Nicht oder höchstens in Form von Regesten aufgenom-men werden Rechtsquellen, die in anderen Quellenedi-tionen, wie z. B. dem Chartularium Sangallense, den Ur-kundenbüchern der Kantone St.Gallen, Graubünden, Appenzell, Glarus, Zürich und Thurgau sowie des Für-stentums Liechtenstein oder den Eidgenössischen Ab-

16 ZurDefinitiondesBegriffs«Rechtsquellen»vgl.Gschwend2007

(wieAnm.2),S.444–445.

17 AmtlicheSammlungderälterenEidgenössischenAbschiede,8 Bde.,

Luzernu.a.1839–1890;AppenzellerUrkundenbuchbis1513,

2 Bde.,Trogen1913,1934;Blumer,JohannJakob:Urkundensamm-

lungzurGeschichtedesKantonsGlarus,3Bde.,Glarus1865–1891;

BündnerUrkundenbuch,6Bde.,Chur1955–;ChartulariumSangal-

lense,9Bde.,St.Gallen1983–;Kleiner,Viktor:UrkundenzurAgrar-

geschichteVorarlbergs,Dornbirn1928;LiechtensteinischesUrkun-

denbuch,6Bde.,Vaduz1948–1996,digitalfortgesetztunter

www.lub.li;ThurgauischesUrkundenbuch,8Bde.,Frauenfeld

1917–1967;UrkundenbuchdersüdlichenTeiledesKantonsSt.Gal-

lens,2Bde.,Rorschach1961,1982;UrkundenbuchderStadtund

LandschaftZürich.VondenAnfängenbis1336,13Bde.,Zürich

1888–1957.

VorläufigerStanddesViewersdermitTEI-MarkenausgezeichnetendigitalenEditiondesältestenAppenzellerLandbuchs(SSRQAR/AI1,Nr.1).

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schieden, bereits ediert sind.17 Ansonsten ist die möglichst vollständige, kritische Wiedergabe von Quellentexten nach den bewährten Standards der SSRQ sowie deren wissenschaftliche Einbettung in den historischen Kontext das Ziel der Editionstätigkeit.

Zielpublikum

Die europa-, wenn nicht sogar weltweit einzigartige Quel-lensammlung bietet in Buchform und neu auch im Inter-net wertvolles Material, das Auskunft über die Rechtsent-wicklung gibt und zudem im Rahmen des Möglichen ein Bild der Rechtswirklichkeit vermittelt. Sie dient sowohl der Beschäftigung mit der schweizerischen Rechtsge-schichte als auch der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, der Alltags-, Mentalitäts- und Kriminalitätsgeschichte oder der Geschichte unseres Landes allgemein. Zugleich

ist sie unentbehrlich für die Sprachforschung der Schweiz und Mitteleuropas (vgl. zur praktischen Verwendung der SSRQ die einzelnen Textboxen). Die detaillierten Orts-, Flurnamen-, Personen- und Sachregister mit Glossar-funktion helfen auch interessierten Laien, die Texte zu verstehen.

Finanzierung

Die laufenden Forschungsprojekte werden nicht nur vom Schweizerischen Nationalfonds, sondern von zahlreichen privaten und öffentlichen Institutionen unterstützt. In den einzelnen Regionen tragen die Kantone, die politi-schen Gemeinden, die Orts- und Kirchgemeinden sowie zahlreiche lokale Stiftungen die Finanzierung mit. Auf die Unterstützung durch die regionalen Projektpartner, zum Beispiel die Staatsarchive, Forschungsinstitute oder His-

Die SSRQ aus Sicht der historischen ForschungAndré Holenstein

Zusammen mit der «Amtliche[n] Sammlung der ältern eid-genössischen Abschiede» und der «Amtliche[n] Sammlung der Acten aus der Zeit der helvetischen Republik (1798–1803)» zählt die «Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen (SSRQ)» zu den historischen Quelleneditionen von nationa-ler Bedeutung. Sie stellt mit ihren mittlerweile mehr als 100 Bänden ein wertvolles Instrument für die Forschung zur Ge-schichte des Schweizer Raums vor 1798 und für die univer-sitäre Lehre und Forschung dar. Wird der SSRQ mitunter ihre einseitige Fokussierung auf die Rechtsquellen vorgehalten, so ist dieser Kritik gegenüber zu bemerken, dass das Recht – als Inbegriff kollektiv verbindlicher Verhaltensregeln – stets die gesamte menschliche Praxis berührt. Rechtsquellen sind somit grundsätzlich für Fragen aller historischen Teildiszipli-nen einschlägig. Die SSRQ ist letztlich als enormer Wissens-speicher für die Kulturgeschichte der alten Schweiz im wei-testen Sinn zu betrachten, dessen Bedeutung sich nicht mit der Entgegensetzung von Normen und Wirklichkeit, die zu kurz greifen würde, kleinreden lässt. Für Historiker der Vor-moderne sind Rechtsquellen auch deshalb wichtig, weil Re-gelungen elementarer Aspekte des menschlichen Zusam-menlebens früh verschriftlicht wurden und folglich viele geschichtliche Sachverhalte zuerst als Rechtstatsachen in Ur-kunden, Statuten, Satzungen und dergleichen dokumentiert sind. Als Forschungsinstrument bewährt sich die Rechtsquel-lensammlung, weil sie sich vielfach nicht mit dem Abdruck der Quellentexte begnügt, sondern im Kommentar wichtige Kontextinformationen zur Entstehung der Norm und zu de-ren Umsetzung vermittelt. Mit ihrer mehr als hundertjähri-gen Wirkungsgeschichte ist die SSRQ mittlerweile selbst zur Quelle geworden. In wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht

spiegelt sie den Wandel des Rechtsquellenbegriffs ebenso wie die Veränderungen des disziplinären Selbstverständnis-ses der Rechtswissenschaft im Allgemeinen und der Rechts-geschichte im Besonderen wider. Edierte Rechtsquellen sind auch für die akademische Lehre ein wertvolles Arbeitsinstru-ment. Sie eignen sich für die exemplarische Analyse zentra-ler Fragen der vormodernen Geschichte und ebnen den Stu-dierenden den Weg für die Beschäftigung mit den kulturell andersartigen Verhältnissen der Zeit vor 1800. Benutzerin-nen und Benutzer können leicht auf das zentrale Quellen-material zugreifen, das mit den Fachkommentaren und dem Glossar der Bandbearbeiterinnen und Bandbearbeiter er-schlossen und in den historischen Kontext gestellt ist.

DieBändederSammlungSchweizerischerRechtsquelleninderPräsenzbibliothekdesStaatsarchivsSt.GallenFotoStASG.

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torischen Vereine, können wir vor allem in organisatori-scher Hinsicht zählen. Darüber hinaus erfolgt die Digita-lisierung in enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Computerlinguistik der Universität Zürich und verwand-ten Instituten. Ebenso stehen wir in regem, auch interna-tionalem Austausch mit anderen Editionsunternehmun-gen, verschiedenen Lehrstühlen, den Lexikographen im In- und Ausland, dem Historischen Lexikon der Schweiz und der Ortsnamensforschung.

Gliederung der Reihe und Stand der Forschung

Die Gliederung der SSRQ erfolgt seit Beginn nach Kan-tonen (23 Abteilungen) und hier wiederum nach Rechts-kreisen wie Städten, alten Ämtern und Vogteien. Bisher wurden über 100 Bände mit mehr als 60‘000 Seiten her-ausgegeben, die 17 der 26 Kantone ganz oder teilweise abdecken.18

Zur Zeit (Stand September 2012) laufen zwölf klassische Editionsprojekte in allen vier Landessprachen, nämlich in den Kantonen Fribourg, Graubünden, Luzern (2), St.Gallen (2), Tessin (2), Thurgau (2) und Wallis (2). Im Kanton Zürich haben im Februar 2011 gleich mehrere Mitarbeitende ihre Arbeit an fünf parallel entstehenden Rechtsquellenbänden aufgenommen. Diese Bände wer-den erstmals in der Geschichte des Unternehmens digital erarbeitet, wobei noch viel Pionierarbeit zu leisten ist.19

Die Rechtsquellen des Kantons St. Gallen

Den ursprünglichen Editionsplan der Sankt-Galler Rechtsquellen erstellte der erste Bearbeiter Max Gmür, der vor seiner Berner Professur als Rechtsanwalt im Kan-ton St.Gallen tätig war, bereits um 1903. Er unterteilte im Gegensatz zu anderen kantonalen Abteilungen die Rechts-quellen des Kantons St.Gallen nicht nur in Stadtrechte, Amts- und Landrechte, sondern sah auch einen Teil mit Offnungen und Hofrechten vor, den er selber prioritär bearbeitete. Seine Einteilung hatte den Nachteil, dass das Sarganserland, damals noch «Oberland» genannt, und das Rheintal nicht innerhalb eines geografisch definierten Bandes, sondern die Stadtrechte der Landstädte in einem Band, die Offnungen in einem anderen und die übrigen Rechte in weiteren Bänden zur Publikation vorgesehen waren.

18 EinevollständigeListeallererschienenenBändeistpubliziertunter:

http://www.ssrq-sds-fds.ch/->Produkte->Gesamtkatalog.

19 InformationenzudeneinzelnenlaufendenProjektenfindensich

unter:http://www.ssrq-sds-fds.ch/->Projekte->laufendeProjekte.

XIV. Abteilung:Die Rechtsquellen des Kantons St.Gallen

1. Teil: Die Rechtsquellen der Abtei St.Gallen

1. Reihe: Die Herrschaft des Abtes von St.Gallen

2. Reihe: Die Alte LandschaftBand 1: Die allgemeinen Rechtsquellen der Alten Landschaft von Walter Müller, 1974. XXXV, 508 Seiten. Broschiert.SSRQ SG I/2/1Band 3: Die Rechtsquellen der Stadt Wil nach Vorarbeiten von Magdalen Bless-Grabher, von Peter Erni und Martin Salzmann. 2005. 2 Halbbände, XLIX, 1124 Seiten. Gebun-den.SSRQ SG I/2/3Band 4: Dorfrechte der Alten Landschaft von Max Gmür (beide vergriffen).1. (Halb-)Band: Alte Landschaft. 1903. XXXII, 702 Seiten. SSRQ SG I/2/4.12. (Halb-)Band: Toggenburg. 1906. XLV, 708 Seiten. SSRQ SG I/2/4.2

2. Teil: Die Stadtrechte von St.Gallen und Rapperswil

1. Reihe: Die Rechtsquellen der Stadt St.GallenBand 1: Die Stadtbücher des 14. bis frühen 17. Jahrhunderts von Magdalen Bless-Grabher unter Mitarbeit von Stefan Sonderegger. 1995. IL, 443 Seiten. Gebunden.SSRQ SG II/1/1Band 2: Das Stadtbuch von 1673 von Ernst Ziegler unter Mitwirkung von Ursula Hasler und mit einem Register von Anne-Marie Dubler. 1996. LVII, 481 Seiten. Gebunden. SSRQ SG II/1/2

2. Reihe: Die Rechtsquellen der Stadt und HerrschaftRapperswilBand 1: Rechtsquellen der Stadt und Herrschaft Rapperswil (mit den Höfen Busskirch/Jona, Kempraten und Wagen) von Pascale Sutter. 2007. 2 Halbbände, LXXVI, 1108 Seiten. Ge-bunden. SSRQ SG II/2/1

3. Teil: Die Landschaften und LandstädteBand 1: Landschaft Gaster mit Weesen von Ferdinand Else-ner. 1951. XXXII, 728 Seiten (Vergriffen). SSRQ SG III/1Band 2: Die Rechtsquellen des Sarganserlandes von Sibylle Malamud und Pascale Sutter. 2 Halbbände (erscheinen 2013). SSRQ SG III/2Band 3: Die Allgemeinen Rechtsquellen des Rheintals von Werner Kuster. 2 Halbbände (in Bearbeitung). SSRQ SG III/3Band 4: Die Rechtsquellen der Grafschaft Werdenberg, Frei-herrschaft Sax-Forstegg und Herrschaft Gams von Sibylle Malamud (in Bearbeitung). SSRQ SG III/4

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Der nach 1959 als Ordinarius für Deutsches Recht und Kirchenrecht an der Universität Tübingen international bekannt gewordene, enorm quellenkundige Rechtshisto-riker Ferdinand Elsener20, der 1951 den Rechtsquellen-band zur Landschaft Gaster mit dem Städtchen Weesen in der Reihe «Rechte der Landschaft» veröffentlichte, äus-serte sich kritisch zum Editionsplan, weshalb der Thur-

20 ZuFerdinandElsener(1912–1982)vgl.http://hls-dhs-dss.ch/

textes/d/D21314.php,Zugriff27.08.2012sowiedieBeiträgevon

LouisCarlenundFriedrichEbelin:Carlen,Louis/Ebel,Friedrich

(Hrsg.):FestschriftfürFerdinandElsenerzum65.Geburtstag,

Sigmaringen1977,S.1–5,6–8.

21 ZuBrunoMeyer(1911–1991)vgl.http://hls-dhs-dss.ch/textes/d/

D13389.php,Zugriff27.08.2012.

gauer Staatsarchivar Bruno Meyer21, der damals in der Rechtsquellenkommission Einsitz hatte, diesen überar-beitete. Der erste und zweite Teilbereich wurde neu in zwei Reihen gegliedert: Unter dem ersten Teil in der ers-ten Reihe mit dem Titel «Die Rechtsquellen der Abtei St.Gallen» ist noch kein Band erschienen. Ein ausführli-cher Editionsplan zum Klosterstaat fehlt, wird jedoch demnächst erstellt (vgl. den Beitrag von Peter Erhart in diesem Neujahrsblatt).

In der zweiten Reihe sind bereits drei Bände erschienen. Es handelt sich um die beiden vergriffenen Bände zu den Dorfrechten der Alten Landschaft und des Toggenburgs von Max Gmür. Der erste Teilband enthält die Rechts-quellen des heutigen Fürstenlands, d. h. das Gebiet zwi-schen Rorschach am Bodensee und der Äbtestadt Wil, ohne die Städte Rorschach, St.Gallen und Wil. Dabei handelt es sich um keine abgerundete Grundherrschaft;

RechtsprofessorMaxGmür(1871–1923),derersteEditor

derSankt-GallerRechtsquellen,alsRektorderUniversitätBern

(1912–1913).FotoUniversitätBern.

KartederOstschweizmitdenHerrschaftenvor1798(MarcoZanoli

fürWikipedia[http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=

Datei:Ostschweiz1798.png&filetimestamp=20100704045938]).

RechtsprofessorFerdinandElsener(1912–1982).Aus:Carlen,

Louis/Ebel,Friedrich,(Hrsg.):FestschriftfürFerdinandElsener

zum65.Geburtstag,Sigmaringen1977,amAnfang.

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zudem bezieht sich der Geltungsbereich zahlreicher Rechtsquellen auf das Gebiet des heutigen Kantons Thur-gau. Hier gibt es Überschneidungen mit den zurzeit ent-stehenden Thurgauer Bänden zur Landesherrschaft, die eine grosse Menge neuen Materials enthalten werden. Der zweite Halbband zur Landvogtei Toggenburg umfasst die drei Ämter Vogtei Schwarzenbach, Unteramt und Ober-amt. Die Stadt Lichtensteig als Hauptort des Toggen-burgs und Sitz des Landvogts wartet noch auf eine Bear-beitung der Rechtsquellen.

Der Band «Allgemeine Rechtsquellen der Alten Land-schaft» von Walter Müller22, der neben seiner hauptberuf-lichen Tätigkeit als Chef der Finanzverwaltung des Kan-tons Zürich sich der Rechtsquellenforschung widmete, was die Universität Zürich 1965 mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde honorierte, enthält hauptsächlich Verträge des Klosters St.Gallen mit den eidgenössischen Schirmorten, den im Thurgau regierenden Ständen der

Eidgenossenschaft, der Stadt St.Gallen, dem Lande Ap-penzell und dem Hochstift Konstanz. Ein zweiter Band ist nicht erschienen. Dieser würde die besonderen Rechte der Alten Landschaft, u. a. Gesundheitswesen, Militäror-ganisation, Handel, Gewerbe, Landwirtschaft, Rechts-pflege, die den Strafvollzug betreffenden Ordnungen, De-krete, Einzelmandate, aber auch das Familien- und Erbrecht der Sankt-Galler Klosterherrschaft (Sankt-Gal-ler Mandate) umfassen. Ein entsprechendes Projekt harrt noch seiner Realisierung.

Der von Peter Erni und Martin Salzmann bearbeitete, 2005 erschienene Wiler Doppelband, dem leider eine um-fassende Einleitung fehlt, beinhaltet ein weites Feld von städtischen Rechtsquellen, welche das öffentliche und private Leben im Herrschaftsbereich der Stadt Wil betref-fen (vgl. den Beitrag von Martin Salzmann in diesem Neujahrsblatt).

Unter dem zweiten Teil mit dem Titel «Die Stadtrechte von St.Gallen und Rapperswil» sind in der ersten Reihe zwei Bände mit zentralen städtischen Rechtsquellen, den Stadtsatzungsbüchern von St.Gallen, erschienen – dies dank dem unermüdlichen Engagement von Ernst Ziegler, Stadtarchivar der Ortsbürgergemeinde St.Gallen und Stiftungsrat der Rechtsquellenstiftung, für die Edition der Rechtsquellen der Stadt St.Gallen (vgl. die Beiträge von Ernst Ziegler und Stefan Sonderegger in diesem Neu-jahrsblatt). 1995 erschien der von Magdalen Bless-Grab-her unter Mitarbeit von Stefan Sonderegger bearbeitete erste Band mit den Stadtbüchern des 14. bis frühen 17. Jahrhunderts, ein Jahr später folgte die Edition des Stadt-buches von 1673, bearbeitet von Ernst Ziegler unter Mit-wirkung von Ursula Hasler.23 Während die 2. Reihe mit dem Doppelband zur Stadt und Herrschaft Rapperwil, bearbeitet von Pascale Sutter, abgeschlossen ist, sind für die Stadt St.Gallen noch weitere Bände geplant. Ein de-taillierter Editionsplan liegt vor (vgl. die Beiträge von Ernst Ziegler und Stefan Sonderegger in diesem Neu-jahrsblatt). Wie langwierig die Realisierung einer Edition sein kann, zeigt sich am Beispiel der Rapperswiler Editi-on. Frühe Vorarbeiten gehen noch auf Ferdinand Elsener zurück. Später hat Martin Salzmann das Projekt trotz Hindernissen und Unwägbarkeiten immer wieder voran-getrieben. Bis die Bände 2007 erscheinen konnten, ver-strichen schliesslich mehr als vierzig Jahre.

Unter dem dritten Teil mit dem Titel «Die Landschaften und Landstädte» ist erst ein Band erschienen. Ferdinand Elsener bearbeitete die Landschaft Gaster zusammen mit der Stadt Weesen. Weggelassen wurden Walenstadt, Mols, Terzen, Murg, Quarten, Quinten, Niederurnen, Bilten und Kerenzerberg, da es sich dabei um Siedlungen im heutigen Sarganserland bzw. im Kanton Glarus handelt. Quellen zur Grafschaft Uznach mit dem Städtchen Uz-

22 ZuWalterMüller(1914–1975)vgl.Mossdorf,Albert:ZumHinschied

vonDr.h.c.WalterMüller,in:NeueZürcherZeitung,Nr.269vom

Mittwoch,19.November1975,S. 33mitFoto.

23 DieRechtswissenschaftlicheAbteilungderUniversitätSt.Gallener-

nannteErnstZieglerfürseineEditiondesStadtbuchesvon1673

zumPrivatdozenten.

WalterMüller(1914–1975).FotoNZZNr.269vom19.November

1975,S.33.

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MeierhofBerg,Tübach.FotoPhilippLehmann.

nach wurden ebenfalls nicht berücksichtigt, da ein sepa-rater Band mit den Uznacher Rechtsquellen geplant ist. Zum dritten Teil gehören auch die beiden Bände Sargan-serland und Rheintal, die in Entstehung begriffen sind, sowie ein Band zur Region Werdenberg, die demnächst bearbeitet wird (vgl. die Beiträge von Sibylle Malamud, Werner Kuster und Hans Jakob Reich in diesem Neu-jahrsblatt).

Die Städte Rheineck und Altstätten werden zwar im jetzt laufenden Projekt Rheintal behandelt. Da die Überliefe-rung für diese beiden Städte überaus reichhaltig ist, recht-fertigt sich die Edition je eines eigenen Bandes. Die Rechtsquellen zur Abtei und dem Herrschaftsgebiet des Klosters Pfäfers finden sich verstreut in verschiedenen Sankt-Galler und Bündner Bänden. Ein Band, der sich allein mit dem Kloster Pfäfers und der schwierigen Quel-lensituation des Stiftsarchivs Pfäfers befasst, wäre wün-schenswert. Er würde den Rahmen der Einteilung in kan-tonale Abteilungen sprengen, nähme aber ein auch heute aktuelles Anliegen von Ferdinand Elsener auf, der für Bis-tümer und bedeutende Klöster Sonderreihen ausserhalb der kantonalen Reihen anregte.

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1 StadtarchivSt.Gallen,Bd.509.

2 AusgenommensinddieehemaligenBezirkeWerdenberg,Sargans

undGaster,dieimUrkundenbuchdersüdlichenTeiledesKantons

St.GallensowieindenRechtsquellenbehandeltwerden.

3 DerEditionsplanistinjedemBanddesChartulariumabgedruckt.Ein

ausführlicherKommentardazufindetsichinSonderegger,Stefan:

VomNutzenderBearbeitungeinerregionalenUrkundenedition.

DargestelltamChartulariumSangallense,in:Kölzer,Theo/Rosner,

Willibald/Zehetmayer,Roman(Hg.):RegionaleUrkundenbücher.Die

Vorträgeder12.TagungderComissioninternationaledediploma-

tique,St.Pölten2010,S.86–116,hierS.87–91.

In St.Gallen haben die Erschliessung und die wissen-schaftliche Veröffentlichung von Archivquellen einen ho-hen Stellenwert. Im Vergleich mit anderen Kantonen ist die Rechtsquellenedition bereits weit fortgeschritten (sie-he den Beitrag von Lukas Gschwend und Pascale Sutter), und auch die Urkundenedition steht vor einem Etappen-ziel: Das 1862 von Hermann Wartmann begonnene und 1955 von Traugott Schiess und Paul Staerkle abgeschlosse-ne sechsteilige «Urkundenbuch der Abtei Sanct Gallen» wird unter dem Namen «Chartularium Sangallense» neu bearbeitet. In diesem Beitrag geht es darum, diese Urkun-denedition vorzustellen. Die folgenden Ausführungen be-schränken sich auf die von Otto P. Clavadetscher (Bde. III–VII) und von Otto P. Clavadetscher und Stefan Son-deregger gemeinsam (Bde. VIII–XIII) bearbeiteten Bände der Jahre 1000 bis 1411.

Vorgeschichte und Stand der Arbeit

Vorarbeiten in den 1970er-Jahren für die Edition des Jahr-zeitbuchs St.Laurenzen in St.Gallen1 förderten im orts-bürgerlichen Stadtarchiv St.Gallen viele unbekannte Ur-kunden zutage. Der damalige Stadtarchivar Ernst Ziegler regte deshalb die Herausgabe eines Urkundenbuchs der Stadt St.Gallen unter der Bearbeitung von Otto P. Clava-detscher an. Durch systematisches Sammeln in vielen an-deren Archiven Europas kam aber so viel neues Material zum Vorschein, dass die Idee von Ergänzungsbänden zum bestehenden Urkundenbuch verworfen werden musste.

Es kam nur noch eine vollständige Neubearbeitung in Frage. Die Hauptgründe dafür waren: der Umfang des Materials, die vielen Nachträge in den bestehenden Bän-den und die heutigen, veränderten Anforderungen an eine kritische Quellenedition mit Text- und Sachanmer-kungen sowie Kommentaren. Da die zahlreichen Neu-funde fast ausschliesslich die Zeit nach 1000 betreffen, wurde die Neubearbeitung der Bände I und II zurückge-stellt und mit Band III (Urkunden ab dem Jahr 1000) des Chartularium Sangallense begonnen. Folgende Editions-grundsätze wurden festgelegt: Diejenigen Dokumente, die einen sankt-gallischen Aussteller oder Empfänger auf-weisen oder deren Objekt in den Kantonen St.Gallen2 sowie Appenzell Ausserrhoden und Innerrhoden liegt, werden in vollem Wortlaut abgedruckt. In Regestenform werden jene Urkunden wiedergegeben, welche Zeugen, Schiedsrichter, Intervenienten, Bürgen, Ausstellungsorte o. ä. sankt-gallischen und appenzellischen Ursprungs ent-halten. Die Bearbeitung folgt modernen diplomatischen Grundsätzen, wobei oberstes Prinzip die buchstabenge-treue Wiedergabe des Textes ist, während weitere Anga-ben auf das Notwendigste beschränkt sind. Die Ortsna-men und Personen werden weitgehend identifiziert, sachliche Bezüge in Anmerkungen und Vorbemerkungen angedeutet.3 Bisher erschienen sind 1983 Band III mit den Urkunden von 1000–1265, 1985 Band IV mit den Urkun-den von 1266–1299, 1988 Band V mit den Urkunden von 1300–1326, 1990 Band VI mit den Urkunden von 1327–1347, 1993 Band VII mit den Urkunden von 1348–1361, 1998 Band VIII mit den Urkunden von 1362–1372, 2002 Band IX mit den Urkunden von 1373–1381, 2007 Band X mit den Urkunden von 1382–1389, 2009 Band XI mit den Urkunden von 1390–1397 und 2012 Band XII mit den Ur-kunden von 1398–1404. Band XIII mit den Urkunden von 1405–1411 wird voraussichtlich 2016 erscheinen.

Präziser und benutzerfreundlicher

Der zeitliche und finanzielle Aufwand für Editionen ist gross. Es ist deshalb klar, dass sich die Neubearbeitung eines Urkundenbuches nur mit einem daraus gewonne-nen grossen Mehrwert rechtfertigt. Dieser ist im Falle von St.Gallen klar gegeben. Zwar haben Urkundenbücher eine lange Halbwertszeit, aber auch Editionen veralten, weil die Textwiedergabe unter Umständen nicht mehr heutigen Standards entspricht, Anmerkungen fehlen oder

Chartularium Sangallense (Bde. III–XIII)und Überlegungen zur künftigen Edition von Quellen aus dem

Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St.Gallen

Stefan Sonderegger

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Hintergrundinformationen nicht mehr dem Forschungs-stand entsprechen. Im Vergleich des «Urkundenbuchs der Abtei Sanct Gallen» mit dem Chartularium Sangallense lässt sich dies gut zeigen. Obschon auch dem alten Urkundenbuch eine buchsta-bengetreue Textwiedergabe zu Grunde liegt und diese – angesichts der damaligen technischen Möglichkeiten –

erstaunlich wenige Fehler aufweist, konnten durch die Überarbeitung wesentliche Verbesserungen erreicht wer-den. Wichtiger als diese Textverbesserungen sind die in der Neubearbeitung gelieferten Informationen zu den Siegeln sowie zu den Personen und Örtlichkeiten. Das alte Urkundenbuch verzichtet weitgehend auf Anmer-kungen, in denen Personen und Orte identifiziert werden. Wer aber für seine Forschungen regelmässig mit Urkun-

Wörterbücher – Historische LexikographieHans-Peter Schifferle

Alle Wörterbücher, welche die historische Sprache in der Schweiz zum Gegenstand haben oder mitberücksichtigen, greifen mit besonderem Gewinn auf die Editionen der Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen zurück. Hier bie-tet sich eine Quellenbasis von mittlerweile gewaltigem Um-fang der sprachhistorischen Untersuchung und der lexiko-graphischen Erfassung an. Der deutschsprachige Teil des Editionswerks wurde und wird von den folgenden Wörter-büchern mehr oder weniger systematisch ausgewertet: zu-nächst – sicher am längsten und am vollständigsten – vom Schweizerischen Idiotikon, dann vom Deutschen Wörter-buch von Jacob und Wilhelm Grimm (auch von dessen Neu-bearbeitung), vom Deutschen Rechtswörterbuch, vom Früh-neuhochdeutschen Wörterbuch sowie vom Mittelhoch- deutschen Wörterbuch.Für die Sprachwissenschaft und die Lexikographie bilden die Texte der Rechtsquelleneditionen eine zentrale Basis für die lexikalische und phraseologische Erschliessung des Wort-schatzes und somit für die historische Lexikologie und für die Wortgeschichte ganz generell. Benutzerinnen und Benutzer des Idiotikons stossen auf Schritt und Tritt – und in den jün-geren Bänden des Wörterbuchs zunehmend häufiger – auf Wortartikel, die erst durch die Belege aus den Rechtsquel-lenbänden ihre eigentliche Struktur und Farbe gewinnen. So generieren sich die Bedeutungen und die Wortgeschichte des Worts Schellenwerch (als verbreitete Bezeichnung für die städtische Institution der öffentlichen Zwangsarbeit seit dem 17. Jahrhundert und später auch für Zuchthaus) ganz entscheidend aus Materialien aus den verschiedensten Rechtsquellenbänden (s. Id. 16, 1250–1253). Rõswurst (Blutwurst) wird erst mit Hilfe der Belege aus den Rechts-quellenbänden klarer von Rosswurst (Rauchwurst aus Pfer-defleisch) abgrenzbar (s. Id. 16, 1569/70). Die Bedeutungen und die Bedeutungsentwicklung von Pfenningwert, einem Wort, das schon im 14. Jahrhundert hauptsächlich in der Kurzform pfennwert und in der älteren Mundart dann als Pfämmet belegt ist, liessen sich ohne die zahlreichen Rechts-quellenbelege aus allen Landesteilen gar nicht adäquat er-fassen und nachzeichnen (s. Id. 16, 1319–1324). Die Rechts-quellenbände sind aber auch eine Fundgrube für die Laut-, Formen- und Syntaxgeschichte. Ostschweizer Rechtsquel-

lentexte machen es etwa möglich, das Alter der in den Mundarten bis heute lebendigen Monophthongierung von ei > â, in Wörtern wie Geiss oder Leitere (zu Gâss oder Lâte-re), genauer zu fassen. Ebenso sind es hyperkorrekte Schrei-bungen, etwa Tail für Tal, die zeigen, dass diese Lautent-wicklung in Schaffhausen, St.Gallen, Appenzell und im Thurgau schon im 14. Jahrhundert durchgeführt war.Auch im Austausch zwischen der Sammlung Schweizeri-scher Rechtsquellen und dem Idiotikon wird von Anfang an ein befruchtendes gegenseitiges Nehmen und Geben sicht-bar: Seit dem ersten Rechtsquellenband von 1898 werden in den Ausgaben-Glossaren Bezüge auf das Idiotikon sichtbar, und im Bericht über das Jahr 1903 des Schweizerischen Idiotikons heisst es auf Seite 4: «Mit besonderem Dank ge-denken wir des hochherzigen Beschlusses des Schweizeri-schen Juristenvereins, uns sowohl die bereits erschienenen, als auch die künftigen Bände seiner wertvollen Sammlung schweizerischer Rechtsquellen zu schenken.» Wenn die Be-arbeiterinnen und Bearbeiter der Rechtsquellenbände heute von der leichteren Benutzbarkeit des digital zur Verfügung stehenden Idiotikons profitieren, ziehen die Lexikographin-nen und Lexikographen Gewinn aus den neuen Auswer-tungsmöglichkeiten, welche sich in den digitalen Rechts-quellenbänden eröffnen.

Die16BändedesSchweizerdeutschenWörterbuchs.(FotoSchweizerischesIdiotikon)sindseit2010auchonlineverfügbar:www.idiotikon.ch.

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4 ZudemisteineimInternetverfügbareSiegeldatenbankdurchdas

StadtarchivderOrtsbürgergemeindeinBearbeitung.

5 AlsFaksimilesverfügbarsindbisjetztUrkundenausdemStiftsarchiv

undStadtarchivSt.Gallen.

6 Sonderegger(wieAnm.3),S.92f.

denbüchern arbeitet, weiss einen Anmerkungsapparat zu schätzen. Hier werden Informationen geliefert, die einem die historische Arbeit erleichtern. Im Chartularium Sangallense werden im Gegensatz zum alten Urkundenbuch die Siegellegenden aufgelöst und im Falle von Sankt-Galler Sieglern die Siegel im Anhang ab-gebildet.4 Hinzu kommt, dass nebst der gedruckten Edi-tion auch eine digitalisierte Version online verfügbar ist (www.monasterium.net). Der grösste damit verbundene Gewinn besteht in der Möglichkeit, dass zur Beantwor-tung von Spezialfragen bei einem Teil5 der Urkunden aus-ser dem Text auch Abbildungen der Vorder- und Rücksei-te sowie der Siegel bequem eingesehen werden können.

Viele noch unbekannte Urkunden

Der grösste Mehrwert des Chartularium Sangallense ge-genüber dem alten Urkundenbuch besteht darin, dass viele Urkunden zum ersten Mal in edierter Form der Ge-schichtsforschung zugänglich gemacht werden. Eine enorme Zunahme der Urkundenüberlieferung ist seit 1350 nachzuweisen.

Der Anteil der für das 14. Jahrhundert mit dem Chartu-larium Sangallense neu erschlossenen Urkunden macht

bis zu 40 Prozent aus. Das Chartularium Sangallense kor-rigiert mit seiner Quantität und Qualität das Bild von der Sankt-Galler Überlieferung, wie sie sich bisher auf der Grundlage des alten «Urkundenbuches der Abtei Sanct Gallen» präsentiert hat, massiv. Der weitaus grösste Teil dieser neu erschlossenen Urkunden sind Privaturkunden, die in einem städtischen Bezug stehen. Dazu gehören Bündnisurkunden, Verkaufs- und Belehnungsurkunden, Urkunden zu Rentenkäufen, Urfehden und Urkunden, in denen der städtische Alltag fassbar wird (Baurechte, Nachbarschaftsstreitigkeiten usw.). Was die Regional- und Lokalgeschichte angeht, muss das 14. Jahrhundert nach Vorliegen aller Bände des Chartularium Sangallense neu geschrieben werden. Denn die Historiographie, die sich auf das alte «Urkundenbuch der Abtei Sanct Gallen» stützte, war sich zu wenig bewusst, dass jenes als institu-tionelles Urkundenbuch der Abtei konzipiert worden war und dass die Stadt und auch andere, das Kloster St.Gallen nicht direkt berührende Bereiche in diesem weitgehend ausgeblendet sind. Wie es der Name der alten Edition – «Urkundenbuch der Abtei Sanct Gallen» – sagt, stehen in diesem Werk die Abtei und damit das Archiv des ehema-ligen Klosters im Vordergrund. Den Grundstock bildeten Urkunden des Stiftsarchivs, und erst allmählich und se-lektiv wurde das reiche Material des Stadtarchivs heran-gezogen. Bis zum Abschluss des Chartularium Sangallen-se, das strikte den Editionsprinzipien eines regionalen Urkundenbuches folgt, herrscht Unklarheit darüber, wie viele Urkunden vom Gesamtbestand Eingang ins alte Ur-kundenbuch gefunden haben und welche Urkunden weg-gelassen wurden. Die enormen Lücken vor allem aus dem städtischen Bereich haben schliesslich den Ausschlag zur Neubearbeitung gegeben.6

Dieses Beispiel zeigt, wie Editionen die Geschichtsfor-schung beeinflussen können. Das bei einem regionalen Urkundenbuch wie dem Chartularium Sangallense ver-

3500

3000

2500

2000

1500

1000

500

01000-1049 1050-1099 1100-1149 1150-1199 1200-1249 1250-1299 1300-1349 1350-1399

64

465

1062

1663

2915

Urkunden10 10 15

DasChartulariumSangallenseistineinerdigitalisiertenVersion

mitTextundBildiminternationalenUrkundenportalMonasterium

verfügbar.DasisteinwesentlicherMehrwert,dadieVorlagender

EditioneingesehenwerdenundsobesondereFragenwiebeispiels-

weisezumErhaltungszustand,zurSchriftoderzudenSiegeln

ohneArchivbesuchbehandeltwerdenkönnen.

ZahlderüberliefertenundimChartulariumSangallenseedierten

UrkundenzwischendemJahr1000und1399,inFünfzigjahres-

schrittendargestellt.

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7 Johanek,Peter:TerritorialeUrkundenbücherundspätmittelalterliche

Landesgeschichtsforschung,in:Irgang,Winfried/Kersken,Norbert

(Hg.):Stand,AufgabenundPerspektiventerritorialerUrkundenbü-

cherimöstlichenMitteleuropa,Marburg1998,S.5–21,hierS.17.

8 StadtarchivSt.Gallen,Bd. 538.Teileditionin:SammlungSchweizeri-

scherRechtsquellen,XIV.Abteilung:DieRechtsquellendesKantons

St.Gallen,ZweiterTeil:DieStadtrechtevonSt.GallenundRappers-

wil,1.Reihe:DieRechtsquellenderStadtSt.Gallen,1.Band:Die

Stadtbücherdes14.bisfrühen17.JahrhundertsvonMagdalen

Bless-GrabherunterMitarbeitvonStefanSonderegger,Aarau1995.

9 Ziegler,Ernst:KostbarkeitenausdemStadtarchivSt.GalleninAbbil-

dungenundTexten,St.Gallen1983,S.57.

10 Ebd.,S.59.

11 Vgl.dieBemerkungenzurBuchführungbeiSonderegger,Stefan:

LandwirtschaftlicheEntwicklunginderspätmittelalterlichenNord-

ostschweiz,St.Gallen1994(St.GallerKulturundGeschichte,

Bd.22),S.184.

folgte Konzept, soweit möglich alle die untersuchte Re-gion betreffenden Urkunden zu edieren, hat gegenüber einer institutionellen Urkundenedition grosse Vorteile: Das veröffentlichte Material ist umfassend; ein regionales Urkundenbuch ediert unabhängig von einer Fragestel-lung und ist für alle Forschungsfragen offen, auch für jene, die erst in der Zukunft entstehen. Dies garantiert eine grosse Langlebigkeit der Edition.7

Neuland für Editionen und Geschichtsforschung

Nach Beendigung des Chartularium Sangallense mit den Urkunden zwischen 700 und 1411 wird ein Grossteil der mittelalterlichen Urkunden ediert zur Verfügung stehen. Heisst dies, dass die Editionsarbeit in Sankt-Galler Archi-ven getan ist? Bei weitem nicht! Die Schwelle vom 14. zum 15. Jahrhundert ist ein Übergang; nach 1400 nimmt die schriftliche Überlieferung nicht nur im Be-reich der Urkunden, sondern auch in jenem der Rechts- und Verwaltungsschriftlichkeit massiv zu. Am Beispiel des Quellenbestands des Stadtarchivs St.Gallen kann dies gezeigt werden. Das früheste nebst den Urkunden erhal-tene Buch ist das erste Stadtbuch.8 Die ältesten Einträge darin gehen auf die Mitte des 14. Jahrhunderts zurück; um 1420 beginnt das zweite, 1508 das dritte und 1600 das vierte Stadtbuch. Das erste stellt einen Sammelband dar, in welchem nebst Satzungen Urkundenabschriften, Ver-pfändungen, Bussen, Abrechnungen von Steuer- und Un-geldeinnahmen sowie von Bauausgaben enthalten sind;

ediert sind nur die Satzungen. Eine Gesamtedition des ersten Stadtbuches erachte ich als Desiderat, weil genau diese Sammlung von thematisch unterschiedlichen Berei-chen Hinweise auf den Entwicklungsstand einer städti-schen Verwaltung gibt. Denn angesichts der Tatsache, dass serielle Quellen aus der städtischen Administration erst für die Zeit nach 1400 vorhanden sind – die einzigar-tige, bis 1798 reichende Reihe der Steuerbücher beginnt 14029, jene der Seckelamtsbücher 140510, die ersten separat geführten und in Buch- oder Heftform erhaltenen Bau-abrechnungen gehen auf 1419 zurück und die ersten Jahr-rechnungen auf 142511 – , ist anzunehmen, dass in der Zeit zwischen 1350 und 1420 die städtische Verwaltung ausge-

Dasälteste,bisindieZeitum1350

zurückreichendeundnurteilweise

edierteStadtsatzungsbuch.

FotoThomasRyser.

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12 Ziegler,Ernst:DasJahrzeitbuchimStadtarchiv,in:DieKirche

St.LaurenzeninSt.Gallen.ZumAbschlussderRestaurierung1963–

1979herausgegebenvonderEvangelisch-reformiertenKirchge-

meindeSt.Gallen,St.Gallen1979,S.47–64.

13 Sonderegger,Stefan:ZumeigenenundzumNutzenanderer.

Gedenkstiftungeninhoch-undspätmittelalterlichenSt.GallerUr-

kunden,in:Erhart,Peter/KuratliHüeblin,Jakob(Hg.):Bücherdes

Lebens–LebendigeBücher,KatalogzurgleichnamigenAusstellung

imRegierungsgebäudedesKantonsSanktGallen,St.Gallen2010,

S.226–233.

14 Brunold,Ursus/SaulleHippenmeyer,Immacolata:Jahrzeitbücher,

UrbareundRödelGraubündens,Bd. 1:DieKreiseDisentisundRuis,

Bd.2:DieKreiseIlanz,LugnezundTrins,Chur1999/2004.

15 AufderMaur,Franz:DasJahrzeitbuchderPfarrkircheSt.Martin,

Schwyz,Schwyz1999;AufderMaur,Franz:DasJahrzeitbuchder

PfarrkircheHl.Kreuz,Lachen,Schwyz2001.

baut wurde. Die vollständige Edition des ersten, um 1350 angelegten Stadtbuches wäre für die Verwaltungsge-schichte wertvoll, und zwar nicht nur für die lokale, son-dern auch für die allgemeine europäische Geschichte, weil Editionen regionale Vergleiche ermöglichen.

Zwei weitere, insbesondere für die Stadtgeschichte wich-tige Bücher im Stadtarchiv sind das Jahrzeitbuch der Kir-che St.Laurenzen und jenes von St.Mangen. Das im letz-ten Viertel des 14. Jahrhunderts angelegte Jahrzeitbuch der Stadtpfarrkirche St.Laurenzen enthält etwa 5 000 Ein-träge. Der weitaus grösste Teil davon besteht aus der Na-mensnennung eines Stifters oder einer Stifterin, allenfalls ergänzt durch die Erwähnung der geografischen Herkunft und des Berufs oder eines Amtes.12 Dies sind wichtige personengeschichtliche Informationen. Zudem stellen diese Jahrzeitbücher zusammen mit den Urkunden die Grundlagen für Untersuchungen des Stiftungswesens vom 13. bis zum 15. Jahrhundert dar. Mit dem momenta-nen Wissenstand kann Folgendes gesagt werden: Im Hochmittelalter und frühen Spätmittelalter überwogen noch Stiftungen an das Kloster St.Gallen. Doch bereits zu Beginn des 13. Jahrhunderts war dieses nicht mehr der al-leinige Ort des Totengedenkens. Hinzu kamen nebst dem Spital und dem Siechenhaus Kapellen und Kirchen in St.Gallen. Es ist von maximal 14 kirchlichen Institutionen die Rede; zu städtischen Pfarrkirchen mit einem weit über die Stadt reichenden Einzugsgebiet waren St.Laurenzen in unmittelbarer Nachbarschaft des Klosters und St.Man- gen in der nördlichen Vorstadt aufgestiegen. Aus den Jahrzeitbüchern von St.Laurenzen und St.Mangen wird ersichtlich, dass die Stadtbevölkerung ihre Jahrzeiten zu-nehmend in den beiden Stadtkirchen stiftete. Im 14. und 15. Jahrhundert haben die städtischen Pfarrkirchen im To-tengedenken das Kloster abgelöst. Die Jahrzeitbücher sind aber nicht nur für die Memoria-Forschung ergiebig, sondern auch für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte.13

Dies zeigen beispielsweise die reich kommentierten Edi-tionen aus den Kantonen Graubünden14 und Schwyz15.

Allerdings erachte ich bei der Edition von Jahrzeitbü-chern wegen der unzähligen, zeitlich unterschiedlichen Einträge und der vielen verschiedenen Schreiberhände, die nur schwer allein mit Anmerkungen zu behandeln sind, eine Abbildung ergänzend zur Textumschrift als zwingend.

Das grösste Desiderat sehe ich bei der Edition von Urkun-den des 15. Jahrhunderts und der Frühen Neuzeit. Die meisten Urkundeneditionen enden im ausgehenden 13. oder im 14. Jahrhundert. Das Chartularium Sangallense reicht vergleichsweise weit ins Spätmittelalter hinein (bis 1411) und wird durch eine von Otto P. Clavadetscher so-eben fertiggestellte Regestensammlung mit rund 3 000 Urkunden zwischen 1412 und 1463, die im «Urkunden-buch der Abtei Sanct Gallen» fehlen, ergänzt. Dass viele Urkundeneditionen bereits im 13. oder 14. Jahrhundert abbrechen, hängt unter anderem mit der massiven Zu-nahme der Urkundenproduktion bzw. -überlieferung im Spätmittelalter zusammen. Ein Beispiel: Das 1228 gegrün-dete Spital der Stadt St.Gallen verfügt über eine ausge-zeichnete Überlieferung von Urkunden, Akten und Zins-büchern. Die Urkunden der Lehenhöfe sind in separaten Archivschachteln abgelegt. Die Stichprobe bei einem Hof in der Rheintaler Gemeinde Berneck hat ergeben, dass für

DieabgebildeteSeitedesJahrzeitbuchesderKircheSt.Laurenzen

zeigtdievielenunterschiedlichenSchreiberhände,welchedie

Editionsarbeiterschweren.FotoThomasRyser.

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16 StadtarchivSt.Gallen,Spitalarchiv,Tr.B,12.

17 Bruggmann,Thomas:«Unserfruntlichwilligdienstzuovor».Nach-

richtenübermittlungzwischenKonstanzundSt.Gallen1451bis

1470.MiteinemAnhang:TranskriptionenderzwischenKonstanz

undSt.Gallenvon1451bis1470versandtenMissiven.Unpublizier-

teLizentiatsarbeitderUniversitätZürich,2010.ImFalleSt.Gallens

handeltessichbeimMissivenbestandumeingegangeneBriefe.

18 Sonderegger,Stefan:Politik,KommunikationundWirtschaftüber

denSee.ZudenBeziehungenimBodenseegebietimSpätmittelalter,

in:HeimatkundlicheBlätterfürdenKreisBiberach,Sonderheft

OberschwabenunddieSchweiz(I),Heft31,2008,S. 34–45.

die Zeit zwischen 1388 und 1577 62 Urkunden erhalten sind.16 Davon betreffen nur 24, also etwas mehr als ein Drittel, die Zeit vor 1520. Da die Urkundenedition in St.Gallen bis 1463 reicht, sind mehr als zwei Drittel nicht in einer Edition verfügbar. Das hat Folgen: Im Vergleich zum Mittelalter ist die Frühe Neuzeit in St.Gallen schlecht erforscht.

Die Situation wird dadurch noch verschärft, dass im Übergang vom Mittelalter in die Frühe Neuzeit ergän-zend zu Urkunden andere Quellen einsetzen, die nicht zur seriellen Verwaltungsschriftlichkeit (Rechnungen, Zinsbücher etc.) zählen. Ende des 14. Jahrhunderts taucht in der schriftlichen Überlieferung der eidgenössischen Städte und Länder ein neuer Quellentyp auf, der im 15. Jahrhundert massiv zunimmt: die Missiven.

In vielen Archiven lagern Tausende solcher Briefe, die ar-chivisch nur rudimentär oder gar nicht erschlossen sind. Dies hat dazu geführt, dass deren Inhalt bisher nur punk-tuell – beispielsweise für Forschungen im Bereich der Ge-schichte der Kommunikation – genauer betrachtet wur-de. Eine jüngst abgeschlossene Lizentiatsarbeit17 hat die zwischen Konstanz und St.Gallen in der Zeit von 1451 bis 1470 überbrachten Missiven untersucht. Inhaltlich de-cken diese Briefe ein breites Spektrum ab. Der grösste Teil der Briefe stammt nicht von offiziellen städtischen Stel-len, sondern wurde von einzelnen Bürgern angeregt. Pri-vatpersonen baten die Stadt um Unterstützung, beispiels-weise in gerichtlichen Auseinandersetzungen oder bei der Gewährung von Schutz gegen gewalttätige Übergriffe. Eine zweite Gruppe bilden Missiven, die von den Städten selbst ausgingen. Darunter befinden sich eigentliche Rechtshilfebegehren, Gesuche um Auslieferung von De-linquenten, Empfehlungsschreiben für Gewerbetreiben-de, die von einer Stadt zur anderen übersiedeln wollten,

sowie Schreiben im Zusammenhang mit dem Nahrungs-mittelaustausch über den Bodensee. Bemerkenswert ist, dass sich darunter auch Schreiben befinden, welche das Bewusstsein eines nachhaltigen Umgangs mit Ressourcen erkennen lassen, wie die Ankündigung eines Verbots des Fischfangs während der Laichzeit. Der grösste Teil der aus den Missiven zu schliessenden Kontakte der Stadt Kons-tanz konzentrierte sich auf ein Gebiet mit einem Radius von ungefähr hundert Kilometern. Die wichtigsten An-sprechpartner waren nebst St.Gallen Überlingen, Lindau, Ravensburg und Zürich. Bereits der aus einem kleinen Teil der rund 30 000 Missiven des Stadtarchivs St.Gallen gewonnene Eindruck zeigt, dass das Bodenseegebiet vor der Entstehung der Nationalstaaten im 19. Jahrhundert eine Region mit vielfältigem politischem und wirtschaft-lichem Austausch um und über den See war.18 Im Som-mer 2013 wird der Missivenbestand des Stadtarchivs mit Hilfe des internationalen Urkundenportals Monasteri-um.net digitalisiert. Das ist die Voraussetzung zur Prü-fung eines grenzüberschreitenden Editions- und For-schungsprojektes mit Beteiligung von deutschen und österreichischen Partnern. Mit der Edition von Urkunden und Missiven des Spätmittelalters und der Frühen Neu-zeit würde der Forschung Neuland erschlossen, das gross-flächig bebaut werden könnte – nicht nur in St.Gallen.

ImStadtarchivSt.Gallenbefindensichrund30000Missiven,dieim

Frühjahr2013digitalisiertwerden.FotoThomasRyser.

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Der frühmittelalterliche Urkundenbestand des Klosters St.Gallen stellt einen besonderen Glücksfall der Überlie-ferung dar. Keinem anderen Kloster ist es gelungen, zu-mindest rund 850 seiner als Einzelblätter produzierten Urkunden aus der Merowinger- und Karolingerzeit dau-erhaft zu archivieren. In den meisten anderen Klöstern entschloss man sich bereits im Mittelalter zur Anlage ei-nes Traditionsbuches oder Chartulars, das zwar die Ur-kunden in Form von Abschriften vereinte, aber stets den Verlust der Originale nach sich zog. Handelte es sich in diesen Fällen wohl meist um eine Vernachlässigung der Originale nach einer vermeintlichen Sicherung der Texte zwischen zwei Buchdeckeln, waren es im Kloster St.Gal-len innere und äussere Krisen, die wohl mehr als die Hälfte des ursprünglichen Urkundenbestandes unterge-hen liessen.1 Vor allem die Reformation brachte Verluste

mit sich, die nicht zuletzt dank des umsichtigen Abtes Pius Reher (1630–1654) eingedämmt werden konnten. Dass die frühen Urkunden hundert Jahre nach ihrer Ent-wendung sogar aus dem Nachlass des Sankt-Galler Ge-lehrten Bartholomäus Schobinger (1566–1604) zurückge-kauft wurden, zeigt den zunehmenden Schatzcharakter dieser schlichten Pergamentblätter auf.2 Es ist kaum ver-wunderlich, dass gerade unter Abt Pius Reher erstmals ein Mönch den Titel eines Archivars3 trug und die Druckle-gung der ältesten Schätze des Stiftsarchivs im Codex tra-ditionum Sancti Galli veranlasst wurde.4

Für seine Zeit erreichte dieses Editionsprojekt bei der Sammlung der Urkunden bis ins 17. Jahrhundert eine sel-tene Vollständigkeit, so dass auch alle folgenden Drucke ausgewählter Sankt-Galler Urkunden meist ohne Ein-sichtnahme in die Originale auf diesen Klosterdruck zu-rückgriffen. Erst in den 1840er-Jahren entstand im «Lite-rarischen Verein» in Stuttgart die Idee zu einer auch der Allgemeinheit zugänglichen Ausgabe des Codex traditio-

Editionsprojekte am Stiftsarchiv St.Gallen

Peter Erhart

StiftsbezirkSt.Gallen.FotoPhilippLehmann(2007).

AbtPiusReher(1630–1654).PorträtimBesitzdesKatholischen

KonfessionsteilsdesKantonsSt.Gallen

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1 Erhart,Peter:DemGedächtnisaufderSpur.Dasfrühmittelalterliche

ArchivdesKlostersSt.Gallen,in:MenschundSchriftimfrühenMit-

telalter.BegleitpublikationzurAusstellungdesStiftsarchivsSt.Gal-

len,23.September–12.November2006,hg.vonPeterErhartund

LorenzHollenstein,St.Gallen2006,S.59–65.

2 Erhart,Peter:…undmitalterbriefenurkund(doringemischlet)be-

stäht.DerfrühmittelalterlicheUrkundenschatzdesKlostersSt.Gal-

lenindenHändenVadians,in:VadianalsGeschichtsschreiber,hg.

vonRudolfGamper(Vadian-Studien17),St.Gallen2006,S.69–98.

3 PaterChrysostomusStipplin,belegtalsArchivarzwischen1639

und1672.

4 StiftsarchivSt.Gallen,Bd.61.

5 Vgl.zusammenfassenddieEinleitungeninUrkundenbuchderAbtei

SanctGallenI,hg.vonHermannWartmann,Zürich1863,S.V–XVII,

undChartulariumSangallense,Bd.III,bearb.vonOttoP.Clavadet-

scher,St.Gallen1983,S.IX.

6 Hidber,Basilius(Hg.):SchweizerischesUrkundenregister,Bd.1,

Heft1,S.XVI.

7 Vgl.Urkundenbuch(wieAnm.5),S.XIII.

8 Hertenstein,Bernhard:JoachimvonWatt(Vadianus),Bartholomäus

Schobinger,MelchiorGoldast.DieBeschäftigungmitdemAlthoch-

deutschenvonSt.GalleninHumanismusundFrühbarock.Berlin,

NewYork1975(DasAlthochdeutschevonSt.Gallen,Bd.3).

9 Goldast,Melchior:Alamannicarumrerumscriptoresaliquotveteres

1–3,Frankfurt1606,Neudruck1730.

num. Erste von Heinrich Hattemer (1809–1849) geleistete Vorarbeiten gelangten durch Kauf an die Brüder Fried-rich und Georg von Wyss in Zürich, die im Auftrag der dortigen «Antiquarischen Gesellschaft» die Edition in Angriff nahmen. Es blieb allerdings bei den ersten 1852 gedruckten sieben Bogen, da beide durch anderweitige Geschäfte gefordert waren.5

Das «Urkundenbuch der Abtei Sanct Gallen»

«Endlich glückte es auch in St.Gallen einen Mitarbeiter zu gewinnen. Hr. Dr Hermann Wartmann, so eben von der antiquarischen Gesellschaft in Zürich mit der Heraus-gabe der stiftsanctgallischen Urkunden betraut, entsprach (Ende Sept. 1861) der Bitte um Mithülfe zur Ausbeutung des sanctgallischen Stiftsarchivs, des an älteren Urkunden reichsten Archives der Schweiz, das selbst sein langjähri-ger und verdienstvoller Verwalter, Stiftsarchivar Wegelin sel. nicht zu registriren wagte. Gewiss durfte Wegelin die Arbeit als zu gross erscheinen; denn nach einer keineswegs auf Genauigkeit Anspruch machenden Berechnung des unterzeichneten Redaktors gibt es für den Zeitraum vom J. 700–1000 über 800 stiftsanctgallische Urkunden, wäh-rend in den meisten Archiven der Schweiz keine oder nur sehr wenige auf diese Zeit bezügliche Urkunden sich fin-den.»6 Mit grossem Interesse verfolgte der aus Mels gebür-

tige und in Bern tätige Historiker Basilius Hidber (1817–1901) die Arbeiten am neuen «Urkundenbuch der Abtei Sanct Gallen», arbeitete er doch gleichzeitig an einem ge-samtschweizerischen Urkundenregister. Erst dank Ein-sicht in die ersten Korrekturbögen des Urkundenbuchs konnte Basilius Hidber das erste Heft seines bis zum Jahr 866 reichenden Urkundenregisters fertigstellen, so dass beide Urkundensammlungen im Jahr 1863 veröffentlicht wurden.

Die Bremer Urkunden

Die gegenseitige Unterstützung der beiden Grossunter-nehmen zeigt sich an jener Episode, als es Hidber durch Vermittlung des Bundesrates gelang, die in Bremen auf-bewahrten rund 50 Sankt-Galler Traditionsurkunden vorübergehend in die Schweiz zu holen.7 Es war sein Göt-tinger Lehrer Georg Waitz, der Wartmann auf diesen Restbestand an Sankt-Galler Originalurkunden in der Stadtbibliothek Bremen aufmerksam gemacht hatte. Die-se waren um 1600 in die Hände des später nach Bremen umgezogenen Thurgauer Humanisten Melchior Goldast gelangt.8 Einen Teil druckte Goldast 1606 in seinen Scrip-tores Rerum Alamannicarum ab, so dass auch der Codex traditionum 1645 diese Texte übernehmen konnte.9 Her-mann Wartmann reiste 1859 offenbar selbst nach Bremen, um sich «an Ort und Stelle von ihrem Vorhandensein und ihrer Zugänglichkeit» zu überzeugen. Aber erst sein Stu-dienkollege Ernst Götzinger (1837–1896) leistete ihm in den Herbstferien des Jahres 1859 einen «ächten Freund-

HermannWartmann,derersteBearbeiterdesSankt-Galler

Urkundenbuchs.FotoKantonsbibliothekVadiana,St.Gallen.

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schaftsdienst», indem er die Sankt-Galler Urkunden in Bremen abschrieb, während Wartmann wieder «von Göt-tingen in die Heimat zurückeilte». Dank Hidber konnte Wartmann die Urkunden aber schliesslich noch «in aller Musse» in Bern einsehen.10 Erst 1946 gelang es Stiftsarchi-var Paul Staerkle, die Bremer Urkunden wieder in den Besitz des Stiftsarchivs zurückzuführen, wo sie heute noch

als Reminiszenz an diese 350 Jahre dauernde Episode die Signaturen «Bremen 1–52» tragen.11

Das «vortreffliche Urkundenbuch der Abtei St.Gallen»12

fand in Hermann Wartmann einen unermüdlichen Bear-beiter, der innerhalb von drei Jahren 1863 und 1866 mit 805 Urkundentexten zwei Bände mit beinahe dem gesam-

Was Rechtsquelleneditionen dem Historischen Lexikon der Schweiz (HLS) nützenAnne-Marie Dubler

Ohne die wohlerschlossenen Rechtsquelleneditionen der SSRQ wären HLS-Artikel inhaltlich weniger kenntnisreich und konkret, und zwar nicht nur bei Themen im Grenzbe-reich der historisch-juristischen Forschung mit Artikeln wie u. a. Herrschaftsrechte, Stadtrechte, Landrechte. Ob von der Herrschaft erlassen, vom Gericht gesprochen oder in städti-schen oder ländlichen «Gemeinden» vereinbart, bestimm-ten vom Mittelalter an Regelwerke die alltäglichen Lebens-bereiche der Bevölkerung, so etwa im Schuld- und Kon- kursrecht oder im Ehe- und Erbrecht. Die Städte regle- mentierten ihre Märkte und das Handwerk, die Dörfer ihre Acker-, Weide- und Waldwirtschaft. Auch lässt sich die Sied-lungsentwicklung in den Quellen konkret verfolgen: Bauvor-schriften etwa enthielten Begrenzungen des Baugrundes und Siedlungsareals, die das Erscheinungsbild von Städten und Dörfern teils bis ins 20. Jahrhundert prägten. Die Reg-lementierung der Flussnutzung formte ganze Flussland-schaften zu flussübergreifenden Lebens- und Rechtsräu-men, wie unser Beispiel des Reusstals am Unterlauf der Reuss von Luzern bis zur Einmündung in die Aare bei Win-disch zeigt: Geregelt wurde die Schifffahrt im Längsverkehr als «freie Reichsstrasse» für den Schiffstransport von Luzern zum Rhein, aber auch die Querschifffahrt mit Fähren, als äl-teste jene von Lunkhofen, Windisch und Sins. Nur wenige Reussbrücken ersetzten oder konkurrenzierten die Fähren, mittelalterliche in den Städten Luzern, Bremgarten und Mel-lingen, jüngere der Stadt Luzern in Gisikon und der Stadt Zug in Sins. Die Herrschaftsgewalt Habsburg-Österreichs über den Fluss erstreckte sich auf beide Ufer. Erst unter den Eidgenossen wurde der Fluss zur Vermeidung von Grenzkon-flikten zur Grenze, so 1429 zwischen Luzern und Zürich. Schifffahrt, Fähren und Brücken hatten Monopolcharakter und den Transitverkehr im Visier. Die Bevölkerung der Taldör-fer umging die zollpflichtigen Brücken und Fähren. Da die Areale der Dörfer beidseits der im Talboden mäandrierenden Reuss lagen, war der Fluss nirgends Ortsgrenze. Bauern be-nützten für die Bestellung ihrer Äcker und Berufsfischer für ihre Fischfache (Flechtwerke für den Fischfang) Weidlinge (Kleinboote); trotz Verbot betätigten sich Fischer wie Bauern auch als Fährleute.Zur Reuss bis 1798: Sammlung Schweizerischer Rechtsquel-len, XVI. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Aargau,

Zweiter Teil: Rechte der Landschaft, Band 9: DieFreienÄm-terII:DieLandvogteiverwaltung1712bis1798. DieReußbis1798 von Jean Jacques Siegrist und Anne-Marie Dubler, Ba-sel 2006 (SSRQ AG II/9), S. 435–585.

DieReussvonLuzernbiszurAarebeiWindisch:Flussorte,Fähren und Brücken vor 1800. Aus: Dubler, Anne-Marie:ReusstalundReussalsKommunikations-undLebensraum,Bern2008,in:WegeundGeschichte,HeftWegeundGe-wässer;HLS-ArtikelReuss.

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10 BeideZitateinUrkundenbuchderAbteiSanctGallenI(wieAnm.5),

S.XIII.

11 Elmshäuser,Konrad:«EinrostenderSchatz».DieRestitutionder

St.GallerTraditionsurkunden,in:BeiträgezurBremischenGeschich-

te.FestschriftHartmutMüller,hg.vonAdolfHofmeister,Bremen

1998(VeröffentlichungenausdemStaatsarchivderFreienHanse-

stadtBremen,Bd.62),S.13–50.

12 Hidber(wieAnm.6),S.XVI.

13 Waitz,Georg:BesprechungWartmannT.IundSchweizerischesUr-

kundenregister1.1,in:GöttingischeGelehrteAnzeigen1863,Stück

47,S.1852–1864,bes.S.1858ff.;Pertz,Karl:BesprechungWart-

mannT.I,in:HistorischeZeitschrift11,1864,S.423-426.

14 Noch1981erschienimFrankfurterMinervaVerlageinunveränder-

terNachdruck.Vgl.Borgolte,Michael:KommentarzuAusstellungs-

daten,Actum-undGüterortenderälterenSt.GallerUrkunden,

in:SubsidiaSangallensiaI.MaterialienundUntersuchungenzuden

VerbrüderungsbüchernundälterenUrkundendesStiftsarchivs

St.Gallen,hg.vonMichaelBorgolte,DieterGeuenichundKarl

Schmid,St.Gallen1986(St.GallerKulturundGeschichte16,

St.Gallen1986),S.323–475,bes.S.323–329.

15 Vgl.dieEinleitungdesChartulariumSangallense(wieAnm.5).

16 Borgolte,Michael:ChronologischeStudienandenalemannischen

UrkundendesStiftsarchivsSt.Gallen,in:ArchivfürDiplomatik24,

1978,S.54–202.

17 SubsidiaSangallensiaI(wieAnm.14),S.7f.

18 Borgolte,Michael:GeschichtederGrafschaftenAlemanniensin

fränkischerZeit,Sigmaringen1984(VorträgeundForschungen,

Sonderband31);Ders.:DieGrafenAlemanniensinmerowingischer

undkarolingischerZeit.EineProsopographie,Sigmaringen1986

(ArchäologieundGeschichte2).

19 UrkundenbuchdesKlostersSanktBlasienimSchwarzwald.Vonden

AnfängenbiszumJahr1299,bearb.vonJohannWilhelmBraun,

Stuttgart2003(VeröffentlichungenderKommissionfürgeschichtli-

cheLandeskundeinBaden-Württemberg,ReiheA,Bd.23,TeilII),

S.11.

20 McKitterick,Rosamond:TheCarolingiansandtheWrittenWord,

Cambridge1989;Dies.:SchriftlichkeitimSpiegelderfrühenUrkun-

denSt.Gallens,in:DasKlosterSt.GallenimMittelalter.Diekulturelle

Blütevom8.biszum12.Jahrhundert,hg.vonPeterOchsenbein,

Stuttgart1999,S.69–82.

21 Erhart,Peter/Kleindinst,Julia:UrkundenlandschaftRätien,Wien

2004(ForschungenzurGeschichtedesMittelalters,Bd.7).

22 ChartaeLatinaeAntiquiores.Facsimile-editionofthelatincharters.

2ndseries,ninthcentury100–105.SwitzerlandIII–VIII:SanktGallen

I–VI,bearb.vonPeterErhart,BernhardZeller,KarlHeidecker,hg.

vonGuglielmoCavallo,GiovannaNicolaj,Dietikon-Zürich

2006–2012.

ten Urkundenbestand der Merowinger- und Karolinger-zeit veröffentlichte. Einzelne später entdeckte Urkunden aus der Zeit vor 920 fanden in den Anhängen der 1874 und 1892 erschienenen Bände III und IV des Urkunden-buchs Platz. Die Verlässlichkeit dieses Urkundenbuchs zeigte sich nicht nur an den Reaktionen von Fach- kollegen,13 sondern vor allem in seiner langen Benut-zungsgeschichte, die erst in den 1980er-Jahren den Plan für eine kritische Neuedition des «Wartmann» aufkom-men liess.14

Chartae Latinae Antiquiores

Bereits während der Vorbereitung eines neuen Urkunden-buchs für das Gebiet des heutigen Kantons St.Gallen (mit Ausnahme der südlichen Teile) war entschieden worden, die Neubearbeitung von Teil I und II des «Wartmann» zunächst zurückzustellen und das neue Langzeitprojekt «Chartularium Sangallense» 1983 mit Band III zu begin-nen.15 Trotz der bereits von Michael Borgolte geleisteten Vorarbeiten über Datierung und Schreiber,16 konnte für die Urkunden vor dem Jahr 1000 kein Bearbeiter gefun-den werden. 1985 bezeichnete der damalige Stiftsarchivar Werner Vogler «eine moderne, kritische Neuedition» des frühen Urkundenbestandes «angesichts seiner Bedeu-tung, der Rarität seiner gesamtalemannischen Bezüge» zwar als eine «dringende Notwendigkeit»,17 doch endete bereits im darauffolgenden Jahr mit den «Grafen Aleman-niens» eine Reihe von verheissungsvollen «Vorarbeiten» zu den Bänden «Chartularium I–II».18

Editionsunternehmen können den «Grossteil eines For-scherlebens» beanspruchen, «ohne es beruflich zu för-dern».19 Tatsächlich wagte sich in den folgenden Jahr-zehnten niemand mehr an eine Neuedition der Sankt-Galler Urkunden, obwohl sie im wissenschaftli-chen Diskurs um die Verbreitung von Schriftlichkeit in der Karolingerzeit weiterhin eine eminente Rolle spiel-ten.20 2004 erschien die «Urkundenlandschaft Rätien», eine diplomatische Untersuchung und Neuedition von rund 50 rätischen Urkunden, die im Stiftsarchiv aufbe-wahrt werden.21 Ebendort begannen 2003 die Arbeiten an einer Neuedition aller Urkunden des 9. Jahrhunderts für die Reihe der «Chartae Latinae Antiquiores». Diese bietet dem Benutzer neben Vollregest, Volltextedition und Fak-simile in Originalgrösse einen ausführlichen Kommentar zum verwendeten Pergament, der Schrift und ihrem Schreiber, den Personen und Orten der Handlung sowie eine Übersicht über bisherige Editionen, Regesten und eine Bibliographie. Dank einer engen Kooperation mit der Universität Groningen (Karl Heidecker) und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Bern-hard Zeller) ist bereits die Hälfte der geplanten zwölf Bände erschienen.22 2020 wird mit 120 Bänden eine welt-

weite Reihe beendet, die Albert Bruckner 1954 in der Schweiz mit den Urkunden des Klosters St.Gallen begon-nen hatte.

