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Die Richtlinie 93/13/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucher- verträgen und ihre Bedeutung für die VOB Teil B Gutachten erstellt von Prof. Dr. Hans-W. Micklitz Universität Bamberg im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes e.V. April 2004

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Die Richtlinie 93/13/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucher- verträgen und ihre Bedeutung für die VOB Teil B Gutachten erstellt von Prof. Dr. Hans-W. Micklitz Universität Bamberg im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes e.V. April 2004

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Vorwort

Traditionell galt das Interesse der Bauwirtschaft den öffentlichen und gewerblichen Großaufträgen. Die Investitionen privater Bauherren wurden als quantité negligable betrachtet. Aber leere öffentliche Kassen bewirken Einbrüche bei öffentlichen Bauauf-trägen, auch der Gewerbebau bietet keine Perspektive für eine konjunkturelle Bele-bung. Man denkt um: Hoffnungsträger ist die Nachfrage privater Bauherren. Aber ihre Investitionen sind nicht angemessen rechtlich gesichert. Das private Baurecht ist im-mer noch öffentlichen und gewerblichen Bauaufträgen verhaftet und kennt keine an-gemessenen Rechte für private Bauherren. Symbol hierfür ist die Vergabe- und Ver-tragsordnung für Bauleistungen Teil B (VOB/B), die Gegenstand des vorliegenden Rechtsgutachtens ist.

Die VOB/B ist ein Vertragsklauselwerk, das vom Deutschen Vergabe- und Ver-tragsausschuss für Bauleistungen (DVA) aufgestellt wird. Es wird nicht zuletzt, weil das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) kein spezifisches Bauvertragsrecht kennt, über den ursprünglichen Regelungsbereich öffentlicher Bauaufträge hinaus auch bei Verträgen mit privaten Bauherren angewendet. Dass diese Übertragung „hinkt“, weil private Auf-traggeber eine ungleich schwächere Position haben als öffentliche Bauauftraggeber, liegt auf der Hand. Aber Gesetzgebung und Rechtsprechung verweigern privaten Bau-herren mit einer bis in das Jahr 1977 zurückreichenden Tradition den notwendigen Schutz. Ausnahmevorschriften im BGB und eine hieran anknüpfende Rechtsprechung führen dazu, dass die einzelnen Inhalte der VOB/B keiner gesetzlichen Kontrolle da-hingehend unterliegen, ob sie bei privaten Bauherren angemessen sind.

Das vorliegende Rechtsgutachten bricht die nationale Kruste mit Hilfe des Rechtes der Europäischen Gemeinschaften, der Richtlinie 93/13/EWG vom 5.April 1993 über miss-bräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen auf. Es zeigt an der derzeitigen VOB/B 2002, dass sie eine Vielzahl von Klauseln enthält, die private Bauherren unangemes-sen benachteiligen.

Die erste Konsequenz ist, bei Verträgen mit privaten Bauherren die gesetzlichen Privi-legien aufzuheben, die im BGB für die VOB/B begründet sind. Die zweite Konsequenz muss sein, dass der Gesetzgeber Verantwortung für die Rechte privater Bauherren übernimmt und ein spezifisches Bauvertragsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch schafft, mit dem der besonderen Schutzbedürftigkeit privater Bauherren angemessen, klar und verlässlich Rechnung getragen wird.

Berlin, April 2004

Prof. Dr. Edda Müller

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Inhalt

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Inhalt A. Gegenstand und Grundlagen des Gutachtens ...................................................... 17 I. Vorbemerkung zum Umgang mit dem Gemeinschaftsrecht .................................. 17 II. Die VOB/B in der bisherigen nationalen Diskussion.............................................. 18

1. Die VOB/B und die Vorschriften zur Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen ..................................................................................... 18

a) Rechtsnatur der VOB/B ................................................................................ 18 b) Privilegierung der VOB/B vor der Schuldrechtsreform.................................. 19 c) Privilegierung der VOB/B nach der Schuldrechtsreform............................... 20 aa) Teilprivilegierung oder Gesamtprivilegierung............................................. 21 bb) Statische oder dynamische Verweisung .................................................... 22 cc) Die offene Grundsatzfrage ......................................................................... 23

d) Versäumte Gelegenheit einer Neuorientierung............................................. 24 2. Die VOB/B und das Gemeinschaftsrecht ............................................................ 25

a) Unzureichende Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG durch den Gesetzgeber ................................................................................................. 25

b) Diskussionsansätze in der Literatur .............................................................. 26 aa) VOB/B im sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG ...... 27 bb) Enge oder weite Kompensation nach der Richtlinie 93/13/EWG ............... 28 cc) Gemeinschaftsverträglichkeit der Abnahmefiktionen und der

Verjährungsregelung.................................................................................. 29 III. Die relevanten Fragen – Aufbau und Prüfungsschritte.......................................... 30 IV. Die notwendige Gemeinschaftsperspektive........................................................... 31

1. Legitimität eines gemeinschaftsrechtlichen Eingriffs in die Vertragsfreiheit ........ 32 2. Zur Vorgeschichte der Richtlinie 93/13/EWG...................................................... 34

a) Der modifizierte Vorschlag vom März 1992 .................................................. 34 b) Weichenstellung für einen Kompromiss im Gemeinsamen Standpunkt ....... 36 c) Kollektivvereinbarungen im europäischen Vertragsrecht.............................. 38

3. Schutzzweck der Richtlinie 93/13/EWG .............................................................. 38 a) Vorgaben in den Erwägungsgründen ........................................................... 39 b) Die Bedeutung des Schutzzwecks für die VOB/B......................................... 40

B. Die VOB/B im Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG.............................. 41 I. Unterfällt die VOB/B dem Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG?.......... 41

1. Der subjektive Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG........................... 41 a) Verbraucher .................................................................................................. 41 b) Gewerbetreibende, insbes. öffentliche Unternehmen................................... 42 c) Private Bauherren (Verbraucher) und Bauunternehmer ............................... 42

2. Der objektive Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG............................. 43 a) Standardverträge .......................................................................................... 43 aa) Standardverträge – das System................................................................. 43 bb) VOB/B als Standardverträge...................................................................... 45

b) Vorformulierte Individualklauseln und individuell ausgehandelte Klauseln ... 45 aa) Systematische Bedeutung des Vorformulierens = Wegfall des Stellens.... 45 bb) Vorformulierte Individualklauseln als Einfallstor für den Ausschluss nicht

gestellter VOB/B......................................................................................... 46 cc) Individuell ausgehandelte Klauseln............................................................ 48

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c) Kollektiv ausgehandelte Allgemeine Geschäftsbedingungen oder genießt die VOB/B ein Sonderprivileg?..................................................................... 48

aa) Kollektivvereinbarungen im Arbeits- und Sozialrecht nach Maßgabe von Art. 139 EGV ....................................................................................... 49

bb) Folgerungen für die Anforderungen an Kollektivvereinbarungen im Bereich des europäischen Verbraucherrechts, speziell an die VOB/B ...... 50

3. System der Legalausnahmen und die Bedeutung des Art. 1 Abs. 2 für ein mögliches Kontrollprivileg der VOB/B ................................................................. 51

a) System der Legalausnahmen ....................................................................... 51 b) Art. 1 Abs. 2 – bindende und/oder zwingende Rechtsvorschriften und die

VOB/B........................................................................................................... 52 c) Art. 1 Abs. 2 – dispositives Gesetzesrecht und VOB/B ................................ 53 d) Art. 1 Abs. 2 – Verhaltensstandards der Marktteilnehmer als

Legalausnahme?.......................................................................................... 54 e) Art. 1 Abs. 2 – Versorgungsbedingungen ..................................................... 55 f) Der Stand der Rechtsprechung des EuGH................................................... 56 g) Zwischenstand – zu einer möglichen Rechtfertigung einer Privilegierung

nach Maßgabe des Art. 1 Abs. 2 .................................................................. 57 4. Konzeptionell begründete und bereichsbezogene Ausnahmen in ihrer

Bedeutung für die VOB/B .................................................................................... 57 a) Art. 4 Abs. 2 – Preis- und Leistungskontrolle................................................ 57 b) Arbeits-, Erbschafts-, Gesellschafts- und Versicherungsrecht...................... 58 c) Gleichstellung des privaten Baurechts mit dem Arbeits-, Erbschafts-,

Gesellschafts- und Versicherungsrecht?...................................................... 59 5. Ergebnis zu I. – die VOB/B unterfällt dem Anwendungsbereich der Richtlinie

93/13/EWG.......................................................................................................... 60 II. Ist die nationale Sonderbehandlung der VOB/B mit der Richtlinie 93/13/EWG

vereinbar?.............................................................................................................. 61 1. Das Problem........................................................................................................ 61

a) Enge und weite Kompensation ..................................................................... 61 b) Verwischung von Anwendungsbereich und Kontrollmaßstab....................... 62 c) Aufbau und Prüffolge .................................................................................... 62

2. Grundlagen und Inhalt der Kompensation in der Richtlinie ................................. 63 a) Wortlaut der Richtlinie................................................................................... 63 b) Systematik der Richtlinie............................................................................... 63 c) Telos der Richtlinie ....................................................................................... 65 d) Zwischenergebnis ......................................................................................... 65

3. Kontrollkonzept der Richtlinie.............................................................................. 66 a) Das Konzept – Missbrauchskontrolle statt Klauselkontrolle.......................... 66 b) Kontrollmaßstab im Individualverfahren........................................................ 67 c) Kontrollmaßstab im Verbandsklageverfahren............................................... 69 d) Bedeutung des Kontrollkonzepts für die Prüffähigkeit der VOB/B ................ 70

4. Enge Kompensation und Transparenzprinzip ..................................................... 71 a) Bedeutung des Transparenzprinzips ............................................................ 72 b) Klarheit und Verständlichkeit ........................................................................ 72 c) Vertragstransparenz und Wettbewerbstransparenz ..................................... 74 d) Transparenzgebot und enge Kompensation in der VOB/B........................... 76

5. Ergebnis zu II – Sonderbehandlung der VOB/B ist mit der Richtlinie 93/13/EWG unvereinbar ...................................................................... 76

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Inhalt

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C. Die VOB/B-Klauseln in der Prüfung nach den Vorschriften zur Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen...................................................................... 78

I. Einleitung ............................................................................................................... 78 1. Umfang der zu prüfenden Klauseln..................................................................... 78 2. Prüfungsschema ................................................................................................. 79 3. Auslegungsmaßstab im deutschen und europäischen Recht ............................. 81 4. Enge Kompensation ............................................................................................ 82

II. Die Überprüfung der Einzelvorschriften................................................................. 82 1. § 2 Nr. 2 und § 14 Nr. 2 Satz 1 VOB/B................................................................ 82

a) Regelungsgehalt der Klauseln ...................................................................... 82 b) Prüfung des Transparenzgebotes................................................................. 84 aa) 1. Einwand – Fehlende Bereitstellung der VOB/A ..................................... 85 bb) 2. Einwand – Fehlender Hinweis auf die Rechtsfolgen des Aufmasses .... 86 cc) 3. Einwand – Intransparentes Zusammenwirken ....................................... 87

c) Prüfung des § 309 Nr. 12 b) BGB i.V. mit dem Anhang Nr. 1 q – Veränderung der Beweislastverteilung......................................................... 87

d) Prüfung des § 307 Abs. 2 BGB – Ausnutzung der AGB-typischen Verhandlungsschwäche des privaten Bauherrn ........................................... 87

e) Zusammenfassende Bewertung ................................................................... 88 2. § 2 Nr. 7 Abs. 1 VOB/B ....................................................................................... 88

a) Regelungsgehalt ........................................................................................... 88 b) Verletzung des Transparenzgebotes ............................................................ 89 c) Verletzung des § 307 Abs. 2 BGB – Versagung eines Vertragslösungs-

rechts wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage.......................................... 91 d) Zusammenfassende Bewertung ................................................................... 92

3. § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B, § 4 Nr. 8 Abs. 1 Satz 3 VOB/B, § 5 Nr. 4 VOB/B, § 8 Nr. 3 VOB/B................................................................................................... 92

a) Regelungsgehalt der Klauseln ...................................................................... 93 b) Verletzung des Transparenzgebotes ............................................................ 94 c) Verletzung des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB – Festhalten an der Leistungs-

ablehnungsandrohung.................................................................................. 95 d) Verletzung des § 307 Abs. 2 Nr. 1BGB – Kündigungsrecht statt

Rücktrittsrecht............................................................................................... 96 e) Zusammenfassende Bewertung ................................................................... 97

4. § 5 Nr. 1 und Nr. 2 VOB/B................................................................................... 97 a) Regelungsgehalt der Klauseln ...................................................................... 97 b) Verletzung des Transparenzgebotes ............................................................ 99 c) Verletzung des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB – Leistung bei Aufforderung ........ 100 d) Verletzung des § 307 Abs. 2 – Ausnutzung der AGB-typischen

Verhandlungsschwäche des privaten Bauherrn ......................................... 101 e) Zusammenfassende Bewertung ................................................................. 102

5. § 7 Nr. 1 VOB/B................................................................................................. 102 a) Regelungsgehalt ......................................................................................... 102 b) Verletzung von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB – Verlagerung des

Unternehmerrisikos .................................................................................... 103 c) Zusammenfassende Bewertung ................................................................. 104

6. § 12 Nr. 5 Abs. 1 bis Abs. 3 VOB/B................................................................... 104 a) Regelungsgehalt ......................................................................................... 105 b) Privilegierung der VOB/B in § 308 Nr. 5 BGB – die fehlende innere Logik. 106

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c) Zusammenfassende Bewertung ................................................................. 108 7. § 13 Nr. 4 VOB/B............................................................................................... 108

a) Regelungsgehalt ......................................................................................... 108 b) Privilegierung der VOB/B in § 309 Nr. 8 b) ff) – die fehlende innere Logik . 109 c) Möglichkeit der engen Kompensation......................................................... 110 d) Eigenständiger Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG ..... 111 e) Zusammenfassende Bewertung ................................................................. 113

8. § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 1 VOB/B ........................................................................ 113 a) Regelungsgehalt ......................................................................................... 113 b) Verletzung des Transparenzgebotes .......................................................... 114 c) Verletzung des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB – Verweigerung des

Neuherstellungs-anspruches...................................................................... 115 d) Zusammenfassende Bewertung ................................................................. 116

9. § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 und 3 VOB/B .............................................................. 116 a) Regelungsgehalt ......................................................................................... 116 b) Verletzung von § 309 Nr. 8 b) ff) – Verkürzung der Verjährung in

§ 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 VOB/B ................................................................. 117 c) Möglichkeit der engen Kompensation des „unwirksamen“

§ 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 VOB/B durch § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 3 ................ 118 d) Verletzung von § 309 Nr. 8 b) ff) – Verkürzung der Verjährung in

§ 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 3 VOB/B ................................................................. 119 e) Zusammenfassende Betrachtung ............................................................... 119

10. § 13 Nr. 6 VOB/B ............................................................................................ 120 a) Regelungsgehalt ......................................................................................... 120 b) Verletzung des Transparenzgebotes .......................................................... 121 c) Eigenständiger Verstoß des § 13 Nr. 6 VOB/B gegen Art. 3 Abs. 1 der

Richtlinie 93/13/EWG – Abschneiden des Rücktrittsrechts ........................ 121 d) Bewertende Zusammenfassung ................................................................. 123

11. § 15 Nr. 3 Satz 5 VOB/B ................................................................................. 123 a) Regelungsgehalt ......................................................................................... 123 b) Privilegierung der VOB/B in § 308 Nr. 5 BGB – Anwendbarkeit auf

§ 15 Nr. 3 Satz 5 VOB/B............................................................................. 124 c) Zusammenfassende Bewertung ................................................................. 125

12. § 16 Nr. 1 Abs. 1 VOB/B ................................................................................. 125 a) Regelungsgehalt ......................................................................................... 126 b) Verletzung des § 307 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB – Leitbildcharakter des

§ 632 a BGB............................................................................................... 126 c) Zusammenfassende Bewertung ................................................................. 128

13. § 16 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B ................................................................................. 128 b) Verletzung des Transparenzgebotes .......................................................... 129 c) Zusammenfassende Wertung..................................................................... 130

14. Zusammenfassung ......................................................................................... 130 D. Welche rechtlichen Handlungsmöglichkeiten bestehen für den

Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. gegen den richtlinienwidrigen Zustand vorzugehen? .......................................................................................... 131

I. Ziele und Mittel .................................................................................................... 131 1. Ziel des Vorgehens ........................................................................................... 131 2. Mittel .................................................................................................................. 131

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Inhalt

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II. Ziel: Gesetzesänderung mittels Einleitung eines Vertragsverletzungs- verfahrens, Art. 226 EGV..................................................................................... 133

1. Funktion des Vertragsverletzungsverfahrens.................................................... 133 2. Möglichkeiten des Verbraucherzentrale Bundesverbandes e.V. die Einleitung

eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die Kommission zu erzwingen ..... 133 III. Feststellung der Gemeinschaftswidrigkeit im Wege des

Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 EGV ............................................ 135 1. Vorabentscheidungsverfahren und Unterlassungsklage................................... 135 2. Unterlassungsklage nach § 1 UKlaG ................................................................ 136 3. Adressaten der Unterlassungsklage – Verwender und Empfehler.................... 136

a) Anforderungen an den Empfehler............................................................... 137 b) DVA als Empfehler der VOB/B ................................................................... 138

4. Gegenstand der Unterlassungsklage ................................................................ 140 5. Verjährung der Unterlassungsansprüche.......................................................... 141 6. Antrag auf Vorlage an den Europäischen Gerichtshof ...................................... 142

IV. Anspruch geschädigter Bauherren auf Schadensersatz gegen die Bundes- republik Deutschland wegen fehlerhafter Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG 144

1. Grundlagen eines Schadensersatzanspruches................................................. 144 2. Auswahl der geeigneten Fallkonstellation ......................................................... 145 3. Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches geschädigter

Bauherren im Einzelnen .................................................................................... 146 a) Zur Existenz subjektiver Rechte in der Richtlinie 93/13/EWG .................... 146 b) Fehlerhafte Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG ..................................... 148 c) Schaden...................................................................................................... 149

4. Exkurs – Anspruch geschädigter Bauherren auf Schadensersatz gegen die BRD wegen einer fehlerhaften Anwendung der Richtlinie durch die deutschen Gerichte ........................................................................................... 149

V. Schlussbetrachtung ............................................................................................. 151 E. Zusammenfassung .............................................................................................. 152 I. Gegenstand und Grundlagen des Gutachtens .................................................... 152 II. Die VOB/B im Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG............................ 155

1. Die VOB/B unterfällt dem Anwendungsbereich der Richtlinie ........................... 155 2. Die nationale Sonderbehandlung ist mit der Richtlinie nicht vereinbar ............. 156

III. Die VOB/B-Klauseln in der Prüfung nach den Vorschriften zur Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen.................................................................... 157

IV. Rechtliche Handlungsmöglichkeiten des Verbraucherzentrale Bundesverbandes e.V. ........................................................................................ 163

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Literatur

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A. Gegenstand und Grundlagen des Gutachtens

I. Vorbemerkung zum Umgang mit dem Gemeinschaftsrecht

Die Fragestellung des Gutachtens hat mit einer ganz spezifischen Schwierigkeit zu kämpfen, die sich aus dem unterschiedlichen Charakter der nationalen Rechtsordnung und der übergeordneten europäischen Rechtsordnung in ihrem Zusammenspiel ergibt. Die europäische Rechtsordnung ist horizontal ausgerichtet. Sie muss in ihren Lö-sungsansätzen für 15 Zivilrechtsordnungen der Mitgliedstaaten passförmig gemacht werden. Notwendig herrscht in dieser supranationalen Rechtsordnung ein anderer Abs-traktionsgrad als in den nationalen Rechtsordnungen. Die Richtlinie 93/13/EWG muss so ausgelegt werden, dass sie für alle nationalen AGB-Regeln Vorgaben definiert, un-abhängig von den historischen, kulturellen und dogmatischen Besonderheiten der je-weiligen Rechtsordnung. Konfliktträchtig ist vor allem der Suprematieanspruch des Gemeinschaftsrechts. Das nationale Recht muss sich dem Europarecht beugen, soweit und solange sich die Anwendungsbereiche decken. Fast schon ein natürlicher, in allen Zivilrechtsordnungen zu beobachtender Reflex ist es, die jeweiligen Besonderheiten gegenüber dem Suprematieanspruch des Gemeinschaftsrechts geltend zu machen – mit dem einzigen Ziel, den Vorrang des Gemeinschaftsrechts formal unangetastet zu lassen, in der Sache jedoch den nationalen Besitzstand zu wahren. Damit verschiebt sich sukzessive die Perspektive. Das Gemeinschaftsrecht wird von einer horizontalen in eine vertikale Zuordnung verschoben. Insofern bildet die Diskussion um den Son-derstatus und die privilegierte Behandlung im deutschen Recht den Ausgangspunkt für die vertikale, nach oben gerichtete Analyse der Richtlinie 93/13/EWG. Das Gemein-schaftsrecht wird primär vertikal in seinem deutsch-rechtlichen Kontext wahrgenom-men, nicht mehr horizontal in seinem gemeinschaftsrechtlichen, von 15 Rechtsordnun-gen geprägten Argumentationsmustern.

Die Aufgabenstellung verlangt eine horizontale Perspektive. Diesem Umstand trägt der Aufbau des Gutachtens Rechnung. Deshalb muss es zunächst darum gehen, die verti-kale Wahrnehmung des Gemeinschaftsrechts in der deutschen Diskussion offen zu legen. Als Ausgangspunkt fungiert die Auseinandersetzung um den speziellen Status der VOB/B im deutschen Recht. Ohne im einzelnen Stellung beziehen zu wollen, sind die zentralen Diskussionsstränge freizulegen. Erst vor diesem Hintergrund wird die spezifisch deutsche (besser wohl spezifisch nationale) Sichtweise auf die Richtlinie 93/13/EWG deutlich. Sie konzentriert sich auf die Regeln der Richtlinie, die es ermögli-chen, die Privilegierung zu verteidigen oder aus den Angeln zu heben. Der weitere Kontext der Richtlinie, ihr horizontaler Regelungsanspruch ohne Berücksichtigung nati-onaler Besonderheiten gerät aus dem Blickfeld. Erst in der Formulierung konkreter

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Fragen kann die Umpolung auf die horizontale Perspektive des Gemeinschaftsrechts gelingen.

II. Die VOB/B in der bisherigen nationalen Diskussion

1. Die VOB/B und die Vorschriften zur Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedin-gungen

Die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B „Allgemeine Vertragsbe-dingungen für die Ausführung von Bauleistungen DIN 1961“ (VOB/B) ist ein Regelwerk, das in Bau- und Handwerkerverträgen mit Verbrauchern als Vertragsgrundlage weit verbreitet ist und in seiner Bedeutung die Vorschriften des Werkvertragsrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches in weitem Umfang verdrängt. Verantwortlich für Erstellung und Fortentwicklung der VOB/B ist der Deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss (DVA). Der DVA ist ein nicht rechtsfähiger Verein, dessen (ordentliche und stimmbe-rechtigte) Mitglieder auf Auftraggeberseite unmittelbar an der Vergabe von öffentlichen Bauleistungen beteiligte Bundesministerien, Landesministerien und kommunale Spit-zenverbände sind, auf Auftragnehmerseite bundesweit tätige Spitzenorganisationen zur Vertretung der Auftragnehmer im Bereich des öffentlichen Bauauftragswesens (§ 3 Satzung des DVA). Namentlich werden die ordentlichen Mitglieder in der Anlage gem. § 3 Abs. 2 der Satzung des DVA aufgeführt.

a) Rechtsnatur der VOB/B

Die VOB/B hat weder den Charakter eines Gesetzes noch den einer Rechtsverord-nung, ebenso wenig wie ihre Vorschriften die Qualität von Gewohnheitsrecht haben.1 Verschiedentlich wird die VOB/B i.V.m. allgemeinen Rechtsgrundsätzen, insbesondere dem Grundsatz von Treu und Glauben gebracht oder in die Nähe der Verkehrssitte gerückt.2 Dies ändert allerdings nichts daran, dass die Vorschriften der VOB/B nach allgemeiner Meinung grundsätzlich einer vertraglichen Vereinbarung der Vertragspar-teien bedürfen, um Vertragsbestandteil zu werden. Zumindest seit Inkrafttreten des AGB-Gesetzes dürfte jedenfalls die Behandlung der Regeln der VOB/B als Allgemeine Geschäftsbedingungen überwiegend anerkannt sein.3 Vereinzelt wurden Zweifel an der Einstufung der VOB/B als AGB geäußert, die sich auf die zahlreichen Besonderheiten

1 Nicklisch/Weick, VOB/B, Einl. Rdnr. 29. 2 Nicklisch/Weick, VOB/B, Einl. Rdnr. 30 f. 3 Statt vieler Wolf/Horn/Lindacher-Horn, AGBG, § 23 Rdnr. 240 mwN.; BeckKomm-Ganten,

Einl. II, Rdnr. 5; Nicklisch/Weick, VOB/B, Einl. Rdnr. 52.

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der VOB/B gründeten, welche sich nicht mit dem Schutzzweck des AGB-Gesetzes oder der Aussage der einzelnen Vorschriften deckten.4

b) Privilegierung der VOB/B vor der Schuldrechtsreform

Allerdings wurde und wird der VOB/B durch den Gesetzgeber und die Rechtsprechung seit eh und je eine Sonderstellung unter den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ein-geräumt. Nach dem bis zum 31.12. 2001 geltenden § 23 Abs. 2 Nr. 5 AGBG sollten § 10 Nr. 5 AGBG (Fingierte Erklärungen) und § 11 Nr. 10 lit. f) AGBG (Verkürzung der Gewährleistungsfristen) für Leistungen, deren Vertragsgrundlage die VOB ist, keine Anwendung finden.

Der BGH vertrat mehrmals den Standpunkt, dass die VOB nicht ohne weiteres mit All-gemeinen Geschäftsbedingungen auf eine Stufe zu stellen sei.5 In seinem Grundsatz-urteil vom 16.12.19826 arbeitete der BGH die Voraussetzungen einer Privilegierung der VOB/B heraus, aufgrund derer die VOB/B der für Allgemeine Geschäftsbedingungen an sich geltenden gesetzlichen Inhaltskontrolle weitestgehend entzogen ist. Die VOB/B sei – so der BGH – im Gegensatz zu sonstigen ABG, die vorrangig die Interessen des Verwenders berücksichtigten, gerade kein Vertragswerk, das den Vorteil nur einer Ver-tragsseite verfolge. Die Beteiligung von Interessengruppen sowohl der Unternehmer als auch der Besteller, einschließlich der öffentlichen Hand führe zu einem auf die Be-sonderheiten des Bauvertragsrechts abgestimmten, im ganzen einigermaßen ausge-wogenen Ausgleich der beteiligten Interessen. Von den Bestimmungen des Werkver-trages des Bürgerlichen Gesetzbuchs werde teils zu Gunsten des Auftraggebers, teils zu Gunsten des Auftragnehmers abgewichen. Diese Einschätzung schaffte die Grund-lage für den bis heute geltenden Lehrsatz, dass Einzelbestimmungen der VOB/B einer Inhaltskontrolle anhand der Generalklausel7 entzogen seien, wenn die VOB/B als Gan-zes, das heißt ohne ins Gewicht fallende Änderungen oder Beschränkungen, zur Ver-tragsgrundlage gemacht werde und das Normgefüge der VOB/B als Ganzes einer Ausgewogenheitskontrolle standhalte, was der Fall sei. Würden einzelne VOB/B-

4 Siegburg, BauR 1993, 9 ff., 12; ders., FS Locher, 364 f. schlug vor, mittels teleologischer

Reduktion § 1 AGBG einschränkend zu interpretieren, und die VOB/B im Ergebnis nicht dem AGB-Gesetz zu unterstellen; ähnlich Weick, FS Korbion, 457.

5 BGHZ 55, 198, 200; 86, 135; 141; BGH, NJW 1971, 615. 6 BGHZ 86, 135. 7 Die Literatur geht zum Teil noch weiter und wendet die Methode der Gesamtabwägung auch

auf die Inhaltskontrolle anhand der Klauselkataloge an; so z.B. BeckKomm-Ganten, Einl II, Rdnr. 43; Ingenstau/Korbion, Einleitung Rdnrn. 25, 27; Nicklisch/Weick, VOB/B, Einl. Rdnr. 57; Schmidt, DNotZ 1983, 462; a.A. OLG Köln, NJW 1986, 330; Wolf/Horn/Lindacher-Horn, AGBG, § 23 Rdnr. 249; Jobski, VOB/B als Gegenstand der Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz, 105 ff.; Koch, Schadensersatz für Baumängel gem. § 13 Nr. 7 VOB, 61 ff.; Kutsch-ker, Gesamtabwägung der VOB/B nach AGB-Gesetz und EG-Verbraucherschutzrichtlinie, 15.

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Bestimmungen einer Billigkeitskontrolle unterworfen und hierdurch bestimmte, die Inte-ressen einer Vertragsseite bevorzugende Bestimmungen für unwirksam erklärt werden, so würde nach Auffassung des BGH gerade dadurch der von dem Vertragswerk im Zusammenwirken sämtlicher Vorschriften erstrebte billige Ausgleich der Interessen gestört und das mit der Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz verfolgte Ziel verfehlt. Aus diesem Grunde sei eine Inhaltskontrolle nur eröffnet, wenn die VOB/B nicht als Ganzes in vorstehendem Sinne vereinbart worden sei.

Neben den Besonderheiten im Aufstellungsprozess der VOB/B und ihrer vermeintli-chen Ausgewogenheit führt der BGH auch die Wertung des AGB-Gesetzgebers zur Rechtfertigung der Sonderstellung der VOB/B an: Die Privilegierung in § 23 Abs. 2 Nr. 5 AGBG beruhe nämlich auf der gleichen Erwägung,8 wiewohl eine solche Lesart vom Wortlaut der Vorschrift nicht ohne weiteres gedeckt ist.9 Bis heute lehnt der BGH die Durchführung einer isolierten Inhaltskontrolle einzelner Bestimmungen der VOB/B an-hand der Generalklausel mittels obiger Gründe ab. Bemerkenswert ist jedoch, dass schon geringfügige Eingriffe in die VOB/B das Gesamtprivileg zunichte machen. In seiner jüngsten Entscheidung vom 22.1.2004 hat der BGH die Anforderungen noch einmal verschärft. Danach führt jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu, dass diese nicht als Ganzes vereinbart ist. Es kommt nicht darauf an, welches Gewicht der Eingriff hat.10 Insofern hat sich der BGH ein Rückzugsargument geschaffen, dass nach Auffassung einiger Autoren zu einer schleichenden Erosion der Sonderstellung der VOB/B führt.11

In der Literatur wurde teilweise von einer außerordentlich restriktiven Interpretation des § 23 Abs. 2 AGBG durch den BGH gesprochen, denn selbst diejenigen Regelungen der VOB/B, die dem Wortlaut des § 23 Abs. 2 Nr. 5 AGBG direkt unterfielen, seien nach dieser Rechtsprechung nur bei einer Vereinbarung der VOB/B als Ganzes einer Inhaltskontrolle entzogen.12

c) Privilegierung der VOB/B nach der Schuldrechtsreform

Mit Artikel 6 Nr. 4 des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes wurde das AGBG und damit auch § 23 Abs. 2 Nr. 5 AGBG aufgehoben. Eine § 23 Abs. 2 Nr. 5 AGBG ent-sprechende Privilegierung der VOB/B findet sich jetzt in § 308 Nr. 5 BGB bzw. § 309 Nr. 8 b) ff) BGB. Nach diesen beiden Vorschriften sollen nunmehr explizit die dort je-

8 Diesen Punkt präzisierte der BGH durch seine Entscheidung vom 10.10.1985: BGHZ 96,

129 ff. 9 Vgl. Quack, BauR 1997, 24, 25; Tempel, NZBau 2002, 468. 10 BGH, Urteil v. 22.1.2002, VII ZR 419/02. 11 Vgl. Quack, BauR 1997, 24, 25; Koch, BauR 2002, 162, 173 Fn. 107; jeweils vor der jüngs-

ten Entscheidung. 12 Quack, BauR 1997, 24, 25; Hoff, BauR 2001, 1654.