Chartularium Sangallense

Trotz allem liefen parallel am Stiftsarchiv stets auch die Arbeiten am «Chartularium Sangallense». Der für 2013 vorgesehene erste Band umfasst wie bei Wartmann die Urkunden von den Anfängen der Galluskirche um 700 bis zum Tod Ludwigs des Frommen im Jahr 840. Der

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28

23 Ferrari,Michele(Hg.):VilguoteBuecherzuoSantOswalden.Die

PfarrbibliothekinZugim15.und16.Jahrhundert,Zürich2003.

zweite Band hingegen endet nicht 920, sondern erst im Jahr 1000 mit annähernd den von Otto P. Clavadetscher errechneten 870 Urkundennummern. Im Unterschied zum «Wartmann» wird erstmals das gesamte Urkunden-material dieser Zeit ediert, d. h. auch jene Urkunden, die in zweifacher Ausfertigung vorhanden sind. Neben dem absolut korrekten Text liegt das Augenmerk vor allem auf einer vollständigen Revision der bisherigen Datierungen von Wartmann und Borgolte. Die Urkundentexte werden zudem durch ein Namenregister und ein Wort- und Sach-register erschlossen. Erfreuliche Neufunde sind ebenfalls zu verzeichnen: Michele C. Ferrari entdeckte bei der Er-schliessung der Zuger Pfarrbibliothek in Bucheinbänden Originalurkunden des 9. Jahrhunderts, die aufgrund des eruierten Schreibers Notker Balbulus einen direkten Be-zug zum Kloster St. Gallen aufweisen.23

Die Herrschaft des Abtes

Von den Rechtsquellen der Fürstabtei St.Gallen sind in der «Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen» bisher die Off-nungen und Dorfrechte der Alten Landschaft und des Tog-genburgs sowie die allgemeinen Rechtsquellen der Alten Landschaft erschienen. Zur Bearbeitung der ersten Reihe mit den die Gesamtherrschaft und die staatsrechtliche Stellung der Fürstabtei betreffenden Texten kam es trotz der Editi-onspläne von 1974 bisher noch nicht. Nun laufen im Stifts-archiv Vorbereitungen für einen Band, der diese Lücke füllen soll. Dieser soll die Verträge des Klosters mit den eidgenös-sischen Schirmorten, den im Thurgau regierenden Ständen der Eidgenossenschaft, der Stadt St.Gallen, dem Land Ap-penzell und dem Hochstift Konstanz beinhalten.

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29

1 SammlungSchweizerischerRechtsquellen(SSRQ),XIV.Abteilung:

DieRechtsquellendesKantonsSt.Gallen,DritterTeil:DieLandschaf-

tenundLandstädte,Band2:DieRechtsquellendesSarganserlandes

vonSibylleMalamudundPascaleSutter,Basel2013(SSRQSGIII/2).

Der Rechtsquellenband Sarganserland befasst sich mit dem historischen Sarganserland, d. h. der ehemaligen Grafschaft Sargans bzw. ab 1483 der eidgenössischen Landvogtei Sargans, wozu auch die heute zu Werdenberg gehörende politische Gemeinde Wartau zählt. Das Sammeln, die Herausgabe und das Auswerten von Rechts-quellen eröffnen der Forschung neue Sichtweisen in his-torischen Einzelfragen (s. auch die weiteren Artikel in diesem Neujahrsblatt), aber auch eine Neubewertung grösserer Gebilde, beispielsweise des Sarganserlandes.

Im Folgenden wird verdichtet die Geschichte des Sargan-serlandes bis 1798 skizziert, und zwar nach den neuesten Erkenntnissen der Rechtsquellensammlung Sarganser-land. Am Anfang steht die Darstellung der Landesherr-schaft der Grafschaft bzw. Landvogtei Sargans. Danach wird auf die historische Entwicklung der einzelnen Herr-schaften Walenstadt, Tscherlach, Flums-Gräpplang, Nid-berg-Mels, Sargans, Freudenberg, Pfäfers und Wartau eingegangen. Auf die Beschreibung der Herrschafts-, Ver-waltungs- und Gerichtsstrukturen wird hier aus Platz-gründen verzichtet und auf die Einleitung des Rechts-quellenbandes verwiesen.1

Die Grafschaft Sargans

Das Territorium der späteren Herrschaft oder Grafschaft Sargans war ursprünglich Teil der Grafschaft Unterrätien und bestand aus verschiedenen lokalen Grund- und Ge-richtsherrschaften mit wechselnden Herrschaftsträgern, auf die weiter unten eingegangen wird (vgl. Karten 1 und 2). Nach verschiedenen Besitzteilungen entstand im 13. Jahrhundert die Grafschaft Sargans, deren Landesho-heit den Grafen von Werdenberg-Sargans, einem Zweig des Vorarlberger Adelsgeschlechts der Monforter, gehör-te (vgl. Stammbaum). Bis zum Kauf der Grafschaft 1483 durch die Eidgenossen wechselte die Grafschaft mehrmals ihren Besitzer. Ende des 14. Jahrhunderts wur-de sie an die Habsburger verpfändet. 1406 verliehen die Habsburger Walenstadt, Nidberg, Freudenberg und die Grafschaft Sargans an Friedrich VII. von Toggenburg. Nach dessen Tod im Jahr 1436 fiel die Grafschaft an die Habsburger zurück, die sie kurz darauf den Grafen von Werdenberg-Sargans weitergaben. Zur gleichen Zeit ver-bündeten sich die Sarganserländer zu einer Landgemein-

Die Rechtsquellen des Sarganserlands

Sibylle Malamud und Pascale Sutter

St. MartinGigerwald

Vild

Weisstannen

FlumsOberterzen

QuartenMurg Mols

Quinten

Unterterzen

Walenstadt

Tscherlach

Berschis

MelsSargans

Wangs Vilters

Ragaz

Pfäfers

Valens

Vasön

Vättis

Azmoos

Malans

Oberschan

Gretschins

Sevelen

Buchs

Vaduz

Triesen

Balzers

Maienfeld

Zizers

Rhein

Seez

Tamina

Tam

inaSeez

Schi

ls

Murg

bach

Linth

Sernf

Lin

th

We

is

st

a

nn

en

ta

l

KunkelspassRhein

Chur

Kloster Pfäfers Wartenstein

Freudenberg

SargansNidberg

Wartau

Werdenberg

Flums-Gräpplang

Bommerstein

Karte 1: Karte der Grafschaft Sargans und der Hochgerichte im Sarganserland (2. Hälfte 15. Jh.)

0 5 kmN

Hochgericht der Grafschaft /

Landvogtei Sargans

Hochgericht des Klosters Pfäfers

und der Herrschaft Freudenberg

Heutige Landesgrenze

Burg

Kloster

Weisstannen

FlumsOberterzen

QuartenMurg Mols

Quinten

Unterterzen

Walenstadt

Tscherlach

Berschis

Mels Sargans

Wangs Vilters

Ragaz

Pfäfers

Valens

Vasön

Vättis

Azmoos

Malans

Oberschan

Gretschins

Sevelen

Buchs

Vaduz

Triesen

Balzers

Maienfeld

Zizers

Rhein

Seez

Tam

inaSeez

Schi

ls

Murg

bach

Linth

SernfW

ei

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nn

en

ta

l

KunkelspassRhein

Chur

Kloster Pfäfers Wartenstein

Freudenberg

SargansNidberg

Wartau

Werdenberg

Flums-Gräpplang

Bommerstein

St. MartinGigerwald

Vild

Tamina

Karte 2: Karte der Niedergerichte in der Grafschaft Sargans (Mitte 15. Jh.)

0 5 kmN

Niedergericht der

Flums-GräpplangHerrschaft

Niedergericht der Herrschaft

Windegg / Landvogtei Gaster

Niedergericht der

Herrschaft Tscherlach

Niedergericht der

Herrschaft Nidberg

Niedergericht der

Herrschaft Wartau

Niedergericht der

Herrschaft Freudenberg

Klosterherrschaft Pfäfers

Walsergericht

Stadtgericht

Grenze historisches

Sarganserland

Heutige Landesgrenze

Burg / Kloster

KartederGrafschaftSargansundderHochgerichteimSarganser-

land(2.Hälfte15.Jahrhundert).

KartederNiedergerichteinderGrafschaftSargans

(Mitte15.Jahrhundert).

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30

2 «Landgemeinde»wirdfürdasganzeSarganserlandfürdenZusam-

menschlussderLandleute,«Kirchgenossenschaft»fürdieNutzungs-

genossenschafteinesKirchspielsund«Nachbarschaft»oderDorfge-

meindefürdieNutzungsgenossenschaftenvonDörfern,Weilern

undHöfenverwendet.

3 SSRQSGIII/2,Nr.2;5;Rigendinger,Fritz:DasSarganserlandim

Spätmittelalter.LokaleHerrschaften,dieGrafschaftSargansunddie

GrafenvonWerdenberg-Sargans,Zürich2007,S.137–162.

–ZurGenealogievgl.Gabathuler,Heinz:DerVaterHartmanns,des

erstenGrafenvonVaduz,in:JahrbuchdesHistorischenVereinsfür

dasFürstentumLiechtenstein109/2010,S.213–220;Krüger,Emil:

DieGrafenvonWerdenberg-HeiligenbergundvonWerdenberg-Sar-

gans,in:MitteilungenzurVaterländischenGeschichte(MVG)22,

1887,S.109–398undI–CLIII.

4 SeitentaldesRheintals,beginntflussabwärtsbeiBludenzundendet

inderFelsenauvorFeldkirch(Vorarlberg);vgl.http://de.wikipedia.

org/wiki/Walgau.

5 SSRQSGIII/2,Nr.7;Rigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),S.145,

153,163–164,172,186;Gabathuler:Hartmann(wieAnm.3).

6 NachHeinzGabathulerhandeltessichbeiRudolfIII.undRudolfIV.

umzweiPersonen,nichtaberumHalbbrüder.DieLebensdatenaller

RudolfevonWerdenberg-Sarganslassenvermuten,dassder1361

verstorbeneRudolfIV.nichtderSohndesum1260geborenen

RudolfsII.undderum1305volljährigeRudolfII.nichtderBruder,

sondernderVaterdes1337verheiratetenRudolfsIV.gewesensein

muss(Gabathuler:Hartmann[wieAnm.3].Vgl.dazuauchSSRQ

SGIII/2,Nr.9und12;Rigendinger:Sarganserland[wieAnm.3],

S.173–180;Sablonier,Roger:GrafHartmannsolzetailwerden

Vadutz.DerWerdenbergerTeilungsvertragvon1342,in:Jahrbuch

desHistorischenVereinsfürdasFürstentumLiechtensteinJBL

92/1994,S.15).

7 Rigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),S.173–180,186–187.

de2, und das Sarganserland wurde in die Wirren um das Toggenburger Erbe verwickelt. Danach wurden die alten Zustände wieder hergestellt, bis 1460 Uri, Schwyz und Glarus Walenstadt, Nidberg und Freudenberg eroberten

und 1462 unter die Verwaltung der sieben Orte stellten. 1483 wurde die Grafschaft von den sieben eidgenössischen Orten gekauft, unter deren Landeshoheit sie als Landvog-tei Sargans bis 1798 verblieb.

Um 1230 baute Hugo I. von Montfort (1188–†1234/1237) Sargans und Werdenberg wohl für seine Söhne Rudolf I. (1230–†1243/1245) – den Stammvater der späteren Grafen von Werdenberg-Heiligenberg und von Werdenberg-Sar-gans – und Hugo II. (1237–†1257) zu neuen Herr-schaftszentren aus und versuchte dadurch den südlichsten Teil der ehemaligen Grafschaft Unterrätien, darunter auch die Rechte und Güter im Sarganserland, zu sichern. Die erste Nennung des Grafentitels von Sargans erfolgte 1248. Die Söhne Rudolfs I., Hugo I. (1253–†1280) und Hartmann I. (1254–†1265/1271), führten den Herrschafts-ausbau gemeinsam fort. 1265 scheint die Trennung der Grafen von Montfort und Werdenberg nach diversen Konflikten endgültig vollzogen.3

Hartmanns Sohn, Rudolf II. (1271–†1322/1323), der Be-gründer der Linie von Werdenberg-Sargans, übernahm nach 1280 den grösseren Teil der Grafschaft Werdenberg, nämlich die um 1282 erstmals urkundlich belegte Burg Sargans und die Rechte in Sargans, Vaduz und Walgau4. 1285 wurde Rudolf II. erstmals mit dem Zusatz «von Sar-gans» betitelt, und ab 1288 fand sich Rudolf II. wiederholt im königlichen Gefolge.5

Um 1322/1323 übernahmen Heinrich I. (1307–†1332/1334) und Rudolf III. (1305–†1325/1326) von Werdenberg-Sar-gans – die Söhne Rudolfs II. – die Herrschaft, wobei Heinrich Ende der 1320er-Jahre den Schwerpunkt auf den oberschwäbischen Besitz legte. Deshalb verwalteten Hart-mann III. (1324–†1354) und sein Bruder Rudolf IV. (1326–†1361), wohl die Söhne von Rudolf III.,6 nach dem Tod ihres Vaters 1325/1326 die rätischen Besitzungen. Sie ver-bündeten sich 1333 mit Albrecht I. von Werdenberg-Hei-ligenberg, dem Bischof von Chur und anderen Mitstrei-tern gegen den mächtigen Freiherren Donat von Vaz und besiegten ihn 1335 in der so genannten Vazer Fehde. Unter diesem Konflikt litten auch die Besitzungen des Klosters Pfäfers. Anfang des 14. Jahrhunderts bauten die Habsbur-ger ihre Herrschaft auf Windegg, am Walensee und auf Gutenberg aus, während die Grafen von Werdenberg-Hei-ligenberg 1320 die Herrschaft Freudenberg übernahmen.7

Graf Hartmann III. von Werdenberg Sargans schenkte am 10. August 1337 seinem Bruder Rudolf IV. Burg und Stadt Sargans mit allen dazugehörenden Rechten als Si-cherheit für die Morgengabe der Ehefrau Rudolfs, der jüngeren Erbtochter Ursula von Vaz. Dafür erhielten die Brüder 1338, nach dem Tod des Donat von Vaz, dessen bischöfliche Lehen und die Grafschaft Laax. Nach der Heirat Hartmanns und der Rückgabe der Burg Warten-

StammbaumderGrafenvonWerdenberg-Sargans(nachKrügerundGabathuler).

Rudolf II.1271–†1322/23

∞ Burgau

Rudolf III.1305–†1325/26

Rudolf IV.1326–†1361

∞ Vaz

Rudolf VI.1380–†1435/42

Probst Chur

Rudolf VII.1417–1434(Löwenberg)

Johann I.1361–†1400∞ Rhäzüns

Georg (Jörg)1444–†1504∞ Rhäzüns

∞ Sonnenberg

Wilhelm1444–1474∞ Staufen

Johann II.1393–1405

Hugo II.1393–†1421/22

Heinrich II.1393–1448∞ Matsch

Elisabeth1405∞ Sax

Margareta1326–1358

Heinrich I.1307–†1332/34∞ Württemberg

Hartmann III.1324–†1354∞ Feldkirch

Hartmann I.1254–†1265/71

∞ Kraiburg

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31

8 SSRQSGIII/2,Nr.12;14;23;Rigendinger:Sarganserland(wie

Anm.3),S.191–203.

9 SSRQSGIII/2,Nr.25;30–32;Graber,Martin:DieBurgWartau.

Baubeschreibung,Geschichte,RechteundBesitzungen,Urkunden-

sammlung,Buchs2003,S.51;Rigendinger:Sarganserland(wie

Anm.3),S.261–276.

10 Vgl.SSRQSGIII/2,Nr.30,Bem.4;Rigendinger:Sarganserland

(wieAnm.3),S.294–299.–ZurListederVögtebzw.Ammänner

vgl.Rigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),S.407–408;

409–416.MartinGraberistderAnsicht,dassdieHerrschaftWartau

1402nichtinösterreichischeHandwechselte(Graber:Wartau

[wieAnm.9],S.52–53).

11 SSRQSGIII/2,Nr.34;40;Rigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),

S.307–328.

12 SSRQSGIII/2,Nr.47–50;Rigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),

S.313–314,331–355;Rigendinger,Fritz:«Irhertzundsinnstuond

fastgenZürich».DerAlteZürichkriegausderregionalenPerspekti-

vedesSarganserlandes,in:Ein«Bruderkrieg»machtGeschichte.

NeueZugängezumAltenZürichkrieg,(MitteilungenderAntiquari-

schenGesellschaftinZürich73)2006,S.114–115.–MitdemEr-

werbdesPfandesFlumsverfügteZürichab1419übereinenfesten

StützpunktaufdemWegnachChursowieüberdasZentrumder

Eisenverhüttung.ZürichtratdamitinKonkurrenzmitdenOrtenUri,

SchwyzundGlarus,dieihrerseitsInteressenamSarganserlandan-

meldeten.DieseKonkurrenzsituationführteschliesslichzumBünd-

nisZürichsmitderLandgemeindeundzurUnterstützungdes

GrafenHeinrichII.durchSchwyzundGlarus.

stein ans Kloster Pfäfers teilten am 3. Mai 1342 die Brüder die Grafschaft, wobei Rudolf die Herrschaft Sargans, die Schirmvogtei Pfäfers, die Freien von Laax, das Vazer Erbe seiner Frau sowie die linksrheinischen Besitzungen er-hielt, Hartmann dagegen die Grafschaft Vaduz gründete. Zur Konsolidierung der Herrschaft Sargans trugen die quellenmässig kaum fassbaren Einkünfte grund- und gerichtsherrlicher Natur, der Verkauf von umstritte- nen Rechtsansprüchen, das Militärunternehmertum im Dienste Habsburg-Österreichs und die Schirmvogtei über Pfäfers bei.8

Mit der Herrschaftsübernahme Herzog Rudolfs IV. von Habsburg-Österreich im Juli 1358 intensivierte sich die österreichische Territorialpolitik in der Ostschweiz; die Walenseeroute und die Bündner Pässe und damit die Grafschaft Sargans gerieten ins Blickfeld. Die Herrschaft Habsburg-Österreich verbündete sich mit Chur und Zü-rich, kam in Besitz der Herrschaft Windegg, wozu auch die Niedergerichtsbarkeit von Walenstadt mit den umlie-genden Höfen und die Gerichtsrechte in Quarten zähl-ten. 1363 erwarben die Habsburger zudem die Herrschaft Nidberg.

Als Landesherr spielte Graf Johann I. von Werdenberg-Sargans (1361–†1400) eine wichtige Rolle, zum Beispiel als Richter, im frühesten überlieferten Sarganserländer Alp-brief. Auch befand er sich 1369–1388 wiederholt im Sold-dienst der Herzöge von Habsburg-Österreich. Zudem versuchte er, die Grafschaft Vaduz an sich zu bringen so-wie – zusammen mit seinem Cousin Bischof Hartmann – sich gegen die von Werdenberg-Heiligenberg durchzu-setzen. Wegen der aus verschiedenen Fehden resultieren-den Verschuldung verpfändeten die Grafen von Werden-berg-Sargans die Grafschaft Sargans 1396 an Habsburg- Österreich und wichen auf ihre Bündner Besitzungen (Ortenstein, Schams) aus.9

Um die Besitzungen vor Ort zu verwalten, setzte Herzog Leopold IV. im Oktober 1396 einen Vogt ein, der als sein Stellvertreter auf der Burg Sargans residierte, und über-nahm einen einheimischen, begüterten Ammann. Hans von Wartau, der erste Ammann, der schon zur Grafenzeit diente, war 1404 auch Ammann von Nidberg. Als höchs-ter Amtmann sass er dem Gericht vor. Zugleich baute die Herrschaft Habsburg-Österreich ihren Pfandbesitz im Sarganserland auf Kosten der Werdenberger 1402 mit dem Erwerb von Freudenberg aus. Damit waren das Sarganserland und Windegg fast vollständig in habs- burgischer Hand und bildeten eine landesherrliche Ein-heit.10

Während der Appenzeller Kriege (1401–1429), am 12. Mai 1406, verpfändeten die Herzöge von Habsburg-Öster-reich dem Grafen Friedrich VII. von Toggenburg für seine

geleisteten Kriegsdienste die Herrschaften Sargans, Nid-berg, Freudenberg und Windegg mit dem Oberen und Niederen Amt auf zehn Jahre. Burg und Herrschaft Wart-au gelangten 1414 an den Toggenburger, der die habsbur-gische Verwaltung durch lokale Vögte und Ammänner übernahm und sich durch Land- und Burgrechte mit den eidgenössischen Orten absicherte.11

Herzog Friedrich IV. löste nach dem Tod des letzten Gra-fen von Toggenburg am 19. September 1436 die Grafschaft Sargans wieder ein und übergab sie zwei Tage später Hein-rich II. von Werdenberg-Sargans (1393–1448). Die Unter-tanen von Walenstadt, Flums, Mels, Ragaz und Gret-schins sowie diejenigen von Windegg und Weesen hatten sich im April 1436 zu einer Landgemeinde zusammenge-schlossen und verweigerten den Huldigungseid. Nur die Stadt Sargans hielt zum Grafen. Die Landleute forderten das freie Bündnisrecht mit den eidgenössischen Orten, die Bestätigung der «alten» Rechte und die Entlassung der Vögte von Sargans, Freudenberg und Nidberg. Am 21. De-zember 1436 schloss die Landgemeinde Sarganserland mit Zürich ein Burgrecht. Darauf verbündete sich Graf Hein-rich am 30. Januar 1437 mit Schwyz und Glarus und über-schrieb ihnen am 7. Oktober die Grafschaft, da sie ihm die Finanzen für die Pfandauslösung besorgt hatten.12

Nach der gemeinsamen Eroberung der habsburgischen Herrschaftssitze Walenstadt, Nidberg und Freudenberg im Frühjahr 1437 durch Zürich und die Sarganserländer

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13 SSRQSGIII/2,Nr.51b–53;Rigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),

S.337–343;RigendingerZürichkrieg(wieAnm.12),S.116.

stand die Landgemeinde auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Die politischen Postulate schlugen sich in dem am 5. Mai 1438 ausgearbeiteten Herrschaftsrodel für die Graf-schaft Sargans und einer Offnung für das Landgericht am Trübbach nieder. Es handelt sich um den Entwurf einer landständischen Verfassung, nach der die Landesherr-schaft zwischen den «Landräten» als Vertreter der Unter-tanen auf der einen Seite und dem Grafen von Werden-berg-Sargans als Landesherr auf der anderen Seite geteilt werden sollte. Einzelne Forderungen, so die Organisation des Landgerichts auf dem Tiergarten, wurden in den spä-teren Herrschaftsrodeln der Grafschaft Sargans verwirk-licht. Graf Heinrich II. hatte die Landgemeinde jedoch

nie anerkannt, sondern löste diese 1440 mit Unterstüt-zung von Schwyz und der Herrschaft Habsburg-Öster-reich auf und stellte die alten Herrschaftsverhältnisse wieder her.13

Als Reaktion darauf liess Zürich 1442 die Landleute äch-ten. 1444 drangen Schwyzer und Glarner ins Sarganser-land vor und nahmen die habsburgischen Herrschaften Nidberg und Freudenberg kurzfristig ein, was das Haus von Werdenberg-Sargans zur Koalition mit Habsburg-Österreich trieb. Die habsburgischen Truppen verschanz-ten sich in den befestigten Orten Walenstadt und Sargans. 1445 plünderten eidgenössisch-appenzellische Truppen die offene Landschaft und brannten das Städtchen Sar-gans nieder. Im März 1446 siegten die Eidgenossen bei Ragaz in der letzten grossen Schlacht des Alten Zürich-kriegs, doch Habsburg-Österreich gelang im Herbst 1446

Rechtsquellen im PraxistestMarkus Thurnherr

Freitagnachmittag, oben am Rapperswiler Hauptplatz. Ne-ben der Brotlaube steht eine Stadtführerin mit einer Gruppe von Gästen, die ihr aufmerksam, ja sogar gespannt zuhören. Sie erzählt ihnen nämlich gerade davon, wie die Gnädigen Herren – sie weist hinunter auf das Rathaus – alle Bäcker der Stadt am 27. Februar 1637 ins Rathaus befahlen, um ihnen mitzuteilen, dass von jetzt an so genannte Brotschauer zwei- bis dreimal pro Woche eine Kontrolle durchführen werden. Dabei werden sie von einem Stadtknecht begleitet. Sollte das Brot auf ihren Läden mangelhaft sein, so hätten die Kon-trolleure das Recht, die Laibe zu konfiszieren und sie an die Armen im Spital und an andere Bedürftige zu verteilen.Die Stadtführerin wendet sich dem Platzbrunnen zu und fischt einen Plastikbecher aus dem Becken: «So etwas hätte früher zu einer empfindlichen Strafe geführt: In einem Man-dat von 1731 wurden Schulmeister und Eltern dazu ver-pflichtet, den Kindern beystrafderruethen oder Busse zu verbieten, Steine, Grasbüschel oder anderen Unrat in den Brunnen zu werfen. Es war auch verboten, Kübel, Gelten, Hände, Spülbecken oder Ähnliches im Brunnen zu fegen oder zu waschen.»Nun spielt der Zufall der Stadtführerin in die Hände: Eine Hochzeitsgesellschaft versammelt sich unten am Burgauf-stieg für die Ziviltrauung oben im Schloss. Für Rapperswil nichts Aussergewöhnliches. Die Stretchlimousine allerdings erregt schon einiges Aufsehen, ganz abgesehen vom präch-tigen Brautkleid. Für kurze Zeit verliert die Stadtführerin die Aufmerksamkeit ihrer Gäste. Doch sie packt die Gelegen-heit: «Eine Hochzeit soll ja festlich gefeiert werden. Doch zu Beginn der Barockzeit beschlossen die Ratsherren, dem – wie sie meinten – überbordenden Luxus einen Riegel zu

schieben: Für eine gewöhnliche Hochzeit durfte man nur ei-nen Tisch voller Männer und eindischlivollwyberundmen-nerhabenundmehrnit. Für die Hofleute in Jona, die Unter-tanen, galten noch striktere Regeln: Der Hochzeiter durfte nur so viele Gäste bewirten, wie an einem einzigen Tisch Platz fanden. Da wird es wohl oft recht eng geworden sein.»Als 2006 die «Rechtsquellen der Stadt und Herrschaft Rap-perswil» herausgegeben waren, erhielt der Verantwortliche des Stadtarchivs Rapperswil-Jona die Gelegenheit, in der Re-gionalzeitung jeden Monat eine Kolumne über das Leben im alten Rapperswil und in den Hofgemeinden von Jona zu ver-öffentlichen. Seine Artikel stiessen auf ein erfreulich grosses Interesse bei den Leserinnen und Lesern – die Stadtführerin-nen profitierten ebenfalls davon.

RapperswilerStadtführerininderHintergasse.FotoJosefWyrsch,VVRJ.

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14 SSRQSGIII/2,Nr.54;Rigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),

S.361–369;Ders.:Zürichkrieg(wieAnm.12),S.119–122.

15 SSRQSGIII/2,Nr.51b.

16 SSRQSGIII/2,Nr.51c;60;65;67;68;69a;75;77;Rigendinger:

Sarganserland(wieAnm.3),S.372.

17 SSRQSGIII/2,Nr.38;78;94;95;104;110;KuratliHüeblin,Jakob:

ArchivundFälscherwerkstatt.DasKlosterPfäfersundseinUmgang

mitSchriftgut10.bis18.Jahrhundert(StudiaFabariensia.Beiträge

zurPfäferserKlostergeschichte,hg.v.StiftsarchivSt.Gallen,Bd.4),

Dietikon-Zürich2010,S.42;Rigendinger:Sarganserland

(wieAnm.3),S.407.

18 SSRQSGIII/2,Nr.285.ZurVerwaltungvonLandvogteienvgl.

Holenstein,André:DieHerrschaftderEidgenossen.Aspekteeidge-

nössischerRegierungundVerwaltungindenLandvogteienund

GemeinenHerrschaften,in:Itinera33,2012,S.9–30.

erneut die Herrschaftssicherung über Walenstadt, Nid-berg und Freudenberg.14

Die Söhne von Graf Heinrich II. von Werdenberg-Sar-gans, Wilhelm (1444–1474) und Georg (Jörg) (1444–†1504), traten nach dessen Tod seine Nachfolge an. Sie setzten 1453 einen Herrschaftsrodel für die Grafschaft auf und institutionalisierten das Landgericht auf dem Tier-garten.15

Am 25. September 1460 erfolgte die Absage der Sarganser Grafen, die 1458 das Landrecht mit Schwyz und Glarus erneuert hatten, an Herzog Sigmund. Fünf Tage später nahmen Schwyz und Glarus zusammen mit Uri die öster-reichischen Besitzungen Walenstadt, Nidberg und Freu-denberg ein. Die Verurkundung des Herrschaftsrodels für die Grafschaft Sargans im darauffolgenden Jahr war die direkte Folge des Eroberungszugs. Mit dem Schieds-spruch vom 17. Februar 1462 wurden die von Uri, Schwyz und Glarus gemachten Eroberungen Walenstadt, Nid-berg und Freudenberg zum gemeinsamen Besitz der sie-ben eidgenössischen Orte erklärt und Walenstadt aus der Herrschaft Windegg herausgelöst. Die eidgenössischen Orte bestätigten am 11. Juni 1462 die Gerichtsordnung, in welcher in Ergänzung zum bestehenden gräflichen Land-

gericht im Mai und Herbst neu ein Wochengericht für die Grafschaft Sargans errichtet wurde. Darin wurden Ge-richtszusammensetzung, Zuständigkeiten und die Pro-zessregeln ausführlich festgehalten. Am selben Tag wurde auch ein so genannter Mannzuchtrodel mit einem Bus-sen- und Strafenkatalog für die gesamte Grafschaft Sar-gans erlassen. Die Eidgenossen versuchten als Schieds-richter die Konflikte zwischen den Grafen von Werdenberg-Sargans und den Angehörigen anderer Herr-schaften der Grafschaft Sargans zu schlichten.16

Die Verschuldung der Grafen von Werdenberg-Sargans nahm zu, so dass Wilhelm gezwungen wurde, am 16. März 1472 die Grafschaft Sargans an Graf Eberhard von Sonnenberg, Truchsess von Waldburg, zu verpfänden. Sein Sohn Andreas verkaufte am 2. Januar 1483 diese an die sieben Orte der Eidgenossenschaft, welche die Graf-schaft Sargans zusammen mit Walenstadt, Sargans, Nid-berg und Freudenberg zu einer eidgenössischen Landvog-tei machten, die Schutzherrschaft über das Kloster Pfäfers vollumfänglich übernahmen, eine Gerichts- und Bussen-ordnung erliessen, Urbare über die erkauften Rechte und Besitzungen anlegten sowie seither detailliert Rechnung über die Ein- und Ausgaben führten.17

Die Landvogtei Sargans von 1483 bis 1798

Nach dem Kauf der Grafschaft Sargans begann die ge-meinsame Herrschaftszeit der sieben eidgenössischen Orte Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern, Glarus, Zürich und Zug über die Landvogtei Sargans, auch Gemeine Herrschaft Sargans genannt, die bis 1798 bestand. 1712, nach dem Vierten Landfrieden, wurde Bern als achter Ort an der Herrschaft beteiligt.18

Besonders in den Anfängen der gemeinsamen Regie-rungszeit kam es zwischen den sieben Orten punktuell zu Konflikten: So mussten 1488 die Grenzen zwischen den Grafschaften Werdenberg und Sargans festgelegt oder

AusschnittderWappenderLandvögtedesOrtesUnterwaldenim

Landgerichtssaal(heuteRittersaal)aufSchlossSargans.

FotoMathiasBugg.

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19 SSRQSGIII/2,Nr.101;105;109.ZurSchollbergischenSchifffahrt

vgl.denBeitragvonWernerKusterindiesemNeujahrsblatt.

20 SSRQSGIII/2,Nr.136;142;143.ZurReformationsbewegungvgl.

ausführlichFäh,Franz:DieGlaubensbewegunginderLandvogtei

Sargans,in:JahrbuchfürschweizerischeGeschichte19und20

(TeilIZürich1894,S.41–69;TeilIIZürich1895),S.37–88;Gubser,

Paul:EsbegannimDrachenloch...GeschichtedesSarganserlandes,

Mels1998,S.188–210;Stucky,Anton:DieReformationsbewegung,

in:Sarganserland1483–1983.VonderGrafschaftzumKanton

St.Gallen,hg.v.derSarganserländischenTalgemeinschaft,Mels

1982,S.67–80.

21 Vgl.dazuMalamud,Sibylle:HerrschaftundHerrschaftsausübung

inderLandvogteiSargansvon1483bis1798.EinWerkstattbericht

zum«RechtsquellenbandSarganserland»,in:Itinera33,2012,

S.95–114.

22 SSRQSGIII/2,Nr.274;285;Hess,Marilene:Cuiusregio,eiusreligio.

DieRollederEidgenossenschaftbeidenkonfessionellenAuseinan-

dersetzungenimWerdenbergvonderReformationbiszumWartau-

erhandel,in:WerdenbergerJahrbuch4/1991,S.68–73;Kuratli,

Jakob:GeschichtederKirchevonWartau-Gretschins,Buchs1984,

S.159–270;Heer,Gottfried:DerWartauerhandelvon1695,

Glarus1916.

1498 die Frage betreffend die Zollbefreiung der Schwyzer und Glarner im Sarganserland geklärt werden. Luzern drängte nach dem Kauf der Grafschaft Werdenberg (1485) dazu, eine Strasse am Schollberg zu bauen, um die links-rheinische Verbindung in Richtung Werdenberg und Rheintal zu verbessern.19

Die Reformation griff früh auf die Landvogtei Sargans über und löste in einer ersten Phase von 1523 bis Anfang 1526 im Sarganserland starke sozialpolitische Bewegungen aus. Den Unruhen setzten die Gesandten der fünf katho-lischen Orte durch die Verhaftung der Aufrührer und durch harte Strafen vorerst ein Ende.

Die Spannungen unter den katholischen und reformier-ten eidgenössischen Orten verstärkten sich soweit, dass Kriegsvorbereitungen getroffen wurden. Kriegerische Handlungen im Ersten Kappelerkrieg von 1529 konnten dank dem Ersten Landfrieden von 1529 verhindert wer-den, indem man sich über die Glaubensverhältnisse in den Untertanengebieten einigte: Die Glaubensfrage sollte nach dem Mehrheitsprinzip den einzelnen Pfarreien über-lassen und dadurch die Einmischung und die Eigeninter-essen der einzelnen Orte verhindert werden. Damit wur-de der Konflikt jedoch nach unten auf die Ebene der Untertanen delegiert und führte im Sarganserland inner-halb der Pfarreien zu heftigen Auseinandersetzungen.20

Die Zerstrittenheit innerhalb der Landvogtei Sargans und in anderen Gemeinen Herrschaften verschärfte wiederum die konfessionellen Gegensätze zwischen den regierenden Orten und führte im Zweiten Kappeler Krieg (1531) zu einer Niederlage der Reformierten. Laut dem darauf fol-genden Zweiten Landfrieden von 1531 durften in den Ge-

meinen Herrschaften die reformierten Pfarreien beim neuen Glauben bleiben. Einzelne oder Gruppen inner-halb von reformierten Pfarreien hatten das Recht, zum alten Glauben zurückzukehren und ihn auszuüben. In katholischen Pfarreien wurden jedoch keine reformierten Personen oder Gottesdienste mehr geduldet.

Nach dem Friedensschluss erschienen die katholischen Gesandten zweimal im Sarganserland, um für klare Ver-hältnisse zu sorgen: Die reformierten Prediger wurden wegen tatsächlichen und angeblichen Verstössen gegen den Landfrieden abgesetzt und des Landes verwiesen. Das reformierte Zürich hatte seit seiner Niederlage mit genü-gend eigenen Problemen zu kämpfen und konnte sich für die Anliegen der Reformierten nicht mehr stark machen. Das paritätische Glarus als Kollator der Kirche Wartau-Gretschin hingegen hatte die reformatorischen Prediger in Wartau und Werdenberg gewähren lassen, so dass dort bereits 1526 die Reformation Fuss fassen konnte. Trotz der Versuche einiger katholischer Landvögte der Landvogtei Sargans, nach dem Zweiten Landfrieden den Pfarrer in Wartau loszuwerden, blieb die Pfarrei Wartau-Gretschins, die 1542 nochmals über den Glauben abstimmen musste, als einzige Pfarrei in der Landvogtei Sargans beim neuen Glauben.21

Die Bestimmungen des Zweiten Landfriedens führten nach der Reformation wiederholt zu Streitigkeiten zwi-schen katholischen und reformierten Orten. Für das Sar-ganserland von Bedeutung war der so genannte Wartauer Handel von 1695. Aufgrund der eigenmächtigen Einfüh-rung des katholischen Gottesdienstes in der reformierten Pfarrei Wartau-Gretschins kam es zwischen den katholi-schen und reformierten Orten zum Streit, der zu eskalier-ten drohte. Nach langen, zähen Verhandlungen konnten schliesslich kriegerische Handlungen vermieden werden. Wichtige Fragen blieben aber ungeklärt und führten nur wenige Jahre später zum Zweiten Villmerger Krieg. Erst 1712 mit der Festlegung der konfessionellen Parität in al-len Gemeinen Herrschaften war dieser Konfliktherd be-seitigt.22

Abgesehen von den Unruhen während der Reformations-zeit und des Wartauer Handels kann die 300-jährige Herrschaftszeit der Eidgenossen im Sarganserland als ver-hältnismässig ruhig bezeichnet werden. Den sieben Orten gelang es, Konflikte untereinander weitgehend auf fried-lichem Weg beizulegen; auch Differenzen mit benachbar-ten Herrschaften konnten meist mit Gerichtsverhandlun-gen gelöst werden. Sogar die unruhige Zeit während der Bündner Wirren in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts überstand die Landvogtei relativ unbeschadet.

Auch innerhalb der Untertanenschaft blieb es nach den Reformationswirren eher ruhig; es gab keine übergreifen-

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23 SSRQSGIII/2,Nr.249;331;341;360;373.

24 SSRQSGIII/2,Nr.376–377.

25 Rigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),S.93–94.–EinVerzeich-

nisderAmmännerundSchultheissenvonWalenstadtbis1500fin-

detsichbeiRigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),S.430–433.

26 Kamm,Rolf:GlaruszwischenHabsburgundZürich.DieEntstehung

desLandesimSpätmittelalter,Diss.Baden2010,S.145–146;Ri-

gendinger:Sarganserland(wieAnm.3),S.95,101–105,155,157.

27 Rigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),S.157.

28 SSRQSGIII/2,Nr.57.

den, sozialpolitischen Bewegungen gegen die Herrschaft mehr. Nur vereinzelt, u. a. in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, kam es zu geringfügigen Unmutsbezeugun-gen gegenüber der Herrschaft. Erst das Aufkommen auf-klärerischer Ideen drohte zu einer grösseren Bewegung der Untertanen zu werden. Doch sogar der so genannte Raga-zer Aufstand gegen das Kloster Pfäfers konnte von der eid-genössischen Obrigkeit im Keime erstickt werden.23

1796 bewilligten die acht regierenden Orte gegen einen Betrag von 15 Gulden pro Kopf oder insgesamt 16 535 Gul-den die Ablösung aller Abgaben und Pflichten der Unter-tanen. Am 3. März 1798 wurden die Sarganser Untertanen in die Freiheit entlassen.24 Nach einer kurzen Phase eines «Freistaates Sargans» wurde am 1. Mai 1798 das Sargans-erland als Distrikt Mels dem Kanton Linth zugeteilt. Eine weitere kurze Phase der Autonomie (1802) folgte, danach kam mit der Mediationsakte von 1803 das Sarganserland zum damals neu gegründeten Kanton St.Gallen.

Die einzelnen Herrschaften

Die Stadt Walenstadt

Bereits im rätischen Reichgutsurbar von 842 wurde der Hafenort Walenstadt (Ripa/Riva) genannt. Seit dem 9. Jahrhundert gehörte die Kirche St.Luzius und Florin mit Zehntrecht dem Kloster Pfäfers. Im 10. Jahrhundert befanden sich Walenstadt und die Walenseeschifffahrt im Besitz des Klosters Säckingen. Der Hafenort wurde im 13. Jahrhundert vielleicht durch die Grafen von Rappers-wil ummauert. Von der Gründung der Stadt in der Mit-te desselben Jahrhunderts fehlt jedoch jede schriftliche Spur. Unvermittelt ist 1253 ein Ammann belegt.25

Laut Rigendinger waren die Herrschaftsverhältnisse in Walenstadt seit der Gründung der Stadt geteilt. Das Hochgericht war gemäss dem habsburgischen Urbar von 1302/1303 im Besitz der Grafschaft Sargans, während die niedere Gerichtsbarkeit dem Stadtherren bzw. deren Am-männern vor Ort zustand. Die Frevelgerichtsbarkeit war zwischen den beiden Gerichtsinhabern aufgeteilt: Der Graf richtete je 14 Tage im Mai und im Herbst, die übrige Zeit der Stadtherr. Im 13. Jahrhundert waren die Grafen von Rapperswil und die Hofstetter von Walenstadt die Stadtherren bzw. Ammänner. Nach dem Tod des letzten Grafen von Rapperswil (1283) übernahmen die Erben der Herrschaft Rapperswil, Rudolf von Habsburg-Österreich und seine Söhne, die Stadtherrschaft.26

Es lassen sich jedoch im 14. Jahrhundert in Walenstadt keine habsburgischen Amtspersonen nachweisen, woraus man auf den grösseren Einfluss der Grafen von Werden-

berg-Sargans schliessen kann. Daran ändern laut Rigen-dinger «die formelle Aufzählung Walenstadts als österrei-chische Stadt 1315 und 1367 sowie die Nennung der Bürger von Walenstadt als Gläubiger der Herrschaft Österreich nichts».27 1351 ersetzt ein von der Bürgerschaft gestellter Schultheiss den herrschaftlichen Ammann, der die er-starkte Stadtkommune vertrat. Walenstadt beherbergte in der Endphase des Alten Zürichkriegs habsburgische Trup-pen und liess sich 1446 von Albrecht VI. die Privilegien der Stadt bestätigen.28

Ursprünglich gehörte Walenstadt zur habsburgischen Herrschaft Windegg (Herrschaftsgebiet um den oberen Zürichsee, Linthebene bis zum Walensee) und nicht zur Grafschaft Sargans. Am 2. Mai 1438 kam Walenstadt zu-sammen mit der Herrschaft Windegg als Pfand an Schwyz und Glarus, die die ehemalige Herrschaft Windegg bis 1798 als Landvogtei Gaster verwalteten. Am 17. Februar

DasRathausderStadtWalenstadt.Quellehttp://de.wikipedia.org/

wiki/Datei:WalenstadtRathaus-PetarM.jpg.

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29 SSRQSGIII/1,Nr.9;SSRQSGIII/2,Nr.67;77;129;Rigendinger:

Sarganserland(wieAnm.3),S.113–116.

30 SSRQSGIII/2,Nr.255.

31 BürgereinerStadt,dieausserhalbderStadtwohnenundimVer-

gleichzudenBürgernbzw.EinbürgernwenigerRechtebesitzen.

32 SSRQSGIII/2,Nr.135a,Art.2;147c;157;255;294;307;313;321;

335;356.

33 SSRQSGIII/2,Nr.160;zumVergleichdesStadt-undGemeindege-

richtsvgl.Nr.347.

34 OrtsgemeindearchivWalenstadt,Gerichts-undGemeindeprotokolle

(1771–1816);Burgerbuch(1742–1786);SSRQSGIII/2,Nr.308;

Malamud,Sibylle:VomDokumentzurDeutung:ZweiDiebein

Walenstadt,1798,in:Terraplana2008/4,S.19–20.

1462 wurde Walenstadt von der Herrschaft Windegg abge-trennt und der gemeinsamen eidgenössischen Herrschaft Nidberg, Freudenberg und Walenstadt zugeschlagen. Aus diesem Schiedsspruch geht jedoch nicht klar hervor, ob die Dörfer am oberen Abschnitt des Walensees im Gebiet von Quarten, Murg und Quinten bis zum Rotenbach zu Wa-lenstadt oder zur Landvogtei Gaster gehörten. Rund zwan-zig Jahre später beanspruchten deshalb Glarus und Schwyz als Inhaber der Landvogtei Gaster als auch die übrigen fünf eidgenössischen Orte als Inhaber der Landvogtei Sar-gans die Herrschaft über diese Dörfer für sich. Der Streit über die Zugehörigkeit der Dörfer scheint jedoch nicht abschliessend geklärt worden zu sein, weshalb es anfangs des 16. Jahrhunderts erneut zu Auseinandersetzungen kam. Im Schiedsspruch von 1519 wurden die Hochge-richtsbarkeit sowie alle Bodenschätze zwischen dem Ro-tenbach und Widenbach der Landvogtei Sargans zuge-sprochen. Die niederen Gerichtsrechte sind nicht erwähnt, blieben aber im Besitz der Landvogtei Gaster.29

Erst Mitte des 17. Jahrhunderts kam es nochmals zu ei-nem grösseren Konflikt um die Gerichtsbarkeiten. Glarus und Schwyz als Inhaber der niederen Gerichtsbarkeit über die Nachbarschaften Quarten, Quinten und Murg beanspruchten neu auch die Bestrafung von Ehebrüchen und Blutschande. Die Gesandten der fünf Orte Uri, Un-terwalden, Luzern, Zug und Zürich hingegen waren der Meinung, dass diese Vergehen als Malefizdelikte (Kapital-verbrechen) unter die Hochgerichtsbarkeit und somit un-ter die Zuständigkeit der Landvogtei Sargans fielen. Die Verhandlungen blieben über mehrere Jahre ergebnislos, bis 1669 eine Konferenz in Lachen die Kompetenzen schliesslich klar festlegte: Mord, Totschlag, Beihilfe zu Totschlag, Sodomie, Hexerei, Blutschande, Flucht wegen eines schwerwiegenden Vergehens, Selbstmord, Vergewal-tigung, vorsätzlicher Diebstahl von einer Summe über zehn Gulden, Meineid und Gewalt gegen die Eltern ge-hörten zur Hochgerichtsbarkeit und damit in die Ge-richtsherrschaft der Landvogtei Sargans.30

Walenstadt gehörte seit dem Kauf der Grafschaft durch die sieben Orte zur Landvogtei Sargans. 1502 und 1553 be-

stätigten die sieben Orte der Stadt ihre Rechte. Laut Stadtrecht von 1553 wählte der Landvogt den Schultheis-sen aus einem Dreiervorschlag der Bürgerschaft. Der Schultheiss berief danach einen Bürger zu einem Ratsmit-glied und zusammen wählten sie weitere Ratsherren und Rechtsprecher. Die Ausbürger,31 zu denen die Leute von Walenstadtberg, Mols und Oberterzen gehörten, waren nur bei der Wahl eines Weibels beteiligt. Die Verwaltung der Stadt ist erst ab dem 18. Jahrhundert dank den Ratsprotokollen deutlicher fassbar. Im so genannten Bur-gerbuch sind «Ratserkenntnisse» – von der gesamten Bür-gerschaft durch das Mehr gefällte Beschlüsse – und die Wahlen der städtischen Ämter festgehalten. Schultheiss und Rat wählten oder bestätigten zusammen mit den Bürgern Säckelmeister, Kirchen- und Spendvogt, Haus- und Baumeister, Mesmer und Wächter; andere Ämter, wie Richter, Rottmeister, Kappellvögte und Stadtschrei-ber, wurden allein von Schultheiss und Rat besetzt.32

Das niedere Stadtgericht hielt der vorsitzende Schultheiss mit sieben Richtern wöchentlich am Dienstag ab. Die nächst höhere Instanz war das (ordentliche) Stadtgericht, in dem der Schultheiss mit sieben Stadträten über alle Vergehen richtete, die im Gerichtsbezirk Walenstadt be-gangen wurden und nicht unter die Hochgerichtsbarkeit fielen. Das Stadtgericht war innerhalb der Stadt erste Ap-pellationsinstanz. Die Walenstadter Bürger besassen ur-sprünglich das Recht, von diesem (ordentlichen) Stadtge-richt direkt nach Zürich zu appellieren. Im 18. Jahrhundert gingen jedoch die Appellationen vom Stadtgericht nicht mehr nach Zürich, sondern vor den Landvogt. Zudem gab es in Walenstadt ein gmeind gericht, das viermal im Jahr stattfand und dessen Zusammensetzung wohl dies-selbe war wie beim höheren Stadtgericht.33

Über die strafrechtlichen Verfahren in Walenstadt geben u. a. die Protokollbücher des 18. Jahrhunderts genauer Aus-kunft. Der Landvogt beauftragte in Malefizsachen die Stadt Walenstadt mit der Verhaftung der Delinquenten. Rat und Schultheiss führten eine erste Anhörung des Verdächtigten durch und setzten danach den Landvogt über das Ergebnis in Kenntnis. Befand der Landvogt das Delikt als zu gering, wies er den Fall zur Beurteilung an Walenstadt zurück. An-sonsten reiste der Landvogt mit dem Oberamt nach Walen-stadt, um die weiteren Verhöre durchzuführen. Bei gerin-gen Verstössen gegen stadtrechtliche Bestimmungen wie z. B. unerlaubtes Wirten oder Holzfrevel führten Schult-heiss und Rat separate «Bussentage» durch. Die «Bussenta-ge» des Landvogts zusammen mit seinen Oberamtsleuten befassten sich hauptsächlich mit Ehrenhändeln wie verba-len Angriffen auf die Ehre einer Person, mit Schlägereien oder Körperverletzung.34

In der eidgenössischen Herrschaftszeit musste sich die Stadt mehrfach gegen rechtliche Übergriffe verschiedener

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Landvögte zur Wehr setzen. In den meisten Fällen konnte die Stadt ihre rechtliche Position erfolgreich behaupten. Bereits vor der eidgenössischen Herrschaft gelang es Wa-lenstadt, sich gegen die Ansprüche der Grafen zu verteidi-gen. Dies weist auf eine starke Stellung der Stadt seit dem Mittelalter hin, was sich auch in der eidgenössischen Herr-schaftszeit nicht ändern sollte. Walenstadt blieb mit dem Hafen, der Schifffahrt und der Sust ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt für den Verkehr über den Walensee.35

Walenstadt betrieb seit dem 15. Jahrhundert in der Ge-gend zwischen Raischiben und Quarten eine aktive Aus-bürgerpolitik, was zu Konflikten um die Mitspracherech-te der Ausbürger führte. Ebenfalls kam es zu Ausein- andersetzungen zwischen Walenstadt und den Steuer- genossen des Sarganserlandes wegen der Bezahlung von Personen- und Erbschaftssteuern oder der Herrschaftszu-gehörigkeit von Kindern mit Eltern, die unterschiedli-chen Herrschaften gehörten. Mit Flums stritt sich Walen-stadt um die Fischereirechte in der Seez und die Weide- nutzung zwischen Raischiben und Gräpplang.36

Die Herrschaft Tscherlach

Die Herrschaft Tscherlach mit dem gleichnamigen, auf Viehzucht spezialisierten Dorf und den Alpen Sennis und

Lüsis gehörte im 15. Jahrhundert den Hofstettern von Wa-lenstadt. 1422 verlieh Gaudenz von Hofstetten seine Be-sitzungen an die Nachbarn des Dorfes Tscherlach zu Erb-lehen. Im so genannten Flumser Handel von 1428 verbündeten sich die Tscherler zusammen mit den Leuten von Flums und Berschis mit Glarus, sympathisierten 1436 mit der Landgemeinde und seit 1431 stritten sie sich wie-derholt mit den jeweiligen Lehensherren wegen Steuern, Abgaben, Rechten und Pflichten.37

Am 28. Oktober 1513 kaufte Ludwig Tschudi von Glarus die Herrschaftsrechte in Tscherlach für 560 Gulden. Er schlug 1528 nach dem Erwerb der Herrschaft Flums-Gräpplang Tscherlach zur Herrschaft Flums-Gräpplang. Bis 1767 blieb Tscherlach zusammen mit der Herrschaft Flums-Gräpplang im Besitz der Familie Tschudi.38

Besonders in den ersten Jahrzehnten ihrer Herrschaft musste die Familie Tschudi ihre Rechte gegenüber den Tscherlern mehrfach gerichtlich durchsetzen: Wiederholt verweigerte Tscherlach die Steuern und Abgaben, oder der Ort nahm ohne Einwilligung ihres Herrn gegen ein Einkaufsgeld Fremde als Dorfgenossen auf. 1751 versuchte sich Tscherlach von der Herrschaft Flums-Gräpplang los-zukaufen. Obwohl dieser erste Versuch scheiterte, war Tscherlach mit dem Loskauf vom Todfall sowie anderen Abgaben und Pflichten 1779 die erste «freie» Dorfgemein-de39 im Sarganserland.40

Die Herrschaft Flums-Gräpplang

Seit 765 befand sich der Hof Flums im Besitz des Churer Bischofs, zu dem im 10. Jahrhundert die Pfarrkirche Flums, Zehnten in Flums und Berschis, Schifffahrtsrech-te auf dem Walensee, Fischereirechte im Walensee und der Seez sowie die Banngewalt über Königsfreie gehörten. Die Herren und vicedomini von Flums, die mit dem Bau der Burg Flums41 und Rodungen – analog den Meiern von Windegg auf Nidberg – auf Kosten des geistlichen Landesherren eine eigene Herrschaft errichten wollten,

DasmarkanteSteinhausmittenimDörfchenBerschislässtsichmit

weiterenspätbarockenBautenimSarganserlandvergleichen.

Eswurdezwischen1789und1801vonChristianHobiundAnna

MariaGigererbaut.FotoMathiasBugg.

35 SSRQSGIII/2,Nr.157,Vorbem.3–4;Bem.;218,Bem.1–6.

36 SSRQSGIII/2,Nr.106a;135;157;218;294.

37 SSRQSGIII/2,Nr.43;44;125;Rigendinger:Sarganserland

(wieAnm.3),S.69–71,87–91,186.

38 SSRQSGIII/2,Nr.125,Bem.1;Nr.319,Bem.2.

39 GerichtsgemeindensindherrschaftlicheVerwaltungs-und

GerichtseinheitenderGrafschaftbzw.LandvogteiSargans:Flums

mitTscherlachundBerschis,MelsmitViltersundWangs,Wartau

sowiedieStädteSargansundWalenstadt.RagazmitPfäfers,Valens

undVättisbildeteebenfallseineGerichtseinheit(Gerichtsvogtei

Ragaz).

40 SSRQSGIII/2,Nr.125,Bem.2,3–5;159;209;352.

41 DieBurgwurdeerstum1460alsGräpplangbezeichnet

(Rigendinger:Sarganserland[wieAnm.3],S.72).

kommt neu

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38

42 SSRQSGIII/2,Nr.3;41b;89;Rigendinger:Sarganserland(wie

Anm.3),S.67–68,71–77.ZudenAmtleutenderHerrschaftFlums

vgl.Rigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),S.424–426.

43 SSRQSGIII/2,Nr.10a;Rigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),

S.78–80.

44 Rigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),S.81–82,108;Rigendin-

ger,Fritz:Gräpplangim19.und20.Jahrhundert:VomSteinhaufen

zumKulturdenkmal,in:Flums-Gräpplang.4000JahreGeschichte.

MitdenKirchenSt.Justus,St.JohannesunddenKapellenSt.Jakob

undSt.Georg,BadRagaz2006,S.22;vgl.auchSSRQSGIII/2,

Nr.51c;145c.

mussten sich 1249 dem Bischof unterordnen, der die Burg zu einem bischöflichen Lehen machte und 1293 an Ritter Ulrich von Flums verpfändete. Das Amt des Vitztum war nun nicht mehr ein erbliches Mannlehen, sondern als Burglehen mit dem Besitz der Burg Flums verknüpft, weshalb die Amtsbezeichnung des bischöflichen Stellver-treters gegen Ende des 13. Jahrhunderts zu Burgvogt wechselte.42

Als Nachfolger der Ritter von Flums hatten nach 1322 die Ritter von Montfort die Herrschaft Flums inne, bis 1347

die Burg zusammen mit anderen Besitzungen wegen Geldnot des Bischofs an die habsburgischen Dienstherren von Stadion, die gleichzeitig Vögte in Glarus und Weesen waren, ging. Der Bischof verpfändete 1360 all seine Besit-zungen den Herzögen von Habsburg-Österreich, die Flums 1362 an Heinz und Martin Buwix weiterverpfände-ten. Auf sie folgte um 1373 Dietegen Meier von Altstät-ten.43

Die Meier von Altstätten sind neben weiteren Geschlech-tern als Grund- und Leibherren bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts in Flums fassbar, bis sich die Flumser Eigen-leute freikauften und einen eigenständigen Untertanen-verband unter Leitung eines Ammanns bildeten. Als «Ru-dolf Meiers Leute» wurden sie in den Landgerichtsverband der Grafschaft Sargans integriert. Einige bemühten sich zudem vor 1419 um den Ausbürgerstatus der Stadt Walen-stadt.44

An den Flumser Dorfbächen befanden sich nachweislich seit 1363 unterschiedliche auf Wasserkraft beruhende Ge-werbebetriebe, die seit dem 15. Jahrhundert den Herren

Rechtsquellen und ComputerlinguistikMichael Piotrowski

Die Computerlinguistik beschäftigt sich mit der automati-schen Verarbeitung natürlicher – d. h. menschlicher – Spra-che. Dabei gibt es zwei Hauptforschungsrichtungen: einer-seits die angewandte Computerlinguistik, die sich mit der Entwicklung möglichst guter technischer Verfahren für prak-tische Anwendungen wie maschinelle Übersetzung, Recht-schreibkorrektur oder Suchmaschinen befasst; andererseits die theoretische Computerlinguistik, die menschliches Sprachvermögen auf dem Computer modellhaft nachbildet, um Erkenntnisse für die linguistische Theoriebildung zu ge-winnen. Die Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen ist aus computerlinguistischer Sicht zweifach interessant, weil hier beide Forschungsrichtungen gefragt sind. Zum einen stellen die historischen Texte eine Herausforderung für die angewandte Computerlinguistik dar, wenn es etwa darum geht, Historikern Werkzeuge an die Hand zu geben, mit de-nen sie in den extrem variantenreichen, mehrsprachigen Tex-ten nach Konzepten statt nur nach Zeichenketten suchen können. Zum andern stellt die Sammlung aber auch eine einzigartige Ressource dar, die für historische linguistische Analysen und für die Entwicklung computerlinguistischer Modelle genutzt werden kann. Auch hier sieht man sich aber mit den besonderen Eigenschaften historischer Texte konfrontiert.Frequenzanalysen gehören zu den einfachsten computerlin-guistischen Analysen; auch wenn sie nur eine beschränkte

Aussagekraft haben, können sie für manche Anwendungen sehr nützlich sein. Die Abbildung ist ein Beispiel für eine Vi-sualisierung der Häufigkeiten von grossgeschriebenen Wör-tern – meist Namen – in den Quellentexten des Bandes SSRQ SG II/2/1 (Rechtsquellen der Stadt und Herrschaft Rap-perswil); je grösser ein Wort dargestellt ist, desto häufiger kommt es vor. Dieses Beispiel illustriert auch die Vielzahl Schreibvarianten, eines der Hauptprobleme für jede auto-matische Verarbeitung historischer Texte.

WortwolkefürSSRQSGII/2/1,http://wordle.net/.

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45 SSRQSGIII/2,51c,Art.4.–ZudenvonGriffenseevgl.SSRQSG

III/2,Nr.24;35a;36;43;Rigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),

S.82–86,238–240.

46 SSRQSGIII/2,Nr.36;41b;42;43;Kamm:Glarus(wieAnm.26),

S.34;Rigendinger(wieAnm.3),S.318–322;Ders.:Zürichkrieg

(wieAnm.12),S.114;Ders.:Gräpplang(wieAnm.44),S.24;

Rigendinger,Fritz:Handwerker,Schiffsleute,Eisenherren,in:

St.GallerGeschichte2003,Bd.2,S.196–202.

47 SSRQSGIII/2,Nr.47;51.–Vgl.dazudieListederVögte

beiRigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),S.425–426;

Ders.:Gräpplang(wieAnm.44),S.25.

48 SSRQSGIII/2,Nr.65;68;247a.

49 SSRQSGIII/2,Nr.140.

von Griffensee, Lehensträger der Grafen von Werden-berg-Sargans, gehörten. Die von Griffensee errichteten gegen Ende des 14. Jahrhunderts auf ihrem Eigengut Schmelzöfen und Schmieden zur Eisengewinnung, waren sicher seit 1406 im Besitz einer obrigkeitlichen Schmiede-konzession und bauten ihre Betriebe durch Zukäufe lau-fend aus, bis 1487 Hans von Griffensee die Eisenschmie-den an die Eidgenossen verkaufte. Die Eigenleute der Familie von Griffensee waren im Landgericht der Graf-schaft Sargans vertreten und nahmen Einsitz im Flumser Wochengericht.45

Nachdem sich der Churer Bischof im Sommer 1419 für 51 Jahre mit Zürich verburgrechtet hatte, erwarb die Lim-matstadt die Herrschaft Flums und die damit verbundene Festung Flums, liess durch einen Vogt den Warenverkehr sichern und die Eisenproduktion kontrollieren. Seit län-gerem bestand über die Schultheissenfamilie Kilchmatter von Walenstadt, die sich im Eisenhandel betätigte, eine enge Beziehung zu Zürich. 1428 versuchte auch Glarus, im so genannten Flumser Handel, durch ein Landrecht mit Leuten von Flums, Berschis und Tscherlach – Unter-tanen des Grafen von Toggenburg, des lokalen Adels und Pfandleuten der Stadt Zürich – im Sarganserland Fuss zu fassen. Nur dank eines eidgenössischen Schiedsspruchs konnte ein Krieg abgewendet werden.46

Die Leute von Flums traten 1436 der Landgemeinde Sar-ganserland bei, die im selben Jahr ein Bündnis mit Zürich einging und 1438 eine Landgerichtsoffnung der Graf-schaft Sargans entwarf. Die Landgemeinde wurde 1440 aufgelöst. Die Burg Flums blieb jedoch nach einer Schutz-geldzahlung in der Hand der Zürcher, die sich verpflich-teten, die Burg nicht gegen Glarus und Schwyz zu ver-wenden, weshalb sie im Alten Zürichkrieg verschont blieb. Die Landgerichtsoffnung wurde 1453 fertig ausgear-beitet und zeigt die Zugehörigkeit von Flums zur Ge-

richtsherrschaft Sargans. In den späteren Fassungen wer-den die Burg Flums, die Leute des Rudolf Meier sowie die Leute der Familie von Griffensee genannt.47

Ein nur durch Aegidius Tschudi kopial überlieferter Ge-richtsrodel der Burg und Herrschaft Flums wurde angeb-lich am 30. Juli 1461 ausgestellt und nannte ein zur Herr-schaft Flums gehörendes Blutgericht und ein Niederge- richt, das zwei Mal pro Jahr abgehalten wurde. Wegen der hohen Kosten und der geringen Einnahmen wurden so-wohl die Nieder- als auch die Hochgerichtsbarkeit den Grafen und später den Eidgenossen übergeben. 1462 schuf die neue Sarganserländer Gerichtsordnung in Er-gänzung zum bestehenden gräflichen Landgericht im Mai und Herbst neu ein Wochengericht für die Grafschaft Sargans, ober- und unterhalb des Tiergartens. 1659 wurde der Gerichtsgemeinde Flums analog zu Mels die Abhal-tung eines Landgerichts bewilligt, so dass ab 1660 das Landgericht abwechselnd zwischen Mels und Flums ge-halten wurde, und zwar im Herbst in Mels und im Früh-ling in Flums.48

Bis zum Verkauf der Burg und Herrschaft Flums-Gräp-plang im Jahre 1528 an Ludwig Tschudi blieb der Churer Bischof Herrschaftsinhaber, der durch die Reformations-wirren bedrängt wurde. Nach der Flucht des Bischofs Paulus Ziegler zogen die kommunalen Räte des Gottes-hausbundes die bischöflichen Besitzungen an sich. Die baufällige Burg Gräpplang mit ihren Besitzungen wurde als wenig einträglich befunden und deshalb für 2 400 Gulden verkauft. Vergeblich versuchte der Bischof im 17. Jahrhundert wieder in Besitz von Gräpplang zu gelangen; die Herrschaft blieb jedoch fast 250 Jahre, bis 1767, im Besitz der Familie Tschudi.49

Kurz nach dem Kauf von 1531 erstellte Aegidius Tschudi für seinen Bruder Meinrad, Herr von Gräpplang, ein Ur-bar für die Herrschaft Flums-Gräpplang: Es ist eine Kom-pilation aus alten Urkunden und Urbaren des Churer Bischofs und verzeichnet verschiedenste Rechte, Abgaben und Güter.

HistorischeAnsichtderBurgFlums-Gräpplangausdem18.Jahr-

hundertinPrivatbesitz.FotoHistorischerVereinSarganserland.

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50 SSRQSGIII/2,Nr.144;181,Bem.2.

51 Vgl.obendieKapitelzuTscherlachundWalenstadt;Gemeinde-

archivFlums,AHVS,H1529;H1531b;H1532b;H1625;Gemein-

dearchivFlums,A1762;SSRQSGIII/2,Nr.144d,Bem.1.

52 SSRQSGIII/2,Nr.179;181.

53 SSRQSGIII/2,Nr.319.

Die Tschudi von Gräpplang stellten in der Landvogtei Sargans die meiste Zeit das wichtige Amt des Landes-hauptmanns. Als zweite Person neben dem Landvogt im Landrat und später als Mitglied des Oberamtes besass der Landeshauptmann grossen Einfluss auf Entscheidungen und die Rechtsprechung. Die starke Einbindung der Her-ren von Gräpplang in die Verwaltungsorganisation der Landvogtei erklärt wohl das gute Verhältnis zwischen den beiden Herrschaften. Falls der Herr von Gräpplang in Konflikt mit Personen aus der Landvogtei Sargans geriet, war er nicht verpflichtet, die einheimischen Gerichte an-zurufen, sondern hatte freie Gerichtswahl. Er konnte den Fall vor fremde Gerichte, gemeinhin vor die sieben Orte, ziehen oder direkt an einen oder mehrere eidgenössische Orte gelangen.50

Die Stellung der Herren von Gräpplang gegenüber den Untertanen war weit weniger gefestigt. Immer wieder versuchten die Untertanen, aber auch Walenstadt, ihre Rechte auf Kosten des Herrn von Gräpplang auszudeh-nen.51

Uneinigkeit um die Nachfolge innerhalb der Familie Tschudi und Misswirtschaft einzelner Mitglieder der Fa-milie Tschudi führten schliesslich zum Verlust der Herr-schaft. Nach dem Tod Christof Tschudis (1581), des drit-ten Herrn von Gräpplang, trat Balthasar Tschudi die Nachfolge an. Er liess sich 1582 von den Tagsatzungsge-sandten neben einigen Artikeln zum Erbrecht auch die Erbfreiheit der Burg und Herrschaft Gräpplang bestäti-gen. Darauf entbrannte ein heftiger Familienstreit um die Erbnachfolge betreffend Gräpplang, bis 1584 ein Vertrag regelte, dass immer der älteste männliche Tschudi den Sitz erben sollte. Diese Regelung führte wiederholt zu Konflikten zwischen dem ältesten männlichen Nachkom-men der Tschudi von Gräpplang und dem ältesten Tschu-di der übrigen Glarner Tschudi-Familie. 1653 entschied die Tagsatzung, dass die Herrschaft nach gewohntem Herkommen an den ältesten männlichen Nachkommen eines verstorbenen Tschudi von Gräpplang übergehen sol-le, solange Söhne vorhanden seien, und nicht an den Äl-testen der restlichen Tschudi-Sippe.52

Trotz dieser Regelungen nahmen die Erbstreitigkeiten mit teuren Prozessen kein Ende. Schlechte Bewirtschaf-tung, ein aufwändiger Lebensstil und eine zunehmende Verschuldung seit dem 17. Jahrhundert liessen die Herren

von Gräpplang immer mehr in Schwierigkeiten geraten. Schliesslich musste Hauptmann Leodegar Tschudi die Herrschaft Gräpplang 1749 zur Sicherung einer Anleihe von 28 000 Gulden verpfänden. Er konnte weder die ver-einbarten Zinsen bezahlen noch das Kapital zurückerstat-ten. Versuche, den Familienbesitz zu retten oder zu ver-kaufen, scheiterten. Am 28. März 1767 verlor Leodegar Tschudi die Herrschaft Gräpplang an seine Gläubiger, Bannerherr Josef Fridolin Good und dessen Schwager Jo-sef Bonifaz Good. 1796 teilten die drei Erben von Banner-her Good von Mels die Herrschaft Gräpplang unter sich auf. Die Burg wurde geräumt und 1804 mit Ausnahme der Ziegel, Öfen, Kamine, Hausteine und des Eisens für 120 Gulden an Josef Eberli von Flums zur Verwertung der Überreste auf Abbruch verkauft.53

Die Herrschaft Nidberg in Mels

In der Mitte des 13. Jahrhunderts errichteten die Meier von Windegg die Burg Nidberg in Mels als Verwaltungs-zentrum der Herrschaft Nidberg, die ursprünglich aus Grund- und Gerichtsrechten des Pfäferser Meierhofs Mels bestand. Nach dem Bau der Burg wurde durch Ro-dungen neues Land als Eigengut erschlossen, was auf Kos-ten des Klosters Pfäfers erfolgte. Mit Hilfe der Meier von Windegg, die als Vertreter des Klosters Säckingen im Glarnerland eine starke Stellung innehatten, versuchten sich die Grafen von Werdenberg-Sargans nicht nur gegen-über dem Kloster Pfäfers, sondern auch gegenüber Glarus zu behaupten, die Westgrenze der Grafschaft Sargans am Walensee zu arrondieren und die Hochgerichtsbarkeit in Mols, Terzen, Quarten und Murg gegenüber der Herr-schaft Windegg durchzusetzen. 1265 ist der erste Am-mann von Nidberg belegt, der als Amtmann der Meier von Windegg die Niedergerichtsbarkeit ausübte.54

MelsgegendenGonzen.AnsichtvonFranzSchmid.Graphische

SammlungdesHistorischenVereinsSarganserland.

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54 Kamm:Glarus(wieAnm.26),S.64;Rigendinger:Sarganserland

(wieAnm.3),S.57–59,167–168.–ZurListederAmmännervgl.

Rigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),S.420–424.

55 SSRQSGIII/2,Nr.18;22;Rigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),

S.61–64.

1363 gelangte die Herrschaft Nidberg als Pfand an die Herzöge von Habsburg-Österreich, die sie 1371 mit allen Gütern und Rechten kauften und 1377 an Rudolf von Montfort-Feldkirch bzw. 1379 an Johann von Werden-berg-Sargans verpfändeten. Herzog Leopold stellte der Herrschaft 1382 ein Steuer- und Gerichtsprivileg aus, das auf eine entwickelte dörfliche Selbstverwaltung hinweist. Bis zur Eroberung durch die Eidgenossen am 30. Septem-ber 1460 blieb die Herrschaft Nidberg mit einem einhei-mischen Ammann in habsburgischer Hand. Die Burg wurde am 8. Mai 1437 nach kurzer Belagerung aufgegeben und von Zürcher Truppen im Verbund mit Sarganserlän-dern geplündert und niedergebrannt.55

1462 schuf die neue Gerichtsordnung in Ergänzung zum bestehenden gräflichen Landgericht im Mai und Herbst ein Wochengericht für die Grafschaft Sargans mit den Gerichtsorten Mels und Flums. Ein länger dauernder Konflikt um die Grafschaftssteuer, der 1492 mit einem Schiedsspruch der Eidgenossen endete, zeigt die erstarkte

Rechtsquellen als Grundlage für OrtsgeschichtenBeat Frei

Ich bin gern im Archiv. Besonders in einem Gemeindearchiv. Alte Schränke, Gestelle und Tablare, neuerdings zum Teil auch moderne Kompaktusanlagen, mit Drehrädern und My-riaden von Schlössern, die davor schützen, dass ein auswär-tiger Benutzer, zum Beispiel der beauftragte Ortschronist, nicht nebenher noch rasch die Steuererklärungen durchko-piert. Beim ersten Besuch habe ich es stets auf die ältesten Akten abgesehen. Hier sind es die Schachteln im dunkelsten Gestell oben links. Ein ganzer Stoss Papierakten aus dem 18. Jahr-hundert, ein halbes Dutzend Pergamenturkunden aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Warum so viele? Ich beginne zu le-sen. Ich kann das, kein Problem. Aber bis die in einer Urkunde endlich zum Thema kommen. Hat es in diesem Archiv keinen Tisch? Nun gut, dann fotografiere ich eben alles durch. Zuhause im Büro habe ich die fotografierten Urkunden und Akten bequem auf dem Computerbildschirm. Ich kann das lesen, kein Problem. Eine gewisse Zeit geht das aber schon. Man kann alte Urkunden nicht wirklich quer lesen, sondern buchstabiert. Und es steht nicht immer das, was man eigent-lich wissen wollte, aber das wird erst am Schluss der Urkun-de klar. Es wäre schon hilfreich, wenn diese ältesten Schrift-stücke besser erschlossen wären. Ich erinnere mich an die Ortsgeschichte Jona. Das war vor der Fusion mit Rapperswil. Ich hatte das zentrale spätmittelalterliche Dokument, den Joner Hofrodel, im Gemeindearchiv Jona gefunden, aber eben nur in einer Abschrift von 1781. Die älteste Version liegt im Stadtarchiv Rapperswil. Zum Glück kenne ich aus der Studienzeit die Bearbeiterin des Rechtsquellenbandes Rap-perswil. Sie hat mir die Abschrift zur Verfügung gestellt, was meine Arbeit enorm erleichtert hat.Die Rechtsquellen der Stadt und Herrschaft Rapperswil sind seit 2007 publiziert. Weitere Bände kamen und kommen laufend dazu. Alte Urkunden und Akten aus Gemeinde-

archiven sind häufig berücksichtigt. Das gibt dem Ortschro-nisten wertvolle Anhaltspunkte und erspart ihm viel Zeit. Es gibt in einer Ortsgeschichte eben auch in den neuen Epo-chen viel zu tun. Eine gefühlte Million maschinen- und elek-tronisch geschriebener Papierseiten dokumentiert in einem Gemeindearchiv das 20. Jahrhundert. Aber auch das kann ich, kein Problem. «Fast Reading» habe ich mir schon vor 30 Jahren systematisch angeeignet. Ich treffe die für mich wich-tige Auswahl vor Ort im Archiv, kopiere und komme mit rei-cher und vorsortierter Beute zurück ins Büro. So bin ich erst recht gern im Archiv.

JonerHofrodel,1.Hälfte15.Jahrhundert.StadtarchivderOrtsbürgergemeindeRapperswil-Jona,AVIIa23A.

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56 SSRQSGIII/2,Nr.68;69c;75;106.–LautälterenHerrschaftsrodeln

findetdasLandgerichtunterderEicheaufdemTiergartenstatt

(SSRQSGIII/2,Nr.51b,Art.3;51c,Art.2).–ZurGemeindeorgani-

sationvgl.denMelserRuhebriefvon1685SSRQSGIII/2,Nr.267.

57 SSRQSGIII/2,Nr.28.Rigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),

S.157,185.–EinVerzeichnisderSchultheissenvonSargansbis

1500findetsichbeiRigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),

S.426–429.Vgl.auchSSRQSGIII/2,Nr.6;12;61.

58 SSRQSGIII/2,Nr.55;61;113.LautGubser:Drachenloch(wie

Anm.20),S.186,hieltendieStadträtevonSargansanalogWalen-

stadtmitihremSchultheisseinWochengerichtab.

59 SSRQSGIII/2,Nr.61,Bem.2;83;84b;92;106b;107;115;116;

150;161;237;342;256;269;323;350,Vorbem.

60 SSRQSGIII/2,Nr.61,Art.12;115;121;135;156;212;Ortsge-

meindearchivMelsNr.44;StaatsarchivAargau,AA/2859/2,fol.

22r–23v;OrtsgemeindearchivMols,Nr.5;OrtsgemeindearchivBad

Ragaz,UA1565-1;OrtsgemeindearchivPfäfers,0101.404.15.

Stellung der Nidberger bzw. der Melser. Im Dorf Mels sollte laut der Mannzucht- und Gerichtsordnung von 1492 das Landgericht im Mai und im Herbst stattfinden; zudem stellte Mels ab 1528 bis Anfang des 17. Jahrhun-derts das wichtige Amt des Landammanns.56

Die Stadt Sargans

Das um 1250 gegründete Sargans gehörte zur landesherr-lichen Residenz, besass seit 1271 einen Schultheissen, der Vertreter der Bürgerschaft und gräflicher Amtmann in Personalunion war. Die Siedlung wurde 1337 erstmals als Stadt bezeichnet. Da kaum Quellen zur frühen Stadtge-schichte überliefert sind, bleibt vieles hinsichtlich der Stadtgründung im Dunkeln. Das Patronatsrecht der Pfarrkirche Sargans lag in der Hand des jeweiligen Besit-zers der Herrschaft Sargans.57

Das Städtchen hielt während des Alten Zürichkriegs zu den Grafen von Werdenberg-Sargans, weshalb König Friedrich Sargans 1443 das Marktprivileg erneuerte und den Bürgern und Einwohnern deren Freiheiten und Rechte bestätigte. Die Stadt besass alle hoche und nidre gricht mit Ausnahme der Blutgerichtsbarkeit, die den In-habern der Grafschaft bzw. Landvogtei zustand. Ge-richtsprotokolle und normative Bestimmungen zur Zu-sammensetzung der städtischen Gerichtsbarkeit fehlen fast gänzlich.58

Im so genannten Griffenseebrief wurde 1474 das Prinzip der gemeinsamen Nutzung von Weideland durch die Kirchgenossenschaften Sargans und Mels festgeschrieben. Ebenso regelten 1481 die Kirchgenossenschaften Sargans, Mels und Ragaz die Nutzung des Gebiets Baschär und 1491 die Kirchgenossenschaft Sargans, Mels und Vilters das Wuhren am Rhein. Die gemeinsamen Weiderechte

auf Baschär und die enge Verflechtung mit der Kirchge-nossenschaft Mels blieben nicht konfliktfrei. Nach der Errichtung der Landvogtei Sargans blieb Sar-gans das Verwaltungszentrum und die eidgenössischen Orte bestätigten die Rechte der Stadt. Eine erste fragmen-tarische Stadtrechnung ist 1493 überliefert, wobei ein Jahr vorher über die Steuer von Gütern, die ausserhalb der Stadt lagen, gestritten wurde.59

Der Graf wählte den Schultheissen aus einem Dreiervor-schlag der Bürger und Einwohner, während der Landvogt laut dem Stadtrecht von 1501 einen von den Bürgern ge-wählten Schultheissen bestätigte. Nach dem Schultheis-seneid von 1623 schwor er den Eidgenossen, dem Land-vogt und der Bürgerschaft. Er sollte die Stadt bei ihren Rechten schützen, ihr Gericht schirmen und ein guter Richter sein. Bei einem unentschiedenen Urteil hatte er den Stichentscheid. Über den Inhalt von Land- und Stadtratsverhandlungen musste er Verschwiegenheit wah-ren. Wie bereits unter den Grafen war der Schultheiss von Sargans auch in der Gemeinen Herrschaft zugleich Amt-mann der Eidgenossen, wofür er einem jährlichen Lohn erhielt. Der Schultheiss sass nachweislich im 16. Jahrhun-dert als Schiedsrichter oder als Richter im Namen des Landvogts in Sargans oder Walenstadt zu Gericht.60

Der Rat der Stadt setzte sich aus sieben frei gewählten Bürgern zusammen, die mit dem Schultheissen auch das Stadt- und Wochengericht bildeten. Die Ausbürger, zu denen die Leute aus Vild und Prod gehörten, unterstan-

SarganserRichtplatzmitdemGalgen:AufderältestenAnsichtdes

SarganserTalbeckens(gezeichnetumsJahr1700vondemSchwei-

zerLandschaftsmalerFelixMeyer)istganzlinksimBilddieGalgen-

mühlemitdemGalgensichtbar.ImHintergrundsiehtmanStädt-

chenundSchossSargans.GraphischeSammlungdesHistorischen

VereinsSarganserland.

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61 SSRQSGIII/2,Nr.170;212;284;Geel,Jean:RechtlicheStellung

derStadt-undAusburgeramBeispielSargans,in:Sarganserland

1483–1983.VonderGrafschaftzumKantonSt.Gallen,hg.v.der

SarganserländischenTalgemeinschaft,Mels1982,S.81–96.

62 SSRQSGIII/2,Nr.120;212;306;350,Bem.;367;374.

63 SSRQSGIII/2,Nr.161;StaatsarchivLuzern,PrivatarchivGood,

SchachtelStädtchenSargans,DossierMaterialienzurRechtsge-

schichtedesStädtchensSargans;OrtsgemeindearchivSargans,

MappeI,Nr.89;Perret,Franz:1100JahrePfarreiSargans

850–1950,Mels1950,S.90–97.

64 Als«VogteiPfäfers»wirdinderRegeldieSchirmvogteides

Klostersbezeichnet.DagegenmeintdieBezeichnung«Vogtei

Ragaz»dieGerichtsherrschaft,welchezurHerrschaftFreudenberg

gehörte(vgl.Rigendinger:Sarganserland[wieAnm.3],

S.44).

65 SSRQSGIII/2,Nr.16a;Gabathuler,Heinz:GüterundRechteder

SagognerAdelsgruppeinUnterrätien,in:BundiMartin,Clavadet-

scherUrs,GabathulerHeinz,GrüningerSebastian,MaurerHelmut,

MeyerWerner,MuraroJürgL.,BeiträgezurhistorischenTagung

inSagogn,25./26.April2008,MittelalterlicheHerrschaftund

SiedlunginChurrätienamBeispielderFreiherrenvonSagogn/

Schiedberg(BeiheftNr.12zumBündnerMonatsblatt),

Chur2010,S.73.

den als Leibeigene der Eidgenossen den eidgenössischen Gerichten. Schultheiss und Rat wählten den Gantweibel, der neben seiner Teilnahme am Landrat als Stellvertreter des Schultheissen zu Gericht sass. Die Mitsprache der Ausbürger, besonders die Aufnahme neuer Bürger, führte wiederholt zu Streitigkeiten zwischen den Sarganser Ein- und Ausbürgern. Die Ausbürger befürchteten, bei der Aufnahme zu vieler Bürger in ihren Nutzungsrechten an Alpen und Allmenden geschmälert zu werden, weshalb sie wiederholt ein Mitspracherecht einforderten.61

Das Ortsgemeindearchiv Sargans enthält nur wenige ty-pisch städtische Quellen; Protokollbücher fehlen, wirt-schaftliche oder sittenpolizeiliche Bestimmungen, «Rats-erkenntnisse» etc. sind selten überliefert.62 Möglicher-weise gingen viele Archivalien bei Bränden, von denen das Städtchen mehrere erlebte, verloren.

Die enge räumliche Nähe zu den Grafen von Werden-berg-Sargans und später zum Landvogt mit dem Verwal-tungssitz auf Schloss Sargans liess die Stadt kaum aus dem Schatten der Herrschaft hervortreten. Weder in der Zeit der Landgemeinde noch zur Reformationszeit wendete sich die Stadt gegen die Herrschaft, sondern blieb ihr treu. Wie in Walenstadt kam es vereinzelt zwischen den Landvögten und der Stadt Sargans zu Kompetenzstreitig-keiten.63

Die Herrschaft Freudenberg

Zur Herrschaft Freudenberg mit der gleichnamigen Burg gehörte die Gerichtsvogtei Ragaz mit dem Hochgericht über die Pfäferser Gotteshausleute in Ragaz, Pfäfers, Va-lens und Vättis (vgl. Karte 1).64 Um 1300 umfasste die Herrschaft Freudenberg zwei Mühlen, Weiderechte auf der Alp Lasa, eine Taverne im Dorf Ragaz, einen Hof in Jenins und einen Zehnt in Malans sowie das Calfeisental ohne die Pfäferser Klosteralp Sardona. Nach dem Sargan-serländer Urbar von 1484 gehörten sieben Höfe in Ragaz, fünf Höfe in Vilters und Wangs, sechs Höfe bei Sargans-Vild, ein Hof in Untervaz und zahlreiche Lehensgüter in Fläsch, Malans und Valzeina zur Grund- und Gerichts-herrschaft Freudenberg.65

Im Jahr 1261 übertrug Abt Rudolf von Pfäfers Heinrich von Wildenberg die Schirmvogtei Pfäfers, nachdem Alb-recht III. von Sax-Misox sie 1257 dem Kloster verkauft hatte. 1263 wird erstmals die alte Burg Freudenberg ge-nannt. Die Bezeichnung «alte» Burg weist auf einen Neu-bau hin, der wohl von den Wildenbergern errichtet wur-de, da der Abt die Burg Wartenstein für sich bean- spruchte. Die Wildenberger übernahmen die Rechte des Meiers von Ragaz, dessen Zuständigkeit eingeschränkt wurde. Heinrich von Wildenberg vereinigte dadurch die

AusschnitteinerKartederGemeindeViltersmitKirche,Pfarrhaus,

FriedhofundHöfen,am26.Mai1824erstelltwegenumstrittenen

Wegrechten.StaatsarchivLuzern,PrivatarchivGood,SchachtelI,

DossierVilters-Wangs.

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66 SSRQSGIII/2,Nr.1;4;14.–ZurAuseinandersetzungdesKlosters

PfäfersumdieBurgWartensteinunddieSchirmvogteivgl.Gaba-

thuler:Adelsgruppe(wieAnm.65),S.72;Kuratli:Archiv(wieAnm.

17),S.123–130;Rigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),S.41–

43.

67 SSRQSGIII/2,Nr.8;14;29;Gabathuler:Adelsgruppe(wieAnm.

65),S.74;Rigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),S.44–47,50,

186.

68 SSRQSGIII/2,Nr.16;Rigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),

S.48–50;Vogler,Werner:DieWalserunddieAbteiPfäfers,in:Das

WerkderKlösterbeiderBesiedlungderAlpen,Aktender8.inter-

nationalenWalserStudientagung1990,Anzolad’Ossola1992,

S.71–87.–ZudenWalsernaufPalfrisvgl.SSRQSGIII/2,Nr.33.

69 SSRQSGIII/2,34.ObbeiderVerpfändungderHerrschaftFreuden-

bergauchdieGerichtsvogteidazugehörte,istnachKrügerundSi-

monfraglich.1411gabennämlichdieGrafenRudolfII.undHugo

V.vonWerdenberg-HeiligenbergihreZustimmungzueinervonAbt

undKonventvonPfäfersvorgenommenenGüterverleihungzwi-

schenRagazundFreudenberg(Krüger:Grafen[wieAnm.3],Reg.

729;Simon,Richard:RechtsgeschichtederBedediktinerabteiPfäfers

undihresGebietes,Ragaz1918,S.31f.;Wegelin,Karl:DieReges-

tenderBenedictiner-AbteiPfäversundderLandschaftSargans

[770–1520],[RegestenderArchiveinderschweizerischenEidgenos-

senschaftBd.1,4.Heft],Chur1850,Nr.394).DagegennimmtHar-

degger,JosephAnton:BeiträgezurspätmittelalterlichenGeschichte

derBenediktinerabteiPfävers,Freiburg1969(ZeitschriftfürSchwei-

zerischeKirchengeschichteBeiheft22),S.43,an,dassdieGerichts-

vogteimitverpfändetwurde.

70 SSRQSGIII/2,Nr.60;67;94;Rigendinger:Sarganserland(wie

Anm.3),S.334–345,361–369.

Gerichtsvogtei Ragaz und die Schirmvogtei über das Kloster in einer Hand. Der Herrschaft Freudenberg fehl-te als letztes Herrschaftsrecht nur das Patronatsrecht in Ragaz, das dem Kloster Pfäfers gehörte.66

Die Vogtei Pfäfers als Schirmvogtei des Klosters und die Vogtei Ragaz als die Gerichtsvogtei blieben wohl bis 1302 im Besitz von Heinrich II. von Wildenberg und wurden erst nach seinem Tod wieder getrennt: Die Gerichtsrechte erbte 1303/1304 Graf Hugo III. von Werdenberg-Heili-genberg mit der Herrschaft Freudenberg, die Schirmvog-tei ging an Graf Rudolf II. von Werdenberg-Sargans. Die mit der Aufteilung der Gerichts- und Grundherrschaft verbundenen Abgrenzungskonflikte, aber auch die viel-leicht gefälschte Gerichts- und Vogteioffnung des Klos-ters Pfäfers, zeigen die komplizierten Herrschaftsrechte in Ragaz. Im so genannten Stöcklibrief von 1396 wurde fest-gelegt, dass im Pfäferser Meierhof Ragaz das äbtische Nie-dergericht auch für die Freudenberger Eigenleute und im ganzen Klostergebiet das Freudenberger Hochgericht für alle Gotteshausleute gelte.67

Gegen Ende des 13. Jahrhunderts begann auf Initiative der Herrschaft Freudenberg die Kolonisation des vorderen Calfeisentals durch freie Walser, die nach Walserrecht ein eigenes Niedergericht besassen. Die Freudenberger Urba-

re aus dem 15. Jahrhundert zeigen, wie wichtig die Ein-künfte aus der Alpwirtschaft im Calfeisental für die Herr-schaft waren.68

1402 verpfändeten die Grafen von Werdenberg-Heiligen-berg die Herrschaft Freudenberg an Herzog Leopold IV. von Habsburg-Österreich, der sie vier Jahre später zusam-men mit den Herrschaften Sargans, Nidberg und Wind-egg an Graf Friedrich VII. von Toggenburg weiterreich-te.69 Nach seinem Tod fielen sie 1436 an Habsburg-Österreich zurück und wurden Graf Heinrich II. von Werdenberg-Sargans übergeben. Die Untertanen der Herrschaft Freudenberg schlossen sich der Sarganserlän-der Landgemeinde an, belagerten und zerstörten 1437 zu-sammen mit ihren Mitstreitern die Festung. 1444 nahmen die Schwyzer und Glarner die Herrschaften Nidberg und Freudenberg kurzfristig ein, doch erst 1462 – zwei Jahre nach der Eroberung – kamen die beiden Herrschaften zu-sammen mit Walenstadt endgültig an die Eidgenossen, die sie nach 1483 mit der Grafschaft Sargans zur Landvog-tei Sargans vereinigten, aber als Untervogtei weiterhin selbständig verwalteten.70

Klosterherrschaft Pfäfers

Das in der 1. Hälfte des 8. Jahrhunderts gegründete Bene-diktinerkloster Pfäfers als geistliches und kulturelles Zen-trum kann in einem Rechtsquellenband Sarganserland nicht ausreichend behandelt werden. Trotzdem kommt die nicht gerade einfache Überlieferungssituation wieder-holt zur Sprache. Die Quellen des Klosters Pfäfers sollten in einem separten Band kritisch herausgegeben werden. Hier wird das Kloster hauptsächlich in seiner Funktion als

AuchSonderrechte,wiedasRechtderfreienWalserimCalfeisen-

undWeisstannentalbzw.aufMatugundPalfris,wirdindenRechts-

quellendesSarganserlandesbehandelt.WalserhausVorderEbni,

St.MartinimCalfeisental.FotoBrunoGlaus.

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71 SSRQSGIII/2,Nr.8;17,Vorbem.2;21;74;91;137,Vorbem.2;

137b,Vorbem.;194;213;220;281;Hardegger:Pfäfers(wieAnm.

69);HelvetiaSacra(HS),Abt.III,Bd.1,ersterTeil,Bern1986,S.980–

1033;Rothenhäusler,Erwin:DieKunstdenkmälerdesKantons

St.Gallen,Bd.1(DerBezirkSargans),Basel1951(DieKunstdenkmäler

derSchweiz25),S.137–226;Kuratli:Archiv(wieAnm.17);Vogler,

Werner:DasRingenumdieReformundRestaurationderFürstabtei

Pfävers1549–1637,Mels1972;Wartmann,Hermann:DasKloster

Pfävers,in:St.GallerNeujahrsblatt1883undJahrbuchfürSchweize-

rischeGeschichte6(1881),S.15–85;Wegelin(wieAnm.69).

Herrschaftsträger im Sarganserland thematisiert. In die-sen Zusammenhang fällt u. a. die Darstellung der Kon-kurrenzsituation und der Kompetenzkonflikte, die sich aus dem Nebeneinander und der Verflechtung der beiden Herrschaften Kloster und eidgenössische Orte ergaben. 71

Schirmvogtei

Die Schirmvogtei des Klosters Pfäfers lag von 1209–1257 bei den Herren von Sax-Misox, welche die Burg Warten-stein errichteten. Mit der Trennung der Gerichtsvogtei Ragaz von der Schirmvogtei Pfäfers gelangte die Schirm-herrschaft nach dem Tod des letzen Wildenbergers

(1302/1304) an die Grafen von Werdenberg-Sargans. Im Jahr 1351 verpfändete Rudolf IV. von Werdenberg-Sargans die Schirmvogtei kurzfristig für 350 Gulden an Abt und

Frische Impulse für die GeschichtsschreibungStefan Gemperli

Das Gebiet des heutigen Kantons St.Gallen teilten sich bis zum Jahr 1798 zwölf Herrschaften. Es handelte sich dabei – mit Ausnahme des ausgedehnten Herrschaftsbereichs der Fürstäbte von St.Gallen – um Klein- oder Kleinstterritorien, die mehrheitlich alteidgenössischen Orten unterstellt waren. Bezüglich ihrer politischen, rechtlichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Ausprägungen unterschieden sich die ein-zelnen Herrschaftsgebiete zum Teil erheblich voneinander. Bis heute hat die geschichtliche Fragmentierung unseres Kantons vielfache Spuren hinterlassen und das nicht zuletzt in der Archivlandschaft. So liegen im Staatsarchiv und im Stiftsarchiv St.Gallen zusammen lediglich Teile der schriftli-chen Quellen zur Geschichte vor 1798. Geschichtsinteres-sierte müssen oft, manchmal verbunden mit erheblichem Aufwand, in verschiedenen Archiven im näheren oder wei-teren geografischen Umkreis recherchieren. Für die Kundschaft ebenso wie für die Mitarbeitenden des Staatsarchivs St.Gallen ist gerade vor diesem Hintergrund die Edition der «Rechtsquellen», handle es sich bei den Ar-chivalien um normative Texte (z. B. Gesetze, Mandate), um Beispiele der Rechtsanwendung (z. B. Gerichtsurteile) oder um Überlieferungen des Gewohnheitsrechts (z. B. Hofrödel), von ausserordentlichem Wert. Sankt-gallische Quellen wer-den auf diese Weise qualitativ hervorragend erschlossen und sichtbar; vergleichende Forschungen werden dadurch ange-regt oder überhaupt erst möglich gemacht. Dass aktuell gleich mehrere Projekte zu Rechtsquellen der historischen Regionen des Kantons St.Gallen in Bearbeitung sind, wird von den Archiven mit besonderer Freude zur Kenntnis ge-nommen. Die Geschichtsforschung erhält durch die Editio-nen, die teilweise auch die Chancen der Informationstech-nologie nutzen, neue Möglichkeiten und wichtige Impulse. Darüber hinaus erfährt die Vernetzung der Archive und ihrer Bestände eine massgebliche Förderung.

Das wohlgeordnete und verzeichnete Pfarrarchiv Walen-stadtbefindet sich ineinemSchrank imPfarrhausWalen-stadt. Leider sind noch viele kleinere Archive im KantonSt.Gallen ungeordnet und ein Verzeichnis der Beständefehlt.FotoPascaleSutter.

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72 SSRQSGIII/2,Nr.4;14;17;26;38.

73 SSRQSGIII/2,110;134;162;Hardegger:Pfäfers(wieAnm.69),

S.63–82;Kuratli:Archiv(wieAnm.17),S.132.

74 SSRQSGIII/2,Nr.194;195;223;208a.DerMarchen-und

Jurisdiktionsstreitim18.Jh.wurdeeingehenduntersuchtvon

Kuratli:Archiv(wieAnm.17).

75 SSRQSGIII/2,279a.

Konvent des Klosters Pfäfers, wobei er weiterhin den mi-litärischen Schutz gewährte. Die Schirmvogtei verliehen die Grafen von Werdenberg-Sargans in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts wiederholt ans Kloster oder andere po-tente Geldgeber. 1393 verloren die Grafen von Werden-berg-Sargans de facto die Schirmvogtei, denn Herzog Leo- pold IV. von Habsburg-Österreich stellte dem Kloster als Gegenleistung für die Öffnung der Burg Wartenstein ei-nen Schutzbrief aus. 1408 bestätigte König Ruprecht Pfä-fers die freie Vogtwahl.72

Die Eidgenossen sahen sich ab 1460 auch als Schirmvög-te des Klosters Pfäfers, obwohl sie mit der Herrschaft Freudenberg nur die Gerichtsvogtei des Klosters Pfäfers, die so genannte Vogtei Ragaz, übernommen hatten. Be-reits ihre Vorgänger, die Habsburger, traten seit 1456 als Schirm- und Gerichtsvögte auf. Das Vogteiverhältnis ge-wann in der eidgenössischen Landvogtei wieder an Be-deutung, denn die eidgenössischen Orte verstärkten seit 1483 die Kontrolle über das Kloster in der Haushaltsfüh-rung, der Abtwahl usw., wogegen sich das Kloster immer wieder, zum Beispiel im Gossembrot-Handel (1498) oder dem so genannten Marchen- und Jurisdiktionsprozess von 1729–1742, zur Wehr setzte. Erst 1522 verzichtete das

Kloster zugunsten der Eidgenossen auf die ihm von Kö-nig Ruprecht 1408 zugesicherte freie Wahl seiner Schirm-vögte.73

Der Widerstand seitens des Klosters gegen die aktive Schirmpolitik der eidgenössischen Orte blieb im ganzen 16. Jahrhundert gering. Erst mit der Wahl von Abt Michael Saxer (reg. 1600–1626) zu Beginn des 17. Jahr-hunderts verhärteten sich die Fronten: Mehrmals beklag-te sich der Abt an der Tagsatzung über die Schmälerung der Rechte und Freiheiten des Klosters oder über die Ent-ziehung von Leibeigenen durch die Landvögte. Ebenso umstritten waren die Grenzen des Pfäferser Ter-ritoriums.74

Klösterliche Ämter

Auf die Verwaltungsstruktur innerhalb des Klosters kann hier nicht näher eingegangen werden. Neben dem Abt spielten der Dekan und ab dem 17. Jahrhundert die bei-den Administratoren oder der Kanzler eine wichtige Rol-le.75

Das Amt eines Ammanns entwickelte sich aus dem klös-terlichen Amt des Meiers, der das grundherrschaftliche Hofgericht leitete. In der Frühen Neuzeit war er vor-nehmlich für das Eintreiben der Zinsen und Zehnten ver-antwortlich und wurde vom Abt eingesetzt. Auskunft über das Amt gibt der Anstellungsvertrag von 1731 mit dem Ammann von Wangs: Zu seinen Pflichten gehörten die Aufsicht über die ordentliche Ablieferung des Korn- und Weinzehnten sowie des Kleinen Zehnten, die Kon-

KlosterundDorfPfäfersnachPingret/Bove/Noël,1826.Sammlung

Ragaziana,BadRagaz.

BurgruineWartensteinoberhalbvonBadRagaz.

FotoPascaleSutter.

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76 SSRQSGIII/2,Nr.279b;Simon:Rechtsgeschichte(wieAnm.69),

S.79.

77 SSRQSGIII/2,Nr.59;Rigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),

S.109.

78 SSRQSGIII/2,Nr.62;77;79;92;106a;116;130;145b;171;186;

190;300;OrtsgemeindearchivWeisstannen,gelberOrdner

(1564.05.08);StiftsarchivPfäfers,AntonMüller,FlumserUrkunden,

Bd.1,S.104–107;OrtsgemeindearchivSargans,MappeI,Nr.19a/b;

StiftsarchivPfäfers,V.40.k,V.40.l;OrtsgemeindearchivPfäfers,

0101.404.21;OrtsgemeindearchivValens,CouvertLasa;Stiftsarchiv

Pfäfers,Cod.Fab.122;OrtsgemeindearchivBadRagaz,UA1648-2;

UA1734-3;StaatsarchivSt.Gallen,AA4A3-7.

trolle der klösterlichen Lehensgüter, das Einholen der Zu-stimmung des Abts bei Handänderungen von Schupf- und Erblehen und der Einzug des Ehrschatzes von 5 Prozent zu Handen des Klosters. Zudem sollte er bei den Wangser Gotteshausleuten den Todfall einziehen und schriftlich Rechnung ablegen. Dafür bekam er von jedem Fall einen Gulden, von jeder Fasnachtshenne zwei Kreuzer und von jedem Sack Korn oder Eimer Wein 40 Kreuzer.

Für das Kloster sind Ammänner in Quarten, Mels, Vil-ters, Wangs und Ragaz belegt. Eine besondere Stellung hatte der Ammann von Ragaz, häufig «Ammann und Richter zu Ragaz» genannt: Er durfte vom Abt nur mit Zustimmung und in Gegenwart des Landvogts eingesetzt und vereidigt werden, denn er war weltlicher Stellvertre-ter des Abts in den Angelegenheiten der Gerichtsgemein-de Ragaz und gleichzeitig Richter im äbtischen Maienge-richt von Ragaz.76

In Quarten, das bis 1438 zur österreichischen Herrschaft Windegg bzw. bis 1798 zur Landvogtei Gaster gehörte, befand sich ein Pfäferser Meierhof mit grundherrschaftli-chem Hofgericht. Der Hof besass eine Fischerei in Terzen und einen Bootsbetrieb, der Unterterzen, Quinten und Walenstadt bediente.77

Gerichtsorganisation

Mit der Herrschaft Freudenberg erwarben die Eidgenos-sen 1460 die Gerichtsvogtei Ragaz und somit auch die Gerichtsvogtei über das Kloster. Der Vertreter der Herr-schaft Freudenberg war der Untervogt, dessen Wahl durch

den Landvogt erfolgte. Laut eines Hofzinsrodels aus dem 17. Jahrhunderts zog der Untervogt die freudenbergischen Lehenszinse oberhalb der Saar ein und lieferte diese an Lichtmess (2. Februar) auf das Schloss Sargans. Sein Jah-reslohn betrug nach der Jahrrechnung von 1643 20 Pfund. Er sass in Vertretung des Abts und auf Befehl des Land-vogts als Richter im Ragazer Maienlandgericht. Der Un-tervogt wurde in Urteilen und Schiedssprüchen beigezo-gen, sass als Beisitzer im Hochgericht, konnte Bevollmächtigter der Gerichtsgemeinde Ragaz bei Strei-tigkeiten sein und wirkte bei Gesetzesvorlagen mit.78

Das Maienlandgericht in Ragaz fand jährlich während drei Tagen im Frühjahr statt. Der Freudenberger Unter-vogt richtete zusammen mit zwölf Urteilssprechern in Fällen von Ehrverletzungen, aber auch bei Streitigkeiten um Erbschaften sowie um liegende und fahrende Güter. Von den Bussen erhielt der Untervogt einen Drittel und der Abt zwei Drittel; im gleichen Verhältnis wurden auch die Gerichtskosten aufgeteilt. Laut des Abschieds von

SichtvonderBündnerSeiteüberdenRheinaufRagaz,dieBurgFreudenberg,dasKlosterPfäfers,dieKapelleSt.Georg,dieTardisbrücke

unddenBizilonFels.DieAnsichtwurdewegeneinesKonfliktsumDämme1722erstelltundstammtvoneinemphantasievollenOrtsun-

kundigen.Aquarell,82x34cm.StaatsarchivThurgau7‘00‘4,Akten1722.

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79 SSRQSGIII/2,Nr.137b,II;195,Art.5.Simonpräzisiertohnege-

naueQuellenangabe,dassderLandvogtdievierRichteraufVor-

schlagdesUntervogtsunddesGerichtsammannsundderAbtvier

RichterausRagaz,zweiausPfäfersundjeeinenausValensund

Vättisernannte.NachSimonwarendemMaienlandgerichtalle

GotteshausleuteunddiezurHerrschaftFreudenberggehörigen

Landvogteileuteunterstellt(Simon:Rechtsgeschichte[wieAnm.69],

S.91–93).

80 SSRQSGIII/2,Nr.64;137b,II;195;Simon:Rechtsgeschichte

(wieAnm.69),S.93–94.

81 SSRQSGIII/2,Nr.137a,III,Art.1;137b,II;StiftsarchivPfäfers,Cod.

Fab.33,S.4;Rigendinger:Sarganserland(wieAnm.3),S.46.

82 SSRQSGIII/2,Nr.137b,III.

83 SSRQSGIII/2,Nr.223;253.

84 Heibei,Jacquelin-Nicole:HerrschaftundUntertanenstandinder

GrafschaftWerdenbergundderHerrschaftWartauvon1517–1638,

LizentiatsarbeitZürich1997;Schwendener,Marcel:DasWerdenber-

gerUrbarvon1543.EditionmitBemerkungenÜberlieferungs-und

BenutzungsgeschichtederWerdenbergerUrbare,Lizentiatsarbeit

Zürich2000;Winteler,Jakob:DieGrafschaftWerdenbergund

HerrschaftWartauunterGlarus1517–1798,Glarus1923;diverse

ArtikelindenWerdenbergerJahrbüchern.Eineausführlichere

DarstellungnurzurHerrschaftWartaustelltdasBuchvonGraber:

Wartau(wieAnm.9),dar.SeineQuellensammlungzurGemeinde

Wartauistnochnichtpubliziert.

85 SSRQSGIII/2,Nr.13;Gabathuler:Adelsgruppe(wieAnm.65),

S.70–72.ZudengerichtlichenKompetenzeneinesHerrnderBurg

Wartauvgl.SSRQSGIII/2,Nr.13,Nr.101,Vorbem.4;123;128;

154;LandesarchivGlarus,HIARA2429:103,110,119;Landes-

archivGlarus,HIARA2429:25.

1604 stellte der Landvogt vier Landvogteileute und der Abt acht Gotteshausleute als Urteilsprecher.79

Nach dem dreitägigen Maienlandgericht unter Führung des Untervogts tagte dasselbe Gericht weiter unter dem Vorsitz eines vom Abt eingesetzten Gerichtsammanns. Laut dem Landrecht aus dem 17. Jahrhundert wurde das Gericht vom Abt angeordnet und tagte zwei Mal jährlich, nämlich im Frühling und im Herbst, in Ragaz.80

Daneben gab es ein Gericht, später Wochengericht ge-nannt, mit sieben Richtern in Ragaz. Der Untervogt hat-te mit diesem Gericht nichts zu tun; er bekam jedoch als Schutzherr einen Drittel der Bussen. Ausserhalb der or-dentlichen Gerichte, wenn beispielsweise nicht bis zum nächsten Gerichtstermin gewartet werden konnte, be-stand für Fremde oder Einheimische die Möglichkeit, für 16 Gulden ein ausserordentliches Gericht, Kaufgericht genannt, einberufen zu lassen.81

Laut dem Landrechtsbuch aus dem 17. Jahrhundert gin-gen die Appellationen von allen niederen Gerichten an den Abt. Die Beschwerde musste noch während der Ge-richtsverhandlung eingelegt werden. Innerhalb von 14 Tagen sollte das Urteil an das Appellationsgericht gelan-gen, wo ein Verhandlungstermin festgesetzt wurde. Der

Appellant bezahlte dafür 36 Kreuzer. Eine Revision des Appellationsurteils konnte aufgrund einer neuen Beweis-lage auf Gutheissen des Abts erlaubt werden.82 Das Appel-lationsgericht bestand aus den beiden Verwaltern zusam-men mit Beisitzern oder dem Abt zusammen mit Beisitzern.

Das Appellationsrecht wurde dem Abt seitens des Land-vogts im 17. Jahrhundert streitig gemacht. Der Spruch der sieben Orte im Appellationsstreit 1638 hält fest, dass die Appellationen aller Gerichte an den Landvogt zu gehen hatten. Laut einem Tagsatzungsurteil von 1661 sollten die Appellationen von äbtischen Wochengerichten nach al-tem Brauch weiter an den Abt gezogen werden. Über die Appellationen vom Maienlandgericht wurde noch nichts entschieden, aber bis zur endgültigen Entscheidung woll-te man bei der bisherigen Handhabung bleiben, d. h. die Appellationen gingen wohl weiter an den Landvogt. In den Gerichtsprotokollen sind Appellationen an den Abt vom Maienlandgericht unter dem Vorsitz des Gerichts-ammanns, d. h. als äbtisches Gericht, weiter belegt, nicht aber Appellationen vom Maienlandgericht unter dem Vorsitz des Untervogts.83

Die Herrschaft Wartau

In der Literatur zur sarganserländischen Geschichte füh-ren die Herrschaft Wartau und die Gerichtsgemeinde Wartau ein Schattendasein. Sie werden, wenn überhaupt, kaum je in die Untersuchungen miteinbezogen. Auf-grund der heutigen Zugehörigkeit der politischen Ge-meinde Wartau zur Region Werdenberg finden sie in ge-schichtlichen Werken zu Werdenberg Beachtung.84

Erst 1342 wird die wohl um 1220 erbaute Burg Wartau an-lässlich ihrer Verpfändung an Adelheid von Klingen, die Ehefrau des Johann von Belmont, erstmals urkundlich erwähnt. Nach Heinz Gabathuler kamen die Belmonter wohl über die Herren von Sagogn in den Besitz der Burg Wartau. Zur Herrschaft Wartau gehörten nachweislich im 15. Jahrhundert, aber wohl schon früher, nebst der Burg auch die drei Hofsiedlungen Gretschins, Fontnas und Murris sowie die Pfarrkirche Gretschins. Die Herr-schaft Wartau bildete eine Grund-, Leib- und Kirchherr-schaft, die rechtlich eng mit dem restlichen Gebiet der heutigen Gemeinde Wartau verflochten war.85

Gegen Ende des 14. Jahrhunderts versuchten die Grafen von Werdenberg-Sargans, ihre territorialen Ansprüche in der Gegend von Wartau und Sevelen gegen die Werden-berg-Heiligenberger durchzusetzen und verbündeten sich gegen diese im so genannten antiwerdenbergischen Bünd-nis von 1393. Die Burg Wartau erscheint in diesem An-griffspakt als Sarganser Besitz. Ebenso taucht zum ersten

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86 SSRQSGIII/2,Nr.25;31;87;Gabathuler,Heinz:DieGrenzeder

GrafschaftenWerdenbergundSargans,in:WerdenbergerJahrbuch

24/2011,S.246–251;Graber:Wartau(wieAnm.9),S.51;Rigen-

dinger:Sarganserland(wieAnm.3),S.121,126–127,264–265.

87 SSRQSGIII/2,Nr.33;51a,Art.29;Nr.51b,Art.24;Nr.106a,

Vorbem.2;Graber:Wartau(wieAnm.9),S.168.

Mal die Grenzfrage zwischen den Grafschaften Sargans und Werdenberg auf. Das Schiedsgericht von 1399 been-dete die Werdenberger Fehde und erwirkte, dass die Sarganser die Burg Wartau (mit dem Patronatsrecht der Kirche Gretschins) an die Werdenberger zurückgeben mussten.86

Im 15. Jahrhundert bildete sich die Kirchgenossenschaft Wartau-Gretschins, allerdings ohne die am Wartauer Berg siedelnden Walser. Die freien Walser entrichteten den Grafen von Werdenberg-Sargans Abgaben für Schutz und Schirm und dienten ihnen mit «Schwert und Speer». Gü-terrechtlich gehörten sie jedoch zur Herrschaft Wartau, d. h. die Lehenszinsen bezahlten sie den Belmonter Her-ren und den Werdenberger Grafen. Offenbar wurden die Walser von den Sarganser Grafen bewusst auf Gütern an-

gesiedelt, die den Belmontern und dann den Werdenber-gern gehörten.87

Burg und Herrschaft Wartau gelangten 1414 an die tog-genburgische Herrschaft, und Graf Friedrich VII. ver-pfändete sie 1429 an seinen Schwager, Graf Bernhard von Thierstein. Während des Alten Zürichkriegs trat die Kirchgenossenschaft Wartau-Gretschins der Sarganser-

Rechtsquellen als Grundlage für die KunstdenkmälerinventarisationCarolin Krumm

Seit Juni 2011 widmet sich der Kanton St.Gallen nach über vierzigjährigem Unterbruch erneut der Kunstdenkmälerin-ventarisation, einem seit achtzig Jahren landesweit durchge-führten Projekt zur Erforschung, Dokumentation und Ver-mittlung historischer Bauten und ihrer Ausstattung, dessen Ergebnisse in der bereits 124 Bände umfassenden Buchreihe «Die Kunstdenkmäler der Schweiz» publiziert sind. Ziel des Projekts ist es, das künstlerische Schaffen einzelner Regio-nen am Beispiel ausgewählter Bauten und ihrer Ausstattung exemplarisch darzustellen, einem breiten, interessierten Pu-blikum ansprechend zu vermitteln und für die Nachwelt zu dokumentieren.Die Weiterbearbeitung des Kantons St.Gallen beginnt in der Region Werdenberg mit ihren sechs Politischen Gemeinden Wartau, Sevelen, Buchs, Grabs, Gams und Sennwald.Die historische Entwicklung dieser Region ist ausgesprochen komplex, bedingt auch durch die unterschiedliche Herr-schafts- oder Konfessionszugehörigkeit der einzelnen Ge-genden. So bestand im Spätmittelalter innerhalb der zur Grafschaft Sargans gehörenden Gerichtsgemeinde Wartau die kleinräumige Herrschaft Wartau als eine eigenständige Grund-, Leib- und Kirchherrschaft, obwohl sie rechtlich eng mit dem restlichen Gebiet der Gerichtsgemeinde verflochten war. Neben dem Burgetter Wartau mit der gleichnamigen Burg und dem Weiler Gretschins mit Pfarrkirche umfasste die Herrschaft Wartau die drei Hofsiedlungen Fontnas, Mur-ris und Malans. Fontnas entwickelte sich spätestens im 16. Jahrhundert zu einem von repräsentativen Putzbauten geprägten Weiler mit einem heute als «Ortsbild von nationaler Bedeutung» ge-schützten und entsprechend im Kunstdenkmälerinventar gewürdigten Erscheinungsbild (siehe Abbildung). Geprägt

Dasals«OrtsbildvonnationalerBedeutung»inseinemEr-scheinungsbildgeschützteDorfFontnasistwegenderViel-zahl und dicht gedrängten Anordnung frühneuzeitlicherPutzbauteneinzigartiginWartau.NochheuteermöglichendieFontnaserBauteneinenerkenntnisreichenEinblickaufdiespannendeSozial-undWirtschaftstopographiederZeit.Hist.Postkarte,vor1911,GemeindeWartau.

wird dieses sowohl von stattlichen Bauten ehemaliger Acker-bauern und Viehzüchtern als auch von einzelnen Repräsen-tationsbauten, die wiederum mit Amtsträgern der Herr-schaft Wartau in Bezug gesetzt werden können.Wie dieser kurze Blick auf die Wartauer Herrschaftsstruktur und die Fontnaser Bauten verdeutlicht, kann die exakte Kenntnis der Rechtsquellen und damit wesentlicher damali-ger Lebensgrundlagen der Kunstdenkmälerinventarisation eine Verständnistiefe eröffnen, die die kunst- und kulturhis-torische Betrachtungsweise erheblich bereichert.

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länder Landgemeinde bei, mit der sich am 11. November 1437 auch Graf Bernhard von Thierstein verbündete. Am 30. Oktober 1438 vermittelten der «Hauptmann und Rat» im Sarganserland zwischen den Angehörigen der Herr-schaft Wartau und ihrem Herren wegen Steuern, Fron-diensten, Lehenszinsen, Leibrechten sowie Bussen und schützten dabei die Ansprüche der Herren gegen die mit ihnen verbündeten Mitlandleute.88

Im Jahre 1451 erbte Friedrich von Limpurg die Herrschaft Wartau, und 1470 erwarb sie Wilhelm von Montfort-Tettnang. Die Grafschaft Werdenberg und die Herrschaft Wartau gelangten 1483 an Johann Peter von Sax-Misox, der sie aber bereits zwei Jahre später an Luzern verkaufte. Luzern behielt die Besitzungen ebenfalls nur wenige Jahre und veräusserte sie 1493 an die Freiherren von Kastelwart, die sie 1498 den Freiherren von Hewen weiterreichten. Schliesslich kaufte 1517 Glarus die Grafschaft Werdenberg und die Herrschaft Wartau und behielt diese bis zum Ende des Ancien Régime; das Gebiet der Gerichtsgemein-de Wartau gehörte bis 1798 zur Landvogtei Sargans.89

Der Grenzverlauf zwischen den Grafschaften Sargans und Werdenberg blieb seit der Werdenberger Fehde von 1395 umstritten, bis er 1488 endgültig festgelegt wurde. Die Herrschaft Wartau wurde nach 1470 zwar von Werden-berg verwaltet, gehörte aber nie zur Grafschaft oder Land-vogtei Werdenberg, sondern zur Grafschaft oder Land-vogtei Sargans. Erst mit der Sankt-Galler Regenera- tionsverfassung von 1831 wurde Wartau dem Bezirk bzw. seit 2003 der Region Werdenberg zugeteilt.90

Die Landvogtei Sargans hatte in der Gerichtsgemeinde Wartau die Hoch- und Niedergerichtsbarkeit inne. Aus-genommen war die direkt zur Herrschaft Wartau gehö-rende niedere Gerichtsbarkeit innerhalb des Etters Gret-schins, die 1515 auf Eigengüter und Erbschaften sowie auf

einen Bussenbetrag bis zu drei Pfund festgelegt wurde. Den Grenzverlauf des Etters beschrieb 1511 ein Schiedsge-richt, das auch die Steuerpflicht regelte und der Herr-schaft Wartau das Recht zur Vergabe der Taverne und der Güter innerhalb des Etters bestätigte.91

Die Glarner Hoheitsrechte der Herrschaft Wartau sind erstmals ausführlich im Werdenberger Urbar von 1580 festgehalten: Das Niedergericht, das güterrechtliche An-gelegenheiten verhandelte, fand zweimal jährlich wäh-rend zwei Tagen statt und war mit fünf Rechtsprechern besetzt, auch Schlossrichter genannt. Bei Bedarf konnten zwei Werdenberger beigezogen werden. Neben den Bus-sen für Frevel bis drei Pfund besassen die Glarner die Kol-latur der Pfrund Gretschins, die Hälfte des Wildbanns, Fischereirechte, die Fähre am Schollberg, Steuern, Zehn-ten, Lehenszinse sowie Abgaben und Frondienste der zur Burg gehörenden Eigenleute.92

Wichtigste Amtsperson der Herrschaft Wartau war der Schlossammann, der die zur Burg gehörenden Zinsen und Abgaben einzog. Sein Jahreslohn betrug im 16. Jahr-hundert fünf Gulden, ausserdem erhielt er alle drei Jahre einen Mantel. Ihm gehörten zudem die Einnahmen der Fasnachtshennen und drei Tagwerke (Frondienste) der zur Burg gehörenden Eigenleute. 1754 kam er auch in den Genuss der Fischenz im Mühlebach. Laut dem Schloss-ammanneid von 1754 wurde dieser Amtmann auf Vor-schlag des Landvogts vom Ort Glarus gewählt, musste die im Etter begangenen Straftaten melden und bei Gefahr die Verteidigung organisieren. Der Schlossammann hatte auch gegenüber dem Landvogt von Sargans einen Eid ab-zulegen. Ebenso mussten auch die Untertanen der Herr-schaft Wartau sowohl Glarus als auch dem jeweiligen Sar-ganser Landvogt huldigen.93

Der Schlossweibel zog im 16. Jahrhundert die Steuern und den tierischen Zehnt ein. Dafür erhielt er zwei Gul-den Lohn, alle drei Jahre Bekleidung und 1754 zusätzlich das Nutzungsrecht am Gut Weibelbüel. Laut dem Urbar von 1754 erfolgte seine Wahl auf die gleiche Weise wie diejenige des Schlossammanns. Ein Beschluss, das Schloss-weibelamt wegen zu geringer Auslastung gänzlich abzu-schaffen und dessen Aufgaben dem Schlossammann zu übertragen, wurde rückgängig gemacht.94

Neben herrschaftlichen Ämtern sind in der Gerichtsge-meinde Wartau zahlreiche kommunale Ämter belegt, z. B. der Säckelmeister, der Steuer-, Schul- oder Spendvogt, der Weibel etc.

Glarus zeigte kein Interesse am Unterhalt der Burg War-tau, die zusehends verfiel. 1653 war der Zustand der Burg so schlecht, dass man den Besammlungsplatz im Kriegs-fall auf den Friedhof vor der Kirche Gretschins verlegte.

88 SSRQSGIII/2,Nr.40;47;53;Graber:Wartau(wieAnm.9),

S.60–61;Wegelin(wieAnm.69),496.

89 Graber:Wartau(wieAnm.9),S.31.

90 SSRQSGIII/2,Nr.66;101,aberauchNr.46.Gabathuler:Grenze

(wieAnm.86);Graber:Wartau(wieAnm.9),S.29–30,73–76,

84–86,91–92;Reich,HansJakob:Werdenberg–eineRegionmit

unterschiedlichenGeschichten.Übersichtüberdieterritorialen

Verhältnisse,in:WerdenbergerJahrbuch2005,S.9–13.

91 SSRQSGIII/2,Nr.101;123;128.Vgl.auchdieUrbareSSRQ

SGIII/2,Nr.178a–b.

92 SSRQSGIII/2,Nr.154b;Nr.178a,III;lautdemUrbarvon1754wur-

dendieRichtervomWerdenbergerLandvogteingesetzt(178b,III);

Graber:Wartau(wieAnm.9),S.108.

93 SSRQSGIII/2,Nr.112a;329a–d;Graber:Wartau(wieAnm.9),

S.117.

94 SSRQSGIII/2,Nr.112b;178b,X;329e–g;sieheauchausführlich

Graber:Wartau(wieAnm.9),S.117–127,mitNamenslisten.

95 SSRQSGIII/2,Nr.128;154a–b;203;231.

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Die zersplitterte Rechtslage in der den Glarnern gehören-den Herrschaft Wartau und der unter Herrschaft der sie-ben Orten stehenden Gerichtsgemeinde Wartau führten immer wieder zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen die-sen beiden Herrschaftsträgern. 1550 beanspruchten beide Herrschaften den Wildbann für sich. Schliesslich einigten sie sich zur Teilung des Wildbanns sowie der daraus resul-tierenden Bussen. Das Jagdrecht beider Herrschaften führte noch im 18. Jahrhundert zu Differenzen. Weitere Konfliktherde bildeten die Gerichtskompetenzen, die Fi-schereirechte, die Zugehörigkeit der Leibeigenen und die Steuern.95

Rechtsquellen im Geschichtsunterricht an MittelschulenPatrick Bernold

Im Lehrplan der Gymnasien ist die Regionalgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit leider eine meist nur wenig genutzte Option im Rahmen der Universalgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Dies zeigt sich gerade bei den noch knapp vierjährigen Kurzzeitgymnasien des Kan-tons St.Gallen, welche im Grundlagenunterricht Geschichte eine stets wachsende Stofffülle auf ein erträgliches Mass in einem Zwei-Lektionen-Fach zu reduzieren haben. Gerade die ältere Schweizergeschichte bietet dabei eine Reihe von Möglichkeiten, mit dem Besuch von historischen Schauplät-zen oder regionalen Museen und Archiven sowie dem ge-zielten Einsatz von Texten aus der Sammlung Schweizeri-scher Rechtsquellen den Jugendlichen einen unmittelbaren Einblick in die Welt früherer Jahrhunderte in unserem histo-rischen Raum zu geben.Wenn ich z. B. an der Kantonsschule Wil in einem Spe-zialthema aus Anlass des Jubiläums «300 Jahre Zwölferkrieg – der letzte Religionskrieg der Schweiz» die Situation der im Jahr 1712 von Zürchern und Bernern besetzten Stadt Wil anhand von Originalquellen aufzeigen will, liefert mir der Band «Die Rechtsquellen der Stadt Wil» (SSRQ SG I/2/3) dazu unter anderem das Kapitulationsschreiben, Steuerbe-fehle der beiden Besatzungsstände sowie deren Forderung nach Passkontrollen zur Verhinderung ansteckender Seu-chen.Ein anderes Feld, wo die Rechtsquellenbände zum Einsatz kommen können, sind die seit einigen Jahren fest etablier-ten Maturaarbeiten, für die Geschichtslehrpersonen ihren Schülerinnen und Schülern historische Themen vor allem auch mit lokalem oder regionalem Bezug empfehlen. Eine meiner Schülerinnen befasste sich vor kurzem mit einem be-sonderen Kapitel der Wiler Schulgeschichte, worauf ich sie auf eine Reihe von Texten zur Regelung des Schulwesens im 17. und 18. Jahrhundert in der Äbtestadt im bereits genann-ten Rechtsquellenband hinweisen konnte. Einen weiteren Anwendungsbereich bietet das wählbare Ergänzungsfach

DieBeschiessungvonWilamAbenddes21.Mai1712.Öl auf Leinwand. Schweizerisches Landesmuseum Zürich(http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Belagerung_von_Wil_1712.jpg).

Geschichte in den Maturitätsklassen, wo gezielt beispiels-weise auch siedlungs- und sozialgeschichtliche Themen ei-ner Schweizer Region im historischen Längsschnitt vertieft werden können.Um den Einsatz der Sammlung Schweizerischer Rechtsquel-len im Geschichtsunterricht an den Mittelschulen jedoch noch viel breiter bekannt zu machen und damit lohnenswer-te regionalgeschichtliche Themen stärker zu fördern, sollten mit ihren Dokumenten digitale Unterrichtseinheiten konzi-piert werden, die über das Internet allen Interessierten jeder-zeit zur Verfügung stehen und damit auch im 21. Jahrhun-dert motivieren, sich mit der Vergangenheit in unserem Schweizer Raum vertieft auseinanderzusetzen. Dazu möch-ten wir im Kanton St.Gallen in den nächsten Jahren im Rah-men der Weiterbildung von Geschichtslehrpersonen ein Pro-jekt lancieren.

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Werkstattbericht

Die Initiative für das Projekt «Rechtsquellen des Rhein-tals» ging vom «Verein für die Geschichte des Rheintals» aus, der im Jahr 2000 gegründet wurde und mit dem Buch «Rheintaler Köpfe»1 einen ersten Markstein für die Neuaufarbeitung der Vergangenheit des Rheintals setzte. Die Rechtsquellenedition bildet eine Grundlage für die nachfolgende, einbändige «Geschichte des Rheintals», stellt aber als Grundlagenforschung ein selbständiges, weit in die Zukunft weisendes Werk dar.

Zu Beginn des Jahres 2007 wurde ein Konzept für das Rechtsquellenprojekt erstellt. Demnach umfasst das Un-tersuchungsgebiet die früheren Bezirke Unter- und Ober-rheintal, also die ehemalige eidgenössische Gemeine Herrschaft Rheintal plus Altenrhein im Norden und Oberlienz im Süden bzw. die vierzehn politischen Ge-meinden Rüthi, Oberriet, Eichberg, Altstätten, Marbach, Rebstein, Balgach, Diepoldsau, Widnau, Berneck, Au, St.Margrethen, Rheineck und Thal. Die «Allgemeinen Rechtsquellen des Rheintals» werden 2015 in zwei Halb-bänden mit einem Gesamtumfang von zirka 1’000 Seiten herausgegeben. In Berücksichtigung des ursprünglichen Editionsplans der Rechtsquellenedition einerseits und der Quellenfülle andererseits ist für die Landstädte Altstätten und Rheineck ein späterer, separater Band vorgesehen. Wenn die Quellen zu den beiden Landstädten auch ande-

re Orte des Rheintals betreffen, werden sie jedoch in den ersten zwei Halbbänden berücksichtigt. Am 1. Juli 2007 durfte der Autor dieses Artikels das Rechtsquellenprojekt offiziell starten. Am Anfang stan-den die üblichen Grundlagenarbeiten wie die Erarbeitung eines Konzepts, die Erstellung einer Archivliste, die Bib-liografie von Sekundärliteratur und Editionen,2 das Ein-lesen in wichtige Übersichtswerke, das Studium von be-stehenden Rechtsquellenbänden sowie der Editions- grundsätze und der Transkriptionsregeln. Mit der Ein- richtung einer geeigneten Datenbank wurde das wich- tigste Instrument für die Basisarbeiten bereitgestellt.

Die Archivliste enthielt rund 150 Archive im In- und Aus-land, wobei die erste Priorität auf der Auswertung der re-gionalen Archive im Sankt-Galler Rheintal lag. Hier wa-ren 14 Gemeindearchive, 30 Ortsgemeinde- und Rhods- archive sowie rund 50 Kirchgemeinde- und Pfarrarchive zu besuchen. Die Sichtungen, die Auswahlprozesse, die Datenbankaufnahmen und die Digitalfotografien gestal-teten sich vor allem aus drei Gründen aufwändig: Erstens waren viele Archive überhaupt nicht oder ungenügend geordnet, zweitens gab es oft keine oder unvollständige Verzeichnisse und drittens übertrafen die Altbestände an einigen Orten die Erwartungen massiv. Damit leistete die Rechtsquellenforschung – wie andernorts – wertvolle Pi-onierarbeit, die zu wichtigen und interessanten Neuent-deckungen führte.

1 RheintalerKöpfe,Historisch-biografischePorträtsausfünfJahrhun-

derten,hg.v.VereinfürdieGeschichtedesRheintals,Berneck

2004.

2 AnEditionensindinsbesonderedasChartulariumSangallense(bear-

beitetvonOttoP.Clavadetscherund[abBd.8]StefanSonderegger,

hg.v.HistorischenVereindesKantonsSt.Gallen,demStaatsarchiv,

StadtarchivundStiftsarchivSt.Gallen,bishererschienen:Bde.III–XI,

St.Gallen1983–2009),dasAppenzellerUrkundenbuch(aufdie

Zentenarfeier1913hg.v.derRegierungdesKantonsAppenzell

A-Rh.,bearbeitetvonTraugottSchiessunterMitwirkungvonAdam

Marti,Bd.1–2,Trogen1913)unddieBändedereidgenössischen

Abschiedezunennen,dievollständiggesichtetwurden(Amtliche

SammlungderälterneidgenössischenAbschiede[EA],1245–1798,

hg.aufAnordnungderBundesbehörden,verschiedeneOrte,

1858–1886).

Die Rechtsquellen des Rheintals

Werner Kuster

ErstseitderÜbernahmederLandesherrschaftdurchdieeidgenössi-

schenOrteimJahr1490bildetesichdieGrenzfunktiondesRheins

heraus.AussichtvomSteinernenTischinThalaufdenRhein,

Rheineck(rechts)unddasVorarlberg.Druckgrafik,1830.Gemein-

dearchivThal.

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An zweiter Stelle folgte die Auswertung der Archive in der Stadt St.Gallen. Zuerst ist das Stiftsarchiv zu nennen, das wegen der grundherrschaftlichen und kirchlichen Kom-petenzen über einen immensen Quellenbestand zum Rheintal verfügt. Im Staatsarchiv lagern die wichtigen Be-stände der eidgenössischen Landvogtei Rheintal und der Landvogtstadt Rheineck. Die Auswertung des Stadtar-chivs war von grosser Bedeutung, weil sich das Rheintal im Spätmittelalter zur Weinversorgungsregion des Heilig-geistspitals und der Stadt St.Gallen entwickelte.3

Wegen der Nachbarschaft und den landesherrlichen Kom-petenzen4 gehörten auch das Landesarchiv Appenzell In-nerrhoden und das Staatsarchiv in Herisau zu den ergiebi-gen Quellenstandorten. Die Quellen in den anderen, ehe- maligen eidgenössischen Herrschaftsorten wurden – so weit als möglich – online gesichtet und werden gezielt ausgewer-tet. Dies gilt auch für verschiedene Archive im Ausland.5

Das gut erschlossene Vorarlberger Landesarchiv hingegen wurde bereits intensiv bearbeitet. Es war besonders er-

3 WenigeDokumentezumRheintallagernauchinderKantonsbiblio-

thek,inderStiftsbibliothekundimBischöflichenArchiv.

4 1460–1489wardasLandAppenzellalleinigerLandesherrimRhein-

tal(vgl.dazu:UrkundenbuchderAbteiSanctGallen[UBSG]VI,Nr.

6454.Original:StaatsarchivAargau,alteidgenössischesArchiv).Am

16.Mai1500wurdeesindieLandesherrschaftdereidgenössischen

OrteimRheintalaufgenommen(Original:LandesarchivdesKantons

AppenzellInnerrhoden,AII,Nr.19).

5 Dazugehören:LandesarchivdesFürstentumsLiechtenstein,Stadt-

archivLindau,BayrischesHauptstaatsarchivMünchen,Hauptstaats-

archivStuttgart,GenerallandesarchivKarlsruhe,Bundesarchiv

Koblenz,TirolerLandesarchivInnsbruck,Haus-,Hof-und

StaatsarchivWien.

Rechtsquellen im Museumsbetrieb Mark Wüst

Eine kulturgeschichtliche Ausstellung ist immer ein komple-xes Unterfangen. Von der zündenden Idee über die Defini-tion des Konzepts und die Suche nach Objekten bis hin zur gestalterischen Umsetzung durchläuft eine Ausstellung viele Stadien und beschäftigt zahlreiche Fachleute. Meist findet die Erarbeitung einer Ausstellung unter zeitlichem Druck statt. Möchte man für die Inhalte auch archivalische Quellen beiziehen, stösst man schnell an seine Grenzen. Forschungs-tätigkeit in einem Archiv ist aus zeitlichen Gründen oft nur in eingeschränktem Masse möglich. Daher ist jede Kuratorin und jeder Kurator froh, wenn sie oder er auf wissenschaftli-che Quelleneditionen wie die Rechtsquellen des Kantons St.Gallen zurückgreifen kann. Dies war beispielsweise für die Herstellung von Hörtexten in der neuen Dauerausstellung des Stadtmuseums Rapperswil-Jona der Fall. In einem historisch eingerichteten Schlafzim-mer aus dem 17./18. Jahrhundert können die Besucherinnen und Besucher an einer Hörstation kurze Texte zu den The-men Krankheit, Sexualität, Ehe und Sittengesetzgebung an-hören. Ziel war es, die Themen nicht allgemein erläuternd, sondern anhand konkreter Einzelschicksale und Sachverhal-te aus der Rapperswiler Rechtswirklichkeit abzuhandeln. Dank der 2007 erschienenen Rechtsquellenedition war es ohne aufwändige Forschungsarbeit möglich, über das aus-führliche Sachregister passende Quellen zu recherchieren, die dann als Grundlage für die Hörtexte dienten. Das Perso-nenregister und Verweise in den Fussnoten ermöglichten es

HörstationimStadtmuseumRapperswil-Jona.FotoMauriceGrünig.

zudem, allenfalls weitere Quellen mit den gleichen Personen oder ähnlich gelagerte Fälle und Sachverhalte ausfindig zu machen. Beides diente der besseren Einbettung der für die Hörstation ausgewählten Texte. Die wissenschaftlichen Tran-skriptionen wurden in heute gebräuchliches Deutsch über-tragen und anschliessend mit professionellen Sprecherinnen und Sprechern auf Band aufgenommen. Kurzum: Ohne den Rechtsquellenband wäre die Erarbeitung der Hörstation um ein Vielfaches aufwändiger gewesen. Das Werk ist ein wert-voller Quellenfundus, der auch für künftige Ausstellung im Stadtmuseum genutzt werden soll.

tragreich, insbesondere auch darum, weil es die meisten Altbestände der Vorarlberger Gemeinden enthält. Damit deckt es einen grossen Teil der wichtigen herrschaftlichen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kirchlichen Be-ziehungen zwischen beiden Seiten des Rheins ab, dessen Grenzfunktion sich erst seit dem Ende des Spätmittelal-ters ausbildete.

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6 DieZahlderinventarisiertenEinzelstückeistweithöher,davielezu-

sammenfassendregistriertwurden.DieStädteAltstättenundRhein-

ecksindindieserZahlnichtberücksichtigt.FürdieStadtAltstätten

wurdebereitsfürdieOrtsgeschichtevon1998einseparatesQuel-

lenverzeichnismitrund6‘000Einträgenerstelltundinzwischenauf

6‘413Registrierungenerweitert.

7 DamitsindinsbesonderedasChartulariumSangallense(wie

Anm.2;1000–1411)unddielaufendeNeubearbeitungderUrkun-

dendesStiftsarchivsbis999gemeint(vgl.dazu:http://www.sg.ch/

home/kultur/stiftsarchiv/publikationen/publikationsreihen.html).

8 DieschriftlicheÖffentlichkeitsarbeitistaufderWebsitederRechts-

quellenstiftungvollständigaufgelistetundzueinemgrossenTeil

auchinTextundBildverfügbar:http://www.ssrq-sds-fds.ch/index.

php?id=26.

9 Vgl.dieZusammenfassungdesaktuellenForschungsstandeszum

VerhältniszwischenderEidgenossenschaftunddemReichin:Heili-

gesRömischesReich,in:HistorischesLexikonderSchweiz(http://

www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D6626.php;Zugriff:28.09.2012).

10 ZusammenfassendgemässbisherigemForschungsstandvgl.:Kuster,

Werner:ÜberblicküberdieGeschichtedesRheintals,in:Rheintaler

Köpfe(wieAnm.1;S.13–65),S.16und429(Anm.27).ZumBe-

griffundzurGeschichtederLandesherrschaftvgl.:Würgler,Andreas:

Territorialherrschaft,in:HistorischesLexikonderSchweiz(http://

www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D9927.php;Zugriff:25.09.2012).

11 Vgl.zusammenfassendmitLiteraturhinweisen:Tremp,Ernst:Ror-

schacherKlosterbruch,in:HistorischesLexikonderSchweiz(http://

www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D17168.php;Zugriff:25.09.2012).Der

eidgenössischenLandesherrschaftwarennurzweikleineGebieteim

NordenundSüdenderspäterenBezirkeOber-undUnterrheintal

entzogen:Altenrheinbildete–wieGaissauüberdemRhein–eine

HauptmannschaftdesRorschacherAmts,daswiederumzur«Alten

Landschaft»desKlostersSt.Gallengehörte.InderoberenLienz

übtenvorerstdieFreiherrenvonSax-Forsteggundab1615dieZür-

cherdieLandesherrschaftaus.Vgl.dazu:Müller,Peter:Altenrhein,

in:HistorischesLexikonderSchweiz(http://www.hls-dhs-dss.ch/

textes/d/D7650.php;Zugriff:25.09.2012).Kuster,Werner(inZu-

sammenarbeitmitMoritzRuppanner):DieRhodeLienz–Lienz,

Plona,Ober-undMittelbüchel,Altstätten1995,S.20–21,24–26.