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weils niedergelegten Kontrollvorschriften keine Anwendung für Verträge finden, in die die VOB/B insgesamt einbezogen ist. Der Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts13 enthält dazu folgende Begründung:

„In Nr. 5 wird eine Ausnahme für Verträge vorgesehen, in die Teil B der Verdingungsord-nung für Bauleistungen (VOB/B) als Ganzes einbezogen ist. Diese Ausnahme ergibt sich bisher schon aus § 23 Abs. 2 Nr. 5 AGBG, wo es heißt, dass § 10 Nr. 5 AGBG nicht gilt für Leistungen, für die die VOB Vertragsgrundlage ist. Die Formulierung der Ausnahme an dieser Stelle macht dem Rechtsanwender die Zuordnung leichter. Zugleich wird die Aus-nahme konkreter formuliert, indem diese nunmehr voraussetzt, dass die VOB/B insgesamt in den Vertrag einbezogen ist. Damit wird der gefestigten Rechtsprechungspraxis Rech-nung getragen, die das Eingreifen der im bisherigen § 23 Abs. 2 Nr. 5 AGBG zugunsten der VOB geregelten Ausnahmen davon abhängig macht, dass die VOB/B insgesamt, das heißt ohne ins Gewicht fallende Einschränkungen übernommen worden ist.14 Diese Rechtsprechung soll nunmehr ohne inhaltliche Änderung im Gesetzeswortlaut seine Ent-sprechung finden. Die Privilegierung erfasst die VOB/B in ihrer jeweils zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gültigen Fassung, da davon ausgegangen wird, dass die VOB/B in ih-rer jeweils geltenden Fassung einen insgesamt angemessenen Interessenausgleich zwi-schen den an Bauverträgen Beteiligten schafft.“15

Die Rechtsprechung hatte bislang noch keine Gelegenheit Stellung zu beziehen, so dass der Streit um die möglichen Folgen der Novellierung für die Reichweite der Kon-trollfähigkeit der VOB/B bislang rein akademischer Natur geblieben ist.

aa) Teilprivilegierung oder Gesamtprivilegierung

Der erste Streitpunkt dreht sich um die richtige Lesart des novellierten Gesetzes, kon-kreter um die Frage, ob die Novellierung lediglich eine Teilprivilegierung oder eine Ge-samtprivilegierung der VOB/B vorsehe.

Aus dem Wortlaut der Vorschriften folgert ein Teil der Literatur, dass die VOB/B ledig-lich an zwei Stellen abschließend privilegiert werden sollte.16 § 23 Abs. 2 Nr. 4 AGBG habe den Anwendungsbereich des AGBG als solchen erfasst, § 308 Nr. 5 BGB bzw. § 309 Nr. 8 b) ff) BGB betreffe nur einzelne unwirksame Klauseln.17 Gegen eine Ge-samtprivilegierung spreche ferner, dass § 310 Abs. 4 S. 3 BGB Tarifverträge Rechts-vorschriften i.S.d. § 317 Abs. 2 BGB gleichstelle. Die Rechtsprechung des BGH zur Vereinbarung der VOB/B als Ganzes werde auf Tarifverträge entsprechend angewen-

13 BT-Drucks. 14/6040, 154. 14 BGHZ 96, 129, 133; 100, 391, 399; BGH, NJW 1986, 713, 714; NJW 1987, 2373, 2374;

NJW-RR 1989, 85, 86. 15 MünchKommBGB-Soergel, § 631 Rdnr. 38 ff. 16 So z.B. Hoff, BauR 2001, 1654, 1659; Lenkeit, BauR 2002, 169, 223; Peters, NZBau 2002,

113, 114 f.; Schwenker/Heinze, BauR 2002, 1143, 1144 f.; Fran-ke/Kemper/Zanner/Grünhagen, Die Neuregelung der VOB/B 2002.

17 Schwenker/Heinze, BauR 2002, 1143, 1144 f.; Hoff, BauR 2001, 1654, 1659.

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det, Tarifverträge und die VOB/B seinen insofern also miteinander vergleichbar. Diese beiden im wesentlichen gleichen Sachverhalte seinen vom Gesetzgeber aber unter-schiedlich behandelt worden – für Tarifverträge wurde eine Bereichsausnahme vorge-sehen, für den Fall der Vereinbarung der VOB/B demgegenüber nur eine Ausnahme für zwei Klauselverbote bei den jeweiligen Vorschriften.18

Demgegenüber nimmt die Gegenmeinung unter Hinweis auf die Begründung des Ge-setzentwurfes an, dass der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BGH zur Privilegie-rung der „VOB/B als Ganzes“ in vollem Umfang gebilligt und sich zu eigen gemacht habe.19 Die Verlagerung der in § 23 Abs. 2 Nr. 5 AGBG enthaltenen Ausnahmen in § 308 Nr. 5 bzw. § 309 Nr. 8 b) ff) BGB sei bedeutungslos, da der BGH die Privilegierung der VOB/B gar nicht aus § 23 Abs. 2 Nr. 5 AGBG abgeleitet, sondern sie unabhängig davon auf die Besonderheiten der VOB/B gestützt habe.20

bb) Statische oder dynamische Verweisung

Die Neuregelung des § 23 Abs. 2 Nr. 5 AGBG in den §§ 308 Nr. 5 bzw. 309 Nr. 8 b) ff) BGB lässt sich als statische21 oder dynamische22 Verweisung deuten.

Die Befürworter einer statischen Verweisung mit der Folge, dass die Privilegierung nur die VOB/B in der Fassung zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes erfasste, sie also mit der nächsten Änderung der VOB/B entfiele, weisen darauf hin, dass eine in die Zukunft weisende Freistellung nicht gerechtfertigt sei. Der Gesetzgeber habe den Verfassern der VOB/B nicht soviel Vertrauen entgegenbringen wollen, dass die Privile-gierung auch künftige Änderungen der VOB/B erfassen sollte.23 Darüber hinaus sei eine dynamische Verweisung sowohl im Hinblick auf Art. 80 GG als auch hinsichtlich des Demokratieprinzips24 und der Vorschriften der Klausel-Richtlinie25 sehr problema-tisch.

18 Schwenker/Heinze, BauR 2002, 1143, 1144 f. 19 Tempel, NZBau 2002, 464, 469; Weyer, BauR 2002, 857, 860; DVA-HAA-Beschlüsse zur

VOB/B, 2.5.2002, 3 f. http://www.bmvbw.de/Deutscher-Vergabe-und-Vertragsausschuss-fuer-Bauleistungen-DVA-.730.htm (pdf).

20 Weyer, BauR 2002, 857, 860; zur Unabhängigkeit des Ausgewogenheitskriteriums von der gesetzgeberischen Wertung in § 23 Abs. 2 Nr. 5 AGBG auch Kutschker, Gesamtabwägung der VOB/B nach AGB-Gesetz und EG-Verbraucherschutzrichtlinie, 10; Koch, Schadenser-satz für Baumängel gem. § 13 Nr. 7 VOB, 38.

21 Lenkeit, BauR 2002, 169, 223; Schwenker/Heinze, BauR 2002, 1143, 1145 f.; Hoff, BauR 2001, 1654, 1659.

22 Tempel, NZBau 2002, 464, 469; Weyer, BauR 2002, 857, 861 f. 23 Lenkeit, BauR 2002, 169, 223. 24 Hoff, BauR 2001, 1654, 1658; Schwenker/Heinze, BauR 2002, 1143, 1145 f. 25 Lenkeit, BauR 2002, 169, 223.

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Die Befürworter einer dynamischen Verweisung schließen aus der Begründung des Gesetzesentwurfs, dass der Gesetzgeber eine Privilegierung der VOB/B in ihrer jeweils zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gültigen Fassung erreichen wolle, wobei er da-von ausgehe, dass die VOB/B in ihrer jeweils geltenden Fassung einen insgesamt an-gemessenen Interessenausgleich zwischen den an Bauverträgen Beteiligten schaffe.26 Damit habe er aber zugleich die Voraussetzungen dieser dynamischen Verweisung festgelegt, denn die VOB/B müsse auch in ihrer geänderten Form einen insgesamt angemessenen Interessenausgleich zwischen den an Bauverträgen Beteiligten schaf-fen. Stehe damit die Ausgewogenheit nicht zur Disposition, sondern sei sie Bedingung der Privilegierung, ändere sich auch der Inhalt der Privilegierungsnorm trotz dynami-scher Verweisung nicht und bleibe somit demokratisch legitimiert und im Willen des parlamentarischen Gesetzgebers verankert.27

cc) Die offene Grundsatzfrage

Die Sonderbehandlung der VOB/B stieß insbesondere in der Literatur immer wieder auf Kritik,28 die sich vor allem an der mit der VOB/B eröffneten Möglichkeit entzündete, die Verjährungsfristen für Bauwerksmängel in einer Weise zu verkürzen, die in Allge-meinen Geschäftsbedingungen außerhalb der VOB/B unzulässig ist.29 Eine derartige Verjährungsverkürzung zum Nachteil des Verbrauchers stelle sich als in hohem Maße unausgewogen dar.30

Der Verweis des BGH auf den Aufstellungsprozess und auf die Ausgewogenheit der VOB/B wurde gleichermaßen kritisch gewürdigt. Die Beteiligung von Vertretern beider Marktseiten bei der Ausarbeitung der VOB/B gewährleiste nicht zwangsläufig, dass ein ausgewogenes Werk nicht nur angestrebt, sondern auch erreicht werde.31 Die Ent-scheidungen würden von Personen getroffen, die nicht einem ausgewogenen Ganzen verpflichtet seien, sondern ihrem jeweiligen Interessenverband. Je nach Verhand-lungsgeschick läge es demnach nahe, dass das Ergebnis der Beratungen die eine o-der andere Gruppe bevorzuge.32 Im DVA seien überdies nicht alle Interessengruppen vertreten, so z.B. nicht die privaten Bauherren von Eigenheimen. Es sei daher auch nicht verwunderlich, dass die VOB/B die Interessen gerade dieser besonders schutz-

26 Tempel, NZBau 2002, 464, 469. 27 Weyer, BauR 2002, 857, 862; so bereits zu § 23 Abs. 2 Nr. 5 AGBG Tomic, BauR 2001, 14,

22. 28 Kappelmann, NJW-Editorial Heft 29/2002; Kiesel, NJW 2002, 2064, 2071. 29 Ulmer/Brandner/Hensen-Ulmer, AGBG, § 23 Rdnr. 248. 30 Lang, NJW 1995, 2063, 2069; Quack, BauR 1997, 24, 25; Schlünder, BauR 1998, 1123. 31 Kutschker, Baurechtliche Schriften, Bd. 42, 1998, 26; Flach, NJW 1984, 156, 157; Koch,

BauR 2001, 162, 168. 32 Hoff, BauR 2001, 1654, 1655.

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bedürftigen, da der VOB/B unkundigen Interessengruppe nicht berücksichtige.33 Dar-über hinaus wurde in Frage gestellt, ob im Rahmen der Inhaltskontrolle eine AGB-widrige Klausel mit dem Argument aufrecht erhalten werden dürfe, an anderer Stelle des Klauselwerkes werde dieser Nachteil durch eine vorteilhafte Klausel kompensiert. Eine kurze Verjährungsfrist als konkreter Nachteil für den Auftraggeber werde nicht deshalb zu einer ausgewogenen Regelung, weil ihr an anderer Stelle eine theoretische Vergünstigung gegenüber stehe.34 Selbst wenn eine grundsätzliche Ausgewogenheit der VOB/B angenommen werde, könne von dieser nur solange ausgegangen werden, wie sich tatsächlich zwei „gleich starke“ und v.a. rechtlich gleich informierte Partner – öffentliche Hand und professioneller Bauunternehmer – gegenüberstünden, die VOB/B also in ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung verwendet werde. Weisen Auftraggeber und Auftragnehmer gleichermaßen baufachliche Kompetenz auf, werde der Auftragge-ber diese Kompetenz schon während der Bauausführung zu einer qualifizierten Leis-tungskontrolle und -überwachung nutzen und sich auf die Gefahr einer fiktiven Abnah-me ebenso einstellen wie sich der Auftragnehmer auf den Rechtsverlust durch vorbe-haltlose Annahme der Schlusszahlung einstellen werde.35 Die generelle Ausgewogen-heit der VOB/B sei aber empfindlich gestört, wenn die VOB/B gegenüber einem recht-lich nicht versierten, im Vergleich zu einem professionellen Bauunternehmer schlechter informierten privaten Bauherrn verwendet werde, für den die theoretische Möglichkeit rechtlicher Vorteile wertlos sei, solange die tatsächlichen Voraussetzungen fehlten, sie auch zu nutzen.36 Daher wurde verschiedentlich vorgeschlagen, bei der Anwendung der AGB-Vorschriften zwischen öffentlichen bzw. gewerbsmäßigen und privaten Bau-herren (Verbrauchern) zu unterscheiden.37

d) Versäumte Gelegenheit einer Neuorientierung

Der Forderung, den Umgang mit der VOB/B im Lichte der besonderen Schutzbedürf-tigkeit privater Auftraggeber zu novellieren, haben bislang weder die Rechtsprechung noch der Gesetzgeber Rechnung getragen. Insbesondere letzterer hat die mit der zum 1.1.2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsmodernisierung gegebene Möglichkeit einer Neuorientierung im Interesse der besonderen Schutzbedürftigkeit privater Auftraggeber nicht nur versäumt, sondern den bisherigen Rechtszustand kodifiziert. Auch der für die VOB/B zuständige DVA lässt keine Anstrengungen erkennen, die VOB/B im Sinne der besonderen Schutzbedürftigkeit privater Auftraggeber zu novellieren. Die am

33 Hoff, BauR 2001, 1654, 1655; Koch, BauR 2001, 162, 168. 34 Flach, NJW 1984, 156, 157; Koch, BauR 2001, 162, 164, Tempel, NZBau 2002, 465, 468. 35 Koch, BauR 2001, 162, 170. 36 Koch, BauR 2001, 162, 170 f. 37 Koch, BauR 2001, 162, 173; Kraus, BauR Beilage zu Heft 4/1997, 3, 10; Lang, NJW 1995,

2063, 2068 f.; Quack, BauR 1997, 24, 26.

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29.10.2002 im Bundesanzeiger bekannt gemachte Neufassung der VOB/B 200238 un-ternimmt den Versuch einer Anpassung an die Erfordernisse der Schuldrechtsmoder-nisierung, Stossrichtung und Regelungsphilosophie der VOB/B wurden jedoch beibe-halten.

2. Die VOB/B und das Gemeinschaftsrecht

Am 5. April 1993 verabschiedete der Rat der Europäischen Gemeinschaften die Richt-linie 93/13/EWG zur Kontrolle missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen. Die einschlägigen Kommentare haben sich mit den Folgewirkungen der Richtlinie ausei-nandergesetzt. Ulmer/Brandner/Hensen,39 Staudinger-Schlosser bzw. Staudinger-Coester-Watjen40 und MünchKomm BGB-Basedow41 haben einen integrierten Ansatz gewählt, d.h. die Richtlinie wird in die Kommentierung der einschlägigen Bestimmun-gen des AGBG, seit 1.1.2002 der §§ 305 ff. BGB einbezogen. Nur Wolf/Horn/Lindacher42 und Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer43 haben sich auf eine separate Kommentierung eingelassen. Trotz des erheblichen akademischen Aufwands hat die Richtlinie nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die ihr gebühren würde. Mit den ersten Vorlageentscheidungen des EuGH mag sich diese Zurückhaltung ändern.

a) Unzureichende Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG durch den Gesetzgeber

Der mit der Umsetzung der Richtlinie befasste Gesetzgeber beschränkte sich auf eine Minimalanpassung in § 24a AGBG und meinte, damit den Erfordernissen der Richtlinie Genüge getan zu haben. Im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung wurde das von der Richtlinie geforderte Transparenzgebot im nationalen Recht festgeschrieben (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB), eine wirkliche Diskussion um das Verhältnis der §§ 305 ff. BGB zur Richtlinie und sich hieraus etwa ergebende Anpassungen des nationalen Rechts fand im Gesetzgebungsverfahren jedoch nicht statt.

Die mangelnde Befassung mit der Bedeutung der Richtlinie für das nationale Recht der Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen bedingt, dass dem Verhältnis der VOB/B beziehungsweise deren Sonderbehandlung zur Richtlinie ebenso wenig Beachtung

38 Die Neufassung der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) Teile A und B

vom 12.9.2002 wurde am 29.10.2002 auf Seite 24057 im Bundesanzeiger bekannt gemacht http://www.bmvbw.de/Anlage13076/VOB-2002-Teile-A-und-B.pdf.

39 9. Auflage, 2001. 40 13. Auflage, 1998. 41 So bereits in der Kommentierung der §§ 9 ff. AGBG in der 4. Auflage 2001, jetzt in der

Kommentierung der §§ 305 ff. BGB in der 4. Auflage 2003. 42 4. Auflage, 1999. 43 A 5, Klauseln in Verbraucherverträgen (Richtlinie 93/13/EWG), 13. Ergänzungslieferung,

1999.

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geschenkt wurde wie der Frage der Zulässigkeit der Inhalte der VOB/B bei Verbrau-cherverträgen im Lichte der Richtlinie. Dies, obwohl bereits eine Betrachtung des Schutzzwecks der Richtlinie, die dem besonderen Schutz privater Endverbraucher bei der Konfrontation mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen dient, es nahe legt, dass eine nationale, zu Lasten privater Auftraggeber gehende Sonderbehandlung der VOB/B potentiell gemeinschaftswidrig sein kann. Dem Gesetzgeber fehlte ganz offen-sichtlich die Kraft und wohl auch die Zeit, um dem gesamten Komplex des Bauvertra-ges und seiner Gestaltung durch die VOB/B die ihm gebührende Aufmerksamkeit zu widmen.

b) Diskussionsansätze in der Literatur

Da die Rechtsprechung bislang keine Gelegenheit hatte oder keine Gelegenheit nutzen wollte, um das Verhältnis von Richtlinie 93/13/EWG und VOB/B zu klären, blieb es der Literatur überlassen, der Frage nachzugehen.44 Wenig überraschend spiegeln sich in den verschiedenen Stellungnahmen die Argumente der Befürworter und der Gegner einer gemeinschaftsrechtlich privilegierten Sonderposition der VOB/B wider. Die Be-fürworter einer Privilegierung sehen in der Richtlinie eine Bedrohung, die es abzuwer-ten gilt, um den Sonderstatus der VOB/B erhalten zu können. Die Gegner einer Privile-gierung entdecken das Potential des Gemeinschaftsrechts, um die im nationalen Kon-text festgefahrenen Positionen aufzubrechen. Dazwischen bewegen sich diejenigen, die den Zeitpunkt für einen offenen Konflikt noch nicht für gekommen sehen, weil die Bedeutung der Richtlinie 93/13/EWG für die rechtliche Qualifizierung der VOB/B noch nicht ermessen werden könne.45

Aus den vereinzelten Stellungnahmen in der baurechtlichen und in der AGB-rechtlichen Literatur ragt die Dissertation von Kutschker46 heraus. Sie ist in der Bau-rechtlichen Schriftenreihe erschienen und stellt die erste umfassende Auseinanderset-zung des Verhältnisses von VOB/B und Richtlinie 93/13/EWG dar. Bemerkenswerter-weise hat die bereits 1998 erschienene Dissertation von Kutschker keine wirkliche Dis-kussion ausgelöst. Der unbefangene Leser gewinnt bei der Lektüre der wenigen Stel-lungnahmen schnell den Eindruck, dass selbst die Kritiker die VOB/B mit Glacéhand-schuhen anfassen. Offensichtlich besteht zwischen allen Beteiligten ein stiller Konsens über die Notwendigkeit der VOB/B als grundlegendes Instrument zur Gestaltung der 44 Vgl. aus der baurechtlichen Literatur Frieling, BauR 1994, 154; Kraus, BauR 1997, Beilage

zu Heft 4; Quack, BauR 1997, 24; aus der AGB-rechtlichen Literatur Ulmer/Brander/Hensen-Ulmer, AGBG, § 23 Abs. 2 Nr. 5 Rdnr. 60; Heinrichs, NJW 1998, 1447, 1456; Wolf/Horn/Lindacher-Horn, AGBG, § 23 Rdnr. 249 ff.; Staudinger-Schlosser, § 23 Rdnrn. 1 b), 36; MünchKommBGB-Basedow, § 307 Rdnr. 177-123, § 309 Nr. 9 Rdnrn. 73-77, § 310 Rdnr. 33.

45 Diesen Standpunkt hat sich MünchKommBGB-Basedow, § 310 Rdnr. 34 zu eigen gemacht. 46 Kutschker, Baurechtliche Schriften, Bd. 42, 1998.

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bauvertrag-lichen Beziehungen, das nicht in einen der Inhaltskontrolle unterworfenen Teil und einen der Inhaltskontrolle entzogenen Teil zerschlagen werden soll. Die Kon-trollfähigkeit würde sich dann allein nach den Parteien des Vertrages richten. Verbrau-cherverträge wären nach anderen Kriterien zu beurteilen als Unternehmerverträge. „Fällt“ das Kontrollprivileg der VOB/B, so müsste das Baurecht in Deutschland novel-liert werden. Der Gesetzgeber wäre also die einzig berufene Instanz zur Lösung der Grundsatzproblematik. Jenseits der großen Frage einer Kodifizierung des Bauvertrags-rechts schälen sich in der Diskussion um das Verhältnis von VOB/B und Richtlinie 93/13/EWG drei Problemkomplexe heraus, auf die sich das Augenmerk der Beteiligten richtet,

1. auf die Kontrollfähigkeit der VOB/B im Anwendungsbereich der Richtlinie,

2. auf den Inhalt und die Grenzen der Kompensation nach der Richtlinie 93/13/EWG und

3. auf die mögliche Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Abnahmefiktion in § 12 Nr. 5 VOB/B und der Verjährungsregelung in § 13 Nr. 4 Abs. 2 VOB/B bzw. 309 Nr. 8 b) ff) BGB.

aa) VOB/B im sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG

Die Argumente der Gegner, Befürworter und Zögerer finden sich hier wieder. Während die einen den AGB-Charakter der VOB/B betonen und Allgemeine Geschäftsbedin-gungen den Standardverträgen in der Richtlinie gleichstellen,47 argumentieren die an-deren genau umgekehrt, dass kollektiv ausgehandelte Musterbedingungen vom Rege-lungszugriff der Richtlinie gar nicht erfasst sein.48 Dazwischen stehen diejenigen, die die VOB/B unter den Anwendungsbereich der Richtlinie fassen, die Lösung denkbarer Konflikte aber nach wie vor im nationalen Recht suchen.

In aller Schärfe geht es um die Frage, welchen AGB-Begriff die Richtlinie zugrundelegt und ob, ggf. wie sich dieser Begriff von dem des deutschen Rechts unterscheidet. Da-bei bildet die Entscheidung über die Einbeziehung der VOB/B in den sachlichen An-wendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG nur den Auftakt für die weit komplexere Frage nach den möglichen gemeinschaftsrechtlichen Konsequenzen. Sie verstecken sich in der sog. engen bzw. weiten Kompensation unzulässiger mit zulässigen Klau-seln.

47 So wohl die überwiegende Meinung in der Literatur, MünchKomm BGB-Basedow, § 307

Rdnr. 177; Ulmer/Brandner/Hensen-Hensen, AGBG Anh. §§ 9-11 Rdnr. 906; Wolf/Horn/Lindacher-Horn, AGBG, § 23 Rdnr. 248.

48 So Siegburg, BauR 1993, 9 und wohl unter Hinweis auf § 23 Abs. 2 Nr. 5 im Ergebnis auch Staudinger-Schlosser, § 23 Rdnrn. 1 b) und 36).

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bb) Enge oder weite Kompensation nach der Richtlinie 93/13/EWG

Das Interesse richtet sich auf Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG, der da lautet: „Die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel wird unbeschadet des Art. 7 unter Berück-sichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, aller den Vertragsschluss begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln dessel-ben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt (hervorgeho-ben H.-W. M), zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses beurteilt.“

Die Formulierung des Art. 4 Abs. 1 wirft drei Fragen auf:

Lässt die Richtlinie eine Kompensation missbräuchlicher mit nicht missbräuch-lichen Klauseln überhaupt zu?

Falls ja, ist lediglich eine enge Kompensation inhaltlich zusammengehörender Klauseln möglich, oder

ist auch eine weite auf das Ganze gerichtete Kompensation vom Gemein-schaftsrecht gedeckt?49

Die von der h.M. angenommene Privilegierung der VOB/B, solange sie als Ganze ver-einbart ist, wäre nur in der letzten Variante gemeinschaftsfest. Bleibt es bei der engen Kompensation, reduziert sich die Problematik allein auf die Frage, ob die Richtlinie andere – höhere? – Anforderungen an den inhaltlichen Sachzusammenhang stellt als das nationale Recht.

Unstreitig lässt die Richtlinie eine Kompensation zu. Streitig ist dagegen, ob Art. 4 Abs.1 Richtlinie 93/13/EWG einer weiten Kompensation im Wege steht. In der AGB-rechtlichen Literatur überwiegt die kritische Grundhaltung gegenüber einer weiten Kompensation.50 Die baurechtliche Literatur kommt überwiegend zum gegenteiligen Schluss.51 Kutschker befürwortet angesichts der Tatsache, dass die Richtlinie nicht eindeutig erkennen lasse, ob sie nur eine enge Kompensation gestatte oder auch eine weite Kompensation erlaube, eine Vorlage an den EuGH, um die Bedeutung von Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 93/13/EWG klären zu lassen.52 Doch damit nicht genug ist auch um-stritten, ob Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 93/13/EWG lediglich im Individualverfahren oder auch im Verbandsklageverfahren Anwendung findet. So gesehen besteht sogar die

49 Knapper Überblick bei Tempel, BauR 2002, 465, 468. 50 Vgl. Wolf/Horn/Lindacher-Horn, AGBG, § 23 Rdnr. 248 Fn. 5 und Wolf, Art. 4 RL Rdnr. 8 mit

Nachweisen aus der Diskussion in Fn. 7; Ulmer/Brander/Hensen-Hensen, AGBG, Anhang §§ 9-11 Rdnr. 906; anderer Ansicht dagegen Staudinger-Schlosser, § 23 Rdnrn. 1 b) und 36) und wohl auch nach dem derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts MünchKomm BGB-Basedow, § 307 Rdnr. 118 und § 310 Rdnr. 33.

51 Tomic, BauR 2001, 14, 26. 52 Kutschker, Gesamtabwägung, 207-208.

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Möglichkeit in sich divergierender Kontrollmaßstäbe, je nach dem, ob die Kompensati-on im Rahmen des Individual- oder des Verbandsklageverfahrens zur Debatte steht.

cc) Gemeinschaftsverträglichkeit der Abnahmefiktionen und der Verjährungsregelung

Im Brennpunkt der Kritik stehen zwei den Bauunternehmern eingeräumte Privilegien, die Abnahmefiktion und die Verjährungsregelung.53 Sollte eine weite Kompensation – also die Privilegierung der VOB/B als ganzes – mit dem Gemeinschaftsrecht nicht ver-einbar sein, wären diese beiden Bestimmungen der VOB/B wohl die ersten, die einer verschärften Inhaltskontrolle zum Opfer fallen könnten. Denn die Legalausnahmen in § 308 Nr. 5 und § 309 Nr. 8 b) ff) BGB würden nicht mehr greifen.

An die Abnahme im Sinne des § 12 Nr. 5 Abs. 1 VOB/B seien sowohl auftraggeber- wie auftragnehmerfreundliche Konsequenzen geknüpft. Die Abnahmeregelung der VOB/B habe den Zweck – so wird argumentiert – möglichst rasch durch Klärung des Abnahmezeitpunkts und damit des Beginns der Gewährleistungsfristen und der Fällig-keit der Vergütung Klarheit über die Rechtslage zu schaffen. Sie wolle selbstwider-sprüchliches Verhalten ausschließen, das in der Inbezugnahme ohne Mängelvorbehalt liege. Die Abnahmeregelung sei eine ausgewogene, den Interessen der Bau-Vertragsparteien und der zügigen Abwicklung Rechnung tragende Regelung.54 Weitere fingierte Erklärungen oder unwiderlegliche Beweisvermutungen der VOB/B, die aus dem AGB-Bereich nach Maßgabe des § 308 Nr. 5 BGB herausgenommen sind betref-fen § 16 Nr. 3 II (vorbehaltlose Annahme der Schlusszahlung) und § 15 Nr. 3 S. 5 (nicht fristgerecht zurückgegebene Stundenlohnzettel). Fiele die Privilegierung, würden die einschlägigen Bestimmungen der VOB/B einer Inhaltskontrolle nach Maßgabe der §§ 305 ff. BGB im Lichte der Richtlinie unterzogen.55

Die Verkürzung der Verjährungsfrist, so die Argumentation, müsse im Kontext mit den, der Beschleunigung der Bauabwicklung und Klarstellung dienenden VOB/B-Bestimmungen gesehen werden, mit Regelungen also, die auch dem Auftraggeber den Vorteil alsbaldiger Dispositionsmöglichkeit und -sicherheit bescheren.56 Verlasse man die Gesamtschau der VOB/B, so bestehe bei isolierter Betrachtung die Gefahr, dass fast jede von der BGB-Regelung abweichende VOB/B-Bestimmung als mit wesentli- 53 Ulmer/Brander/Hensen-Hensen, AGBG, Anhang §§ 9-11 Rdnr. 906; Staudinger-Schlosser, §

23 Rdnr. 36; Wolf/Horn/Lindacher-Horn, AGBG, § 23 Rdnr. 248; MünchKommBGB-Basedow, § 305 Nr. 8 Rdnrn. 7 ff., § 309 Nr. 9 Rdnr. 77.

54 Locher, NJW 1977, 1801, 1803. 55 Vgl. die zurückhaltende Kommentierung von MünchKommBGB-Basedow, § 308 Nr. 5 Rdnr.

8 sowie die ablehnende Haltung von Wolf/Horn/Lindacher-Horn, AGBG, § 23 Rdnr. 248 so-wie Ulmer/Brandner/Hensen-Hensen, AGBG, Anhang §§ 9-11 Rdnr. 912, letztere beide auf der Basis des § 23 Abs. 2 Nr. 5 AGBG.

56 Vgl. die Auseinandersetzung zwischen Tomic, BauR 2001, 14 – eine tickende Zeitbombe, und die Erwiderung von Weyer, BauR 2002, 857 – vorerst entschärft?

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chen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung unvereinbar erscheine. Die Gegen-ansicht bezweifelt die Tragfähigkeit dieser Argumentation. § 309 Nr. 8 b) ff) BGB habe die Problematik eher noch verschärft, die Erfolge der Schuldrechtsreform seien also als Danaergeschenk anzusehen. Die Neuregelung greife, so wird in der Literatur überwie-gend gefolgert, in problematischer Weise in den acquis des Gemeinschaftsrechts ein.57 Die Kritiker ziehen jedoch unterschiedliche Konsequenzen. Mit Ausnahme von Base-dow58 und vielleicht Heinrichs59 erwarten sie sich eine Klärung der Rechtsfrage vom EuGH.