12 Vgl.dazu:Kuster:Rheintal(wieAnm.10),S.16;Hollenstein,Lo-

renz:Rheintal,in:HistorischesLexikonderSchweiz(http://www.hls-

dhs-dss.ch/textes/d/D7648.php;Zugriff:25.09.2012).Wyssmann,

Werner:RechtsgeschichtedesSt.gallischenRheintalsbiszumJahre

1798,Diss.phil.IUniBern,Göthen1922,S.123.

13 Um1500reichtenseineEinflussbereichevomHofHöchst(mitden

GemeindenSt.Margrethen,HöchstundFussach)überBerneck,Bal-

gach(definitivab1510),Marbach/Rebstein,Altstätten(mitderEx-

klaveLienzundEichberg)biszumKönigshofKriessernmitOberriet,

Kriessern,Montlingen,Diepoldsau(ohneSchmitter;bis1789)und

Mäder(bis1513).WeitereGrundherrenwarendieGrafenvonHo-

henemsimKönigshofLustenau(mitAu,WidnauundSchmitter;bis

1774/75),dasKlosterPfäfersinRüthi(bis1538/1548)unddasFrau-

enstiftLindauinBalgach(bis1497/1510).Vgl.dazu:Kuster:Rhein-

tal(wieAnm.10),S.15.GrundlagenfürdieseAngabenbildenauch

dielaufendenForschungenfürdieRechtsquellendesRheintals.

Die wichtigsten Archivrecherchen sind abgeschlossen. Mitte 2012 enthielt die Datenbank 9’671 Regesteneinträ-ge von Urkunden, Akten und Büchern,6 in den Bildord-nern waren 22’146 Digitalfotografien von Dokumenten gespeichert. Auch das Stückverzeichnis, die Liste der zu edierenden Dokumente, ist bereits erstellt. Diese Liste

enthält – selbstverständlich aus der Sicht des Bearbeiters – die bedeutendsten, interessantesten, aussagekräftigsten regionalspezifischen Rechtsquellen zur Rheintaler Ge-schichte bis 1798 in den Bereichen Herrschaft, Wirtschaft, Bevölkerung, Religion und Kultur. Der Zeitraum bis 1411, der durch zuverlässige, bereits vorhandene und laufende Quelleneditionen abgedeckt wird, erscheint in Regesten-form.7

Für die Rechtsquellenedition liegen auch bereits rund 120 Buchseiten Transkriptionen vor, was zwölf Prozent des Buchumfangs entspricht. Seit Ende Mai befinden wir uns in der eigentlichen Transkriptionsphase, die durch punk-tuelle Archivbesuche zu ergänzen sein wird. Weiter geht auch die intensive Öffentlichkeitsarbeit, die eine Zei-tungsserie über Quellenfunde, Vorträge, Werkstattbe-richte und Veröffentlichungen über Spezialthemen um-fasst.8

Übersicht über die Rechtsverhältnisse

Wie andernorts standen an der Spitze der schematischen Herrschaftspyramide des Rheintals die Kaiser und Könige des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Ihr Einfluss war – wie in der Eidgenossenschaft im Allgemei-nen – auch im Rheintal etwa bis zum Ende des Spätmit-telalters spürbar.9 Bis um jene Zeit herrschten eine Stufe tiefer, bei den Landes- oder Territorialherren, komplexe und relativ rasch ändernde Verhältnisse.10 Diesbezüglich brachte der Rorschacher Klosterbruch eine Wende. Des-sen Ursache lag in der Erstellung des Klosterbaus auf Ma-riaberg ob Rorschach durch den Sankt-Galler Abt Ulrich Rösch, der sich damit aus der städtischen Umklamme-rung lösen wollte. Während die Sankt-Galler wirtschaft-liche Nachteile befürchteten, sahen die Appenzeller ihre damalige Rheintaler Landesherrschaft bedroht. Deshalb zerstörten Appenzeller und Sankt-Galler zusammen mit Fürstenländern und Rheintalern im Jahr 1489 die klöster-lichen Bauten. Damit forderten sie jedoch die vier eidge-nössischen Schirmorte der Abtei heraus, die mit ihrem Truppenaufmarsch die Basis für die eidgenössische Lan-desherrschaft im Rheintal von 1490 bis 1798 legten.11 Sitz der alle zwei Jahre wechselnden Landvögte und der Land-schreiber war Rheineck, in den einzelnen Höfen amteten – mit Ausnahme von Rheineck und Thal – einheimische Landvogtsammänner.12

Auf der grundherrschaftlichen Ebene dominierte das Kloster St.Gallen.13 Während die oberrheintalische Stadt Altstätten unter dem Einfluss des Fürstabts von St.Gallen stand, verfügten im unterrheintalischen Landvogtsitz Rheineck – zusammen mit Thal – die Eidgenossen über teilweise vergleichbare Rechte.14

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14 DievergleichbarenKompetenzenbetrafengemässbisherigemFor-

schungsstandu.a.denobrigkeitlichenEinflussaufdieWahldes

Stadt-bzw.HofammannsunddieAppellationsinstanzdesniederen

Gerichts(inAltstättenderAbtvonSt.Gallen,inRheineckund

ThalderLandvogt).Vgl.dazu:Wyssmann:Rechtsgeschichte(wie

Anm.12),S.134,155.Kuster,Werner/Eberle,Armin/Kern,Peter:

AusderGeschichtevonStadtundGemeindeAltstätten,hg.v.

VereinfürdieGeschichtedesRheintals,Altstätten1998.

15 SiewarinderRegelmitderwirtschaftlichenEliteidentisch.

16 ZudiesemAbschnittvgl.v.a.:Kuster:Rheintal(wieAnm.10),

mitdenentsprechendenLiteraturhinweisen.Wyssmann:Rechtsge-

schichte(wieAnm.12).Vgl.allgemeinzudenGemeindeversamm-

lungen:Würgler,Andreas:Gemeindeversammlungen,in:

HistorischesLexikonderSchweiz(http://www.hls-dhs-dss.ch/

textes/d/D10240.php;Zugriff:25.09.2011).

Im kollektiven Gedächtnis wenig verbreitet ist der Um-stand, dass nicht nur die fremde, sondern auch die einhei-mische politische Führung15 das Leben der Bevölkerung mitbestimmte. Dazu gehörten die niedrigen Adligen, die im Laufe des Spätmittelalters wie andernorts grösstenteils an Einfluss verloren, dazu zählten aber auch in den beiden Städten die Stadtammänner und Stadträte, in den Dör-fern die Hofammänner und die Räte bzw. Richter sowie die Vorsteher der Wirtschaftsgemeinschaften (Rhoden). Über einen grossen Einfluss verfügten selbstverständlich auch die Pfarrer und Kirchenvorsteher. Die Gemeinde- und Rhodsversammlungen der Hofmänner hatten zu-mindest zeitweise grössere Kompetenzen inne, als dies im öffentlichen Bewusstsein verankert ist.16

Fallbeispiele

Die folgenden vier Fallbeispiele geben Einblicke in die wichtigsten Rechtsbereiche des Rheintals bis 1798, die schematisch als Landesherrschaftrecht, Grundherrschafts-recht, regionales und lokales Recht bezeichnet werden

können. Es wäre unehrlich, die ersten drei Fallbeispiele als Neuentdeckungen zu bezeichnen. Vielmehr handelt es sich um die Wiederentdeckung von Quellen, die bereits in der im 19. Jahrhundert vom Historischen Verein des Kantons St.Gallen initiierten, leider wieder eingestellten Editionsreihe «St.Gallische Gemeindearchive» recht aus-

Die«SpecialchartedesRheinthals»zeigtdasUntersuchungsgebietderRechtsquellendesRheintals.DasOriginaldieserKartewurdeauf

InitiativedesvielseitiginteressiertenTextilhändlersJacobLaurenzCuster1796vonIngenieurJohannesFeererstellt.Eshandeltsichwohl

umdieerstetrigonometrischaufgenommeneKartederSchweiz.HieristeinereduzierteAusgabeabgebildet,dievonConradSulzberger

fürdieerste«GeschichtedesRheintals»von1805gestochenwurde(eingefalteteIllustrationin:Ambühl,JohannLudwig:Geschichtedes

Rheinthalsnebsteinertopographisch-staatistischenBeschreibungdiesesLandes,St.Gallen1805).

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17 DieeinzigendreiBändedieserfürdiedamaligeZeitzuverlässigen

undauchheutenochbrauchbarenEditionsreihewurdenüberdrei

HöfeimRheintalverfasst:Berneck,Widnau-Haslach(Widnau,Au

undSchmitter)undKriessern(Oberriet).Vgl.:Göldi,Johannes:Der

HofBernang,St.Gallen1897(St.GallischeGemeindearchive,hg.v.

HistorischenVereindesKantonsSt.Gallen);Hardegger,Josef/Wart-

mannH[ermann]:DerHofKriessern,St.Gallen1878(St.Gallische

Gemeindearchive,hg.v.HistorischenVereindesKantonsSt.Gallen);

Wartmann,Hermann:DerHofWidnau-Haslach,St.Gallen1887

(St.GallerGemeindearchive,hg.v.HistorischenVereindesKantons

St.Gallen).

18 StiftsarchivSt.Gallen,Urk.Z2A54.

19 DamitwarenwohldieäbtischenObervögteinBerneckundOberriet

gemeint.

20 DasUn-oderUmgeldwareineVerbrauchs-undUmsatzsteuerauf

WeinundanderenalkoholhaltigenGetränken,diebisweilenauch

aufLebensmittelnwieSalz,KornoderFleischerhobenwurde.

Vgl.:Dubler,Anne-Marie:Ungeld,in:HistorischesLexikonder

Schweiz(http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D26199.php;Zugriff:

28.09.2012).

21 EinnahmendereidgenössischenOrtefürdieseKassewerdennicht

expliziert.

22 EA(wieAnm.2)VI2,Art.144,S.1852(1685).InderUrkundevon

1676werdenkeineVerpflichtungendereidgenössischenOrtefür

diegemeinsameKasseerwähnt.

23 DieeidgenössischenOrtebehieltensichvor:dieRechteinRheineck

undThal,imHofWidnau-HaslachundinRüthi(alsodort,wodas

KlosterSt.GallenüberkeinegrundherrschaftlichenKompetenzen

verfügte),indenübrigenfünfHöfen(wodieGrundherrschaftdem

KlosterSt.Gallenzustand)dieBestrafungin«rebellionssachen»,die

«volkhserlaubunginreyssenunndpässen»,dieStrafmilderungin

Malefizfällen(«ohneschenckhungdeslebens»),dieBodenschätze

(«verborgneschätzunndmineraliainbärgen»),dieSchirmgelder

unddiemilitärischenKompetenzengemässderÜbergabedes

RheintalsdurchdieAppenzeller(offenbar1490).DasKloster

St.Gallenbeanspruchteweiterhin«zinss,zehenden,eigenehäüsser

unndgüeter»,dieKollaturenundGüterderPriester-undPrädikan-

tenpfründen,dazuSchirmgelder,militärischeundandereRechtein

Oberriet(lautdemVertragvon1500)sowiedieFähreinOberriet

undMontlingen.

24 Göldivermutet,dasseinnichtidentifiziertesSiegelvoneinem

PrivatmannfürkatholischGlarusangehängtwurde.Vgl.Göldi:

Bernang(wieAnm.17),S.344.

führlich zur Darstellung gelangen.17 Neu sind teilweise die Betrachtungsweisen. Das vierte Beispiel, das Hofbuch von Thal, wurde hingegen noch nie ausführlich vorge-stellt.

Das «Communell» (1676): eine gescheiterte Verbindung von Landes- und Grundherrschaft

Am 20. Dezember 1676 einigte sich eine Mehrheit der eidgenössischen Orte als Landesherren und Abt Gallus Alt (reg. 1654–1687), St.Gallen, als Grundherr über eine gemeinsame Regentschaft in der Gemeinen Herrschaft Rheintal.18 Der Grund lag in über hundert Jahre andau-ernden Konflikten um die Rechte im Oberen Rheintal, die zu zahlreichen, teilweise sich widersprechenden Ver-

trägen geführt hatten. Mit dem rheintalischen «Commu-nell», auch als «Gemeinderschaft» bezeichnet, sollte eine dauerhafte Regelung erzielt werden.

Das Communell enthielt einige revolutionäre Neuerun-gen. Grundsätzlich sollten die Landvögte als Vertreter der eidgenössischen Orte und die Amtleute des Abts von St.Gallen in den Höfen Altstätten, Oberriet, Marbach, Balgach, Berneck und St.Margrethen gemeinsam herr-schen. Die obrigkeitlichen Rechte mit daraus folgendem «nutz» und «schaden» bildeten ein «gmein, unverschei-denlich gutt unnd sach». Die niederen Gerichte tagten in beider Namen. Appellationen gingen an ein gemeinsames Gericht mit dem Landvogt und einem «vogt oder ober-ambtmann»19 des Kloster St.Gallen. Wurde weiter appel-liert, entschieden abwechselnd im einen Jahr die Gesand-ten der eidgenössischen Orte in Baden, im anderen Jahr der Abt oder die Pfalzräte des Klosters St.Gallen als letzte Gerichtsinstanzen. Es war auch eine gemeinsame Kasse geplant, in welche das Kloster St.Gallen die Todfallabga-ben, die Fasnachtshennen in Oberriet, die Ehrschätze in Altstätten und Marbach sowie die «umbgälter»20 und Er-träge aus den Ehaften zu integrieren hatte.21 Gemäss einer späteren Quelle kamen von eidgenössischer Seite die Ein-nahmen aus den Malefizgerichten hinzu.22 In der Land-schreiberei Rheineck befand sich die gemeinsame Kanz-lei. Die übrigen bisherigen Rechte beider Obrigkeiten sollten grösstenteils unangetastet bleiben.23

Besiegelt wurde die Urkunde von den katholischen eidge-nössischen Orten Luzern, Uri, Schwyz, Ob- und Nidwal-den, Zug und (wohl) katholisch Glarus24 sowie vom Abt

1676einigtensichdiekatholischeneidgenössischenOrteunddas

KlosterSt.Gallenimsogenannten«Communell»übereinegemein-

sameHerrschaftimRheintal,diebisindie1690erJahrerealisiert

wurde.DieSiegelstellenfürdasreformierteZürichsowieAppenzell

Inner-undAusserrhodenbliebenleer.StiftsarchivSt.Gallen,Urk.Z2

A54;FotoWernerKuster.

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25 Vgl.dazu:Göldi:Bernang(wieAnm.17),S.XXX–XXXI,Nr.448

undS.339.

26 EA(wieAnm.2)VI2,Art.163,S.1855.

27 ZurNachgeschichtedesCommunellsvgl.:EA(wieAnm.2)VI2,

Art.139,141–165,168–172,S.1852ff.1700wirdvermerkt,dass

«manallgemeineinverstandenist,dierheintalischeGemeinder-

schaftaufzuhebenundzuliquidieren»(ebd.,Art.169,S.1856).

28 HaslachistheuteeinOrtsteilderGemeindeAu.

29 SchmitteristheuteeinOrtsteilderGemeindeDiepoldsau.

30 ChartulariumSangallense(wieAnm.2),Bd.XI,Nr.6709.Das

ReichsministerialiengeschlechtvonEmsbautesichumdieBurg

HohenemsinVorarlbergeinkleinesTerritoriumauf.1560wurde

esindenGrafenstanderhoben.Vgl.dazuzusammenfassend:

Burmeister,KarlHeinz:Hohenems,von,in:HistorischesLexikonder

Schweiz(http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D19974.php;Zugriff:

18.10.2012).

31 VorarlbergerLandesarchiv,Hohenems,Rgft,8412.

32 DazugehörtenKriegezwischenÖsterreichernunddenEidgenos-

sen,dieBildungdereidgenössischenGemeinenHerrschaftRheintal

imJahr1490,dieNiederbrennungLustenausdurcheidgenössische

TruppenimSchwabenkriegvon1499,dieReformationunddieEr-

stellungvonSchupfwuhrenimRhein.Vgl.dazuzusammenfassend:

Kuster,Werner:DasRheintalalsVerbindungundGrenze,in:Der

Rheintaler,Berneck14.März2012.

und Konvent von St.Gallen. Die Siegelstellen für die (teils) reformierten Orte Zürich sowie Appenzell Ausser- und Innerrhoden blieben leer. In einem Nachsatz wurde die Hoffnung ausgedrückt, dass die fehlenden Zustim-mungen nachträglich eingeholt würden, gefolgt vom un-missverständlichen Beschluss, die Vereinbarung während der Landvogtszeiten der Siegler auf jeden Fall umzuset-zen.

Dies war eine eindeutige Machtdemonstration der – über die Mehrheit verfügenden – katholischen Orte zusam-men mit dem Sankt-Galler Abt. Der Protest von Zürich, evangelisch Glarus und beider Appenzell liess nicht auf sich warten, und die beiden Dörfer Berneck und Balgach verweigerten dem Landvogt zuerst die Huldigung, holten sie aber nach der Androhung einer hohen Strafe nach.25

Die «Gemeinderschaft» wurde von den katholischen Or-ten offenbar einige Jahre realisiert. Um 1692 trat jedoch Schwyz aus, andere Orte folgten. Begründet wurde die Aufgabe des Communells damit, dass die Eidgenossen dem Kloster St.Gallen wegen Verführung durch «ein schnödes Stük Geld»26 zuviel Macht zugestanden hätten und die Missverständnisse grösser statt kleiner geworden seien.27

Die Geschichte des Communells ist nicht nur ein aussa-gekräftiges Zeugnis für Konflikte zwischen der Grund- und Landesherrschaft sowie für den «absolutistischen» Versuch, die Obrigkeiten zu vereinen, sondern vor allem auch ein Beleg für die starken konfessionellen Konflikte zwischen den Landesherren. Konfessionell motivierte Auseinandersetzungen trübten auch immer wieder das Verhältnis zwischen dem Abt von St.Gallen und seinen Untertanen, aber auch zwischen den Untertanen selbst. Die Rechtsquellenrecherchen im Rheintal machen deut-lich, dass der konfessionelle Graben einen weit grösseren Teil von Handlungen und Entscheiden mitbestimmte, als dies bis anhin dargestellt wurde.

Bündner als Grundherren von Widnau und Haslach (1782)

Die hier im Mittelpunkt stehende Quelle von 1782 ist die Folge einer langen Entwicklung. Deshalb ist ein Rück-blick auf die Herrschaftsgeschichte des ehemaligen Hofs Widnau-Haslach unerlässlich.

Widnau, Haslach28 und Schmitter29 lagen einst im Grund-herrschaftsgebiet des rheinübergreifenden Hofs Lusten-au. 1395 verpfändeten die Grafen von Werdenberg diesen Hof an die Familie von Ems,30 1526 wurde das Pfand in einen Kauf umgewandelt.31 Als Folge verschiedener Ent-fremdungsursachen, die zur Grenzbildung des Rheins beitrugen,32 kam es 1593 zur Aufteilung der Allmenden zwischen Lustenau einerseits sowie Widnau und Haslach

1782besiegeltedereidgenössischeLandvogtJosephLudwig

ThaddeeWeberdenVerkaufderniederenGerichtsherrschaftWid-

nau-HaslachandiebisherigenBündnerGläubigerPeterundRudolf

vonSalis.DieserVerkaufsetzteeinenvorläufigenSchlusspunkt

unterdiewechselhafteHerrschaftsgeschichtederleidgeprüften

Hofleute.StaatsarchivGraubünden,DVIAII1,Nr.204;

FotoWernerKuster.

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33 StiftsarchivSt.Gallen,ArchivderOrtsgemeindeWidnau,10und12.

34 Vgl.dazudenInhaltdesKaufbriefsvon1782unten.1595einigten

sichdieHöfeWidnau-HaslacheinerseitsundLustenauandererseits

überjährlicheSteuernandieGrafenvonHohenems,andievonFrei-

berg,RappensteinundimBuchholzsowieandenPfarrervonLustenau

undsetztenalsSicherheitdieGemeindegüteraufbeidenSeitendes

Rheinsein(VorarlbergerLandesarchiv,Hohenems,Rgft,5214).Diese

Vereinbarungerwiessichalsfatal,weildieGemeindegüterinderFolge

beiAuseinandersetzungenimmerwiederbeschlagnahmtwurden.

35 Vgl.dazu:Wartmann:Widnau-Haslach(wieAnm.17),S.XVIIIff.

36 Wartmann:Widnau-Haslach(wieAnm.17),S.XXf.undNr.142.

1660gewährtederLandvogtimRheintalaufAnweisungderMehr-

heitderkatholischeneidgenössischenOrtedem(katholischen)

GrafenvonHohenemswiederseinealtenRechteimHofWidnau-

Haslach–waswiedereinekonfessionelleDimensionzeigt,nunvor

demHintergrunddesErstenVillmergerkriegesvon1656(Wartmann:

Widnau-Haslach[wieAnm.17],S.LXXXIf.,Anm.80,undNr.164).

37 Wartmann:Widnau-Haslach(wieAnm.17),S.XXXI.

38 Wartmann:Widnau-Haslach(wieAnm.17),S.XXXIIundNr.199.

39 Wartmann:Widnau-Haslach(wieAnm.17),S.XXXII,XXXIV,176

undNr.214;StiftsarchivSt.Gallen,Rubr.140,Fasz.3.

40 Wartmann:Widnau-Haslach(wieAnm.17),S.XXXIV,LXXXIV,Anm.

88undNr.220;StiftsarchivSt.Gallen,Rubr.140,Fasz.3.

41 Wartmann:Widnau-Haslach(wieAnm.17),zuNr.237;Stiftsarchiv

St.Gallen,Rubr.140,Fasz.3.

42 Vgl.:http://www.widnau.ch/de/ueberwidnau/geschichte/welcome.

php?action=showinfo&info_id=1123.

43 Dinkel,Spelz,Korn(triticumspelta;SchweizerischesIdiotikon,Bd.1,

Sp.1069).

DieHolzbrückevonAunachLustenauüberdenzugefrorenenRhein

stehtsymbolischfürdielangeZeitgetrübtenBeziehungenzwischen

denHofleutenvonWidnauundHaslacheinerseitsunddenHohen-

emserGrafenunddenLustenauernandererseits.Fotografunbe-

kannt,Februar1929.GemeindearchivAu.

andererseits und zur Bildung eines eigenen niederen Ge-richts für Widnau und Haslach.33 Die Grafen von Hohen-ems, wie sie sich inzwischen nannten, blieben jedoch Herren über die niedere Gerichtsbarkeit. Sie verfügten zudem auf der linksrheinischen Seite über Einkünfte und Liegenschaften, während die Widnauer und Haslacher auf Lustenauer Gebiet weiterhin Gemeindegüter, die so genannten «Schweizer Rieter», besassen.34

Ein ausschlaggebender Faktor für die zunehmende Ver-schlechterung des Verhältnisses zwischen dem links- und dem rechtsrheinischen Teil des Hofs Lustenau lag in der Verschuldung der Hohenemser Grafen im Zuge des Dreissigjährigen Krieges.35 Es entbrannten u. a. Konflikte um neue Steuern auf den Schweizer Rietern und schliess-lich zwischen den Gläubigern und den eidgenössischen Orten einerseits und dem Grafenhaus von Hohenems an-dererseits. Diese gingen so weit, dass die eidgenössischen Orte den Hauptgläubigern von Salis und Pestalutz 1654–1660 den Hof Widnau-Haslach mit allen niederge-richtlichen Rechten des Grafen von Hohenems verpfän-deten.36

Nach dem Tod des letzten männlichen Familienmitglieds der Grafen von Hohenems 1759 folgten im Hof Widnau-Haslach einige Wechsel: Ab 1766 herrschte das zweite noch lebende, weibliche Familienmitglied der Grafen von Hohenems, Gräfin Maria Rebecca Josepha, Ehefrau des böhmischen Grafen von Harrach,37 1774 gehörte der Hof vorübergehend fünf Hofleuten von Widnau-Haslach,38 1776 übernahm ihn der Freiherr von Landsee.39 Letzterer verpfändete den verschuldeten Hof an Peter und Rudolf von Salis.40

Am 19. Juni 1782 kauften die zwei Bündner den Hof Wid-nau-Haslach mit Einwilligung der «Rheintalischen» Gläubiger – explizit mit denselben Rechten wie beim Übergang von den Werdenbergern an die Herren von Ems im Jahre 1526. Während bisher nur ein Entwurf die-ses Kaufvertrags bekannt war,41 steht nun das Original aus dem Staatsarchiv Graubünden zur Verfügung. Es gibt detaillierte Auskunft über die Rechtssituation im Hof Widnau-Haslach, die angesichts der langwierigen Kon-flikte den Eindruck von Unklarheit erwecken kann.42

Demnach hatten die Käufer das Recht auf die niedere Ge-richtsbarkeit, den grossen und kleinen Zehnt, auf Todfäl-le, Fasnachtshennen, «renten, gülten, gefälle», Güter und Reben mit dem dazugehörigem Torkel, das «Blaue Haus» am Monstein, die Schirmsteuern von Marbach, Berneck und Altstätten und vom «Untern Fahr», den Kirchensatz in Widnau sowie das Patronats- und Kollaturrecht der Pfarrpfründe Widnau; dazu mussten einige Grundstück-besitzer in Lustenau Mist für Reben am Monstein liefern. An Pflichten übernahmen die Käufer den Unterhalt eines Wuhrs entlang dieser Reben am Monstein, die jährliche, unentgeltliche Lieferung von zwei Fässern («lägeln») weis-sen Weins vom «allerersten druck» an die Herrschaft Ho-henems, die Abgabe einer bestimmten Menge Fäsen,43

Hafer und Gerste an den Pfarrer in Widnau sowie Fäsen und Hafer an die «Hallweilischen» Bauern in Berneck. Dazu hatten sie sich in Bezug auf die Rheinwuhren an die bisherigen eidgenössischen Abschiede zu halten und sich gegebenenfalls mit den Herrschaften über dem Rhein zu

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vereinbaren. Ausserdem blieben der «blutbann» und an-dere Rechte den eidgenössischen Orten explizit vorbehal-ten; auch ein Jagdrecht wird nicht erwähnt.44 Der Kauf-preis betrug 60’000 Gulden, wobei die Käufer nach Abzug ihrer Guthaben aus Kapital und Zinsen nur noch 8’250 Gulden zu bezahlen hatten.45

Peter von Salis war Präsident des Gotteshausbundes und der wirtschaftlich mächtigste Bündner in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Rudolf von Salis amtete um jene Zeit unter anderem als Oberzunftmeister in Chur und als Bundestagsdeputierter für das Bergell.46 Die zwei Bündner verfügten noch über anderen Besitz im Rheintal, das wegen seines relativ milden Klimas, den (aussichtsrei-chen) Hanglagen und dem Rebbau bzw. den Rebbaumög-lichkeiten seit dem Spätmittelalter zum Anziehungspunkt von fremden Boden- und Herrensitzkäufern geworden war. Zu den ersten gehörten das Sankt-Galler Heiliggeist-spital und reiche Sankt-Galler Stadtbürger. Seit dem 17. und vor allem seit dem 18. Jahrhundert scheint eine Verlagerung auf reiche Bündner und einheimische Inter-essenten stattgefunden zu haben.

Die Verleihung der Schollbergischen Schifffahrt (1615)

Warentransporte auf Flüssen waren bis ins 19. Jahrhun-dert billiger und – hauptsächlich für schwere Waren –

auch geeigneter als der Landweg. Dies gilt auch für den Rhein, auf dem von Reichenau an abwärts vor allem Holzflösse geschwemmt wurden, aufwärts – einst wohl bis Feldkirch – verschiedene Waren auf Lastenseglern, die gegen die Strömung mit Tiergespannen gezogen wurden. Ähnlich wie Landtransporte im Bereich des Rodwesens waren die Schiffstransporte monopolisiert. Rheineck bzw. die dortigen Schiffsleute kämpften lange Zeit um das Mo-

44 Vgl.dazuauchdieBemerkungenzumEntwurfin:Wartmann:

Widnau-Haslach(wieAnm.17),zuNr.237.

45 StaatsarchivGraubünden,DVIAII1,Nr.204.

46 Simonett,Jürg:Salis,Petervon(Soglio),in:HistorischesLexikonder

Schweiz(http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D16955.php;Zugriff:

26.09.2012);Simonett,Jürg:Salis,Rudolfvon(Soglio),in:Histori-

schesLexikonderSchweiz(www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D16958.

php;Zugriff:26.09.2012).

ImBerneckerGemeindearchivlagertdaswohlfrühesteDokument

überdieVerleihungderSchollberg-Schifffahrt.Esstammtvom

24.Februar1615.GemeindearchivBerneck,Nr.II,12b;

FotoWernerKuster.

EinMotorsegelschiffimHafenStaad,wohlum1900.Ähnlichsahen

die«Ledinen»oderLastsegelschiffeaus,dieaufdemRheinverkehr-

ten.Fotografunbekannt.GemeindearchivThal.

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nopol für die Schifffahrt.47 Seit dem 17. Jahrhundert ist jedoch belegt, dass es fünf Oberrheintaler Höfen gelang, eine eigene Schifffahrtsorganisation zu gründen. Diese Gemeinden verliehen die «Schollberg-Schifffahrt» zwi-schen Lindau oder anderen Bodenseeorten und dem Monstein bei Au regelmässig an Schiffsleute.

Die Rheinschifffahrt ist zwar schon recht gut unter-sucht;48 vor allem bezüglich der Schollberg-Schifffahrt

47 DasbegehrteMonopolbetrafdieSchiffslandungen,dasUmladen

aufleichtere,flusstauglicheSchiffeoderaufSaumtiereundPferde-

wagen,dieLagerunginderSustundZollabgaben.

48 Vgl.inbesonderemitdenentsprechendenLiteraturangaben:Lei-

pold-Schneider,Gertrud:SchiffahrtaufdemAlpenrheinzwischen

ChurundderBodenseemündung,in:DieErschliessungdesAlpen-

raumsfürdenVerkehrimMittelalterundNeuzeit,Historikertagung

inIrsee13.–15.IX.1993,Bozen1996(SchriftenreihederArbeitsge-

meinschaftAlpenländer,hg.vonderKommissionIII,Kultur,Berichte

derHistorikertagungen,NeueFolge7),S.219–242;Kuster,Werner:

SchiffeaufdemAlpenrhein,in:DerRheintaler,Berneck1.Dez.

2011(zusammenfassendanhandverschiedenerQuellen).

49 BezüglichWiederentdeckung:InGöldi:Bernang(wieAnm.17),ist

einGrossteilderVerleihungeninFormvon(wenig)Lang-und(zahl-

reichen)Kurzregestenaufgeführt.BezüglichNeuentdeckungen:

DiesewurdendurcheinevonderGemeindeinAuftraggegebene,

vorbildhafteGesamtreorganisationdesGemeindearchivserleichtert.

Dortlagerninsgesamt29DokumentezudenSchifffahrtsverleihun-

gen;diesewerdendurchdreiweitereausdenJahren1644,1735

und1737imStaatsarchivSt.Gallenergänzt(CEA/LIV.1,3und5).

50 GemeindearchivBerneck,Nr.II,12b,wegenfehlendemAchtelbo-

genteilweisezuergänzenmitdemEntwurf(?)inGemeindearchiv

Berneck,Nr.II,12a.

51 EssindverschiedeneVerträgezwischendenfünfOberrheintaler

HöfenundderStadtLindaubetr.dieSchollberg-Schifffahrtüber-

liefert.Vgl.u.a.:GemeindearchivBerneck,Nr.II,11(1611?);

MuseumsarchivAltstätten,XA-Urkunden,Nr.203,undStaatsarchiv

St.Gallen,AAA1.13.1B(1666).

52 «fürordenlichunndnachbestemjeremvermügenvoranderen».

53 «imfalldernotheinmaltteralderzwey».

54 GemeindearchivBerneck,Nr.II,19(1642),21(1646),22(1653),23

(StellungnahmedesLandvogtsderGrafschaftWerdenberg,1657),

25(1659).

55 Vgl.dazu:Göldi,Wolfgang:Sarganserland,in:HistorischesLexikon

derSchweiz(http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D7645.php;Zu-

griff:27.09.2012)unddieKartenimBeitragzudenRechtsquellen

SarganserlandindiesemNeujahrsblatt.

56 Vgl.dazu:Ackermann,Otto:DieSchollbergstrassebiszumEnde

derLandvogtszeit,in:WerdenbergerJahrbuch1997,hg.v.derHis-

torisch-HeimatkundlichenVereinigungdesBezirksWerdenberg,

10.Jg.,Buchs1996,S.43–59undSSRQSGIII/2Nr.105.

57 Vgl.dazu:Ackermann:Schollbergstrasse(wieAnm.56),S.47–48.

58 DiezahlreichenregionalenFormenderZusammenarbeitsindbis

jetztnochnichtsystematischaufgearbeitetwordenundwerdenin

derRechtsquelleneditionzumZugekommen.EinBeispielistdieZu-

sammenkunftderfünfOberrheintalischenHöfe,AuundSt.Margre-

thenam16.März1703inBerneck,andernichtnurdieVerleihung

derSchollberg-Schifffahrt,sondernauchMassnahmengegendie

ViehseucheinVorarlberg,dasMähenvonStreueimEisenrietund

dasHofrechtfürunehelicheKinderbesprochenwurden(Gemeinde-

archivBerneck,Nr.I,80).

bestehen aber noch einige Forschungsdesiderate. Hier konnte im Zuge der Rechtsquellenforschung mit der Wieder- und teilweise Neuentdeckung einer einzigartigen Sammlung von Dokumenten zu Verleihungen der Scholl-berg-Schifffahrt zwischen 1615 und 1711 im Gemeinde-archiv Berneck zumindest ein Teil dieser Lücken geschlos-sen werden.49

Das früheste Beispiel vom 24. Februar 161550 entspricht in den meisten Punkten den folgenden Verleihungen. Aus-steller oder Leihgeber waren der Stadtammann von Alt-stätten, die Hofammänner von Marbach, Berneck, Bal-gach sowie der Hofschreiber des Hofs Kriessern (heute Gemeinde Oberriet), Leihnehmer Ulrich Zellweger, Hei-ni Köppel und Wilhelm Torgler. Deren Wohnorte sind nicht erwähnt; den Namen nach stammen die Schiffleute wohl aus dem Mittelrheintal. Sie bestätigten den Leihge-bern, dass sie ihre Waren wie Korn, Wein und Eisen, die sie in Lindau51 aufluden, in erster Linie52 in die fünf Höfe zu liefern hatten. Speziell wurde angefügt, dass Händler aus den fünf Höfen Korn aus Lindau ab einer bestimmten Menge53 nur den Schollberger Schiffleuten aufgeben durf-ten; im Widerhandlungsfall mussten sie diesen Schiffleu-ten den «lohn» bezahlen. Ähnliches wurde für die Fuhr von Ziegeln bekräftigt, weil sich Schollberger Schiffleute darüber beklagten, dass Rheintaler Hofleute die Ziegel-transporte oft an Höchster oder andere Schiffsleute ver-gaben.

Die Leihnehmer wiederum übernahmen die Pflicht, die Schiffe mit einem erhöhten Bretterboden («undenher ge-brugett») und einem Dach zu versehen. Ausserdem soll-ten die Säcke beim Laden von Eisen «verschonet» werden. Kornsäcke mussten von den Auftraggebern mit Namen und «zeichen» versehen sein, damit diese die Lieferung sicher erhielten.

In den späteren Schifffahrtsverleihungen taucht zusätz-lich zu den höchsten Vertretern der fünf Oberrheintaler Höfe zeitweise auch eine Werdenberger Abordnung bzw. eine Stellungnahme von Seiten der Herrschaft Werden-berg auf.54 Die Herrschaft Werdenberg reichte jedoch nicht bis an den Schollberg; dieser gehörte seit dem Ende des Spätmittelalters zur eidgenössischen Gemeinen Herr-schaft Sargans.55 Der Schollberg, dessen Übergang um 1491 ausgebaut wurde, verengt das Rheintal zwischen Vild und Azmoos markant und bildete sozusagen das links-rheinische Rheinufer.56

Sie bleibt eine Frage unter anderen: Warum gab dieser weit südlich der Herrschaft Rheintal gelegene Berg der Schifffahrt im Unterrheintal den Namen? Möglicherwei-se war der markante Übergang namengebend für den gan-zen linksrheinischen Transportweg, der mit dem rechts-rheinischen in Konkurrenz stand.57 Auf jeden Fall ist die

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59 EsistnureinFallbekannt,indemRheineckerSchiffsleutedie

SchollbergerSchifffahrtübernahmen(1634;Gemeindearchiv

Berneck,Nr.II,16).AlsweitereWohnortederSchiffleutekommen

vor:Au/Haslach(GemeindearchivBerneck,Nr.II,16,20und41),

Berneck(GemeindearchivBerneck,Nr.II,24,26,und41),

St.Margrethen(GemeindearchivBerneck,Nr.II,24,29,41und

StaatsarchivSt.Gallen,CEA/LIV.3und5).

60 EinwesentlichesMerkmalderOffnungenwar–entsprechendder

BedeutungdesBegriffsalsVerkündungoderOffenbarung–«die

AuskunftrechtskundigerHerrschaftsangehörigerübereinenbeste-

hendenRechtszustandodergeltendesGewohnheitsrechtanlässlich

derjährlichenGerichtsversammlung.»DieseRechtewurdenzur

Hauptsacheim14.und15.Jahrhundertverschriftlicht,wobeider

Begriff«Offnungen»aufdieentsprechendenUrkundenüberging.

(Dubler,Anne-Marie:Offnungen,in:HistorischesLexikonder

Schweiz[http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D8946.php;Zugriff:

12.09.2012]).

61 FürdenRechtsquelleneditorsinddieHofbüchereineHerausforde-

rung.WeildieEinträgeteilweisevonwenigergebildetenSchreibern

stammen,sinddieSchriftenoftschwerlesbarunddeutbar,dasie

eineeigenwilligeGrammatikundvonderMundartbeeinflusste

Wortbildungenaufweisenkönnen.

Schollberger Schifffahrt ein Beispiel für eine regionale Zusammenarbeit58 mit dem Ziel, die Versorgung des Oberrheintals (und der Herrschaft Werdenberg) mit wichtigen Gütern und gleichzeitig die Beschäftigung von einheimischen Schiffsleuten sicherzustellen.59

Das Hof- oder Offnungsbuch von Thal

Die «Offnungen» und/oder «Hofbücher» und «Stadtbü-cher» dienten auch im Rheintal als wichtige Rechtsgrund-lage. Man kann sie mit dem moderneren Ausdruck «Ge-meinderechte» umschreiben, die durch die damals wichtigsten Machtträger Landesherrschaft, Grundherr-schaft sowie die lokalen Hof- bzw. Gemeindeinstitutio-nen geprägt wurden.

Die Offnungen sind oft die ältesten Dokumente des länd-lichen Rechts und blieben häufig bis ins 18. Jahrhundert praktisch unverändert und gültig.60 Im Unterschied dazu wurde das für den Hof massgebende Recht in den «Hof-» oder «Stadtbüchern» immer wieder nachgeführt. Sie ent-

halten oft Kopien, aber auch Originaleinträge von Off-nungen, Gemeindeversammlungsbeschlüssen und Ent-scheiden der Grund- und Landesherren. Typisch sind – mit Ausnahmen – zahlreiche Schreiber, thematische und chronologische Inkonsequenzen, Einschübe, nachträgli-che Titel und Veränderungen sowie Wiederholungen. Damit spiegeln sie nicht zuletzt Vorlieben und Gewich-tungen der verschiedenen Schreiber.61

All die genannten Merkmale sind wohl ausschlaggebend, dass die Hof- oder Stadtbücher im Unterschied zu den Offnungen bisher relativ wenig beachtet wurden, obwohl ihr Inhalt in der Regel rechtlich bedeutend und reichhal-tig ist und über die Unterschiede der kommunalen Rechtsverhältnisse Auskunft gibt. Im Rheintal sind prak-

EineSeiteimältestenHofbuchvonThalzeigtAusschnitteaus

demErbrecht.TypischfürdieHofbüchersinddieStreichungenund

Ergänzungen.OrtsgemeindearchivThal,Nr.188;FotoWerner

Kuster.

DieHofbücherenthieltenauchinteressanteRegelungenüber

denRebbau.ThalgehörtezudenwichtigstenRebbaugebietenim

Rheintal.DieFotografiezeigteinenTorkelmitschiessendemTrau-

benwärterundRebbauernimFeldmoosamBuchberg.Fotograf

unbekannt,um1920/30?GemeindearchivThal.

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tisch für alle Höfe solche Bücher überliefert.62 Das Spek-trum reicht von ausgeprägten Kopiebüchern bis zu sol-chen mit recht weitgehendem Originalcharakter.

Zu letzteren gehört das älteste Hofbuch von Thal, das als «offnungsbuch» betitelt wird.63 Es zeigt unter anderem die spezielle herrschaftliche Situation innerhalb der Gemei-nen Herrschaft Rheintal, die darin bestand, dass die Lan-desherren gleichzeitig niedere Gerichtsherren waren.64 Als

Aussteller des Hofbuches treten denn auch die sieben eid-genössischen Orte auf. An verschiedenen Stellen wird festgelegt, dass die Appellationen des niederen Gerichts an den Landvogt zu erfolgen hatten.65 Bussen des niede-ren Gerichts über fünf Schilling gehörten dem Landvogt, unter fünf Schilling dem Ammann.66 Die enge Verbin-dung zur Landesherrschaft kommt auch in original unter-schriebenen Einträgen von rheintalischen Landschreibern zum Ausdruck.67

Münzgeschichte und RechtsquellenBenedikt Zäch

Die Münz- und Geldgeschichte (Numismatik) beschäftigt sich heute nicht nur mit allen Formen des Geldes, sondern auch mit dessen Gebrauch, Funktion und Symbolik in der Gesellschaft. Das öffnet ein weites Feld der Forschung, und zahlreiche Quellen werden hierzu herangezogen: Neben den Münzen und anderen numismatischen Objekten in Sammlungen und in Form archäologischer Funde sowie Ob-jekten der Kunstgeschichte sind es vor allem Schriftquellen aller Art, die sich mit Geld, dessen Herstellung und Ge-brauch beschäftigen.Dazu gehören auch Rechtsquellen, die in besonderer Weise zur Kenntnis der Münz- und Geldgeschichte beitragen. Als grundsätzlich normative Quellen setzen sie Recht, etwa im Fall von Münzverordnungen, Münzkonventionen, Anstel-lungsverträgen und Eiden von Münzmeistern, Aufsehern (Wardeinen), Versuchern und Wechslern. Andere Dokumen-te, die heute in einem weiteren Sinn als «Rechtsquellen» verstanden und ediert werden, bereiten diese Rechtsetzun-gen vor und wenden sie an: Verhandlungen und Abschiede zu Münzfragen, Münztarifen und vieles mehr.Um diese Rechtssetzungs- und Rechtsanwendungsprozesse zu erhellen, ist es nötig, das Verwaltungsschrifttum in den Blick zu nehmen, nicht nur für Einordnungsfragen, sondern vor allem auch für das Verständnis des Gebrauchskontextes. Auch wenn dies im Rahmen einer Quellenedition nur be-schränkt möglich ist, so ist doch festzustellen, dass die SSRQ diesen Aspekt in neueren Editionen, etwa in Sachkommen-taren, vermehrt berücksichtigt. Vorbildlich sind unter ande-ren die neueren, von Konrad Wanner bearbeiteten Bände der Luzerner Rechtsquellen.Hier setzen Erwartungen, Wünsche und Vorschläge von Sei-ten der Münz- und Geldgeschichte ein:– Soweit es im Rahmen einer Edition möglich ist, sollte der

Kontext bei der Entstehung von münzgeschichtlich rele-vanten Rechtsquellen erhellt werden. Gerade hier ist die Überlieferung oft sehr fragmentarisch und jeder Hinweis erwünscht.

– Die Nennung von Währungen, Münzsorten und Münzna-men gehört unbedingt ediert, und zwar in der vollen

Münznamen:PlappartistnichtgleichPlappart.DieseindenQuellen«Plappart»genannteMünzederStadtBaselwurde1425/1426geprägt.EshandeltessichrechnerischumeinenSchillingimWertvon12BaslerPfennigenoder,inStrassbur-gerWährung,umeinenHalbgroschen.Als«Plapparte»wur-deninMünztarifenaberauchdieim14.und15.Jahrhun-dertsehrhäufigenMailänderPegioniundGrossigenannt,die14bis15Pfennigewertwaren.

Form. Sehr oft verbergen sich hier wichtige Informatio-nen, die bei «normalisierten» (d. h. auch: über einen Leis-ten geschlagenen) Währungsnennungen verloren gehen. Gerade weil die Forschung zur grossen Vielfalt der Wäh-rungen und ihrer Paritäten für viele Orte noch am Anfang steht, ist dies bedeutsam.

– Es wäre auch wünschenswert, wenn sich die SSRQ, wie sie dies teilweise bereits tut, noch vermehrt für Quellengrup-pen öffnet, die auch rechtsanwendend sind oder im Um-feld von Rechtsquellen wirtschaftsgeschichtliche Relevanz haben. Im Bereich der münzgeschichtlichen Quellen gehö-ren dazu etwa Münztarife, aber auch Münzverhandlun-gen, Münzstätteninventare etc.

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62 DieAusnahmebildetMarbach-Rebstein,wokeineigentlichesHof-

buchüberliefertist.ImmerhinbestehteineRechtssammlungdes

HofesfürdendortigenPfarrer,die1711voneinemSchulmeisterer-

stelltwurde(KatholischesPfarrarchivMarbach,XII,XIII).

63 OrtsgemeindearchivThal,Nr.188,«Offnungsbuchuberdiestattuta

unndgemaineordnungen,auchbestimbtenbuss,wassderhohen

oberkeitundjezdemhoffThalgehörig,begriffendt»,1651ange-

legt(1503–1664).Derwohlim19.JahrhunderterstellteTitelauf

demUmschlaglautet«hof-buch».Eswirdaufeinälteres,nicht

mehrauffindbaresHofbuchhingewiesen.Dazuexistierenzweispä-

tereVersionendesHofbuchsimOrtsgemeindearchivThal(o.Nr.

undNr.189)undjeeineKopieimStadtarchiv(Bd.676a)und

StaatsarchivSt.Gallen(CEB8.3).

64 DiesgaltauchfürRheineck.

65 OrtsgemeindearchivThal,Nr.188(wieAnm.63),S.5,56und59.

66 OrtsgemeindearchivThal,Nr.188(wieAnm.63),S.40.

67 SieheOrtsgemeindearchivThal,Nr.188(wieAnm.63),S.77(Land-

schreiberKasparTürler),S.89(LandschreiberAlfonsTanner),S.90

(LandschreiberSebastianFriedrichTanner).

68 LetzterekonntenbiszueinemVerbotvonGüterverkäufenanFrem-

degehen.

69 MeistlebenslänglichesNutzungsrechteinesGutesbzw.Kapitals,der

entsprechendenErtrag(Leibrente)oderdaszurNutzungüberlasse-

neGutselbst(SchweizerischesIdiotikon,Bd.13,Sp.532).

70 DieMorgengabewareinGeschenk,dasderEhemannseinerFrau

amMorgennachderHochzeitmachte,odereinVermächtnis/Ge-

schenk,daseinEhegatte(alsoauchdieFrau)demanderenver/

machte(SchweizerischesIdiotikon,Bd.2,Sp.54–55).

71 Vgl.dazu:OrtsgemeindearchivThal,Nr.188(wieAnm.63),S.38.

72 OrtsgemeindearchivThal,Nr.188(wieAnm.63),S.66.Vgl.auch

ebda.,S.21ff.,74(Regelung,dassTagelöhnerausdemKirchspiel

Thalbevorzugtwerdensollen),51.

73 DieLebensweisederTaglöhnerwardurchunregelmässige,saisonal

begrenzteBeschäftigungbeiwechselndenArbeitgeberninverschie-

denengeographischenRäumenzueinemrelativgeringenLohnge-

prägt.Vgl.dazu:Rippmann,Dorothee:Taglöhner,in:Historisches

LexikonderSchweiz(http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D7936.

php;Zugriff:13.09.2012).

Die Themen des Hofbuchs sind teilweise die für ein Hof-buch üblichen, teilweise eher aussergewöhnlich. Einen dominanten Raum nehmen – wie in zahlreichen anderen Hofbüchern – die Erb-, Gant-, Pfand- und Schuldrechte sowie das Verspruchsrecht ein, ein Vorkaufsrecht für Ein-heimische. Diese Rechte spiegeln eine Zeit relativ knap-per Ressourcen, in der vor allem auch Vorrechte vor Zu-zügern gesichert werden sollten.68 In diesen Bereich gehören auch die Bestimmungen zum Niederlassungs-recht respektive zu den Hintersassen. Zahlreiche Seiten beansprucht der Katalog von Freveln und Bussen, wie er ähnlich in Offnungen des Oberen Rheintals vorkommt. Dazu erscheinen Regeln zu Vorgehensweisen im Ge-richtswesen, zum Judeneid, zur Flurnutzung (Trattrecht, Einschlag, Zaunpflichten), zum Rebbau und zum Wein-ausschank, zum Leibding,69 zu den Morgengaben70 und zu Verpflichtungen bei unehelichen Kindern.71

Wie weit die Vorschriften gingen, zeigt das Beispiel «der wärch lütten lon», des Lohns für die Taglöhner.72 Taglöh-ner gehörten in der Frühen Neuzeit zum minderprivile-gierten Stand der unqualifizierten Lohnarbeiter.73 Der Lohn richtete sich nach dem Lichttag, war also in den kürzeren Wintertagen tiefer als im Sommer. So wurde be-stimmt, dass der Tageslohn von St.Michaelstag (29. Sep-tember) bis Lichtmess (2. Februar) für «erd tragen und thröschen» sowie «schitten und sagen» sechs Kreuzer inkl. Mahlzeiten, von Lichtmess bis St. Michaelstag für «mäyen,

in räben stossen, item mist thragen» 9 Kreuzer betragen sollte. Der Lohn konnte auch vom Wetter abhängen: Ei-nem «wemler» waren bei gutem Wetter drei Kreuzer, bei «ruchem wätter» ein Schilling inkl. zwei Mahlzeiten zu entrichten. Derselbe Artikel enthält die Löhne für einen «gelttner» (sechs Kreuzer), einen «thrätter» (sechs Kreu-zer), einen «butten thrager» (neun Kreuzer) und «ainem, der in der geltten thrett» (drei Batzen), alle inklusive zwei Mahlzeiten. Und schliesslich hing der Lohn auch vom Ge-schlecht ab: So erhielt ein Mann für «mitt der sichlen uff veld schniden» sieben, eine Frau nur sechs Kreuzer.

Die Lohnbestimmungen geben somit auch Auskunft über Arbeitsgänge im Reb- und Ackerbau, zumindest über die-jenigen, die von Taglöhnern verrichtet wurden. Diese Lohntarife konnten weniger bemittelten Bevölkerungs-gruppen zugute kommen: Den Taglöhnern war eine ge-wisse Lohnhöhe garantiert, die ärmeren Arbeitgeber wa-ren vor der Abwerbung der Taglöhner durch höhere Löhne reicherer Arbeitgeber geschützt.

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Mit der Sicherung der Finanzierung steht seit Herbst 2012 fest: Nach Abschluss der «Rechtsquellen des Sarganserlan-des», die zu grossen Teilen auch die Rechtsquellen der werdenbergischen Gemeinde Wartau einschliessen, kann das Forschungsprogramm der Schweizerischen Rechts-quellenstiftung im übrigen Werdenberg von der gleichen Bearbeiterin, Dr. Sibylle Malamud, nahtlos fortgesetzt werden. Das auf sechs Jahre (2013–2019) ausgerichtete Projekt umfasst die Gebiete der einstigen Grafschaft Wer-denberg (Politische Gemeinden Grabs, Buchs und Seve-len), der Freiherrschaft Sax-Forstegg (Politische Gemein-

de Sennwald) und des Amtes Gams, der ursprünglichen Teilherrschaft Hohensax. Die Gesamtkosten sind auf 540 000 Franken veranschlagt. Daran beteiligen sich die Gemeinden Sennwald, Gams, Grabs, Buchs und Sevelen mit insgesamt 170 000 Franken und der Kanton St.Gallen mit einem Beitrag aus dem Lotteriefonds von 190 000 Franken.1 30 000 Franken sind vom Kanton Glarus und 10 000 vom Kanton Schwyz zugesichert; Zürich, der drit-te Kanton in der Nachfolge der einstigen eidgenössischen Obrigkeiten, ist um entsprechende Unterstützung ange-fragt worden. Zusagen von 50 000 und 30 000 Franken liegen vor vom Friedrich-Emil-Welti-Fonds, Bern, und von der Walter und Verena Spühl-Stiftung, St.Gallen. Und schliesslich tragen der Historische Verein des Kan-tons St.Gallen und die Historisch-Heimatkundliche Ver-

Die Rechtsquellen der Grafschaft Werdenberg, Freiherrschaft Sax-Forstegg

und Herrschaft Gams

Hans Jakob Reich

ImFreiheitsbriefvom17.Januar1667bestätigtundergänztderRatvonGlarusverschiedeneRechtederWerdenbergerUntertanen.1705

werdendieRechteseitensderGlarnerObrigkeitaberkannt–eskommtzumWerdenbergerLandhandel,demschwerstenKonfliktimVer-

hältniszwischenWerdenbergundGlarus.LandesarchivGlarusA2421/50002.

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1 VomSt.GallerKantonsratgenehmigtam5.Juni2012.

2 Projektdokumentation«DieRechtsquellenderGrafschaft

Werdenberg,FreiherrschaftSax-ForsteggundHerrschaftGams»,

Manuskript,Oktober2011,S.3.

3 Vgl.Oberholzer,Paul:AktenausZeitenfremderHerrschaft.Er-

schliessungsarbeitimArchivWerdenberginGlarus,in:Werdenber-

gerJahrbuch2005,18.Jg.,S.38–51.–WieeszurErschliessung

derAktenkam,sieheimselbenJahrbuch:Reich,HansJakob:Der

200-jährigeArchivalienstreitzwischenSt.GallenundGlarus,

S.22–37.

4 SieheSutter,Pascale:DasPrivatarchivHilty–eineFundgrubefürdie

Rechtsquellenforschung,in:WerdenbergerJahrbuch2013,26.Jg.,

S.307–314.

einigung der Region Werdenberg (HHVW) mit je 5 000 Franken ebenfalls dazu bei, dass die Arbeiten 2013 aufge-nommen werden können.

Ziel und Bedeutung

Das Rechtsquellenprojekt Werdenberg versteht sich zum einen als Fortsetzung des Anfang der 1980er-Jahre einge-stellten «Urkundenbuchs der südlichen Teile des Kantons St.Gallen» (publiziert 1951–1982), das den Zeitraum vom 2./3. Jahrhundert bis 1340 beinhaltet. Zum andern bildet es eine Ergänzung des Liechtensteinischen Urkundenbu-ches (1948–1996) und des Bündner Urkundenbuches (1955–2005), des Chartularium Sangallense (publiziert ab 1983) und der kurz vor der Edition stehenden Rechtsquel-len des Sarganserlandes. Für die Grafschaft Werdenberg,

die Freiherrschaft Sax-Forstegg und das Amt Gams fehlt eine umfassende und systematische Edition der Rechts-quellen der Zeit nach 1340. Dementsprechend werden mit dem Projekt Werdenberg hauptsächlich Schriftstücke vom Hochmittelalter bis 1798 auf juristischer Mikroebene ausgewertet und wissenschaftlich aufbereitet. Diese Quel-len sind bedeutsam für die Geschichte der Region Wer-denberg, genauso für die der Kantone St.Gallen, Zürich, Glarus und Schwyz und für das Fürstentum Liechten-stein. Das Projekt macht Archivalien einer kulturell inter-essierten Bevölkerung und wissenschaftlichen Fachkrei-sen im In- und Ausland verlässlich und leicht zugänglich. Die Publikation, sowohl in Buchform als auch im Inter-net, wird einem breiten Publikum ermöglichen, die his-torischen Kenntnisse über die Region Werdenberg in ei-nem Werk von bleibendem Wert zu vertiefen und in einer digitalen Arbeitsumgebung die Quellen jederzeit und von jedem Ort aus auf verschiedenste Fragestellungen hin aus-zuwerten. Die administrative und wissenschaftliche Lei-terin des Projektes, Dr. Pascale Sutter, hält dazu fest: «Das Projekt stellt eine wissenschaftliche und kulturelle Höchstleistung von gesamtschweizerischer Bedeutung dar, welche die Wahrnehmung der Region Werdenberg als Rechts-, Geschichts- und Kulturlandschaft nachhaltig beeinflussen und die Geschichte der Region Werdenberg bis auf die nationale Ebene als Forschungsgegenstand för-dern und etablieren wird.»2

Umfangreiche Quellensichtung

Der grösste zu sichtende Bestand sind die sogenannten Werdenberger Kisten im Landesarchiv Glarus, die Akten der Grafschaft Werdenberg aus den Jahrhunderten als Glarner Landvogtei (1517–1798). Der Inhalt dieses Be-standes ist in den Jahren 1998 bis 2002 von Paul Oberhol-zer geordnet, verzeichnet und mit Regesten versehen wor-den.3 Als erst kürzlich zugänglich gewordener wertvoller Bestand kann das umfangreiche Privatarchiv der Werden-berger Familie Hilty in die Arbeit einbezogen wer- den.4 Weiter sind die Archive der sechs Politischen Ge-meinden Sennwald, Gams, Grabs, Buchs, Sevelen und

DieBurgForstegg,um1375vondenHerrenvonSax-Hohensaxer-

bautundvon1615bis1798SitzderZürcherLandvögteinderFrei-

herrschaftSax-Forstegg.FotoHansJakobReich.

BlickvomMutschenauf(vonlinks)Gams(mitdemWeilerGasen-

zen),Grabs,BuchsundimHintergrundamHangfussSevelen.

GamsgehörteursprünglichzurFreiherrschaftSax,wirdim14.Jahr-

hundertinfolgeeinerDreiteilungdieserHerrschaftzurHerrschaft

Hohensaxund1497zurGemeinenHerrschaftderOrteSchwyzund

Glarusbzw.zumvonderLandvogteiGasterausverwaltetenAmt

Gams.FotoHansJakobReich.

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Wartau sowie die Archive der Orts- und Kirchgemeinden der Re-gion Werdenberg und das Kulturarchiv Werden-berg zu besuchen und auszuwerten. Ebenfalls berücksich-tigt werden müssen die Ortsarchive der Nachbarregionen Liechtenstein, Toggenburg, Rheintal und Sarganserland, wobei zu diesen zum Teil bereits Erschliessungsarbeiten aus früheren Rechtsquellen- und anderen Editionsprojek-ten vorliegen. Wertvolle Synergien im Bereich der Re-cherche ergeben sich zweifellos aus einer engen Zusam-menarbeit mit den Bearbeitenden des im Juni 2011 begonnenen, auf sechs Jahre angelegten Projektes Kunst-denkmäler Werdenberg.5 Zudem beherbergen zahlreiche auswärtige Archive Materialien, die es zu sichten gilt, so die Staats- und Landesarchive Aargau, Luzern, Graubün-den, St.Gallen, Schwyz, Zürich, Appenzell, Glarus, Thur-gau und Liechtenstein, ebenfalls die Diözesanarchive Chur und St.Gallen, die Stadtarchive Feldkirch und Lindau sowie das Vorarlberger und das Tiroler Landesar-chiv. Somit umfasst das Untersuchungsgebiet mindestens 40 öffentliche Archive, und zweifellos wird im Lauf der Arbeit der eine oder andere interessante private Bestand zum Vorschein kommen. Pascale Sutter ist jedenfalls

Aufder«NovaHelvetiaetabulageographica»(JohannJakob

Scheuchzer,1712)sinddieunterschiedlichenHerrschaftsverhältnis-

semitdenbeigefügtenWappenderObrigkeitenodermitUmschrif-

tenangedeutet.

überzeugt: «Aufgrund der methodisch bewährten Vorge-hensweise auf juristischer Mikroebene verspricht das Werdenberger Projekt, ein spannendes Abbild des Rechts-lebens in den betreffenden Siedlungen und Herrschafts-gebilden zu liefern.»6

Einer der letzten «weissen Flecke» verschwindet

Die bisher fehlende Erschliessung wichtiger Quellen vor allem des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit muss-te die Redaktion des Werdenberger Jahrbuches in den vergangenen 26 Jahren immer wieder als empfindlichen Mangel erfahren. Dass die Fortsetzung von Franz Perrets im Jahr 1340 endendem Urkundenbuch der südlichen Tei-le des Kantons St.Gallen in den 1980er-Jahren «still beer-digt» wurde, fand bei Werdenberger Geschichtsinteres-sierten kein Verständnis. Erschwert war dadurch insbesondere der Zugang zu den Akten aus der für die Forschung spannenden Zeit des Übergangs von der Feu-dalherrschaft in die eidgenössischen Untertanenschaft und aus den Jahrhunderten, in denen die Wartauer, Seve-ler, Buchser, Grabser, Gamser und Sennwalder zwar «Eid-genossen» waren, aber aufgrund minderen Bundesrechts doch nur drittklassige Schweizer. So war beispielsweise eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Ausein-andersetzung mit den Inhalten der sogenannten Werden-berger Kisten im Landesarchiv Glarus und der ebenfalls dort befindlichen Rats- und Gerichtsprotokolle praktisch unmöglich. Die Materialien waren schwer zugänglich und blieben dementsprechend weitgehend unausgewer-tet. Erst ein politischer Vorstoss im Sankt-Galler Kan-tonsrat von 1997 führte, zumindest was die Glarner Be-stände anbelangt, zu einer ersten Verbesserung: zur sys- tematischen Erfassung und Erstellung von Regesten, die wenigstens einen Überblick über das Material erlauben. Wirklich erschlossen werden können die Bestände – wie zahlreiche andere – nun aber erst im Rahmen des Rechts-quellenprojektes Werdenberg. Das wird zweifellos zu neuen Erkenntnissen und wohl auch zu mancher Über-raschung führen.Nach dem Abschluss der Rechtsquellenprojekte im Sar-ganserland und im Rheintal wird mit dem Projekt Wer-denberg nun noch einer der letzten «weissen Flecke» im Kanton St.Gallen erschlossen. Da auch Liechtenstein und der Kanton Graubünden über entsprechende Werke ver-fügen, wird sich mit der Werdenberger Sammlung an Rechtsquellen der Geschichtsforschung und -vermittlung ein weites Feld an für die Wissenschaft wertvollen grenz-übergreifenden Vergleichsmöglichkeiten eröffnen. Wenn dann einmal auch noch ein Vorarlberger Urkundenbuch vorliegt, wird der gesamte ursprünglich zusammengehö-rende und erst im Spätmittelalter getrennte unterrätische Raum in eine vergleichende wissenschaftliche Bearbei-tung einbezogen werden können.

5 SieheFlury-Rova,Moritz:EinKunstdenkmälerbandfürdasWerden-

berg.Nach40JahrenUnterbruchwirddieSt.GallerReihefortge-

setzt,in:WerdenbergerJahrbuch2012,25.Jg.,S.272–275.

6 Projektdokumentation2011(wieAnm.2),S.10.

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Ortsnamenforschung Martin Hannes Graf

Ortsnamen bilden nicht nur den linguistisch faszinierenden «Friedhof der Sprache», sie sind auch der sprachliche Nie-derschlag vergangener Lebenswelten und darum für Sprach-wissenschafterinnen und Sprachwissenschafter, Historike-rinnen und Historiker sowie für an Orts- und Landesge- schichte allgemein Interessierte von Bedeutung. Dieser ver- gangenheitsbezogene Blick auf Namen setzt jedoch eine systematische historische Dokumentation voraus. Massge-blichen Anteil an der Verschriftung von Ortsnamen haben seit jeher rechtliche Belange. Schriftlich fixierte Rechtsnie-derlegungen und Rechtsakte bilden sogar die textuelle Hauptmasse der Quellengattungen, in denen Namen von Örtlichkeiten auftauchen. Insofern liegt es auf der Hand, dass historisch belegte Ortsnamen traditionell aus diesbe-züglich relevanten Quellen exzerpiert werden. Da die Samm-lung Schweizerischer Rechtsquellen mit ihren bisher über 100 Bänden nicht nur leicht greifbar ist und ein vielfältig nutzbares Quellenmaterial bereitstellt, sondern auch philo-logisch und quellenkritisch als sehr zuverlässig einzustufen ist, ist die routinierte Benutzung dieser Bestände für namen-kundliche Arbeiten eine zwingende Notwendigkeit.In der Namenforschung spielen wie für jede andere empiri-

Screenshotausortsnamen.chmitderLokalisierungdesNamensAlpFlisunddessenhistorischenBelegen(Beleg1675ausSSRQSGI/2/4.2).

sche Wissenschaft grössere Datenbestände eine zentrale Rol-le. Datenbanken haben darum in den letzten Jahren (neben den Namenbüchern) eine wichtige Position eingenommen. In der Schweiz ist das Akademie-Projekt ortsnamen.ch dies-bezüglich die zentrale Schaltstelle, die in Form einer online-Datenbank die Resultate der Schweizerischen Ortsnamenfor-schung zur Verfügung stellt und eine wissenschaftlich solide Datengrundlage gewährt. Von zunehmender Bedeutung ist dabei die Georeferenzierung der Namen, die es erlaubt, Ein-zelnamen und Namengruppen in beliebiger Zusammenstel-lung auf aktuellen und historischen Karten darzustellen, was wiederum Fragestellungen ganz neuer Art generiert. Die Kombination von geographischer Verortung und historischer Tiefe macht den wechselseitigen Austausch und die gegen-seitige Bezugnahme gut gepflegter elektronischer Ressour-cen jedoch unabdingbar und wird in Zukunft noch mehr Ge-wicht haben – mit Vorteilen für die Namenforschung (z. B. mit der Erweiterung der Belegbasis für sprachliche Analysen oder mit der besseren Kontextualisierung von Belegen) wie für die Geschichts- und Editionswissenschaft (z. B. mit der verbesserten Einbindung von Texten in die historische Land-schaft oder mit der Visualisierung von Ortsbezügen).

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1 SammlungSchweizerischerRechtsquellen(SSRQ),XIV.Abteilung:

DieRechtsquellendesKantonsSt.Gallen,ErsterTeil:DieRechtsquel-

lenderAbteiSt.Gallen,2.Reihe:DieAlteLandschaft,Band3:Die

RechtsquellenderStadtWilnachVorarbeitenvonMagdalenBless-

Grabher,vonPeterErniundMartinSalzmann,Basel2005.(SSRQ

I/2/3.1und3.2).

2 SSRQI/2/3.1,QuellenverzeichnisS.XXXVII–XL.

3 DasStadtarchivbefindetsichimRathausBischofszell.

4 Salathé,André:StaatsarchivdesKantonsThurgau.Beständeüber-

sicht.Frauenfeld2005(Computerausdruck,gebunden);Staatsarchiv

Thurgau,BischofvonKonstanz,HauptarchivundÄmterunterSig-

naturStATG7’1ff.

5 UnterSignaturStaatsarchivThurgau7’30ff.

Die Städtchen Wil und Bischofszell, die sich jeweils in unmittelbarer, aber gegensätzlicher Grenzlage befinden, liegen je auf einer Anhöhe im Thurtal und sind in direkter Distanz (Luftlinie) knapp 15 Kilometer voneinander ent-fernt. Nicht nur die Lage hat Ähnlichkeiten; auch die frü-he Stadt- und Rechtsgeschichte weist teilweise verwandte Entwicklungen auf. Dazu kommt, dass beide Städte sich bis 1798 praktisch ununterbrochen in geistlicher Hand befanden. Wil gehörte zur Abtei St.Gallen; Bischofszell war Stadt des Bischofs von Konstanz. In der Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen sind die meist im Volltext transkribierten Rechte von Wil in zwei Bänden erschie-nen.1 Das Quellenmaterial von Bischofszell wird in ähn-lichem Umfang zusammengestellt und soll in einigen Jah-ren ebenfalls vorliegen. Dann wird es reizvoll sein, ähn- liche oder unterschiedliche Rechtsaufzeichnungen beider Städte zu vergleichen und auszuwerten.

Die Quellenlage ist in beiden Fällen glücklicherweise als gut bis sehr gut zu bezeichnen. Für Wil liegen die Haupt-quellen im Stadtarchiv, aber auch im Stiftsarchiv St.Gal-len. Ratsprotokolle setzen mit dem Jahr 1529 ein, reichen fast lückenlos bis 1798 und ergänzen mit weiteren Amtspro-tokollen einen praktisch vollständigen Urkunden- und einen umfangreichen Aktenbestand. Wichtige Quellen über Beziehungen zur Eidgenossenschaft sind vor allem in den Staatsarchiven Luzern und Zürich zu suchen.2

Bischofszell verfügt über gut erhaltene Quellen, die im Bürgerarchiv aufbewahrt werden. Der Urkundenbestand

Die Rechtsquellen der Städte Wil (SG)und Bischofszell (TG)

Martin Salzmann

ab 1330 erweist sich mit über 1’000 Nummern wohl als nahezu lückenlos. Dazu kommen eine Aktenabteilung so-wie Bücherbestände, die jedoch durch den Stadtbrand von 1743 partiell gelitten haben. Die Ratsprotokolle be-ginnen erst 1606 und weisen später Lücken auf.3 Sehr gross sind die Bestände der bischöflichen Verwaltung (zu-erst in Konstanz und nach der Reformation in Meers-burg). Die den Thurgau interessierenden Bestände ge-langten nach der Auflösung des Bistums Konstanz im früheren 19. Jahrhundert ins Staatsarchiv in Frauenfeld und wurden später weiter ergänzt.4 Manche Thurgowia blieben aber in Karlsruhe. Wichtig sind überdies Archiva-lien (Urkunden, Akten, Bücher) des Chorherrenstifts St.Pelagi in Bischofszell (s. unten), die mehrheitlich im Staatsarchiv Thurgau lagern5, zum kleineren Teil im ka-tholischen Kirchenarchiv in Bischofszell.