III. Die relevanten Fragen – Aufbau und Prüfungsschritte

Vor dem Hintergrund der aufgeworfenen Problemkomplexe lassen sich die relevanten Fragestellungen formulieren, um das Verhältnis der VOB/B zur Richtlinie 93/13/EWG zu klären und die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten zu bewerten. Die Klärung des Anwendungsbereichs der Richtlinie zerfällt in einen doppelten Prüfungsschritt, die Be-stimmung der Reichweite und die Vereinbarkeit der nationalen Sonderbehandlung mit der Richtlinie. Auf dieser Ebene geht es um eine horizontale Betrachtung. Die Richtlinie ist daraufhin abzuklopfen, welche Vorgaben sie für den Anwendungsbereich definiert, bzw. ob und inwieweit sie Privilegierungen zulässt. Erst in einem dritten Schritt wird aus der gemeinschaftsrechtlichen Perspektive top down das nationale Recht vertikal integriert. Sofern die Richtlinie zur Anwendung kommt und sofern die VOB/B keine Sonderstellung reklamieren können, sind die einzelnen Bestimmungen auf ihre Verein-barkeit mit der Richtlinie 93/13/EWG abzuklopfen. Hier verschränken sich beide Ansät-ze, die des gemeinschaftsrechtlichen und die des nationalen Rechts. Die letzte Frage, die nach den rechtlichen Handlungsmöglichkeiten, zieht eine erneute Perspektivver-schiebung nach sich. Denn es kommt nicht allein auf die Rechtsmittel des nationalen Rechts an, vielmehr bietet das Gemeinschaftsrecht spezifische Aktionsformen, die das deutsche Recht nicht kennt und gar nicht kennen kann, weil sie aus dem Charakter der Richtlinie als Teil einer horizontalen Rechtsordnung resultieren.

Fragestellung 1: Unterfällt die VOB/B dem Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG?

Insbesondere soll untersucht und bewertet werden, welche Rolle es spielt, dass die VOB/B kein Formularvertragswerk eines Anbieters ist, sondern durch den DVA entsteht.

57 So Lang, NJW 1995, 2063, 2069; Quack, BauR 1997, 24 ff.; Heinrichs, NJW 1997, 1407,

1414 f.; Kraus, BauR 1997, Beilage zu Heft 4, 3, 10; Ulmer/Brander/Hensen-Hensen, AGBG, Anhang §§ 9-11 Rdnrn. 906 und 912; Wolf/Horn/Lindacher-Horn, AGBG, § 23 Rdnr. 248; a.A. Ingenstau/Korbion, Einleitung Rdnrn. 20, 25, 27; Staudinger-Schlosser, § 23 Rdnrn. 1 b) und 36) und wohl auch MünchKommBGB-Basedow, § 309 Nr. 9 Rdnr. 77, ebenso § 310 Rdnr. 33.

58 MünchKomm BGB-Basedow, § 309 Nr. 9 Rdnr. 77, ebenso § 310 Rdnr. 33. 59 Heinrichs, FS Reich, 546.

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Hierbei sollen Zusammensetzung und Mitgliederstruktur des DVA sowie das Entste-hungsverfahren der VOB/B unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Legitimation zur Aufstellung von Regeln (auch) für Verbraucherverträge berücksichtigt werden.

Falls ja

Fragestellung 2: Ist die nationale Sonderbehandlung mit der Richtlinie vereinbar?

Falls nein

Fragestellung 3: Welche Vorschriften der VOB/B sind nach den §§ 305 ff. BGB im Lich-te der Richtlinie unwirksam?

Fragestellung 4: Welche rechtlichen Handlungsmöglichkeiten bestehen für den Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. als Verbraucherverband, gegen einen richtli-nienwidrigen Zustand vorzugehen?

Insbesondere sollen die Voraussetzungen und Erfolgsaussichten einschließlich Verjäh-rung geprüft werden für

ein Unterlassungsverfahren gegen ein die VOB/B verwendendes Unternehmen;

ein Unterlassungsverfahren gegen den DVA;

ein Amtshaftungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen fehlerhafter Umsetzung der Richtlinie (ggf. als „Sammelverfahren“);

eine Eingabe bei der Europäischen Kommission zur Einleitung eines Vertragsverlet-zungsverfahrens gegen die Bundesrepublik Deutschland.

Die Untersuchung und Bewertung der VOB/B erfolgt auf der Basis der am 12.9.2002 bekanntgemachten Fassung der VOB/B 2002. Soweit diese Änderungen gegenüber der VOB/B 2000 enthält, werden sie im Lichte der Regelungen der VOB/B 2000 ge-würdigt.

IV. Die notwendige Gemeinschaftsperspektive

Das Gemeinschaftsrecht etabliert eine horizontale Rechtsordnung. Grundsätze der AGB-Kontrolle müssen nicht für Deutschland passen, sind auch nicht auf die VOB/B mit allen ihren Besonderheiten abgestimmt, sondern müssen die Auslegung der Richt-linie 93/13/EWG in der gesamten Gemeinschaft tragen. Um der Fragestellung des Gut-achtens gerecht zu werden, und um die gemeinschaftsrechtliche Dimension in die Fragestellung vollinhaltlich einzubringen, ist es deshalb angezeigt, etwas weiter auszu-holen. Die Entstehungsgeschichte einer Richtlinie spielt zwar auf den ersten Blick in der Auslegung durch den EuGH keine Rolle. Jedoch wandeln sich die Zeiten. In jünge-ren, für das Verbraucherrecht einschlägigen Urteilen finden sich mehr und mehr Hin-weise auf die Vorgeschichte der Richtlinie. Tatsächlich dient dem EuGH oftmals der effet utile der Richtlinie, um konzeptionelle Überlegungen der Kommission, die sich im

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Gesetzgebungsverfahren nicht realisieren ließen, mit Hilfe der Auslegung dennoch als gemeinschaftsweite Standards festzuschreiben.60 Konkret werden könnte die Ge-schichte der Richtlinie sowohl im sachlichen Anwendungsbereich – Stichwort Klausel-kontrolle statt AGB-Kontrolle – als auch in der Vorstellung einheitlicher Kontrollstan-dards im Individual- und Verbandsklageverfahren.

1. Legitimität eines gemeinschaftsrechtlichen Eingriffs in die Vertragsfreiheit

Die Gesetzgebung der Mitgliedstaaten hat sich im letzten Jahrzehnt intensiv der Rege-lung missbräuchlicher Vertragsklauseln angenommen. Als Rechtfertigung für ein verbraucherpolitisches Eingreifen lässt sich eine Asymmetrie von wirtschaftlicher Macht feststellen, die durch das Prinzip der Vertragsfreiheit ermöglicht wird: Verträge werden durch eine Seite, insbesondere Unternehmen oder ihre Verbände, vorformuliert und der anderen Seite, insbesondere Verbrauchern einseitig auferlegt, ohne dass ein Aushandeln im Einzelnen stattfände. Dabei berücksichtigt der Unternehmer primär sein Rationalisierungs- und Risikoabwälzungsinteresse. Die dadurch ersparten „Transakti-onskosten“61 kommen ihm, nicht unbedingt dem Verbraucher oder der Allgemeinheit zugute. Dem anderen Teil, insbesondere dem wirtschafts- und rechtsunkundigen Verbraucher, fehlen Verhandlungsmacht und ökonomische Anreize, von sich aus eige-ne, günstigere Bedingungen durchzusetzen. Eine Kollektivierung von Verbraucherinte-ressen durch eine spezielle Vertretung, die an Vertragsverhandlungen in ähnlicher Weise beteiligt wäre wie im Bereich des Arbeitsrechts, findet aus dem Paradox der Artikulation von diffusen Verbraucherinteressen nicht statt. Frankreich hat in den 80er Jahren im Zuge der Reform des Verbraucherrechts den Versuch gemacht, nach dem Modell arbeitsvertraglicher Kollektivvereinbarungen einen Rahmen für Vereinbarungen zwischen Verbraucher- und Unternehmerorganisationen zu schaffen. Letztendlich ist die Initiative im Sande verlaufen, weil sich nicht klären ließ, wer auf Verbraucherseite mit welchem Mandat in die Verhandlung einsteigen sollte.62 Dieses Phänomen zeigt sich auch und gerade in der Entstehungsgeschichte der VOB/B. Nicht zufällig waren in die Verhandlung nur diejenigen Interessenorganisationen eingebunden, die sich mit einem klaren Mandat auch äußern konnte, der Staat als Auftraggeber und die Bauwirt-schaft, aber eben nicht die Verbraucherseite.63 Vorformulierte Vertragsklauseln, sofern sie gegenüber privaten Endverbrauchern benutzt werden, legen die Annahme einer einseitigen Ausübung wirtschaftlicher Macht nahe und teilen gerade nicht die Richtig-

60 Sehr deutlich in Rs. C-168/00, Leitner, Slg. 2002, I-2631 = EuZW 2002, 339. 61 Vgl. insoweit das Rechtfertigungsargument von Kötz, The EC Directive on Unfair Terms in

Consumer Contracts, unpublished paper 1994; zur Geschichte der Richtlinie Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, Rdnr. 1.

62 Vgl. aber den Versuch von Calais-Auloy, JCP 1984, 115. 63 Vgl. umfassend Schubert, Zur Entstehung der VOB, in: FS Korbion, 1986, 389.

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keitsgewähr, die sonst nach liberaler Doktrin den frei ausgehandelten, auf Selbstbe-stimmung beruhenden Vertrag auszeichnet.

Die Problematik einer Rechtsangleichung für die EG besteht allerdings darin, dass eine Regelung von Vertragsklauseln, in welcher Form auch immer, vor dem Hintergrund des jeweiligen materiellen Vertragsrechts erfolgen muss. Die in einer Rechtsordnung an-stößige Klausel kann in einer anderen Rechtsordnung gerade noch akzeptabel sein, wenn korrespondierende Rechtsbehelfe dem Verbraucher einen adäquaten Schutz geben. Haftungsausschlussklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zum Bei-spiel mögen per se gegen den „ordre public“ verstoßen. Ihr Verbot hätte aber in der jeweiligen Rechtsordnung eine gänzlich andere Bedeutung, weil die Normen dispositi-ven Vertragsrechts, deren Ausschluss zum Nachteil des Konsumenten verboten wer-den soll, in sich wieder unterschiedlich sind. Umgekehrt kann eine Rechtsangleichung nur gelingen, wenn gemeinschaftsweit bestimmte Standards und Grundprinzipien An-wendung finden. Jede Rechtsangleichung erhöht den Druck auf Regelungsbereiche, die in den nationalen Rechten eine Sonderstellung genießen. Das gilt allgemein für den Staat als Anbieter wirtschaftlicher Leistungen, der sich einer gerichtlichen Kontrolle durch die Gerichte entziehen möchte wie auch für private Anbieter, die oft aus histo-risch gewachsenen Gründen eine Sonderbehandlung reklamieren. Die Aufsteller der VOB/B befinden sich gemeinschaftsweit betrachtet also nicht allein.64

Diesen Schwierigkeiten zum Trotz reklamierten die verbraucherpolitischen Programme der EG schon früh ein gemeinschaftliches Handeln zur Bekämpfung missbräuchlicher Vertragsklauseln. Konkrete Vorschläge hatte die Kommission jedoch erst 1990 vorge-legt. Vorher hatte sie 1984 ein Grünbuch veröffentlicht, in dem sie zwei Handlungsopti-onen zur Diskussion stellte:65

Eine Alternative bestand für sie im Erlass einer Richtlinie über missbräuchliche Klau-seln, die neben einer Begriffsbestimmung noch eine sog. schwarze Liste von Klauseln nach Vorbild des deutschen AGB-Gesetzes enthalten sollte, die in der ganzen Ge-meinschaft verboten sein sollen (etwa vollständige Haftungsfreizeichnungen von ver-traglichen Verpflichtungen).

Als zweite Möglichkeit wurden Verhandlungen zwischen Unternehmensverbänden und Verbraucherorganisationen für denkbar gehalten, die unter Aufsicht einer staatli-chen Stelle stattfinden. Verwiesen wurde vor allem auf das britische Office of Fair Trading, das sog. Codes of Practice mit Anbieterverbänden aushandelt und das nordi-sche Ombudsmodell, das mit Verhaltensrichtlinien des Verbraucherombudsmannes arbeitet. Gedacht war an branchenspezifische Verhandlungen auf Gemeinschaftsebe-ne.

64 Sehr aufschlußreich insofern die Überlegungen der Kommission, mittelfristig den Anwen-

dungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG auszudehnen, um gerade auch AGB’s öffentlicher Anbieter erfassen zu könnnen, KOM (2000) 248 endg., 27.04.2000.

65 KOM (1984) 55 endg., 9.2.1984.

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Mit Verve hat die Kommission nur die erste Option verfolgt. Im gesamten Gesetzge-bungsverfahren spielte die zweite Option keine ernsthafte Rolle.

2. Zur Vorgeschichte der Richtlinie 93/13/EWG

Eine rechtsvergleichende Studie von Hondius66 diente der Kommission als Legitima-tionsgrundlage für ein gemeinschaftsweites Vorgehen. Dennoch waren die internen Beratungen in der Kommission von Spannungen über Rechtsgrundlagen, Kompeten-zen, Umfang und Intensität der Gemeinschaftsinitiative gekennzeichnet, die erst durch Vorlage eines ersten Richtlinienvorschlages vom 14.9.199067 überwunden werden konnten. Dieser Vorschlag hat sowohl im Wirtschafts- und Sozialausschuss68 als auch im Europäischen Parlament69 ein überwiegend kritisches Echo gefunden und Ände-rungsanträge ausgelöst. Auch die wissenschaftlich-rechtspolitische Diskussion hat auf konzeptionelle und inhaltliche Probleme des Vorschlages hingewiesen.70 Diese Dis-kussion ist auf die weiteren Beratungen innerhalb der Kommission nicht ohne Eindruck geblieben. Die Kommission legte am 5.3.1992 einen neuen Vorschlag vor.71

a) Der modifizierte Vorschlag vom März 1992

Der Vorschlag stützte sich auf Art. 100a EGV und musste deshalb darlegen, dass die durch unterschiedliche Rechtsvorschriften provozierten Wettbewerbsverzerrungen eine Gemeinschaftsmaßnahme auf hohem Niveau zwingend rechtfertigen. Der Vorschlag versuchte, ein Junktim zwischen der Öffnung des Binnenmarktes auch für Verbrau-chergeschäfte und dem Schutz des Verbrauchers vor missbräuchlichen Klauseln her-zustellen. Die erweiterte Wahlfreiheit des Verbrauchers als EG-Bürger sollte also von einem erhöhten Schutzstandard gegenüber missbräuchlichen Klauseln begleitet wer-den. Dies geschah in drei Richtungen:

(1) Zunächst werden allgemeine Kriterien definiert, unter denen Vertragsklauseln als missbräuchlich gelten, wobei entgegen dem früheren Entwurf zwischen „im Einzel-nen ausgehandelten“ und „nicht im Einzelnen ausgehandelten“ (d.h. AGB-) Klau-seln unterschieden wird.

(2) Auf Gemeinschaftsebene wird eine Art „schwarze Liste“ aufgestellt, die einen Min-destbestand an missbräuchlichen Klauseln per se verbietet.

66 Hondius, Unfair Terms in Consumer Contracts, 1987. 67 Abl. EG C 243, 28.9.1990, 2. 68 Stellungnahme vom 24.4.1991, Abl. EG C 159, 17.6.1991, 34. 69 Stellungnahme vom 20.11.1991, Abl. EG C 326, 16.12.1991, 108. 70 ECLG, JCP 1991, 107; Brandner/Ulmer, CMLRev. 1991, 647; Wilhelmsson, ECLJ 1992, 77. 71 KOM (1992) 66 endg.; Abl. EG C 73, 24.3.1992, 7.

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(3) Die Mitgliedstaaten sind für einen effektiven Schutz der so zu schaffenden Verbraucherrechte verantwortlich.

Art. 3 definierte, nicht unähnlich dem deutschen AGBG, eine nicht im Einzelnen aus-gehandelte Vertragsklausel als missbräuchlich,72

„wenn sie selbst oder in Verbindung mit einer anderen Klausel oder anderen Klauseln desselben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem sie abhängt, entgegen dem Gebot von Treu und Glauben

zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches Missverhältnis der vertraglichen Rech-te und Pflichten der Vertragspartner verursacht, oder

zu einer Art der Vertragserfüllung führt, die erheblich von dem, was der Verbraucher berechtigterweise erwarten kann, abweicht.“

In Ergänzung dazu trat der Grundsatz, dass Klauseln klar und verständlich abgefasst werden müssen; hier sollte das dem deutschen Recht bekannte Transparenzgebot in das Gemeinschaftsrecht aufgenommen werden.

Im Unterschied zum deutschen AGBG sollte das Gemeinschaftsrecht allerdings nur Verträge zwischen gewerblichen Anbietern und Verbrauchern regeln; sog. Kleingewer-betreibende, Freiberufler usw. unterfallen nicht dem Schutzbereich der Richtlinie. Auf der anderen Seite sollte auch die Tätigkeit öffentlicher Anbieter einbezogen werden, Art. 2 c), wobei nicht klar ist, wieweit öffentliche Dienstleistungen betroffen sind.

In markantem Gegensatz zum deutschen und französischen, aber ähnlich dem engli-schen Recht enthielt Art. 4 des Vorschlages Kriterien für die Missbräuchlichkeit von Klauseln in Individualverträgen. Hierzu mussten kumulativ zwei Merkmale erfüllt sein:

die Erfüllung des Vertrages muss für den Verbraucher unbillige Nachteile mit sich bringen, und

sie sind dem Verbraucher aufgrund der wirtschaftlichen Macht des Gewerbe-treibenden und/oder seiner eigenen wirtschaftlichen und/oder intellektuellen Schwäche auferlegt worden.

Wäre diese Vorschrift in das Gemeinschaftsrecht übernommen worden, so hätte sie die Anerkennung eines gemeinschaftsrechtlichen Tatbestands von „Sittenwidrigkeit“ nach deutschem, „abus de faiblesse“ nach französischem oder „unconscionability“ nach englischem Vorbild bedeutet. Tatsächlich finden sich Restbestände der ursprüng-lichen Konzeption in den Erwägungsgründen der Richtlinie 93/13/EWG wieder, die das Verständnis der Missbrauchskontrolle prägen (dazu sogleich).

72 Dazu die Überlegungen bei Wilhelmsson, ECLJ 1992, 85 f.

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Zur Konkretisierung der Generalklauseln im modifizierten Vorschlag diente ein Anhang, wobei zwischen Klauseln unterschieden wurde, die auch in Individualverträgen miss-bräuchlich sind – hier wird das Übergewicht der einen Seite gegenüber der anderen gleichsam von Gemeinschaftswegen vermutet – und Klauseln, die nur in Allgemeinen Geschäftsbedingungen als missbräuchlich gelten. Dabei fällt auf, dass gegenüber der Fassung von 1990 der Anhang nicht unwesentlich erweitert und präzisiert ist.

Der Vorschlag enthielt eine Reihe von Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, um eine Verwendung von missbräuchlichen Klauseln in Verträgen unmöglich zu machen. Dazu gehörte insbesondere das in Art. 6 gewährte Recht des Käufers, eine dem Vertrag ent-sprechende Leistung zu erhalten und bei Mängeln entsprechende Rechtsbehelfe vor-zufinden. Garantien sollten, wenn sie gegeben werden (wozu keine Verpflichtung be-steht), bestimmte Mindestanforderungen erfüllen, d.h. entweder für mindestens zwölf Monate bzw. die normale Lebensdauer, wenn diese weniger als zwölf Monate beträgt, gelten. Bei Dienstleistungen waren die Gewährleistungsrechte allerdings weniger aus-geprägt. Die Mitgliedstaaten haben die Verwendung von missbräuchlichen Klauseln zu verbieten und einen effektiven Rechtsschutz sicherzustellen, der auch eine Art Verbraucherverbandsklage in der gesamten Gemeinschaft umfassen sollte.

b) Weichenstellung für einen Kompromiss im Gemeinsamen Standpunkt

Die Beratungen des Vorschlages im Rat führten zu Kontroversen unter den Mitglied-staaten über den Anwendungsbereich der Richtlinie und den Umfang der Kontrolle. Der Gemeinsame Standpunkt des Rates vom 22.9.199273 enthielt einen Kompromiss und brachte eine erhebliche Reduktion des Anwendungsbereiches und des Schutzni-veaus mit sich. Dies wird lt. Erwägungsgrund (12) mit dem Grundsatz der „teilweisen Harmonisierung“ gerechtfertigt. Im einzelnen ist folgendes hervorzuheben:

(1) Die Richtlinie soll nur für vorformulierte Klauseln, nicht bei individuell ausgehandel-ten Verträgen gelten.

(2) Die Missbräuchlichkeit wird aus einer Kumulation von den vormals alternativ ge-nannten Merkmalen bestimmt und damit gleichzeitig eingeengt, Art. 3 Abs. 1.74 Erwägungsgrund (13) verweist dabei auf die Notwendigkeit einer „globalen Bewer-tung der Interessenlagen der Parteien“. Dies werde durch das Gebot von Treu und Glauben umschrieben, dem der Gewerbetreibende Rechnung tragen könne,

73 Council document 8406/1/92, JCP 1992, 469. 74 Nach nicht bestätigten Informationen haben sich die Vertreter der Regierungen im Ständigen

Rat mit der Kommission am „Kamin“ darauf geeinigt, die deutsche Forderung nach „Treu und Glauben“ und die britische nach dem „ungerechtfertigten Missverhältnis“ schlicht zu ver-schmelzen.

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„indem er sich gegenüber der anderen Partei, deren berechtigten Interessen er Rech-nung tragen muss, loyal und billig verhält.“

(3) Die Kontrolle bezieht sich nicht auf Klauseln, die „auf bindenden Rechtsvorschrif-ten oder auf Bestimmungen oder Grundsätzen internationaler Übereinkommen be-ruhen“, Art. 1 Abs. 2. Damit sind vor allem die Allgemeinen Geschäftsbedingungen öffentlicher Versorgungs- und Verkehrsunternehmen der Richtlinie entzogen, so-fern sie auf staatlichem oder internationalem Rechtsakt beruhen, selbst wenn sie gegenüber dem Verbraucher in unangemessener Weise Rechte ausschließen.

(4) Die Kontrolle erfasst nicht das Preis-Leistungsverhältnis und die Leistungsbe-schreibung selbst, sofern „diese Klauseln klar und verständlich abgefasst sind“.

(5) Gesetzliche Gewährleistungsrechte, Garantien u.ä. sind nicht mehr erfasst; dies soll besonderen Richtlinien vorbehalten bleiben. Tatsächlich bildete die gescheiter-te Regelung den Ausgangspunkt für die Ausarbeitung der Verbrauchsgüterkauf-richtlinie, die heute im Mittelpunkt der mitgliedstaatlichen Aufmerksamkeit steht.75

(6) Der Anhang dient gem. Art. 3 Abs. 3 nur noch als Hinweis auf Klauseln, „die für missbräuchlich erklärt werden können.“ Darin liegt eine Ermächtigung zu ihrem Verbot durch die Mitgliedstaaten, ohne ein solches selbst auszusprechen (graue Hinweis- statt schwarze Verbotsliste).

(7) Die Richtlinie wird ausdrücklich als Mindestrichtlinie ausgestaltet, soweit dies mit Gemeinschaftsrecht, insbes. Art. 30 EGV, vereinbar ist, Art. 8. Die Kommission hat dem Parlament und dem Rat zwar nicht am 1.1.2000, jedoch am 27.4.2000 einen Bericht über die Anwendung der Richtlinie vorgelegt.76

Insgesamt kennzeichnet den Gemeinsamen Standpunkt ein erheblicher Reduktionis-mus in Schutzbereich, Schutzziel und Schutzdurchsetzung, was damit gerade den ei-gentlichen Zweck der Richtlinie, Verbrauchern und Gewerbetreibenden Mindeststan-dards für die Vertragsgestaltung im Binnenmarkt an die Hand zu geben, erschwert. Mit Recht hat die Kommission diesen Reduktionismus bedauert, sich aber mit ihren Vor-stellungen ebenso wenig durchsetzen können wie das Parlament. Es wird sich zu er-weisen haben, inwieweit der EuGH das ursprüngliche Regelungsanliegen restauriert, das sich in einem einheitlichen Kontrollkonzept für alle missbräuchliche Klauseln unab-hängig von Individual- und Verbandsklageverfahren manifestiert.

75 Richtlinie 99/44/EG, Abl. EG L 171, 7.7.1999, 12. 76 Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.

April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, KOM (2000) 248 endg., 27.4.2000.

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c) Kollektivvereinbarungen im europäischen Vertragsrecht

Die Frage ist nur allzu berechtigt, warum die Kommission, angesichts des starken kol-lektiven Moments im Vereinigten Königreich und in den skandinavischen Ländern die im Grünbuch eröffnete zweite Option zu keinem Zeitpunkt ernsthaft verfolgt hat. Auch in dem im Jahre 2000 vorgelegten Bericht über die Reformüberlegungen zur Richtlinie 93/13/EWG bilden Kollektivvereinbarungen keine ernsthafte Option.

Für diese Haltung der Kommission mögen sich viele Gründe ins Feld führen lassen. Rückblickend betrachtet dürfte die prekäre Kompetenzgrundlage den Ausschlag gege-ben haben. Der Vertrag von Maastricht verankerte in Art. 129 a den Verbraucherschutz im EG-Vertrag, der Vertrag von Amsterdam erweiterte die Kompetenzen in dem neu gefassten Art. 153 EGV.77 Kollektive Vereinbarungen als Gestaltungsmittel werden dort nicht erwähnt. Ganz anders präsentiert sich die Rechtslage im Europäischen Arbeits- und Sozialrecht. Der Vertrag von Maastricht brachte in Art. 118 b den sozialen Dialog, der im Vertrag von Amsterdam in Art. 139 neu gefasst und zu einem Legislativinstru-ment ausgebaut wurde.

Erst in jüngster Zeit greift die Kommission auf das Instrument der Kollektivvereinbarun-gen in der Gestaltung des Verbrauchervertragsrechts zurück, ohne hierfür eine Kompe-tenz oder ein Mandat zu besitzen. So hat sie Verhandlungen über die Entwicklung ei-nes Pauschalreisevertrages bzw. eines Timeshare-Vertrages in Gang gesetzt. Aus Verbrauchersicht sind diese Anläufe eher kritisch zu beurteilen, weil eine ausreichende Interessenvertretung der Verbraucher nur bedingt gewährleistet ist und weil sich die beteiligten Verkehrkreise, wenn überhaupt, nur auf niedrig gehängte Mindeststandards einigen konnten.78

3. Schutzzweck der Richtlinie 93/13/EWG

Die am 5.4.1993 gemäß dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 22.9.1992 angenommene „Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvor-schriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen“ 93/13/EWG79 bezweckt eine teilweise Harmonisierung des Verbrauchervertragsrechtes in den Mitgliedstaaten. Sie verfolgt den Schutz des Verbrauchers als typischerweise unterlegener Vertragspartei. Dieser Schutzzweck ist damit enger als der verschiedener Gesetze der Mitgliedstaaten, insbesondere des deutschen Rechts (vormals AGB-Gesetz, jetzt §§ 305 ff. BGB), der grundsätzlich auf alle vorformulierten Vertragsbedin-gungen anwendbar ist, allerdings hinsichtlich der Intensität des Kontrollmaßstabes

77 Reich, VuR 1999, 1. 78 Vgl. zum Pauschalreisevertrag, Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, § 18.24. 79 Abl. EG L 95, 21.4.1993, 29.

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nach den beteiligten Personen (Kaufleute bzw. Nichtkaufleute) differenziert. Wegen des Grundsatzes der Mindestharmonisierung können die Mitgliedstaaten jedoch au-ßerhalb des Verbraucherbegriffes liegende Person in ihre Gesetzgebung einbeziehen. Für die Auslegung der Richtlinie darf jedoch der verbraucherrechtliche Schutzzweck nicht vergessen werden, der ähnlich der Haustürrichtlinie und dem EuGVÜ eine auto-nome Auslegung verlangt.80 Er hat seinen Niederschlag in den Erwägungsgründen gefunden, die als Ersatz für das in weiten Teilen nicht öffentlich zugängliche Gesetz-gebungsverfahren vom EuGH zur Auslegung herangezogen werden.81

a) Vorgaben in den Erwägungsgründen

Der Schutzzweck kommt auch in den Erwägungsgründen zum Ausdruck, insbesondere in Ziff. (6) und (10):

„Um die Errichtung des Binnenmarktes zu erleichtern und den Bürger in seiner Rolle als Verbraucher beim Kauf von Waren und Dienstleistungen mittels Verträgen zu schützen, für die die Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten gelten, ist es von Bedeutung, miss-bräuchliche Klauseln aus diesen Verträgen zu entfernen.

In beiden Programmen der Gemeinschaft für eine Politik zum Schutz und zur Unterrich-tung der Verbraucher wird die Bedeutung des Verbraucherschutzes auf dem Gebiet missbräuchlicher Vertragsklauseln hervorgehoben. Dieser Schutz sollte durch Rechtsvor-schriften gewährleistet werden, die gemeinschaftsweit harmonisiert sind oder unmittelbar auf dieser Ebene erlassen werden. Gemäß dem unter dem Abschnitt: „Schutz der wirt-schaftlichen Interessen der Verbraucher“ festgelegten Prinzip sind entsprechend dieser Programme Käufer von Waren oder Dienstleistungen vor Machtmissbrauch des Verkäu-fers oder des Dienstleistungserbringers, insbesondere vor vom Verkäufer einseitig festge-legten Standardverträgen und vor dem missbräuchlichen Ausschluss von Rechten in Ver-trägen zu schützen. Durch die Aufstellung einheitlicher Rechtsvorschriften auf dem Ge-biet missbräuchlicher Klauseln kann der Verbraucher besser geschützt werden.“

Der Gemeinschaftsgesetzgeber erhofft sich von einem solchen Mindestschutz gleich-zeitig eine Förderung und Verbesserung grenzüberschreitender Transaktionen.

„Die Verbraucher kennen im allgemeinen nicht die Rechtsvorschriften, die in anderen Mitgliedstaaten für Verträge über den Kauf von Waren oder das Angebot von Dienstleis-tungen gelten. Diese Unkenntnis kann sie davon abhalten, Waren und Dienstleistungen direkt in anderen Mitgliedstaaten zu ordern“.

Der Rat erwartet von einer solchen Gesetzgebung weiterhin eine Bekämpfung von Wettbewerbsverzerrungen, um damit gleichzeitig seine Kompetenz nach Art. 95 EG ex.Art. 100a EGV zu begründen:

80 Zur Bedeutung dieses allgemein anerkannten Rechtsgrundsatzes speziell für das Verbrau-

cherrecht, Reich, ZEuP 1994, 381, 395. 81 Vgl. zu den Auslegungsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts, Zuleeg, in: Gro-

eben/Thiesing/Ehler-mann, 5. Auflage, 1997, Art. 1 Rdnrn. 35 ff.

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„Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Vertragsklauseln zwischen dem Verkäu-fer von Waren oder dem Dienstleistungserbringer einerseits und dem Verbraucher ande-rerseits weisen viele Unterschiede auf, wodurch die einzelnen Märkte für den Verkauf von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen an den Verbraucher uneinheitlich sind; dadurch wiederum können Wettbewerbsverzerrungen bei den Verkäufern und den Erb-ringern von Dienstleistungen besonders bei der Vermarktung in anderen Mitgliedstaaten eintreten.“

b) Die Bedeutung des Schutzzwecks für die VOB/B

Kutschker82 kommt in der Zielbestimmung der Richtlinie zu folgendem Schluss:

„Setzt man sich mit der Entwicklung der Richtlinie auseinander (u.a. Ausscheiden von spontan formulierten Individualklauseln aus dem sachlichen Geltungsbereich, Aufhebung des ‚schwarzen“ Charakters des Klauselanhangs), spricht vieles für die Annahme, auch innerhalb des verbliebenen Anwendungsbereichs eher von einem niedrigeren Schutzni-veau (Hervorhebung H.-W. M.) auszugehen.“

Schon konzeptionell erscheint der von Kutschker gezogene Schluss voreilig, musste doch die Kommission nach Art. 95 Abs. 3 EGV ein hohes Verbraucherschutzniveau respektieren. Gerade die jüngste Rechtsprechung des EuGH in Verbrauchersachen, insbesondere die ersten Vorabentscheidungen zur Richtlinie 93/13/EWG, belegen eher das Gegenteil. Der EuGH scheint sich vom Leitbild des mündigen, aufgeklärten Verbrauchers im Vertragsrecht weg zu bewegen. In Océano83 und Gabriel84 betont er die Notwendigkeit gemeinschaftsrechtlicher Regeln zum Schutze der schwächeren Verbraucher. Offensichtlich geht es also dem EuGH nicht um ein eher niedrigeres Schutzniveau. Aber auch der Reduktionismus der Entstehungsgeschichte hat die Be-deutung der Richtlinie nicht schmälern können. Zwar hatte der EuGH bislang keine Gelegenheit, den Begriff des Standardvertrages, des vorformulierten Individualvertra-ges oder der reinen Individualvereinbarungen zu entscheiden, doch hat sich der Skep-tizismus in Bezug auf die indikative Liste als unberechtigt erwiesen. Sicher, in Kommis-sion/Schweden85 hat der EuGH den indikativen Charakter der Richtlinie hervorgehoben und eine Umsetzungsverpflichtung der Mitgliedstaaten abgelehnt, gleichzeitig jedoch in Océano86 den Regelungsgehalt des Anhangs in die Generalklausel integriert. Cofidis87 hat den hohen Stellenwert des Verbraucherschutzes in der Richtlinie unterstrichen.