In Wil war die königliche Vogtei an den Abt von St.Gal-len verliehen, der sich durch einen Statthalter vertreten

DasSchlossvonBischofszell,ResidenzdesVogtesundspäteren

ObervogtesdesBischofsvonKonstanz.FotoMartinSalzmann.

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6 Beispiel:SSRQSGI/2/3.1,Nr.37,S.101f.(1425August23.Wil).

7 Beispiel:SSRQSGI/2/3.1,Nr.77,S.173–175(letztesVierteldes

15.Jh.).

8 SSRQSGI/2/3.1,Nr.114,S.303f.(1531Dezember13).

9 SSRQSGI/2/3.1,Nr.141,S.373–394(1556Januar18undspäter).

10 BürgerarchivBischofszell,Urk.Nr.43–45.

11 ErsteBelehnungeinesVogtes:BürgerarchivBischofszell,Urk.Nr.46

(1403Mai1).

12 StaatsarchivThurgau7’12’33,E/2(1535September20,unbesiegel-

terProjektentwurf).

liess. Die wirtschaftliche Stadtentwicklung im 13. und 14. Jahrhundert erlaubte eine politische Erstarkung der Bür-gerschaft, was zu Konflikten und zu Rechtszugeständnis-sen durch den Abt führte. Der Stadt war gestattet, Schirm-verträge einzugehen.6 Eine wesentliche Grundlage für die bis 1798 reichende Rechtssicherung bestand in einem sorgfältig aufgebauten Vertragssystem des Königs resp. Kaisers gegenüber Abt und Kloster (samt verliehenem Blutgericht) und gegenüber der Stadt. Der Abt gewährte seinerseits Stadtsatzungen.7 Streitigkeiten um Steuern und Gerichtskompetenzen und verfassungsrechtliche Dinge beschäftigten Bürgerschaft und Abt seit der Frühen Neuzeit und wurden oft unter Einbezug eidgenössischer Orte (von denen vier mit dem Abt im Burg- und Land-recht verbunden waren) als Schiedsrichter einer Lösung zugeführt.

Die Reformation blieb eine kurze Episode. Zürich setzte den neuen Glauben mit militärischem Druck durch. Die aufgezwungene Verfassung wurde Ende 1531 wieder rück-gängig gemacht, die alte Ordnung restituiert und der Abt wieder in verbriefte Rechte über die Stadt eingesetzt.8

Etwas länger dauerte die Besetzung von Wil durch Zürich und Bern 1712 anlässlich des Zweiten Villmergerkriegs; die reformierten Landvögte erledigten die Geschäfte. Nach dem Badener Friedensschluss von 1718 wurden die äbtische Verwaltung und das politische Regierungssystem wiederhergestellt. Dieses beruhte nicht nur auf Verträgen und Stadtordnung, sondern auch auf einer zunehmenden direkten Einflussnahme mittels unzähliger Mandate. Die-se erfassten einzelne soziale Gruppen oder Berufsgrup-pen; sie wurden aber auch als «Grosse Stadtmandate» für das ganze öffentliche und private Leben festgeschrieben.9

Der Hinweis auf die göttliche Ordnung war ein Leitmo-tiv. Die im Hof einquartierte Einsatztruppe erinnerte stets an das äbtische Herrschaftsrecht.

Die Rechtsgeschichte von Bischofszell im Mittelalter ver-lief sehr ähnlich. Die wirtschaftlich erstarkte Bürgerschaft erreichte durch Zahlungen im Jahr 1402, dass die Stadt nicht mehr verpfändet wurde.10 Im 15. Jahrhundert wurde mit einem dichten Netz von Verträgen die Grundlage ge-legt für eine intensive Stadtentwicklung: mit königlich-kaiserlichen Verträgen mit dem Bischof von Konstanz (bis hin zur verliehenen Blutgerichtsbarkeit), mit Privilegien-vergabe an die Bürgerschaft von Bischofszell, mit gegen-seitigen vertraglichen Abmachungen zwischen Bischof und seiner Stadt sowie zwischen dem bischöflichen Stadt-vogt und der Bürgerschaft. Dieses festgefügte System war dermassen stark, dass es bis zur Französischen Revolution Bestand hatte. Das bischöfliche Machtinstrument war ab 1403 ganz auf den Vogt fokussiert.11 Ohne ihn konnte kein Rat abgehalten werden. Die bischöfliche Regierung stand in fast täglichem Briefkontakt mit dem Vogt. Man-date, gemäss altem Recht eigentlich der Stadt vorbehal-ten, kamen durch den Bischof nur zögerlich zur Anwen-dung. Eine militärische Schutztruppe fand sich auf dem Schloss zu Bischofszell nicht; ein polizeiliches Durchgrei-fen war dem Bischof nicht möglich. Er war umso mehr auf kluge Politik und Diplomatie angewiesen, was jedoch bisweilen nicht immer von Erfolg gekrönt war.

Die Kräfteverhältnisse in Bischofszell waren vor allem seit der Frühen Neuzeit komplizierter als in Wil. In der Stadt bestand seit dem Mittelalter das Chorherrenstift, welches über die nahe und territorial geschlossene Vogtei St.Pela-gi-Gottshaus sowie anderweitige Einzelgüter verfügte. Die Kirche war nicht nur Stiftskirche, sondern auch Stadtkirche und wurde später auch paritätisch genutzt. Schliesslich brachte die Reformation in der bischöflichen Stadt eine konfessionelle Zweiteilung der Bürgerschaft mit entsprechendem politischem Konfliktpotential, was sich bis 1798 nicht mehr rückgängig machen liess. Der reformierte Bürgerteil zeigte sich schon kurz nach dem Ausbreiten des neuen Glaubens als so mächtig, dass sich der Bischof 153512 mit dem Gedanken trug, die Stadt zu verkaufen, dann aber doch darauf verzichtete. Danach benutzte die bischöfliche Politik verschiedene Möglich-keiten, den stets schwächeren katholischen Bürgerteil zu privilegieren: durch die direkte Ernennung von Bischof-bürgern, die Verleihung von Ehaften (z. B. Wirtshäuser)

Der«Hof»zuWil,SitzdesStatthaltersdesAbtesvonSt.Gallen.

FotoMartinSalzmann.

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an katholische Leute, die zwingende Reservierung von bestimmten Lehenhöfen um die Stadt sowie von Stadt-ämtern für Katholiken.

13 SammlungSchweizerischerRechtsquellen,XIV.Abteilung:Die

RechtsquellendesKantonsSt.Gallen,ErsterTeil:DieRechtsquellen

derAbteiSt.Gallen,2.Reihe:DieAlteLandschaft,Band4:Dorf-

rechtederAltenLandschaftvonMaxGmür,2.Band:Toggenburg,

Aarau1906,S.74–94.

14 OrtsarchivGrabs,UrkundeNr.U0018.

15 OrtsarchivGrabs,UrkundeNr.O1477-4.

16 DersogenannteGerichtsherrenvertragderVIIeidg.Orte(1509Juli

20.Zürich)markierteinganzentschiedenesEingreifenderEidge-

nossenschaftindiethurgauischePolitik.

In der Politik kam der Einflussnahme der den Thurgau regierenden eidgenössischen Orte eine zentrale Bedeu-tung zu. Erstaunlicherweise erst 50 Jahren nach der Er-oberung des Thurgaus (1460) wurde die eidgenössische Politik aktiv.16 Freilich waren das Bündnis- und Vertrags-system von Bischofszell und auch das niedere und vor al-lem hohe Gericht des Bischofs innerhalb des Stadtbannes unbestritten. Und doch blieb hier auf politischer Ebene ein Dualismus des Herrschaftsverständnisses zwischen dem Bischof und den Eidgenossen als Herren im Thurgau bestehen. So lag der Heerbann in Bischofszell in eidge-nössischer Hand. Bei aufflammenden Streitigkeiten um Fragen von Steuern und Abzug in den niedergerichtlichen Stadtgebieten oder in der angrenzenden bischöflichen

Bauernhausforschung und RechtsquellenArmin Eberle

Die Bauernhausforschung orientiert sich in erster Linie am historischen Baubestand. Dieser erlaubt meist klare Aussa-gen zu konstruktiven, baugeschichtlichen und bautypologi-schen Fragestellungen und gibt mehr oder weniger deutli-che Hinweise auf die Art und Weise des bäuerlichen Wohnens und Wirtschaftens innerhalb eines Hofes. Frage-stellungen, welche einen Blick über den Einzelhof hinaus verlangen (Organisation und Art der Bodennutzung, Vieh-zucht, u. a.) lassen sich nur mittels Einbezug von weiteren Quellen beantworten. Dies gilt insbesondere für das System der bis weit ins 19. Jahrhundert vorherrschenden Subsisten-zwirtschaft, welches klare und eindeutige Regeln für das dörfliche Zusammenleben und die Art und Weise der Nut-zung der landwirtschaftlichen Ressourcen voraussetzte. Bei solchen Forschungsansätzen leisten die Rechtsquellen-Sammlungen einen wichtigen Beitrag.Wie wertvoll diese für die Bauernhausforschung sind, sei an zwei Beispielen erläutert. Der Weiler Burgau in der Gemein-de Flawil ist der einzige noch vollständig erhaltene dörfliche Baubestand (16. bis 18. Jahrhundert) im Kanton St.Gallen, in dem auch die räumliche Gliederung integral erhalten blieb. Dank der Rechtsquellensammlung von Max Gmür las-sen sich genaue Aussagen dazu machen, wie die bäuerliche Welt der frühen Neuzeit in Burgau ausgesehen hat. Insbe-sondere die von ihm transkribierte Offnung vom 10. August 1469 enthält wertvolle Angaben über die Art und Weise der Boden- und Waldnutzung sowie der Viehhaltung.13

Das zweite Beispiel betrifft die heutige Gemeinde Grabs. Der Urkundenbestand des Ortsarchivs umfasst über 200, zum Teil umfangreiche Dokumente zwischen 1419 und der Zeit um 1800. Viele davon haben einen direkten oder indirekten Bezug zur Art und Weise der landwirtschaftlichen Nutzung während dieser Zeit und liefern wertvolle Belege. So wird zum Beispiel in einer Urkunde aus dem 15. Jahrhundert aus-

PrachtvolleTitelseitederOffnungderGemeindeNiederbü-renvom8.Februar1601.BeidiesemExemplarhandeltessichumeineAbschriftdesOriginalsvom2.Oktober1469(ArchivBürgerkorporationNiederbüren).AussolchenQuel-len gehen manchmal Hinweise zur früheren Nutzung vonlandwirtschaftlichenGüternhervor.

drücklich auf die besonderen Rechte der «Walser» am Grab-serberg hingewiesen.14 Oder es finden sich bereits für das Jahr 1477 eindeutige Belege für zwei «Sennen» auf der «Alp Valspus».15

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Vogtei Schönenberg waren oft auch die Eidgenossen in-volviert. Da der Bischof keinerlei militärische Machtmit-tel besass, setzte die bischöfliche Verwaltung alle politi-schen und juristischen Mittel ein, um zu ihrem Recht zu kommen, konnte aber nicht immer vermeiden, dass sich der Landvogt in Frauenfeld, gestützt von den eidgenössi-schen Orten, durchsetzen konnte. Überhaupt spielte in Bischofszell der Machtfaktor der Eidgenossen eine wich-tige Rolle. Diese waren oft auch Schiedsrichter zwischen Bischof und der Bürgerschaft und befriedeten tiefgreifen-de Zerwürfnisse zwischen der Stadt und dem Bischof. Für ihn musste es sehr ärgerlich sein, dass selbst in privaten Rechtsstreitigkeiten Bischofszeller an die Eidgenossen ap-pellierten, obwohl dieser Rechtszug in überlieferten Rech-ten gar nicht vorgesehen war.

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1 SammlungSchweizerischerRechtsquellen(SSRQ),XIV.Abteilung:

DieRechtsquellendesKantonsSt.Gallen,ZweiterTeil:DieStadt-

rechtevonSt.GallenundRapperswil,2.Reihe:DieRechtsquellen

derStadtundHerrschaftRapperswil,Band1:Rechtsquellender

StadtundHerrschaftRapperswil(mitdenHöfenBusskirch/Jona,

KempratenundWagen)vonPascaleSutter,Basel2007.

2 Vgl.dazudasVorwortvonLukasGschwendimRapperswiler

Rechtsquellenband,S.XXXIII.

3 Vgl.dazuSutter,Pascale:DerRechtsquellenbandzurStadtund

HerrschaftRapperswil.EinErfahrungsberichtzurEntstehungeiner

Quellenedition,in:SchweizerischeZeitschriftfürGeschichte58,

2008,Nr.1,S.68–80.WeiterePublikationenzumRechtsquellen-

bandvgl.http://ssrq-sds-fds.ch/index.php?id=38.

4 Vgl.dazuhttp://www.kulturbaukasten.ch/undhttp://www.ogrj.ch/

stadtmuseum/stadtmuseum.php.

5 StadtarchivderOrtsbürgergemeindeRapperswil-Jona,AXXXIIc4

58a:8.Juni1797;vgl.dazuauchdasRatsprotokollvom10.Juni

1797:StadtarchivderOrtsbürgergemeindeRapperswil-Jona,

Bd.B51,S.544.

Im Gegensatz zu den Rechtsquellen anderer Kantone, wie zum Beispiel Zürich oder Bern, gliedert sich die Abtei-lung des Kantons St.Gallen nicht nur in Stadt- und Land-rechte, sondern in drei Teile (vgl. Tabelle S. 14). Im zwei-ten Teil («Die Stadtrechte von St.Gallen und Rapperswil») in der zweiten Reihe («Die Rechtsquellen der Stadt und Herrschaft Rapperswil») sind 2007 – gerade rechtzeitig zur Vereinigung der beiden seit Jahrhunderten eng ver-bundenen Gemeinden Rapperswil und Jona – zwei Halb-bände zur Stadt Rapperswil mit den Höfen Busskirch/Jona, Kempraten und Wagen erschienen.1

Der Rapperswiler Band blickt auf eine lange Entstehungs-geschichte zurück: Nach Abschluss der Edition der Rechtsquellen des Gasters widmete sich der Rapperswiler Bürger Ferdinand Elsener (1912–1982) dem Rapperswiler Projekt. Schon im Jahr 1966 wird ein Band zu «Hof und Stadt Rapperswil» angekündigt, der aber wegen der Beru-fung Elseners als Professor für Deutsche Rechtsgeschichte und Kirchenrecht nach Tübingen nur langsam voran-kommt und nach seinem Tod liegen bleibt.2 Ab 1990 ver-suchte Alois Stadler, damals Stadtarchivar der Ortsge-meinde Rapperswil, das Projekt wiederzubeleben, hatte aber ebenfalls kaum Zeit, um die Arbeit zielstrebig voran-zutreiben. Dank dem Engagement von Markus Thurn-herr, seit 1999 Rapperswiler Stadtarchivar, Ernst Ziegler,

Die Rechtsquellen der Stadt und Herrschaft Rapperswil

Pascale Sutter

dem umsichtigen Stiftungsratsmitglied aus St.Gallen, dem Team Martin Salzmann/Claudio Soliva sowie der fi-nanziellen Unterstützung durch Rapperswil-Jona, den Kanton St.Gallen und den Friedrich-Emil-Welti-Fonds gelang es der Verfasserin, innerhalb von sechs Jahren die umfangreiche Edition abzuschliessen.3

Der Rechtsquellenband zur Herrschaft Rapperswil ent-hält viel unbekanntes Quellenmaterial, das nicht nur der universitären Forschung dient, sondern auch für Stadt-rundgänge, Ausstellungen und Zeitungsartikel verwendet wird. Der Kulturbaukasten und das neue Stadtmuseum Rapperswil-Jona bauen auf dem Material auf.4 Seit kur-zem werden die digitalen Volltexte durch Michael Pio-trowski und seine Studierenden mit Hilfe des Computers linguistisch ausgewertet, was neue Perspektiven auf das Quellenkorpus eröffnet. Zur Illustration ein Fallbeispiel, von denen es Hunderte weitere gäbe.

Kopfgeld für die Ergreifung des DiebsAnton Helbling

Am 8. Juni 1797 wird in der Stadt Rapperswil der Laden von Agata Fornaro ausgeraubt. Dabei werden Bargeld und verschiedene wertvolle Stoffe entwendet. Die Laden-besitzerin verdächtigt den Schuster Anton Helbling, in dessen Haus die gestohlenen Sachen auch tatsächlich ge-funden werden.5

Der Täter wird gefangen genommen und von einer Rats-kommission mehrmals verhört. Doch es gelingt ihm, in der Nacht vom 14. auf den 15. Juni aus dem Gefängnis zu entkommen. Deshalb publiziert der Rapperswiler Rat am

Rapperswil.FotoJohannesHuber.

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6 StadtarchivderOrtsbürgergemeindeRapperswil-Jona,AXXXIIc4

58b:15.Juni1797.EinweitererSteckbriefmitfastwortgleicher

Einleitung,aberohnedasSignalement,liegtinAXXXIIc458c.

7 Ratsprotokoll:StadtarchivderOrtsbürgergemeindeRapperswil-

Jona,Bd.B51,S.548:26.Juni1797.

8 Ratsprotokoll:StadtarchivderOrtsbürgergemeindeRapperswil-

Jona,Bd.B52,S.5–6:28.September1797;Mandat:Stadtarchiv

derOrtsbürgergemeindeRapperswil-Jona,Bd.B95,Nr.1:26.

bzw.28.Oktober1797.

9 Ratsprotokoll:StadtarchivderOrtsbürgergemeindeRapperswil-

Jona,Bd.B52,S.5–6:28.September1797.

10 Ratsprotokoll:StadtarchivderOrtsbürgergemeindeRapperswil-

Jona,Bd.B52,S.13:31.Oktober1797.

11 Ratsprotokoll:StadtarchivderOrtsbürgergemeindeRapperswil-

Jona,Bd.B52,S.9:8.Oktober1797.

12 Mandat:StadtarchivderOrtsbürgergemeindeRapperswil-Jona,

Bd.B95,Nr.1:26.bzw.28.Oktober1797.

nächsten Tag einen Steckbrief, der an alle benachbarten Ortschaften versandt wird mit der Bitte, Personen, auf die das Signalement passt, in Haft zu nehmen und an Rap-perswil auszuliefern.Das Signalement des geflüchteten Anton Helbling lautet: Von hoher, gerader Statur; 26 Jahre alt; mit lügenhaftem Angesicht; dunkelbraunen Augen; gesunder Gesichtsfarbe; trägt kastanienbraune, abgeschnittene Felle; blauen Rock; abgetragene, gelbe Weste; braunes, seidenes, gestricktes Ober-teil; abgetragene Beinkleider aus Samt; gestrickte, weisse Strümpfe.6

SteckbriefdesAntonHelbling.StadtarchivderOrtsbürgergemeinde

Rappeswil-Jona,AXXXIIc458b.

Der Rat beschliesst am 26. Juni, den Prozess gegen Helb-ling für sechs Wochen auf Eis zu legen und erst nach Ab-lauf dieser Frist ein Urteil zu fällen. In der Zwischenzeit wird Helblings Ehefrau Magdalena, geborene Rüssi, fest-genommen und über den Aufenthaltsort ihres Mannes befragt. Ausserdem ergeht die Weisung, das Gefängnis ausbruchsicher zu machen und alle liederlichen Bürger von der Verschwendung ab und zur Arbeit anzuhalten.7

Als 13 Wochen später der Geflüchtete immer noch nicht gefasst ist, entschliesst sich der Rat, eine Belohnung von 50 Talern auf den Kopf des Diebs auszusetzen. Ebenso viel Busse droht der Rat denjenigen an, die Helbling beher-bergen oder Kontakt mit ihm haben, ohne ihn anzuzei-gen.8 Mit der ausgesetzten Belohnung hätte man in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts eineinhalb Jahre lang jeden Tag ein Brot kaufen können!Der Rat lässt die Prozessakten bis zur allfälligen Inhaftie-rung Helblings archivieren und hält im Protokoll fest, falls der Prozess nicht abgeschlossen werden könne, solle der Straftäter lebenslänglich aus dem Territorium der Stadt verbannt sein.9 Zudem beschlagnahmt der Fiskus nach Abzug der Schulden das Vermögen des Anton Helb-ling, und seiner Ehefrau werden nur gerade ein Bett, eine Pfanne und ein Topf zugesprochen.10

Der Rat verurteilt die Ehefrau als Mittäterin dazu, Gott und die Obrigkeit um Verzeihung zu bitten. Danach wird sie mit einem Schandzettel versehen eine Stunde lang an den Pranger gestellt. Falls sie sich in Zukunft irgendeines Vergehens schuldig machen sollte, würde sie unverzüglich aus der Stadt gewiesen werden.11

Die Obrigkeit erlässt wegen Anton Helblings Spielleiden-schaft Ende Oktober ein Mandat, das die Sperrstunde der Wirtshäuser im Sommer auf 22 und im Winter auf 21 Uhr festsetzt und bei 20 Pfund Busse alle Glücksspiele verbie-tet.12 Diese zwei Bestimmungen sind nichts Neues; denn das Überschreiten der Polizeistunde und Vergehen gegen das Spielverbot kamen öfter vor, als dem Rat lieb war.

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1 Ziegler,Ernst:SitteundMoralinfrüherenZeiten,ZurRechtsge-

schichtederReichsstadtundRepublikSt.Gallen,Sigmaringen1991.

SammlungSchweizerischerRechtsquellen(SSRQ),XIV.Abteilung:

DieRechtsquellendesKantonsSt.Gallen,ZweiterTeil:DieStadt-

rechtevonSt.GallenundRapperswil,1.Reihe:DieRechtsquellen

derStadtSt.Gallen,Band1:DieStadtbücherdes14.bisfrühen

17.JahrhundertsvonMagdalenBless-GrabherunterMitarbeitvon

StefanSonderegger,Aarau1995,S.VII;Band2:DasStadtbuchvon

1673vonErnstZieglerunterMitwirkungvonUrsulaHaslermitei-

nemRegistervonAnne-MarieDubler,Aarau1996.

2 Vgl.DieStadtarchiveinSt.Gallen,Archivführer,bearb.vonErnst

ZieglerundMarcelMayer,St.Gallen2003,S.30–37.

3 ChartulariumSangallense,BandIII(1000–1265),bearb.vonOtto

P.Clavadetscher,St.Gallen1983bisChartulariumSangallense,Band

XI(1390–1397),bearb.vonOttoP.ClavadetscherundStefan

Sonderegger,St.Gallen2009;abBandVIIIClavadetscherund

Sonderegger.

4 Vgl.dazuBibliographieErnstZiegler(bis2004),unterMitarbeitvon

MonikaRüegger,bearbeitetvonErnstZiegler,St.Gallen2004

(Stadtarchiv[Vadiana]St.Gallen).

5 StadtarchivSt.Gallen,RechtsquellenStadtSt.Gallen,1,23.Mai

1986,26.Mai1986usw.

Das früher nur von der Ortsbürgergemeinde St.Gallen getragene Stadtarchiv erhielt erst 1901 einen Stadtarchi-var: Es war dies Traugott Schiess (1864–1935), der sich vor allem als Editor (Urkundenbuch der Abtei Sanct Gallen) betätigte und dem 1920 auch die Leitung der Stadt- bibliothek übertragen wurde. Vor allem aus Spargründen begann um 1920 «der Niedergang des Stadtarchivs», und nach dem Tod von Traugott Schiess 1935 wurde das Stadtarchiv bis 1971 nur noch «nebenamtlich» be-treut.2

Nach meinem Amtsantritt musste zuallererst eigentliche Archivarbeit geleistet werden: Ordnen, Inventarisieren, Verzeichnen usw. Sodann wurde 1973 das grosse Unter-nehmen «Chartularium Sangallense» begonnen.3

Daneben war es wichtig, eine intensive Öffentlichkeitsar-beit zu leisten.4 Deshalb konnte erst im Mai 1986 dem Bürgerrat der Ortsbürgergemeinde St.Gallen ein umfang-reicher Bericht über ein «geplantes Vorhaben», die «Rechtsquellen der Stadt St.Gallen» betreffend, unter-breitet werden.5 Der Rat stand «dem Projekt positiv ge-genüber», und so fanden dann seit Februar 1987 Arbeits-sitzungen statt, in denen über die Rechtsquellen von St.Gallen, Wil und Rapperswil beraten wurde. Die in die-sen Sitzungen erarbeiteten Zeitpläne und Inhaltskonzepte mussten in den folgenden Jahren immer wieder geändert und überarbeitet werden; schliesslich konnte aber 1995 der erste Band der Rechtsquellen der Stadt St.Gallen er-scheinen: «Die Stadtbücher des 14. bis frühen 17. Jahr-hunderts», bearbeitet von Magdalen Bless-Grabher und Stefan Sonderegger. Der zweite Band kam 1996 heraus: «Das Stadtbuch von 1673». In seinem Geleitwort schrieb damals Bürgerratspräsident Dr. Hansjörg Werder: «Die Ortsbürgergemeinde St.Gallen als Trägerin des histori-schen Stadtarchivs (Vadiana) freut sich, mit diesem von ihr mitfinanzierten und von ihrem Stadtarchivar Dr. Ernst Ziegler bearbeiteten Band der Sammlung Schweize-rischer Rechtsquellen einen weiteren Beitrag an die Ge-schichtsschreibung leisten zu können.»

Der Entschluss, in den Rechtsquellen der Stadt St.Gallen mit der Edition der Stadtbücher zu beginnen, hängt mit dem grossen Unternehmen «Chartularium Sangallense» zusammen, in welchem ab 1983 (und bis heute) von Otto P. Clavadetscher und Stefan Sonderegger neun Bände mit rund 6 000 Urkunden herausgegeben werden konnten. Das bedeutet, dass auf eine Publikation von Urkunden in

Schon bald nach meinem Amtsantritt 1971 im Stadtarchiv St.Gallen wunderte ich mich, dass in der «Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen» wohl die Abtei und Teile des Kantons St.Gallen mit Bänden vertreten waren, nicht jedoch die Stadt. Die Alte Landschaft (1903 und 1974) ist mit zwei Bänden, das Toggenburg (1906) und die Land-schaft Gaster mit Weesen (1951) sind mit je einem Band in diese bedeutende Quellensammlung aufgenommen worden.

Wieso die Stadt St.Gallen ausgeklammert blieb, mag fol-gende Gründe haben: Carl Moser-Nef hatte mit seinem siebenbändigen Werk «Die freie Reichsstadt und Repub-lik Sankt Gallen» (1931–1955) «ein umfangreiches, mit viel Quellenmaterial belegtes Werk geschaffen, das den Wunsch nach einem Rechtsquellenband nicht dringend erscheinen liess». Diese sehr nützliche historische Darstel-lung ist aber keine Quellenedition und kann diese nicht ersetzen.1 Es handelt sich um einen grossartigen «Stein-bruch», aus dem ein Kenner und fleissiger Arbeiter man-chen kostbaren Brocken abtransportieren und für einen «Neubau» verwenden kann.

Die Rechtsquellen der Stadt St.Gallen

Ernst Ziegler

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6 Vgl.dazuZiegler,Ernst:DieBearbeitungderMandatebücherfürdie

Rechtsquellen,ManuskriptimStadtarchiv.

7 Vgl.dazuZiegler,Ernst:DieRatsbeschlüssederStadtSt.Gallen

(1508ff.),CodexSangallensis1269derStiftsbibliothekSt.Gallen,

in:CodicesSangallenses,FestschriftfürJohannesDuftzum80.Ge-

burtstag,hg.vonPeterOchsenbeinundErnstZiegler,Sigmaringen

1995,S.179–212.

8 Ziegler,Ernst:DieZünftederStadtSt.Gallen,St.Gallen2004(Stadt-

archiv[Vadiana]St.Gallen);erschienenin:ErsparnisanstaltderStadt

St.Gallen,Geschäftsbericht1998:ZurGeschichtederWeberzunft,

S.29–47;1999:ZurGeschichtederSchmiedezunft,S.29–48;

2000:ZurGeschichtederSchneiderzunft,S.29–47;2001:ZurGe-

schichtederSchuhmacherzunft,S.25–39;2002:ZurGeschichteder

Müller-undBäckerzunft,S.25–43;2003:ZurGeschichtederMetz-

gerzunft,S.33–52.

der «Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen» gänzlich verzichtet werden konnte.

In Editionsplänen beispielsweise von 1987 oder 1991 ist noch von acht, dann sechs Rechtsquellenbänden für die Stadt St.Gallen die Rede. Diese hochgemuten Bestrebun-gen wurden dann nach den nicht durchwegs positiven Erfahrungen mit den zwei Stadtbuchbänden begraben. Da ich das «Rechtsquellen-Unternehmen» aber nicht auf-geben wollte, richtete ich mein Augenmerk auf die Man-datenbücher von 1546 bis 1855 (Bände 546 bis 548a des Stadtarchivs).6 Darin sind Edikte und Mandate in chro-nologischer Folge eingetragen. Zahlreiche davon wurden oft wiederholt, manchmal mit demselben Text oder mit Änderungen, Zusätzen usw. Diese Mandatenbücher wur-den nach dieser chronologischen Reihenfolge transkri-biert; eine kollationierte originale, chronologische Fas-sung der Bände 546, 547, 548, 548a liegt im Stadtarchiv St.Gallen und steht Benützern zur Verfügung. Diese Be-arbeitung von etwa 740 Mandaten auf rund 2 030 Seiten leitete ich seinerzeit noch als Stadtarchivar.

Da das 16. Jahrhundert durch den ersten Band der Rechts-quellen der Stadt St.Gallen gut erschlossen ist, bestand ursprünglich die Absicht, einen dritten Band der Rechts-quellen der Stadt St.Gallen mit Mandaten ab dem Jahr 1601 zu beginnen. Der zweite Teil des Codex 1269 der Stiftsbibliothek St.Gallen bzw. des dritten Stadtsatzungs-buches und die neun Mandate aus dem 16. Jahrhundert sollten in einer «wohlfeilen» Ausgabe der Reihe aus dem Stadtarchiv (Vadiana) St.Gallen veröffentlicht werden.7 Weil zudem vieles, was in den Mandaten aus der Zeit von 1546/1587 bis 1670/1673 im zweiten Band der Rechtsquel-len der Stadt St.Gallen (dem Stadtbuch von 1673) enthal-ten ist, wurde empfohlen, nur Mandate von 1670/1673 bis 1798 zu veröffentlichen. Diese Projekte wurden jedoch von den Verantwortlichen der Rechtsquellenstiftung ebenso abgelehnt wie jenes, die Edikte und Mandate von der Reformation bis zur Helvetischen Revolution nach den Teilen des Stadtbuches von 1673, d. h. nach Sachen geordnet, zu edieren.

In einer Besprechung am 30. Juni 2000 wurde dann be-schlossen, einen dritten Band der Rechtsquellen der Stadt St.Gallen mit Mandaten chronologisch aufzubauen. Die-ser sollte in einem ersten Teil Mandate aus der Zeit vor 1600 enthalten, und zwar Edikte aus dem Codex 1269 (Stiftsbibliothek) und die neun Mandate des 16. Jahrhun-derts aus den Mandatenbüchern; im zweiten Teil sollten die Mandate von 1600 bis 1798 publiziert werden.

Nachdem im Jahr 2000 etwa 50 Stunden für das Ordnen der Mandate nach Sachgebieten, nach den Teilen und Ti-teln des Stadtbuches von 1673, aufgewendet worden wa-ren und man sich schliesslich doch auf eine Edition mit

chronologischer Ordnung festlegte, begann ich mit der Bearbeitung der Mandate. In rund 130 Stunden konnten 76 von etwa 740 Mandaten (rund 10%) oder 298 von zir-ka 2’030 Seiten (rund 15%) bearbeitet werden.

Ein dritter Rechtsquellenband für die Stadt St.Gallen kam dann aber vor allem wegen meiner Pensionierung im Mai 2003 und aus «Kapazitätsgründen» der Rechtsquel-lenstiftung nicht mehr zustande. Die grossartige Samm-lung von Gesetzen, Erlassen, Vorschriften usw. in den Mandatenbüchern seit 1546 hat als Quelle einen sehr grossen historischen Wert. Für die wissenschaftliche Ar-beit bildet die im Stadtarchiv verwahrte transkribierte Fassung der Mandatenbücher als Arbeitsexemplar eine hervorragende Grundlage.

Fallbeispiele

Für die Stadt St.Gallen waren seit jeher Garn und Lein-wand von grösster Bedeutung; die Stadt lebte vom Lein-wandgewerbe und -handel. Und so finden sich denn auch im ersten Stadtbuch (um 1312–1426) in den «erweiterten Stadtsatzungen» (um 1355–1426) unter dem Titel «Dis sint die gesetztan von der linwat» (S. 43–44) elf Artikel betref-fend das Leinwandgewerbe.

Wenn am 14. Dezember 1362 unter der Überschrift «Was man dem burgermaister ze lon geben sol ain jar» erwähnt wird, dass die Zünfte «von Uberlingen her braht sint» (S. 37), so heisst das, dass St.Gallen sicher seit dem 14. Jahrhundert eine Zunftstadt war. Dieses Faktum be-nützte ich, um in den Geschäftsberichten der Ersparnis-anstalt der Stadt St.Gallen von 1998 bis 2003 sechs kurze Abhandlungen «Zur Geschichte der Zünfte der Stadt St.Gallen» beizusteuern.8

In «Zur Geschichte der Weberszunft» schrieb ich 1998 einleitend: «Das 1673 erneuerte Stadtbuch bedeutet auch

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für das Handwerk und das Gewerbe der Stadt St.Gallen einen Markstein und den vorläufigen Abschluss einer Rechtsentwicklung, die im 14. Jahrhundert begonnen hatte. Es enthält in seinem 14. Teil die Satzungen und Ordnungen des Leinwandgewerbes und im 15. Teil die Bestimmungen über Zunft- und Handwerkssachen; in einem umfangreichen Abschnitt werden hier alle Gesetze, Regeln, Gebote und Verbote, Gebräuche, Rechte und Pflichten zusammengefasst. – In diesem und den folgen-den Geschäftsberichten der Ersparnisanstalt der Stadt St.Gallen sollen aus dieser ‹Gesetzessammlung› oder ‹Ge-meindeordnung› , in der sich polizeiliche, zunftrechtliche

9 SammlungSchweizerischerRechtsquellen,XIV.Abteilung:Die

RechtsquellendesKantonsSt.Gallen,ZweiterTeil:DieStadtrechte

vonSt.GallenundRapperswil,1.Reihe:DieRechtsquellenderStadt

St.Gallen,Band1:DieStadtbücherdes14.bisfrühen17.Jahrhun-

dertsvonMagdalenBless-GrabherunterMitarbeitvonStefanSon-

deregger,Aarau1995,undBand2:DasStadtbuchvon1673von

ErnstZieglerunterMitwirkungvonUrsulaHaslermiteinemRegister

vonAnne-MarieDubler,Aarau1996.

ZweitesStadtbuchvonSt.Gallen,1426–ersteHälfte16.Jh.:«Von

denwebernundvonderlinwât»,fol.14r.StadtarchivSt.Gallen,

Bd.540;SSRQSGII/1/1,S.115–116.

TitelblattdesStadtbuchsvon1673.StadtarchivSt.Gallen,Bd.543;

SSRQSGII/1/2,S.1.

und viele andere Normen in bunter Fülle finden, einige ‹Titul› vorgestellt werden.»

Grundlage und Hauptquelle dieser rudimentären Zunft-geschichte der Stadt St.Gallen bildete der zweite Band der Rechtsquellen der Stadt St.Gallen: «Das Stadtbuch von 1673».

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Tiere im alten St.GallenStephan Häsler

Von welchen Tieren stammen wohl die Knochen, die von der Kantonsarchäologie St.Gallen bei verschiedenen Notgra-bungen in der Altstadt sichergestellt worden sind? Die ar-chäozoologische Auswertung wird diese Frage beantworten und auch Aussagen über die Grösse, das Geschlecht und das Alter der Tiere sowie über die Population und über allfällige Artefakte wie zum Beispiel Nadeln, Knöpfe und Kämme aus Bein, Geweih oder Horn machen. Die meisten Knochen sind erfahrungsgemäss Überreste von Schlacht- und Speiseabfäl-len. Sie zeigen eine Momentaufnahme am Ende des Lebens der Tiere, wie dies auf der Sankt-Galler Zunftscheibe von 1564 dargestellt ist (Abb.).Für weitere Informationen ist die Archäozoologie auf schrift-liche Quellen angewiesen. Vieles über die Tierwelt kann aus den fünf Stadtbüchern, die das 14. bis 17. Jahrhundert ab-decken, herausgelesen werden. Diese Stadtbücher sind in zwei Bänden der Rechtsquellen des Kantons Sankt Gallen veröffentlicht.9

In Regelungen, die den heutigen Verordnungen nur wenig nachstehen, wird gefordert, dass das Schlachtvieh gesund sein muss, dass die Eingeweide nicht im Bach gewaschen werden dürfen und dass das Fleisch rasch verkauft werden muss. Die Fleischschätzer legen den Preis für Ochsen-, Stier-, Kuh- und Kalbfleisch sowie Fleisch von Schafen, Ziegen und Schweinen fest und kontrollieren gleichzeitig den hygieni-schen Zustand. Alle Teile des Tierkörpers werden verwendet. Besonders wichtig sind die Häute, die an die Gerber gehen. Über dieses Gewerbe enthalten die Stadtbücher Regeln zur Verwertung des wertvollen Rohstoffes.Viele Stadtbewohner hielten im Mittelalter noch Vieh. Um die Rindviehzucht sicherzustellen, kaufte die Stadt 1360 so-gar einen Zuchtstier. Hühner, Gänse, Enten und Tauben stell-ten einen beliebten Speisevorrat der Stadtbewohner dar, offenbar auch in Selbstbedienung; denn in zwei Stadtbü-chern ist es ausdrücklich verboten, Federvieh zu stehlen. Die frei lebenden Tiere waren ebenfalls Speisevorrat. Wild war zwar grundsätzlich durch Privilegien geschützt. Hase, Eich-hörnchen und Dachs konnten indessen von jedermann auf den Markt gebracht werden.

DerMetzgerbetäubtdasRindmitdemstumpfenTeilderAxt.Anschliessendentbluteteres;dieFraubringteinflachesGefäss,umBlutzugewinnen.ZumEnthäuten,AusweidenundSpaltenwirdder Tierkörper amSchlachtkran (hinten)hochgezogen. Zunftscheibe St.Gallen von Andreas Hör,1564.SchweizerischesLandesmuseumIN-67-26.

Pferde sind als Reit-, Zug- und Tragtiere erwähnt, nicht aber als Schlachttiere. Dagegen wurde die Pferdehaut als feines Leder verwendet. Auch Maultiere kommen in den Texten vor.Für die Archäozoologin und den Archäozoologen sind die Rechtsquellen ein Tierpark, in dem sie «ihre» Tiere wieder finden.

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Adieu und Willkommen

Regierungsrätin lic. phil. Kathrin Hilber trat nach 16 Amtsjahren zurück. Als neuer Regierungsrat wurde Mar-tin Klöti gewählt. Wir danken Kathrin Hilber herzlich für ihr Engagement für die Archäologie und wünschen ihr für die Zukunft alles Gute. Regierungsrat Martin Klöti heis-sen wir herzlich willkommen!

Fundbericht

St.Gallen, südliche Altstadt

Im Februar wurde die seit August 2011 laufende Plangra-bung am Gallusplatz unter Leitung von dipl. phil. Erwin Rigert termingerecht abgeschlossen. Östlich des 2011 ent-deckten Rundturms wurden wiederum mächtige, fein ge-bänderte Benutzungsschichten von sekundär angebauten Gebäuden festgestellt. Balken-/Pfostengräben von älteren Gebäuden liessen sich erst in einiger Distanz dazu nach-weisen. Der Turm stand ursprünglich wohl frei.Obwohl angeregte Diskussionen um die Sichtbarma-chung der Turmfundamente geführt wurden, bleiben sie vorerst unter dem Gallusplatz verborgen. Eine städtische Infostele an der Südseite des Platzes informiert über die Grabungsergebnisse.Kurz nach Grabungsende erfolgte die Publikation des 152. Neujahrsblatts des Historischen Vereins des Kantons St.Gallen «Von Gallus bis zur Glasfaser, Archäologie in Stiftsbezirk und Altstadt St.Gallen». Darin werden die ar-chäologischen Befunde der Begleitung des Grossprojekts «Neugestaltung südliche Altstadt« 2009–2012 in Wort und Bild vorgestellt und auch erste Auswertungsergeb-nisse gezeigt. Besondere Artikel sind dem Sarkophag, den menschlichen Skelettresten, den Schuhfunden oder den Latrinen gewidmet.Seit März beschäftigen sich Erwin Rigert und Roman Meyer intensiv mit der archivfertigen Ausarbeitung der Dokumentation, der Aufarbeitung der Pläne sowie dem Schlussbericht. Diese Arbeiten wurden durch weitere Feldeinsätze in der Altstadt (Schwertgasse, Schwertgas-

se 15, St.Katharinen, nördliche Altstadt, Klosterhof und Zeughausgasse) unterbrochen.

Da von den 13 Millionen der Stadt St.Gallen für das städ-tische Projekt «Neugestaltung südliche Altstadt» noch Geld übrig ist, können damit auch die Zeughausgasse und der Pic-o-Pello-Platz neu gestaltet werden. Dies hat wieder Auswirkungen auf die Kantonsarchäologie, müs-sen diese Projekte doch begleitet und durch ordentliche Mittel des Kantons und des Lotteriefonds finanziert wer-den.

St.Gallen, Zeughausgasse

Der Westteil war 2009–2011 archäologisch begleitet wor-den. Der Ostteil wurde im Herbst begonnen. Zuerst wur-den die Gas-/Wasserleitungen, die Hausanschlüsse und die Kanalisationsschächte ersetzt oder neu erstellt. Zu-dem erfolgten Sanierungen der Kellerfundamente der Häuser 7, 11 und 14.Neu ist die Erkenntnis, dass die frühmittelalterliche Klos-tersiedlung, welche in fast allen Gassen der südlichen Alt-

Archäologischer Jahresbericht 2012

Dr. Martin Peter Schindler,Leiter Kantonsarchäologie, St.Gallen

Regierungsrätin Kathrin Hilber. Schnappschuss beim Grabungsbe-

such in Weesen, Rosengärten, im März 2007. Foto DPFL SG.

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stadt nachweisbar ist, auf Höhe des Restaurants Zeughaus endet. Von dort nach Osten erstreckt sich ein ausgedehn-ter Friedhof, dessen südliche Ausdehnung bereits 1998 beim Bau des Pfalzkellers erfasst worden ist. Fünf Gräber wurden aufgedeckt, auf rund 20 m wurden gefleckte Auf-füllungen von zahlreichen weiteren Gräbern beobachtet. Um Kosten und Zeit zu sparen, wurde nach der Entde-ckung der ersten Gräber die Sohle der Gräben oberhalb der zu erwartenden Bestattungsschichten gehalten. Da-mit bleibt der Friedhof im Boden bewahrt. Seine nörd-liche Ausdehnung kann nun abgeschätzt werden. Er reicht bis zu einer quer zur heutigen Strasse laufenden, mindestens 2.4 m tiefen Senke auf Höhe der Häuser 11 und 12. Diese Senke könnte als künstlicher Ostabschluss der frühmittelalterlichen Klostersiedlung gedeutet wer-den. Ein Graben als Abschluss der Klostersiedlung liess sich auch in der Webergasse feststellen. Auch hier wurde er spätestens ab dem 13. Jahrhundert aufgelassen und auf-gefüllt.Östlich, also ausserhalb des Grabens, findet sich eine Schicht subfossiler Braunerde. Darin eingetieft fand sich entlang Haus 14 eine zweite, grossflächige Senke mit ge-ringer Tiefe und flacher Sohle, die im Hochmittelalter aufgefüllt worden war.Weitere mittelalterliche Schichten und Strukturen der Stadt sind auf Höhe des Hauses «zum Schlössli« (Spiser-gasse 17) festzustellen. Dokumentiert wurde u. a. die Ecke der Hofmauer. Diese umgab vor ihrer Niederlegung den Südteil des «Schlössli». Hier war ursprünglich einer der vier Freiheitssteine der Stadt angebracht (heute Kopie an der Schlössli-Fassade). Das von ihnen umrissene Areal bot nach der Reformation Totschlägern Schutz, als städtisches Gegenstück zum Asyl des Klosters.

Am 14. Juni fand eine konstruktive Sitzung zwischen Vertretern der Stadt (Alfred Kömme, Notker Schmid, Niklaus Ledergerber) und des Amts für Kultur (Katrin

Meier, Martin Peter Schindler, Regula Steinhauser) statt, um die Planung archäologischer Massnahmen im Bereich der Stadt St.Gallen zu verbessern. Die Kantonsarchäolo-gie soll nun in Zukunft periodisch das Vorlagenpro-gramm sowie das Gesamtbauprogramm mit Schwerge-wicht auf der Altstadt erhalten. Sie kann sich für die Jahre 2013–2015 auf die Begleitung des Neubaus des Glas-fasernetzes (und eventuell sich daran anhängender Pro-jekte) fokussieren, es ist kein zusätzliches grösseres Bau-projekt vorgesehen. Zudem wird die Kantonsarchäologie über Bauvorhaben mit Bodeneingriffen in der Altstadt in-formiert, so dass sie im Rahmen des Bewilligungsverfah-rens Stellung nehmen kann. Die Stadtwerke sind zudem angehalten, die Archäologie bei grösseren Eingriffen in der Altstadt rechtzeitig einzubeziehen.

Nördliche Altstadt

2013 bis 2015 sind im Zusammenhang mit dem Neubau des Glasfasernetzes drei Jahres-Bau-Etappen in der nörd-lichen und mittleren Altstadt geplant. Die Beteiligung der anderen Stadtwerke am Projekt ist für 2013 wohl verhält-nismässig gering. Auch über die Oberflächengestaltung ist noch nicht entschieden. Die Kantonsarchäologie wur-de vom zuständigen Projektleiter Alex Breitenmoser früh-zeitig und offen in die Planung einbezogen. Dank kon-struktiver Diskussionen konnte ein für alle Parteien akzeptabler Terminplan erarbeitet werden, welcher für das Projekt von grosser Wichtigkeit ist. Eine solch detail-lierte Planung und ein direkter Einbezug der Kantonsar-chäologie ist ein Novum.Um das Projekt personell und finanziell bewältigen zu können, wurde aufgrund der Erfahrungen in der süd-lichen Altstadt ein Aufwand von rund Fr. 450’000.– pro Jahr berechnet. Beim Lotteriefonds wurde deshalb eine erste Zweijahrestranche von Fr. 950’000.– beantragt und vom Kantonsrat Ende November auch gutgeheissen. Im Dezember konnte mit der Suche nach qualifiziertem Per-sonal gestartet werden.

Als Vorbereitung zum Projekt nördliche Altstadt 2013 wurden drei kleinere Baustellen an Kirchgasse/Oberem Graben, Engelgasse und Goliathgasse vorgezogen (Lei-tung Erwin Rigert). In Engelgasse und Goliathgasse zeigten die Bodeneingriffe die mittelalterlich/frühneu-zeitlichen Terrainhöhen der Gassen, welche seit dem Spätmittelalter existieren. In der Kirchgasse wurden Erd-arbeiten auf Höhe des Parks von St.Mangen durchge-führt. Im Umkreis des Kirchhügels lag im 9./10. Jahrhun-dert die nördliche der beiden Kernsiedlungen, aus welchen sich die Stadt St.Gallen entwickelte. Das Quartier wurde erst im 15. Jahrhundert in den Mauergürtel der Stadt ein-bezogen. Reste der Stadtmauer wurden in der Kirchgasse/Kreuzung Oberer Graben nachgewiesen. Sie verläuft un-

St.Gallen, Zeughausgasse, vor Haus 7. Missliche Bedingungen für

die Dokumentation eines frühmittelalterlichen Grabes durch Roman

Meyer. Foto KA SG.

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ter der heutigen Parzellengrenze längs dem Oberen Gra-ben und liegt je hälftig unter dem Trottoir und unter der nördlichen Abschlussmauer des Parks. Bei St.Mangen wurde vom Frühmittelalter bis 1896 bestattet. Davon zeu-gen drei wohl neuzeitliche Bestattungen und zahlreiche umgelagerte Einzelknochen.

St.Gallen, Klosterhof

Im Keller des Bischofsflügels ist seit 2008 das Bücherma-gazin der Stiftsbibliothek untergebracht. Da die Feuchtig-keit zum Dauerproblem wurde, war das Mauerwerk tro-cken zu legen. Eine Sickerpackung entlang des Kloster- flügels bis unter das Fundament hätte eine Grossgrabung mit hohen Kosten zur Folge gehabt. Deshalb war eine Lö-sung mit möglichst geringen Bodeneingriffen gefordert, was auch den knappen Finanzen des Katholischen Konfes-sionsteils entgegen kam. Eine Kunststoffabdeckung mit Abflussrinne soll nun das Oberflächenwasser vom Gebäu-de ableiten. Dieses Vorgehen ermöglichte, bedeutendes archäologisches Kulturgut im Unesco-Weltkulturerbe

Stiftsbezirk St.Gallen zu schonen. Ein Grossteil der Flä-che ist nämlich noch unberührt und bleibt für künftige Forschung bewahrt. In diesem Bereich lag der Standort des ältesten, von Gallus gegründeten Gotteshauses und weiterer früher Bauten.

St.Gallen, Schwertgasse

Die erste Etappe zur Erneuerung der Werkleitungen in der nördlichen Altstadt startete in der Schwertgasse. Erst-mals erfolgte eine systematische archäologische Beglei-tung (Leitung Erwin Rigert). Dabei konnte der Verlauf der im 15. Jahrhundert errichteten und 1809 niederge-

St.Gallen, Klosterhof. Direkt unter dem Humus erscheinen Wasser-

kanäle des 19. Jahrhunderts und die barocke Hofpflästerung.

Foto KASG.

St.Gallen, Schwertgasse, vor Haus Nr. 27. Blick auf die gut

erhaltene Stadtmauer und den davor liegenden Stadtgraben.

Erwin Rigert beim Dokumentieren. Foto KASG.

legten Stadtmauer von der Kreuzung Platztorstrasse bis zum Haus Nr. 22 geklärt werden. Die 1.5 m breite Stadt-mauer ist gegen den zugeschütteten Stadtgraben bis zu 2 m hoch erhalten. Dank kleinen Projektänderungen konnte die Krone der Mauer geschont werden. In der Sohle des Stadtgrabens fanden sich zwei beim Bau der Mauer teilweise zerstörte Holzkonstruktionen in Feucht-erhaltung. Die ältere Konstruktion, ein aus Balken ge-fügter Kanal, wurde in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhun-derts errichtet und in der zweiten Hälfte des 14. Jahr- hunderts durch Pfähle (einer Brücke?) gestört. Der Kanal lässt an gewerbliche Infrastruktur mit Wassernutzung denken. Zudem zeigten sich letzte Reste der nördlichen Torwange des 1867 geschleiften Platztors. Gegen die Stadtseite markierten ein ausgebrannter Balkengraben und eine Latrine mit Flechtwerkkorb den Standort von mindestens einem Gebäude aus dem Hoch- oder frühen Spätmittelalter.

St.Gallen, Schwertgasse 15

Hier stand ein im Kern im 15. Jahrhundert errichtetes Haus mit einem grossen Hinterhof. Das mehrfach umge-baute und erweiterte Gebäude wurde im Jahr 2002 durch einen Brand zerstört und 2003 abgebrochen. Wegen Ein-

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sprachen verzögerte sich das Bauprojekt bis 2012. Die Kantonsarchäologie wurde erst kurz vor Baubeginn infor-miert, obwohl die 2008 erteilte Baubewilligung bereits auf die notwendige archäologische Untersuchung hinge-wiesen hatte. Die Ausgrabung, die vom 23. Juli bis 28. September dauerte, leitete Dr. Steffen Knöpke.Im östlichen Bereich waren die Kellermauern des Bohlen-ständerbaus noch vollständig erhalten. An der Rückseite des Hauses lag ein gemauerter Schacht, welcher Frag-mente verschiedener Glasgefässe und einer Heiligenfigur aus dem frühen 16. Jahrhundert enthielt.Am Westrand der Parzelle war die älteste Fundschicht fassbar, die anhand der Keramik ins späte 12. Jahrhun-dert/frühe 13. Jahrhundert datiert. Sie fiel gegen Osten in eine wohl natürliche Geländesenke/-rinne ab. Darüber liegende Schichten reichen anhand der Keramik bis min-destens ins frühe 14. Jahrhundert zurück. Im 14. Jahrhun-dert wurde ein von Südwesten nach Osten verlaufender, ca. 5.5 m breiter Graben angelegt oder eine natürliche Rinne ausgehoben. Dieser Graben ist anhand der gegen Westen geneigten westlichen Häuserzeile der Schwertgas-se weiter gegen Nordosten zu verfolgen. Der Graben wur-de später von seiner östlichen Kante her (Seite Schwert-gasse) mit zahlreichen Schüttungen verfüllt. Aufgrund der Keramik erfolgte dies im späten 14./15. Jahrhundert. Nach der vollständigen Verfüllung des Grabens wurde das bis 2002 bestehende Gebäude errichtet.

St.Gallen, St.Katharinen

Seit April 2011 wurden die Kirche und das Nebenhaus des ehemaligen Dominikanerinnenklosters zum «Forum St.Katharinen» umgebaut. Zum Abschluss wurde der zur Goliathgasse gerichtete Garten neu gestaltet. Diese Ar-beiten wurden nach der Intervention der Kantonsarchäo-logie auch archäologisch begleitet (Leitung Erwin Ri-gert). Angeblich lag im Garten der zum Kloster gehörige

Friedhof. Es wurden aber weder Bestattungen noch um-gelagerte Einzelknochen festgestellt. Mauerreste und ein ausgebrannter Balkengraben belegen hingegen den Stand-ort von Gebäuden in der Zeit zwischen Hoch- und früh-em Spätmittelalter. Das Gelände wird grossflächig von Brand- und Abbruchschutt des 13./14. Jahrhunderts über-lagert, vielleicht von einem der Stadtbrände. Nach dieser Brandkatastrophe blieb das Areal offenbar ohne Überbau-ung. Bildquellen belegen ab dem späten 16. Jahrhundert eine Nutzung als Garten. Die Klostermauer aus dem Spätmittelalter liegt noch unter dem Trottoir der Goliath-gasse.

Tübach, Stützwies

Das archäologische Schutzgebiet in der Stützwies ist durch den Fund eines bronzezeitlichen Grabes (1983) be-gründet. Deshalb konnte die Erweiterung einer Lagerhal-le archäologisch begleitet werden. Dabei wurde im Profil der Baugrube ein weiteres Grab angeschnitten. Um es im Labor sauber ausgraben zu können, wurde es als Block ge-borgen (Leitung lic. phil. Pirmin Koch). In der langova-len Grabgrube (ca. 70 x 30 cm; Tiefe noch 30 cm) lagen der kleinteilige Leichenbrand und wohl neun Keramikge-fässe. Ihre Verzierungen datieren sie ins 11./10. Jahrhun-dert v. Chr. Die Entdeckung zeigt, dass hier mit einem spätbronzezeitlichen Gräberfeld gerechnet werden muss.

Rorschach, Raiffeisenbank

Im Frühjahr 2011 deckten Sondagen ein frühmittelalter-liches Grab auf. Im Sommer 2011 wurde trotz klaren Auf-lagen in der Baubewilligung eine Verdachtsfläche von etwa 70 m2 ohne archäologische Begleitung abgebaggert. Deshalb wurde beim Untersuchungsamt St.Gallen Anzei-ge erstattet. Das Verfahren endete mit einer Wiedergut-

St.Gallen, St.Katharinen. Blick auf den neuen, in archäologische

Schichten eingetieften Fundamentgraben. Gut sichtbar der mittelal-

terliche rötliche Brand- und Abbruchschutt. Foto KASG.

St.Gallen, Schwertgasse 15. Blick auf den ehemaligen Hinterhofbe-

reich und den teilweise ausgenommenen Graben. Foto KASG.

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machungszahlung und mehreren Strafbefehlen. In der Folge konnten diverse Baggerarbeiten auf kleineren Rest-flächen durch Dr. Regula Steinhauser archäologisch be-gleitet werden. Dies führte zur Entdeckung eines weiteren geosteten Grabes (Grab 2). Der 40–50 Jahre alte, knapp 169 cm grosse Mann trug am rechten Vorderarm einen ei-sernen Armreif mit verdicktem Mittelstück, der in die ers-te Hälfte des 7. Jahrhunderts datiert. Die frühmittelalter-liche Zeitstellung der beiden Gräber wird durch C14- Daten am Skelettmaterial bestätigt (Grab 1: 8/9. Jh., Grab 2: 6./7. Jh.). Sie gehören demnach zu dem schon seit 1869 bekannten frühmittelalterlichen Friedhof rund um die im 7./8. Jahrhundert errichtete Kolumbanskirche. Bei den unbegleiteten Aushubarbeiten dürften mehrere frühmit-telalterliche Gräber zerstört worden sein.

Rheineck, Im Weier

Das Areal liegt im Nordwesten des mittelalterlichen Städtchens. Ein Überbauungsprojekt bedingte Sondie-rungen (Leitung Steffen Knöpke). Dabei konnte der bo-

genförmige Verlauf der mittelalterlichen Stadtmauer be-stätigt werden, obwohl grosse Teile der ehemals mindestens 1 m starken Mauer zerstört waren.Wenig südlich wurde das eingetiefte Kellergeschoss eines Gebäudes von unregelmässigem Grundriss (8.5 m/7.5 m x 6.0 m; Mauerstärke 0.6 m) freigelegt. An der Ostseite lag der Kellereingang mit Treppe. Die Innenseiten der Mauern zeigten massive Spuren eines Brandes. Danach wurde der Keller komplett ausgeräumt und die Wände neu verputzt. Bau und Brand lassen sich derzeit nicht nä-her datieren, eine mittelalterliche Zeitstellung ist gut möglich. Zu einem unbekannten Zeitpunkt wurde das Gebäude abgebrochen. Auf den ersten genauen Stadtplä-nen (ab Mitte des 19. Jahrhundert) ist es nicht mehr ver-zeichnet. Unklar bleibt der Name des Areals, da die geo-logischen Sondierungen keine Hinweise auf einen «tiefen Weiher« lieferten.

Marbach, St.Georg

Der Chor der Kirche wird als liturgischer Ort neu gestal-tet. In die Planung war die Kantonsarchäologie nicht ein-bezogen und wurde nur zufällig über die Bauarbeiten in-formiert. Der Chorboden war beim Eintreffen bereits auf die gewünschte Tiefe ausgehoben. Vergleichsnivellements mit den 1967 von Dr. h. c. Benedikt Frei aufgenommenen Plänen zeigten, dass im Bereich des romanischen Chors grossflächig rund 15–25 cm Mauersubstanz fehlte. Nach Beobachtungen des zuständigen Projektleiters dürfte der Abtrag bereits 1967 erfolgt sein. Er berichtete nämlich von einer durchgehenden Betonplatte, deren Unterkante den Abbruch der Mauern voraussetzte. An der Turm-Westmauer, welche das östliche Ende der nördlichen Kir-chenschiffhälfte bildet, musste stellenweise der Putz abge-schlagen werden. Peter Albertin beobachtete dabei, dass die romanische Nordmauer teilweise in die Ostwand zieht und gegen den Chorbogen abwinkelt. Die Befunde zur romanischen Kirche sind: ein Dachgesimse aus Sand-steinquadern, ein um 55 Grad steil geneigtes Sparrendach, ein steinsichtiger Putzauftrag mit Fugenstrichen und Kalkschlämme sowie eine starke Brandrötung. Nicht zu klären war, ob der Turm gleichzeitig mit dem roma-nischen Kirchenschiff entstand oder später angebaut wurde.Beim Ausräumen des Kirchenschiffs wurden die Vitrinen mit Fundobjekten der Ausgrabung 1967 aufgehoben und die Funde an die Kantonsarchäologie zurückgegeben.

Oberriet, Unterkobel

Dank des Entgegenkommens der Robert König AG konnte von Januar bis Ende Mai eine weitere Grabungs-kampagne durchgeführt werden (Leitung dipl. phil. Fa-

Rorschach, Raiffeisenbank, Grab 2. Eiserner Armreif des 7. Jahr-

hunderts mit anhaftendem Knochenfragment der rechten Elle.

Foto KASG.

Rheineck, Im Weier. Übersicht über das freigelegte Gebäude und

die Stadtmauer. Foto KASG.

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bio Wegmüller). Dadurch konnte ein repräsentativer Aus-schnitt der 2011 von Spallo Kolb entdeckten Fundstelle ausgegraben und offene Fragen zur Ausdehnung der Fundschichten geklärt werden. Nach Abschluss der Aus-

grabung wurden die Fundschichten mit Geotextil abge-deckt und zugeschüttet.Die ca. 29 m2 grosse Grabung umfasste das gesamte etwa 4.5 m hohe Schichtpaket und schnitt die Abriverfüllung bis an die Felswand. Damit wurde schätzungsweise ein Drittel der vorhandenen archäologischen Schichten aus-gegraben. An ihrer Basis liegt eine Versturzschicht aus grossen Blöcken, auf welcher die erste Besiedlung in der frühen Mittelsteinzeit stattfand. Das hieraus geborgene Fundmaterial umfasst etwa 700 Steinartefakte und meh-rere tausend Tierknochen. Die darüber liegenden jung-steinzeitlichen Schichten haben eine Mächtigkeit von ca. 1.5 m. Hier wurden grössere Feuerstellen aus Asche- und Holzkohleschichten freigelegt. Die Funddichte lässt deutlich nach: knapp 40 Keramikfragmente, einige Stein-artefakte und knapp 3000 Tierknochen. Um 2000 v. Chr. gab es einen Unterbruch bei der Ablagerung und es wur-den Erosionsprozesse aktiv. Darüber liegt eine Abfolge von mehreren bronzezeitlichen Schichten. Die Funddich-te ist hier deutlich höher: über 2700 Keramikfragmente (Früh- bis Spätbronzezeit) und mehr als 5000 Tierkno-chen. Neben vielen muldenförmigen Feuerstellen weisen Pfostenlöcher und verbrannter Hüttenlehm auf einfa- che Baustrukturen hin. Vereinzelte eisenzeitliche und römische Funde belegen eine weitere sporadische Bege-hung.Besonderer Dank für ihre Unterstützung geht an die Be-treiber der Deponie Robert König AG (Peter und Roger Dietsche; Palmerio Zaru) und an die Überwachungskom-mission unter Gemeindepräsident Rolf Huber.

Buchs, Schneggenbödeli

Da 2011 auf der Kuppe zwei Silexklingen gefunden wor-den waren, überprüfte die Kantonsarchäologie den Aus-hub für Streifenfundamente und Leitungsgräben des neu-en Pfadfinderheims. Es wurden mehrere kleine Fragmente prähistorischer Keramik geborgen.

Blockschuttband

Ascheschicht

brandgerötetes Sediment

stark holzkohlehaltige Schicht Störung

nicht dokumentierte Zone

Stein

0 2 m

450 m ü. M.

448 m ü. M.

444 m ü. M.

A

BC

D

F

G

E

Oberriet, Unterkobel. Umzeichnung des Profilschnitts durch die

Grabung mit kalibrierten 14C-Datierungen. A: 360–50 v. Chr.;

B: 2200–1970 v. Chr.; C: 3790–3650 v. Chr.; D: 4240–4000 v. Chr.;

E: 5210–4960 v. Chr.; F: 7590–7360 v. Chr.; G: 8570–8300 v. Chr.

Plan KASG, F. Wegmüller.

Oberriet, Unterkobel. Nach Abschluss der Grabungen im Juni 2012.

Foto KASG.

Oberriet, Unterkobel. Zuschütten der Fundstelle. Foto KASG.

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Wartau, Schollberg

Am 12. Mai wurde die erste Etappe der wiederhergestell-ten alten Schollbergstrasse feierlich eröffnet. Zu den ar-chäologischen und historischen Arbeiten gibt der Artikel von Maja Widmer und Otto Ackermann «Die Strasse ze machen: Zur Wiederherstellung der alten Schollberg-strasse« im Werdenberger Jahrbuch 2013 weitere Aus-kunft.

Walenstadt, St.Luzius und Florin

Kurz vor ihrer Pensionierung meldete die langjährige Pfarreisekretärin Marlis Hässig, dass im Pfarreisekretariat noch originale Funde der Ausgrabungen von 1973 lägen. Mitte Juni konnten die von Frau Hässig sorgfältig ge-pflegten Objekte (darunter ein Rippenbecher aus der Zeit um 1300) ins Depot der Kantonsarchäologie zurückge-führt werden.

Weesen, Staad

Die wenig überbaute Flur «Staad» liegt im Nordosten des Städtchens Alt-Weesen auf dem Schuttkegel des Spittel-bachs. Eine geplante Überbauung machte archäologische Sondierungen nötig. Die Arbeiten wurden durch Pro-Spect GmbH als Mandat durchgeführt. Ganz im Süden des Areals liegen Reste der mittelalterlichen, 1388 zer-störten Stadt Alt-Weesen und der 3.5 m tiefe Stadtgraben, der noch bis ins 20. Jahrhundert sichtbar war. Vom nörd-lichen Bereich gab es dagegen keinerlei archäologische In-formationen. Hier wurden in der Folge 16 Suchschnitte geöffnet. Diese wurden in den mächtigen Überdeckungen des Spittelbachs bis zu 3.5 m tief ausgehoben. Bis auf ein undatiertes Mauerfundament wurden im nördlichen Be-reich keine archäologischen Strukturen gefasst. Eingela-

gert in den Bachkies waren dunkle Schwemmschichten, die u. a. das Fragment eines römischen Leistenziegels ent-hielten.

Linth 2000Benken/Schänis, Sumpfauslauf

Gegen Ende des Projekts Linth 2000 wurde der sog. Sumpfauslauf zurückgebaut. Unmittelbar südlich davon stiess man auf den 1848 erstellten Durchlass, mit dem der Grindbühlkanal in den Linthkanal abgeleitet werden konnte. Direkt nördlich des Sumpfauslaufs fand sich ein vollständig mit Erde gefüllter Durchlass aus nicht ar-miertem Beton, dessen Sohle unter dem Niederwasser-stand des Linthkanals lag. Damit hätte während des 2. Weltkriegs die Linthebene geflutet werden können.

Rapperswil-Jona, Kempraten, Nuxo-Areal

Im Vorfeld der lange geplanten, aber erst 2012 realisierten Überbauung war das Areal 2008 sondiert worden. Die da-maligen Befunde liessen auf eine extensive Nutzung am Rand der römischen Siedlung schliessen. Bei den Baube-gleitungen zwischen April und August kamen gut erhal-tene römische Einzelbefunde zu Tage.In der Südecke der Bauparzelle wurden im Profil der Bau-grube mehrere Gruben angeschnitten. Eine davon dürfte als Töpferofen zu interpretieren sein. Im zentralen Be-reich (Grabung 120 m2; Leitung Pirmin Koch) fand sich ein dreiphasiger Graben, der von Osten nach Nordwesten Richtung Vicus bog. Der älteste Graben war nur schlecht erhalten, da er von den jüngeren geschnitten wurde. Der

Weesen, Staad. Baggersondagen im August, Blick gegen Westen.

Foto ProSpect/KASG.

Rapperswil-Jona, Kempraten, Nuxo. Fragmente von zwei Form-

schüsseln zur Herstellung von Reliefsigillata. Passende Ausfor-

mungen sind noch nicht bekannt. Foto KASG.

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mittlere Graben war gegen 1.1 m breit und wurde vermut-lich mit Rundholzpfosten und Bohlen gestützt. Später re-duzierte man die Grabentiefe. Der Graben ist wohl als wasserführender Kanal zu interpretieren. Die älteste Pha-se dürfte in die zweite Hälfte des 1. Jahrhunderts datieren, die jüngste in die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts.Im Fundmaterial fallen drei Fragmente von zwei Form-schüsseln auf. Sie dienten zur Herstellung von Reliefsigil-lata. Ihr Dekor gehört in die erste Hälfte des 3. Jahrhun-derts und weist in das Umfeld der späten Relief- sigillataproduktionen (Rheinzabern, helvetische Sigillata). Dazu passende Ausformungen fehlen bislang. Die im Nu-xo-Areal angeschnittenen Befunde belegen handwerk-liche Tätigkeiten in der Hinterhofzone. Die zugehörigen Wohngebäude lagen wohl näher an der heutigen Kreuz-strasse. Somit erstreckte sich der römische Vicus von Kempraten weiter nach Süden als bisher vermutet.