82 Kutschker, Gesamtabwägung der VOB/B, 194. 83 EuGH, 27.6.2000, verb. Rs. C-281/98 bis C-244/98, Océano Grupo Editorial und Salvat Edi-

tores, Slg. 2000, I-4941. 84 EuGH, 11.7.2002, Rs. C-96/00, Gabriel, Slg. 2002, I-6367. 85 EuGH, 7.5.2002, Rs. C-478/99, Kommission/Königreich Schweden, Slg. 2002, I-4147 =

EuZW 2002, 465 mit Anm. Pfeiffer. 86 EuGH, 27.6.2000, verb. Rs. C-281/98 bis C-244/98, Océano Grupo Editorial und Salvat Edi-

tores, Slg. 2000, I-4941.

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Mit anderen Worten – der vermeintlich begrenzte Schutzzweck der Richtlinie kann nicht herangezogen werden, um ein vergleichsweise niedriges Schutzniveau des Verbrauchers in der VOB/B zu rechtfertigen. Das Gegenteil ist der Fall. Der Schutz-zweck der Richtlinie rechtfertigt einen um so kritischeren Blick auf ein Regelwerk, das für sich eine Sonderstellung reklamiert, weil es vermeintlich den Interessen der Verbraucher gerecht werde. Insofern ist Basedow88 nicht zu folgen, der sich vom Ge-meinschaftsrecht für die Zulässigkeit der Abnahmefiktion und der Verjährungsverkür-zung „nach dem derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts keine Klärung erwartet“.

B. Die VOB/B im Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG

I. Unterfällt die VOB/B dem Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG?

Die Richtlinie bestimmt grundsätzlich autonom und in Abweichung zu den einschlägi-gen mitgliedstaatlichen Vorschriften über ihren objektiven und subjektiven Anwen-dungsbereich. Insofern entscheidet nicht der deutsche Gesetzgeber oder die deutsche Rechtsprechung über den Anwendungsbereich, das letzte Wort hat vielmehr der EuGH. Um Missverständnisse zu vermeiden, sei klargestellt, dass der EuGH auch im Vorabentscheidungsverfahren keine Super-Revisionsinstanz darstellt. Seine Jurisdikti-on beschränkt sich auf die Auslegung und Konkretisierung gemeinschaftsrechtlicher Begrifflichkeiten, die die nationalen Gerichte auf den konkreten Fall anzuwenden ha-ben.

1. Der subjektive Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG

a) Verbraucher

Art. 2 der Richtlinie 93/13/EWG macht klar, dass die dort enthaltenen Regeln nur auf Vertragsklauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern An-wendung finden. Der Begriff des Verbrauchers ist dabei ähnlich formuliert wie in ande-ren EG-Richtlinien:

„Verbraucher ist eine natürliche Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fal-len, zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zu-gerechnet werden kann“.

Bei gemischten Verträgen, insbesondere bei Freiberuflern, stellen sich die bekannten Abgrenzungsfragen, die der EuGH in anderem Zusammenhang durch eine enge,

87 EuGH, 21.11.2002, Rs. C-473/00, Cofidis S.A./Jean Louis Fredout, Slg. 2002, I-10875 =

EuZW 2003, 27. 88 MünchKommBGB-Basedow, § 310 Rdnr. 33.

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schutzzweckorientierte Auslegung löst. So kann denn auch das Resultat von Idealser-vice nicht wirklich überraschen. Der EuGH89 verneinte die Verbrauchereigenschaft ei-nes Unternehmers, der einen Getränkeautomaten für seine Mitarbeiter erworben hatte. Verbraucher im Sinne des Art. 2 lit. b) seien nur natürliche Personen. Die von der fran-zösischen und spanischen Regierung vorgetragene Argumentation, dass der Verbrau-cherbegriff durchaus ein weiteres Verständnis zulasse, ließ der EuGH nicht gelten.90

Das mitgliedstaatliche Recht ist aber nicht gehindert, den Anwendungsbereich auch auf nicht-verbraucherrelevante Tätigkeiten zu erstrecken, sei es, weil der Vertrag einen doppelten Zweck verfolgt, sei es, weil bestimmte Personen ungeachtet ihrer Verbrau-cherrolle als schutzbedürftig erscheinen, etwa Handwerker, Minderkaufleute, Landwirte u.ä.

b) Gewerbetreibende, insbes. öffentliche Unternehmen

Der Begriff des Gewerbetreibenden, dessen vorformulierte Klauseln einer Miss-brauchskontrolle unterliegen, lautet wie folgt:

„Gewerbetreibender ist eine natürliche oder juristische Person, die bei Verträgen, die un-ter diese Richtlinie fallen, im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit han-delt, auch wenn diese dem öffentlich-rechtlichen Bereich zuzurechnen ist“.

Einerseits werden durch diese Formulierung von Privatpersonen vorformulierte Klau-seln ausgenommen. Andererseits stellt die Richtlinie klar, dass ungeachtet der Rechts-form die Verwendung von vorformulierten Klauseln im Rahmen jeder gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit den Anwendungsbereich der Richtlinie eröffnet. Dabei sind grundsätzlich keine Ausnahmen vorgesehen. Allerdings muss der Gewerbetreibende immer „Verträge“ vorformulieren; Leistungen, die aufgrund öffentlichen Rechts oder Sozialrechts erbracht werden, bleiben außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtli-nie.

c) Private Bauherren (Verbraucher) und Bauunternehmer

Innerhalb des von der Richtlinie vorgegebenen persönlichen Anwendungsbereichs unterliegen die VOB/B deshalb ohne jeden Zweifel dem Anwendungsbereich der Richt-linie. Grenzfälle in den Randbereichen des Verbraucherbegriffs oder des Unterneh-merbegriffs sind für die Fragestellung von nachrangiger Bedeutung. Zentral ist dage-gen die Botschaft der Richtlinie 93/13/EWG, die mittelfristig zu einer Aufspaltung der bauvertraglichen Regeln führt: in solche, die zwischen Unternehmern/Unternehmen Anwendung finden und solchen, die sich nur auf den Verbraucher-Bauvertrag bezie- 89 EuGH, 22.11.2001, Rs. C-541/99 und C-542/99, Cape Sne/Idealservice, Slg. 2001, I-9049. 90 EuGH, 22.11.2001, Rs. C-541/99 und C-542/99 Cape Sne/Idealservice, Slg. 2001, I-9049

Rdnrn. 14-15.

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hen. Das Gemeinschaftsrecht geht über die Legitimität eines Sonderprivatrechts ohne nähere Problematisierung der Folgewirkungen für die Einheit des Privatrechts hinweg. Es verlangt eine Sonderbehandlung von privaten Bauherren, jedenfalls innerhalb des persönlichen Anwendungsbereichs. Die Entscheidung, ob auch Unternehmer-Bauverträge nach identischen Regeln zu behandeln sind wie Verbraucher-Bauverträge, bleibt den Mitgliedstaaten überlassen.

2. Der objektive Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG

a) Standardverträge

Die vom Gemeinschaftsgesetzgeber gewählte Terminologie wirkt nachgerade chao-tisch und entspricht kaum mehr den Standards heutiger Gesetzgebungstechnik. Mo-derne Rechtsakte der Gemeinschaft setzen regelmäßig bei einer Definition der Begriff-lichkeiten an. Art. 2 enthält keine Legaldefinition. Er verweist auf Art. 3, gemeint ist wohl dessen Abs. 1.91 Dort finden sich vier unterschiedliche Referenzen, um den objek-tiven Anwendungsbereich zu definieren.92 Das geschieht in merkwürdig verquerer Wei-se. Bezugs- und Ausgangspunkt für die begriffliche Konkretisierung bilden nämlich die Regeln, die nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 1 „nicht im Einzelnen ausgehandelt wur-den“. Hierzu gehören offensichtlich

nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 2 erster und zweiter Unterabsatz die „vorformu-lierten Standardverträge“;

nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 2 dritter Unterabsatz die „Standardvertrags-klauseln“ und

nach Maßgabe von Art. 7 Abs. 2 Klauseln, die im „Hinblick auf eine allgemeine Verwendung abgefasst wurden“.

Diese drei, die Standardverträge, die Standardvertragsklauseln und die für eine allge-meine Verwendung abgefassten Vertragsklauseln müssen auf die VOB/B bezogen werden.

aa) Standardverträge – das System

Angesichts der diffusen Begrifflichkeit erscheint es reichlich ambitioniert von einem System zu sprechen. Eher drängt sich der Eindruck auf, dass der EG-Gesetzgeber in einem bunten Strauss von Begrifflichkeiten für jeden Mitgliedstaat etwas bereit hält, für

91 Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer, A 5, Art. 2 Rdnr. 2 unter Hinweis auf Wolf/Horn/Lindacher-Wolf,

AGBG, Art. 2 RL Rdnr. 2. 92 Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer, A 5, Art. 3 Rdnr. 6.

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Frankreich die Standardverträge, für Deutschland die im Hinblick auf eine allgemeine Verwendung abgefassten Klauseln und für alle anderen die Kategorie der „Standard-vertragsklauseln“. Insofern kann nicht der Wortlaut den Ausschlag geben, sondern eine systematische Zusammenschau der Begrifflichkeiten.

Unter die Richtlinie fallen zunächst sogenannte Standardverträge. Dies wären gemäß deutscher Terminologie allgemeine Geschäftsbedingungen, die für eine Vielzahl von Fällen vorformuliert sind und vom Verwender gegenüber dem Verbraucher „gestellt werden“. Im französischen Recht spricht man von „contrats d'adhésion“, zu deutsch Anhangverträge.93 Typischerweise findet in diesen Konstellationen kein Verhandeln über Vertragsbedingungen statt. Verträge sind Vertriebsinstrumente der Unternehmen, die Leistungen und Konditionen standardisieren und im Regelfall einseitig die Vermark-tungsinteressen des Verwenders berücksichtigen.

Die Bedeutung der Bezugnahme auf die Standardverträge erschließt sich jedoch erst im Zusammenhang mit den Aussagen, die die Richtlinie über die besondere Relevanz und in gewisser Weise Gefährlichkeit von Standardverträgen an zwei Stellen formuliert; in Art. 3 Abs. 2 durch Einführung einer Beweislastumkehr:

„Behauptet ein Gewerbetreibender, dass eine Standardvertragsklausel im Einzelnen aus-gehandelt wurde, so obliegt ihm die Beweislast“;

Nach Art. 7 Abs. 2 müssen die Mitgliedstaaten besondere Verfahren vorsehen, damit

„Vertragsklauseln, die im Hinblick auf eine allgemeine Verwendung abgefasst wurden“,

aus Verträgen entfernt werden können. Der EuGH hatte noch keine Gelegenheit, zu der Problematik Stellung zu beziehen.

Für ein weites Verständnis des sachlichen Anwendungsbereichs spricht eben jener Art. 3 Abs. 2, weil dort von Standardvertragsklauseln die Rede ist. Entscheidender dürfte einmal mehr der effet utile der Richtlinie sein. In der Literatur hat sich denn auch nahe-zu die Überzeugung durchgesetzt, dass Standardverträge nicht im Sinne einer Be-schränkung der Kontrolle auf sog. Anhangverträge zu verstehen sind.94 Andernfalls wären nach deutschem Verständnis nur Formularverträge der Richtlinie unterworfen, also vorformulierte Verträge, die der Verbraucher entweder in dieser Form annehmen oder ablehnen kann. Eine derartige Einengung hatte der EG-Gesetzgeber nicht im Sinne. Ihm kam es allein darauf an, dass vorformulierte, dem Verbraucher „gestellte“ Standardklauseln einer Inhaltskontrolle unterzogen werden.

93 Ähnlich Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer, A 5, Art. 3 Rdnr. 16. 94 Vgl. insbesondere Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, Art. 3 RL Rdnr. 17; im Ergebnis eben-

so, Heinrichs, NJW 1995, 153, 155; Ulmer, EuZW 1993, 337, 342; a.A. jedoch Schmidt-Salzer, BB 1995, 733.

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bb) VOB/B als Standardverträge

Die Bedeutung der verwandten Begrifflichkeiten könnte theoretisch für die Stellung der VOB/B in der Richtlinie streitentscheidend werden. Wären nämlich nur Standardverträ-ge kontrollfähig, unterlägen VOB/B, wenn überhaupt, nur dann einer Inhaltskontrolle, wenn sie als Ganzes vereinbart wären. Aus dem EG-Recht würde sich eine vom deut-schen Recht und von der deutschen Rechtsprechung diametral abweichende Rechts-folge ergeben. Einzelne Bestandteile der VOB/B, von den Parteien in den Vertrag ein-bezogen, wären nicht kontrollfähig, weil es an einem Formularvertrag fehlte. Ange-sichts dieses Befundes nimmt es nicht Wunder, dass die baurechtliche Literatur diese mögliche Konsequenz ablehnt und die Richtlinie jedenfalls insoweit für anwendbar er-klärt.95 Prima vista unterliegt die VOB/B damit dem Anwendungsbereich der Richtlinie, unabhängig davon, ob sie als Standardvertrag in Gänze die Rechte und Pflichten der Parteien definiert, oder ob dem privaten Bauherrn lediglich einzelne VOB/B-Bestimmungen gestellt werden.96 Der Standardvertrag wäre insofern kein geeignetes Einfallstor, um eine Sonderbehandlung der VOB/B zu rechtfertigen.

b) Vorformulierte Individualklauseln und individuell ausgehandelte Klauseln

Nach deutschen Vorbild und auf deutschen Einfluss in der letzten Phase des Gesetz-gebungsverfahrens differenziert die Richtlinie zwischen Standardverträgen und indivi-duell ausgehandelten Vertragsklauseln. Als Kompromiss zwischen der deutschen Ver-handlungslinie – keine Kontrolle von Vertragsklauseln, und der englisch-skandinavischen – Einbeziehung der Vertragsklauseln als solcher in den Anwen-dungsbereich, führt die Richtlinie eine nicht nur dem deutschen Recht unbekannte Ka-tegorie ein, die der vorformulierten Individualklauseln. Diese Definition, aber auch die Gesetzgebungsgeschichte zeigen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber eine besonde-re Kategorie zwischen reinen Individualverträgen bzw. -vereinbarungen und Allgemei-nen Geschäftsbedingungen in das Gemeinschaftsrecht einführen wollte.97

aa) Systematische Bedeutung des Vorformulierens = Wegfall des Stellens

Wieder scheiden sich die Wege in der Herangehensweise. Dem deutschen Rechts-denken entspricht es, nach einer definitorischen Abgrenzung der vorformulierten Indi-vidualklauseln von den Standardvertragsklauseln einerseits und den Individualverein-

95 Vgl. die Nachweise bei Kutschker, Gesamtabwägung, 175 unter Hinweis auf die Rechtsposi-

tion von Schmidt-Salzer. 96 Vgl. die insoweit exemplarische Behandlung bei Kutschker, Gesamtabwägung, 175; oftmals

wird die Frage schlicht übergangen oder der Anwendungsbereich wird eher en passant für eröffnet erklärt, z.B. Quack, BauR 1997, 24 „bedarf keiner weiteren Erörterung“.

97 Micklitz, ZEuP 1993, 526 gegen Ulmer, EuZW 1993, 342.

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barungen andererseits zu suchen. In den Mittelpunkt des Interesses rückt die Ausei-nandersetzung um die Frage, ob eine Kontrolle nur eröffnet ist, wenn die Standardver-tragsklauseln dem Verbraucher vom Verwender „gestellt“ werden. Hierher gehört nicht nur die leidige Auseinandersetzung um die Kontrolle der von Dritten vorformulierten Allgemeinen Geschäftsbedingungen, sondern auch und weitergehend um den mate-riellen Gehalt des in § 305 BGB verlangten Kriteriums. Die erste Frage hat der EG-Gesetzgeber eindeutig entschieden. Auch von Dritten vorformulierte Standardvertrags-klauseln, etwa in Handbüchern, von beratenden Berufen wie Notaren oder Anwälten, von Verbänden und ähnlichen unterliegen nunmehr der Kontrolle.98

Eine zufriedenstellende Antwort auf die weitere zweite Frage nach der grundsätzlichen Bedeutung des „Stellens“ lässt sich nur finden, wenn man von der sehr deutschen Dis-kussion um die Bedeutung absieht und stattdessen herauszufinden versucht, welche Bedeutung das Merkmal der „Vorformulierung“ für die Bestimmung eines gemein-schaftsrechtlich definierten Anwendungsbereichs hat. Dieses Kriterium dominiert näm-lich die Zwitterkategorie der vorformulierten Individualklauseln bzw. vorformulierten Individualverträge. Für Bauverträge könnte die Entscheidung dieser Streitfrage ganz erhebliche Bedeutung für Konstellationen gewinnen, in denen sich die Parteien, ohne die VOB/B inhaltlich zur Disposition zu stellen, über deren Anwendung vollinhaltlich einig sind.99 Die Aushandlung läge dann in dem Einverständnis über die Einbeziehung der VOB/B.

bb) Vorformulierte Individualklauseln als Einfallstor für den Ausschluss nicht gestell-ter VOB/B

Die Richtlinie erfasst Vertragsklauseln, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurden, Art. 3 Abs. 1. Abs. 2 gibt die Stoßrichtung vor:

„Eine Vertragsklausel ist immer dann als nicht im Einzelnen ausgehandelt zu betrachten, wenn sie im voraus abgefasst wurde und der Verbraucher deshalb, insbesondere im Rahmen eines vorformulierten Standardvertrages, keinen Einfluss auf ihren Inhalt neh-men konnte.

Die Tatsache, dass bestimmte Elemente einer Vertragsklausel oder eine einzelne Klausel im Einzelnen ausgehandelt worden sind, schließt die Anwendung dieses Artikels auf den übrigen Vertrag nicht aus, sofern es sich nach der Gesamtwertung dennoch um einen vorformulierten Standardvertrag handelt.

Behauptet ein Gewerbetreibender dass eine Standardvertragsklausel im einzelnen aus-gehandelt wurde, so obliegt ihm die Beweislast“.

98 Remien, ZEuP 1994, 50. 99 Dazu insbesondere Michalski, BB 1995, 665, 666 sowie Kutschker, Gesamtabwägung, 176

mit Nachweisen in Fn. 887.

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Der Richtliniengeber scheint auf den ersten Blick davon auszugehen, dass zusätzlich zur Vorformulierung noch ein weiteres Element erforderlich ist, um die Richtlinie zur Anwendung zu bringen, nämlich dass der Verbraucher wegen dieser Vorformulierung keinen Einfluss auf ihren Inhalt nehmen konnte. Durch eine solche Lesart würde die Bedeutung des Aushandelns beträchtlich aufgewertet. Jede mögliche Einflussnahme des Verbrauchers würde die vorformulierten Klauseln aus dem Anwendungsbereich herauskatapultieren.

Die Verknüpfung dieses Merkmales mit dem Anwendungsbereich ist nicht klar, weil eine solche Kausalität nur schwer nachzuweisen sein wird. Es scheint deshalb richtig, die Vorformulierung als das Einstiegskriterium zu wählen und im Regelfall bei einer solchen Vorformulierung davon auszugehen, dass keine Einflussnahme vorgelegen hat.100 Damit wird die typische Verhandlungssituation des Verbrauchers gegenüber Gewerbetreibenden zutreffend beschrieben, wo über Vertragsbedingungen und Klau-seln nicht im Einzelnen verhandelt wird, sondern im Sinne eines Rationalisierungsinte-resses zwecks Ersparnis von Transaktionskosten vorformulierte Verträge verwendet werden. Ob dies nur im Einzelfall oder in einer Mehrzahl von Fällen geschieht, ist dabei nach Gemeinschaftsrecht gleichgültig.101

Erst ein solches Verständnis erlaubt eine zutreffende Behandlung von Standardverträ-gen oder Standardvertragsbedingungen, auf die sich beide Parteien ausdrücklich be-ziehen wollen. Die Richtlinie knüpft an die äußere Form der Vertragsklauseln an. Sind diese vorformuliert ist die Kontrolle eröffnet. Eine einvernehmliche Bezugnahme auf vorformulierte Standardklauseln versperrt nicht die Inhaltskontrolle.102 Wollen die Par-teien aus dem Korsett der Richtlinie ausbrechen, müssen sie die Vertragsbedingungen individuell verhandeln, tun sie es nicht, müssen sie mit dem Umstand leben, dass vor-formulierte Standardklauseln der Kontrolle unterworfen sind. Insofern ist die gesamte Diskussion um den Ausschluss der Kontrolle nicht „gestellter“ VOB/B gemeinschafts-rechtlich gesehen hinfällig. Das Gemeinschaftsrecht stellt den in der Richtlinie gewähr-ten Schutz der Verbraucher nicht zur Disposition der Parteien. Ausgangspunkt und Einstiegskriterium muss die Vorformulierung sein. Der tiefere Grund für die begrenzte Disponibilität des zwingenden Gemeinschaftsrechts liegt in der doppelten Instrumenta-lisierung der in der Richtlinie gewährten subjektiven Rechte, einerseits, um die volle

100 So schon Damm, JZ 1994, 164; ebenso Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer, A 5, Art. 3 Rdnr. 15;

Reich, Europäisches Verbraucherrecht, 3. Auflage, 1996, Rdnrn. 156 f.; Eckert, ZIP 1996, 1238, 1239; a.A. Ulmer, FS Heinrichs, 555, 569.

101 Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer, A 5, Art. 3 Rdnr. 22 und Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, Art. 3 RL Rdnrn. 21, 24 halten den Anwendungsbereich des Art. 3 auch dann für eröffnet, wenn es an einer Vorformulierung fehlt, der Verbraucher aber gleichwohl keine Möglichkeit zur Ein-flussnahme hatte.

102 Anders ebenso Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer, A 5, Art. 3 Rdnr. 11 mit zustimmenden Nachwei-sen für den Fall, dass der Verbraucher die Klausel selbst vorgeschlagen hat.

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Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, andererseits, um effektiven Rechtsschutz zu garantieren.103

So schwierig die Kategorie vorformulierter Individualklauseln auch zu fassen sein mag, so bedeutsam ist ihre Funktion für die Bestimmung des Inhalts und der Grenzen kon-trollfähiger Klauseln.

cc) Individuell ausgehandelte Klauseln

Nicht der Kontrolle unterliegen reine Individualvereinbarungen. Es ist allerdings schwer nachvollziehbar, wann solche Individualvereinbarungen vorliegen. Sofern sie das Preis-Leistungs-Verhältnis betreffen, unterliegen sie ohnehin (im Rahmen des Trans-parenzgebots) nicht der Missbrauchskontrolle. Also besteht insoweit keine Notwendig-keit, den Begriff der „Vorformulierung“ einengend auszulegen. Ferner sind Verträge zwischen Privatleuten, die auf individuellem Aushandeln beruhen, ohnehin nicht er-fasst, so dass auch hier keine Notwendigkeit für eine Einengung des Anwendungsbe-reichs der Richtlinie spricht. Deshalb sollte richtigerweise davon ausgegangen werden, dass in den Beziehungen zwischen Verbraucher und Gewerbetreibendem alle Klauseln einer Missbrauchskontrolle unterliegen. Sollte eine einzelne Klausel wirklich ausge-handelt sein, so ergibt sich ohnehin nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 eine Kontrolle der übri-gen Klauseln.

In Bauverträgen mit privaten Verbrauchern dürfte es aller Erfahrung nach selten vor-kommen, dass die Parteien den Inhalt des Vertrages individuell aushandeln. Wenn über-haupt besteht der Verhandlungsspielraum in der Vereinbarung der VOB/B als Ganzes oder in Teilen gemeinsam mit eigenen Standardklauseln des Bauunterneh-mers.

c) Kollektiv ausgehandelte Allgemeine Geschäftsbedingungen oder genießt die VOB/B ein Sonderprivileg?

Aus der Gesetzgebungsgeschichte wird deutlich, dass eine mögliche Privilegierung kollektiv ausgehandelter Standardvertragsklauseln zu keinem Zeitpunkt diskutiert wur-de, obwohl etwa in Frankreich in der zweiten Hälfte der 80er Jahre die Möglichkeit, kollektive Verbrauchervereinbarungen nach dem Vorbild des Tarifvertragsrechts zu treffen, intensiv – wenngleich nahezu ergebnislos diskutiert wurde.104 Anders als das AGBG hat die Richtlinie in keiner Weise dem Umstand Rechnung getragen, dass es jenseits des Ausnahmekataloges Standardvertragsklauseln gibt, die das Ergebnis ei-

103 Erstmalig Snyder, MLR (56) 1993, 19. 104 Calais-Auloy, JCP 1984, 115; Calais-Auloy/Steinmetz, Droit de la consommation, 57.

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nes Verhandlungsprozesses sind, wie immer dieser auch ausgesehen haben mag. Die Richtlinie schweigt.

Soweit ersichtlich sind die Stimmen vereinzelt geblieben, die aus dem Schweigen der Richtlinie auf die Herausnahme kollektiv ausgehandelter Allgemeiner Geschäftsbedin-gungen aus deren Anwendungsbereich schließen.105 Als Argument dient den Befürwor-tern einer solchen Sichtweise, dass der deutsche Gesetzgeber zwar Musteraufstel-lungsverfahren erwogen hat, von dieser Überlegung jedoch letztendlich Abstand nahm, um den Anwendungsbereich auch für Klauselwerke zu eröffnen, die eine begrenzte öffentlich-rechtliche Kontrolle durchlaufen haben.106

aa) Kollektivvereinbarungen im Arbeits- und Sozialrecht nach Maßgabe von Art. 139 EGV

Der Blick auf die Entwicklung im Arbeitsrecht erhärtet diesen Befund. Der in Amster-dam neu eingefügte Art. 139 EGV gestattet die Ausarbeitung kollektiver Vereinbarun-gen, die vom Rat ohne Einschaltung des Europäischen Parlamentes für allgemeinver-bindlich erklärt werden können. Von dieser Kompetenz hat der Rat in fünf Fällen be-reits Gebrauch gemacht.107 In UEAPME108 ist erstmalig streitig geworden, welche An-forderungen an die Repräsentativität in den Verhandlungen zu stellen sind. Vor dem EuGH hatte ein mittelständischer Arbeitgeberverband geklagt, der an den Verhandlun-gen nicht beteiligt war und durch die Richtlinie nicht gebunden werden wollte. Auch wenn der Sachverhalt nicht zum EuGH gelangt ist, weil die Streitparteien sich außerge-richtlich einigten, so lassen sich aus dem Konflikt doch eine Reihe von Rückschlüssen ziehen, die für den rechtlichen Status privilegierter Kollektivvereinbarungen prägend sein dürften:

Die Privilegierung von Kollektivvereinbarungen, jedenfalls solchen, denen eine legislative Wirkung zukommt, bedarf einer ausdrücklichen Regelung im primä-ren Gemeinschaftsrecht.

Kollektivvereinbarungen können Rechtswirkungen nur entfalten, wenn die Re-präsentativität auf Seiten beider Teile vorliegt.

105 Vgl. vor allem Siegburg, BauR 1993, 9. 106 Nachweise aus der Diskussion im baurechtlichen Kontext, Kutschker, Gesamtabwägung,

100 f. 107 Sektorübergreifend Richtlinie 96/34/EG, Abl. EG L 145, 3.6.1996, 4, Richtlinie 97/81/EG, Abl.

EG L 14, 15.12.1997, 9 und Richtlinie 98/23/EG, Abl. EG L 131, 5.5.1998, 10 und Richtlinie 99/70/EG, Abl. EG L 175, 10.7.1999, 43; sektorspezifisch, Richtlinie 99/63/EG Abl. EG L 167, 2.7.1999, 33 und Richtlinie 2000/79/EG, Abl. EG L 302, 1.12.2000, 57.

108 EuGH, 17.6.1998, Rs. T-135/96, Union européenne de l’artisanat et des petites et moyennes entreprises (UEAPME)/Council, Slg. 1998, II-2335.

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Die Repräsentativität der Verhandlungsparteien muss von der Kommission re-spektive vom Rat festgestellt werden.

Die judizielle Kontrolle beschränkt sich darauf festzustellen, ob Kommission und Rat ihre Entscheidung nicht rechtsmissbräuchlich getroffen haben.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kompensieren die Kollektivvereinbarun-gen das Fehlen der Beteiligung des Europäischen Parlamentes.

bb) Folgerungen für die Anforderungen an Kollektivvereinbarungen im Bereich des europäischen Verbraucherrechts, speziell an die VOB/B

Die Anforderungen des Arbeits- und Sozialrechts lassen sich nur bedingt auf das Eu-ropäische Verbraucherrecht übertragen. Soweit ersichtlich haben auch in den Ländern, die Kollektivvereinbarungen im Verbrauchervertragsrecht kennen, derart ausgehandel-te Vertragswerke keine Gesetzeskraft. Sie sind gerade nicht erga omnes verbindlich, sondern bedürften immer noch der Einbeziehung im konkreten Vertragsschluss. Auch die Verfasser der VOB/B haben für das Regelwerk keinen quasi-legislativen Charakter reklamiert. Die Parallele zu Art. 139 EGV trägt jedoch insofern, als eine Herausnahme der VOB/B aus dem sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie einer Legalausnah-me gleichkäme.109 Im Ergebnis wären die VOB/B – nicht unähnlich einer nationalen gesetzlichen Regelung – von jeder Überprüfung freigestellt. Der Blick auf Art. 139 EGV zeigt, dass das Gemeinschaftsrecht hohe formale Anforderungen an eine Privilegie-rung knüpft. Auch wenn nicht gleich eine Regelung im primären Gemeinschaftsrecht erforderlich sein mag, so müsste doch die Richtlinie selbst Vorgaben enthalten, die einen Sonderstatus von Kollektivvereinbarungen rechtfertigen. Denn, auch das ist eine der Botschaften von UEAPME, Kollektivvereinbarungen mit rechtlichen Bindungswir-kungen – hier in Form von Kontroll-Freistellungen – verlangen im Sekundärrecht nie-dergelegte inhaltliche Vorgaben an den Prozess der Verhandlung selbst, d.h. an die Repräsentativität der Parteien.

Da der EG-Gesetzgeber diesen Schritt in der Richtlinie gegangen ist, bleibt diese auf die VOB/B vollinhaltlich anwendbar. Insofern ist all jenen zuzustimmen, die die VOB/B dem Anwendungsbereich der Richtlinie unterwerfen. Allenfalls bleibt zu prüfen, ob die VOB/B unter eine der Legalausnahmen der Richtlinie 93/13/EWG fallen oder nicht.

109 Vgl. zur Parallelproblematik einer Legalausnahme die Ermächtigung in Art. 244 EGBGB,

Abschlagszahlungen beim Hausbau im Wege einer Verordnung zu regeln, um sie so dem Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle und auch der Richtlinie 93/13/EWG zu entziehen, Thode, Bauträgervertrag – Ge-staltungsfreiheit im Rahmen der neuen Gesetzgebung und Rechtsprechung, RWS Forum 19, Immobilienrecht 2000, 267, 306 ff. Sachgerecht sind sol-che Legalausnahmen nicht und gemeinschaftsrechtlich sind bzw. wären sie ohnehin proble-matisch.

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Dabei ist zu beachten, dass der EuGH in ständiger Rechtsprechung Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts eng auslegt.110 Für die Befürworter ei-ner Art impliziten Legalausnahme bleibt insofern nur ein enger Spielraum.