Rapperswil-Jona, Kempraten, Seewiese

Das Bauprojekt in der Seewiese verzögert sich wegen pri-vater Einsprachen. Deshalb konnten bislang die abschlies-senden archäologischen Untersuchungen noch nicht vor-genommen werden.Im Sommer 2013 finden vorgängig zur Zuschüttung der SBB-Unterführung archäologische Ausgrabungen statt. Dabei werden Reste der Umfassungsmauer des Tempelbe-zirks erwartet. Dem zuständigen Projektleiter SBB, Mar-tin Leutwyler, sei für die angenehme Zusammenarbeit be-stens gedankt.Die Auswertung der Ausgrabung Seewiese 2009 schritt zü-gig voran (Leitung Pirmin Koch). Die zahlreichen Boden-proben wurden von Zivis komplett geschlämmt. Somit konnte der Startschuss für die Detailuntersuchungen der Archäobotanik und Archäozoologie (Kleintiere) gegeben werden. Das Keramikgrobinventar ist fertig und mit den Fundzeichnungen (Glas, Metall, Stein) wurde begonnen.Am 5. Juni fand in St.Gallen eine table ronde zu «Lindo-magus» statt. Dieser (Orts?)Name wird auf einer Inschrift und einem bleiernen Fluchtäfelchen aus der Seewiese ge-nannt. Zahlreiche Fachleute (Sprachwissenschaftler, Ar-chäologen, Epigraphiker) beschäftigten sich damit und versuchten in angeregter Diskussion dem Namen näher zu kommen.

Rapperswil-Jona, Seegubel

Die Fundmeldung von Marianne Tomamichel bedingte einen Kontrolltauchgang der Fachstelle Unterwasserar-chäologie Zürich des Amts für Städtebau der Stadt Zü-rich. Dabei zeigte sich, dass es sich um Überreste des Pfahlfelds der Siedlung Seegubel handelt, die wohl erst kürzlich und in einem relativ kurzen Zeitraum frei ero-

diert sind. Ein ähnliches Bild zeigte sich weiter östlich. Beide Areale mit frei erodierten Pfählen liegen neben aus-gebaggerten Bootshauszufahrten. Die Gründe für die ver-stärkte Erosion konnten nicht geklärt werden.

Rapperswil-Jona, Technikum

Die frühbronzezeitliche Inselsiedlung wurde 2011 mit sandgefüllten Vliesmatten und einer Kiesschicht ge-schützt. Der diesjährige Kontrolltauchgang zeigte im Vergleich zum Zustand direkt nach der Einbringung der Schutzmassnahmen kaum Veränderungen. Darüber hinaus wurde in einem Test-Bereich die Kiesauflage kurz-zeitig entfernt. Unter dem Kies hatte sich eine ca. 2 cm dicke Schicht aus Feinsedimenten gebildet, welche durch ihre Kompaktheit die unter der Abdeckung liegenden Be-funde und Schichten schützt. Der Zustand der Schutz-massnahmen ist aus archäologischer Sicht äusserst positiv.

Rapperswil, Kapuzinerkloster

Beim Aushub der Baugrube für einen Holzschnitzelbun-ker wurde eine Mauer freigelegt, die im rechten Winkel stumpf gegen die seeseitige Kloster-Umfassungsmauer stösst. Steingefüge und Versatzmörtel gleichen jenen der 1603 erbauten Kloster-Umfassungsmauer, sie dürfte des-halb ähnlich datieren. Während die Auffüllung zwischen Kloster-Umfassungsmauer und der neuen Mauer vorwie-gend aus lockerem Kies bestand, wurde am Ostrand ein Profil mit zahlreichen Schichten dokumentiert. Bis ca. 408 m ü. M. lagen geschichtete Kies- und Sandablage-rungen, darüber folgte Abbruchschutt. Auf ca. 407 m ü. M. wurde ein asche- und holzkohlehaltiger Spülsaum festgestellt, der anhand eines C14-Datums ins 12./13. Jahr-hundert gehört.

Wildhaus-Alt St.Johann, Wildenburg

Dank einer grosszügigen Spende der Stiftung «Schwendi Obertoggenburg» und Beiträgen von Bund und Kanton war es der Gemeinde Wildhaus-Alt St.Johann möglich, den Hauptturm der Ruine Wildenburg zu konservieren. Zuvor war die auf einem mächtigen Felssporn errichtete Burganlage ausgeholzt worden.Im Juni wurde der nur noch aus drei Wänden bestehende Stumpf des Hauptturmes mit Aussenmassen von 9.2 x 9.2 m und Mauerstärken von 2.2 m unter der Leitung von dipl. Ing. Jakob Obrecht so weit von Mauerschutt befreit, wie es für die Sanierung des Mauerwerks notwendig war. Im 4.8 x 4.8 m grossen Innenraum wurden die oberflächlich freigelegten Benutzungshorizonte auf 8 m2 bis auf den an-stehenden Fels abgebaut.

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Am Fuss der Nordwand des Turms wurden vier Balkenlö-cher entdeckt, ein weiteres in der Ostwand knapp neben der Nordostecke. Alle fünf lagen etwa auf gleicher Höhe. Sie dürften eine Brücke getragen haben, die als Zugang zum auf der Nordseite der Anlage vermuteten Burgtor diente. Das äussere Mauerwerk war auf allen drei Seiten aus grossen Steinen aufgeführt. Wegen des schlechten Er-

haltungszustandes musste auf der Westseite eine grosse Partie des Mauermantels neu aufgeführt werden. Am Turm wurden die Konservierungsarbeiten abgeschlossen, die restlichen Arbeiten sind für das Frühjahr 2013 vorge-sehen.

Wattwil, Kloster Pfanneregg

Die Funde der Ausgrabungen 1945–1957 auf der Pfanner-egg, dem ursprünglichen Standort des Klosters Wattwil, konnten am 5. März aus dem «Pfannereggzimmer» im Pächterhaus des Klosters Maria der Engel in Wattwil ins Lager der Kantonsarchäologie übernommen werden. Grosser Dank gebührt Kantons- und Administrationsrä-tin Margrit Stadler-Egli, welche die Übernahme organi-sierte und begleitete.

Lütisburg, Burg Lütisburg

Im Herbst bot sich die Gelegenheit, den baulichen Zusammenhang zwischen mittelalterlichem Kernbau (dendrodatiert Herbst/Winter 1220/21) und Schild- mauer zu klären (Leitung Pirmin Koch). Der mittelalter-liche Kernbau wurde demnach im Aufgehenden ohne eigene Nordmauer direkt an die Schildmauer gebaut.

Wildhaus-Alt St.Johann, Wildenburg. Hauptturm nach der Freile-

gung. Foto Jakob Obrecht.

N Störungen

Mauer belegt/ergänzt

Sondagen/Leitungsgräben/überwachte Flächen

10 m

258

Umfassungsmauer

Umfa

ssun

gsm

auer

nic

ht d

okum

entie

rt

Grabenkante ?

Grabenkante ?

GrabenkanteSchildmauer

ehemaliges Schulhausmit mittelalterlichemKernbau

vermuteterStandort Turm

Gruben

Garage

Lütisburg, Burg Lütisburg. Übersicht über die Resultate der Untersuchungen 2010-2012. Plan KASG, P. Koch.

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Aus diesem Grund musste 1860 beim Umbau in ein Schulhaus die Nordmauer neu errichtet werden. Dabei wurde sie um 2.5 m nach Süden verschoben. Bereits bei den Sondierungen 2010 wurde an der Südwestecke des Schulhauses eine Mauer angeschnitten. Diese konnte nun sorgfältig untersucht werden. Sie ist 1.1 m breit und verläuft parallel zur Schildmauer. Im Bereich der Gebäu-deecke wird sie von einem 2.1 x 1.8 m messenden Strebe-pfeiler verstärkt. Die Mauerreste dürften zu einer Umfas-sungsmauer samt vorgelagertem Graben gehört haben, die eine «Kernburg» mit Turm und Palas vom restlichen Burgplateau abtrennte und auf einem Plan von 1770 überliefert ist.

Vermischtes

Weitere Fundmeldungen, Sondierungen, Bauüberwa-chungen, Augenscheine und Besprechungen fanden in den Gemeinden St.Gallen, Rorschacherberg, Altstätten, Oberriet, Buchs, Wartau, Sargans, Pfäfers, Schänis, Kalt-brunn, Rapperswil-Jona und Mosnang statt.

Lotteriefondsprojekte archäologische Inventarisierung, Auswertungsprojekte

Kempraten und Weesen

Christine Zürcher führte die Bereinigung der Fundstel-lendossiers des ganzen Kantons weiter.

Die Arbeiten im Rahmen des Auswertungsprojektes Kem-praten (Leitung dipl. phil. Regula Ackermann) wurden nach dem Mutterschaftsurlaub weitergeführt. Ende Jahr lagen alle Abbildungen und Texte vor, sodass im Januar 2013 mit den Druckvorbereitungen begonnen werden kann. Die Ergebnisse der Auswertung flossen bereits in die Neufassung der drei Informationstafeln im archäolo-gischen Park an der Meienbergstrasse in Rapperswil-Jona ein. Diese Tafeln wurden von Regula Ackermann, Pirmin Koch, Regula Steinhauser und Martin Peter Schindler verfasst und von der Firma ProSpect GmbH realisiert.Zum Auswertungsprojekt Seewiese vgl. den Fundbericht.Am 10. Mai fand das 9. Treffen der Arbeitsgruppe «Vici der Nordostschweiz und der angrenzenden Regionen» in St.Gallen statt. Das Hauptthema bildete die Siedlungsto-pographie (Kempraten, Balzers, Bregenz, Chur, Eschenz, Hüfingen, Konstanz, Lunnern-Obfelden, Oberwinter-thur, Schleitheim, Windisch, Zürich). Zudem wurde die erste Fassung einer synoptischen Tabelle zu den verschie-denen Vici diskutiert.

Beim Auswertungsprojekt der Ausgrabungen 2006–2008 in Weesen konnten wesentliche Teile zum Abschluss ge-bracht werden. So liegen für die Fundauswertung der

Ofenkeramik wie auch für die naturwissenschaftlichen Untersuchungen zu den Klein- und Grosstierknochen, zur Botanik und zur Mikromorphologie die fertigen Ma-nuskripte vor. Als weiterer wichtiger Aspekt sind zudem die historischen Quellen zum mittelalterlichen Weesen zusammengestellt und neu bewertet worden. Ebenfalls abgeschlossen sind die Inventarisation und zeichnerische Dokumentation der gesamten Keramik- sowie von gros-sen Teilen der Metallfunde. Die Arbeiten an den Synthe-se- und Befundkapiteln sind so weit vorangeschritten, dass in nächster Zeit die Umsetzung der druckfertigen Plangrundlagen (Phasen-, Flächen- und Profilpläne) in Angriff genommen werden kann. Gleichzeitig beginnen dann die ersten Prepress-Arbeiten, z. B. das Setzen des Fundkatalogs.

Dokumentation Kathedrale St.Gallen

Im Rahmen der Beratungen zum verstärkten Schutz des Unesco-Weltkulturerbes hat Rino Büchel, Chef Fachbe-reich Kulturgüterschutz im Bundesamt für Bevölkerungs-schutz BABS, die Initiative ergriffen, eine Sicherungs- kopie der Grabungsdokumentation der Ausgrabungen 1964–1966 zu erstellen. Die Dokumentation lagert in Bad Zurzach und wird von Prof. Dr. Hans Rudolf Sennhauser als Eigentum betrachtet. Dank eines aussergewöhnlichen Engagements des Bundes (Expertenmandat für dipl. Arch. HTL Daniel Stadlin, Zug; grosse finanzielle Mittel) und des Kantons St.Gallen konnte diese im Herbst an die Hand genommen und anfangs 2013 fertiggestellt werden. Bei der Bereitstellung der Dokumentation in Bad Zur-zach stellte sich heraus, dass weder Pläne, Fotos noch Dias geordnet, beschriftet und nummeriert waren. Dies, ob-wohl seit 1967 sehr viel Geld für «Auswertungsarbeiten» nach Bad Zurzach geflossen ist. Zudem zeigte sich, dass insbesondere die Dias in einem schlechten konservato-rischen Zustand sind. Dank ihrer Digitalisierung im Fachlabor Gubler in Felben-Wellhausen TG bleiben sie nun – in letzter Minute gerettet! – der Nachwelt erhalten. Die Aktion zeigte deutlich, dass die Stiftung mit den Themen Archivordnung und Sicherheit überfordert ist. Bezeichnenderweise leistete sie auch keinen finanziellen Beitrag.Die Sicherheitskopie ist eine sehr wichtige Aktion zum Schutz eines bedeutenden Teils des Weltkulturerbes Stifts-bezirk St.Gallen. Rino Büchel, Daniel Stadlin, Ralf Pötzsch, Katrin Meier, David Gubler und Evelyn Keidler sei für die gute und effiziente Zusammenarbeit herzlich gedankt.Der im Frühjahr bei Prof. Dr. Hans Rudolf Sennhauser angemahnten Rückgabe aller sankt-gallischen Fundob-jekte, die noch in Bad Zurzach gelagert werden, wurde nur teilweise entsprochen. Nach wie vor hält Prof. Senn-hauser die Funde aus der Kathedrale zurück.

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Der Bund und Archäologie/Denkmalpflege

Die Verhandlungen zwischen Bund (Bundesamt für Kul-tur BAK) und Kantonen über die Programmvereinba-rungen der Periode 2012-2015 fanden erst im Januar ihren Abschluss. Als Erfolg ist zu erwähnen, dass wegen der kri-tischen Rückmeldungen der Kantone die angestrebte Be-schränkung der Beiträge an archäologische Objekte auf 30 Prozent des Globalbudgets fallen gelassen wurde. Allerdings ist bei der Gesamtsumme ein Rückgang von 30 auf 26 Mio. zu verzeichnen.An archäologische Projekte zahlte der Bund rund Fr. 140’000.– Die Zusammenarbeit mit der Sektion Hei-matschutz und Denkmalpflege des BAK war sehr ange-nehm. Dem neuen Sektionschef Oliver Martin, Dr. Nina Meckacher und Carla Bossykh-Barben sei dafür bestens gedankt.

Pfahlbauten als Unesco-Weltkulturerbe

Die Internationale Bodenseekonferenz IBK gab bei der Firma actori GmbH aus München eine Machbarkeits-

studie in Auftrag, wie das Unesco-Weltkulturerbe «Pfahl-bauten rund um die Alpen» vermittelt werden könnte. Die umfangreichen Resultate sollen im Frühjahr 2013 der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Museen

Die Arbeiten an der Neugestaltung der archäologischen Dauerausstellung im Historischen und Völkerkundemu-seum St.Gallen schritten weiter voran. Dipl. Designerin FH Laura Murbach und Archäologe lic. phil. Jonas Kiss-ling (Holzer Kobler Architekturen, Zürich) erarbeiteten zusammen mit der Kantonsarchäologie das Detailkon-zept.

Gemeinsam mit den archäologischen Fachstellen und Museen rund um den Bodensee wurde die Ausstellung samt Begleitpublikation «Römer, Alamannen, Christen – Frühmittelalter am Bodensee» erarbeitet, welche am 19. Januar 2013 in Frauenfeld eröffnet wird und bis 2015 um den Bodensee reist.

St.Gallen, Kathedrale. Digitalisierung der Grabungsdokumentation 1964–1966. a: Der Roh-Scan zeigt das zerfallende Dia. b: Aufgearbeiteter

Scan; der Zerfall des Dias wurde digital korrigiert. Scans Fachlabor Gubler AG, Felben-Wellhausen.

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Öffentlichkeitsarbeit

Die traditionellen Mittwoch-Führungen auf der Ausgra-bung Gallusplatz wurden bis zum 1. Februar weiterge-führt. Insgesamt nahmen über 1000 Personen an den Führungen teil! Ein deutliches Zeichen für das Interesse der Bevölkerung! Am 31. Januar führte E. Rigert hier auch den Lions Club Gossau-Fürstenland. Am 17. Februar sprach E. Rigert in der Pfarrei St.Blasius in Waldkirch zum Thema «Galluszeit und frühes Kloster St.Gallen im Licht der aktuellen Ausgrabungen». Am 23. Februar führten P. Dietsche, R. Dietsche, F. Wegmüller und M.P. Schindler den Freundeskreis der CVP Rheintal mit 60 Teilnehmenden auf Deponie und Ausgrabung Unter-kobel. Am 21. März referierte M.P. Schindler im Rotary-Club St.Gallen-Freudenberg zu «Archäologie in der süd-lichen Altstadt». Bei der Vernissage des 152. Neujahrsblatts sprach M.P. Schindler zu «Archäologie in Stiftsbezirk und Altstadt St.Gallen». Am 18. April sprach er bei den Ge-schichtsfreunden vom Linthgebiet in Jona über «Men-schen und Siedlungen im Linthgebiet zur Zeit von Co-lumban und Gallus». Am 24. April referierte E. Rigert zu «Archäologie zum Gallusjahr 2012: Neue Erkenntnisse zu Stiftsbezirk und Altstadt St.Gallen» an der Jahresver-sammlung des Freundeskreises der Stiftsbibliothek. Am 8. Mai sprach R. Steinhauser über «Von Steinach bis Staad: Archäologie am See» an der Hauptversammlung des Kulturhistorischen Vereins der Region Rorschach. Am selben Tag führten F. Wegmüller und N. Elmiger 40 Mitglieder des Historischen Vereins Appenzell auf der Ausgrabung Unterkobel. Am 9. Mai führten F. Wegmül-ler und R. Steinhauser ebendort die Fachschaft Geschich-te der Kantonsschule Heerbrugg. Am 1. Juli gestalteten M. Mähr und M.P. Schindler die Familienführung «Gal-lus und der Sarkophag« im Historischen und Völkerkun-demuseum St.Gallen. Am 10. Juli führten J. Schärli,

K. Meier und M.P. Schindler im Innenhof des Museums die Ferienaktion im Rahmen des Sommerplauschs der Stadt St.Gallen «Einmal Archäologe/Archäologin sein…» durch. Am 31. August referierte M.P. Schindler in der Handschriftenkammer der Stiftsbibliothek vor der Unesco-Kommission des Bundes über «Archäologie in Stiftsbezirk und Altstadt St.Gallen: neue Erkenntnisse seit 2009». Am internationalen Kongress zum Gallusjubi-läum 2012 («Gallus und seine Zeit: Leben, Wirken, Nach-leben»; 5.–8. September) sprach er zudem zu «Neue archä-ologische Erkenntnisse zu St.Gallen«. Eine Geschichts- klasse der Kantonsschule Heerbrugg liess sich am 7. Sep- tember von S. Knöpke und R. Steinhauser über die Gra-bung Schwertgasse 15 informieren. Anlässlich des Europä-ischen Tags des Denkmals (8./9. September) wurden im archäologischen Park an der Meienbergstrasse in Rappers-wil-Jona drei neue Informationstafeln eingeweiht und Führungen angeboten. An der St.Galler Museumsnacht, ebenfalls am 8. September, orientierte J. Kissling über die Pläne zur neuen archäologischen Dauerausstellung, wäh-rend R. Steinhauser in der Kantonsbibliothek Vadiana das südkleinasiatische Losorakel präsentierte. Am 2. Oktober führten J. Schärli und M.P. Schindler im Innenhof des Museums die Ferienpassaktion «Einmal Archäologe/Ar-chäologin sein – Ausgrabungen im Museum» für den «Ferienpass am alten Rhein» durch. Am 24. Oktober sprach P. Koch am Forschungskolloquium «Kult und Re-ligion» der Vindonissa-Professur und Klassischen Archäo-logie der Universität Basel zu «Magna Mater am Zürich-see: Auswertung der Ausgrabung Kempraten Seewiese». Am 17. Oktober hielt F. Wegmüller an der Universität Zürich den Vortrag «Felsdach, Flint und Feuer – der Abri Unterkobel in Oberriet». Er und D. Brönnimann sprachen am 12. November an der Universität Basel zu «Der Abri Unterkobel in Oberriet – Neue Einblicke in die Geschichte des Alpenrheintals vom Mesolithikum bis in die Römerzeit». Zudem sprachen sie am 17. November

Rapperswil-Jona, Archäologischer Park Meienbergstrasse.

Stadtpräsident Erich Zoller und Martin Peter Schindler mit den

neuen Informationstafeln. Foto Reto Schneider.

Oberriet, Unterkobel. Fabio Wegmüller führt die Fachschaft Ge-

schichte der Kantonsschule Heerbrugg. Foto KASG.

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am Swiss Geoscience Meeting 2012 in Bern zu «Die Fundstelle ‹Abri Unterkobel›. Ein wichtiges siedlungs- und landschaftsgeschichtliches Archiv im St.Galler Rheintal».

Publikationen

Am 21. März erfolgte die Vernissage des 152. Neujahrs-blatts des Historischen Vereins des Kantons St.Gallen. Im Gallusjahr 2012 durfte die Kantonsarchäologie die ersten Resultate ihrer Ausgrabungen in der südlichen Altstadt unter dem Titel «Von Gallus bis zur Glasfaser, Archäolo-gie in Stiftsbezirk und Altstadt St.Gallen» vorstellen. Die Publikation fand gute Aufnahme, grosse Beachtung und sehr regen Zuspruch, auch im Ausland.Das Einzugsgebiet von Linth, Limmat und Seez sowie das Zürcher Oberland und das Knonauer Amt sind eine rei-che Kulturlandschaft. Unter dem Titel «Linth, Seez, Lim-mat und mehr« (ISBN 978-3-908006-74-9) legten die Ge-sellschaft «Archäologie Schweiz« und die Kantone Glarus, Schwyz, St.Gallen und Zürich sowie die Stadt Zürich ei-nen Führer zu 116 besonders sehenswerten Kulturdenk-mälern der Region vor.Dr. Biljana Schmid publizierte in Heft 1 der Zeitschrift «archäologie schweiz» den Artikel «Der eisenzeitliche Brandopferplatz auf dem Ochsenberg in Wartau SG». Dieser wurde auch im Werdenberger Jahrbuch 2013 abge-druckt. Der Artikel war als Ankündigung des dritten und letzten Auswertungsbandes zum Projekt Wartau gedacht, dessen Vernissage 2013 stattfindet.

Personelles

2012 leisteten acht Zivildienstleistende ihren Einsatz: Reto Gubelmann von St.Gallen (02.01.–06.04.), Joscha Hutter von Diepoldsau (02.01.–18.05.), David Pekarek von St.Gallen (02.04.–08.05.), Simon Rombach von Rossrüti (21.05.–03.07.), Patrick Eicher von Winden (02.07.–31.07.), Michael Hauser von St.Gallen (30.07.–24.08.), Christian Lauchenauer von Mörschwil (27.08.–14.12.) und Maurus Camenisch von Igis (03.09.–08.03.2013). Der Einsatz der Zivis war tadellos.

Archäologische Praktika von rund einem Monat Dauer absolvierten Katharina Meier von Lütisburg, Lorena Burkhardt von Zürich, Flurina Brändli von Aathal und Lisa Weigelt von Niederhasli.Schnuppertage verbrachten Leo Zingg, Gianluca Hidber, Chantal Willborn und Jana Kohler. Ein einwöchiges Praktikum absolvierte Benedikt Winterhalter.

Die Lehrer Christian Zangl von Mörschwil und Erick Vaatstra von Eggersriet haben ihre rund einmonatige In-

tensivweiterbildung bei der Kantonsarchäologie geleistet. Ihr Einsatz war für den Betrieb eine Bereicherung.

Ausblick

2012 mussten in der Kantonsverwaltung zwei Sparpakete geschnürt bzw. vorbereitet werden. Die zweimaligen Vor-gaben von Sparvorschlägen im Umfang von 10 bzw. 25 Prozent sind hart und einschneidend. Die Ausarbeitung dieser aufwändig auszugestaltenden Vorschläge verbrauch- te sehr viele knappe Ressourcen.In der Baubranche, welche die Arbeiten von Archäologie und Denkmalpflege massgebend bestimmt, ist nichts von einer Krisenstimmung zu spüren. Nach wie vor hält der Bauboom an, wohl auch in den kommenden Jahren. Dass die im Kantonsvergleich sehr knappen personellen und finanziellen Mittel für Archäologie und Denkmalpflege noch weiter gekürzt werden sollen, ist sehr beunruhigend. Schon jetzt ist die Belastung der Mitarbeitenden sehr hoch – nun wird der Druck noch grösser.

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Schon wieder ein vergangenes Jahr und damit eine Chan-ce, um über unsere Tätigkeit zu berichten. Schon wieder die Erwartungshaltung, mit kreativen Ideen, vielleicht mit wegweisenden Projekten aufzeigen zu können, wie zeitbewusst, wie zukunftsgerecht die Denkmalpflege han-delt. Denn unser Antrieb ist das Bewusstsein um die kom-menden Generationen und ihren Anspruch auf ein unge-schmälertes kulturelles Erbe. Obschon wir uns intensiv um Verständnis, Wertschätzung, Sicherung und denk-malkonforme Nutzung des historischen Erbes bemühen, scheint der Zeitgeist dennoch gegen uns zu wirken. Tiefe Zinsen und Neubauten als lohnendste Anlagemöglichkeit sowie energiesparende Investitionen machen es noch schwieriger, Ortsbilder zu bewahren und den Bestand an

Kulturobjekten zu sichern. Seit dem denkwürdigen Ab-bruch der Schutzengelkirche in Gossau sind nun 40 Jah-re verflossen – aus heutiger Sicht eine Untat, die man kei-nesfalls wiederholen würde! Nicht wiederholen würde? Sind wir uns dessen ganz sicher? Zurzeit argumentieren jene, die den Abbruch der schutzwürdigen, hochwertigen Villa Wiesental in St.Gallen befürworten, mit denselben Argumenten wie jene in Gossau vor vierzig Jahren: Das Haus sei nicht mehr zeitgemäss, es befinde sich in einem (von den Eigentümern verschuldeten) schlechten bau-lichen Zustand und die Umgebung sei verdorben: Da hel-fe nur ein kühner Neubau, ein zeitgemässes Manifest, von dem man sich einen neuen Auftakt für das Stadtmarke-ting erhofft. Die denkmalzerstörerische Stimmung erin-nert an den ungebändigten Drang zum steilen Auf-schwung, wie ihn die Nachkriegsjahre mit sich gebracht hatten. Die Antwort darauf war das «Europäische Jahr für Denkmalpflege und Heimatschutz» im Jahre 1975. Haben wir die damaligen Erkenntnisse, die guten Grundsätze und das Einvernehmen, uns mehr für das kulturelle Erbe einzusetzen, gänzlich vergessen? In dieses ohnehin schwie-rige Umfeld platzt – nicht ganz unerwartet – das aus Spar-gründen geschnürte Entlastungspaket lll, welches an der ohnehin schon schwachen Dotierung der Denkmalpflege zu nagen droht.

Doch es gibt auch viel Schönes zu berichten. Eine ganze Reihe von Restaurierungen sowie Umnutzungen auch von ortsbildverträglichen Interventionen im historischen Kontext dürfen wir als Ergebnis fruchtbarer Zusammen-arbeit mit Behörden, Eigentümerinnen und Eigentü-

Jahresbericht der Kantonalen Denkmalpflege2012

Pierre D. Hatz

Gossau, Schutzengelkirche, Abbruch 1972.

Foto Bernhard Anderes, Rapperswil.

St.Gallen, Villa Wiesental, Taktik der Verlotterung 2012.

Foto Kant. Denkmalpflege.

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mern, Planenden, Handwerksleuten und Restaurierungs-fachleuten vermerken. Es sind Beispiele, die Mut machen, anregend und – hoffentlich – auch ansteckend wirken. Ganz besonders erfreulich ist der gelungene Abschluss der Renovations- und Erneuerungsarbeiten im Kronenareal Rheineck, gerade weil diese Aufgabe anfänglich so schwer-fällig anlief, weil die Hürden zeitweise unüberwindbar schienen und weil die Bauten als hoffnungslos baufällig bezeichnet wurden. Auch die Krone wurde für einen «Schandfleck» gehalten – aus ihr ist ein Vorzeigebau ge-worden.

An Grundlagenarbeit dürfen wir vor allem die Bauernhaus-forschung und das Mitte 2011 wieder aufgenommene Pro-jekt Kunstdenkmälerinventarisation nennen. Für den Kunstdenkmälerband Werdenberg ist die Gemeinde War-tau nun fertig bearbeitet, termingerecht liegt das Manu-skript vor und man freut sich auf die nächsten Einblicke.

Die Arbeiten für den St.Galler Bauernhausband bestätigen die dringende Notwendigkeit, den Zeugen bäuerlicher Wohn- und Arbeitsverhältnisse wissenschaftlich nachzuge-hen, bevor sich der Wandel in der Landwirtschaft allzu sehr auswirkt – im Klartext: konkrete Verluste verursacht.

Die Schweizerische Gesellschaft für Technikgeschichte und Industriekultur SGTI hat im Mai mit einer kleinen Ausstellung in St.Gallen den Abschluss des ISIS Ost-schweiz gefeiert. Die «Informationsplattform für schüt-zenswerte Industriekulturgüter der Schweiz» verzeichnet in einer Publikation und in einer Internet-Datenbank rund 560 St.Galler Objekte.

Schliesslich konnte 2012 das vor einigen Jahren im Rah-men von e-Government begonnene Projekt zur Veröffent-lichung der Ortsbildinventare im GIS zu einem vorläu-figen Abschluss gebracht werden. Der grösste Teil der durch die jeweiligen Gemeinden erstellten Inventare der schützens- und erhaltenswerten Bauten ist – zuletzt dank einem Einsatz der Kunsthistorikerin Sandra Zinn – elek-tronisch aufbereitet und steht nun für die demnächst er-folgende Aufschaltung bereit. Ein grosser, über mehrere Jahrzehnte zusammengetragener Fundus an Detailinfor-mationen zu einzelnen Bauwerken wird damit der Öf-fentlichkeit zugänglich gemacht (vgl. dazu: www.geopor-tal.ch > Darstellen > Raumplanung > kant. Darstellungen > Ortsbildinventar).

Im Mai hat unsere langjährige Vorsteherin des Departe-mentes des Innern das noch immer fürstäbtisch geprägte Büro in der Pfalz verlassen. Als zuständige Regierungsrä-tin hat Kathrin Hilber die Belange der Denkmalpflege ganz besonders gefördert. Es war sehr wertvoll, darauf set-zen zu können, dass wir auch von oberster Warte Rücken-deckung geniessen würden. Dasselbe gute Gefühl verleiht uns Regierungsrat Martin Klöti, der nun das Departe-ment für Inneres führt und der Denkmalpflege ebenso zu-getan ist.

Das neue Planungs- und Baugesetz, in welchem die Auf-gaben und vor allem die Zuständigkeiten der Denkmal-pflege klarer verankert werden sollen, befindet sich in der Vernehmlassung und hat noch einige politische Hürden zu nehmen. Hingegen wurden bei der Revision des kan-tonalen Richtplanes 2012 auf der Grundlage des ISOS, des Inventars schützenswerter Ortsbilder der Schweiz, die Ortsbilder von nationaler und kantonaler Bedeutung in diesem verankert.

Finanzielles

Im Laufe des Jahres 2012 konnten an 92 (Vorjahr 125) Re-novationsmassnahmen (darunter auch solche aus den

Rheineck, Krone und Laterne nach Jahren der Verlotterung frisch

renoviert. Foto architekten : rlc.

Wartau, Elektrizitätswerk Oberschan, ein neu entdeckter Zeuge der

Industriekultur. Foto Kunstdenkmälerinventarisation.

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Vorjahren) Subventionen ausbezahlt werden. Es gingen 172 (Vorjahr 155) neue Gesuche ein, von denen wir 4 lei-der nicht berücksichtigen konnten.

Neue Beiträge wurden in der Höhe von Fr. 1 198 177.–(Vorjahr Fr. 1 205 339.–) zugesichert und somit die gesam-ten Budgetmittel ausgeschöpft. Hinzu kamen zusätzlich Fr. 998 000.– (Vorjahr Fr. 1 105 700.–) aus dem Lot-teriefonds. Ausbezahlt wurden zu Lasten des Staatshaus-haltes Fr. 742 206.– (Vorjahr Fr. 1 143 217.–), dazu kamen Fr. 1 137 800.– (Vorjahr Fr. 1 055 750.–) aus dem Lot-teriefonds. Das ergibt Kantonsbeiträge in der Höhe von insgesamt Fr. 1 880 006.– (Vorjahr Fr. 2 198 967.–). Dieser Betrag kann erfahrungsgemäss etwa verdoppelt werden, weil die von den Standortgemeinden, bei Sakralbauten auch die von den Konfessionsteilen geleisteten Subventi-onen hinzugezählt werden dürfen. Nachdem nun die Bundesbeiträge über eine vierjährige Programmvereinba-rung geregelt werden, leistete der Bund für das erste Jahr der Programmdauer 2012 bis 2015 eine Zahlung in der Höhe von Fr. 810 000.– (Denkmalpflege inkl. Archäolo-gie). Aus diesem Kontingent wurden bis heute für neun Projekte insgesamt Fr. 550 924.– verfügt, davon aber noch nichts ausbezahlt. Es kann zusammenfassend festgehalten werden, dass in unserem Kanton insgesamt ca. 4.45 Mio. Franken an Eigentümer und Eigentümerinnen histo-rischer Bauten geflossen sind.

Für baugeschichtliche Untersuchungen, Dokumentati-onen, Grundlagenarbeiten, Gutachten und dendrochro-nologische Datierungen sowie für Expertisen haben wir rund Fr. 75 274.– (Vorjahr Fr. 93 500.–) aufgewendet. Da-

mit konnten nebst 7 Dokumentations- und Teiluntersu-chungen insgesamt 11 Bauuntersuchungen und 18 Holzal-tersdatierungen vorgenommen werden. Baugeschichtliche Untersuchungen dienen dazu, ein Gebäude besser zu ken-nen, es zu verstehen und somit die Planung der Massnah-men auf eine wissenschaftlich gesicherte Grundlage zu stellen. Dennoch sind baugeschichtliche Untersuchungen leider oft auch die letzte Dokumentation eines histo-rischen Zustandes, denn Umbauten und Renovationen – auch sorgfältige – mindern immer die Bausubstanz, die ja schlussendlich die Trägerin der geschichtlichen Spuren ist.

Vom ganzen Stadtgefüge bis zum kleinen Weiler sind die Ortsbilder von nationaler Bedeutung im ISOS beschrieben, hier der Weiler Gibel

in der Gemeinde Goldingen.

Quarten, Dorftsrasse 8: ein bald 500jähriges Haus. Durch die den-

drochronologische Holzaltersbestimmung konnte das Baujahr 1530

ermittelt werden. Foto Kant. Denkmalpflege.

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Mitarbeiterspiegel

Die kantonale Denkmalpflege ist dem Amt für Kultur un-terstellt, das von Katrin Meier geleitet wird. Unser Team umfasst zurzeit 410 Stellenprozente. Die praktische Denk-malpflege wird gemeinsam durch Pierre D. Hatz, dipl. Arch. HTL, Irene Hochreutener, lic. phil., Regula M. Keller, dipl. Arch. FH, und Michael Niedermann, dipl.

Arch. FH SWB, wahrgenommen. Dieses Team wird durch Dr. Moritz Flury-Rova fallweise unterstützt; seine Kernaufgabe besteht primär darin, den wissenschaft-lichen Bereich abzudecken. Für die Bibliothek und das Archiv ist Menga Frei zuständig. Oliver Orest Tschirky, lic. phil. hist. und lic. rer. publ. HSG, ist unser juris- tischer Berater. Er ist auch für die rechtlichen Belange der Kantonsarchäologie zuständig. Ornella Galante führt das

Abgeschlossene Restaurierungen 2012

Altstätten Stadtmauer Frauenhof: Sicherung/ Restaurierung

Au Sonnenstrasse 1: Aussenrenovation

Bad Ragaz kath. Kirche St. Leonhard: Sicherung Wand-malerei

Balgach Schloss Grünenstein: Restaurierung Stützmauern Bergstrasse 9: Renovation Stallfassade Steigstrasse 10: Dachrenovation

Berneck Heiligkreuzkapelle: Renovation Hofmauer Rathausplatz 4, Pfarrsaal: Erweiterung Husenstrasse 5: Fassadenrenovation Husenstrasse 11: Umbau

Degersheim evang. Kirche und Pfarrhaus: Fensterersatz und Umgebung

Ebnat-Kappel Ebnaterstrasse 15, Villa Wagner: Teilrestaurierung Fassade

Flawil Gupfengasse 1: Aussenrenovation

Flums Altes Rathaus: Dachrenovation Halbmil 22: Gesamtrenovation

Gaiserwald St.Josefen, Alte Sonne: Aussenrenovation

Gossau Schloss Oberberg: Fensterteilersatz Zellersmühli: Fassadenrenovation

Grabs Werdenberg, Städtli 18: Fassadenrenovation

Kaltbrunn Gemeindehaus: Fensterersatz

Kirchberg Pfarrkirche St.Peter und Paul: Innenreinigung Dietschwil, Strälgasse 2: Teilrenovation innen

Lichtensteig Gasthaus Kreuz: Restaurierung Haustüre Hintergasse 2: Fensterersatz Löwengasse 22: Gesamtrenovation

Muolen ehem. Altersheim Blasenberg: Renovation Südfassade Primarschulhaus Dorfstrasse 31: Fassaden-

renovation

Neckertal Töösbrücke: Gesamtrestaurierung Dicken, Hönenschwil: Fassadenrenovation St.Peterzell, Reitenbergstrasse 1: Dachrenovation

Nesslau- Krummenau, Alter Hischen: TeilrenovationKrummenau Nesslau, Buebeseggstrasse 2, ‹Nüsslihaus›: Fassadenrenovation Neu St.Johann, Sidwaldstrasse 20: Fassaden-

renovation Niederhufen-Bühl 293: Restaurierung Südfassade

Oberbüren Niederwil, Im Dorf 3: Fassadenrenovation

Oberriet Kapelle Hard: Turmerneuerung kath. Pfarrkirche St.Margaretha: Fassaden-

renovation

Pfäfers Kapelle St.Martin im Calfeisental: Teilrestaurierung innen Vättis, Langgasse 2: Fensterersatz

Quarten Quinten, Alte Post: Fassadenrenovation Oberterzen, Gafadurastrasse 8: Fassaden-

teilrenovation

Rapperswil- Curtiplatz 1: FensterteilersatzJona Zürcherstrasse 130: Fensterersatz

Rebstein Burgplatz 4, Burgkeller: Teilrenovation innen Alte Landstrasse 102, Villa Rosenberg: Renovation Umzäunung Oberfeldstrasse 4: Teilrenovation Fassade

Rheineck Kronenareal: Gesamtrenovation Löwenhof: Renovation Wohnung im 1. Obergeschoss Thalerstrasse 46, «Türmlihaus»: Aussen- renovation

Rorschach Jakobsbrunnen: Restaurierung der Delphine Hauptstrasse 45, «Mariaberg»: Fassaden- renovation Mariabergstrasse 45, Amtshaus: Treppenhaus-

renovation

Schänis Maseltrangen, Dörfli 1008: Fensterersatz

St.Gallen zahlreiche Bauten; federführend: Städtische Denkmalpflege

St.Margrethen Neudorfstrasse 1, Villa Merkur: Teilrenovation

Steinach Bildstöckli Kirchweg/Bildzelgweg: Restaurierung

Thal Bruechlistrassse 10: Renovation Westfassade Rebenstrasse 4, Remise: Umnutzung/Gesamt-

renovation Rheineckerstrasse 1, kath. Pfarrhaus: Fensterersatz Wachtstrasse 21c: Restaurierung Wappenrelief Zoller 5: Dachrenovation und Fensterersatz

Uzwil Henau, kath. Pfarrkirche: Innenreinigung

Waldkirch kath. Pfarrkirche St.Blasius: Teilrenovation

Walenstadt Feldweg 2, Landhaus: Fensterersatz

Wartau Oberschan, Dorfstrasse 76: Fensterersatz

Wattwil Burg Iberg: Gesamtrenovation Grosse Scheftenau, Restaurierung Stube im 1. Obergeschoss Schulhaus Risi: Fensterersatz

Wil Toggenburgerstrasse 59, Restaurant Rössli: Fassadenrenovation

Kirchgasse 9: Instandstellung Stützmauer Konstanzerstrasse 18: Aussenrenovation Restaurant Schwarzenbacherbrücke: Fensterersatz

Zuzwil Mitteldorfstrasse 43, «Harmonie»: Fensterersatz

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Sekretariat, das wir ebenfalls mit der Kantonsarchäologie teilen. Ausserhalb des ordentlichen Stellenetats arbeitet Dr. Carolin Krumm mit einem aus dem Lotteriefonds finanzierten 85%-Pensum am Kunstdenkmälerband über die Region Werdenberg. Vier junge Männer unterstützten uns in diesem Jahr, indem sie bei der Denkmalpflege ihren Zivildiensteinsatz absolvierten: Sandro Agosti, Christian Manser, Pascal Steiner und Yanick Hauenstein. Zudem verbrachte Moreno Bucher, Student der Raum-planung an der FH Rapperswil, bei uns ein zweimona-tiges Praktikum. Mit diesem für den ganzen Kanton sehr bescheidenen Bestand an Mitarbeitenden wurden im ver-gangenen Jahr rund 172 Subventionsgesuche und an die 387 Objektbetreuungen wahrgenommen, die von der ein-fachen Stellungnahme im Bewilligungsverfahren bis hin zur komplexen und sich über einen längeren Zeitraum er-streckenden Baubegleitung reichen.

Auffallend und neu für uns ist die markant angestiegene Anzahl von Rechtsfällen, allein 25 in diesem Jahr, die ent-weder durch die Unterschutzstellung einer Liegenschaft entstehen oder im Zuge von Baubewilligungen respekti-ve Auflagen oder Nichtbewilligungen erfolgen.

Öffentlichkeitsarbeit

Im März erschien das letztjährige Neujahrsblatt des His-torischen Vereins, das über die Tätigkeit der kantonalen Denkmalpflege im Jahr 2011 orientierte und in welchem Moritz Flury einen vielbeachteten Beitrag zur Um- und Weiternutzung von landwirtschaftlichen Bauten unter dem einleuchtenden Titel «Raumwunder Scheune» ver-fasst hat. Moritz Flury hielt zudem an einer internationa-len Tagung «Transformation – Alte Bausubstanz neu ge-nutzt» in Bergün ein Referat über Ersatzbauten für landwirtschaftliche Ökonomieteile. Ein zweiter Vortrag

galt der Villa Wiesental im Rahmen der vom Verein Pro Villa Wiesental Anfang 2012 lancierten Petition, die in kurzer Zeit die sensationelle Zahl von fast 4000 Unter-schriften für die Erhaltung der Villa zusammenbrachte.

Der von Regula Keller organisierte Tag des Denkmals mit dem Thema «Stein und Beton» führte uns zu den jün-geren und im allgemeinen Bewusstsein vielleicht weniger plausiblen Zeugen der Baugeschichte. Dementsprechend führten die Besucherzahlen nicht zu Rekordergebnissen, was aber nicht heisst, dass die Botschaft der Veranstal-tung, «das kulturelle Erbe in all seinen Ausprägungen und gewissermassen zeitlos zu betrachten», nicht verstanden worden wäre. Das in Zusammenarbeit mit dem Architek-turforum St.Gallen von Tobias Hotz, Steinrestaurator aus Weinfelden, gehaltene Referat zur Restaurierung von Kulturgut aus Kunststein und Beton fand überdurch-schnittliche Beachtung. Diesem Thema der vielleicht noch weniger bekannten, aber gleichwertigen Baukultur-zeugen aus Beton ist auch unser Schwerpunktartikel «Be-ton und Denkmalpflege» von Regula Keller gewidmet.

Europäischer Tag des Denkmals 2012. Regula Keller erläutert die

Bedeutung des Schotterwerks in Sargans.

Gleich mehrere Brände an Schutzobjekten waren im Jahr 2012 zu

beklagen. In Niederbüren gingen durch einen Brand Kreidezeich-

nungen von internierten Polen aus dem 2. Weltkrieg verloren.

Foto Kant. Denkmalpflege.

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Bad Ragaz, ehemalige Dépendance ‹Hermitage›:AussenrenovationBernhard Simon, Vater des Kurortes Bad Ragaz, hatte als Architekt in St.Petersburg für anspruchsvollste Kunden gebaut. Nach Ragaz zurückgekehrt, ergänzte er das neue Hotel Quellenhof um drei zeittypische Villen, bezeich-nenderweise «Solitüde», «Hermitage» und «Gagarin» ge-nannt. Von dem 1880 um einen künstlichen Weiher ange-legten Ensemble haben sich die Solitüde und die Hermitage erhalten. Im Zuge der Aussenrenovation der Hermitage wurde darauf geachtet, das letztmals grau und weiss gestrichene, als Personal- und Schulungsgebäude dienende Haus wieder in seiner bauzeitlichen Farbgebung wirken zu lassen. So präsentiert sich die Villa nun in un-erwartet kräftigem Blaugrau und saftigem Grün im Kon-trast zu einem warmen Ockerton – Herkunft, Zeitgeist und einstige Bestimmung vermittelnd. Foto Architekturbüro Gredig +Walser, Bad Ragaz.

Berneck, Husenstrasse 11:Umbau und Gesamtrenovation Der verschindelte Strickbau mit Fachwerkgiebel aus dem Jahr 1792 liegt im kleinen Weiler Husen. Die angebaute Scheune mit den dekorativ anmutenden Heuständern unter dem ausladenden Vordach steht mit einem Quer-first zum Haupthaus. Beispielhaft zeigt der Umbau, dass sich baubiologische Konstruktionsweisen mit den denk-malpflegerischen Anliegen optimal verbinden. Das So-ckelgeschoss, ein Lehmmauerwerk mit Kalkputz, wurde mit einem Kalkmörtel restauriert. Das Kellergeschoss wurde als Kaltraum belassen und erhielt einen Lehm-stampfboden. Für die Isolation mit Hanf wurden die Tä-fer aus- und wieder eingebaut. Die historischen Fenster wurden restauriert und wo nötig mit neuen, einfachver-glasten Vorfenstern ergänzt. Ein neuer Kalkofen dient als Heizung.Foto Helene Wetli.

E inige wichtige Restaurierungen des Jahres 2012

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Flums, Halbmil 22: GesamtrenovationDas markante Tätschdachhaus an der Strasse von Heilig-kreuz nach Flums fällt wegen seines schmalen gemauerten Mittelteils zwischen Wohnhaus und Scheune auf. Es han-delt sich dabei um eine Erweiterung aus dem 18. Jahrhun-dert, nach dem das in die Zeit um 1600 zurückreichende Haus um 1873 hierher versetzt worden war. Besonders be-merkenswert an der teilweise recht eingreifenden Renova-tion sind die Fenster. Um sowohl die seltenen, feingliede-rigen barocken Fenster wie auch das äussere Erschei- nungsbild der Südfassade zu erhalten, wurden auf der Innenseite moderne Isolierverglasungen in der Art eines Kastenfensters sorgfältig in das historische Täfer einge-passt.Foto kant. Denkmalpflege.

Neckertal, Nassen, Restaurant Traube:Vorfenster-ZuglädenDas Gasthaus Traube in Nassen besitzt eine Biedermeier-fassade. Im Bereich der Gaststube im Erdgeschoss wurde eine energetische Sanierung notwendig. Die innovative Idee der Firma Alois Kühne AG, die bestehenden Zug- läden durch Isolierglas-Schiebefenster zu ersetzen, wurde an diesem Objekt erstmals umgesetzt. Die Vorfenster müssen nun nicht mehr entfernt und wieder montiert werden, sondern können als Zugläden versenkt werden. Mit dieser Vorgehensweise konnten die historischen In-nenfenster und damit die historische Ausstattung des Res-taurants integral erhalten werden. Im Bereich der Fassade wurde eine Dünnschichtisolation auf den bestehenden Strick montiert, damit die Fassadenflucht nicht verändert werden musste.Foto Alois Kühne, Lichtensteig.

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Rapperswil-Jona, Hof Oberbollingen:Umnutzung Stall, Erweiterung Wohnhaus Der Name sagt es: hier wird Hof gehalten. Dazu erfuhr die alte Stallscheune eine beispielhafte Umnutzung zum Mehrzweckhaus. Das Wohnhaus, das auch als Restaurant dient, musste erweitert werden. Nach langem Suchen überwog das Konzept, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts um einen Drittel verlängerte Gebäude auf den spätbarocken Kern rückzubauen. Dafür erhielt dieser eine formgleiche Verlängerung, die unterirdisch mit dem Mehrzwecksaal verbunden ist. Der sozusagen le-diglich an den geänderten Fensterformaten erkennbare Erweiterungsbau ermöglichte die Erweiterung der Gast-stube, die Erschliessung der Wohnung und des Studios unter dem Dach. Höchst konsequent und gekonnt wur-de hier Altes erhalten und Neues sorgfältig gestaltet; sei dies im harmonischen Nebeneinander der alten und neu-en Gaststube oder im prächtigen Festraum im ersten Stock, der nun als privater Wohnraum dient.Fotos BGS & Partner Architekten, Rapperwil.

Rorschach, Hauptstrasse 49:Wasserschaden an der StuckdeckeDie Entstehung des Hauses zum «Engel» geht zurück auf die Familie des Kommissarius Ferdinand A. von Bayer, welche verschiedene Bauten in der Altstadt im Besitz hat-te. Im 2. Obergeschoss wurde ein prächtiger Saal einge-richtet, der später im Rokoko-Stil ausgeschmückt wurde. Die Decke ist noch vollumfänglich erhalten und weist äusserst fein gearbeitete Stuckaturen auf. Aufgrund eines Wasserschadens wurden wir auf den allgemeinen Zustand der Decke aufmerksam: Der Untergrund, welcher noch Spuren der früheren barocken Zierde aufweist, war in denkbar schlechtem Zustand, wodurch der Be stand der gesamten Decke hochgradig gefährdet war. Die derzei-tigen Arbeiten zielten auf eine langfristige Bestandes- sicherung und die Dokumentation aller Befunde ab. So wurde die ursprünglich polychrome Fassung lediglich an-gedeutet, aber nicht komplett rekonstruiert. Damit wird die Substanz nachhaltig gerettet; deren aufwendige und vollumfängliche Restaurierung soll aber späteren Genera-tionen überlassen sein.Foto Klaus Engler, Untereggen.

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Sevelen, Wohnhaus Histengasse 60:FassadenrenovationDas Haus Histengasse 60 nimmt im Ortskern von Seve-len eine bedeutende Stellung ein. Zusammen mit dem Rathaus stellt es einen Haustypus dar, der wegen seiner massiven Bauweise und den sparsam eingesetzten, relativ kleinen Fenstern als Rheintaler «Palazzo» bezeichnet wer-den könnte. Typischerweise wurden diese Häuser mit sgraffittoartiger Bemalung sparsam geschmückt, was auch hier unter den neueren Verputzschichten fragmentarisch nachgewiesen werden konnte. Der historische Verputz konnte freigelegt und ergänzt werden. Die Bemalung wurde mit grosser Zurückhaltung nach Befund rekons-truiert. Der einst noble Charakter des Hauses wird damit wieder aufleben und das Dorfbild prägen.Foto Werner Hagmann, Zürich.

Wattwil, Näppis Ueli-Haus:Gesamtrenovation und Einbau BesenbeizDas Geburtshaus des Bauernsohns und Schriftstellers Ulrich Bräker (1735–1798) steht in erhöhter Lage über dem Weiler Scheftenau und hatte bisher keinen Strassen-anschluss. Das Tätschdachhaus aus dem 17., möglicher-weise sogar aus dem 16. Jahrhundert erhielt in ferner Ver-gangenheit unter anderem eine Aufstockung, ein Stick- lokal, Reihenfenster sowie einen angebauten Schopf. Gleichzeitig mit der sanften Renovation sowie neuem Bad und neuer Küche baute der heutige Besitzer nun im ehe-maligen Sticklokal eine Besenbeiz ein. Ansonsten wurde mit traditionellen Baumaterialien ein historischer Zu-stand bewahrt. Die Holzböden, Täfer, Türen und Fenster wurden wo immer möglich aufgefrischt. Sogar der Guss-eisenherd wurde saniert und ein neu aufgebauter Kachel-ofen dient weiterhin als einzige Wärmequelle im Haus. Foto Gebr. Giezendanner, St.Peterzell.

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Einleitung

Kaum ein anderes Baumaterial ruft so viele kontroverse Standpunkte hervor wie Beton. Beton steht mal für bru-tal, provokativ, kalt und grau, mal für präzise, konstruk-tiv, ästhetisch und architektonisch. Bauten aus Beton stossen in der Öffentlichkeit auf sehr unterschiedliche Akzeptanz. Sie werden geliebt und bei Verlust betrauert, wenn Sie als «schön» empfunden werden, berühmt sind oder der Bevölkerung ans Herz gewachsen sind. Oft wer-den sie weit weniger geschätzt, gelten als alltäglich oder gar als «hässlich».

Beton hat eine bewegte Geschichte. Und doch, Beton ist nichts anderes als von Menschenhand geschaffener Stein, im Wesentlichen ein Gemisch aus Zement, Gestein (Sand, Kies etc.) und Wasser. Heute ist Beton dank seiner Vor-teile der meistverwendete Baustoff. Weit mehr als 50 Pro-zent aller Bauwerke bestehen aus Beton. Rein konstruktiv eingesetzt oder als sichtbares Gestaltungselement wird er in verschiedenen Ausführungen für Kunstbauen, Gebäu-de oder zur Erstellung von Kunstwerken verwendet. Be-ton als Baustoff ist beliebig formbar, dauerhaft und wirt-schaftlich. Bis es soweit kam und der Beton auch in weiten Kreisen Anerkennung gefunden hat, galt es, eini-ge Hürden und Hindernisse zu überwinden.

In einem ersten Teil dieses Berichts wird die Geschichte des Betons aufgezeigt. Warum Beton und Betonbauten auch für die Denkmalpflege wichtige Themen sind und wie eine Restaurierung abläuft, erfährt man im zweiten Teil. Die Denkmalpflege hofft, mit diesem Bericht einen Beitrag zu leisten, so dass das Material Beton in seinem ästhetischen und historischen Wert besser verstanden und als Kulturgut erkannt und gewürdigt werden kann.

Geschichte des Betons

Opus CaementitiumBereits vor 14 000 Jahren verwendeten Handwerker im Gebiet der heutigen östlichen Türkei Mörtel aus ge-branntem Kalk als Bindemittel für Ziegelsteinmauern.

Über die Griechen gelangte diese Technik ungefähr im 3. Jahrhundert vor Christus in das römische Reich. Die Römer waren die ersten, die mit einer Art Beton arbei-teten. Sie entwickelten den sogenannten «römischen Be-ton», das Opus Caementitium. Von dessen Namen ist das heute noch gebräuchliche Wort Zement abgeleitet. Die Bestandteile des Opus Caementitium sind gebrannter Kalk, Wasser, (Vulkan-)Sand und Bruchsteine.

Die Römer erzielten mit der Zeit eine wesentliche Verbes-serung des Betons, indem sie Zuschlagstoffe, vor allem aus Resten von gebranntem Ziegelmaterial, beimengten. Sie besassen die Eigenschaft, bei Temperaturänderungen keine Risse zu bilden. Bestimmte Zuschlagstoffe liessen den Mörtel wasserbeständig und unter Wasser hart wie Fels werden. Mit Sand und Kies vermischt, ergab dieser Mörtel einen ausgezeichneten Beton, der für das im 2. Jahrhundert vor Christus eingeführte Gussmauerwerk verwendet und zwischen Holzverschalungen oder Mauer-schalen eingegossen wurde. Einige Bauten in «römischem Beton» sind bis heute erhalten geblieben, wie beispiels-weise das Pantheon in Rom (um 120 n. Chr.), das mit ei-ner Kuppel von 43 Metern Durchmesser überwölbt ist.

Mit dem Untergang des römischen Reiches geriet der Be-tonbau in Vergessenheit und das Wissen der Römer rund

Beton und Denkmalpflege

Regula M. Keller

Rom, Pantheon, ein bald 2000-jähriger Betonbau, Aufnahme der

Kuppel um 1960. Foto Walter Schröder, Bildarchiv Foto Marburg.

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um den Betonbau ging verloren oder wich anderen Bau-techniken.

Romanzement Erst im 18. Jahrhundert hat der Engländer John Smeaton (1724–1792) die Bedeutung des Tongehalts für die hy-draulischen Eigenschaften des Wasserkalkes wieder ent-deckt. Er wies 1759 darauf hin, dass ein Kalkbindemittel aus einem natürlichen Gemisch von Kalkstein und Ton auch ohne Zugabe von puzzolanischen Zusatzstoffen teil-weise hydraulisch erhärtet und dass deshalb auf diese ver-zichtet werden kann. Er benutzte 1774 solchen Kalk beim Bau des Leuchtturms von Eddystone. Auf diese Entde-ckung Smeatons gestützt, erfand der Engländer James Parker (vor 1780 – nach 1807) ein hydraulisch erhärtendes Produkt, das er aus dem nahe London abgebauten Ge-stein (Septarie), einem sehr stark tonhaltigen Kalkmergel, und ohne Zusatz von Kalk gebrannt hatte. Er liess es 1796 als «Romancement» patentieren. Erstmals wurde nun ein Bindemittel als «Zement» bezeichnet, nicht mehr wie bis-her puzzolanische Zusatzstoffe. Beide Kalkbindemittel von Smeateon und Parker sind mit Wasserkalk bzw. mit hydraulischem Kalk vergleichbar, da sie nicht bis zur Sin-terung (beginnende Schmelze 1400–1500 Grad Celsius) erhitzt wurden.

Heute wird Romankalk für den Bedarf der Baudenkmal-pflege (Wandmalerei, historische Böden, Mauerwerk) vertrieben. Wegen seines schnellen Versteifens und der Schwefelfreiheit wird er auch zum Abdichten von Quel-len, Wassereinbrüchen sowie für Bauten im fliessenden Wasser verwendet. Im Unterschied zum Portlandzement ist Romanzement frei von Gips (schwefelsaurem Kalk) und Zement (kieselsaurem Kalk).

PortlandzementRomanzement war von 1800 bis 1850 das in Europa bevor-zugt verwendete Bindemittel, bevor es durch den eben-falls in England erfundenen Portlandzement abgelöst wurde. 1824 gelang es dem Engländer Joseph Aspdin (1778–1855) in Portland, durch das Brennen der richtigen Mischung von Ton und Kalksteinmehl künstlich Zement herzustellen. 1844 erhitzte Isaac Charles Johnson (1811–1911) die Mischung aus Ton und Kalk bei höheren Tem-peraturen bis zur beginnenden Schmelze (Sinterung 1400–1500 Grad Celsius), was den Zement nochmals ent-scheidend verbesserte. Der Portlandzement war geboren. 1847 wurde das geheime Rezept des englischen Portland-zements veröffentlicht. Damit war der Weg frei für die Entwicklung der heutigen Zementindustrie.

StampfbetonStampfbeton ist ein Gemisch aus Natursteinen und Ze-ment, das durch Stampfen verdichtet wird, und gilt als ers-te einfache und unbewehrte Betonart. Stampfbeton

diente hauptsächlich als Baumaterial, welches u. a. bereits 1860 für den Brückenbau genutzt wurde. Beton als Mas-se liess sich einfach in Formen aus entsprechenden Holz-schalungen giessen. Dadurch konnten Kunststeine in be-liebiger Form hergestellt werden. Eine zu verdichtende Betonschicht sollte jedoch eine Dicke von 15 Zentimeter nicht überschreiten. Mangels Zugfestigkeit war die Ver-wendung von Stampfbeton eingeschränkt.

Die Entwicklung des Eisen- oder StahlbetonsIn Europa beschäftigten sich im 19. Jahrhundert verschie-dene Erfinder mit der Bewehrung von Beton. 1854 erhielt der Gipsermeister William Boutland Wilkinson (1819–1902) ein Patent auf Eisenbeton für mit Stahlseilen ver-stärkte feuerfeste Betondecken; er gilt damit als der Erfin-der von Eisenbeton. Joseph-Louis Lambot (1814–1887) konstruierte 1848 zwei kleine armierte Ruderboote aus Zement, für die er 1855 ein Patent angemeldet hatte. Der Prototyp der Boote befindet sich noch heute im Museum von Brignoles (F).

Der Gärtner Joseph Monier (1823–1906) meldete 1867 für einen mit Drahtgeflecht armierten Zementmörtel ein ers-tes Patent an. Der Begriff Moniereisen wird auch heute noch verschiedentlich verwendet. Es folgten Zusatzpa-tente für Röhren, Behälter, Platten, 1873 für Brücken, 1875 für Treppen. In Deutschland erwarben 1885 Conrad Freytag und Gustav Adolf Wayss die sogenannten Mo-nierpatente. Nach weiteren Abklärungen verfassten sie 1887 die Monierbroschüre mit dem Titel: «Das System Monier (Eisengerippe mit Zementumhüllung) in seiner Anwendung auf das gesamte Bauwesen.»

Grundsätzlich kann gesagt werden, dass die Entwicklung des Stahlbetons schwerpunktmässig im Ingenieurbau als Ersatz für Stahl- und Holzkonstruktionen begann. Zu den wichtigen Systemen zählt das 1892 patentierten Sys-tem Hennebique, welches nach dem französischen Bauin-

Bad Ragaz: Das erste Thermal-Schwimmbad Europas von 1872 hat-

te ein Becken aus Stampfbeton. Foto Archiv Kant. Denkmalpflege.

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genieur François Hennebique (1842–1921) benannt ist. Es ist ein Eisenbetonbauweise-System, das konsequent die monolithische Bauidee einer unlöslichen Einheit aus De-ckenplatte und tragenden Längs- und Querrippen um-setzte. 1895 bewilligten verschiedene Baubehörden in der Schweiz, unter anderem jene von St.Gallen, das Henne-biquesystem. Daraufhin entstanden verschiedene Wohn- und Geschäftshäuser in dieser Konstruktionsweise. Stahl-beton wurde also zuerst als reine Tragkonstruktion eingesetzt, das Konstruktionsgerüst wurde noch verdeckt. Für die Fassaden fanden weiterhin Naturstein, Ziegel oder Putz Verwendung. Allein die gewagte Verteilung der Baumassen wies auf die neue Technik hin, der Beton blieb jedoch unsichtbar. Formale Fragen wurden klar vom In-genieurbau getrennt.

Baumaterial der ModerneSeit den 1920er-Jahren galt Stahlbeton als das moderne Baumaterial per se, besonders geeignet z. B. für den in-

dustrialisierten Massenwohnungsbau. Beton wurde in vielfältiger Weise eingesetzt, doch zumeist verschwanden die schalungsrauen Oberflächen unter Verputzen und An-strichen. Die klassische Moderne gilt heute noch immer als Architekturstil mit einer konsequenten Formenspra-che und moderner Schlichtheit.

«Beton Brut»Le Corbusier erfand den Beton neu, indem er seine Un-geschliffenheit und die Abdrücke der hölzernen Scha-lungen ästhetisierte, um eine architektonische Fläche von rauer Erhabenheit zu schaffen, die er mit den gealterten Oberflächen der antiken Tempel verglich. In seiner An-sprache zur Übergabe der «Unité» am 14. Oktober 1952 sagte er: «Der Bau der Unité von Marseille hat der neuen Architektur die Gewissheit gebracht, dass armierter Beton als Rohmaterial verwendet ebenso viel Schönheit besitzt wie Stein, Holz und Backstein. Diese Erfahrung ist äus-serst wichtig. Es erscheint nun mehr möglich, den Beton wie Stein in seinem Rohzustand zu zeigen. […] Auf dem rohen Beton sieht man die kleinsten Zufälligkeiten der Schalung: die Fugen der Bretter, die Holzfibern, die Astansätze usw. Nun gut, diese Dinge sind herrlich anzu-sehen. Sie sind interessant zu beobachten und bereichern die, die ein wenig Phantasie haben». Mit diesem Bau be-gann eine neue Ära des Sichtbetonbaus.1

Der rohe Beton, der «beton brut», wurde zum Marken-zeichen des «New brutalism» oder Brutalismus, eines Ar-chitekturstils mit Höhepunkt in den Jahren 1953–1967, dessen Schlüsselbegriffe Wahrheit, Objektivität, Ables-barkeit, Material- und Konstruktionsgerechtigkeit waren.

Joseph Monier 1863 mit Bretterschalung und Armierungsgitter für

seine Beton-Pflanzkübel. Aus: Hassler 2010, S. 89.

St.Gallen, Stickereigeschäftshaus Oceanic an der St.Leonhard-

strasse, 1904–1906 erbaut von Pfleghard & Häfeli, Aufnahme 1985.

Foto Bernhard Anderes, Rapperswil.

1 Institut für Steinkonservierung Bericht 17-2004, S. 15

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Die Materialstruktur wurde zum Stilelement. Die Nach-kriegsarchitektur war denn auch geprägt von Bauten in rohem, von der Schalung gezeichnetem Beton. Sichtbe-ton wurde nun als Gestaltungselement eingesetzt, aber auch aus finanziellen Gründen verwendet.

In der Schweiz war Walter Maria Förderer (1928–2006) ei-ner der wichtigsten Sichtbeton-Architekten: «Die meisten meiner Bauten sind in Sichtbeton ausgeführt worden. Für alle gibt es dafür mehrere Gründe: Felslandschaft, in die sich Beton natürlich einfügt, Hanggelände, in das am zu-verlässigsten mit Beton zu bauen ist, vorhandene Bebau-ung in der Umgebung, zu deren Materialdurcheinander Sichtbeton beruhigend neutral wirkt, und nicht zuletzt: für mich aktuelle Gestaltungsprobleme. Aber wo Beson-derheiten der Umgebung anderes Baumaterial verlangt haben, bin ich darauf eingegangen: zum Beispiel […] bei der Kirche in Lichtensteig, wo das nahe historische Städt-chen und die umliegende Landschaftsidylle nur wenig Be-ton erlauben. Zugegeben: Beton liegt mir nahe wegen sei-ner Rohbau-Ästhetik. […] Ich möchte meine Architektur – innen und aussen – möglichst als Ganzes mit dem Roh-bau gültig verwirklicht wissen [...].»2

ArchitekturbetonSeit den 1990er-Jahren wird der rohe Beton abgelöst und eine neue Form des Betons angewendet: Architekturbe-ton. Es werden höchste Anforderungen an den Beton ge-stellt. Sorgfältig geschalte Oberflächen aus reinen, unge-brauchten Schalungselementen und exakt platzierte Bindstellen führen zu einer perfekten und makellosen Oberfläche. Der Beton bleibt einfach nur schalungsglatt oder er wird eingefärbt, geschliffen, strukturiert, gewa-schen, gesäuert oder gestrahlt. Pure makellose Ästhetik ist das Ziel heutiger Architektur. Beton ist nicht nur salonfä-hig, sondern zum Inbegriff von Architektur und Design geworden. 2 Bächer Max: Förderer. Architektur – Skulptur, Neuenburg 1975, S. 72.

Beton und Denkmalpflege

Sind Betonbauten grundsätzlich schützens- und erhal-tenswert? – Kann auf eine Inventarisation derselben ver-zichtet werden? Dies natürlich ganz und gar nicht. Ob ein Bauwerk denkmalwürdig ist oder nicht, ist weder von dessen Baujahr noch von dessen Konstruktion oder Ma-terialisierung abhängig. Dennoch sind Beton- und insbe-sondere Sichtbetonbauten in den Bauinventaren stark un-tervertreten. Das hängt einerseits damit zusammen, dass viele ältere Bauinventare überhaupt nur Bauten bis etwa in die 1920er-Jahre enthalten. Andererseits besteht vieler-orts eine gewisse Hemmung, wenn nicht sogar Abnei-gung, Bauten der eigenen oder der letzten Generation als Kulturdenkmäler anzusprechen.

Unterwasser, Ferienhaus von Rudolf Olgiati im Luckentobel,

erbaut 1969. Foto Kant. Denkmalpflege.

St.Gallen, Pfarreiheim St.Georgen von Gähler Architekten/Binotto +

Gähler. Foto Gähler Architekten, St.Gallen.

Rapperswil, evang. Kirchgemeindehaus, erbaut 1963 von Oscar

Bitterli und dank einem neuen Inventar seit kurzem unter Schutz

gestellt. Foto: Kant. Denkmalpflege.

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Hier besteht ein dringender Handlungsbedarf. Es ist wichtig, die Inventare zu überarbeiten und auch die jün-geren Bauten bis mindestens in die 1970er-Jahre zu inven-tarisieren. Denn erst mit dem Erkennen des Denkmal-werts, der Einzigartigkeit und der Bedeutung eines Objekts in seiner Entstehungszeit wird ein Bauwerk als schützenswertes Kulturobjekt verstanden und akzeptiert. Für das teilweise in Verruf geratene und doch geniale und nicht mehr wegzudenkende Baumaterial Beton gilt es, Verständnis aufzubringen, seine Eigenheiten zu respektie-ren und die Vorteile hervorzuheben. Einen Beitrag dazu leisteten hoffentlich die letztjährigen Europäischen Tage des Denkmals, welche in der Schweiz dem Thema Stein und Beton gewidmet waren. Den interessierten Besuche-rinnen und Besuchern konnten auch wenig bekannte Be-tonbauten wie die ehemalige Traktorenfabrik Hürlimann (heute Larag) und das Getreidesilo in Wil sowie ein Fe- rienhaus in Unterwasser von Rudolf Olgiati näherge-bracht werden.

Im denkmalpflegerischen Umgang sind Betonbauten gleich zu behandeln wie beispielsweise ein Holzbau. Es gilt, die für den Bautyp oder die Bauepoche typischen Elemente und wertvollen Details zu erhalten und mög-lichst viel Originalsubstanz zu schützen. Nur so können Betonbauten durch einen sorgsamen, erhaltenden und angemessenen Umgang als Zeitzeugen unserer Nachwelt erhalten bleiben.