3. System der Legalausnahmen und die Bedeutung des Art. 1 Abs. 2 für ein mögliches Kontrollprivileg der VOB/B

Der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG wird durch ein System von Legalausnahmen eingeschränkt. Diese waren im Gesetzgebungsverfahren Gegen-stand heftiger Auseinandersetzungen. Die letztendlich verabschiedeten Vorschriften sind stark von deutschem Rechtsdenken geprägt. Umso größere Beachtung muss der Umstand finden, dass eine Sonderbehandlung der VOB/B in keiner Phase des europä-ischen Gesetzgebungsverfahrens erwogen wurde, das aber eine Privilegierung der VOB/B als Ganzes zu einer de facto Legalausnahme führen würde.

a) System der Legalausnahmen

Damit ist umgekehrt noch nichts darüber gesagt, ob und inwieweit sich der Ausnahme-katalog zugunsten einer Sonderbehandlung der VOB/B heranziehen lässt. Das System der Ausnahmeregelungen ist verzwickt und in seiner rechtlichen Bedeutung noch weit-gehend ungeklärt, da der EuGH noch wenig Gelegenheit zur Stellungnahme hatte. Drei Typen von Ausnahmen lassen sich deutlich trennen:

Regelbezogene Ausnahmen: Hierher gehört Art. 1 Abs. 2, der bindende Rechtsvorschriften und internationale Bestimmungen dem Anwendungsbe-reich der Richtlinie entzieht.

Konzeptionell begründete Ausnahmen: Hierzu zählt Art. 4 Abs. 2, der eine Preis- und Leistungskontrolle ausnimmt.

Sachbezogene Ausnahmen: Nicht in den Anwendungsbereich fällt das Ar-beits-, Erbschafts-, Gesellschafts- und Versicherungsrecht.

Jede Ausnahmeregelung könnte sich im spezifischen Kontext der VOB/B auswirken, Art. 1 Abs. 2, sofern die VOB/B als bindende Rechtsvorschriften zu behandeln sind; Art. 4 Abs. 2 in Bezug auf einzelne Bestimmungen der VOB; die sachbezogenen Aus-nahmen, sofern sich in ihnen ein System erkennen lässt, das eine Gleichstellung des Baurechts mit den anderen sachbezogenen Ausnahmen rechtfertigt.

110 Allgemeines Rechtsprinzip des Gemeinschaftsrechts, das der EuGH im Zusammenspiel der

Artt. 30/36 entwickelt hat; vgl. statt aller Grabitz/Hilf-Leible, Art. 30 Rdnr. 3 mit zahlreichen Nachweisen.

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b) Art. 1 Abs. 2 – bindende und/oder zwingende Rechtsvorschriften und die VOB/B

Die Richtlinie nimmt zwei Arten von Klauseln ausdrücklich aus der Missbrauchskontrol-le aus, auch wenn sie vorformuliert sind:

Nach Art. 1 Abs. 2 unterliegen „Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Bestimmungen oder Grundsätzen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft – insbesondere im Verkehrsbereich – Vertragsparteien sind, ... nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie“.

Solche bindenden Rechtsvorschriften ergeben sich zunächst aus dem zwingenden Recht der Mitgliedstaaten, sofern dieses nach den Regeln des internationalen Privat-rechts auf den Vertrag anwendbar ist. Entgegen dem sonstigen Prinzip des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts vor dem mitgliedstaatlichen Recht erkennt der Gemein-schaftsgesetzgeber ausdrücklich die Prärogative des Vertragsrechtes der Mitgliedstaa-ten an. Dieses muss sich konform zum sonstigen Gemeinschaftsrecht verhalten, was angesichts der neuen Rechtsprechung zu Art. 28 EGV nur selten problematisch sein wird.111 Diskriminierende mitgliedstaatliche Vertragsrechtsvorschriften können aller-dings trotz Art. 1 Abs. 2 die Inhaltskontrolle nicht ausschließen.

Bereits auf dieser Stufe der Prüfung wird erkennbar, dass der EG-Gesetzgeber unter bindenden Rechtsvorschriften offensichtlich nur Regeln verstehen wollte, die vom nati-onalen Gesetzgeber – und nicht von Verbänden – verabschiedet worden sind. Gerade daran scheint es bei der VOB/B zu fehlen. Was immer auch über deren besonderen Charakter ins Feld zu führen wäre, um quasi gesetzliche Regelungen handelt es sich bei den VOB/B gerade nicht.112 Die rechtstheoretisch geführte Diskussion um die Rechtsnatur der Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Allgemeinen und um die VOB/B im Besonderen und um deren potentielle Aufwertung zu „gesetzten Normen“ sui generis ist akademisch geblieben.113 Weder in Deutschland noch in der EG hat der Hinweis auf die Rechtsnatur von Allgemeinen Geschäftsbedingungen deren Kontrollun-terworfenheit begrenzen können. Die bisherige Diskussion um die Reichweite des Art. 1 Abs. 2 dreht sich vor allem um die Kontrollfähigkeit des dispositiven Rechts – anders formuliert um die Klassifizierung des dispositiven Rechts als bindende Rechtsvorschrif-ten.114

Man könnte die Prüfung mit dem schlichten Hinweis einstellen, dass die VOB/B keine „bindenden“ Rechtsvorschriften seien und ein Verständnis der VOB/B als dispositive

111 EuGH, 24.1.1991, Rs. C-339/89, Alsthom Atlantique, Slg. 1991, I-107; EuGH, 13.10.1993,

Rs. C-93/92, CMC-Motorradcenter/Pelin Baskincigoullari, Slg. 1993, I-5009 = EuWZ 1993, 743.

112 Lampe-Helbig, in: FS Korbion, 249. 113 Pflug, Kontrakt und Status im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1986. 114 Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer, A 5, Art. 1 Rdnr. 25 mit Nachweisen aus der umfangreichen Dis-

kussion.

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Rechtsregeln neben der Sache läge. Doch Vorsicht ist geboten, weil „bindende“ Rechtsvorschriften und „zwingende“ Rechtsvorschriften möglicherweise nicht das glei-che sind und weil das Gemeinschaftsrecht unter dispositiven Rechtsregeln etwas an-deres verstehen muss als die deutsche Privatrechtsordnung. Bei näherer Analyse er-weist sich das Begriffspaar zwingendes Recht/dispositives Recht nämlich als wenig tauglich. Der Begriff der bindenden Rechtsvorschriften ist im Kontext des Gemein-schaftsrechts autonom auszulegen. Er muss sich in die 15 Rechtsordnungen der Mit-gliedstaaten einfügen lassen, insbesondere eben auch in die der Common law-Länder, die ein dispositives Recht nicht kennen. Die Analyse wird zeigen, dass der Begriff der „bindenden Rechtsvorschriften“ eng auszulegen ist, dass selbst dispositives nationales Recht nicht von vornherein dem Anwendungsbereich der Richtlinie entzogen ist. Wenn aber schon nationales dispositives Recht kontrollfähig sein kann, dann muss dies umso eher für die VOB/B gelten, die eine Bindungswirkung lediglich aus dem Verfahren der Ausarbeitung herleiten.

c) Art. 1 Abs. 2 – dispositives Gesetzesrecht und VOB/B

Vordergründig erscheint der Streit um die Kontrollfähigkeit des dispositiven Rechts paradox, gibt doch das dispositive Recht im allgemeinen die Gerechtigkeitsvorstellun-gen des Vertragsrechts eines Mitgliedstaats wieder, das gleichsam die „individuelle“ durch „kollektive Vernunft“ ergänzt.115 Dennoch hat die deutsche Rechtspraxis gezeigt, dass unter bestimmten Situationen die Anwendung des dispositiven Rechts miss-bräuchlich sein kann, etwa hinsichtlich der Rückzahlungswirkungen von Teilleistungen im Bereich des Konsumentenkredits.116 Auch von ihrer Struktur her sind die Normen des dispositiven Rechts nicht „bindend“, sondern enthalten eine Art „Reserverechts-ordnung“, die nur gilt, wenn die Parteien ausdrücklich oder stillschweigend nichts ande-res vereinbart haben. Deshalb erscheint es nicht richtig, sie als „bindend“ zu bezeich-nen, weil das Gemeinschaftsrecht das Vertragsrecht der Mitgliedstaaten nicht überprü-fe.117 Darum geht es jedoch hier nicht, sondern um die Feststellung der Missbräuch-lichkeit von Klauseln nach möglichst einheitlichen, autonomen Maßstäben. Insoweit ist das dispositive Recht zwar Ausgangspunkt, aber nicht Schranke der Kontrolle. Eine solche Auslegung wird auch durch die englischen und französischen Versionen der Richtlinie bestätigt, die ein qualifiziertes Maß an Bindung, etwa im Sinne von „zwin-gend“ verlangen.

115 Deshalb sind auch die sog. deklaratorischen Klauseln der Kontrolle grundsätzlich entzogen,

vgl. MünchKommBGB-Basedow, § 307 Rdnr. 6. 116 Siehe die Nachweise bei MünchKommBGB-Basedow, § 307 Rdnr. 10, insbes. BGHZ 106,

42, 45. 117 Remien, ZEuP 1994, 45; MünchKommBGB-Basedow, § 307 Rdnr. 2.

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Der Unterschied zwischen „bindend“ und „zwingend“ spricht für die Kontrollfähigkeit des dispositiven Rechts und damit mittelbar für eine Einbeziehung der VOB/B.

d) Art. 1 Abs. 2 – Verhaltensstandards der Marktteilnehmer als Legalausnahme?

Im Erwägungsgrund (13) findet sich eine vermeintliche Klarstellung, die der bisherigen Lesart des Art. 1 Abs. 2 zuwiderzulaufen scheint und die möglicherweise für eine Son-derbehandlung der VOB/B ins Feld geführt werden könnte:

„...der Begriff „bindende Rechtsvorschriften“ in Art. 1 Abs. 2 umfasst auch Regeln, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde“.

Dann müssten die VOB/B Regeln sein, die nach dem Gesetz zwischen den Vertrags-parteien gelten. Die Richtlinie müsste also im Sinn gehabt haben, solche Regeln aus dem Anwendungsbereich herauszunehmen, die auf einem gesetzlichen Verweis beru-hen und die aus einem Zusammenspiel von Gesetzgebung und selbstgeschaffenen Verhaltensstandards der Marktteilnehmer resultieren.

In einer gemeinschaftsrechtlichen Perspektive rücken hier vor allem die vielfältigen englischen codes of conduct in das Blickfeld des Interesses.118 Sie sind von den Markt-teilnehmern, oftmals unter Einbeziehung staatlicher Aufsichtsorgane ausgehandelt worden und spielen für die Gestaltung des Wirtschaftslebens eine große Rolle. Das Office of Fair Trading hat sich um einen vermeintlichen Sonderstatus der codes of con-duct nicht gekümmert und diese einer Kontrolle nach Maßgabe der Regulations 1994/1999 unterworfen, mittels derer das Vereinigte Königreich die Richtlinie 93/13/EWG umgesetzt hat. Soweit ersichtlich ist auch in den wenigen inner-englischen Rechtsstreitigkeiten die Kontrollfähigkeit der codes of conduct nicht problematisiert worden.119

Tatsächlich kommt es darauf an, ob das nationale Gesetz die Parteien zur Verwen-dung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zwingt, ob also das Gesetz einen An-wendungsbefehl definiert. Dieser kann sich in einem Verweis auf Verhaltensstandards erschöpfen, die von Verbänden ausgearbeitet worden sind. Immer aber ist der Anwen-dungsbefehl entscheidend, genau daran fehlt es in den englischen codes of conduct. Insofern lässt sich aus Art. 1 Abs. 2 für eine Sonderstellung der VOB/B nichts gewin-nen.

118 Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer, A 5, Art. 1 Rdnr. 27 unter Hinweis auf Thomas/Sabalot, BJIBFL

1995, 214, 217. 119 Vgl. die Analyse von Bright, Legal Studies 2000, 331.

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e) Art. 1 Abs. 2 – Versorgungsbedingungen

Die VOB/B sind offensichtlich keine Versorgungsbedingungen. Jedoch ist die Diskussi-on um die Stellung von öffentlich-rechtlichen Versorgungsbedingungen insofern von Bedeutung, als vielfältig die Meinung vertreten wird, dass öffentlich-rechtliche Versor-gungsbedingungen aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie herausfallen. Damit wäre, vorausgesetzt die Parallele zu den VOB/B trägt, die Sonderstellung der VOB/B auch nach der Richtlinie begründbar.

Tatsächlich besteht keine Einigkeit, ob Allgemeine Geschäftsbedingungen von öffent-lich-rechtlichen Versorgungsunternehmen, die in Form einer Verordnung oder einer vergleichbaren Regelung der Exekutive in den Anwendungsbereich der Richtlinie fal-len. Ob die Bindungswirkung durch private oder öffentlich-rechtliche Regelungen er-folgt, soll dabei nicht einmal entscheidend sein. Überwiegend wird die Meinung vertre-ten, dass derartige Verordnungen als bindende Rechtsvorschriften im Sinne des Art. 1 Abs. 2 zu verstehen wären und deshalb der Anwendungsbereich der Richtlinie nicht eröffnet sei.120 Nach hier vertretener Auffassung lässt sich eine Parallele zwischen den Versorgungsbedingungen und der VOB/B nicht ziehen, weil letztere gerade nicht als bindend im Sinne des Art. 1 Abs. 2 anzusehen sind.

Insofern könnte der Streit um die richtige Behandlung der Allgemeinen Versorgungs-bedingungen auf sich beruhen, scheint er doch für die Einordnung der VOB/B im Gefü-ge der Legalausnahmen nichts herzugeben. Doch lassen sich auch Gegenargumente ins Feld führen, die den Begriff der zwingenden Rechtsvorschriften, jedenfalls im Zu-sammenspiel mit Art. 2 lit. c) in einem anderen Licht erscheinen lassen.121 Wenn aber schon Versorgungsbedingungen der Richtlinie unterfallen, die im Wege einer Verord-nung oder einer vergleichbaren Regelungen zur Anwendung gelangen, dann muss der Anwendungsbereich der Richtlinie um so eher für die VOB/B eröffnet sein, bei denen es an einem gesetzlichen Anwendungsbefehl mangelt.

Ansatzpunkte für einen weiten sachlichen Anwendungsbereich bieten die Erwägungs-gründe (14) und (16). Allgemeine Geschäftsbedingungen in Form zwingender Rechts-vorschriften werden ausdrücklich in die Kontrolle einbezogen. Auf der anderen Seite steht der Erwägungsgrund (13), der eher für ein enges Verständnis des Art. 1 Abs. 2 zu sprechen scheint. Im Mittelpunkt des Interesses steht jedoch der Begriff der zwin-genden Rechtsvorschriften. Zutreffend erscheint es, auf den rechtsdogmatischen An-satz zurückzugreifen, den der EuGH zur Begrenzung des Anwendungsbereichs von Art. 28 EGV entwickelt hat.122 Danach haben vor der Gemeinschaft nur solche Regeln

120 Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer, A 5, Art. 1 Rdnrn. 23-27 und Art. 2 Rdnrn. 23-24. 121 Vgl. insbesondere Rott/Butters, VuR 1999, 107; Whittaker, LQR 2000, 95; Hirte, in: FS P.

Ulmer, 1153. 122 So erstmals Hoffmann, in: Lehofer/Mayer, 1998, 68.

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der Mitgliedstaaten Bestand, denen zwingende Allgemeinwohlinteressen zugrunde liegen. An diesem Maßstab müssen sich Allgemeine Geschäftsbedingungen messen lassen, die in Form des zwingenden Rechts ergangen sind. Die Richtlinie 93/13/EWG mag als Maßstab dienen, um den Allgemeinwohlinteressen Konturen zu verleihen.123 Identische Grundsätze müssen für die VOB/B gelten.

f) Der Stand der Rechtsprechung des EuGH

Der EuGH hatte in Cofidis124 erstmalig die Gelegenheit, zur Bedeutung des Terminus „bindende Vorschriften“ in Art. 1 Abs. 2 Stellung zu nehmen. Im Kern geht es um die Frage, ob der EuGH zuständig ist, um die in Art. 311-37 des Code de la Consommati-on vorgesehene Regelung an den Vorgaben der Richtlinie 93/13/EWG zu messen, wonach Klagen aus einem Verbraucherkreditvertrag innerhalb von zwei Jahren nach dem die Streitigkeit auslösenden Ereignis bei dem zuständigen Gericht einzureichen sind. GA Tizzano125 hält die Richtlinie für nicht anwendbar, weil anders als bei Océano die in Cofidis streitigen Klauseln vom Anwendungsbereich der Richtlinie nicht erfasst seien. Sie fielen unter Art. 4 Abs. 2, weil die Finanzklauseln den Hauptgegenstand des Kreditvertrages darstellen, außerdem läge ein Anwendungsfall des Art. 1 Abs. 2 vor. Der EuGH übergeht die Problematik und bejaht die Zulässigkeit der Klage unter Hin-weis darauf, dass die fraglichen Klauseln sich nicht darauf beschränkten, zwingende Rechtsvorschriften wiederzugeben, ihr Wortlaut vielmehr als mehrdeutig gerügt wer-de.126

So sehr man es sich gewünscht hätte, für die Bestimmung der Reichweite des Art.1 Abs. 2 lässt sich aus dem Urteil kein Erkenntnisgewinn erzielen. Einen Fingerzeig lie-fert der EuGH gleichwohl. Man könnte die Entscheidung nämlich so lesen, dass das Transparenzgebot auch innerhalb des Art. 1 Abs. 2 Anwendung finden kann und soll.127 Auf die Bedeutung des Transparenzprinzips für die Kontrollfähigkeit der VOB/B wird noch zurückzukommen sein.

123 So lassen sich auch die Einwände von Rott/Butters, VuR 1999, 115 entkräften, dass der

Bezug auf das Allgemeinwohl keine Hilfe in der Konkretisierung des Kontrollmaßstabes bie-tet.

124 EuGH, 21.11.2002, Rs. C-473/00, Cofidis S.A./Jean Louis Fredout, Slg. 2002, I-10875. 125 Schlussantrag, 18.4.2002, Rs. C-473/00, Cofidis S.A./Jean Louis Fredout, Rdnrn. 40 und 42,

Urteil, 21.11.2002. 126 Rdnr. 22. 127 So schon Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer, A 5, Art. 1 Rdnr. 38.

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g) Zwischenstand – zu einer möglichen Rechtfertigung einer Privilegierung nach Maßgabe des Art. 1 Abs. 2

Für die Beurteilung der VOB/B und deren möglicher Privilegierung nach Maßgabe des Art. 1 Abs. 2 sollte folgendes bedacht werden: Die Formulierung im Erwägungsgrund (13) stellt keine amtliche Definition des Art. 1 Abs. 2 dar, da sie nicht in die Richtlinie selbst, sondern lediglich in den Erwägungsgrund Eingang gefunden hat, der zwar zur Auslegung der Richtlinie herangezogen werden kann, aber den Gerichtshof nicht bin-det. Die Formulierung ist im Kontext mit Art. 1 Abs. 2 zu lesen. Danach kann es für die Reichweite der Ausnahmebestimmung nur darauf ankommen, ob einem Regelwerk, seien es selbstgesetzte Verhaltensstandards, Versorgungsbedingungen oder eben die VOB/B, eine vom Staat abgeleitete rechtliche Verbindlichkeit oder nur die Bedeutung einer allseits zu beachtenden Empfehlung zukommt.128 In concreto bedarf es eines Anwendungsbefehls. Genau diese rechtliche Verbindlichkeit ist bei den VOB/B jedoch nicht zu erkennen. Die Parteien sind und bleiben theoretisch frei, ob sie die VOB/B zur Leitschnur ihrer vertraglichen Verpflichtung machen wollen oder nicht.

4. Konzeptionell begründete und bereichsbezogene Ausnahmen in ihrer Be-deutung für die VOB/B

Die verbleibenden konzeptionell begründeten bzw. bereichsbezogenen Ausnahmen sind weniger problematisch. Für eine Sonderbehandlung der VOB/B geben sie wenig her.

a) Art. 4 Abs. 2 – Preis- und Leistungskontrolle

Ein weiterer Ausnahmetatbestand von der Inhaltskontrolle findet sich in Art. 4 Abs. 2:

„Die Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Klauseln betrifft weder den Hauptgegen-stand des Vertrages noch die Angemessenheit zwischen dem Preis bzw. dem Entgelt und den Dienstleistungen bzw. den Gütern, die die Gegenleistung darstellen, sofern diese Klau-seln klar und verständlich abgefasst sind“.

Diese erst in den Beratungen des Rats aufgenommene Einschränkung will die so ge-nannten Hauptleistungen der Parteien von der Inhaltskontrolle ausnehmen. Insofern handelt es sich um keine Bereichsausnahme, sondern um eine Beschränkung der Reichweite der Inhaltskontrolle. Art. 4 Abs. 2 findet auf sämtliche Klauseln Anwendung, die in die Reichweite des sachlichen Anwendungsbereichs der Richtlinie fallen. Ist der Anwendungsbereich der Richtlinie eröffnet, findet Art. 4 Abs. 2 ebenso auf die VOB/B Anwendung. Eine eigenständige Sonderbehandlung eines ganzen Rechtskomplexes, wie der der VOB/B lässt sich mittels dieser Regelung nicht begründen.

128 So zutreffend Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer, A 5, Art. 1 Rdnr. 27.

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Schon jetzt sei darauf hingewiesen, dass die Ausnahmebestimmung unter dem aus-drücklichen Vorbehalt steht, dass solche (vorformulierten) Klauseln klar und verständ-lich abgefasst sind. Das Transparenzgebot ist also dem Ausschluss der Inhaltskontrolle vorgeschaltet. Sind die Preis- bzw. Leistungsklauseln nicht klar und verständlich, so unterliegen sie dagegen voll der Inhaltskontrolle.129 Inhalt und Grenzen des Art. 4 Abs. 2 sind erstmals in Cofidis130 Gegenstand der Rechtsprechung des EuGH geworden. GA Tizzano rechnet in Cofidis131 Finanzklauseln, die lediglich den Zinssatz, die Ver-tragsstrafe und die Höhe festlegen, zum Anwendungsbereich der Richtlinie. Der EuGH entzieht sich einer eindeutigen Stellungnahme,132 so dass es nach wie vor an einer Konkretisierung des Art. 4 Abs. 2 durch die Rechtsprechung fehlt.

b) Arbeits-, Erbschafts-, Gesellschafts- und Versicherungsrecht

Die Richtlinie sieht keine weiteren ausdrücklichen Ausnahmen von ihrem Anwen-dungsbereich vor, etwa für Verträge aus dem Bereich des Arbeits-, Erbschafts-, Fami-lien-, Gesellschafts- sowie des Versicherungsrechts. Allerdings enthalten Erwägungs-gründe (10) bzw. (19) entsprechende missverständliche Formulierungen, die als Aus-nahmen gedeutet werden können:

„Von dieser Richtlinie ausgenommen sind daher insbesondere Arbeitsverträge sowie Ver-träge auf dem Gebiet des Erb-, Familien- und Gesellschaftsrechts ...“.

Diese Formulierungen finden in der Richtlinie selbst nur eine indirekte Bestätigung und können deshalb nur als Erläuterung, nicht aber als offizielle Herausnahme der genann-ten Verträge aus dem Anwendungsbereich angesehen werden. Maßgebend ist viel-mehr, ob etwa arbeits-, gesellschafts- oder familienrechtliche Verträge zwischen „Ge-werbetreibenden“ und „Verbrauchern“ abgeschlossen werden, was im Regelfall nicht der Fall sein wird. Es gibt aber Konstellationen im Arbeits- und Gesellschaftsrecht, wo bestimmte Klauseln, etwa über den Bezug von Waren oder Dienstleistungen im Rah-men eines Arbeits- oder Gesellschaftsverhältnisses, den privaten Vertragspartner nicht in die Rolle des Arbeitnehmers oder gesellschaftsrechtlich Beteiligten, sondern eines Verbrauchers versetzen. Dann ist für diese Klauseln die Richtlinie anwendbar.

129 Damm, JZ 1994, 171, inzwischen allgemeine Ansicht. 130 21.11.2002, Rs. C-473/00, Cofidis S.A./Jean Louis Fredout, Slg. 2002, I-10875. 131 GA Tizzano, Schlussantrag, 18.4.2002, Rs. C-473/00, Cofidis S.A./Jean Louis Fredout,

Rdnr. 41. 132 Rdnrn. 21-22, 26.

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Die „Ausnahme für Versicherungsverträge“ ist im Erwägungsgrund (19) in sich miss-verständlich formuliert und weist in den verschiedenen Amtssprachen der EG unter-schiedliche Fassungen auf.133 Sie lautet:

„Bei Versicherungsverträgen (werden) die Klauseln, in denen das versicherte Risiko und die Verpflichtung des Versicherten deutlich festgelegt oder abgegrenzt werden, nicht als missbräuchlich beurteilt ..., sofern diese Einschränkungen bei der Berechnung der vom Verbraucher gezahlten Prämie Berücksichtigung finden“.

Deshalb sollte sie nicht überbewertet werden. Auch hier geht es lediglich um die Frage, inwieweit über die Missbrauchskontrolle von vorformulierten Klauseln das „Preis-Leistungs-Verhältnis“ bei Versicherungen nachgeprüft werden kann. Diese ist nach den Kriterien des Art. 4 Abs. 2 vorzunehmen, d.h. es muss zunächst die Transparenz etwa von Risikoausschlüssen geprüft werden. Ist diese gegeben, so muss ermittelt werden, was im Versicherungsvertrag die „Gegenleistung“ und was das Entgelt darstellt. Hier wird man einerseits zwischen primären Risikobeschreibungen und andererseits zwi-schen Leistungsausschlüssen, Obliegenheiten und ähnlichem unterscheiden müssen. Einzelheiten hängen natürlich von den mitgliedstaatlichen Versicherungsrechten ab. Noch ist die Problematik nicht Gegenstand der Rechtsprechung des EuGH. Der GA Tizzano hat in Kommission/Niederlande134 auf die Bedeutung hingewiesen, die eine uneingeschränkte Herausnahme von Versicherungsverträgen aus dem Anwendungs-bereich der Richtlinie für den Verbraucherschutz hätte, selbst aber keine Schlussfolge-rungen gezogen. Der EuGH ist in seinem Urteil auf die Problematik nicht eingegan-gen.135

c) Gleichstellung des privaten Baurechts mit dem Arbeits-, Erbschafts-, Gesell-schafts- und Versicherungsrecht?

Sind schon die Bereichsausnahmen der Richtlinie in sich widersprüchlich und in ihrer praktischen Bedeutung klärungsbedürftig, so scheint es nachgerade verwegen, aus den wenigen Hinweisen ein System abzuleiten, dass sich auf das private Baurecht übertragen ließe. Deshalb muss es bei der auch im Gemeinschaftsrecht geltenden Regel bleiben, dass Ausnahmebestimmungen nicht analogiefähig sind.136

133 Kieninger, ZEuP 1994, 277; vgl. zur Klauselkontrolle von Versicherungsverträgen insbes.

Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, 268 Rdnr. 28. 134 Schlussantrag, 23.1.2001, Rs. C-144/99, Kommission/Niederlande, Slg. 2001, I-3541, dazu

Micklitz, Anm. zum Urteil des EuGH, EWS 2001, 486. 135 EuGH, 10.5.2001, Rs. C-144/99, Kommission/Niederlande, Slg. 2001, I-3541 = EWS 2001,

359 mit Anm. Staudinger; EuZW 2001, 437 mit Anm. Leible und EWS 2001, 486 mit Anm. Micklitz.

136 Vgl. statt aller Grabitz/Hilf-Leible, Art. 30 Rdnr. 3 mit zahlreichen Nachweisen.

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5. Ergebnis zu I. – die VOB/B unterfällt dem Anwendungsbereich der Richt-linie 93/13/EWG

Die Richtlinie 93/13/EWG ist auf Standardvertragsklauseln anwendbar, die einen Bau-vertrag zum Gegenstand haben, der zwischen einem privaten Bauherrn (Verbraucher) und einem Bauunternehmer (Unternehmer) geschlossen worden ist. Dagegen ist der persönliche Anwendungsbereich der Richtlinie nicht für Bauverträge zwischen Unter-nehmen eröffnet, die sich auf die VOB/B beziehen.

VOB/B sind als Standardvertragsklauseln im Sinne der Richtlinie zu behandeln. Als solche unterliegen sie dem Anwendungsbereich der Richtlinie. Kollektiv ausgehandelte Standardvertragsklauseln genießen in der Richtlinie keine Sonderprivilegien. Hätte der EG-Gesetzgeber den Aufstellungsprozess berücksichtigen wollen, hätte er eine Legal-ausnahme schaffen müssen. Wenn überhaupt, so kann der behaupteten Ausgewo-genheit der VOB/B im Rahmen der Inhaltskontrolle Rechnung getragen werden.137 Dort geht es nämlich um die Frage, ob und inwieweit die Missbräuchlichkeit von Standard-vertragsklauseln einzeln oder insgesamt kompensiert werden kann. Die Grenzlinien zwischen der Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs und der Reichweite bzw. Intensität der Kontrolle verwischen sich jedoch, wenn argumentiert wird, dass die Richtlinie eine Gesamtabwägung zulasse. Diese läuft im Ergebnis auf eine Be-reichsausnahme hinaus, die so im Gesetz nicht vorgesehen scheint.

Eine eindeutige Antwort enthält die Richtlinie auch in Bezug auf die Frage, ob die Par-teien die VOB/B „tel quel“ vereinbaren können. Die Kontrolle knüpft an die Vorformulie-rung an, nicht an das „Stellen“ der VOB/B. Überdies steht der in der Richtlinie gewährte Mindeststandard nicht zur Disposition der Parteien. Vorformulierte Vertragswerke un-terliegen dem Anwendungsbereich der Richtlinie, unabhängig vom Willen der Ver-tragsparteien. Vertragsfreiheit ist nur eröffnet, wenn sie sich aktiv in der individuellen Vereinbarung von Rechten und Pflichten niederschlägt.

Die VOB/B genießen in der Richtlinie keinen Sonderstatus. Die verschiedenen Legal-ausnahmen geben für eine Sonderbehandlung nichts her. Das gilt insbesondere für Art. 1 Abs. 2. Die VOB/B lassen sich nicht als zwingende Rechtsvorschriften verstehen, die vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen sind.

137 So zutreffend Kutschker, Gesamtabwägung, 200, die jedoch übersieht, dass die weite Kom-

pensation de facto und de jure eine Legalausnahme darstellt.

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II. Ist die nationale Sonderbehandlung der VOB/B mit der Richtlinie 93/13/EWG vereinbar?

1. Das Problem

Selbst wenn die VOB/B in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG fällt, ist damit nicht automatisch der Weg frei, um die VOB/B der Inhaltskontrolle zu unterwer-fen. Die Frage ist nämlich, ob und inwieweit es möglich ist, aus der Richtlinie selbst eine Privilegierung der VOB/B nach Art und Umfang der Kontrolle abzuleiten. Die Logik ist dabei vergleichsweise einfach: zwar unterliegt die VOB/B dem Anwendungsbereich, aber die nationale Sonderbehandlung, d.h. die Privilegierung ist mit der Richtlinie ver-einbar. In dieser Sichtweise würden sich die Kontrollmaßstäbe von Richtlinie und §§ 305 ff. BGB decken. Die von der Rechtsprechung entwickelte Privilegierung der VOB/B, die der Inhaltskontrolle entzogen bleibt, solange sie als Ganzes vereinbart ist, nunmehr kodifiziert in den §§ 305 ff. BGB, wäre gemeinschaftsfest.

a) Enge und weite Kompensation

Ob und inwieweit dieses Privileg vor dem Gemeinschaftsrecht Bestand haben kann, richtet sich danach, ob die Richtlinie eine enge oder weite Kompensation zulässt.138

Weite Kompensation meint die Zulassung eines Nachteilsausgleichs durch solche Vorteile, die in keinem Zusammenhang zum verursachten Nachteil stehen;

Enge Kompensation meint die Beschränkung des Nachteilsausgleichs auf die Vorteile, die in einem inneren Zusammenhang zum verursachten Nachteil ste-hen.

Auf die VOB/B umformuliert:

Weite Kompensation meint die Zulässigkeit der Privilegierung der VOB/B, so-lange sie als Ganze vereinbart ist – im Ergebnis die Bewahrung des status quo.

Enge Kompensation bedeutet das Ende der Privilegierung der VOB/B. Kom-pensationsmöglichkeiten bestehen nur, soweit sich zwischen den nachteiligen und vorteilhaften Bestimmungen der VOB/B ein innerer sachlicher Zusam-menhang feststellen lässt.

Also kommt es entscheidend darauf an, welche Vorgaben sich für die eine oder andere Position aus der Richtlinie selbst ableiten lassen können.

138 Um diese Frage kreist die gesamte Arbeit von Kutschker, Gesamtabwägung. Die Begrifflich-

keiten, weite und enge Kompensation sind dabei außer Streit.

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b) Verwischung von Anwendungsbereich und Kontrollmaßstab

Die bisherige Diskussion in der baurechtlichen und der AGB-rechtlichen Literatur ver-nachlässigt die Konsequenzen, die sich aus der weiten bzw. engen Auslegung erge-ben. Sie ist überdies erneut von einer rein deutschen vertikalen Perspektive dominiert, in der es eher darum geht, die Richtlinie 93/13/EWG für die gewünschten oder ver-meintlichen Erfordernisse des deutschen Rechts passförmig zu machen. Darauf kann es in einer gemeinschaftsrechtlichen Betrachtung nicht ankommen. Deshalb bestimmt sich die Zulässigkeit der engen oder weiten Kompensation allein nach den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts.

Die weite Kompensation hat, ihre Zulässigkeit vorausgesetzt, im Ergebnis zur Folge, dass die VOB/B von einer Kontrolle nach den Maßstäben der Richtlinie freigestellt werden. Es geht eben nicht nur um die Frage, ob und inwieweit die Richtlinie eine Kompensation zulässt, sondern auch und gerade um die Frage, ob eine weite Kom-pensation tatsächlich eine Freistellung eines ganzen Rechtsgebietes herbeiführen kann. Dies gilt es im Auge zu behalten, wenn die Vorgaben der Richtlinie einer nähe-ren Analyse unterzogen werden.

Die enge Kompensation, ihre Zulässigkeit vorausgesetzt, betrifft das Kontrollkonzept der Richtlinie 93/13/EWG. Soll die Klausel selbst in ihrer jeweiligen Bedeutung kontrol-liert werden, scheidet eine Kompensation genau genommen aus. Denn jeder Blick über die einzelne Klausel hinaus auf das vertragliche Gesamtwerk, selbst wenn ein innerer Sachzusammenhang vorliegt, erschwert die Inhaltskontrolle. Schwieriger noch gestal-tet sich die Bestimmung der Funktion und Bedeutung der engen Kompensation im Rahmen des Verbandsklageverfahrens. Mögen im Individualverfahren Sachzusam-menhänge plausibel werden, so steht die enge Kompensation prima vista einer effekti-ven Kontrolle im Verbandsklageverfahren entgegen.

c) Aufbau und Prüffolge

Aus dem Problemaufriss lassen sich die notwendigen Prüfungsfragen ableiten. Vorn an steht die Frage, welche Vorgaben die Richtlinie enthält, ob sie eine Kompensation zu-lässt und wenn ja, ob nur die enge oder auch die weite Kompensation gemeinschafts-rechtlich möglich ist. Die Richtlinie enthält keine Aussage über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Kompensation, die aus sich heraus verständlich wäre.

Die Entscheidung über den Inhalt und die Grenzen der Kompensation berührt das von der Richtlinie vorgegebene Kontrollkonzept. Statuiert die Richtlinie eine Klauselkontrol-le oder eine Missbrauchskontrolle und/oder unterscheidet sich das Kontrollkonzept der Richtlinie je nach dem ob es sich um eine Kontrolle im Individualverfahren oder im Verbandsklageverfahren handelt? Es wird sich zeigen, dass die Richtlinie eine Miss-brauchskontrolle favorisiert, unabhängig davon, ob es sich um die Prüfung im Indivi-

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dual- oder im Verbandsklageverfahren handelt. Das Konzept der Missbrauchskontrolle lässt eine sach- und situationsgebundene, d.h. enge Kompensation prinzipiell zu.

Die Grenzen der engen Kompensation ergeben sich aus dem die Richtlinie beherr-schenden Transparenzprinzip. Der Sachzusammenhang muss aus dem Kontext der Standardvertragsklauseln deutlich werden. In der Sache bleibt der Weg für die Kom-pensation offen, jedoch nur, soweit den Erfordernissen des Transparenzprinzips Ge-nüge getan wird.

2. Grundlagen und Inhalt der Kompensation in der Richtlinie

a) Wortlaut der Richtlinie

Das ganze Augenmerk richtet sich auf eine einzelne Vorschrift, die im Mittelpunkt des Interesses steht. Art. 4 Abs. 1 lautet:

„Die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel wird unbeschadet des Art. 7 unter Berück-sichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln des-selben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt (Hervor-hebung H.-W. M) zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt.“

Der Wortlaut der Vorschrift lässt nach ganz überwiegender Meinung des Schrifttums eine Kompensation grundsätzlich zu.139 Anders als das deutsche AGBG und nun die §§ 305 ff. BGB enthält die Richtlinie in Art. 4 Abs. 1 eine ausdrückliche Regelung, die deutlich zum Ausdruck bringt, dass nicht notwendig jede Klausel für sich, sondern das Verhältnis der Klauseln zueinander über die Missbräuchlichkeit entscheidet. Ja Art. 4 geht sogar weiter, er bezieht nicht nur Klauseln desselben Vertrages, sondern auch voneinander abhängige Verträge mit ein. Dagegen lässt sich aus dem Wortlaut nicht schließen, ob nur eine enge oder auch eine weite Kompensation zulässig ist. Hier mag der Blick auf die innere Systematik weiterhelfen.

b) Systematik der Richtlinie

Auch wenn die Richtlinie in sich widersprüchliche Argumente vereint, so lässt sich doch eine innere Systematik erkennen. Die Widersprüche resultieren aus der wechselvollen Gesetzgebungsgeschichte. Typischerweise werden Kompromissformeln in den Erwä-gungsgründen verpackt. Zwei Ansatzpunkte stützen die Zulässigkeit der Kompensati-

139 Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, Art. 4 RL Rdnr. 8; Damm, JZ 1994, 161, 172; Michalski,

DB 1994, 665, 667; Micklitz, ZEuP 1993, 522, 527; Ulmer, EuZW 1993, 337, 345; Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1820; Ekkert, WM 1993, 1070, 1073; Frey, ZIP 1993, 572, 575; Bultmann, VuR 1994, 137, 143.

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on, der Anhang der Richtlinie und die Erwägungsgründe. Jedoch ist der Bezugspunkt hier notwendig enger.

Lit. l des Anhangs verknüpft die Zulässigkeit der Preiserhöhung mit der Einräumung eines Rücktrittsrechts, eine Argumentation, die seit der Auseinandersetzung um die sog. Tagespreisklauseln auch in Deutschland geläufig ist.140 Der bloße, indikative Cha-rakter der Richtlinie schmälert dessen Stellung im System der Richtlinie nicht. Der EuGH hat in Océano141 einen Weg gewiesen, wie die Substanz des Anhangs in die Prüfung der Missbräuchlichkeit einbezogen werden kann, ohne die Mitgliedstaaten zu deren Umsetzung zu verpflichten (dazu noch später im Rahmen des Kontrollkonzepts). Allerdings findet sich im Anhang nur dieses eine Beispiel, das zudem einen inneren Zusammenhang verlangt.

Der Erwägungsgrund (19) befasst sich speziell mit der Missbrauchskontrolle und dort insbesondere mit Art. 4 Abs. 2, der auf Druck Deutschlands eine Kontrolle des Preises und Hauptleistung ausschließt. Die Vorschrift wurde dem damaligen § 8 AGB-G nach-gebildet. Nr. 19 lautet wie folgt:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie dürfen Klauseln, die den Hauptgegenstand eines Ver-trages oder das Preis-/Leistungsverhältnis der Lieferung bzw. der Dienstleistung be-schreiben, nicht als missbräuchlich beurteilt werden. Jedoch können der Hauptgegens-tand des Vertrages und das Preis-/Leistungsverhältnis bei der Beurteilung der Miss-bräuchlichkeit anderer Klauseln berücksichtigt werden. Daraus folgt unter anderem, dass bei Versicherungsverträgen die Klauseln, in denen das versicherte Risiko und die Ver-pflichtung des Versicherers deutlich festgelegt oder abgegrenzt werden, nicht als miss-bräuchlich beurteilt werden, sofern diese Beschränkung bei der Berechnung der vom Verbraucher bezahlten Prämie Berücksichtigung finden.“

Das sog. Preisargument schlägt demnach auf die Beurteilung durch. Es ist auch nicht auf Versicherungsverträge beschränkt. Diese sind nur beispielhaft genannt. Allerdings greift das Preisargument nur dann, wenn ein konkreter Sachzusammenhang zwischen der Klausel und dem Preis bzw. den Hauptleistungspflichten erkennbar wird.142

Eine etwas andere Botschaft scheint Erwägungsgrund (16) zu formulieren:

„Die nach den generell festgelegten Kriterien erfolgende Beurteilung der Missbräuchlich-keit von Klauseln, insbesondere bei beruflichen Tätigkeiten des öffentlichrechtlichen Be-reichs, die ausgehend von einer Solidargemeinschaft der Dienstleistungsnehmer kollekti-ve Dienste erbringen, muss durch die Möglichkeit einer globalen Bewertung der Interes-senlagen der Parteien (Hervorhebung H.-W. M.) ergänzt werden. Diese stellt das Gebot von Treu und Glauben dar ...“

140 So Kutschker, Gesamtabwägung, 182. 141 EuGH, 27.6.2000, verb. Rs. C-281/98 bis C-244/98, Océano Grupo Editorial und Salvat Edi-

tores, Slg. 2000, I-4941. 142 So im Ergebnis auch Kutschker, Gesamtabwägung, 191.

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Die Frage ist dann, was unter einer „globalen Bewertung“ zu verstehen ist. Auch der Erwägungsgrund (15) gibt keinen Aufschluss, dort heißt es nur

„Die Kriterien für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln müssen generell festgelegt werden.“

Teilweise wird in der baurechtlichen Literatur genau diese Passage ins Feld geführt, um einer weiten Kompensation das Wort zu reden.143 Dennoch greift das Argument zu kurz. Der Erwägungsgrund (16) kann nicht vor dem Hintergrund deutscher Finessen der AGB-Kontrolle verstanden werden. Er dient vorrangig dazu, die Rolle und Funktion einer Missbrauchskontrolle zu bestimmen, die am Gebot von Treu und Glauben an-knüpft und die vielen Mitgliedstaaten zu jenem Zeitpunkt völlig fremd war.144 Mit dem Hinweis auf die globale Bewertung soll demnach die Inhaltskontrolle an sich legitimiert werden, die sich eben nicht (allein) an den Umständen des Falles, sondern im Ver-bandsklageverfahren vorrangig an den generellen Umfeldbedingungen zu orientieren hat. Für die Rechtfertigung einer weiten Kompensation gibt Erwägungsgrund (16) nichts her.

c) Telos der Richtlinie

Gestützt wird eine Beschränkung der Kompensation auf Klauseln, die in einem inneren Zusammenhang stehen, durch den Telos der Richtlinie. Die generelle Legalisierung einer weiten Kompensation schmälert die Bedeutung des Verbraucherschutzes. Stan-dardvertragsklauseln könnten sich als Gemengelage präsentieren, für das der An-spruch eines Gesamtausgleichs erhoben wird, ohne Nachweis, wo genau Nachteile durch Vorteile kompensiert werden.

d) Zwischenergebnis

Die Vorgaben der Richtlinie mögen nicht über jeden Zweifel erhaben sein. Sie stützen jedoch im Ergebnis nur die Zulässigkeit einer engen Kompensation. Aus Wortlaut, Sys-tematik und Telos eine weite Kompensationsmöglichkeit abzuleiten, erscheint rechtlich problematisch und in der Sache nicht begründbar.

Erhärtet wird dieser Befund durch das sach- und situationsgebundene Kontrollkonzept, das der Richtlinie für das Individual- und Verbandsklageverfahren einheitlich zugrunde liegt.

143 Vgl. die Nachweise bei Kutschker, Gesamtabwägung, 194. 144 Tenreiro, Europe 1993, Éd. Tech., Chr. 5, 1-4.

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3. Kontrollkonzept der Richtlinie

Die Richtlinie entwickelt ein Kontrollkonzept, das sich von dem des deutschen Rechts unterscheidet. Es setzt auf Missbrauchs- statt Klauselkontrolle und erlaubt eine einheit-liche sozialbereichsspezifische Prüfung der Benachteiligungsfrage einheitlich für das Individual- und Verbandsklageverfahren. In diese Richtung lässt sich die jüngste Ent-scheidung des EuGH zur Richtlinie 93/13/EWG Freiburger Kommunalbauten145 verste-hen. Damit steht der Kontrollansatz in einem gewissen Gegensatz zu dem des AGBG bzw. der §§ 305 ff. BGB. Freistellungen nach der Art der §§ 308 Nr. 5 und 309 Nr.8 b) ff) BGB zugunsten der Baubranche sind diesem Kontrollkonzept wesensfremd.

a) Das Konzept – Missbrauchskontrolle statt Klauselkontrolle

Die Richtlinie 93/13/EWG geht von einem rollenbezogenen Schutzmodell aus.146 Sicht-barer Ausdruck ist die Anknüpfung der Kontrollbefugnis an den Missbrauch der Ver-handlungsmacht, die sich nicht auf das Individualverfahren beschränkt, sondern Aus-wirkungen auf das Verbandsklageverfahren zeigt. Damit nähern sich die Kontrollmaß-stäbe innerhalb der beiden Verfahren einander an, die Unterscheidung zwischen indi-viduell ausgehandelten Klauseln und vorformulierten Allgemeinen Geschäftsbedingun-gen verliert mittelfristig an Bedeutung.

Die von der herrschenden Meinung vorgenommene Lesart der Richtlinie 93/13/EWG sieht so aus, dass zwar auch vorformulierte Individualverträge und vorformulierte Ver-tragsklauseln einer Inhaltskontrolle im Individualverfahren unterworfen werden können, das in Art. 7 geregelte Verbandsklageverfahren sich jedoch nur auf Allgemeine Ge-schäftsbedingungen bezieht. Eine Schlüsselposition nehmen die vorformulierten Indivi-dualverträge ein. Schmidt-Salzer147 verweist die Konstellation einer einmaligen Vorfor-mulierung in das „akademische Kuriositätenkabinett“. Hinter dieser Formulierung ver-birgt sich der Einstieg in die Kontrolle von Vertragsklauseln unabhängig davon, ob sie vorformuliert sind oder nicht. Die herkömmliche Trennung zwischen fehlender Kontrolle im Individualverfahren und voller Kontrolle im Verbandsklageverfahren verfängt nicht.

Eine Reihe von Unstimmigkeiten in der Richtlinie stützen die Vorstellung eines einheit-lichen Kontrollkonzepts für das Individual- und das Verbandsklageverfahren. Art. 7 Abs. 1 verpflichtet die Mitgliedstaaten, angemessene und wirksame Mittel bereitzustel-len, damit

145 EuGH, Urteil v. 1.4.2004, Rs. C-237/02, Freiburger Kommunalbauten gegen Hofstetter, Slg.

2004, I-nnv. 146 Im Erwägungsgrund (9), sowie insbesondere die Analyse Hommelhoff/Wiedenmann, ZIP

1993, 562; Joerges, ZEuP 1995, 181. 147 VersR 1995, 1261, 1261.

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„der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Ver-trägen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird“.

Hier ist nur die Rede von missbräuchlichen Klauseln, nicht aber von vorformulierten Standardverträgen, wie in Art. 3 Abs. 2. Die Formulierung geht auf den ursprünglichen Regelungsansatz der Kommission zurück, der auf die Kontrolle missbräuchlicher Klau-seln ausgerichtet war.148 Gerichte und Verwaltungsbehörden sollen darüber entschei-den,

„ob Vertragsklauseln, die im Hinblick auf eine allgemeine Verwendung abgefasst wurden, missbräuchlich sind“.

Das können theoretisch nur solche sein, die in einer „Vielzahl“ von Fällen eingesetzt werden. Der Erwägungsgrund (23) bringt keine weitere Aufklärung darüber, was unter „allgemeiner Verwendung“ zu verstehen ist. Die Richtlinie unterscheidet bekannter-maßen zwischen Klauseln, die einer Individualkontrolle und Klauseln, die einer ab-strakt-generellen Kontrolle zugänglich sein sollen. Diese Differenzierung ist erneut mit dem Kontrollansatz nicht abgestimmt, wie er im Erwägungsgrund (9) festgelegt ist.149 Machtmissbrauch ist nicht auf die Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingun-gen beschränkt. Machtmissbrauch kann sich gar massiver in einer individuellen Ver-tragsgestaltung manifestieren. Deshalb steht der rollenspezifische Kontrollansatz in einem Spannungsverhältnis zur Ausgestaltung eines Verbandsklageverfahrens, das einen generellen Machtmissbrauch verlangt, konkreten Machtmissbrauch jedoch aus-schließen will. Der Widerspruch lässt sich nur bedingt auflösen. De lege lata können Vertragsklauseln der Verbandsklage nicht unterworfen werden. Spielraum eröffnet die Richtlinie 93/13/EWG jedoch an den Randbereichen des AGB-Begriffs. Immer dort, wo der Charakter von Vertragsklauseln als Allgemeine Geschäftsbedingungen problema-tisch ist, lässt sich der Anwendungsbereich unter Berufung auf den erweiterten Kon-trollansatz ausdehnen.

b) Kontrollmaßstab im Individualverfahren

Art. 3 Abs. 1 sowie Art. 4 Abs. 1 enthalten generalklauselartig Maßstäbe für die Bewer-tung der Missbräuchlichkeit einer Klausel.

„Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des

148 Vorschlag für eine Richtlinie über missbräuchliche Vertragsklauseln in Verbraucherverträ-

gen, KOM (1990), 322 endg., SYN 285, BR-Drucks. 611/90 und die Kritik von Brand-ner/Ulmer, BB 1991, 701.

149 Erwägungsgrund (9): „Käufer von Waren oder Dienstleistungen (sind) vor Machtmissbrauch des Verkäufers oder des Dienstleistungserbringers, insbesondere vor vom Verkäufer einsei-tig festgelegten Standardverträgen und vor dem missbräuchlichen Ausschluss von Rechten in Verträgen zu schützen“.

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Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.

Die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel wird unbeschadet des Art. 7 unter Berück-sichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln des-selben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt, zum Zeit-punkt des Vertragsabschlusses beurteilt“.

Für die Missbräuchlichkeit ist zunächst der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses maßge-bend. Wilhelmsson150 hat darauf hingewiesen, dass die Missbrauchskontrolle der skandinavischen Länder hier weitergeht und auch eine nachträgliche Missbräuchlich-keit annimmt, wenn im Laufe der Vertragsdurchführung Ungleichgewichte auftauchen. Dies ist jedoch nicht, wie insoweit Art. 4 eindeutig sagt, der Standpunkt des EG-Rechtes.

Nach dem in Deutschland vorherrschenden, jedoch nicht unproblematischen Ver-ständnis bezieht sich Art. 4 lediglich auf die Kontrolle im Individualverfahren. Danach soll es theoretisch möglich bleiben, unterschiedliche Kontrollmaßstäbe für das Indivi-dual- und das Verbandsklageverfahren zu formulieren.151 In der Literatur ist weiterhin streitig, ob der Missbrauchsmaßstab ein konkret-individueller oder ein abstrakt-allgemeiner ist.152 Für den konkret-individuellen Maßstab haben sich vor allem Hommelhoff/Wiedenmann153 unter Berufung auf den spezifisch verbraucherpolitischen Schutzzweck der Richtlinie ausgesprochen. Ein anderer Teil der Literatur geht davon aus, dass zwischen dem Maßstab des AGB-Gesetzes und der Richtlinie kein Unter-schied besteht.154 Diese letztere Meinung kann schon deshalb nicht richtig sein, weil die Richtlinie für Rechtstraditionen ganz unterschiedlicher Art gelten soll und deshalb nicht vermutet werden kann, sie hätte einfach den deutschen Maßstab europäisieren wollen. So hat Collins155 für das englische Recht auf das Fehlen einer „Treu und Glau-ben“-Verpflichtung im Vertragsrecht hingewiesen, was zur Entwicklung eigener „tests of fairness“ führen müsse. Neben dem Gedanken des (informationellen) Markt-versagens gilt das Verbot eines unredlichen Ausschlusses von Nebenverpflichtungen i.S. von „unconscionability“, wie sie in der „equity“-Praxis bekannt sei. Schließlich müssten für bestimmte Verträge zwingende Regeln geschaffen werden.

150 Wilhelmsson, JCP 1993, 435, 440; ders., Social Contract Law, 148 ff. 151 Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer, A 5, Art. 4 Rdnr. 3 mit Nachweisen. 152 Siehe die Nachweise aus der Diskussion bei Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer, A 5, Art. 4 Rdnrn. 1-

4. 153 Hommelhoff/Wiedenmann, ZIP 1993, 565. 154 Etwa Remien, ZEuP 1994, 54 mit weiteren Nachweisen. 155 Collins, Oxf. J. of Legal Studies 14 (1994), 239, 245.

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Richtig erscheint daher die Meinung von Damm,156 der für eine „sozialbereichsspezifi-sche Generalisierung der Benachteiligungsfrage“ plädiert hat.157 Der Maßstab ist also ein typisiert-allgemeiner, wobei im Einzelfall auch konkret-individuelle Umstände Be-rücksichtigung finden können. Es muss eine Gesamtwürdigung der beanstandeten Klausel im Kontext des Vertrages, der Vertragsumstände sowie des Kräfteverhältnis-ses stattfinden. Genau diese Argumentation erweist sich als Einstieg für eine Paralleli-sierung der Kontrollmaßstäbe. In der Bewertung kommt es entscheidend auf die Sym-metrie von Rechten und Pflichten an, worauf vor allem Wilhelmsson158 hingewiesen hat. Nur eine solche Sichtweise umschließt auch das angelsächsische Verständnis des Art. 3.159 Die Richtlinie will verhindern, dass dem Gewerbetreibenden nur Rechte, dem Verbraucher nur Pflichten entstehen. Sie wendet sich gegen „unilateral decision-making“.160 Dabei reicht ein „erhebliches“ Missverhältnis aus, das damit auch „unge-rechtfertigt“ ist. Konsequenterweise enthalten die Fassungen in anderen EG-Amtssprachen nicht das Merkmal „ungerechtfertigt“.161

Nach wie vor strittig ist, ob der Missbrauchsbegriff autonom nach den Zwecken des Gemeinschaftsrechtes oder entsprechend dem anwendbaren Vertragsrecht auszule-gen ist.162 In dieser Abhandlung wird für einen gemeinschaftsrechtlichen Begriff der Missbräuchlichkeit plädiert. So sieht es wohl auch der EuGH in Freiburger Kommunal-bauten.163 Dies folgt aus dem Charakter der Richtlinie als Mindestharmonisierung, die ein bestimmtes Schutzniveau des Verbrauchers gemeinschaftsweit vorschreiben und Wettbewerbsverzerrungen aufgrund unterschiedlicher Klauseln verhindern will. Eine Totalangleichung ist damit nicht gemeint. Dieser Mindeststandard ist allerdings, wie in anderen Bereichen auch, anhand des Gemeinschaftsrechtes, und nicht anhand des anwendbaren mitgliedstaatlichen Rechts zu ermitteln.164

c) Kontrollmaßstab im Verbandsklageverfahren

Nach der hier zugrundegelegten Ansicht findet Art. 4 auf das Verbandsklageverfahren Anwendung. Diese Konsequenz folgt aus dem anderen Kontrollansatz der Richtlinie,

156 Damm, JZ 1994, 172. 157 Vorsichtig in diese Richtung Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer, A 5 Art. 4 Rdnr. 5, der das Zusam-

menspiel von konkret-individuellen und generell-abstrakten Regeln sorgfältig analysiert. 158 JCP 1993, 441. 159 Vgl. den Bericht über die Anwendung der Regulations 1999 durch das Office of Fair Trading

Bright, Legal Studies 2000, 331. 160 Wilhelmsson, Social Contract Law, 173. 161 Zu den Besonderheiten der deutschen Formulierung, Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer, A 5 Art. 3,

Rdnrn. 48, 62. 162 Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer, A 5 Art. 3 Rdnrn. 40-46. 163 EuGH, Urteil v. 1.4.2004, Rs. C-237/02, Freiburger Kommunalbauten gegen Hofstetter, Slg.

2004, I-nnv. 164 Remien, ZEuP 1994, 50.

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der im Ergebnis auf eine Missbrauchskontrolle zielt. Deshalb wären theoretisch auch im Verbandsklageverfahren konkret individuelle Begleitumstände zu berücksichtigen.165 Der Kontrollansatz – Missbrauchskontrolle statt Klauselkontrolle – schlägt auf das Ver-bandsklageverfahren durch und führt zu einer Differenzierung des Kontrollmaßstabes. Die Richtlinie 93/13/EWG verlangt eine bereichsbezogene oder vertragstypenbezoge-ne Differenzierung des Leitbildes, die nicht vereinfacht auf die kundenfreundlichste oder kundenfeindlichste Auslegung abstellt, sondern diese Auslegungsformel bran-chen- und vertragsbezogen konkretisiert.166 Die Risiken einer branchenbezogenen Konkretisierung des Schutzniveaus hat Schmidt-Salzer167 für den Bereich des Versi-cherungsrechts in drastischen Farben an die Wand gemalt. Sollte die konkret-individuelle Kontrolle auf eine Überprüfung von AVB durchschlagen, so müssten deren Aufsteller auf die unterschiedlichen sprachlichen und kulturellen Voraussetzungen der Versicherungsnehmer innerhalb Deutschlands Rücksicht nehmen. Die Verbandsklage kann von ihrer Funktion her nicht in dem Sinne individualisiert werden, dass die Rechtsposition des individuellen Verbrauchers Berücksichtigung findet. Mit einer sol-chen Auslegung würde die Klauselkontrolle durch die Hintertür eingeführt. Möglich ist eine Verallgemeinerung des individuell-konkreten Ansatzes im Sinne einer branchen- bzw. vertragstypenbezogenen Betrachtung. Eine solche Umformung des Verbandskla-geverfahrens würde die Rationalität der Prüfverfahren erhöhen, sie befände sich im übrigen im Einklang mit der von Damm für das Individualverfahren vorgeschlagenen sozialbereichsspezifischen Generalisierung der Benachteiligungsfrage.

d) Bedeutung des Kontrollkonzepts für die Prüffähigkeit der VOB/B

Die enge Kompensation verkörpert das Idealmodell einer sozialbereichsspezifischen Missbrauchskontrolle.168 Das Gemeinschaftsrecht verlangt einen konkret-generellen verbraucherbezogenen Kontrollzugriff, im branchenbezogenen Kontext. Missbrauchs-kontrolle kann nur bei konkret-generellen Zusammenhängen ansetzen, gerade wenn es um die Möglichkeit einer Kompensation geht, muss der innere Zusammenhang aus dem Umfeld der jeweiligen Branche erklärbar sein. Er muss konkret sein, um den Be-zug zwischen den Klauseln offenzulegen, er kann generell bleiben, weil die Klauseln in Standardverträgen ihrer Natur nach für eine Vielzahl von Verwendungen aufgestellt werden. Die Baubranche steht hier nicht anders da als jeder andere Wirtschaftszweig, der sich einer AGB-Kontrolle ausgesetzt sieht. Anders ist effektiver Verbraucherschutz

165 Wie hier Schmidt-Salzer, JZ 1995, 223; Hommelhoff/Wiedenmann, ZIP 1993, 568; a. A.

Heinrichs, NJW 1996, 2193; ders., NJW 1993, 1820; Damm, JZ 1994, 161, 174. 166 In diese Richtung weisen die Überlegungen von Damm, JZ 1994, 171. Vgl. schon Micklitz,

Der Reparaturvertrag, 1984. 167 VersR 1995, 1263, 1264. 168 Vgl. dazu Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, Art. 4 RL Rdnr. 8.

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nicht denkbar. Die Chancen des einheitlichen Kontrollkonzepts liegen in den Perspekti-ven einer AGB-Kontrolle, die nicht mehr an der Unterscheidung zwischen Individual- und Verbandsklageverfahren festhält, sondern die inhaltlich für beide Verfahren die identischen Zugriffskriterien aufstellt. Damit wird der Schutz der Verbraucher effekti-viert.

Eine weite Kompensation vernebelt die Kriterien der Missbrauchskontrolle. Sie stellt den Aufstellern der VOB/B einen Freibrief aus. Diese können einseitig Standardver-tragsklauseln entwickeln, die dem Verbraucher als ausgewogenes Gesamtkonzept präsentiert werden, ohne dass es ihm möglich wäre nachzuvollziehen, wo ihm Nachtei-le in der VOB/B entstehen und wie diese Nachteile kompensiert werden. Bei der weiten Kompensation fehlt das konkret-generelle Moment, das für das gemeinschaftsrechtli-che Konzept der Missbrauchskontrolle konstitutiv ist. Überdies bewirkt die weite Kom-pensation im Ergebnis die Freistellung einer ganzen Branche vom Zugriff des Gemein-schaftsrechts. Sie statuiert eine neue, so in der Richtlinie nicht vorgesehene, Be-reichsausnahme. Die Logik der Befürworter einer weiten Kompensation kann man auch als Einladung einer Branche verstehen, nach ihrem Vorbild Standardvertrags-klauseln zu entwickeln, um sich dem Kontrollzugriff der Richtlinie zu entziehen. Sinn und Zweck der Richtlinie liefen leer.

4. Enge Kompensation und Transparenzprinzip

Jede Argumentation, die die Sonderbehandlung der VOB/B national und/oder gemein-schaftsrechtlich zu rechtfertigen droht, gerät über kurz oder lang mit dem Transparenz-gebot in Konflikt. Deshalb ist es nur konsequent, wenn die Verfechter dieser Rechtspo-sition für eine eingeschränkte Bedeutung der Unklarheitenregeln votieren.169 Kutsch-ker170 muss in ihrer Analyse die Rolle und Bedeutung des Transparenzgebotes herun-terspielen, um ihr Ergebnis rechtfertigen zu können, dass die Richtlinie keine klaren Angaben über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der weiten Kompensation macht.

Tatsächlich verhält es sich genau anders herum. Das gemeinschaftsrechtliche Trans-parenzgebot verlangt nachgerade eine enge Kompensation, weil nur dann dem Gebot der Klarheit und Verständlichkeit Genüge getan werden kann. Die Entwicklung des Gemeinschaftsrechts verläuft gerade hier dynamisch. Jüngste Urteile des EuGH lassen sich für die Konkretisierung der Voraussetzungen zunutze machen, die gemeinschafts-rechtlich erfüllt sein müssen, damit im Sachzusammenhang Nachteile durch Vorteile kompensiert werden können.

169 Vgl. Tempel, NZBau 2002, 470 mit Nachweisen in Fn. 93. 170 Gesamtabwägung, 192.

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a) Bedeutung des Transparenzprinzips

Der in den Art. 3-5 verwandte und konkretisierte Missbrauchsbegriff enthält zwei Kom-ponenten, eine formale und eine materielle.171 Das Transparenzgebot ist in Art. 5 um-fassend formuliert:

„Sind alle dem Verbraucher in Verträgen unterbreiteten Klauseln oder einige dieser Klau-seln schriftlich niedergelegt, so müssen sie stets klar und verständlich abgefasst sein. Bei Zweifeln über die Bedeutung einer Klausel gilt die für den Verbraucher günstigste Ausle-gung. Diese Auslegungsregel gilt nicht im Rahmen der in Art. 7 Abs. 2 vorgesehenen Verfahren“.