Wie nötig dies ist, illustriert das traurige Beispiel der 1912 in Betrieb genommenen Filterhalle des St.Galler Seewas-serwerks in Goldach. Das Gebäude von Robert Maillart bestand aus mehreren Becken, die halb ins Terrain einge-tieft waren, halb darüber hinausragten und als Schutz vor dem Frost mit Erde überdeckt waren. Die Hallendecke

wurde von pilzförmig ausfächernden Stützen getragen. Vor allem die geneigte Decke war eine aufsehenerregende Konstruktion. Dieses sogenannte Pilzdeckensystem liess Robert Maillart zuvor (1908) patentieren. 2010 wurde dieses Ingenieur-Kunstwerk von nationaler Bedeutung von der Stadt St.Gallen abgerissen. Seither gibt es von diesen Pilzdecken nur noch zwei Beispiele in der Schweiz, im eidgenössischen Getreidemagazin in Altdorf und in einem Lagerhaus in Zürich. Es darf nicht mehr passieren, dass ein international bekanntes und oft zitiertes Bauwerk abgebrochen wird, nur weil es von der Gemeinde nicht inventarisiert war.

Soviel zu historischen Betonbauten als Kulturobjekte. Nun gibt es aber auch neue Beton- und Sichtbeton-bauten, welche in einem historischen Kontext entstehen,

Goldach, Seewasserwerk, erbaut von Robert Maillart 1912, abge-

brochen 2010. Aus: Billington, David P.: Robert Maillart und die

Kunst des Stahlbetonbaus, Zürich/München 1990, S. 19.

Fläsch GR, Casascura: Altes Weinbauernhaus mit Ergänzungsbau

2007 von Kurt Hauenstein. Foto Kant. Denkmalpflege.

Begrünte Betonmauer bei der St.Leonhardsbrücke in St.Gallen.

Foto Kant. Denkmalpflege.

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sich also unmittelbar neben einem Schutzobjekt oder in einem geschützten Ortsbild befinden. In einem ge-schützten Ortsbild haben sich Neubauten grundsätzlich an den vorherrschenden ortsüblichen Materialen zu ori-entieren. Ist es möglich, dass sich ein Betonbau entspre-chend einfügen kann oder würde er als Fremdkörper eher störend wirken? Wird das historische Ortsbild beein-trächtigt? Es gibt durchaus Ortsbilder, in denen Beton-bauten sehr passend, ja sogar denkmalpflegerisch richtig sind, wie zum Beispiel in Fläsch (Kanton Graubünden) oder Azmoos. Aber in geschützten Ortsbildern mit dem vorherrschenden Baumaterial Holz ist das Material Beton nicht angebracht, da es fremd wirkt. Wenn dieses bei einem Sockel oder einer Stützmauer, wo Beton rein auf-grund seiner Vorteile das einzig richtige ist, trotzdem zur Anwendung kommt, ist das Bepflanzen von sichtbaren Betonflächen zum Beispiel mit einer Kletterrebe eine gute Möglichkeit, den Beton der natürlichen Umwelt anzu-gleichen.

Beton und Restaurierung

Beton altert oft nicht ohne Schäden und bedarf des Schutzes und des Unterhalts. Alle, die mit der Erhaltung älterer Betonbauten zu tun haben, kennen die Probleme: Verfärbungen, Schmutzablagerungen, Risse, Abplat-zungen, freigelegte Armierungen und Korrosion. Be-toninstandsetzung und -restaurierung ist eine grosse Herausforderung, und zwar nicht nur eine rein tech-nische. Die Anforderung an die Restaurierung der «anor-ganischen Architekturoberflächen», im Speziellen des Be-tons, ist ebenso anspruchsvoll wie abwechslungsreich, da auf unterschiedliche materialtechnologische Besonder-heiten Rücksicht genommen werden muss.

Eine Schadensursache beim Beton liegt oft darin, dass die Überdeckung der Betonstähle (Armierungseisen) nicht ausreichend dick oder von ungenügender Qualität ist. Dadurch beschleunigt sich die Carbonatisierung, eine chemische Reaktion, die in jedem Beton bei Anwesenheit von Kohlendioxid und Feuchtigkeit stattfindet. Dabei sinkt der pH-Wert im Beton und die Oxidschicht um den Betonstahl wird aufgelöst. Dadurch kann die Stahlober-fläche bei ausreichender Feuchte korrodieren, was als Fol-ge der Volumenzunahme Abplatzungen verursacht. Eine zu geringe Stahlüberdeckung bei historischen Beton-bauten entspricht meist nicht mehr den heutigen Anfor-derungen des Brandschutzes. Ausserdem sind wegen der geringen Zugfestigkeit von Beton in Stahlbetonkonstruk-tionen oft konstruktive Risse zu erwarten.

Bei einer Restaurierung gelten für Betonbauten die glei-chen denkmalpflegerischen und restauratorischen Prin-zipien wie für andere Materialien und Konstruktionswei-

sen. Es gilt insbesondere, dem Anspruch auf die Erhaltung von möglichst viel Originalsubstanz und historischer Oberfläche gerecht zu werden. Im Vordergrund steht Er-haltung, nicht Ersatz.

Wird zum Beispiel bereits durch eine blosse Reinigung des Betons die Patina zerstört? Was ist eigentlich Patina? Sind das Gebrauchsspuren, Alterungsmerkmale oder ist es schlicht und einfach nur Schmutz? Wird rein nur der Schmutz entfernt, bleibt die historische Oberfläche erhal-ten und die Spuren der Vergangenheit bleiben sichtbar. Das Sichtbarlassen von Altersspuren und Reparaturstellen kann jedoch dazu frühen, dass der optische Gesamtein-druck nach der Restaurierung gestört ist. Durch die Be-handlung des Betons mit einem Oberflächenschutzsystem könnte dieses Problem behoben werden. Leider führt dies aber auch unweigerlich zum Verlust der Originaloberflä-che, weshalb aus Sicht der Denkmalpflege wenn möglich auf eine solche Massnahme verzichtet werden sollte.

Wie viel Restaurierung oder Rekonstruktion benötigt resp. verträgt ein Bauwerk? Wie «schön» und wie «neu» soll beziehungsweise darf ein gealtertes Kunst- oder Bau-werk nach einer Restaurierung aussehen? Die Art der Res-taurierung oder der Instandsetzungsmethode ist immer vom jeweiligen Bauwerk abhängig und kann nicht gene-ralisiert werden. Ob eine punktuelle Restaurierung aus-reicht oder sogar ein Ersatz des Bauteils notwendig wird, muss individuell und unter Beizug von Fachleuten wie Bauingenieuren und Restauratoren mit Spezialgebiet Be-ton geprüft werden.

Die Vorgehensweise einer Betonrestaurierung erfolgt grundsätzlich gleich wie bei anderen Restaurierungen nach den drei wesentlichen Punkten: Anamnese, Diagno-se, Therapie. In erster Linie geht es um das Verhindern von weiteren Schäden, dann folgt die Schadensbehebung und schliesslich die Frage, wie das Gebäude nach der Res-taurierung aussehen soll.

Bei der Anamnese geht es darum festzustellen, um welche Konstruktionsweise es sich handelt. Gibt es Hinweise auf das ursprüngliche Erscheinungsbild des Objektes? Sind frühere Reparaturen, Ergänzungen, Massnahmen oder Umbauten am Objekt festzustellen?

Die Diagnose besteht aus einer detaillierten Schadenser-kennung. Welche Schäden liegen am Bauwerk vor und weshalb ist es soweit gekommen? Zum Beispiel kann die Carbonatisierungstiefe von Beton mit Hilfe von Phe- nolphtalein ermittelt werden, sofern keine Hydrophobie-rung vorhanden ist. Das Lokalisieren von Armierungs-eisen und die Messung der Dicke von Betonüberdeckungen können mit elektronischen Metall- und Armierungssuch-geräten bestimmt werden.

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Von den vielen Varianten der Therapie seien hier nur ei-nige Möglichkeiten aufgeführt. Bei der Verwendung von Reparaturmörtel ist zu beachten, dass dieser die gleiche Zusammensetzung wie Originalbeton aufweisen muss. Reprofilierung, Aufmörtelungen von Fehlstellen und Rissinjektionen sind weitere Massnahmen der Instandset-zung des Betons. Mit einem Nachahmen der Brettscha-lung durch Kellenschnitte oder von Holzstruktur mit Bürstenstrichen können Flickstellen dem Bestand ange-glichen werden. Eventuell ist eine farbliche Anpassung der Flickstellen zur historischen Oberfläche notwendig. Bei Fertigelementen ist unter Umständen ein Ersatz eines Elementes die bessere Lösung als eine punktuelle Restau-rierung. Folgende Oberflächenschutzsysteme sind han-delsüblich: Hydrophobierung, Imprägnierung (Versiege-lung), Beschichtung, mineralische Beschichtung, An- striche. Die Hydrophobierung schützt den Beton, z. B. an Stellen mit Rissen, und auch die frisch aufgetragenen Re-profilierungen vor eindringendem Wasser und verhindert damit das Entstehen von Frostschäden. Die aufgetragene Hydrophobierung ist farblos. Da die meisten dieser Pro-dukte erst in den vergangenen 10 bis 15 Jahren entwickelt worden sind, kann über das Langzeitverhalten derselben noch wenig gesagt werden. Solche Produkte sind insbe-sondere bei Schutzobjekten mit Vorsicht und nach Rück-sprache mit dem Spezialisten und der Denkmalpflege an-zuwenden.

Beton benötigt Pflege und Unterhalt wie andere Mate- rialien auch. Nur so ist es möglich, unsere Betonbauten auch für nachfolgende Generationen zu erhalten.

Untersuchung und Restaurierung von Betonwerken

Drei Beispiele von Betonbauten aus verschiedenen Bau-epochen zeigen unterschiedliche Problematiken und Vor-

gehensweisen auf, die in der Praxis der Denkmalpflege an-getroffen werden können. Niederhelfenschwil, Zuckenriet:Betonbrunnen des 19. JahrhundertsZuckenriet besitzt zwei frühe Betonbrunnen, datiert 1882 und 1887. Sie gehören zur ersten Generation von Gefäs-sen aus «modernem» Beton, wie wir ihn heute in verbes-serter Form kennen, und stellen ein kaum beachtetes Kul-turgut dar. Beide Brunnen weisen typische Betonschäden auf: Risse, hohle Stellen, lose und mürbe Bereiche, Ab-platzungen und Fehlstellen sowie Aussinterungen. Zu-dem sind beide Brunnen undicht. Der Gemeinde Nieder-helfenschwil ist es ein Anliegen, diese beiden Zeitzeugen zu erhalten und weiterhin als Brunnen nutzen zu können. Sie hat vorbildlich gehandelt und die Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege und mit einem Spezialisten ge-sucht. Im Vordergrund steht für die Bauherrschaft natür-lich die Gebrauchsfähigkeit, für den Steinrestaurator Tobias Hotz hingegen der bestmögliche Erhalt der histo-rischen Substanz. Als erstes werden die beiden Objekte mit Wasserdruck gereinigt. Mürbe und zerrissene Be-reiche werden selektiv abgelöst und ausgehauen, Risse wo nötig aufgefräst. Nach dem Einbringen von Rissinjekti-onen werden diese oberflächlich verkittet. Kleinere Fehl-stellen werden aufgemörtelt, grössere in einer Schalung anbetoniert. Zum Schluss wird die Beckeninnenseite mit einem vergüteten, wasserundurchlässigen Mörtel be-schichtet. Mit dieser sorgfältigen und aufwendigen Vor-gehensweise können diese Brunnen erhalten werden. Die

Niederhelfenschwil, Zuckenriet, früher Betonbrunnen von 1882,

Tobias Hotz bei der Restaurierung. Foto Ernst Inauen, infowil plus,

Zuckenriet.

Uzwil, Henau, Thurbrücke von Robert Maillart 1933. Aus: Billing-

ton, David P.: Robert Maillart und die Kunst des Stahlbetonbaus,

Zürich/München 1990, S. 19.

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Arbeiten am Brunnen von 1882 werden voraussichtlich im Jahr 2013 beendet sein. Die Sanierung des zweiten Brun-nens wurde noch nicht in Auftrag gegeben.

Uzwil, Henau: Thurbrücke Felsegg 1933–1934Bei der Thurbrücke Felsegg baute Robert Maillart zum er-sten Mal Kastengewölbe mit dem statisch konsequenten Spitzbogen. Eindrücklich ist der spannungsvolle Gegen-satz der massigen Hauptöffnungskonstruktion mit den dünnen Tragwänden und Querrahmen der Nebenöff-nungen. Gestalterisch zeigt die Brücke zudem eine kon-struktive Eleganz und eine schlichte Materialtreue. Als Vorbereitung zur Sanierung der Brücke wurden eine Bau-werksüberprüfung und ein Massnahmenkonzept durch einen ausgewiesenen Statiker erstellt. Die Hauptproble-matik der Brücke liegt darin, dass sie den heutigen Anfor-derungen einer Kantonsstrasse genügen und die entspre-chenden Lasten aufnehmen muss. Zudem weist der Bogen einige Deformationen und Abplatzungen auf. Letzteres führte dazu, dass bereits einige Bewehrungseisen rosten. Vorsorglich wurde 2003 eine Einengung der Fahr-bahn vorgenommen, die jedoch im Zuge der Sanierung wieder rückgängig gemacht werden soll. Der gesamte Fahrbahnaufbau (Beläge, Abdichtung, Entwässerung, Randabschlüsse, Fugen) hat seine Restnutzungsdauer er-reicht und muss ersetzt werden. Eine ehemals zum Schutz des Bauwerks angebrachte gummiartige Beschichtung von 1986/1987 muss wieder entfernt werden. Bauwerk-schäden werden dort, wo die Tragsicherheit noch gegeben ist, durch Reprofilierung instand gesetzt. Die massiv zu geringe Tragfähigkeit der Gehwegkonsolen kann nur durch deren Totalersatz auf der ganzen Brückenlänge be-hoben werden. Wegen teils massiven Schädigungen des Plattenbalkens ist ebenfalls ein Totalersatz der Brücken-platte und des Plattenbalkens notwendig. Die Arbeiten werden 2013 in Angriff genommen.

Lichtensteig: Katholische Kirche St.Gallus 1968–1970Die katholische Kirche Lichtensteig, ein Kunstwerk in Sichtbeton des Architekten Walter Maria Förderer, wurde 2011 nach rund 40 Jahren instand gesetzt. Die Instandset-zungsarbeiten umfassten den Abtrag von Patina und Ver-unreinigungen mit Trockeneis und den lokalen Betoner-satz im Bereich von sichtbar aufgelockertem oder abgeplatztem Beton. Zusätzlich wurden die horizontalen Oberflächen, wo keine Blechabdeckungen vorhanden wa-ren, mit Flüssigkunststoff abgedichtet. Als letzter Arbeits-schritt wurde eine flächendeckende Hydrophobierung appliziert. Die aufgetragene Hydrophobierung ist farblos und im trockenen Zustand nicht sichtbar. Bei Regen saugt der Beton kein Wasser auf. Die Hydrophobierung wurde im Vorfeld kontrovers diskutiert. Nachdem der Be-ton auch nach über 40 Jahren noch in sehr gutem Zu-stand war und lediglich an vereinzelten Stellen repariert werden musste, vertrat die Denkmalpflege die Ansicht,

Lichtensteig, kath. Kirche St.Gallus, erbaut 1969/1970 von Walter

Maria Förderer, Aufnahme nach der Restaurierung 2011.

Foto: Kant. Denkmalpflege.

dass diese Stellen als lokale Qualitätsmängel zu betrach-ten seien, die Gesamtheit des Betons sei aber von tadel-loser Qualität. Unter diesem Gesichtspunkt befürchtete die Denkmalpflege, mit allfälligen Zutaten wie Hydro-phobierung etc. nur unnötige Risiken einzugehen. Der Unternehmer wehrte sich vehement gegen diese Befürch-tungen. Der Fachexperte teilte zwar die Meinung der Denkmalpflege, war aber letztlich nicht bereit, die Ver-antwortung für einen Verzicht auf die Hydrophobierung zu übernehmen.

Betonbauten und ihre Architekten

Eine Auswahl von wegweisenden Betonbauten im Kan-ton St.Gallen:

1903–1904 Oberbüren, Billwilerbrücke: Robert Maillart (1872–1940)

1908 St.Gallenkappel, Brücke über das Ranzachto-bel: Bauunternehmung Locher und Cie AG (1830–1998)

1911–1913 St.Gallen, Hauptbahnhof: Richard Kuder (1852–1912)/Alexander von Senger (1880–1968)

1931 Lichtensteig, Blockfabrik: Fritz Engler

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1933 Uzwil, Thurbrücke Felsegg: Robert Maillart (1872–1940)

1939 Wil, Traktorenfabrik Hürlimann: Paul Tru-niger (1878–1946)

1955 Gossau, Gummibandweberei: Heinrich Danz- eisen (geb. 1919)/Hans Voser (1919–1992)

1958–1959 St.Gallen, Bruder Klaus-Kirche Winkeln: Er-nest Brantschen (1922–1994), unter Mitarbeit von Alfons Weisser (geb. 1931)

1963 St.Gallen, Hochschule: Walter Maria Förderer (1928–2006)/Rolf Georg Otto (1924–2003)/Hans Zwimpfer (geb. 1930)

1964–1965 Buchs, kath. Kirche Herz Jesu: Justus Dahin-den (geb. 1925)

1968 St.Gallen, Stadttheater: Claude Paillard (1923– 2004)

1968–1970 Lichtensteig, kath. Kirche St.Gallus: Walter Maria Förderer (1928–2006)

1969 Unterwasser, Ferienhaus: Rudolf Olgiatti (1910–1995)

1970 Wattwil, Kantonsschule: Otto Glaus (1914– 1996)/Heribert Stadlin (1926–2012)

Literaturverzeichnis

– Birkner, Othmar: Bauen und Wohnen in der Schweiz 1850–1920, Zürich 1975.

– Lamprecht, Heinz-Otto: Opus Caementitium. Bau-technik der Römer, Düsseldorf 1996.

– Rüegg, Arthur (Hrsg.): Die Unschuld des Betons. Wege zu einer materialspezifischen Architektur, Zürich 2004.

– Beton in der Denkmalpflege, Institut für Steinkonser-vierung Bericht 17, 2004.

– Denk-mal an Beton! Material Technologie Denkmal-pflege Restaurierung, Berichte zu Forschung und Praxis der Denkmalpflege in Deutschland 16, Petersberg 2008.

– Kulturerbe Beton, Kunst + Architektur in der Schweiz 60, 2009, Heft 4.

– Hassler, Uta (Hrsg.): Was der Architekt vom Stahlbeton wissen sollte. Ein Leitfaden für Denkmalpfleger und Architekten, Zürich 2010.

– Beton und Denkmalpflege, Metamorphose Bauen im Bestand, Spezialheft 2011.

Lichtensteig, Blockfabrik, erbaut 1931 von Fritz Engler.

Foto Kant. Denkmalpflege.

Gossau, ehem. Gummibandweberei von Danzeisen & Voser 1955.

Foto Claudia Dermond.

Wattwil, Kantonsschule von Otto Glaus 1969–1970.

Foto Kant. Denkmalpflege.

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Im seinem zweiten regulären Jahr führte der KHV die Aufbauarbeit weiter. Der Vorstand traf sich zu sechs Sit-zungen. In diesen Sitzungen – und in der Zeit dazwischen – konnte er einiges entwickeln, beschliessen und realisie-ren. Er sucht aber noch immer weitere ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Arbeit gäbe es mehr als genug.

Am 8. Mai fand die zweite Hauptversammlung statt. Sie stand ganz im Zeichen des regionalen Gedankens, den der KHV schon in seinem Namen trägt. Ort war das Restau-rant Schäfli in Goldach, Thema des anschliessenden öf-fentlichen Vortrags die «Archäologie am See – von Stein-ach bis Staad». Das Publikumsinteresse war leider mässig. Gelohnt hat sich der Anlass trotzdem. Regula Steinhau-ser-Zimmermann, wissenschaftliche Mitarbeiterin der St.Galler Kantonsarchäologie, bot interessante, lebendige Einblicke in ein Thema, das bei uns noch immer zu we-nig Beachtung findet. «Die Region am See ist aus Sicht der Kantonsarchäologie ein spannendes Gebiet», meinte sie zusammenfassend. Für die vielen Grabungen und Bauüberwachungen im gesamten Kanton seien die perso-nellen Ressourcen aber knapp. Ein Beispiel aus Rorscha-cherberg: Im Bereich Obere Burg oberhalb der Autobahn wurde bereits 1938 gegraben. 2004 fanden Archäologen an dieser Stelle römische Münzen. Sie könnten darauf hin-weisen, dass hier einst die Strasse nach Arbon durchführte und am Wegrand ein römischer Gasthof gestanden hat. Ein auf den Münzen abgebildetes Krokodil weist auf die Zeit hin, als Ägypten zur Provinz Roms wurde. Da wür-de es sich lohnen, weiterzugraben. Das zweite «Dingfest» folgte am 27. April im Rorschacher Café Schnell, das dritte am 2. November. Fünf bzw. vier Personen stellten jeweils ein Objekt vor, das einen Bezug zur Region hat und mit interessanten Geschichten ver-bunden ist. Die Abende mit Rorschacher Sachgeschichten stiessen wieder auf viel Interesse, waren spannend und le-bendig. Es zeigten sich aber auch Probleme, insbesonde-re die Gefahr des Aus- und Abschweifens, der gleich eini-ge Erzählerinnen und Erzähler erlagen. Die Grundidee des ‹Dingfestes› wird damit verwässert. Anderseits sollen die Erzählerinnen und Erzähler auch nicht in ein starres

Kulturhistorischer Verein derRegion Rorschach

Jahresbericht 2012

Korsett gezwängt werden. In Zukunft sind aber zwei, drei klare Vorgaben zu machen. Näheres zum «Dingfest» fin-det sich unter www.dingfest.ch.

Weitergearbeitet wurde an der Aktualisierung des Ror-schacher Stadtmodells im Kornhaus und an www.rorscha-chergeschichten.ch. Bei der Website zeigt sich, dass der KHV als Anlaufstelle für Fragen aus der Vergangenheit der Region Rorschach wahrgenommen wird, obwohl die Webseite erst seit kurzem online ist und keine grosse An-strengungen zu ihrer Verbreitung unternommen wurden. Die Herausforderung wird sein, die Inhalte der Site in den nächsten Jahren auszubauen, aktuell zu bleiben und Anfragen von Dritten zur Region Rorschach zügig und fundiert zu beantworten – betreffe dies allgemeine Aus-künfte, Quellentexte oder Bildmaterial zur Region.

Bei der medialen «Aufrüstung» des Stadtmodells enga-giert sich der KHV vor allem finanziell. Das Modell zeigt den Markflecken Rorschach kurz vor 1800 und ist – wie vergleichbare Modelle in anderen Museen – ein High-light. Die Besucher stehen in der Regel sehr beeindruckt vor diesem «fürstäbtischen Rorschach», das im heutigen Stadtbild vielfach nur noch erahnbar ist. Das Modell ist in die Jahre gekommen. Mit der medialen «Aufrüstung»soll es näher an die Gegenwart gebracht werden.

Peter Müller, Vorstandsmitglied

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Nach mehrjährigen Vorarbeiten lag 2011 das Investitions- und Betriebskonzept für die Prestegg als ein regional und überregional ausstrahlendes Haus für Geschichte und Kul-tur vor. Am 12. Dezember anerkannte der Stadtrat von Alt-stätten als Vertreter der Standortgemeinde und wichtigster Geldgeber die Konzeptarbeit und beurteilte die «aufge-zeigte Perspektive als erstrebenswert für die Stadt Altstät-ten, sowohl aus kultur- als auch aus bildungspolitischen Gründen». Wegen anderen grossen baulichen Vorhaben sprach er sich allerdings für eine Übergangslösung von drei bis vier Jahren vor der Umsetzung des Konzepts aus. In die-ser Zeit soll mittels «moderner, modulartiger Sonderaus-stellungen» das Museum «so gut positioniert» werden, dass eine «reelle Chance auf einen Abstimmungserfolg» besteht. So dominierte dann die erste Sonderausstellung in diesem Rahmen die Museumstätigkeiten des Jahres 2012. Die Pro-jektleitung und den Grossteil der Textarbeit durfte der Schreibende übernehmen. Er konnte dabei auf die enga-gierte Mitwirkung der langjährigen Museumsberater Winkler & Rath, des Ausstellungsgestalters Johannes Stie-ger, der Grafiker Carol Pfenninger und Michael Schoch so-wie des Präsidenten und Custos Thomas Stadler zählen. In-nerhalb der kurzen Zeit von rund zweieinhalb Monaten war die Ausstellung mit Begleitprogramm zu konzeptionie-ren und zu realisieren. Die Sonderausstellung sollte den ersten Schritt in eine neue Ära durch Inhalt und Gestaltung verdeutlichen. In Form von 22 Interventionen wurden verschiedene Trouvaillen der bestehenden Dauerausstellung ins Zentrum gestellt. Ungewohnte Gegenüberstellungen und vertiefende Texte in einer Ausstellungsbroschüre eröffneten neue Sehweisen. Ein Informationsraum verwies auf die Vergangenheit und die Zukunft des Museums, nämlich einerseits auf die An-fangszeit der einzigartigen Sammlung mit der Gründung der «Historisch-Antiquarischen Gesellschaft» im Jahr 1895 und dem dafür wichtigen Festspiel über die Schlacht am Stoss, andererseits auf Visionen für das zukünftige Schloss Prestegg. Der Ausstellungstitel «Direkte Aussicht auf das Schlachtfeld: Neue Blicke auf alte Schätze» nahm – bewusst irritierend – Bezug zur Museumsgeschichte und -zukunft. Gestalterisch wurden die ausgewählten Gegenstände durch Taschenlampen auf eigens kreierten Holzgerüsten «in ein neues Licht» gestellt. Diese Lösung symbolisierte gleichzei-tig den «Baustellencharakter» des Museums.

Am 22. September konnte die Sonderausstellung eröffnet werden. Das Begleitprogramm umfasste eine Einführung für Lehrpersonen, Kinderführungen mit der bekannten Er-zählerin Claudia Rohrhirs, öffentliche Sonntagmorgenfüh-rungen und schliesslich – in Bezugnahme auf den ausge-stellten Bären – einen spannenden Vortrag von Tony Bürgin über das Bärenleben früher und heute. Vor allem die Kin-derführungen mit Claudia Rohrhirs stiessen auf ein über-wältigendes Echo. Zahlreiche positive Reaktionen belegen, dass die Sonderausstellung als Erfolg gewertet werden darf und die Neuausrichtung einem Bedürfnis entspricht. Die Planung und Realisation mit einem initiativen und kom-petenten Team machte viel Freude. Bei der Umsetzung des Begleitprogramms leistete vor allem auch das Vorstands-mitglied Kathrin Dellai-Schöbi einen grossen Einsatz.Zu den weiteren Höhepunkten des Museumsjahrs gehörte der Vortrag von Prof. Dr. Max Schär über Gallus im An-schluss an die Mitgliederversammlung vom 24. Mai 2012. Dieser lockte eine überdurchschnittlich grosse Zuhörer-schaft an und führte zu intensiven Diskussionen mit dem Referenten. Beliebt waren auch die öffentlichen Stadtfüh-rungen. Dazu kamen Veranstaltungen im Dienste der Stadt wie der Neujahrsapéro und die Neuzuzügerbegrüssung so-wie zahlreiche Gruppenführungen im Museum. Zu wich-tigen Themen der Vorstandssitzungen gehörten die Be-schaffung von Lagerraum und die Bestimmung der Gegenstände für den geplanten Kulturgüterschutzraum im neuen Rathaus.

Gebannt lauschen Kinder der begnadeten Erzählerin Claudia Rohr-

hirs. Auf der Suche nach einem Schatz begegnen sie dem Galante-

riedegen des reichen Textilhändlers, Aufklärers und Politikers Jakob

Laurenz Custer. Der Degen gehört zu den Trouvaillen, die an der

Sonderausstellung in ein neues Licht gestellt wurden.

Museums-Gesellschaft AltstättenJahresbericht 2012

Werner Kuster, Vorstandsmitglied

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Auch 2012 blieb das Hauptthema des Vereins für die Ge-schichte des Rheintals die Arbeit für die Grossprojekte «Rechtsquellen und Geschichte des Rheintals». Bezüg-lich Archivrecherchen konnten verschiedene Nacharbei-ten erledigt werden. So wurde im Zusammenhang mit der Suche nach einer Urkunde für einen Zeitschriftenar-tikel das Staatsarchiv des Kantons Graubünden in Chur besucht. Dort lagern zahlreiche Urkunden und Akten-stücke, die über den Besitz von reichen Bündnern im Rheintal Auskunft geben; zu diesen gehörten Peter und Rudolf von Salis, die 1782 als Grossgläubiger den Hof Widnau-Haslach kauften. Zudem konnte nach Ab-schluss der vorbildhaften Gemeindearchivreorganisation in Berneck der wertvolle und umfangreiche Urkunden- und Bücherbestand definitiv in die Datenbank über-nommen werden. Ebenso wurde das – wegen einer Reor-ganisation zurückgestellte – evangelische Kirchgemein- dearchiv in Thal gesichtet und ausgewertet. Wie andere Archive in Thal ist es sehr reichhaltig und umfasst weit über hundert Urkunden und wichtige Akten sowie einen grossen Bücherbestand vor 1800. Leider fehlen trotz der Reorganisation Regesten und genaue Datierungen für den Urkundenbestand.

Schliesslich enthielt die Datenbank Ende 2012 insgesamt 9 897 Regesten von Urkunden, Akten und Büchern, dazu die bereits bis 1997 aufgenommenen und inzwischen auf 6 413 Nummern ergänzten Einträge für Altstätten. In den Bildordnern waren 23 003 Digitalfotografien von Doku-menten gespeichert.

Nach dem Abschluss der wesentlichen Archivrecherchen war die Zeit reif für das Stückverzeichnis. Damit ist die Liste der Dokumente gemeint, die in der Rechtsquelle-nedition transkribiert werden. Die Aufgabe bestand da-rin, aus den Tausenden von Datenbankeinträgen in den Bereichen Herrschafts-, Sozial-, Wirtschafts- und Men-talitätsgeschichte die wichtigsten Rechtsdokumente aus-zuwählen, nach rheintaltypischen Erscheinungen zu ge-wichten und vor allem auch Neuentdeckungen zu berücksichtigen. Dabei waren die provisorischen Quel-lenbewertungen bei den Datenbankeinträgen und die Recherchen für die Öffentlichkeitsarbeiten eine grosse Hilfe.

Schliesslich resultierte eine Liste von rund 550 wichtigen Haupt- und Nebenstücken. Diese Liste wurde der wis-senschaftlichen und administrativen Leiterin der Rechts-quellenedition, Pascale Sutter, zur Prüfung übergeben. Zusätzlich übernahmen dankenswerterweise Lorenz Hollenstein, ehemaliger Stiftsarchivar in St.Gallen, sowie Markus Kaiser, ehemaliger Archivar im Staatsarchiv St.Gallen, eine Sichtung und – erwartungsgemäss – kom-petente Kritik der Quellenauswahl. Nach der Einarbei-

Verein für die Geschichte des RheintalsJahresbericht 2012

Werner Kuster, Vorstandsmitglied

Das vorbildhaft restaurierte Protokoll des Hofgerichts Bernang

von 1674–1706 ist ein Beispiel für das historische Engagement des

Gemeindepräsidenten Jakob Schegg. Aussen finden sich Aufzeich-

nungen liturgischer Gesänge, die für den Einband «wiederverwer-

tet» wurden. Im Innern verbergen sich – neben den Aufzeich-

nungen der Gerichtsfälle – ausführliche Formvorschriften für das

niedere Gericht in Berneck. Sie werden Eingang in die Rechts-

quellenedition finden.

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tung ihrer Anregungen steht nun ein Stückverzeichnis zur Verfügung, das zu einem grossen Teil als definitive Grundlage für die noch ausstehenden, gezielten Besuche in auswärtigen Archiven und die noch zirka zweijährige Transkriptionsphase dient.

Vor allem seit Mitte 2012 wurden die bereits bestehen-den, rund 100 Buchseiten Transkriptionen durch weitere ergänzt. Dabei erfolgte die Auswahl noch zur Hauptsa-che im Hinblick auf die Öffentlichkeitsarbeiten; in Zu-kunft wird die Chronologie das Hauptkriterium bilden. Zur Öffentlichkeitsarbeit gehörten ein Vortrag an der Ortsbürgerversammlung in Rebstein am 30. März 2012 (über Rechtsquellenfunde im Ortsgemeindearchiv), die Fortsetzung der Zeitungsserie über Quellenfunde in Ortsgemeinde-, Kirchgemeinde- und Pfarrarchiven, ein Werkstattbericht im Jahrbuch «Unser Rheintal» und ein Artikel über das Verspruchsrecht in der Publikationsrei-he «Itinera» der Schweizerischen Gesellschaft für Ge-schichte. Und nicht zuletzt ist auch der Bericht über das Rechtsquellenprojekt Rheintal in diesem Neujahrsblatt ein Teil der Öffentlichkeitsarbeit.

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Werdenberger Jahrbuch

Aus Anlass des 25-jährigen Jubiläums des Werdenberger Jahrbuchs fanden sich am 19. Januar 2012 die Mache-rinnen und Macher des Buches – Redaktoren, Lektoren, langjährige Autoren und Vertreter des Verlags und der HHVW – im Staatskeller in St.Gallen ein, wo sie von Re-gierungsrätin Kathrin Hilber zur traditionellen Bratwurst geladen waren. In würdigem Rahmen fand ihr langjäh-riges Engagement von Kantonsseite Anerkennung. Eben-falls vertreten war die Kulturverantwortliche des Kan-tons, Katrin Meier. Bei einem Glas Wein fanden angeregte Gespräche zu Jahrbuch und Kultur in der Region Wer-denberg statt.

Das 26. Werdenberger Jahrbuch konnte am 7. Dezember 2012 in der Alten Mühle in Gams präsentiert werden. Der «sagenhafte» aktuelle Band stellt die umfassendste Samm-

Historisch-heimatkundliche VereinigungWerdenberg

Jahresbericht 2012

lung von Volkserzählungen aus dem Werdenberg dar. Sämtliche Beiträge zum Hauptthema wurden von einem einzigen Autor verfasst. Hansjakob Gabathuler hat mit seiner «Affinität fürs Faunisch-Mystische» über fünfzehn Jahre 351 Sagen zusammengetragen, thematisch geordnet und mit fundierten Hintergrundinformationen versehen. Er hat ein einzigartiges Werk zur «Bewahrung von gei-stigem Kulturgut» für die Region Werdenberg geschaffen. Constanza Filli Villiger gelingt es, die fantastischen Ge-schichten mit ihren kapitelgliedernden Aquarellen in de-tailreiche, stimmungsvolle Bilder zu fassen. Das Buch wartet mit weiteren interessanten Beiträgen zu verschie-densten Themen auf. So ist ein Überblick zum Lebens-werk des Werdenberger Künstlers Leo Grässli zu finden. Ausserdem wird die Bedeutung des Privatarchivs Hilty für die Rechtsquellenforschung dargestellt. Ebenfalls im Band zu finden ist eine Dokumentation zur Wiederher-stellung der alten Schollbergstrasse.

Messerschmiede am Farbbach

Nachdem am Grabser Mühlbach das Fundament sowie der neue Kanal gebaut worden waren, wurde die Messer-schmiede in Buchs für den Transport vorbereitet. Am 21. Dezember 2011 war es soweit: Das Gebäude wurde von Buchs nach Grabs versetzt. Anfang Juli 2012 hatte der Schindeler seine Arbeit fertiggestellt, und so konnten am 11. und 12. Juli Wasser- und Kammrad montiert werden. Trotz anfänglicher technischer Probleme bei der Nieder-druckturbine sind die Arbeiten bis jetzt schneller als gep-lant vorangegangen. Dank finanzieller Unterstützung von verschiedenen öffentlichen und privaten Institutionen ist das Projekt finanziell abgesichert.

Schloss Werdenberg

Am 9. März 2012 wurde in der Aula Flös in Buchs der Verein «Freunde Schloss Werdenberg» gegründet. Am 10. März fand eine Fachtagung zur Zukunft des Museums «Schloss und Burgstädtchen Werdenberg» unter Mitwir-kung von Mitgliedern der HHVW statt. In drei Gruppen – Grafenzeit, Zeit der Glarner Landvögte und Zeit Wer-denbergs im jungen Kanton St.Gallen – erarbeiteten die Teilnehmenden in zum Teil lebhaften Diskussionen Ver-mittlungsinhalte. Vor allem hinsichtlich der «Grafenzeit» ist es aber noch nötig, Wissenslücken zu füllen. Auch in

Dr. Sigrid Hodel-Hoenes, Präsidentinbis 26. April 2012

Susanne Keller-Giger, Präsidentinab 26. April 2012

Illustratorin Constanza Filli Villiger und Hauptautor Hansjakob

Gabathuler mit dem WJB 2013.

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den anderen Bereichen gibt es noch viel zu tun. In das Museumskonzept auf dem Schloss soll auch das Schlan-genhaus miteinbezogen werden, sodass zwei einander zu-gewandte Ausstellungen entstehen werden.

Es ist sehr zu begrüssen, dass den Anliegen (nicht nur) der Geschichtsgruppe (MuG) Rechnung getragen wird und die historische Bedeutung von Schloss und Städtli mit Schlangenhaus entsprechend gewürdigt wird.

Mitgliederversammlung

Die Mitgliederversammlung der HHVW fand am 26. April 2012 im Dreikönigssaal in Sevelen statt. Nach der Begrüssung durch den Seveler Gemeindepräsidenten Roland Ledergerber wurden die statuarischen Traktanden diskussionslos in kurzer Zeit erledigt.

In diesem Jahr standen auch Wahlen an. Der Kassier Her-mann Schol trat aus dem Vorstand zurück, nimmt aber weiterhin die Aufgaben des Kassiers wahr. Als Nachfolge-rin der zurücktretenden Präsidentin Sigrid Hodel-Hoenes stellte sich Susanne Keller-Giger zur Verfügung. Sie wur-de einstimmig gewählt.

Mit warmen Dankesworten und einem schönen Erinne-rungspräsent wurden die beiden zurückgetretenen Vor-standsmitglieder verabschiedet. Die weiteren Vorstands-mitglieder – Michael Berger, Annemarie Engler, Judith Kessler, Reto Neurauter, Maja Suenderhauf, Roger Urfer – stellten sich zur Wiederwahl und wurden per acclama-tionem in globo in ihrem Amt bestätigt.

Im Anschluss an die Versammlung entführte uns Hans-jakob Gabathuler zur Bewirtschaftungsgeschichte und Sage der Alp Palfris in die heimische Bergwelt. Zu diesem informativen, lebendig vorgetragenen Referat konnten auch etliche Nichtmitglieder begrüsst werden.

Vorträge und Exkursionen

Medizin im Werdenberg. Als Referenz an das im kommen-den Jahr zu feiernde Jubiläum des Ärztevereins Werden-berg-Sargans erläuterte Dr. Markus Gassner aus Grabs in seinem Vortrag vom 2. Februar 2012 den zahlreichen Zu-hörerinnen und Zuhörern die medizinische Entwicklung während der letzten zweihundert Jahre. Anschaulich un-terstützen die von ihm mitgebrachten medizinischen Instrumente seine Worte. Die von ihm gezeigten Statis-tiken belegten die aus heutiger Sicht grosse Fragwürdig-keit etlicher Behandlungsmethoden: Alles in allem ein spannender, aufschlussreicher Einblick in vergangene Zeiten.

Flucht vor dem Rassenwahn. Am 23. August 2012 konnten wir zahlreiche Interessierte zum ersten Vortrag im neuen Vereinsjahr begrüssen. Der Autor des in diesem Jahr er-schienen Buches «Unerhörter Mut» fesselte die Zuhörer mit seinen akribisch recherchierten Ausführungen zur tragischen Geschichte der beiden jungen Liebenden Heinrich Heinen und Edith Meyer in Nazideutschland. Die Flucht der beiden scheiterte kurz vor ihrem Übertritt über die Schweizergrenze in die Freiheit.

Gallus – Legende, Kult und Kitsch. Der Vereinsausflug führte die HHVW anlässlich des Gallusjubiläums am 22. September nach St.Gallen auf die Spuren des Namen-gebers von Stadt und Kanton. Beim Besuch in der Stifts-bibliothek erhielten die Exkursionsteilnehmerinnen und -teilnehmer unter der fachkundigen Führung der Stadt-führerin Maria Hufenus Einblick in alte Handschriften und Dokumente sowie das Umfeld und Nachwirken des Heiligen. Eine zweite Ausstellung im Historischen Mu-seum zeigte Aspekte des Kultes um Gallus und seinen Bä-ren, wie er im Alltag der Menschen praktiziert wurde und wird. Der Historiker Peter Müller erläuterte uns die sehr unterschiedlichen Ausstellungsgegenstände. Abgerundet wurde der Vereinsausflug mit einem feinen Mittagessen im Restaurant Drahtseilbahn, bei dem das für das Jubilä-umsjahr speziell kreierte Gallusbier nicht fehlen durfte.

HHVW-Exkursion in die Gallusstadt.

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Äs brinnt! Ä brinnt!

Der traurige Hilferuf wegen brennenden Häusern oder gar Dörfern gehörte im Sarganserland und im Rheintal während Jahrhunderten zum Alltag. Das Städtchen Sar-gans brannte letztmals am 8. Dezember 1811 nieder – mit 121 Firsten eine allererste schwierige Bewährungsprobe für die neu gegründete Gebäudeversicherungsanstalt… Mit zwei grossen Veranstaltungen erinnerten die Gemein-de Sargans und der Historische Verein Sarganserland an das Unglück und den Wiederaufbau: Zum 200. Jahrestag im Dezember 2011 gedachte und im Juni 2012 feierte man. Eingeladen waren Vertreter aus allen Landesgegenden der Schweiz – weil damals auch grosszügige Hilfe von mehr als 40 000 Gulden aus Zofingen bis Basel, aus Chur bis Bern zusammenkam. Das Fest-OK wollte 200 Jahre spä-ter davon auch etwas zurückgeben und rief die Aktion «Sargans hilft!» ins Leben. Mit fast 20 000 Franken (heu-tiger Währung) konnte für das Albert Schweitzer-Spital in Haiti Wiederaufbauhilfe betrieben werden.

Glasnegative und Pergamenturkunden

Der Historische Verein Sarganserland durfte vor einigen Jahren drei grosse, vor der Altglassammlung gerettete Schachteln hundertjähriger Negative entgegennehmen. Diese wurden durch Fotograf Werner Steinemann sor-tiert, gereinigt und digitalisiert – und erlauben nun mit beachtlicher Schärfe einen Blick in eine Zeit zurück, als es noch fast nirgends fliessendes Wasser und Strom in den Häusern, noch wenige Autos und überhaupt fast keinen Wohlstand gab. An der HV vom 4. Mai 2012 in Mels konnte eine Auswahl einem interessierten Publikum vor-gestellt werden.

Seit 2005 wird durch die Schweizerische Rechtsquellen-stiftung mit Pascale Sutter und Sibylle Malamud (Vorar-beiten durch Fritz Rigendinger) auf Initiative des Histo-rischen Vereins Sarganserland an den «Sarganserländer Rechtsquellen» gearbeitet. Es geht, wie aus dem Text dieses Neujahrsblattes ersichtlich wird, um die Aufarbei-tung der Geschichte anhand von Originalquellen seit

Historischer Verein SarganserlandJahresbericht 2012

dem Mittelalter. 2012 konnte die Archivarbeit abgeschlos-sen und das Buchprojekt vorbereitet werden, 2013 findet die Vernissage statt.

Auf historischen Wegen Landschaften erkunden

Seit vielen Jahren gehören geführte Wanderungen zum festen Bestandteil des Jahresprogrammes. 2012 wurden zwei Kulturlandschaften erkundet: Zunächst im Septem-ber die Porta Romana, der alte Weg zwischen Bad Ragaz und Pfäfers (und weiterführend über den Kunkelspass ins Bündnerland) mit Raphael Schwitter, Josef Riederer und Peter Weidmann. Eine zweite Tour mit Severin Bärtsch und Ignaz Bleisch führte ins Weisstannental und stellte Walserspuren rund um den Ringgenberg vor.

Aktives Museum Sarganserland

Der Museumsbetrieb im mittelalterlichen Sarganser Schlossturm stand 2012 unter einem guten Stern. Theater- aufführungen, Märchen- und Bastelnachmittag, Kinder-führungen, ein Muttertag im Museum und spezielle Aktivitäten für Schulklassen mit Historikerin Claudia Schmid brachten vielfältiges Leben in die Ausstellung. Ende September konnte nach zweijähriger Arbeit der neue Film ‹Vielfältiges Sarganserland› mit viel Prominenz eingeweiht werden.

Mathias Bugg, Präsident

«Dort ist das Feuer ausgebrochen, so ist es gewesen…»:

Historische Spielszenen erinnern an den Sarganser Brand, der

innert vier Stunden 121 Gebäude in Schutt und Asche legte.

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Wiederum dürfen wir auf ein erfolgreiches Jahr zurück-blicken. Wie gewohnt waren unsere Anlässe auf ein Ge-samtthema ausgerichtet: Vor 1 400 Jahren kam Gallus in unser Land, als Botschafter der keltoromanischen Kultur und des christlichen Glaubens. Der ganze Kanton, vor allem die Stadt St.Gallen, feierte dieses Jubiläum mit grossem Aufwand. Der Staat budgetierte dafür drei Mil-lionen Franken. Obwohl unser Verein davon nicht profi-tierte, konnten die Geschichtsfreunde vom Linthgebiet an sieben Abendveranstaltungen und an zwei Tagesexkur-sionen Gallus und seine Zeit aus unterschiedlichen Pers-pektiven kennenlernen.

Schriftenlesekurs mit Texten aus der Lebensgeschichte des heiligen Gallus

An den fünf Abenden des Schriftenlesekurses stand die Person des heiligen Gallus im Mittelpunkt. Wir lasen Texte aus seiner Vita, allerdings nicht in der lateinischen Sprache und in der kunstvollen karolingischen Schrift, wie sie schon 843 Walahfrid Strabo verfasst hatte, sondern in einer Übersetzung und in deutscher Kursivschrift des 15. Jahrhunderts. Der Text über die Reise der Glaubens-boten durch das Frankenreich bis zum Zürichsee und ihr Aufenthalt in Tuggen stellte uns vor die Frage: Wie sah die Welt damals aus, woher und warum kamen diese Mönche in unsere Region. Welche Zielsetzung verfolgt die Legen-de, die im 8. und 9. Jahrhundert für das blühende Bene-diktinerkloster St.Gallen verbreitet wurde? Welche histo-rischen Informationen können wir daraus entnehmen? Solche Fragen beschäftigten uns auch am zweiten Abend, an dem wir Berichte über die Ankunft der irischen Ere-miten in Arbon und Bregenz entzifferten, wo sie halbzer-fallene römische Siedlungen, aber auch eingewanderte Alemannen antrafen. Am dritten Abend führte uns der Text der Lebensgeschichte in den Wald am Oberlauf der Steinach, wo Gallus nach der Regel der irischen Eremiten ein beschauliches Leben führte. Hier stellten wir die Wundertaten der Gallusvita in Frage und konfrontierten sie mit den historisch belegten Fakten, aber auch mit an-deren Heiligenlegenden dieser Zeit. Auf dem Hinter-grund des damaligen mystischen Weltbildes versuchten

Geschichtsfreunde vom LinthgebietJahresbericht 2012

wir die symbolhafte Aussage solcher Wundergeschichten zu verstehen. Das führte uns am vierten Abend dazu, Aus-schnitte aus der Mönchsregel des Abtes Columban in ei-ner deutschen Übersetzung des 16. Jahrhunderts zu lesen. Diese irogallische Klosterregel und die eindrückliche Re-konstruktionszeichnung der st.gallischen Einsiedelei von Martin Schindler brachten uns die Christusnachfolge der irischen Mönche näher, und mancher dachte an die Mög-lichkeit, den heutigen Überfluss mit der Einfachheit des

Dr. Alois Stadler, Präsident

Lebensbeschreibung des heiligen Gallus, übersetzt und geschrieben

von Friedrich Kölner, 15. Jahrhundert, Stiftsbibliothek St.Gallen,

Cod. Sang. 586, S. 3. Der abgebildete Text enthält die Erzählung

von der Ankunft der Eremiten in Tuggen: «…und kament an daz

hopt des sew, an die statt, die da haisset Thuck, do geviel in wol

die weslichait des flecken, do selbs ze wonen, aber die lüt, die da

wonetend, die warent grym und grülich…».

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irischen Klosterlebens zu vertauschen. Am fünften Abend führten uns Texte von Liedern zu Ehren des heiligen Gal-lus und frühe Klosterurkunden zur Frage: Welche Bedeu-tung hatten Gallus und seine Einsiedelei für die Ge-schichte und kulturelle Entwicklung unserer Region und vor allem für das spätere Kloster und die Stadt St.Gallen?

Insgesamt meldeten sich 60 Geschichtsfreunde für diesen fünfteiligen Kurs an, den Alois Stadler durchführte. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ging es nicht nur da-rum, die alten Schriften lesen und verstehen zu können, sondern die meisten interessierten sich in erster Linie für die Geheimnisse unserer Vergangenheit mit dem Wunsch zu wissen, woher wir stammen, wer wir sind und wohin unser Weg führt.

Vorträge und Exkursionen zur Kultur des 6. und 7. Jahrhunderts

Es war ein Glücksfall, dass wir zum Thema «Irische Klos-terkultur» einen Referenten fanden, der in mehreren Rei-sen die Frühgeschichte Irlands kennengelernt hat, selber als Mönch lebt und mit kritischem Geist den Zugang zur Lebensauffassung der irischen Eremiten sucht. Niklaus Kuster vermochte die zahlreichen Zuhörer zu begeistern und sie von der Bedeutung der irisch-christlichen Kultur für die Entstehung Europas zu überzeugen.

Auch Kantonsarchäologe Martin Schindler weckte mit seinen Forschungsergebnissen zur römischen Siedlung Kempraten und zum Kastell Weesen das Interesse der Ge-

schichtsfreunde vom Linthgebiet. Am meisten über-raschten aber die Ergebnisse seiner Ausgrabungen im Klosterareal St.Gallen. Zwar konnte er keine Fussspuren von Columban und Gallus im Linthgebiet nachweisen, aber seine Ausführungen zu den Siedlungen und zur Kul-tur unserer Region zu Beginn des 7. Jahrhunderts öff-neten ein weiteres Tor zum Verständnis von Columban und Gallus.

Die Exkursion nach St.Gallen zur Gallus-Ausstellung in der Stiftsbibliothek und zur Bildergalerie in der Galluska-pelle gehörte selbstverständlich in unser Jahresprogramm. Wie kann man Gallus und seine Bedeutung verstehen, wenn man sich nicht mit den kostbaren Zeugnissen der Klosterbibliothek beschäftigt, die schon im 8. und 9. Jahr-hundert Europa mitgestaltete und heute zum Weltkultur-erbe gehört. Dass aber 38 Geschichtsfreunde aus dem Linthgebiet gemeinsam die Führung in der Stiftsbiblio-thek (mit Karl Schmuki) genossen und am Nachmittag die Lebensstationen des Eremiten in den 25 Bildern der Galluskapelle miterlebten (Führung durch A. Stadler), das darf wohl als besonderes Ereignis gewertet werden.

Mit Spannung erwarteten die Geschichtsfreunde auch die Exkursion nach Tuggen und Wangen, denn hier sollen – gemäss der Gallusvita – die Glaubensboten aus Irland um 611 angekommen sein und auch gewirkt haben. Obwohl die sonnige Halde am damaligen Tuggenersee sicher ein-ladend war, bleibt der Besuch der irischen Glaubensboten historisch im Dunkeln. Die Predigt des ungestümen Gal-lus und die Zerstörung der vermeintlichen Götzen haben höchstenfalls in den Columbanreliquien der Kirche Wan-gen sichtbare Spuren hinterlassen. Was aber diese Exkur-sion zum bleibenden Erlebnis und würdigen Abschluss unseres Jahresprogramms machte, war die lebendige und fachkundige Führung durch Jürg Wyrsch, seines Zeichens Arzt, Politiker und vor allem Kultursachverständiger der Gemeinde Tuggen und der ganzen March. Fast wäre es ihm gelungen, die 1350 Jahre alten Gebeine der drei Kirchenstifter von Tuggen vor unsern Augen wieder zum Leben zu erwecken.

Columban und Gallus in Tuggen. Gallus zerstört ein «Götzenbild».

Im Hintergrund Versammlung der erbosten Tuggener auf ihrem

Tempelplatz. Aus dem Bilderzyklus zum Leben des heiligen Gallus

von Hofmaler Johann Sebastian Hersche in der Gallus-Kapelle des

Klosters St.Gallen, Bild 4.

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Mit Beginn des neuen Jahres 2012 vollzog sich in der Stil-le der Winterruhe im Toggenburger Museum Lichten-steig ein bedeutender Wechsel. Dr. Hans Büchler, lang-jähriger Kurator, übergab sein Amt an Christelle Wick, lic. phil. Hans Büchler wird seinen wertvollen Erfah-rungsschatz aber im Museums-Team als Leiter der Doku-mentationsstelle und für wissenschaftliche Auskünfte und Beratungen weiter einbringen.In einer würdigen Feier, auf Einladung von Alex Reiser, Präsident der Museumskommission, wurden am 28. März die Leistungen von Hans Büchler im Toggenburger Mu-seum offiziell verdankt. In 27 Jahren als Kurator, zuvor zu-sätzlich 13 Jahre als Kommissionspräsident, hat der Ge-ehrte unzählige Stunden, Fahrten und Führungen für sein Museum gelebt, wohl manchmal auch gelitten. Das Mu-seum ist unter seiner Leitung zum überregional bekannten und anerkannten Zentrum von Toggenburger Art und Kultur gewachsen.Des kühnen Bahnpioniers Adolf Guyer-Zeller zum 100-Jahr-Jubiläum des Durchstichs der Jungfraubahn zu gedenken, veranlasste ein Dutzend Toggenburger zur Frühlingsexkursion ins Töss-Bergland nach Bauma zu rei-sen. Nicht die Tunnelanlagen im Eiger waren unser Ziel am 28. April, sondern sein primäres Wirkungsfeld, das gut erhaltene Industrieensemble der Spinnerei Guyer-Zeller in Neuthal ob Bauma. Durch das Lochbachtobel über die Hohenegg, dann steil hinunter zu den raffiniert angelegten Stauweiher-Anlagen, die mit ihrer Wasserkraft die Spinnerei antrieben, führte uns der eigens für seine Arbeiter romantisch erbaute Guyer-Zeller-Wanderweg. Unterwegs gab Anton Heer, Flawil, einen Überblick über die Bahnprojekte und -ideen von Guyer-Zeller, die unse-re heutigen SBB in ihrer Struktur wesentlich prägen. Die Spinnerei und die unterste Turbinenanlage mit dem ori-ginal erhaltenen Drahtseilantrieb wurden vom Museums-führer erklärt und in Betrieb gesetzt. Der Rückweg führte uns am Familiengrabmal des Industrie- und Bahnpioniers vorbei.Am 5. Mai lud der HVSG zur Regionenkonferenz nach Werdenberg ein. Die Bedeutung der Wattwiler Flur- und Strassennamen in einer Publikation Interessierten zugänglich zu machen, ist der Initiative von Thomas Appius, alt Grundbuchverwal-ter, zu verdanken. Sein Werk, das wir zur Drucklegung

Toggenburger Vereinigung für HeimatkundeJahresbericht 2012

finanziell unterstützt haben, wurde am 29. Juni im Ge-meindehaus Wattwil vom Autor vorgestellt.Im Kellergewölbe des Toggenburger Museums wurde am 7. Juli unter dem Titel «Hungern mussten wir eigentlich nie» eine audiovisuelle Ausstellung eröffnet. Schüler der Kantonsschule Wattwil unter Leitung ihres Geschichts-lehrers, Anselm Zikeli, befragten Zeitzeugen unserer Re-gion über ihre Erinnerungen zum Zweiten Weltkrieg. Themen wie Rationierung, Anbauschlacht oder braune Unterwanderung, wurden als Tonkonserven aufgenom-men und an Hörstationen präsentiert. Die Interviews wurden ergänzt durch Belege, Zeitungsartikel und Bilder aus der Zeit.Von 35 Teilnehmern wurde unsere Einladung vom 18. Au-gust zur Sommerexkursion nach Oberglatt wahrgenom-men. Im Schatten des unübersehbaren Barockbaus des «Hirschen» an der Landstrasse von Flawil nach Gossau fand man sich zur Begrüssung. Der neue Eigentümer, Kurt Huber, Architekt aus Frauenfeld, informierte einlei-tend über die erstaunlich gute Bausubstanz und seine Pro-jektideen.Pierre Hatz, Leiter der kantonalen Denkmalpflege, be-richtete darauf über die Geschichte und die früheren Ei-gentums- und Nutzungsverhältnisse. Der anschliessende Rundgang bis hinauf zum Treppenhausturm gab Gele-genheit für viele Fragen und liess die herrschaftliche Grös-se des Palastes erst eigentlich erkennen.In unmittelbarer Nachbarschaft, bei der Oberglatter Kir-che, informierte im zweiten Teil René Güttinger, Biologe, über die Lebensart und Ansprüche der Fledermäuse mit speziellem Bezug auf das Grosse Mausohr. Aufgeteilt in zwei Gruppen, wechselnd, konnte dann die bedeutende Wochenstube dieser Art im Dachgebälk beobachtet wer-den, während Anton Heer den unten Gebliebenen über die Baugeschichte der Kirche berichtete. Auf dem Rück-marsch nach Flawil wurden wir im Park des Ortsmu- seums Lindengut durch dessen Präsidenten, Urs Schärli, als Gäste herzlich zu Erfrischungen und feinem Gebäck empfangen. «Der Kaiser kommt», eine Ausstellung im Historischen Museum St.Gallen zur Erinnerung an die Kaisermanöver 1912 bei Kirchberg, wurde am 31. August mit Trommel-wirbel eröffnet. Armin Eberle, Gastkurator, führte in die Sonderschau ein und stellte als Autor sein gleichnamiges Buch, das unsere Vereinigung mit einem Druckbeitrag unterstützt hat, in einem Überblick vor. Am 8. September, pünktlich um 09.20 Uhr, wurden die 18 Teilnehmenden unseres Herbstanlasses von Gemeinde-

Ernst Grob, Obmann

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präsident Christoph Häne auf dem Hüsligs, ob Kirch-berg, nahe der Kaiserlinde herzlich willkommen geheis-sen. Es folgten ein durch Willi Schönenberger geführter Rundgang, eine perfekt und mit feinem Humor gewürzte Präsentation der damaligen, neuen Füsilier-Ausrüstung Ordonnanz 1911 durch Roger Jean Rebmann, ein Manö-verfrühstück, ein Zeitbild zum Geschehen durch Armin Eberle, ein schmissiges Konzert der Artilleriemusik Kirch-berg und ein feiner Apéro mit Käsekuchen. Fürwahr, der Kaiser wurde seinerzeit fürstlich empfangen, wir umso herzlicher.Immer im September, diesmal am 28., fand im Chössithe-ater Lichtensteig die Buchpräsentation der Neuerschei-nungen des Toggenburger Verlags statt. Neben dem the-matisch sehr vielfältigen Toggenburger Jahrbuch 2013 wurde unser neuestes Heft 46 der Toggenburgerblätter für Heimatkunde vorgestellt.Hans Büchler als Autor öffnete gezielt einzelne Seiten sei-nes Doppelbandes «Alltag und Festtag im oberen Toggen-

burg» mit Photographien von 1880 bis 1930. Die hei-mische Umgebung, Brauchtum, das harte Werken und die kleinen Freuden unserer Grosseltern, festgehalten auf scharf gezeichneten Photo-Glasplatten in Schwarz-Weiss, lässt sicher bei vielen Betrachtern Erinnerungen aufleben. Hier sei auch auf einige Wechsel und Änderungen, die uns berühren, hingewiesen.– Das bisherige Ortsarchiv Lichtensteig wird geteilt in ein

geschlossenes Gemeindearchiv und ein öffentlich zu-gängliches Vereins- und Ortsarchiv. Ältere historische Dokumente sind neu im Stiftsarchiv zu suchen. Robert Forrer, langjähriger Stadtarchivar, alt Stadtammann und Ehrenmitglied unserer Vereinigung, wird, bald neunzigjährig, auf Ende des Jahres die Verantwortung an die Gemeinde übergeben.

– Auch in der Chronikstube Mosnang steht ein Wechsel bevor. Josef Hagmann, alt Gemeindeschreiber, ehema-liger Obmann und auch er Ehrenmitglied unserer Ver-einigung, wird auf das kommende Neujahr die Leitung an Josef Müller übergeben.

– In Wattwil soll das Ortsarchiv, bisher unter der Obhut der Sonntagsgesellschaft und durch Bernhard Schmid geführt, in die Verantwortung der Gemeindeverwal-tung übergehen.

Unser Dank und unsere Anerkennung gehören den Zu-rücktretenden für ihr unentgeltliches, wertvolles Schaf-fen, Sammeln, Ordnen. Den neuen Verantwortungsträ-gern wünschen wir den Weitblick und die Begeisterung der Altvorderen.An unserer Hauptversammlung im Landgasthof «Och-sen», Sidwald, Neu St.Johann, am 10. November liess Hans Büchler mit treffenden Kommentaren zu Bildern aus dem neuen, 46. Heft unserer Toggenburgerblätter Er-innerungen an den einfachen Arbeitsalltag und freudige Ereignisse unserer Grosseltern aufleben.Gleichzeitig wurden die frühen Fotografen dieser Zeitdo-kumente im Toggenburg erfasst.Bei den Vereinsgeschäften wurden unter Erneuerungs-wahlen mit Dr. Fabian Brändle, Zürich und Neu St.Jo-hann, und lic. phil. Pascal Sidler, Winterthur, zwei Histo-riker zur Verjüngung in den Vorstand gewählt.Erwähnt wurde auch die Summe der Unterstützungsbei-träge unserer Vereinigung von Fr. 37 000.– für Toggen-burger Publikationen und Kulturprojekte in den ver-gangenen zehn Jahren.

Kaisermanöver vom 8. September 2012: «Der Kaiser kommt!»

Odonnanz 1911, vorgestellt durch Roger Jean Rebmann.

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Es ist eine der wichtigen Aufgaben der Vereinigung, das Stadtmuseum Wil zu unterstützen, wie es in den Statuten lapidar formuliert ist. Diese Unterstützung ist umso wich-tiger, als das Museum derzeit in einem «Providurium» im Erdgeschoss des Hofs eingerichtet ist, dort, wo ehedem das Bier der Hofbrauerei in Flaschen und Fässer abgefüllt wurde. Die Kunst- und Museumsfreunde unterstützen mit einem namhaften jährlichen Beitrag Sonderausstel-lungen, die dem Museum einen Touch von Attraktivität und Aktualität verleihen. Stadtarchivar und Museumslei-ter Werner Warth und seinem uneigennützig arbeitenden Team gelingt es vorzüglich, in der räumlichen Enge se-henswerte Ausstellungen mit lokalen und regionalen The-men zu installieren.

Sonderausstellungen im Stadtmuseum

Die erste Sonderschau 2012 war dem Handwerk im Alten Wil gewidmet. Die älteste Berufsangabe eines Wiler Handwerkers ist im Schuldenverzeichnis des Abtes Kon-rad von Gundolfingen (im Amt 1288–1291) zu finden. Zu dessen Gläubigern gehörte Burchardus Aurifaber, Bur-kard der Goldschmied. Erste Berufsbezeichnungen fin-den sich ab 1300 in den Hofstättenrödeln. Die ab 1403 fast vollständig erhaltenen Steuerbücher der Stadt helfen, die Berufsliste zu erweitern. Man findet da den «Schmid, Messerschmid, Kupferschmid, Schnider, Ledergerw, Sai-ler, Tuchscherer, Gürtler, Hafner, Ziegler, Glaser, Murer, Bader». In Bruderschaften (politische Zünfte waren unter den absolutistisch regierenden Landesherren verboten) vereinigten sich die Handwerker, um auf genossenschaft-licher Basis ihre Interessen besser zu wahren. Die Basis zu dieser Ausstellung bildeten Dokumente aus dem Stadtar-chiv, ergänzt durch Werkzeug und Werke aus Wiler Werk-stätten sowie Filmmaterial zum Handwerk in früherer und heutiger Zeit.

Die zweite Ausstellung – sie dauert derzeit noch an – dokumentiert das aktuelle Thema der Vereinigung der Gemeinden Wil und Bronschhofen. Sie steht unter dem Titel «Wil für Anfänger?! Bronschhofen und Wil: Verbin-dendes – Trennendes – Zukünftiges». Der Gegensatz zwi-schen Stadt und Land hat das Verhältnis der beiden Ge-

Kunst- und Museumsfreunde Wil und UmgebungJahresbericht 2012

meinden nachhaltig geprägt. Fast gleichzeitig wurden die beiden Orte urkundlich das erste Mal erwähnt: Wil 754, Bronschhofen 796 in Schenkungsurkunden an das Klo-ster St.Gallen. Dann wurde Bronschhofen für Jahrhun-derte steuerpflichtig gegenüber der Abtei St.Gallen, und zwar an deren Verwaltungszentrum des unteren Amtes im Hof zu Wil. Nach der Gründung des Kantons St.Gallen 1803 kam Bronschhofen zur Gemeinde Wil, bat jedoch sogleich um Entlassung aus dieser Verbindung, weil «kein gutes Einverständnis zwischen den ungleichen Gemein-den herrschte». Anders 1961, als ein Teil der Bewohne-rinnen und Bewohner der Bildfeldstrasse den Anschluss an Wil suchte, was Bronschhofen ablehnte, weil es damit 125 Steuerzahler, eine Fabrik, zwei Wirtschaften und eini-ge Landwirtschaftsbetriebe verloren hätte. Wil zeigte Ver-ständnis für diesen Entscheid. Originell ist mitten in der Ausstellung die grosse Landkarte auf dem Boden, die bei-de Gemeindegebiete umfasst, was Bronschhofen und Wil en miniature begehbar macht. Die Ausstellung wird auch in Bronschhofen zu sehen sein.

Kulturfahrten

Die Kulturfahrten unserer Vereinigung erfreuen sich seit jeher grosser Beliebtheit wegen ihrer gut ausgewogenen Mischung aus Geschichte, Kunst, Gesellschaftlichem und Kulinarischem.

Benno Ruckstuhl, Präsident

Blick in die Ausstellung: Verbindendes, Trennendes und Zukünftiges

der beiden Gemeinden werden aufgezeigt.

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Am 5. Mai 2012 machte sich eine 53-köpfige Gesellschaft auf die Reise nach Kappel am Albis und Muri. Zum Auf-takt wurde im Klosterkeller in Kappel eine willkommene Stärkung geboten, bevor es zur Besichtigung von Kloster und Kirche der ehemaligen Zisterzienserabtei ging. Trotz zahlreicher Umbauten und Veränderungen nach der Re-formation haben sich eindrückliche Zeugen der alten An-lage erhalten, allen voran die Kirche, die das von weitem sichtbare Wahrzeichen der wunderschön gelegenen Anla-ge bildet. Der Innenraum präsentiert sich in weitgehend ursprünglichem Zustand mit klaren, ausgewogenen Pro-portionen. Von der Ausstattung sehenswert ist u. a. das Ende des 13. Jahrhunderts geschaffene Chorgestühl aus Eichenholz. Einen modernen Akzent setzt das 1964 im Chor eingefügte Glasgemälde «Christus, der Heiland der Welt» von Max Hunziker. Obwohl etwas fern vom Be-trachter, beeindrucken die Glasfenster in der nördlichen Hochschiffwand. Es sind neben Königsfelden die reichs-ten gotischen Glasgemälde des 14. Jahrhunderts in der Schweiz. Auf einer der Scheiben kniet als geharnischter Ritter der Stifter Walter von Eschenbach, einer der Kö-nigsmörder, die 1308 König Albrecht I. bei Brugg um-brachten.

Heute beherbergen die 1980–1983 umgestalteten Gebäu-lichkeiten des ehemaligen Klosters das «Haus der Stille», ein Zentrum für Besinnung und christliche Meditation, geführt von der reformierten Kirche des Kantons Zürich.Zwei hervorragende Führer begleiteten die Kunst- und Museumsfreunde am Nachmittag durch das Kloster Muri. Sie machten uns nicht nur mit der Geschichte des Benediktinerklosters vom frühen 11. Jahrhundert bis heu-te vertraut, sondern stellten auf einem Rundgang auch bauliche und künstlerische Kostbarkeiten vor: die reiche phantasievolle Innenausstattung der Kirche, von erstklas-sigen Künstlern gestaltet, das von einem einheimischen Bildhauer geschaffene Chorgestühl, die drei Orgeln von internationalem Rang, der Kreuzgang mit seinen bedeu-tenden Glasgemälden, die stimmungsvolle, kürzlich res-taurierte Krypta, die als einziger Raum des Gründungs-baus die Zeiten überdauert hat, und schliesslich die Loretto-Kapelle, die seit 1971 die Familiengruft des Hauses Habsburg beherbergt, wo die Herzen der Verstorbenen aufbewahrt werden, auch jenes der 1989 in Zizers verstor-benen Kaiserin Zita.