Die grundsätzliche Bedeutung des Transparenzprinzips ist seit der Entscheidung des EuGH172 geklärt. Es nimmt eine so herausragende Position in der Missbrauchskontrolle ein, dass die Mitgliedstaaten das Prinzip in dem Umsetzungsakt festschreiben müssen. Der bloße Hinweis auf die gefestigte Rechtsprechung genügt gerade nicht. Damit hat der EuGH nebenbei eine lange und kontrovers geführte Debatte entschieden, die Be-deutung auch jenseits der Richtlinie 93/13/EWG hat. Wenig ausgelotet ist die Aussage des Generalanwaltes, dass der Gewerbetreibende von Anfang an für Klarheit und Ver-ständlichkeit der Klauseln Sorge zu tragen und sicherzustellen hat, dass der Verbrau-cher schon vor Abschluss des Vertrages die erforderlichen Informationen erhalten kann, um seine Entscheidung in voller Kenntnis der Sache zu treffen. Hier schimmert der informierte Verbraucher hervor, der eine sachlich verantwortliche Entscheidung auf der Basis der ihm verfügbar gemachten Informationen zu treffen hat. Der EuGH ver-lässt sich insoweit auf die Argumentation des GA.173 Deutlich hat der EuGH klargestellt, dass das Transparenzgebot Klauseln miterfasst, die an sich nach Art. 4 Abs. 2 von der Kontrolle ausgenommen sind.174 Insofern unterliegt das klauselbestimmte Preis-Leistungs-Verhältnis der Transparenzkontrolle.

b) Klarheit und Verständlichkeit

Die Richtlinie 93/13/EWG materialisiert das Transparenzprinzip und schafft Raum für Gerechtigkeitsüberlegungen innerhalb der Ausgestaltung des Transparenzprinzips.175

171 Für diese Differenzierung Bueso-Guillén, VuR 1994, 309; Reich, NJW 1995, 1857; Gozzo,

Das Transparenzprinzip und missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, 1995, 144 ff. gegen Heinrichs, NJW 1995, 153, 156; ders., FS Trinkner, 1995, 157, 168; v. Westphalen, EWS 1993, 161, 165; vgl. auch Schmidt-Salzer, BB 1995, 1493.

172 EuGH, 10.5.2001, Rs. C-144/99, Kommission/Niederlande, Slg. 2001, I-3541 = EWS 2001, 359 mit Anm. Staudinger; EuZW 2001, 437 mit Anm. Leible und EWS 2001, 486 mit Anm. Micklitz.

173 10.5.2001, Rs. C-144/99, Kommission/Niederlande, Slg. 2001, I-3541 Rdnr. 20. 174 10.5.2001, Rs. C-144/99, Kommission/Niederlande, Slg. 2001, I-3541 Rdnr. 19 unter Ver-

weis auf den Generalanwalt Tizzano, Schlussantrag, 23.1.2001 Rdnr. 27. 175 Zurückzuweisen ist die Interpretation des Transparenzprinzips als Mittel der Einbeziehungs-

kontrolle von v. Westphalen, EWS 1993, 161, 165. Für eine europäische Lesart cf. Bueso-

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Das Transparenzprinzip steht nicht neben dem Prinzip von Treu und Glauben als zwei-te Säule einer möglichen Inhaltskontrolle, sondern ist über die Materialisierung und den Grundsatz der legitimen Erwartungen als Unterfall von Treu und Glauben zu qualifizie-ren.176 Es geht von zwei Maßstäben aus: dem der Klarheit und dem der Verständlich-keit. Diese sind durchaus unterschiedlich zu gewichten.177 Klarheit bezieht sich auf die rechtliche Wirkung einer Klausel einschließlich ihrer Konsequenzen. Der Kunde muss wissen, was auf ihn zukommt, etwa bei einer Freizeichnungsklausel. Schwammige oder zweideutige Formulierungen sollen es dem Gewerbetreibenden nicht ermögli-chen, seine Rechtsposition auf Kosten des Verbrauchers zu verbessern.

Die Verständlichkeit bezieht sich zunächst auf die Lesbarkeit; sie will das sog. „Klein-gedruckte“, das der Verbraucher nicht aufnehmen kann, aus dem Vertrag eliminieren. Der Verwender muss die Allgemeinen Geschäftsbedingungen drucktechnisch und op-tisch deutlich gestalten, um ihre Wahrnehmbarkeit zu erhöhen. Jedoch beschränkt sich das Gebot der Verständlichkeit nicht auf die formale Seite. Ihm wohnt eine qualitative Komponente inne. Das Verständlichkeitsgebot ist seinem Zweck nach zugleich ein Informationsgebot. Klauseln dürfen den Verbraucher über die Reichweite seiner Rech-te und Pflichten nicht in die Irre führen.178

Ob darüber hinaus auch die sprachliche Verständlichkeit gemeint ist, lässt der Richtli-nientext nicht eindeutig erkennen. Man könnte das Sprachenproblem nach Grundsät-zen des IPR bestimmen und auf das Vertragsstatut verweisen.179 Da die Richtlinie aber unabhängig vom anwendbaren Recht ein EG-eigenes (Mindest-) Schutzniveau schaf-fen will, reicht dies nicht aus. Zur Verständlichkeit von Klauseln gehört deshalb das sprachliche Element dazu. Sind also dem Gewerbetreibenden Umstände bekannt, oder hätten sie ihm bei sorgfältiger Prüfung bekannt sein müssen, dass die Klausel für den Verbraucher sprachlich nicht verständlich ist, so ist eine Übersetzung anzufertigen oder sonst für Verständlichkeit zu sorgen.180 Der Verwender trägt die Verantwortung dafür, dass der Verbraucher das Vertragswerk in seiner Muttersprache erhält.181 Indirekt könnte so vom Transparenzgebot ein heilsamer Druck ausgehen, die Vertragswerke zu verschlanken. Denn Übersetzungen in diverse Sprachen sind aufwendig und teuer.

Guillén, VuR 1994, 309; Gozzo, Europäische Hochschulschriften, Peter Lang, 1996; Brunet-ta d’Usseaux, Consumer Law Journal 1997, 231.

176 Wilhelmsson, in: Micklitz/Reich (eds.), Public Interest Litigation before European Courts, 385.

177 Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer, A 5, Art. 5 Rdnrn. 8-9. 178 So zutreffend Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer, A 5, Art 5 Rdnr. 10. 179 Zur IPR-Problematik Rott, ZRVgl. 98 (1999), 382. 180 Reich, in: Horn (Hrsg.), Die neuen AGB-Banken, 1993, 40; ders., NJW 1995, 1861. 181 Zurückhaltender Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer, A 5, Art. 5 Rdnr. 20, der sich auf Heinrichs, NJW

1996, 2197 – nur in besonders schwerwiegenden Geschäften bzw. Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, Art. 5 RL Rdnr. 6 – Fassung der am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Verbrau-chers geltenden Sprache, beruft.

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c) Vertragstransparenz und Wettbewerbstransparenz

Die bisherige Diskussion um die Reichweite des Transparenzprinzips stellt vorrangig auf Vertragstransparenz ab. Im Zentrum der Überlegungen steht die Frage, welche Leistungen dem Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen abverlangt wer-den können, um die Klarheit und Verständlichkeit seiner Regeln zu erhöhen. Maßstab ist der Verbraucher, der mit den ihm übermittelten Informationen seine Rechtsposition ermitteln können soll.182 Vertragstransparenz ist im Kern „bilateral“. Ausgeblendet wird die wettbewerbliche Dimension des Transparenzprinzips. Der Verbraucher soll mit der ihm übermittelten Information seine Rechtsposition ermitteln können, um eine verant-wortliche Entscheidung über den Abschluss des Vertrages bzw. die Risiken eines denkbaren Ausstieges aus dem Vertrag ermitteln zu können. Erst in dieser Perspektive gewinnt der Hinweis des GA in Kommission/Niederlande Bedeutung, dass Transpa-renz schon vor Vertragsschluss herzustellen ist.183 Nur so kann der Verbraucher in die Lage versetzt werden, seine Rechtsposition zu definieren.

Bislang ist Wettbewerbstransparenz als Leitmaxime des Vertragsrechts noch nicht an-erkannt. Dabei findet das sekundärrechtlich in den Verbrauchervertragsrechts-Richtlinien verankerte Transparenzprinzip seinen Ursprung im Wettbewerbsrecht.184 Der Herstellung formaler Transparenz, um den Wettbewerb innerhalb der Gemein-schaft aufrechtzuerhalten,185 dienen die verschiedenen Richtlinien im Bereich des Verbraucherrechts, die entweder produktspezifisch oder typenspezifisch Informations-gebote formulieren.186 Der wettbewerbsrechtliche Ursprung findet sich in der allgemein anerkannten Konsequenz wieder, dass Preise und Leistungen insoweit einer Kontrolle unterliegen, als beide transparent sein müssen.187 Preis- und Leistungshinweise müs-sen in einer Weise vorgenommen werden, die eine Information des Verbrauchers „tat-sächlich“ gestatten. Nur so ist der Wettbewerb zwischen potenziellen Anbietern ge-währleistet.

182 Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer, A 5, Art. 5 Rdnr. 6‚ Qualität der Formulierung der Klauseln. 183 10.5.2001, Rs. C-144/99, Kommission/Niederlande, Slg. 2001, I-3541 Rdnr. 20, wo der

EuGH auf die Rdnr. 31 des Schlussantrages hinweist. 184 Reich, L’information du consommateur: conditions de la transparence du marché, in: Y. Ser-

ra/Calais-Auloy, Concurrence et Consommation, 1994, 23. Zur Entwicklung des Transpa-renzprinzips als richtlinienunabhängiges Rechtsprinzip Nassall, JZ 1995, 689, 692; Wil-helmsson, Social Contract Law and European Integration, 1994, 123, 131.

185 Die Möglichkeiten eines im Wettbewerbsrecht fußenden Transparenzprinzips sind in der bisherigen Auseinandersetzung nicht erschöpfend untersucht worden, auch nicht von Hein-richs, FS Trinkner, Lebendiges Recht – von den Sumerern bis zur Gegenwart, 1995, 157.

186 Tonner/Brieske, Verbraucherschutz durch gesetzliche Kennzeichnungserfordernisse, BB 1996, 913.

187 Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, § 9 Rdnr. 143; Palandt-Heinrichs, BGB, § 8 AGBG Rdnr. 1a; ders., Palandt, Ergänzungsbd., § 307 Rdnr. 55.

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Gemeinschaftsverträglichkeit

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Einen ersten Schritt in die vorgezeichnete Richtung hat der EuGH in der Axa Royale Entscheidung188 getan. Dort ging es um die Frage, wie Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 92/96/EWG Direktversicherung (Lebensversicherung) zu verstehen ist, der den Mit-gliedstaaten gestattet, von den Versicherungsunternehmen zusätzliche Angaben zu verlangen, „wenn diese für das Verständnis der wesentlichen Bestandteile der Versi-cherungspolice durch den Versicherungsnehmer notwendig sind“. Ein allgemeiner und vager Hinweis auf die im belgischen Recht vorhandenen Möglichkeiten zur Beendigung des Vertrages reiche nicht aus, vielmehr sind die verschiedenen Rechtsmittel zu präzi-sieren,

„die er (der Verbraucher H.-W. M.) benötigt, um den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auszuwählen und dadurch die ihm zur Verfügung stehende grö-ßere Auswahl von Verträgen im Rahmen eines einheitlichen Versicherungsmarktes voll nutzen zu können“.

Hinter dieser Argumentation steht die Überlegung, dass dem Transparenzprinzip eine wettbewerbliche Funktion immanent ist. Der Verbraucher muss in der Lage sein, dar-über zu entscheiden, ob er einen neuen für ihn günstigeren Vertrag eingehen will oder nicht. Für den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG eröffnet die Entscheidung eine neue Dimension. Kommt es doch nicht mehr allein auf Klarheit und Verständlich-keit der Allgemeinen Geschäftsbedingungen an, auf Vertragstransparenz, sondern darauf, ob die enthaltenen Informationen so aufbereitet sind, dass der Verbraucher einen Vergleich der Rechtslage anstreben kann, d.h. auf Wettbewerbstransparenz. Das dem Art. 3 immanente Informationsgebot stärkt ein solches Verständnis.

Danach wären mit dem GA Tizzano Allgemeine Geschäftsbedingungen daran zu mes-sen, ob sie so gefasst sind, dass der Verbraucher bereits vor Vertragsschluss eine informierte Entscheidung über den Inhalt des zu erwartenden Vertrages treffen kann. Je nach Maßstab stünde eine hohe Meßlatte zur Überprüfung von Allgemeinen Ge-schäftsbedingungen bereit. Vorrangig sollte sich eine solche Prüfung auf das Preis-Leistungsverhältnis konzentrieren. Preis-Leistungsinformationen müssen in Allgemei-nen Geschäftsbedingungen so aufbereitet sein, dass der Verbraucher einen Vergleich anstellen kann. Die zu ziehenden Schlussfolgerungen sind weitreichend. In zusam-mengesetzten Preisen müssen die einzelnen Preisbestandteile offengelegt werden, einzelne Preisbestandteile den Gesamtpreis erkennen lassen.189 Identische Rechtsfra-gen stellen sich in der Situation, in der der Verbraucher überlegt, aus einem Vertrag auszusteigen, um einen anderen Vertrag mit für ihn günstigeren Konditionen abschlie-ßen zu können. Hier müssen nicht nur die Rechte offengelegt werden, die dem

188 5.3.2002, Rs. C-386/00, Axa Royale Belge SA/Geores Ochoa und Stratégie Finance SPRL,

Slg. 2002, I-2209 = EuZW 2002, 377 mit Anm. Schwintowski, VuR 2002, 296. 189 Zur Bedeutung im Bereich der Alten- und Pflegeleistungen, Micklitz, VuR 1998, 291.

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Verbraucher nach europäischem und nationalem Recht zur Verfügung stehen, sondern auch die ökonomischen Konsequenzen eines Vertragswechsels vor Augen geführt werden.190 In Cofinoga191 hat der EuGH die Doppelfunktion des Transparenzprinzips soweit ersichtlich erstmalig dezidiert anerkannt.

d) Transparenzgebot und enge Kompensation in der VOB/B

Das gemeinschaftsrechtliche Transparenzgebot ist eine wahre Fundgrube für die Be-stimmung der Faktoren, an denen sich prüfen lässt, ob ein sachlicher Zusammenhang zwischen zwei VOB/B-Bestimmungen gegeben ist. Danach muss

der Sachzusammenhang klar und verständlich sein,

den Erfordernissen der Vertrags- und der Wettbewerbstransparenz genügt werden,

Vertragstransparenz den inneren Zusammenhang zwischen zwei VOB/B Be-stimmungen für den Verbraucher in einfacher, nachvollziehbarer Weise offen legen,

Wettbewerbstransparenz gewährleistet sein, um den Verbraucher in Stand zu setzen, die ihm zugewachsenen und die ihm genommen Rechte vor Vertrags-schluss erkennen.

Insbesondere die vom Gemeinschaftsrecht geforderte Wettbewerbstransparenz eröff-net eine neue Dimension für die Überprüfung der VOB/B-Bestimmungen.

5. Ergebnis zu II – Sonderbehandlung der VOB/B ist mit der Richtlinie 93/13/EWG unvereinbar

Die Sonderbehandlung der VOB/B ist mit der Richtlinie nicht vereinbar. Die Richtlinie lässt zwar eine enge Kompensation zu, erteilt der weiten Kompensation jedoch eine deutliche Absage. Damit ist die gängige Argumentation, die VOB/B sei so lange privile-giert, wie sie als Ganzes vereinbart sei, hinfällig.

Sprechen schon die Vorgaben der Richtlinie eine eindeutige Sprache, so zeigt sich erst Recht im Lichte des Kontrollkonzepts der Richtlinie, dass eine weite Kompensation den Kontrollansatz der Richtlinie unterminiert. Nur solange ein konkreter Sachzusammen-hang zwischen nachteiligen und vorteilhaften VOB/B-Bestimmungen gegeben ist, kommt eine Kompensation in Betracht. Das Transparenzprinzip der Richtlinie liefert

190 Auf die damit zusammenhängenden Schwierigkeiten weist Schwintowski, VuR 2002, 296 in

seiner Besprechung von Axa Royale hin. 191 EuGH, Urteil v. 4.3.2004, Rs. C-264/02, Cofinoga Mérignac SA gegen Sylvain Sachitha-

nathan, Slg. 2004, I-nnv.

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Gemeinschaftsverträglichkeit

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wichtige Anhaltspunkte für die Art und Weise des Nachweises des geforderten Sach-zusammenhangs.

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C. Die VOB/B-Klauseln in der Prüfung nach den Vorschriften zur Kon-trolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen

I. Einleitung

Von der Rechtsprechung und im Rahmen der Kommentar- und Lehrbuchliteratur wur-den schon bislang eine Vielzahl der Klauseln der jeweils geltenden VOB/B im Rahmen einer isolierten Prüfung hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem AGB-Gesetz als AGB-widrig wegen verschiedener Verstöße gegen die §§ 9 ff. AGBG eingestuft.

1. Umfang der zu prüfenden Klauseln

Nach der Rechtsprechung waren für den Verbraucher die

§ 2 Nr. 6 Abs. 1 Satz 2 VOB/B192

§ 2 Nr. 8 Abs. 1 und Abs. 2 VOB/B193

§ 13 Nr. 4 Satz 1 VOB/B194

im Lichte des damals gültigen AGB-Gesetzes unzulässige Klauseln.

Die Literatur hat sich darüber hinaus zu

§ 2 Nr. 5 VOB/B

§ 4 Nr. 8 Abs. 1 Satz 1 VOB/B

§ 4 Nr. 8 Abs. 2 VOB/B

§ 6 Nr. 6 VOB/B

§ 7 VOB/B

§ 12 Nr. 3 VOB/B

§ 12 Nr. 5 Abs. 1 und Abs. 2 VOB/B

§ 13 Nr. 7 Abs. 1 und Abs. 2 VOB/B

§ 15 Nr. 3 Satz 5 VOB/B

mehr als nur kritisch hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem AGB-Gesetz und der Fra-ge ihrer Rechtmäßigkeit geäußert.195 Nicht alle der aufgeworfenen Fragen sind aus der

192 Vgl. OLG München, BauR 1994, 145. 193 Vgl. BGH, NJW 1991, 1812. 194 Vgl. OLG Bamberg, NJW-RR 1988, 1049; LG Berlin, NJW-RR 1991, 1123. 195 Vgl. statt vieler Glatzel/Hoffmann/Frikell, Unwirksame Bauvertragsklausel nach dem AGB-

Gesetz, 37 ff.

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VOB/B – Einzelprüfung

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Perspektive des Verbraucher-Bauherrn gleichermaßen relevant. Im Folgenden werden die aus der Sicht des Verbrauchers als Auftraggeber maßgeblichen Vorschriften unter-sucht. Insoweit erhebt die Untersuchung allerdings keinen Anspruch auf Vollständig-keit.

2. Prüfungsschema

Gegenstand der Untersuchung bildet die Frage,

ob und inwieweit durch die VOB/B-Novellierung aus dem Jahr 2002 und ins-besondere die Schuldrechtsmodernisierung ebenfalls aus dem Jahr 2002 eine andere Beurteilung der als AGB-widrig ausgemachten Klauseln angezeigt ist, bzw.

ob und inwieweit die in der deutschen Jurisprudenz weitgehend ausgeklam-merte europäische Dimension der AGB-Kontrolle196 eine neue und andere Beurteilung bislang weitgehend aus rein deutscher Sicht erörterter AGB-Klauseln erforderlich macht.

Nimmt man die bisherigen Ergebnisse der Rechtsprechung und der Literatur zur Frage der Vereinbarkeit einzelner Klauseln mit dem AGB-Gesetz und den zuvor herausgear-beiteten europarechtlichen Vorgaben zusammen, eröffnet sich nahezu von alleine das Prüfungsschema für die Frage der Vereinbarkeit einzelner VOB/B-Klauseln mit den §305ff. BGB im Lichte der Richtlinie 93/13/EWG.

Um der elementaren Bedeutung der Richtlinie 93/13/EWG im Rahmen einer rechtli-chen Überprüfung einzelner Klauseln der VOB/B gerecht zu werden, wird der Inhalt der einzelnen VOB/B-Klauseln in ihrer aktuellen Fassung unter Berücksichtigung der bis-herigen Rechtsprechung und Literatur dargestellt. Die zu der jeweiligen VOB/B-Regelung ergangene Rechtsprechung ist insbesondere dann zu berücksichtigen, wenn sie über den in der konkreten Klausel formulierten und somit unschwer zu ermittelnden Inhalt hinausgeht. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dieses Ergebnis durch eine extensive oder restriktive Auslegung der einzelnen VOB/B-Klauseln herbeigeführt wird.

Die Berücksichtigung der Rechtsprechung ist im Hinblick auf die erste Prüfungsebene des Transparenzgebotes angezeigt. Hierbei hat ein gemeinschaftsrechtliches Ver-ständnis des Begriffes der Transparenz Platz zu finden. Die aus den eigenen Reihen kritisierte Rechtsprechung des Bundesgerichteshofes zum Transparenzgebot197 ist nicht zuletzt im Hinblick auf die vorweg erzielten Ergebnisse begründet. Die konse-quente Überprüfung jeder Klausel, auch der Preis-Leistungsregelungen, anhand des

196 Siehe Punkt A. II. 197 Siehe Thode, NZBau 2002, 360, 363, 365.

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Transparenzgebotes bildet den Einstieg in die Prüfung der Vereinbarkeit der VOB/B-Klauseln mit den §§ 305 ff. BGB im Lichte der Richtlinie 93/13/EWG. Auch wenn diese Vorgehensweise eher ungewöhnlich ist, wird so die Reichweite des Transparenzgebo-tes und seine überragende Bedeutung für Klauseln in allgemeinen Geschäftsbedin-gungen deutlich.198

Die weitere Prüfung der einzelnen Klauseln der VOB/B orientiert sich an dem gewohn-ten Schema der Prüfung allgemeiner Geschäftsbedingungen. Bei der sich anschlie-ßenden Kontrolle der einzelnen Klauseln (insbesondere) an den Katalogtatbeständen der §§ 308, 309 BGB hat die Richtlinie 93/13/EWG Beachtung zu finden.199 Erst dann kommt § 307 BGB zur Anwendung. Diese Vorgehensweise ist angezeigt, weil sich eine Prüfung der Generalklausel erübrigt, wenn sich die Unwirksamkeit einer Klausel bereits aus den §§ 308, 309 BGB ergibt.200

Jedoch führt eine bis dahin festgestellte Vereinbarkeit der einzelnen VOB/B-Klauseln nicht automatisch zum Ergebnis der grundsätzlichen Vereinbarkeit der VOB/B mit den §§ 305 ff. BGB. Ein solches Ergebnis ließe die Richtlinie 93/13/EWG außer Betracht. Diese EG-Richtlinie muss nicht nur bei der Auslegung der §§ 307 ff. BGB beachtet werden,201 sondern stellt eine in sich abgeschlossene Prüfungsebene dar. Die Inkon-sequenz des deutschen Gesetzgebers bei der Umsetzung der Richtlinie ins nationale Recht erzwingt einen solchen Schritt. Eine VOB/B-Klausel, die nicht gegen das Trans-parenzgebot verstößt, den Anforderungen der §§ 308, 309 BGB entspricht und nicht von den wesentlichen Grundgedanken einer nationalen gesetzlichen Regelung ab-weicht, muss bei richtigem Verständnis des deutschen Zivilrechtes wirksam sein. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts macht es aber notwendig, das einfache, nationale dispositive Gesetzesrecht an den Vorgaben der Richtlinie 93/13/EWG zu messen.202 Erst wenn auch dieser Prüfungsschritt abgeschlossen ist, kann eine Aussage über die Frage der Vereinbarkeit der einzelnen VOB/B-Klauseln mit den §§ 305 ff. BGB im Lich-te der Richtlinie 93/13/EWG getroffen werden. Insofern ergibt sich folgende Rangfolge: (1) Inhalt, (2) Transparenzgebot, (3) §§ 308/309 BGB, (4) § 307 BGB, (5) Richtlinie 93/13/EWG, (6) zusammenfassende Bewertung.

198 Vgl. EuGH, Slg. 1984, 1891, 1909; 1987, 3969, 3986; BVerfGE 75, 223, 237. 199 Vgl. EuGH, Slg. 1984, 1891, 1909; 1987, 3969, 3986; BVerfGE 75, 223, 237. 200 Vgl. Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, Vor §§ 10, 11 Rdnr. 10, § 9 Rdnr. 5; Palandt-

Heinrichs, BGB, Vorbem. vor § 307 Rdnr. 1, § 307 Rdnr. 2; Anwaltkommentar-Hennrichs, § 307 Rdnr. 2.

201 Vgl. Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, § 9 Rdnr. 142; MünchKommBGB-Basedow, § 310 Rdnrn. 70 ff.; Ulmer/Brandner/Hensen-Ulmer, AGBG, § 2 Rdnr. 108.

202 Siehe Punkt B. I. 3.c).

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3. Auslegungsmaßstab im deutschen und europäischen Recht

Bevor auf die einzelnen Klauseln der VOB/B 2002 eingegangen wird, soll eine grund-legende Frage vorab geklärt werden. Die Untersuchung der VOB/B-Klauseln bewegt sich im Spannungsfeld des deutschen und des EG-Rechts. Das deutsche Recht setzt bei dem „Empfängerhorizont des durchschnittlichen Kunden“ an, das EG-Recht stellt den „durchschnittlich aufgeklärten Verbraucher“ in den Vordergrund. Im Wettbewerbs-recht haben die divergierenden Standards eine entscheidende Rolle gespielt. Nicht so im Zivilrecht, wo eher die Frage zu klären ist, in welchem Verhältnis die Auslegungs-maximen zum Transparenzgebot stehen. Innerhalb des Transparenzgebotes scheint sich der deutsch-europäische Konflikt um den richtigen Maßstab zu wiederholen.

Allgemeine Geschäftsbedingungen werden nach den Maßstäben der Auslegung für Rechtsgeschäfte interpretiert. Dabei ist jedoch der den Allgemeinen Geschäftsbedin-gungen inne wohnende Zweck, eine gleichmäßige Abwicklung von Massenverträgen zu erreichen, zu berücksichtigen. Deshalb ist auf das Verständnis eines Durchschnitts-kunden abzustellen.203 Bei der im Raum stehenden Betrachtung von Verbraucherver-trägen ist § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB zu beachten, der Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG umsetzt.204

Das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, das unter Berücksichtigung der Art. 4 Abs. 2 und Art. 5 Satz 1 der Richtlinie 93/13/EWG zu bestimmen ist, orientiert sich an objektiven Kriterien. Maßstab sind Klarheit und Verständlichkeit. Ob eine Klau-sel diesen Anforderungen genügt, bemisst sich am Maßstab eines kritischen und sorg-fältigen Verbrauchers.205 Der deutsche Gesetzgeber hat im Schuldrechtsmodernisie-rungsgesetzgeber das Transparenzgebot kodifiziert und so die Rechtsprechung des EuGH206 zum Maß der Dinge bei der Ausübung der Transparenzkontrolle erhoben.207 Zwar wollte der Gesetzgeber keine sachlichen Änderungen der bislang von der Recht-sprechung entwickelten Grundsätze zum Transparenzgebot bewirken.208 Jedoch be-darf es insoweit der Berücksichtigung der europäischen Dimension. Wenn das Trans-parenzgebot ein Instrument der Inhaltskontrolle ist, muss für das Transparenzgebot und die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen der identische Maßstab

203 Vgl. BHGZ 33, 218; 49, 88; 60, 177; 62, 254; vgl. Anwaltkommentar-Hennrichs, § 307 Rdnr.

4; Pa landt-Heinrichs, BGB, § 307 Rdnr. 9; Wolf/Horn/Lindacher-Lindacher, AGBG, § 5 Rdnr. 5.

204 Vgl. Anwaltkommentar-Hennrichs, § 307 Rdnr. 5, § 310 Rdnr. 14; Palandt-Heinrichs, BGB, § 310 Rdnrn. 7, 14, 19.

205 Vgl. EuGH, NJW 1995, 3243; 83, 1257. 206 Vgl. EuGH, NJW 2001, 2244. 207 Vgl. Anwaltkommentar-Hennrichs, § 307 Rdnr. 7; Palandt-Heinrichs, BGB, § 307 Rdnr. 16, §

310 Rdnr. 26. 208 Vgl. BT-Drucks. 60/40, 153.

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gelten.209 Vorab bleibt zu konstatieren, dass das deutsch-europäische Transparenzge-bot – auch unter Berücksichtigung der europäischen Vorgaben – und der deutsche AGB-Auslegungshorizont vergleichbare Ergebnisse bewirken.

4. Enge Kompensation

Soweit die VOB/B Bestimmungen enthalten, die in einem inneren Kontext stehen, ist eine enge Kompensation gemeinschaftsrechtlich zulässig. Die Untersuchung berück-sichtigt durchgängig die Möglichkeit der engen Kompensation. Jedoch zeigt die Analy-se, dass die enge Kompensation nur in einer einzigen Konstellation ernsthaft in Be-tracht gezogen werden muss. Ansonsten erweist sich der Standardhinweis vom Aus-gleich der Vor- und Nachteile jedenfalls für den Verbraucher-Bauherrn als bloße Schi-märe.

II. Die Überprüfung der Einzelvorschriften

Im Folgenden findet sich eine Abhandlung verschiedener Klauseln in der derzeit gülti-gen Fassung der VOB/B. Die Prüfungsfolge orientiert sich an dem oben entwickelten Prüfungsschema.

1. § 2 Nr. 2 und § 14 Nr. 2 Satz 1 VOB/B

§ 2 Nr. 2 VOB/B

„Die Vergütung wird nach den vertraglichen Einheitspreisen und den tatsächlich ausge-führten Leistungen berechnet, wenn keine andere Berechnungsart (zum Beispiel durch Pauschalsumme, nach Stundenlohnsätzen, nach Selbstkosten) vereinbart ist.“

§ 14 Nr. 2 Satz 1 VOB/B

„Die für die Abrechnung notwendigen Feststellungen sind dem Fortgang der Leistung entsprechend möglichst gemeinsam vorzunehmen“.

a) Regelungsgehalt der Klauseln

Die bei Abfassung der VOB/B 2002 unverändert gebliebene Klausel des § 2 Nr. 2 VOB/B bestimmt den Einheitspreisvertrag als den Normaltyp eines Bauvertrages,210 wobei dies nach umstrittener Sichtweise in der Literatur auch für den Bauvertrag, bei dem die VOB/B nicht Vertragsgrundlage ist, gelten soll.211 Der Einheitspreisvertrag gehört nach § 5 Nr. 1 VOB/A zu den Leistungsverträgen. In § 5 Nr. 1 a VOB/A selbst

209 Vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, § 307 Rdnr. 17. 210 Vgl. Keldungs, in: Ingenstau/Korbion, VOB-Kommentar B, § 2 Nr. 2 Rdnr. 1; Werner/Pastor,

Der Bauprozess, Rdnr. 1162; Locher, Das private BauR, Rdnr. 181. 211 Vgl. Werner/Pastor, Bauprozess, Rdnrn. 1162 f.; Keldungs, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, §

2 Nr. 2 Rdnrn. 1 f.; a.A. Grimme, MDR 1989, 20.

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findet sich die Begriffsbestimmung des Einheitspreises. Er wird festgelegt für technisch und wirtschaftlich einheitliche Teilleistungen, deren Menge nach Maß, Gewicht oder Stückzahl vom Auftraggeber in den Verdingungsunterlagen anzugeben ist. Mit dieser Definition wird zugleich auf die Leistungsbeschreibung in § 9 VOB/A Bezug genom-men. Daraus lässt sich seinerseits entnehmen, dass Vertragspreis nur der Einheits-preis und somit ausschließlich der in jeder einzelnen Position eingetragene Stückpreis, Quadratmeterpreis, Kilopreis usw. ist.212

Da nach § 2 Nr. 2 VOB/B die endgültig zu zahlende Vergütung auf der Basis der tat-sächlich erbrachten Leistung beruht, lässt sich erst nach erfolgter Leistungserbringung bestimmen, wie hoch der Gesamtvergütungsanspruch des Auftragsnehmers ist. Das Vorstehende gilt, sofern die Parteien des Vertrages nichts anderes vereinbart haben. Der Einheitspreisvertrag bildet den Regelfall und kann nur durch eine ausdrücklich an-ders lautende Vereinbarung geändert werden.