Eine Ausstellung des Stadtarchives und des Stadtmuseums Wil

Im Hof zu Wil, Samstag und Sonntag, 14 bis 17 UhrEintritt frei

www.stadtwil.ch www.stadtmuseum-wil.ch www.wilerbuerger.ch

Wil ?!

v e r b i n d e n d e s - t r e n n e n d e s - z u k ü n f t i g e s

Das Plakat zur Sonderausstellung zur Gemeindevereinigung von Wil

und Bronschhofen.

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Um die Vielfalt der Museumslandschaft auszuloten und zukunftsweisende Wege darin zu finden, hat der Kanton St.Gallen im Jahr 2008 das Projekt «Auf dem Weg zu einem Museumskonzept» aufgegleist.1 Eine Analyse der st.gallischen Museumslandschaft fokussiert vor allem auf Regional- und Ortsmuseen. Sie zeigt einerseits die Viel-fältigkeit und Reichhaltigkeit der zahlreichen Museen im Kanton St.Gallen. Andererseits deckt diese Analyse auch die dringendsten Handlungsfelder im Museumsbereich auf. Unter anderen sind dies: Sammlungsstrategie, Inven-tarisations-Software, Kulturvermittlung, Marktauftritt, Netzwerk, Organisation und Personal.2

Basierend auf dieser Analyse lancierte das Amt für Kultur eine so genannte Praxisphase. In unterschiedlichen Grup-pen arbeiteten Vertreter mehrerer Museen an der Umset-zung der Projekte «Vermittlung», «Marketingleitfaden für kleinere und mittlere Museen» und «Inventarisation». Ein weiteres Projekt befasste sich mit der Gründung des kan-tonalen Museumsverbandes MUSA Museen SG. Am 14. April 2012 versammelten sich rund 70 Personen im Saal des Restaurants Rathaus in Rapperswil zur Verbandsgrün-dung. Im Beisein der damaligen Regierungsrätin Kathrin Hilber gründete sich der Verband unter dem Tagespräsi-dium von Alois Ebneter, und über dreissig von etwa 70 Museen im Kanton erklärten unmittelbar ihren Beitritt. Inzwischen ist die Mitgliederzahl auf 45 gewachsen. Wichtigste Zielsetzungen von MUSA Museen SG sind ge-mäss Statuten:– Öffentlichkeitsarbeit für die Museen im Kanton

St.Gallen, Kontaktpflege und Interessenvertretung nach aussen;

– Förderung von Koordination und Zusammenarbeit der Museen und museumsähnlicher Institutionen im Kanton;

– Vermittlung fachlicher Beratung in erster Linie für re-gionale und lokale Museen;

– Weiterbildungsangebote für Mitwirkende in Museen;– Marktplatz für Ideen, Erfahrungen, Materialien usf.

MUSA Museen SGJahresbericht 2012

Der fünfköpfige Vorstand umfasst nebst den beiden Co-Präsidenten Alois Ebneter, Alt St. Johann, und Urs Schär-li, Degersheim/Ortsmuseum Flawil als weitere Mitglieder Annemarie Engler, Gemeinderätin Sevelen, Dr. phil. Max Lemmenmeier, Kantonsrat, St.Gallen, und Achim Schae-fer, Historisches und Völkerkundemuseum St.Gallen. Mittelfristig soll eine Geschäftsführung im Teilzeit-Pen-sum die erwähnten Ziele in Zusammenarbeit mit dem Vorstand verfolgen.Voraussetzung für die Bereitstellung der finanziellen Mit-tel aus dem Lotteriefonds sind die Leistungsvereinbarung mit den zugehörigen Leistungsindikatoren. Im Herbst 2012 konnten diese mit dem Amt für Kultur ausgehandelt und unterzeichnet werden.Der Aufbau des Erscheinungsbildes von MUSA Museen SG und der Webseite für den Verband ist inzwischen auf-gegleist. In einer ersten Weiterbildung lernten Mitarbeitende ver-schiedener sanktgallischer und Appenzeller Museen Wis-senswertes zum Thema «Lagern und Verpacken im Muse-um». Im Programm 2013 sind geplant:– 30. Januar ein Austausch-Treffen im Textilmuseum

St.Gallen zum Thema Textilkonservierung und -Re-staurierung

– 6. März Hauptversammlung MUSA Museen SG im Hof zu Wil

– Im Mai Vorstellung eines Inventarisierungs-Tools mit Basisfunktionen

– 3. September Seminar zum Thema «Fundraising» mit Frau Dr. Dr. Elisa Bortoluzzi Dubach, Zug

Die Webseite www.museen-sg.ch zeigt alle aktuellen In-formationen auf.

Alois Ebneter und Urs Schärli, Co-Präsidenten

1 für Kultur Auf dem Weg zu einem Museumskonzept für den

Kanton St.Gallen, April 2012 S. 8

2 für Kultur Auf dem Weg zu einem Museumskonzept für den

Kanton St.Gallen, April 2012 S. 9

Weiterbildungsanlass «Lagern und Verpacken im Museum».

Quelle: Historisches und Völkerkundemuseum St.Gallen.

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Im verflossenen Vereinsjahr fanden keine ausserordent-lichen Ereignisse statt; es nahm einen normalen Verlauf. Jedes Mitglied ging seinen eigenen Forschungen nach. Er-freulich sind immer die Aktivitäten vor und nach den Ver-sammlungen, wobei ein intensiver Gedankenaustausch stattfindet, der mithilft, um die eigenen Arbeiten voran-zutreiben.

Die Vereinstätigkeit erstreckte sich auf die Vortragsnach-mittage und die Exkursionen, von denen wir hoffen, dass wir für alle etwas bieten konnten. Der Vorstand kam dank Internet nur zwei Mal zusammen, um die Geschäfte zu er-ledigen.

In unserem Vereinsjahr 2011/2012 fanden folgende Veran-staltungen statt:

22. Oktober 201114.30 Uhr, Historisches und Völkerkundemuseum St.Gal-len. Frau lic. phil. Monika Mähr führt durch die Ausstel-lung «Zeit für Medizin». Die Ausstellung zeigte uns, wie sich verschiedene Heilkonzepte und typische Krank-heiten in der Ostschweiz auswirkten, welche Anlaufstel-len es im Kloster und in der Stadt St.Gallen gab und wie die medizinische Versorgung im Kanton St.Gallen aufge-baut wurde.

5. November 2011Herbstversammlung der SGFF in Liestal.

26. November 201114.30 Uhr, news CaféBAR Oberer Graben 8, St.Gallen. Hauptversammlung, anschliessend Gedankenaustausch. 21. Januar 201214.30 Uhr, news CaféBAR Oberer Graben 8, St.Gallen. Herr Hans Rüegg, Heraldiker aus Triesen, stellt das Wap-penbuch des Abtes Ulrich Rösch (1463–1491) vor. Der Vortrag zeigte u. a., welche Bedeutung die Wappen in je-ner Zeit hatten und unter diesem Abt die Heraldik ge-pflegt wurde.

25. Februar 201214.30 Uhr, news CaféBAR Oberer Graben 8, St.Gallen.

Genealogisch-Heraldische GesellschaftOstschweiz

Jahresbericht 201 1 / 12

Herr Bernhard Wirz, Horw, spricht zum Thema «Famili-enforschung: Probleme – Lösungen – Empfehlungen». Der Vortrag zeigte auf, welche Probleme der Familienfor-scher hat (und wie sie auch jeder von uns kennt). Es sei an dieser Stelle nochmals hingewiesen auf das Porträt-Ar-chiv, das im Entstehen begriffen ist und an dem sich jeder beteiligen kann.

24. März 201214.30 Uhr, news CaféBAR Oberer Graben 8, St.Gallen. Herr Martin Jäger, Staatsarchiv St.Gallen, spricht zum Thema «Zugangsregelung im Archiv: Spannungsfeld zwi-schen Datenschutz und Forscherinteressen». Laut diesem Vortrag ist der Datenschutz nach wie vor nicht hundert-prozentig und eindeutig geregelt, da schweizerisches und kantonales Recht berücksichtigt werden müssen. Schutz-fristen, wie sie vom Archiv eingehalten werden, sind 30 Jahre nach Entstehen der Unterlagen, bei den Personen-daten zehn Jahre nach dem Tod oder 100 Jahre nach der Geburt einer Person.

21. April 201214.30 Uhr, news CaféBAR Oberer Graben 8, St.Gallen. Herr Bruno Nussbaumer spricht zum Thema «Vorfahren und Ahnentafeln der Nussbaumer von Aegeri». In seiner bekannten Art zeigte der Referent an der Ahnentafel der Nussbaumer auf, welche Quellen dem Familienforscher zur Verfügung stehen, aber auch die Probleme bei den Frauendaten in der Ahnentafel, was uns allen als Schwie-rigkeit bekannt ist.

19. Mai 2012Frühlings-Ausflug ins Staatsarchiv Thurgau in Frauenfeld. Der Tag gestaltete sich als schönes und zugleich lehr-reiches Erlebnis. Man kann den Thurgauern zu ihrem neuen Archiv nur gratulieren. Beeindruckt hat vor allem die kostenlose Benutzung der Mikrofilmanlagen. Adam Bischof möchte ich hier danken für die gute Organisa- tion.

Anton Rechsteiner, Präsident

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Geschichtsvermittlung

Die Geschichtsvermittlung bleibt ein besonders wichtiges Anliegen des Archivs. Im Frühsommer stellten die beiden Forscherinnen Esther Vorburger-Bossart und Regula Schär in einem Werkstattbericht ihre Forschungen über religiöse Frauenbewegungen in der Ostschweiz vor. Im September organisierte das Archiv eine Lesung in Spa-nisch und Deutsch zum Buch «Und irgendwann war ich dann hier. Das Wort den Migrantinnen».

Zur Lesung im Oktober hat das Archiv Marianne Deg-ginger eingeladen. Sie schreibt in ihrem Buch ‹Schwie-riges Überleben› über ihre Kindheit während der NS-Herrschaft, als Kind einer jüdischen Mutter und eines christlichen Vaters.

In Zusammenarbeit mit dem Centro Socio Culturale Ita-liano und der Freihandbibliothek hat das Archiv eine wei-tere Lesung organisiert: Angelo Maiolino referierte zu sei-nem Buch «Als die Italiener noch Tschinggen waren. Der Widerstand gegen die Schwarzenbach Initiative»; auch der Italienische Konsul nahm an dieser Veranstaltung teil.Zum schweizerischen Archivtag öffnete das Archiv seinen Türen mit einer kleinen Ausstellung zum Thema Sozial-geschichte.

Donationen, Erfassung von Archivalien,Nutzung des Archivs

Das Archiv nahm folgende Archive entgegen: Solidari-tätsnetz Ostschweiz, Sozial- und Umweltforum Sufo, Globalance, Unterlagen zum Austausch zwischen den Kirchgemeinden Halden und Belém (Brasilien), zwei Vi-deokassetten zu Performances von Marianne Frei, der Nachlass von Lore Hofer-Stark, weitere Teile des Vorlasses von Fridolin Trüb, den Vorlass von Irene von Hartz, den Nachlass von Heidi Nef-Reich, das Teilarchiv Kati’kia, weitere Teile des Vorlasses von Margrit Ermatinger, eine Nachlieferung zum Damenschwimmclub.

Ausserdem erhielten wir: Zeitungsartikel zu Frauen, ver-schiedene Bücher (darunter Biographien und Autobio-

Archiv für Frauen-, Geschlechter- undSozialgeschichte Ostschweiz

Jahresbericht 2012

grafien von Frauen aus der Ostschweiz) sowie Plakate.Eine Erschliessungsgruppe, bestehend aus Jolanda Cécile Schärli, Esther Vorburger-Bossart und Barletta Hasel-bach, nahm im Herbst ihre Arbeit wieder auf. Die bi-bliografische Datenbank zur Frauen- und Geschlechter-geschichte Ostschweiz mit heute 2 077 Datensätzen wie auch die Frauendatenbank mit 1 409 Datensätzen und den dazugehörigen Frauendossiers sind weitergeführt worden. Unser Archiv wird von Studierenden, Maturan-dinnen und Ausstellungsmacherinnen für ihre For-schungen benützt.

Homepage

Die Homepage wurde aktualisert. Neu ist die Zeitschrift «Olympe, feministische Arbeitshefte zur Politik» digitali-siert ab Nummer 20/2004 aufgeschaltet. Die ersten 20 Nummern kommen in den ersten Monaten 2013 dazu.

Archiv-Newsletter

In jedem Newsletter erscheint ein Frauenporträt. 2012 sind Emma Kunz, Heilpraktikerin und Künstlerin, und Marguerit van Vloten, Gemeindeschwester und Diako-nissin, vorgestellt worden.

Führungen im Archiv

Die Gruppe «Feministische Juristinnen» liessen sich im Dezember durchs Archiv führen.

Vorstand

Es gibt einen Wechsel im Vorstand: Neu kommt Hanne Hidber dazu, Maren Galbrecht ist zurückgetreten. Wei-terhin im Vorstand sind: Erika Eichholzer, Monika Geis-ser, Christina Genova, Barletta Haselbach, Alexa Lindner Margadant, Mireille Loher, Sandra Meier, Jolanda Schär-li, Anna Schneider, Esther Vorburger-Bossart und Mari-na Widmer. Nach wie vor arbeiten wir im Archiv haupt-sächlich ehrenamtlich. Im 2012 konnte eine 30 Prozent-Stelle für sechs Monate finanziert werden. Wir danken allen, die unsere Arbeit unterstützen. Ohne Mit-gliederbeiträge, Unterstützung und Spenden könnte das Archiv nicht überleben.

Marina Widmer, Vorstandsmitglied

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Geisteswissenschaften unter Druck

Die Welt der Geisteswissenschaften ist unter Druck. Im gleichen Mass, in dem sich die Wirtschaft mit ihrem Ein-satz für die Aufwertung der Ökonomie und der Naturwis-senschaften durchsetzt, verlieren die von einem breiteren Bildungsideal getragenen Geisteswissenschaften ebenso wie die Künste und auch die Theologie an Boden. Dass dies nicht zum Besten unserer Gesellschaft ist, haben die letzten Jahre mit der um sich greifenden Zerrüttung der Werte in der Finanzindustrie vor Augen geführt. Gleich-wohl geht der Prozess munter weiter, auch im Rahmen der Umsetzung sich rasch folgender Sparpakete, welche von zunehmend ungebildeten Politikerinnen und Politi-kern durchgepaukt werden. Die Ökonomie, die materiel-le Güter schafft und verteilt, scheint zusammen mit den so genannten exakten Wissenschaften in der Erziehungs-politik immer mehr zum wichtigsten gemeinsamen Nen-ner zu werden, auf den sich unsere Demokratie heute ver-ständigen kann.

Dabei ist längst vergessen, dass Wirtschafts- und Natur-wissenschaften letztlich auf einem geistigen Fundament stehen, das sie selber weder geschaffen haben noch selber garantieren können, denn wie die Menschen die Welt und die Natur interpretieren, ist letztlich eine geistige Frage und die Grundlagen dazu wurden über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende entwickelt. Dieses Bewusstseins beraubt, geraten die jüngeren Wissenschaften immer wieder in Konflikt mit den Grundwerten unserer Gesellschaft. Es ist deshalb kurzsichtig und fahrlässig, in den st.gallischen Gymnasien Sprachen, die Geschichte, Musik und Kunst abzuwerten, wie dies zurzeit der Fall ist. So wird unsere Ju-gend immer mehr in einer Art geistigem Militarismus für eine Gesellschaft gedrillt, die sie immer weniger versteht.

Der Gang der Dinge macht es nötig, dass sich die kultu-rellen Kräfte in unserem Kanton stärker organisieren, um ihren Anliegen Nachachtung zu verschaffen. Eine lang-fristig entwicklungsfähige Gesellschaft muss einen freien Diskurs pflegen, der aus allen Aspekten der menschlichen Erfahrung gespeist wird. Dazu gehören zweifellos auch die Sprachen und die Wissenschaften, denn sie befassen

Historischer Verein des Kantons St.GallenJahresbericht 2012

sich mit den Grundlagen der menschlichen Existenz und der kulturellen Entwicklung und Erfahrung.

Bei all diesem Kulturpessimismus haben wir freilich auch Grund zur Zuversicht, denn es zeigt sich immer wieder, dass die Menschen im Kanton St.Gallen Bildung und Kultur in einem breiten Sinn fördern wollen: Mit einem klaren Ja zum Naturmuseum haben sich die Stimmbe-rechtigten in der Stadt St.Gallen für solche kulturelle Werte ausgesprochen. Gegen 5 000 Unterschriften für den Erhalt der Villa Wiesental, die schon zum Abschuss freigegeben war, haben viele aufgerüttelt und werden die Behörden dazu zwingen, sich genauer als bisher zu über-legen, was ihnen das kulturelle Erbe und eine saubere Rechtskultur im Bereich der Denkmalpflege bedeuten. Und die Bibliotheksinitiative hat zusammen mit drei überaus deutlich gewonnenen Abstimmungen über Bi-bliotheksvorlagen in Rapperswil-Jona, Gossau und Uz-nach klar gemacht, dass für die st.gallische Bevölkerung Bildung mehr umfasst als das verengte, zunehmend tech-nisierte und ökonomisierte Angebot, das zurzeit auf den Weg gebracht wird.

Der nachfolgende Jahresbericht legt Rechenschaft über den Beitrag des Historischen Vereins zum kulturellen Le-ben im Kanton St.Gallen ab.

Vorstand

Auf die Mitgliederversammlung vom 21. März 2012 ist unser langjähriges Vorstandsmitglied Marcel Mayer zu-rückgetreten. Er hatte sich als Redaktor des Neujahrs-blatts (1990–2002), als Delegierter des Vereins bei der Reorganisationsgruppe (2005–2007), als Vizepräsident (2006–2012) und als Verantwortlicher für das Vortragspro-gramm (2008–2012) ausserordentlich um den Verein ver-dient gemacht und wurde deshalb von der Mitgliederver-sammlung zum Ehrenmitglied ernannt.

Zum Nachfolger von Marcel Mayer wählte die Mitglie-derversammlung Prof. Dr. Max Lemmenmeier, Kantons-schule St.Gallen. Das Vizepräsidium übernahm durch Vorstandsbeschluss Ernst Grob, die Verantwortung für das Vortragsprogramm ad interim der Präsident.

2012 traf sich der Vorstand wie üblich drei Mal zur Sit-zung. Am 16. November fand das traditionelle Martini-

Dr. Cornel Dora, Präsident

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Mahl zum Dank für die ehrenamtlich geleistete Arbeit statt. Erstmals wurden auch die wichtigsten Träger der Geschichtsforschung im Kanton St.Gallen dazu eingela-den, eine Folge der strategischen Forschungsplanung Ge-schichte, welche der Historische Verein im Frühling ini-tiiert hatte (vgl. unten Verschiedenes).

Politisches

Im Sinn der einleitenden Bemerkungen engagiert sich der Historische Verein vermehrt politisch. Diesbezüglich sind für das Berichtsjahr drei Aktivitäten hervorzuheben:1. Der Präsident des Historischen Vereins trat mit Zustim-

mung des Vorstands dem Verein Pro Villa Wiesental bei, welche sich für die Rettung der zwar denkmalge-schützten, aber zunehmend verwahrlosten Villa am nordwestlichen Eingang zur Stadt einsetzt. Eine Petiti-on an die Eigentümer und den Stadtrat ergab gegen 5 000 Unterschriften, auch von den Mitgliedern des Hi-storischen Vereins, welche die Unterschriftenbogen zu-gestellt erhielten. Diese Aktion führte zu vereinzelten Austritten, aber auch zu Eintritten in unseren Verein.

2. In der Junisession beriet der Kantonsrat das Sparpaket II, welches unter anderem eine stärkere Belastung des Lotteriefonds durch Verlagerungen aus dem allgemei-nen Staatshaushalt enthielt. In einem Brief an alle Kan-tonsräte verwahrten sich die Historischen Vereine ge-gen dieses Vorgehen. Zwar gelang es nicht, die Mass- nahme abzuwenden, aber es war sicher sinnvoll, sich so ein erstes Mal auf das politische Parkett vorzuwagen, denn insgesamt verfügen die Historischen Gesell-schaften im Kanton St.Gallen über mehr als 4 000 Mit-glieder und haben damit Referendumsstärke.

3. Der Historische Verein war zur Vernehmlassung zum Entwurf für ein neues kantonales Planungs- und Bau-gesetz eingeladen. Er organisierte zur Meinungsbildung am 5. September ein Podiumsgespräch in der Haupt-post St.Gallen, welches sich vor allem mit den Bestim-mungen zu Denkmalpflege und Archäologie beschäf-tigte und ein gutes Medienecho fand. Wie sich bei diesem Gespräch zeigte, werden im Entwurf die Anlie-gen von Denkmalpflege und Archäologie gegenüber den Gemeinden eher zu schwach gewichtet. Dement-sprechend wünschte der Historische Verein in der Ver-nehmlassungsantwort, dass die Rolle der kantonalen Fachstellen gegenüber den Gemeinden gewichtet wer-den sollte. Ausserdem enthält der Entwurf keine befrie-digende Regelung zur Unterhaltspflicht der Eigentümer geschützter Objekte.

Konferenz historisch tätiger Kollektivmitglieder

Am 5. Mai trafen sich die historisch tätigen Kollektivmit-glieder in Werdenberg zur jährlichen Regionenkonferenz.

Dabei informierten sich die Vereine gegenseitig über ihre Programme und Projekte. Ausserdem wurde beschlossen, die Kantonsräte in einem gemeinsamen Schreiben brief-lich aufzufordern, im Rahmen des Sparpakets II auf die Verlagerung von Kosten aus dem allgemeinen Staatshaus-halt auf den Lotteriefonds zu verzichten (vgl. Politisches), weil dadurch weniger Mittel für andere Kulturprojekte zur Verfügung stehen. Erstmals nahm auch ein Vertreter des neuen Museumsverbands MUSA am Treffen teil, das mit einer Führung von Maja Suenderhauf durch das Städtchen Werdenberg und das Museum Schlangenhaus und einem gemeinsamen Mittagessen abgerundet wurde.

Programm

Das Jahresprogramm 2012 umfasste die folgenden Veran-staltungen:• 18. Januar, Der Dorfarzt, der Quacksalber und die Selbst-

medikation: Das ländliche Gesundheitswesen im 19. Jahr-hundert am Beispiel des Heimwebers Heinrich Senn, Matthias Peter, St.Gallen, im Historischen und Völker-kundemuseum St.Gallen

• 25. Januar, «Wohldenkende und vaterlandsliebende Män-ner» gegen den «Sumpf des selbstverschuldeten Elends»: Antialkoholbewegung in der Schweiz 1850–1950, Dr. Re-gula Zürcher, St.Gallen

• 8. Februar, St.Gallens Aussenpolitik vor 600 Jahren: Gründung, Ziele und Entwicklung des Städtebunds von 1312, PD Dr. Stefan Sonderegger, Heiden/St.Gallen

• 22. Februar, Die Gonzenbach’sche Manufaktur in Haupt-wil (1665): Eine Bedrohung für die St.Galler Leinwand-industrie, Dr. Ernest Menolfi, Basel

• 21. März, Archäologie in Stiftsbezirk und Altstadt St.Gallen: neue Erkenntnisse seit 2009, Präsentation des Neujahrsblatts 2012, Dr. Martin Schindler, St.Gallen, Hauptversammlung

• 9. Mai, Landsitzung in Arbon, Markus Kaiser, St.Gallen• 25. Mai, Wir sind jemand: Gruppenfotografien 1870–

1945, ein Spiegel der Gesellschaft, Führung durch die Ausstellung in der Kantonsbibliothek Vadiana, Wolf-gang Göldi

• 20. Juni, Gallus – Kult, Kitsch, Karikatur, mit Monika Mähr, St.Gallen, Führung durch die Ausstellung im Historischen und Völkerkundemuseum

• 8. August, Gallus als Imageträger – Die Bedeutung des Standortmarketings für den Tourismus in St.Gallen, Prof. Dr. Pietro Beritelli, St.Gallen, Historisches und Völ-kerkundemuseum

• 25. August, Von der Schollenbindung zur Wurzellosig-keit? Mobilität gestern und heute, Wissenschaftliche Ta-gung des Historischen Vereins des Kantons St.Gallen und der Universität St.Gallen, mit Referaten von Prof. Dr. Max Lemmenmeier, Prof. Dr. Monika Dommann, Dr. Andreas Zangger, Prof. Dr. Ulrich Schmid, Prof.

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Dr. Caspar Hirschi und Prof. Corinne Pernet, Ph.D.• 5. September: Podiumsgespräch zum neuen kanto-

nalen Planungs- und Baugesetz, mit Pierre Hatz, Kurt Signer, Dominik Gemperli, Andreas Jung und Karl Güntzel, Leitung: Hanspeter Spörri, Einführung: Dr. Christopher Rühle

• 16. Oktober, Gallus – ein Mythos lebt, Prof. Dr. Werner Wunderlich, St.Gallen (Gallusfeier)

• 31. Oktober, Homo ludens – Spielen in der Antike, Dirk Bracht, Xanten (gemeinsam mit IXber – Lateinischer Kulturmonat)

• 14. November, Friedrich der Grosse (1712–1786), Preus-sen und St.Gallen, PD Dr. Ernst Ziegler, St.Gallen

• 21. November, «... der Kaiser kommt!»: Das Kaisermanö-ver 1912 bei Kirchberg – Die Schweiz am Vorabend des Ersten Weltkrieges, Führung durch die Ausstellung im Historischen und Völkerkundemuseum St.Gallen, lic.phil. Armin Eberle, Kirchberg

• 28. November, Res publica: Ein klassisches Konzept in der Welt von heute, Prof. Dr. Dr. h. c. Daniel Thürer (gemeinsam mit dem St.Galler Juristenverein)

• 12. Dezember, Swiss Embroidery: Erfolg und Krise der Schweizer Stickerei-Industrie in globaler Perspektive (1865–1929), lic.öhil. Caspar Meili, Thalwil, und Eric Häusler, Zürich

Wissenschaftliche Tagung

Die wissenschaftliche Tagung wurde dieses Jahr am 25. August in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Ge-schichte organisiert und fand im Raum für Literatur in der Hauptpost St.Gallen statt. In qualitativ hochstehen-den Referaten befassten sich Prof. Dr. Max Lemmen- meier, Prof. Dr. Monika Dommann, Dr. Andreas Zang-ger, Prof. Dr. Ulrich Schmid, Prof. Dr. Caspar Hirschi und Prof. Corinne Pernet, Ph.D. mit verschiedenen As-pekten regionaler und internationaler Mobilität in den letzten zwei Jahrhunderten.

Reisen und Exkursionen

Der Historische Verein führte 2012 gemeinsam mit dem Freundeskreis der Stiftsbibliothek vier Reisen und Exkur-sionen durch. Sie standen, wie jene des Vorjahrs (Franzö-sischer Jura und Luxeuil sowie Bregenz), im Zeichen des Jubiläums ‹1400 Jahre Gallus›.

Bobbio, 24. bis 27. März: Der Freundeskreis organisier-te unter Leitung von Karl Schmuki und Ernst Tremp eine Fahrt mit 40 Mitreisenden nach Bobbio im Nordapen-nin. Das Kloster, 614 vom heiligen Kolumban gegründet, birgt auch dessen Grab. Weitere Reiseziele waren der Dom von Monza, Cremona, die Certosa di Pavia und das

aus dem 6. Jahrhundert stammende Baptisterium von Riva San Vitale am Luganersee.

Arbon, 9. Mai: An einer Abendexkursion besuchten 22 Mitglieder Arbon. Museumskonservator Hans Geisser brachte in der Galluskapelle und im Schlossmuseum die spannende Geschichte der Stadt näher, in der Kolumban und Gallus 610 erstmals weilten. Martin Klöti, Stadtprä-sident und neugewählter St.Galler Regierungsrat, führte schwungvoll durch die historische Altstadt und erläuterte denkmalpflegerische und aktuelle Probleme.

Irland, 2. bis 10. Juni: Die Irlandreise mit 42 Teilneh-mern und Teilnehmerinnen gehört zu den Höhepunkten des Gallusjahrs. Reiseleiterin Magdalen Bless liess auf her-vorragende Weise die Geschichte der Insel von prähisto-rischer Zeit bis zur Gegenwart lebendig werden – sei es in beeindruckenden Landschaften wie Moher und Conne-mara im Westen und an den Seen von Enniskillen im Norden, sei es in Städten wie Dublin, Galway und Belfast (mit dem neuen Titanic-Museum) oder im eleganten nor-dirischen Landsitz Florence Court aus dem 18. Jahrhun-dert. – Kernthema der Reise war indessen die frühmittel-alterliche Hochkultur der iroschottischen Mönche, in den historischen Klosterorten Monasterboice, Clonmac-noise und Devenish Island mit ihren Hochkreuzen und Rundtürmen, beim Besuch im Dubliner Trinity College mit dem Book of Kells und schliesslich in Bangor, wo die Fahrt Kolumbans und seiner Gefährten zum Kontinent begonnen hatte und wo nun die St.Galler Reisenden herz-lich zum Pfarreifest der anglikanischen Pfarrei St.Gallus empfangen wurden. Wer hätte da noch an St.Gallens irischen Wurzeln gezweifelt?

Linthgebiet, 29. September: An der Exkursion Gallus und das Linthgebiet nahmen unter Führung von Markus Kaiser 53 Personen teil. Grund dazu gab der historische

Clonmacnoise: Cross of the Scriptures, Hochkreuz mit dem

Jüngsten Gericht im Zentrum, um 900.

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Die Siedlungsnamen des Kantons St.Gallen

Die Steuergruppe des Projekts Die Siedlungsnamen des Kantons St.Gallen traf sich am 20. September, um den Stand der Arbeiten und die Übergabe der Projektleitung von Dr. Eugen Nyffenegger an Prof. Dr. Elvira Glaser von der Universität Zürich zu besprechen.

Per 1. August 2012 ist die Projektleitung und damit auch die administrative Verantwortung des Projekts an die Universität Zürich übergegangen. Ab diesem Datum sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Siedlungs-namenprojekts nicht mehr wie bisher über den Histo-rischen Verein des Kantons St.Gallen, sondern neu von der Universität Zürich angestellt. Der Stand des Projekts entspricht der Planung, sowohl finanziell als auch was den Arbeitsfortschritt betrifft. Das ist das Verdienst der um-sichtigen Leitung durch Eugen Nyffenegger, dem auch an dieser Stelle sowohl für seine Initiative als auch für seine Führungsarbeit noch einmal herzlich gedankt sei. Für die Bearbeitung des romanistischen Teils konnte eine junge Romanistin gewonnen werden.

Kantonsgeometer Fredy Widmer ist in den Ruhestand ge-treten. Er tritt deshalb aus der Steuergruppe zurück und soll sobald möglich durch einen neuen Vertreter der Ab-teilung für Geoinformation ersetzt werden. Die kantonale Namenkommission ist nach einem Schriftwechsel mit dem Baudepartement in corpore zurückgetreten. Aus die-sem Grund kündigte Peter Masüger als Präsident der Kommission ebenfalls seinen Rücktritt aus der Steuer-gruppe für den Fall an, dass keine Lösung gefunden wird. Cornel Dora hat in der Folge in dieser Frage mit der zu-ständigen Stelle beim Hochbauamt Kontakt aufgenom-men, die Frage ist aber noch ungelöst.

Chartularium Sangallense

Die Arbeiten am Chartularium Sangallense sind ebenfalls wie gewohnt gut vorangekommen. Band XII (unter der Leitung des Stadtarchivs der Ortbürgergemeinde St.Gal-len) ist abgeschlossen und wird im Frühling 2013 präsen-tiert. Band I (unter der Leitung des Stiftsarchivs St.Gal-len) soll 2013 erscheinen, die abschliessenden Bände XIII und II sind für 2016 geplant.

Historisches Lexikon der Schweiz

Am 31. Oktober wurde der elfte Band des HLS in Solo-thurn vorgestellt. Er umfasst auf 903 Seiten 3 159 Artikel zu den Buchstaben Scha bis Stg. Der Kanton St.Gallen ist mit rund 200 Artikeln (davon ca. 180 Biographien und Familienartikel) vertreten. Als umfangreichere sanktgal-

Besuch von Kolumban, Gallus und Gefährten in Tuggen. Weitere Ziele: in Schänis die Stiftskirche mit ihren Kunst-schätzen aus 1 200 Jahren, der romanische Gallusturm und der Ort, wo General Hotze 1799 fiel; in Amden die Galluskirche und das von Gemeindammann Gallus Gmür um 1810 erbaute Wohnhaus, von seinen Nachkommen in beeindruckend originalem Zustand erhalten; als Abschluss die schönste Barockkirche des Linthgebiets in St.Gallen-kappel. Die historischen Orte gaben Anlass, die zentrale Rolle der Familien Gmür von Schänis und Amden in der kantonalen und Schweizer Geschichte des 19. Jahrhun-derts zu beleuchten.

Publikationen

Das 152. Neujahrsblatt 2012 befasste sich aus Anlass des Gallusjubiläums mit dem Stiftsbezirk St.Gallen. Seit 2009 haben archäologische Ausgrabungen, die durch die Umgestaltung der südlichen Altstadt nötig geworden wa-ren, wichtige neue Erkenntnisse zur Geschichte des Klos-ters erbracht. Diese wurden durch den Historischen Ver-ein erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Redaktion des wissenschaftlichen Teils übernahm Dr. Martin Schind-ler, Leiter der Kantonsarchäologie. Die wissenschaft-lichen Beiträge wurden letztmals durch die von Othmar Voegtle erstellte Chronik ergänzt (nochmals herzlichen Dank!), ausserdem durch die Jahresberichte der historisch tätigen Kollektivmitglieder sowie von Archäologie und Denkmalpflege.

Die für die vom Historischen Verein zusammen mit dem Staatsarchiv herausgegebene Reihe St.Galler Kultur und Geschichte vorgesehenen Beiträge verzögerten sich. 2013 werden voraussichtlich zwei Bände erscheinen, Vadians kleine Chronik der Äbte in der Neuausgabe durch Bern-hard Stettler und der bereits für 2012 vorgesehene Band von Pascal Sidler über Schwarzröcke – Jakobiner – Patrio-ten. Revolution, Kontinuität und Widerstand im konfessio-nell gemischten Toggenburg 1795–1803.

Im Bereich Diskussionsbeiträge auf der Webpage des His-torischen Vereins wurde 2012 der Beitrag von Rezia Krau-er zur wissenschaftlichen Tagung des Historischen Vereins in Buchs 2011 aufgeschaltet: Stadt-Land-Beziehungen im Spätmittelalter – Beispiele aus dem Alpenrheintal.

Der Vorstand beschloss im Berichtsjahr die Unterstüt-zung der folgenden Publikationen:

• Rechtsquellen Werdenberg (Sammlung schweize-rischer Rechtsquellen): CHF 5 000.00 aus dem Moser-Nef-Fonds für rechtshistorische Arbeiten.

• Fritz Staudacher, Der verborgene Jost Bürgi, NZZ-Ver-lag: CHF 3 000.00.

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lische Artikel seien erwähnt: Schänis (Stift); Scheiwiler, Alois; Scherrer, Heinrich; Schmerikon; Schobinger; Senn-wald; Sevelen; Sitter; Sonderegger, Jakob Laurenz und Stein SG. Der vorgesehene Jahresrhythmus der Druckle-gung wird weitergeführt. Der zwölfte Band ist in der Druckvorbereitung und erscheint voraussichtlich im Herbst 2013. Der dreizehnte und letzte Band befindet sich in Bearbeitung und wird im Herbst 2014 das gedruckte Gesamtwerk abschliessen.

Die wissenschaftliche Beratung des HLS für den Kanton St.Gallen, seit 2009 ein 20%-Pensum, lief Ende Novem-ber 2012 aus und wird seither im Rahmen eines Pensums durch die Kantonsbibliothek Vadiana bewerkstelligt. Fol-gende Artikel (* = vom Berater verfasst) wurden, zum Teil mit grossem Aufwand und Recherchen in Archiven, ge-mäss den Kriterien der HLS-Zentralredaktion geprüft: Volmar, Isaak; Wartmann, Julius Theodor; Watt, von (Fa-milie); Weder, Johann Baptist*; Weidmann, Heinrich (gest. 1574); Weidmann, Heinrich (1851–1914); Wenner (Familie); Wenner, Friedrich Albert; Wenner, Robert; Wessner, Otto; Wild, Alfred; Wildhaus-Alt St.Johann*; Willwoll, Alexander*; Wirth, Werner; Zehnder, Bruno P.; Zeller, Andreas*; Zili, Georg Leonhard; Zingg, Johann Leonz*; Zoller, Ernst Victor*; Zollikofer-Bayer, Caroline; Zollikofer, Caspar Tobias; Zollikofer, Christoph; Zolliko-fer, Hans Walter; Zollikofer, Johannes; Züblin, Friedrich; Zurburg, Carl*; Zweifel, Benjamin*; Zweifel, Franz Josef*.

Da die gegenwärtige HLS-Zentralredation ihre volle Auf-merksamkeit und Energie auf die Abschlussarbeiten der zwei letzten gedruckten Bände legt und die Detailpla-nung des neuen multimedialen «HLS 2» vermutlich von einem neuen Chefredaktor übernommen werden wird, ergeben sich für die weitere Zusammenarbeit zwischen dem Kanton St.Gallen und dem «neuen HLS» Verzöge-rungen. Trotz alledem liegt ein erstes Konzept vor und der Berater ist daran, eine umfassende Liste aller St.Galler Kantonsräte (Name, Lebensdaten, Beruf, Partei, Bezirk, Wohnort, Amtszeit, bereits HLS-Aufnahme?) zu erstel-len. Auf Grund dieser Daten ist geplant, Kurzbiographien zu erstellen, die Aufnahme im «neuen HLS» finden. An-gedacht ist auch, dass beispielsweise historische Vereine im Kanton St.Gallen in erster Linie weitere Personen-Stichwortlisten zusammenstellen bzw. Biografien verfas-sen, die ebenfalls Aufnahme im «neuen HLS» finden kön-nen. Die Details dieser partizipativen Zusammenarbeit sind noch genau zu klären.

Verschiedenes

Im Frühling 2012 hat der Historische Verein die wich-tigsten Vertreter der historischen Forschung im Kanton

St.Gallen zusammengerufen, um sich über die in den nächsten Jahren geplanten Vorhaben auszutauschen und eine strategische Forschungsplanung Geschichte an die Hand zu nehmen. Der Austausch wurde sehr geschätzt und eine entsprechende Liste wurde auf der Webpage publiziert. Sie soll periodisch ergänzt und überarbeitet werden.

Wichtigstes Ereignis des Jahres für die Museen war die Gründung des st.gallischen Museumsverbands MUSA Museen SG am 14. April 2012 im Rapperswil. Der Verein ist Mitglied der Regionenkonferenz des Historischen Ver-eins des Kantons St.Gallen. An der Gründungsversamm-lung traten ihm bereits 41 Mitglieder bei. MUSA verfolgt die folgenden Ziele:

• den Aufbau des kantonalen Museumsverbandes und in der Folge

• Öffentlichkeitsarbeit für die Museen im Kanton St.Gallen, Kontaktpflege und Interessenvertretung nach aussen;

• Förderung von Koordination und Zusammenarbeit der Museen und museumsähnlicher Institutionen im Kanton;

• Vermittlung fachlicher Beratung in erster Linie für re-gionale und lokale Museen;

• Weiterbildungsangebote für Museumsleute;• Marktplatz für Ideen, Erfahrungen, Materialien usf.

Die Stiftung Burgruine Wartenstein, Bad Ragaz, hat den Zweck, die Erhaltung der Burgruine Wartenstein ober-halb Bad Ragaz auf dem Gebiet der Gemeinde Pfäfers, zu unterstützen. Der Historische Verein ist Mitstifter. Die Burgruine befindet sich im Besitz der Grand Resort Bad Ragaz. Nach einigen Jahren Unterbruch hat sich der Stif-tungsrat neu konstituiert. Vertreter des Historischen Ver-eins ist Cornel Dora. Die Stiftung soll im Hinblick auf zukünftigen Sanierungsbedarf der Burgruine weiterbeste-hen.

Finanzielles

Die finanzielle Lage des Vereins hat sich weiter verbessert. Erstmals seit vielen Jahren konnte unser Kassier anlässlich der Mitgliederversammlung 2012 einen Jahresgewinn aus-weisen. Durch Einsparungen beim Neujahrsblatt konnte das strukturelle Defizit beseitigt werden.

Mitgliederwesen

Der Historische Verein zählt Ende 2012 507 Mitglieder (Vorjahr 513). 2012 waren 21 Beitritte, 20 Austritte und 7 Verstorbene zu verzeichnen, somit insgesamt ein Rück-gang um 6 Mitglieder.

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Ich bitte alle Freundinnen und Freunde der Geschichte mitzuhelfen, neue Mitglieder für unseren Verein zu ge-winnen! Die Anmeldung zur Mitgliedschaft kann mit Hilfe der Anmeldekarte in unserem Imageprospekt oder auch einfach über unsere Webpage www.hvsg.ch einge-reicht werden.

Dank

Allen, die den Historischen Verein im letzten Jahr in ir-gendeiner Form unterstützt haben, sei herzlich gedankt. Ein besonderer Dank geht auch an alle Mitglieder für ihre Treue und an den Kanton St.Gallen für seinen finanzi-ellen Beitrag.

Dr. Cornel Dora, PräsidentSt.Gallen, 31. Dezember 2012

Ehrenmitglieder

Prof. Dr. Otto Clavadetscher, Trogen ernannt 1984Helen Thurnheer, St.Gallen ernannt 1993Walter Zellweger, St.Gallen ernannt 1993Prof. Dr. Peter Wegelin, Teufen ernannt 1999PD Dr. Ernst Ziegler, St.Gallen ernannt 1999Dr. Irmgard Grüninger, St.Gallen ernannt 2002Dr. h.c. Ernst Rüesch, St.Gallen ernannt 2006Prof. Dr. Christian Gruber, Engelburg † ernannt 2008Dr. Marcel Mayer, St.Gallen ernannt 2012

Vorstand

Präsident Dr. Cornel Dora, St.GallenVizepräsident Ernst Grob, BrunnadernKassier René Stäheli, LichtensteigAktuarin lic.phil. Monika Mähr, St.GallenRedaktor Prof. Dr. Johannes Huber, St.GallenNeujahrsblatt Beisitzende lic.phil. Stefan Gemperli, St.Gallen Prof. Dr. Lukas Gschwend, Jona lic.phil. Christine Häfliger, Wil Markus Kaiser, St.Gallen lic.phil. Werner Kuster, Altstätten Prof. Dr. Max Lemmenmeier, St.Gallen lic.phil. Peter Müller, St.Gallen Maja Suenderhauf, Buchs

Konferenz der historisch tätigen Kollektivmitglieder – Kulturhistorischer Verein Region Rorschach

– Museumsgesellschaft Altstätten – Verein für Geschichte des Rheintals – Historisch-heimatkundliche Vereinigung Werdenberg – Historischer Verein Sarganserland – Geschichtsfreunde vom Linthgebiet – Toggenburger Vereinigung für Heimatkunde – Kunst- und Museumsfreunde Wil – Genealogisch-heraldische Gesellschaft Ostschweiz – Archiv für Frauen- und Geschlechter- geschichte Ostschweiz – MUSA, Museen SG

Administration Reisen und Exkursionen Gertrud Luterbach, St.Gallen

Revisoren Fridolin Eisenring, Lichtensteig Michael Tschudi, Pfäffikon SZ

Vereinsadresse Historischer Verein des Kantons St.Gallen c/o Kantonsbibliothek Vadiana Notkerstrasse 22 9000 St.Gallen

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Neujahrsblätter

Vom Historischen Verein des Kantons St.Gallen sind folgende, meistens mit Abbildungen, Tafeln, Plänen oder Illustrationen versehene Neujahrsblätter herausgegeben worden und durch alle Buchhandlungen zu beziehen, sofern sie nicht vergriffen sind.

1861 Hermann Wartmann: Aus der Urzeit des Schweizer­landes.

1862 Hermann Wartmann: Die Schweiz unter den Römern. 1863 Hermann Wartmann: Das Kloster St.Gallen I.1864 Hermann Wartmann: Das Kloster St.Gallen II.1865 Hermann Wartmann: Die Grafen von Toggenburg.1866 Ernst Götzinger: Zwei St.Gallische Minnesänger,

I. Ulrich von Singenberg, der Truchsess, II. Konrad von Landegg, der Schenk.

1867 Hermann Wartmann: Das alte St.Gallen. 1868 Ernst Götzinger: Der Feldnonnen bei St.Leonhard,

Zur Reformationsgeschichte der Stadt St.Gallen.1869 Johannes Schelling: St.Gallen vor hundert Jahren, Mit­

teilungen über Stadt St.Gallische Verhältnisse und denk­würdige Männer des vorigen Jahrhunderts.

1870 Johannes Dierauer: Die Entstehung des Kantons St.Gallen.

1871 Johann Jakob Arbenz: Jakob Laurenz Custer, helveti­scher Finanzminister, Kantons­ und Erziehungsrat und Wohltäter des Rheintals.

1872 Johann Joseph Fäh: Erlebnisse eines St.Gallischen Frei­willigen der Loire­Armee im Winter 1870.

1873 Ernst Götzinger: Joachim von Watt als Geschichts­schreiber, Von anfang, gelegenheit, regiment und hand­lung der weiterkannten frommen statt zu Sant Gallen.

1874 Gerold Meyer von Knonau: P. lIdefons von Arx, der Geschichtsschreiber des Kantons St.Gallen, Ein Lebens­bild aus der Zeit der Umwälzung.

1875 Johannes Dierauer: Das Toggenburg unter äbtischer Herrschaft.

1876 Johannes Dierauer: St.Gallens Antheil an den Burgun­derkriegen.

1877 Johannes Dierauer: Der Kanton St.Gallen in der Medi­ationszeit.

1878 Johannes Dierauer: Der Kanton St.Gallen in der Res­taurationszeit.

1879 Heinrich Bendel: Aus alten und neuen Zeiten, Cultur­geschichtliche Skizzen.

1880 Karl Eduard Mayer: Peter Scheitlin, der «Professor» zu St.Gallen, ein Lebensbild aus der ersten Hälfte dieses Jahr­hunderts.

1881 Johannes Dierauer: Die St.Gallischen Obervögte auf Rosenberg bei Bernegg.

1882 Karl Eduard Mayer: Antistes Scherrer und seine Vor­fahren, ein St.Gallisches Predigergeschlecht aus vergange­nen Tagen.

1883 Hermann Wartmann: Das Kloster Pfäfers. 1884 Ernst Götzinger: Die Stadt­St.Gallische Herrschaft

Bürglen im Thurgau. 1885 August Hardegger: Die Frauen zu St.Katharina in

St.Gallen. 1886 Emil Arbenz: Aus dem Briefwechsel Vadians.1887 Ernst Götzinger: Die Familie Zollikofer. 1888 Hermann Wartmann: Die Grafen von Werdenberg (Hei­

ligenberg und Sargans). 1889 Ernst Götzinger: Der arme Mann im Toggenburg.1890 Ernst Götzinger: Statthalter Bernold von Walenstadt,

der Barde von Riva. 1891 August Hardegger: Mariaberg bei Rorschach.1892 Johannes Dierauer: Rapperswil und sein Übergang an

die Eidgenossenschaft. 1893 August Hardegger: Die Cistercienserinnen zu Mag­

genau. 1894 Placid Bütler: Abt Berchtold von Falkenstein (1244–

1272) 1895 Emil Arbenz: Joachim Vadian beim Übergang vom Hu­

manismus zum Kirchenstreite. 1896 August Hardegger: St.Johann im Thurtal. 1897 Johannes Dierauer: Ernst Götzinger, Ein Lebens­

bild.1898 Karl Nef: Ferdinand Fürchtegott Huber, ein Lebens­

bild.1899 Johannes Dierauer: Die Stadt St.Gallen im Jahr 1798.1900 Johannes Dierauer: Die Stadt St.Gallen im Jahr 1799·1901 Alfred Tobler: Erlebnisse eines Appenzellers in neapo­

litanischen Diensten (1854–1859). 1902 Johannes Dierauer: Der Kanton St.Gallen in der Rege­

nerationszeit (1831–1840). 1903 Alois Scheiwiler: Abt Ulrich Rösch, der zweite Grün der

des Klosters St.Gallen (1463–1491). 1904 Hermann Wartmann: Eine kaufmännische Gesandt­

schaft nach Paris. (1552–1553), nach einem Tagebuch. 1905 Emil Arbenz: Joachim Vadian im Kirchenstreite (1523–

1531). 1906 Traugott Schiess: Drei St.Galler Reisläufer aus der ers­

ten Hälfte des XVI. Jahrhunderts. 1907 Gottlieb Felder: Die Burgen der Kantone St.Gallen

und Appenzell, Erster Teil. 1908 August Hardegger: Mariazell zu Wurmbach.1909 Salomon Schlatter: Unsere Heimstätte, wie sie waren

und wurden, eine baugeschichtliche Skizze.

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1910 Emil Arbenz: Joachim Vadians Wirksamkeit von der Schlacht bei Kappel bis zu seinem Tode (1531–1551), nach den Briefen dargestellt.

1911 Gottlieb Felder: Die Burgen der Kantone St.Gallen und Appenzell, Zweiter Teil.

1912 Gustav Jenny: Arnold Halder (1812–1888), Ein Erinne­rungsblatt zur hundertsten Wiederkehr seines Geburts­jahres.

1913 Johannes Dierauer: Die Toggenburgische Moralische Gesellschaft, ein Kulturbild aus der zweiten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts.

1914 Gustav Jenny: Maler Emil Rittmeyer (1820–1904).1915 Oskar Frei: Johann Jakob Rütlinger von Wildhaus (1790 –

1856), sein Leben, seine Dichtungen und Schriften. 1916 Placid Bütler: Die Freiherrn von Enne auf Grimmen­

stein. 1917 Gustav Jenny: Hektor Zollikofer (1799–1853), Ein verges­

sener St.Galler Dichter. 1918 Johannes Dierauer: Bernhard Simon, Architekt (1816–

1900), ein Lebensbild. 1919 Robert Schedler: Die Freiherrn von Sax zu Hohensax.1920 Jean Geel: Statthalter Baptist Gallati von Sargans (1771–

1844). 1921 Johann Fässler: Johannes Dierauer, ein Lebensbild.1922 Placid Bütler: Altstätten. 1923 Traugott Schiess: Pfarrer Johann Jakob Bernet.1924 Traugott Schiess: Georg Leonhard Hartmann (1764 –

1828). 1925 Johannes Egli: Die Glasgemälde des Historischen

Mu seums in St.Gallen, Erster Teil: Die von der Stadt St.Gallen und ihren Bürgergeschlechtern gestifteten Scheiben.

1926 Oskar Fässler: Die st.gallische Presse, Zeitungen, Zeit­schriften und einige andere Periodica, Erster Teil: Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts.

1927 Johannes Egli: Die Glasgemälde des Historischen Mu­seums in St.Gallen, Zweiter Teil: Die vom Kloster St.Gal­len, von Bewohnern der st.gallischen Landschaft und des Landes Appenzell gestifteten Scheiben, Glasgemälde ver­schiedener Herkunft.

1928 Oskar Fässler: Die st.gallische Presse, Zeitungen, Zeit­schriften und einige andere Periodica, Zweiter Teil: Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die achtziger Jahre.

1929 Adolf Fäh: Die Stiftsbibliothek St.Gallen, Der Bau und seine Schätze.

1930 Dora Fanny Rittmeyer: Zur Geschichte des Gold­schmiedehandwerks in der Stadt St.Gallen.

1931 Dora Fanny Rittmeyer: Die Goldschmiedewerke der Kathedrale in St.Gallen.

1932 Wilhelm Ehrenzeller: Gallus Jakob Baumgartner und die st.gallische Verfassungsrevision von 1830/1831.

1933 Wilhelm Ehrenzeller: Gallus Jakob Baumgarnter und der Kanton St.Gallen in den ersten Jahren der Regenera­tionszeit (1831–1833).

1934 Thomas Holenstein: Recht, Gericht und wirtschaftliche

Verhältnisse in den st.gallischen Stiftslanden und im Tog­genburg beim Ausgange des Mittelalters.

1935 Paul Boesch: Die Toggenburger Scheiben, ein Beitrag zur Kulturgeschichte des Toggenburgs im 16. bis 18. Jahr­hundert.

1936 Oskar Fässler: Hermann Wartmann (1835–1929), Erster Teil: Jugend­ und Studienjahre (1835–1859).

1937 Hermann Escher: Hermann Wartmann (1835–1929), Zweiter Teil: Die Mannesjahre.

1938 Joseph Müller: Die Stellung des Kapitels Uznach zu den kirchenpolitischen Fragen der Jahre 1830–1833, Mit einer einleitenden Skizze: Die Bemühungen der St.Galler Katho­liken um die kirchliche Neuordnung in den Jahren 1798–1830.

1939 Paul Martin: St.Galler Fahnenbuch, Ein Beitrag zur Schweizer Fahnengeschichte.

1940 Hans Richard von Fels: Landammann Hermann v. Fels und seine Zeit, Lebensbild eines st.gallischen Staatsman­nes.

1941 Johannes Seitz: Geschichte des hochfürstlichen freiwelt­lichen adeligen Reichsstifs Schänis (Gaster).

1942 Gottlieb Felder: Die Burgen der Kantone St.Gallen und Appenzell, Dritter Teil: Bericht über die Bemühungen um deren Erhaltung und weiterer Erforschung.

1943 Paul Diebolder: Wilhelm von Montfort – Feldkirch, Abt von St.Gallen (1281–1301), Eine Charaktergestalt des ausklingenden 13. Jahrhunderts.

1944 Heinrich Edelmann: Lichtensteig, Geschichte des tog­genburgischen Städtchens.

1945 Dora Fanny Rittmeyer: Der Kirchenschatz des einsti­gen Klosters Pfäfers und die Kirchenschätze im Sarganser­land.

1946 Eric Arthur Steiger: Salomon Schlatter (1858–1922).1947 Die Gemeindewappen des Kantons St.Gallen, bearbeitet

von der Gemeindewappenkommission des Kantons St.Gallen, gez. von Willy Baus.

1948 Jakob Boesch: Carl Heinrich Geschwend (1736–1809), ein Lebensbild.

1949 Paul Boesch: Die Wiler Glasmaler und ihr Werk.1950 Albert Bodmer und Adolph Näf: Die Glattburg an der

Thur. 1951 Georg Caspar Scherer: Die Stadtbibliothek St.Gallen

(Vadiana), Erster Teil: Geschichte der öffentlichen Biblio­thek der Stadt St.Gallen (1551–1801), hrsg. von Hans Fehr­lin.

1952 Hans Reihnhard: Der St.Galler Klosterplan, mit Beiträ­gen von Dietrich Schwarz, Johannes Duft und Hans Bessler.

1953 Ferdinand Elsener: Der Hof Benken, ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte der st.gallischen Dorfgemeinde.

1954 Peter Bührer: Die auswärtige Politik der alten Stadt­republik St.Gallen (1291–1798).

1955 Paul Staerkle: Fidel von Thurn im Lichte seines Fami­lienarchives (1629–1719).

1956 Paul Boesch: Die alte Glasmalerei in St.Gallen.

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1957 Boris Iwan Polasek: Johann Georg Müller, ein Schwei­zer Architekt, Dichter und Maler (1822–1849).

1958 Franz Perret: Aus der Frühzeit der Abtei Pfäfers, ein Kulturbild aus dem Ende des ersten Jahrtausends.

1959 Ernst Gerhard Rüsch: Das Charakterbild des Gallus im Wandel der Zeit.

1960 Ernst Ehrenzeller: Der Historische Verein des Kan tons St.Gallen 1859–1959. Mit einem Publikationsverzeich nis von Hans Fehrlin.

1961 Walter Müller: Freie und leibeigene St.Galler Gottes­hausleute vom Spätmittelalter bis zum Ende des 18. Jahr­hunderts.

Ernst Kind: Der Geschichtsfreund vor hundert Jahren und heute, Festvortrag zur Jahrhundertfeier des Histori­schen Vereins am 31. Oktober 1960 in St.Gallen (gekürzte Fassung).

1962 Albert Bodmer: Die Gesellschaft zum Notenstein und das Kaufmännische Directorium, ein Beitrag zur Sozial­und Wirtschaftsgeschichte der alten Stadtrepublik St.Gal­len.

1963 Dora Fanny Rittmeyer: Die Goldschmiede und die Kir­chenschätze in der Stadt Wil.

1964 Ernst Ehrenzeller: Die evangelische Synode des Kan­tons St.Gallen von 1803 bis 1922.

1965 Johannes Duft: Sankt Otmar in Kult und Kunst, Erster Teil: Der Kult.

1966 Johannes Duft: Sankt Otmar in Kult und Kunst, Zwei­ter Teil: Die Kunst.

1967 Wiebke Schaich­Klose: D. Hieronymus Schürpf, der Wittenberger Reformationsjurist aus St.Gallen (1481 –1554).

1968 St.Gallische Ortsnamenforschung, mit Beiträgen von Stefan Sonderegger, Gerold Hilty, Eugen Nyffen­egger und Alexander Tanner.

1969 Eberhard Url: Das mittelalterliche Geschichtswerk «Ca­sus sancti Galli», eine Bestandesaufnahme.

1970 André Meyer: August Hardegger, Architekt und Kunst­schriftsteller (1858–1927).

1971 Die Landammänner des Kantons St.Gallen, Erster Teil: 1815–1891.

1972 Johannes Duft: Notker der Arzt, Klostermedizin und Mönchsarzt im frühmittelalterlichen St.Gallen.

1973 Die Landammänner des Kantons St.Gallen, Zweiter Teil: 1891–1972.

1974 Ernst Ziegler: Andreas Renatus Högger (1808–1854), eine biographische Skizze, mit einem Anhang von Ru­dolf Hanhart.

1975 Hans­Martin Habicht: Rickentunnel­Streik und Ror­schacher Krawall, St.Gallische Fremdarbeiterprobleme vor dem Ersten Weltkrieg.

1976 Gerda Barth: Annus Christi 1957, Die Rorschacher Mo­natsschrift – die erste deutschsprachige Zeitung.

1977 Johannes Duft: Die Gallus­Kapelle zu St.Gallen und ihr Bildzyklus.

1978 Ulrich Bräker: Die Tagebücher des Armen Mannes im

Toggenburg als Geschichtsquelle, mit Beiträgen von Kas­par Geiger, Marianne Hofer, Ulrich im Hof, Karl Pestalozzi und Claudia Wiesmann, hrsg. von Peter Wegelin.

1979 Silvio Bucher: Die Pest in der Ostschweiz.1980 St.Gallische Ortsnamenforschung 2: Die Erfor­

schung der Orts­ und Flurnamen in den Bezirken Werden­berg, Sargans und Obertoggenburg, mit Beiträgen von Hans Stricker, Valentin Vincenz, Gerold Hiltyund Bernhard Hertenstein, hrsg. von Bernhard Her­tenstein.

1981 Ernst Ehrenzeller: Stadt­st.gallisches Kulturerleben im ehemaligen Katharinenkloster 1598–1978.

1982 Ernst Gerhard Rüsch: Christian Fribolt, Gesandter und Hauptmann im Dienste der Stadt St.Gallen zur Zeit der Reformation.

1983 Peter Osterwalder: Sankt Gallen in der Dichtung, Gal­lusdichtungen und Gallusverse vom Mittelalter bis zur Neuzeit.

1984 Jeannette und Otto Clavadetscher: Die ältesten St.Galler Siegel als Geschichtsquellen.

Lorenz Hollenstein und Walter P. Liesching: Die Siegel der Benediktinerabtei Pfäfers.

1985 Werner Vogler: Ländliche Wirtschaft und Volkskultur, Georg Leonhard Hartmanns Beschreibung der st.galli­schen Alten Landschaft (1817/1823).

1986 Louis Specker: Der stadtsanktgallische Handwerksgesel­lenverein 1841 bis 1865, ein Kapitel aus der Zeit der gro s­sen wirtschaftlichen und sozialen Umbrüche.

1987 Alois Stadler: Die Beschreibung des Kantons St.Gallen in den Neujahrsblättern des Wissenschaftlichen Vereins 1828–1836.

1988 Marianne Degginger: Zur Geschichte der Hebammen im alten St.Gallen.

1989 Georg Thürer: Eidgenössische Erinnerungen. 1990 Rudolf Hanhart, Marcel Mayer, Roland Wäspe und

Ernst Ziegler: Die Malerei in der Stadt St.Gallen von 1650 bis 1750.

1991 Ernst Ehrenzeller, Paulfritz Kellenberger, Wer­ ner Vogler und Peter Wegelin: St.Gallen und die Eid­genossenschaft.

1992 Otto P. Clavadetscher: Kontinuität und Wandel im Recht und in den Lebensverhältnissen (nach St.Galler Quellen des 14. Jahrhunderts).

1993 Louis Specker: Die grosse Heimsuchung, Das Hunger­jahr 1816/17 in der Ostschweiz, erster Teil.

1994 Peter Wegelin: Stadtrepublik und Weltgeschichte, Wer ner Näf (1894–1959) und sein Werk.

1995 Louis Specker: Die grosse Heimsuchung, Das Hunger­jahr 1816/1817 in der Ostschweiz, Zweiter Teil.

1996 Marcel Mayer: Das erste Jahrzehnt von «Gross­St.Gal­len», Stadtgeschichte 1918–1929.

1997 Alois Senti: Die Geschichte einer Erzähllandschaft, von den Erzählerinnen und Erzählern, Sammlern und Schrei­bern der Sagen aus dem Sarganserland.

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1998 Bernhard Wartmann: Zur Geschichte der Helveti schen Revolution in Stadt und Landschaft St.Gallen, unter Mit­wirkung von Ursula Hasler und Maria Hufenus, be­arbeitet von Marcel Mayer und Ernst Ziegler.

1999 Stephan Ziegler: «Alles getreülich und ohne gefährde», Die Eidbücher der Stadt St.Gallen von 1511, 1657, 1740 und 1757.

2000 Alois Niederstätter: Stift und Stadt St.Gallen zwischen Österreich, der Eidgenossenschaft und dem Reich.

2001 Karl Heinz Burmeister: Geschichte der Juden im Kan­ton St.Gallen bis zum Jahre 1918.

2002 Nelly Schlegel­Ganz, Louis Specker, Josef Weiss, Renate Bieg, Roland Thommen: Beiträge zur ost­schweizerischen Schulgeschichte.

2003 Ernst Ziegler: Zur Geschichte von Stift und Stadt St.Gallen – ein historisches Potpourri.

2004 Michael Walther: Mediengeschichte des Kantons St.Gallen – Eine quantitative Erhebung.

2005 Doris Brodbeck, Myrjam Cabernard, Sandra Meier, Sabine Schreiber, Esther Vorburger­Bossart, Ma­rina Widmer, Heidi Witzig: Neue Frauenbewe gung.

2006 Anton Heer: Rorschach – St.Gallen – Winterthur. Zwi­schen 170­jähriger Eisenbahngeschichte und Zukunft.

2007 Martin Peter Schindler, Regula Ackermann, Irene Ebneter, Erwin Rigert, Regula Steinhauser­Zim­mermann: Bagger, Scherben und Skelette, Neu es zurArchäologie im Kanton St.Gallen

2008 Stefan Sonderegger: Weit weg und doch nah dranLouis Specker: Biedermeier Hierzulande.

2009 150 Jahre Historischer Verein des Kantons St.Gallen, Rückblick – Analyse – Perspektiven.

2010 Moritz Flury­Rova, Pierre D. Hatz, Irene Hoch­reutener, Regula M. Keller, Oliver Orest Tschirky: Denkmalpflege im Kantons St.Gallen, Erfahrungen, Er­folge, Herausforderungen.

2011 Karl Schmucki, Peter Erhart, Walter Felix Jungi, Bruno Hammer, Gitta Hassler, Marcel Mayer, Cle­mens Müller, Urs Leo Gantenbein, Rudolf Gamper, Dorothee Guggenheimer, Rezia Krauer, Stefan Sonderegger, Andreas Alther, Gabriel Huber, Jolanda Cécile Schärli, Manuel Kaiser, Esther Vor­burger­Bossart, Anna Schneider, Regula Zürcher, Martin Jäger, Markus Poltera, Werner Deuel, Esther Pardo: Zeit für Medizin! Einblicke in die St.Gal­ler Medizingeschichte.

2012 Jasma Marion Dare, Irene Ebneter, Erwin Rigert, Martin Peter Schindler, Regula Steinhauser­Zim­mermann, Viera Trancik Petitpierre, Oliver Orest Tschirky, Serge und Marquita Volken: Von Gallus bis zu Glasfaser. Archäologie in Stiftsbezirk und Altstadt St.Gallen.

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Patrick Bernold, Dr. phil., Wil. Geschichtslehrer an der Kantonsschule Wil und Präsident der kantonalen Fach-gruppe Geschichte der St. Galler Mittelschulen. ([email protected]). Anne-Marie Dubler, Dr. phil., Bern. Freischaffende His-torikerin, Editorin bernischer und aargauischer Rechts-quellen (1983–2009); seit 1990 Wissenschaftliche Berate-rin für den Kanton Bern und Autorin beim Historischen Lexikon der Schweiz (HLS) mit den Schwerpunkten Wirtschaft und Verkehr, Recht und Verfassung sowie Au-torin der Orts-, Gemeinde-, Regionen- und Bezirksartikel des Kantons Bern. ([email protected]).Armin Eberle, lic. phil. / MAS ALIS, Kirchberg SG. His-toriker, Hauptautor im Projekt «Schweizerische Bauern-hausforschung, Kanton St.Gallen». ([email protected]). Peter Erhart, Dr. phil., MAS, St.Gallen. Historiker und Archivar, Leiter des Stiftsarchivs St.Gallen. ([email protected]).Beat Frei, lic. phil., Horgen/Adetswil. Freischaffender Historiker. ([email protected]).Stefan Gemperli, lic. phil., Staatsarchivar Kanton St.Gallen.([email protected]).Martin Hannes Graf, Dr. phil., Gündelhart. Sprachwis-senschafter und Historiker, Redaktor am Schweizerdeut-schen Wörterbuch (Idiotikon), Zürich. ([email protected]). Lukas Gschwend, Prof. Dr. iur., Rapperswil-Jona. Ordina-rius für Rechtsgeschichte, Rechtssoziologie und Straf-recht an der Universität St.Gallen, Präsident der Rechts-quellenstiftung des Schweizerischen Juristenvereins. ([email protected]).Stephan Häsler, Dr. med. vet., Gasel BE. Präsident der schweizerischen Vereinigung für Geschichte der Veteri-närmedizin. ([email protected]).Sibylle Hofer, Prof. Dr. iur., Bern. Ordinaria für Rechtsge-schichte und Privatrecht, Vorsteherin des Instituts für Rechtsgeschichte der Universität Bern. ([email protected]).André Holenstein, Prof. Dr., Bern. Professor für ältere Schweizer Geschichte und vergleichende Regionalge-schichte am Historischen Institut der Universität Bern. ([email protected]).Johannes Huber, Dr. phil., St.Gallen. Historiker und Kunsthistoriker, Redaktor des Neujahrsblatts des Histori-schen Vereins des Kantons St.Gallen. ([email protected]).

Autorinnen und Autoren

Carolin Krumm, Dr. phil., St.Gallen. Kunsthistorikerin. Bearbeiterin der Kunstdenkmäler der Region Werden-berg. ([email protected]).Werner Kuster, lic. phil., Altstätten. Historiker und Kunst-historiker, Bearbeiter der Rechtsquellen des Rheintals und Mitarbeiter der Eberle AG, Büro für Geschichte, Ar-chiv und Verwaltung. ([email protected]).Sibylle Malamud, Dr. phil., Zürich. Historikerin, wissen-schaftliche Mitarbeiterin der Rechtsquellenstiftung des Schweizerischen Juristenvereins. ([email protected]).Michael Piotrowski, Dr.-Ing., Zürich und Mainz. Compu-terlinguist und Informatiker, Arbeitsgruppenleiter Digi-tal Humanities beim Leibniz-Institut für Europäische Ge-schichte. ([email protected]).Hans Jakob Reich, Salez. Journalist/Publizist, Redaktions-leiter Werdenberger Jahrbuch. ([email protected]).Martin Salzmann, Dr. phil., Zürich. Historiker, ehemals Leiter der Rechtsquellenstiftung des Schweizerischen Ju-ristenvereins.Hans-Peter Schifferle, Dr. phil., Zürich. Germanist, Chef-redaktor des Schweizerischen Idiotikons, Zürich. ([email protected]).Stefan Sonderegger, Prof. Dr. phil., St.Gallen. Stadtarchi-var der Ortsbürgergemeinde St.Gallen. ([email protected]).Pascale Sutter, Dr. phil., Hünenberg-See ZG. Historike-rin, Leiterin der Rechtsquellenstiftung des Schweizeri-schen Juristenvereins. ([email protected]).Markus Thurnherr, Rapperswil. Sekundarlehrer, Archivar der Ortsbürgergemeinde Rapperswil-Jona. ([email protected]).Mark Wüst, lic. phil., Zürich. Historiker. Leiter des Stadt-museums Rapperswil-Jona. ([email protected]).Benedikt Zäch, lic. phil. I, Winterthur. Leiter des Münz-kabinetts der Stadt Winterthur.Ernst Ziegler, PD Dr. phil., St.Gallen. Historiker.