Die unter der Überschrift „Abrechnung“ weiter unverändert gebliebene Klausel des § 14 Nr. 2 Satz 1 VOB/B hat auf den ersten Blick eine vermeintlich klare Botschaft.

Der Einheitspreisvertrag stellt im Hinblick auf § 2 Nr. 2 VOB/B die Grundregel des Bau-vertrages dar. Jedoch lassen sich die Gesamtkosten des Werkes erst nach Abschluss der Arbeiten errechnen. Insoweit kommt den Abrechnungsvorschriften des § 14 VOB/B entscheidende Bedeutung zu.213 Nach dem eindeutigen Wortlaut der Klausel ist für die Abrechnung ein gemeinsames Aufmaß nicht zwingend („möglichst“).

Führen die Parteien ein gemeinsames Aufmaß unter Beachtung der vertraglichen Ver-einbarungen und/oder den technischen Vertragsbedingungen des Teils C der VOB durch, sollen dadurch klare Verhältnisse hinsichtlich des tatsächlichen Leistungsum-fanges geschaffen werden.214 Auf die sich aufdrängende Frage nach der rechtlichen Einordnung des gemeinsamen Aufmasses, lässt sich eine klare Antwort geben. Es liegt ein Vertrag des Inhalts vor, die Aufmassfeststellungen als verbindlich anzuerkennen. In den Kategorien des BGB ist der Vertrag als deklaratorisches Schuldanerkenntnis zu qualifizieren.215 Damit tritt eine Bindung des Auftraggebers an das Aufmaß ein. Rechts-technisch handelt es sich um eine Beweislastumkehr. Es ist Sache des Auftraggebers,

212 Vgl. Locher, BauR, Rdnr. 181. 213 Vgl. hierzu Korbion/Hohstein/Keldungs, VOB, Rdnr. 802; Werner/Pastor, Bauprozess, Rdnr.

1166; Keldungs, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 2 Nr. 2 Rdnr. 4; Locher, in: In-genstau/Korbion, VOB/B, § 14 Rdnr. 5.

214 Vgl. SFH Z. 2412, Blatt 16. 215 Vgl. Locher, BauR, Rdnr. 196; OLG Hamm, BauR 1992, 242 = NJW-RR 1991, 1464; Locher,

in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 14 Nr. 2 Rdnr. 9; Werner/Pastor, Bauprozess, Rdnr. 2038.

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im Werklohnprozess darzulegen und zu beweisen, dass die in dem gemeinsam aufge-stellten Aufmaß gemachten tatsächlichen Feststellungen unrichtig sind.216

b) Prüfung des Transparenzgebotes

Das im deutschen Recht bislang nur von der Rechtsprechung entwickelte Transpa-renzgebot217 wurde im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung im Einklang mit Art. 5 Satz 1 der EG-Richtlinie 93/13/EWG und der jüngsten Rechtsprechung des EuGH218 in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kodifiziert.219 Zum richtigen Verständnis und der Bestimmung des Anwendungsbereiches des Transparenzgebotes ist die Kenntnis der Kernaussa-gen der maßgeblichen Entscheidung des EuGH vom 10.05.2001 in dem Verfahren Kommission/Niederlande220 unabdingbar. Dort wurde die überragende Bedeutung des Transparenzgebotes klargestellt. Erfasst werden nach der Entscheidung auch Klau-seln, die an sich nach Artikel 4 Abs. 2 der EG-Richtlinie 93/13/EWG von einer Miss-brauchskontrolle ausgenommen wären.221 Dass preisbestimmende und leistungsbe-schreibende Klauseln nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB der Transparenzkontrolle unter-liegen sollen, ist der erklärte Wille des Gesetzgebers.222

Die sich mit der Bestimmbarkeit bzw. Bestimmung des Gesamtpreises befassende Klausel des § 2 Nr. 2 VOB/B unterliegt dem Maßstab und der Prüfung des Transpa-renzgebotes. Nun wollte der Gesetzgeber offensichtlich die bisherige Rechtsprechung zum Transparenzgebot223 kodifizieren.224 Diese Rechtsauffassung kann im Hinblick auf die gefundenen Ergebnisse nicht unkommentiert bleiben. Bereits erwähnt wurde, dass die Rechtsprechung des BGH nicht nur aus den eigenen Reihen Kritik erfährt,225 son-dern bei Festlegung des Prüfungsmaßstabes ein genuin gemeinschaftsrechtlicher An-satz zu verfolgen ist.226 Diese Divergenz in der Rechtsprechung ist nicht zuletzt für die in Art. 234 EGV statuierte Vorlagepflicht der Fragen zur Auslegung der Richtlinien 93/13/EWG erheblich.227

216 Vgl. Werner/Pastor, Bauprozess, Rdnr. 1166. 217 Vgl. BGHZ 106, 42, 49. 218 Vgl. EuGH, NJW 2001, 2244. 219 Vgl. Scherer, in: Wirth/Sienz/Englert, Verträge am Bau, § 307 Rdnr. 1, MünchKommBGB-

Basedow, § 307 Rdnrn. 21, 48. 220 Vgl. EuGH, NJW 2001, 2244 und Fn. 166, 168. 221 Vgl. EuGH, NJW 2001, 2244. 222 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, 156. 223 Vgl. BGHZ 104, 92; 106, 47, 264; 108, 51; 115, 185; BGH, NJW 2000, 651. 224 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, MünchKommBGB-Basedow, § 307 Rdnrn. 21, 48. 225 Vgl. Thode, NZBau 2002, 360, 363, 365. 226 Siehe Punkt B. II. 3.b). 227 Vgl. Anwaltkommentar-Hennrichs, Vor § 305 Rdnr. 19; in: Ulmer/Brandner/Hensen-Ulmer,

AGBG, Einl. Rdnr. 79a.

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Von den beiden Kriterien des Transparenzgebotes, den Geboten der Klarheit und Ver-ständlichkeit, findet insbesondere letzteres Beachtung. Die Forderung nach Verständ-lichkeit stellt in qualitativer Sicht ein Informationsgebot dar.228 Der Verbraucher muss anhand der Preis-Leistungsinformationen in der Lage sein, zwischen den Angeboten einen Vergleich anzustellen (sogenannte Wettbewerbtransparenz).229 Somit sind bei zusammengesetzten Preisen die einzelnen Preisbestandteile offen zulegen und müs-sen den Gesamtpreis erkennen lassen.230

Gemessen an dieser Forderung könnte man zur Transparenz der Klausel gelangen, da die Einzelpreise im Rahmen eines Leistungsverzeichnisses angegeben werden und sich aus ihrer Addition der Gesamtpreis errechnen lässt. Betrachtet man aber noch-mals genau, was überhaupt Einheitspreise im Sinne des § 2 Nr. 2 VOB/B sind, muss man über die Brücke der § 5 Nr. 1 a VOB/A und § 9 VOB/A gehen, um eine Antwort zu finden.

aa) 1. Einwand – Fehlende Bereitstellung der VOB/A

Hier findet sich ein erster Einwand gegen die Verständlichkeit der Klausel. Denn die VOB/B wird Vertragsgrundlage, wenn sie dem Vertragspartner des Verwenders vor Vertragsabschluss zugänglich gemacht wurde, was im Fall eines Verbrauchervertrages die Übergabe einer Ausfertigung der VOB/B erfordert.231 Wenn die Definition eines in der VOB enthaltenen Begriffes nur anhand der VOB/A möglich ist, diese dem Verbrau-cher jedoch nicht einmal zur Kenntnis gebracht werden muss, kann der „Einmal-Häuslebauer“ die Reichweite des Einheitspreises in § 2 Nr. 2 VOB/B nicht erfassen. Dem Verbraucher bleibt verborgen, welche der Einzelpositionen aus dem Leistungs-verzeichnis verbindlich und fest sein sollen. Er kann die Einzelposition zu einer Ge-samtsumme addieren, welche Größen aber variabel sind, bleibt ihm verborgen.

Zwar ist die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe durch § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht ausgeschlossen.232 An dem gefundenen Ergebnis ändert sich jedoch nichts. Wer-tet man den Einheitspreis als Rechtsbegriff, ist dieser für den Laien nicht verständlich. Nur mittels Verweisung auf die VOB/A ergibt sich die Bedeutung und Tragweite des

228 Zurückzuweisen ist die Interpretation des Transparenzprinzips als Mittel der Einbeziehungs-

kontrolle von v. Westphalen, EWS 1993, 161, 165. Für eine europäische Lesart Bueso-Guillén, VuR 1994, 309; Gozzo, Europäische Hochschulschriften, Peter Lang, 1996; Brunet-ta d’Usseaux, Consumer Law Journal 1997, 231.

229 Siehe Punkt B.II.4c). 230 Vgl. Micklitz, VuR 1998, 291; Tonner/Brieske, Verbraucherschutz durch gesetzliche Kenn-

zeichnungserfordernisse, BB 1996, 913. 231 Vgl. OLG München, BauR 1992, 70; einschränkend Werner/Pastor, Bauprozess, Rdnr. 1012

mwN in Fn. 51. 232 Vgl. Anwaltkommentar-Hennrichs, § 307 Rdnr. 8; Palandt-Heinrichs, BGB, § 307 Rdnr. 18

mwN.

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Begriffs. Wenn die juristische Terminologie für den Laien unverständlich ist, bleibt es bei der Intransparenz.233

bb) 2. Einwand – Fehlender Hinweis auf die Rechtsfolgen des Aufmasses

Zum besseren Verständnis sei die Vorschrift noch einmal wiederholt:

§ 14 Nr. 2 Satz 1 VOB/B

„Die für die Abrechnung notwendigen Feststellungen sind dem Fortgang der Leistung entsprechend möglichst gemeinsam vorzunehmen“.

Da bereits vorweg ausgeführt wurde, dass das seine Grundlagen in Art. 4 Abs. 2 der EG-Richtlinie 93/13/EWG findende und ins deutsche Recht in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB umgesetzte Transparenzgebot als einen Maßstab das Gebot der Klarheit beinhaltet, ist einer dieser Bezugspunkte dieses Gebotes die rechtliche Wirkung einer Klausel ein-schließlich ihrer Konsequenzen.234 Der Verbraucher soll erkennen, was auf ihn zu-kommt. Nun wird bei dem den Regelfall bildenden Einheitspreisvertrag der Gesamt-werklohn erst mit tatsächlicher Leistungserbringung errechenbar. Um die tatsächliche Bauleistung zu ermitteln, bedarf es in der Regel eines Aufmasses. Der Vornahme des Aufmasses kommt damit entscheidende Bedeutung zu.235

Die Klausel lässt infolge ihrer Formulierung nicht ansatzweise die rechtlichen Folgen eines gemeinsamen Aufmasses erkennen. Der Konjunktiv drückt die Empfehlung aus, ein gemeinsames Aufmaß durchzuführen.236 Da auf Seiten der Verbraucher der Ein-druck vorherrscht, die VOB/B habe quasi Gesetzeskraft, sehen sich viele der „Einmal-Häuslebauer“ gehalten, dieser Empfehlung Folge zu leisten ohne Kenntnis der Konse-quenzen, die die Klausel nicht einmal andeutet. Mit dem Aufmaß wird der endgültige Preis bestimmt. Will sich der Auftraggeber gegen die Feststellungen im gemeinsamen Aufmaß zur Wehr setzen, muss er deren Unrichtigkeit beweisen.237 Die Beweislast hat sich umgekehrt. Auch ist aus der Klausel nicht herauszulesen, welche Anforderungen an das gemeinsame Aufmaß nach Teil C der VOB einzuhalten sind.

Zugleich beherbergt der sich aus dem Einzelpreis zu errechnende Gesamtpreis die Gefahr der Manipulation. Mit der Angabe zu geringer Mengen etwa wird der Einzelpreis und damit die Gesamtsumme reduziert. Der Vergleich mit anderen Angeboten wird so erschwert. Ist der Verbraucher nicht über den Umfang des Einheitspreises informiert, ist er nicht in der Lage, einen Vergleich mit anderen Angeboten anzustellen. Nicht nur 233 Vgl. Anwaltkommentar-Hennrichs, § 307 Rdnr. 8; Palandt-Heinrichs, BGB, § 307 Rdnr. 18

mwN. 234 Siehe Punkt B.II.4b). 235 Vgl. Werner/Pastor, Bauprozess, Rdnr. 1166. 236 Vgl. Werner/Pastor, Bauprozess, Rdnr. 1166. 237 Vgl. SFZZ 302, Blatt 6; OLG Hamm, BauR 1992, 242.

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die Unkenntnis über die zu erwartenden Mengen macht diese Möglichkeit zunichte, sondern auch die fehlende Bestimmung des Begriffes des Einheitspreises.

cc) 3. Einwand – Intransparentes Zusammenwirken

Das mit den §§ 2 Nr. 2 i.V.m. § 14 Nr. 2 Satz 1 VOB/B festgeschriebene Informations-modell führt unter den Gesichtspunkten und Maßstäben der Transparenz zur Unwirk-samkeit. Zwei Klauseln, die isoliert betrachtet jede für sich intransparent sind, können nicht in ihrem Zusammenwirken zu einer für den Verbraucher transparenten Klausel führen.

Zudem ist für den Verbraucher schwerlich erkennbar, welche Inbezugnahme für das Verständnis des § 2 Nr. 2 VOB/B erforderlich ist. Der notwendige Rückgriff auf §14 Nr. 2 Satz 1 VOB/B zum Verständnis der Vorschrift des § 2 Nr. 2 VOB/B ist bereits durch die systematische Trennung schwierig. Somit ist die Klausel auch in ihrem Kontext zwischen § 2 Nr. 2 VOB/B und § 14 Nr. 2 Satz 1 VOB/B intransparent.

c) Prüfung des § 309 Nr. 12 b) BGB i.V. mit dem Anhang Nr. 1 q – Veränderung der Beweislastverteilung

Die Ausführungen und Argumente zur fehlenden Transparenz des § 14 Nr. 2 Satz 1 VOB/B tragen auch die Unwirksamkeit der Klausel nach § 309 Nr. 12 b BGB. Diese Vorschrift geht davon aus, dass die Beweislastregeln Ausdruck von sachlogisch be-dingten Gerechtigkeitsgeboten sind, weshalb sie ein allgemeines Verbot von Beweis-laständerungen zum Nachteil des Kunden enthält.238 Vorweg wurde ausgeführt, dass das gemeinsame Aufmaß nach § 14 Nr. 2 Satz 1 VOB/B zu einer Beweislastumkehr führt. Infolgedessen verstößt die Klausel auch gegen § 309 Nr. 12 b BGB. Darüber hinaus formuliert Anhang Nr. 1 q der Richtlinie 93/13/EWG ein umfassendes Beweis-änderungsverbot. Insofern deckt sich § 309 Nr. 12 b BGB mit dem entsprechenden Teilinhalt von Nr. 1 q des Anhangs zur Richtlinie.239 Somit bleibt auch insoweit die Un-wirksamkeit der Klausel zu konstatieren.

d) Prüfung des § 307 Abs. 2 BGB – Ausnutzung der AGB-typischen Verhandlungs-schwäche des privaten Bauherrn

Das im Baurecht vorzufindende System sieht so aus, dass der Einheitspreis zum Tra-gen kommt, weil die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Typisch für den Bauver-trag ist die Verhandlungsschwäche des privaten Bauherrn, der sich mit seinem Vorha-

238 Vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, § 309 Rdnr. 99; Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, § 11 Rdnr.

1. 239 Vgl. Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, Anhang Nr. 1 q Richtlinie Rdnr. 217.

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ben oftmals an seiner körperlichen und intellektuellen Belastungsgrenze befindet. Die theoretisch mögliche, alternative Regelung spielt in der Praxis eine untergeordnete Rolle. Insoweit ähnelt die vorliegende Fallkonstellation Allgemeinen Versicherungsbe-dingungen, bei denen der Versicherte theoretisch die Wahl zwischen unterschiedlichen Laufzeiten hat, seine Entscheidung in der Praxis aber vom Versicherungsberater prä-formiert wird. Man könnte daran denken, die Ausnutzung der AGB-typischen Verhand-lungsschwäche des privaten Bauherrn als eigenständige inhaltlich unangemessene Benachteiligung zu qualifizieren. Gesicherte Präzedenzfälle in der Rechtsprechung existieren jedoch noch nicht. Die Rechtsprechung zieht in aller Regel den eleganteren Weg über die Verletzung des Transparenzgebotes vor, weil sie sich so weitere Steue-rungsmöglichkeiten vorbehält und dem Verdikt der inhaltlichen Unangemessenheit ausweichen kann.

e) Zusammenfassende Bewertung

§ 2 Nr. 2 VOB/B ist infolge seiner Unklarheiten über den Einzelpreis als intransparent einzustufen. Der Kontext zu § 14 Nr. 1 Satz 1 VOB/B hellt die Bedeutung nicht auf. Die maßgebliche Mitteilung des Auftragnehmers, die Information über den zum Vergleich notwendigen Preis lässt sich aus ihr nicht entnehmen. Ferner ist § 14 Nr. 2 Satz 1 VOB/B für sich betrachtet intransparent. Die angeordnete Beweislastumkehr bleibt dem Auftragnehmer verborgen bleibt. Hinzu tritt die fehlende Information über das bei dem gemeinsamen Aufmaß einzuhaltende Gebot der Regelungen nach Teil C der VOB. § 14 Nr. 2 Satz 1 VOB/B genügt den Anforderungen des § 309 Nr. 12 b BGB nicht. Hier-bei findet die Vorschrift aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch ihre Entsprechung in Nr. 1 q des Anhangs der Richtlinie 93/13/EWG.

2. § 2 Nr. 7 Abs. 1 VOB/B

„Ist als Vergütung der Leistung eine Pauschalsumme vereinbart, so bleibt die Vergütung unverändert. Weicht jedoch die ausgeführte Leistung von der vertraglich vorgesehenen Leistung so erheblich ab, dass ein Festhalten an der Pauschalsumme nicht zumutbar ist (§ 242 BGB), so ist auf Verlangen ein Ausgleich unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu gewähren. Für die Bemessung des Ausgleichs ist von den Grundlagen der Preisermittlung auszugehen. Die Nummern 4, 5 und 6 bleiben unberührt.“

a) Regelungsgehalt

Die in der Fassung der VOB/B 2002 unverändert gebliebene Regelung befasst sich mit der Änderung der Vergütung beim gesondert zu vereinbarenden Pauschalpreisvertrag. Bei diesem bildet die künftig zu erbringende Leistung die Grundlage für die Berech-

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nung der Vergütung.240 Der Auftraggeber kann davon ausgehen, dass sämtliche Bau- und Nebenleistungen, die zur Erreichung der vereinbarten Bauleistung erforderlich sind, von dem Pauschalpreis umfasst sind.241 Das Risiko von Mehrleistungen (zum Beispiel Lohn- und Materialerhöhungen) trägt der Auftragnehmer. Dieser Grundsatz findet seine Grenzen in § 2 Nr. 7 Abs. 1 VOB/B. Weicht die vom Auftragnehmer tat-sächlich ausgeführte Leistung so erheblich von der vertraglich vorgesehenen ab, dass ein Festhalten an der Pauschalsumme nicht zumutbar ist (§ 242 BGB), ist auf Verlan-gen ein Ausgleich unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu gewähren.

Das insoweit nur auf der Tatbestandsseite formulierte Kriterium der Zumutbarkeit setzt eine schwerwiegende Störung des Gleichgewichtes zwischen Gesamtbauleistung und Pauschalpreis voraus.242 Ohne eine starre Grenze für diesen Problembereich zu zie-hen, geht die überwiegende Rechtsprechung von einem solch „unerträglichen Missver-hältnis“243 bei einer Abweichung von mehr als 20 % aus.244 Sodann hat ein Ausgleich durch Anhebung oder Verminderung des Pauschalpreises zu erfolgen. Der Bestand des Vertrages wird in keiner Weise berührt. Nur wenn der Auftraggeber der berechtig-ten Forderung des Auftragnehmers nach Anpassung des Pauschalpreises nicht nach-kommt, kann dieser den Vertrag kündigen.245 Das gilt auch im umgekehrten Verhältnis.

Bei der Betrachtung dieser die Vergütung betreffenden VOB/B-Norm wird der Bezug zu den Grundsätzen über den Wegfall oder die Änderung der Geschäftsgrundlage viru-lent.

b) Verletzung des Transparenzgebotes

Das für das richtige Verständnis des Transparenzgebotes maßgebliche grundsätzliche EuGH-Urteil in der Rechtssache Kommission gegen Niederlande246 stellt hohe Anfor-derungen. Bereits das erste Kriterium des Transparenzgebotes, das der Klarheit, be-rührt ein grundsätzliches Problem.

Da mit § 2 Nr. 7 VOB/B der Bereich der Hauptleistungspflichten berührt und nachhaltig beeinflusst wird, stellt sich die Frage, ob und in wie weit es überhaupt zulässig ist, in Verbraucherverträgen mit Formulierungen und Maßstäben wie „Treu und Glauben“ im Sinne des § 242 BGB zu arbeiten. Auch wenn die Verwendung unbestimmter Rechts-begriffe nicht unzulässig ist,247 bleibt zu berücksichtigen, dass das Transparenzgebot

240 Vgl. Werner/Pastor, Bauprozess, Rdnr. 1179. 241 Vgl. BGH, BauR 1984, 61; OLG Düsseldorf, OLG-Report 1995, 52. 242 Vgl. Werner/Pastor, Bauprozess, Rdnrn. 1198 ff. 243 Vgl. OLG Düsseldorf, OLG Report 1995, 52. 244 Vgl. OLG Hamm, BauR 1993, 88; BauR 1998, 132; Vygen, BauR 1979, 386. 245 Vgl. BGH, NJW 1969, 233. 246 Vgl. Tempel, NZBau 2002, 470 mit Nachw. in Fn. 93. 247 Vgl. Anwaltkommentar-Hennrichs, § 307 Rdnr. 8; Palandt-Heinrichs, BGB, § 307 Rdnr. 18.

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seinerseits als Unterfall von Treu und Glauben zu qualifizieren ist.248 Dies führt zu dem bemerkenswerten Ergebnis, dass tatbestandliche Voraussetzung und Kontrollmaßstab ein und derselben Kategorie, Treu und Glauben angehören. Voraussetzung und Kon-trollmaßstab lassen sich (bereits) nicht einmal annähernd voneinander abgrenzen, stel-len vielmehr identische Gegenstände, eben einmal als Voraussetzung und zugleich als Kontrollinstrument hierfür als Maßstab für seine eigene Zulässigkeit dar. Das Problem intensiver zu erörtern, bleibt einer eigenen Untersuchung vorbehalten, zeigen lässt sich aber, dass die Verwendung der Begrifflichkeit „Treu und Glauben“ in Verbraucherver-trägen mehr als nur bedenklich erscheint.

Wenigstens führen die vorstehenden Ausführungen im Zusammenwirken mit der quali-tativen Komponente der Verständlichkeit als zweitem Kriterium des Transparenzgebo-tes zur Unwirksamkeit des § 2 Nr. 7 VOB/B. Vorweg wurden die von der Rechtspre-chung im Bereich des § 2 Nr. 7 VOB/B entwickelten Ausnahmen von der Anpassung des Vertrages in der Form der Kündigung des Vertrages bei unberechtigter Ablehnung des begründeten Anspruches auf Anpassung des anderen Vertragsteils dargestellt.249

Nun ist das Verständlichkeitsgebot seinem Zweck nach zugleich ein Informationsgebot. Der Verbraucher darf durch die Klausel über die Reichweite seiner Rechte und Pflich-ten nicht getäuscht werden.250 Maßstab auch im Sinne der Richtlinie 93/13/EWG ist das vom EuGH zum Wettbewerbsrecht entwickelte Leitbild des verständigen, informier-ten und kritischen Durchschnittsverbrauchers.251 Aber selbst einem mit diesen Attribu-ten gezierten Verbraucher wird die 20 %-Rechtsprechung unbekannt sein. Sie ist ihrer-seits alles andere als gesichert. Der solche Prozentzahlen ermöglichende Satzteil „Treu und Glauben“ ist geeignet und bestimmt, Einzelfallgerechtigkeit zu ermöglichen und herbeizuführen. Damit ist aber auch verbunden, dass die sog. 20 %-Rechtsprechung keinen allseits verbindlichen Maßstab definiert, vielmehr nur einen Durchschnittswert bereithält. Dem Verbraucher kann wohl kaum die Pflicht auferlegt werden, sich von einer in sich inkohärenten Rechtsprechung Kenntnis zu verschaffen. Genau umgekehrt muss der Verbraucher vor Vertragsabschluss anhand der ihm zu-gänglich gemachten Informationen vollumfänglich über seine Rechte informiert werden.

248 10.5.2001, Rs. C-144/99, Kommission/Niederlande, Slg. 2001, I-3541 Rdnr. 19 unter Ver-

weis auf den Generalanwalt Tizzano, Schlussantrag, 23.1.2001, Rdnr. 27. 249 Vgl. BGH, NJW 1969, 233. 250 Zurückzuweisen ist die Interpretation des Transparenzprinzips als Mittel der Einbeziehungs-

kontrolle von v. Westphalen, EWS 1993, 161, 165. Für eine europäische Lesart Bueso-Guillén, VuR 1994, 309; Gozzo, Europäische Hochschulschriften, Peter Lang, 1996; Brunet-ta d’Usseaux, Consumer Law Journal 1997, 231.

251 Siehe Punkt B.II.4b); Stoffels, JZ 2001, 843, 847 mwN.

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c) Verletzung des § 307 Abs. 2 BGB – Versagung eines Vertragslösungsrechts we-gen Wegfalls der Geschäftsgrundlage

Aus den Unterlagen zur Beratung des DVA zur VOB/B 2002 lässt sich entnehmen, dass eine Diskussion der Kodifizierung der Grundsätze über die Störung der Ge-schäftsgrundlage in § 313 BGB unterblieb. Die damit verbundene Problematik des Zu-rückbleibens der VOB/B-Regelung hinter den gesetzlich vorgeschriebenen Rechtsfol-gen wurde nicht erörtert. Der Reformgesetzgeber hat die von der Rechtsprechung und Lehre entwickelten Grundsätze in § 313 BGB kodifiziert. Inhaltlich führt dieser gesetz-geberische Akt grundsätzlich zu keinen Änderungen der bislang entwickelten Grund-sätze über den Wegfall oder die Störung der Geschäftsgrundlage.252 Nach der gesetz-lichen Regelung hat bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen grundsätzlich eine Vertragsanpassung stattzufinden, § 313 Abs. 1 BGB. Subsidiär kommt ein Rück-tritt vom Vertrag in Betracht, wenn eine Vertragsanpassung nicht möglich oder zumut-bar ist, § 313 Abs. 3 BGB. Die Abwicklung des gesetzlichen Rücktrittsrechts erfolgt über §§ 346 ff. BGB.253

Maßgeblich für die Wahl der richtigen Rechtsfolge ist das auf der Tatbestandseite er-forderliche Kriterium der Zumutbarkeit.254 Erkennbar wollte der Gesetzgeber für Aus-nahmefälle in Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechung255 dem benachteiligten Ver-tragsteil die Möglichkeit belassen, sich vom Vertrag zu lösen. Die zentrale Bedeutung dieser Überlegungen hat die Rechtsprechung bereits vor Schaffung des § 313 BGB anerkannt.256 Da es sich insoweit um eine gesicherte Rechtsprechung handelt, kann eine Diskussion der zwischen Rechtsprechung und Literatur mit unterschiedlichen An-satzpunkten, aber dennoch identischen Ergebnissen erörterten Problematik der We-sentlichkeit der Grundgedanken im Sinn des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB257 entfallen.

§ 2 Nr.7 VOB/B erwähnt die Möglichkeit des Auftraggebers, sich vom Vertrag lösen zu können nicht. Die hierin liegende Beschneidung der Rechte des Auftraggebers in Form der gänzlichen Versagung eines Lösungsrechtes vom Vertrag stellt eine unangemes-sene Benachteiligung des Auftraggebers dar. Zu keinem gegenteiligen Ergebnis ge-langt man, wenn man dem Argument folgt, der VOB/B-Vertrag sei ein Dauerschuldver-

252 Vgl. Anwaltskommentar-Krebs, aaO., § 313 Rdnr. 5; eine Ausnahme zu den von der Recht-

sprechung entwickelten Grundsätzen ergibt sich nur als eine Anpassung, die nicht mehr kraft Gesetzes, sondern auf Verlangen des Benachteiligten eintritt; vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, § 313 Rdnr. 29.

253 Vgl. Arnold, in: Das neue Schuldrecht, § 3 Rdnr. 59; Palandt-Heinrichs, BGB, Einf. v. § 346 Rdnr. 10.

254 Vgl. MünchKommBGB-Roth, § 242 Rdnr. 644, MünchKommBGB/Roth, § 313 Rdnr. 84. 255 Vgl. statt vieler BGHZ 133, 316, 328; MünchKommBGB-Roth, § 313 Rdnr. 84. 256 Vgl. BGH, NJW 1993, 2738, 2739 mwN; Palandt-Heinrichs, BGB, § 307 Rdnr. 30. 257 Vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, § 307 Rdnr. 25; Anwaltkommentar-Hennrichs, § 307 Rdnrn. 11

ff.

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hältnis.258 An die Stelle eines Rücktrittsrechtes träte die Möglichkeit einer Kündigung.259 Ein Lösungsrecht vom Vertrag verbleibt dem Besteller allemal. Aber ein solches sieht die untersuchte Klausel des § 2 Nr. 7 VOB/B gerade nicht vor. Da der Reformgesetz-geber alle wesentlichen Rechtsinstitute im Gesetz enthalten wissen möchte,260 es sich zudem bei § 313 BGB um eine Ausnahmevorschrift handelt,261 ist im Interesse der Rechtssicherheit eine weitere Ausnahme nicht akzeptabel. Der Gesetzgeber wollte mit § 313 BGB klare Vorgaben schaffen, die den Grundsatz pacta sunt servanda durch-brechen. In eine Ausnahmevorschrift weitere Ausnahmen durch Allgemeine Ge-schäftsbedingungen in das Vertragsverhältnis einzuführen, ist unangemessen und ver-stößt gegen den gesetzlichen Grundgedanken. Die Klausel bleibt in Bezug auf die Rechtsfolgen deutlich hinter den gesetzlichen Vorgaben zurück und ist deshalb als unwirksam zu qualifizieren.

d) Zusammenfassende Bewertung

§ 2 Nr. 7 VOB/B ist nicht nur infolge der Verwendung des unbestimmten Rechtsbegrif-fes „Treu und Glauben“ intransparent, sondern insbesondere wegen der fehlenden Information des Auftraggebers über seine Rechte. Jedoch nicht nur die Hürde des Transparenzgebotes mag § 2 Nr. 7 VOB/B nicht nehmen, sondern er verstößt zugleich gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, da durch die gänzliche Versagung eines Lösungsrech-tes vom Vertrage die Rechte des Auftraggebers beschnitten werden und zu einer un-angemessenen Benachteiligung führen.

3. § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B, § 4 Nr. 8 Abs. 1 Satz 3 VOB/B, § 5 Nr. 4 VOB/B, § 8 Nr. 3 VOB/B

§ 4 Nr. 7 Abs. 3 VOB/B

„...Kommt der Auftragnehmer der Pflicht zur Beseitigung des Mangels nicht nach, so kann ihm der Auftraggeber eine angemessene Frist zur Beseitigung des Mangels setzen und erklären, dass er ihm nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Auftrag entziehe (§ 8 Nr.3 VOB/B).“

§ 4 Nr. 8 Abs. 1 Satz 3 VOB/B

„...Erbringt der Auftragnehmer ohne schriftliche Zustimmung des Auftraggebers Leistun-gen nicht im eigenen Betrieb, obwohl sein Betrieb darauf eingerichtet ist, kann der Auf-traggeber ihm eine angemessene Frist zur Abnahme der Leistung im eigenen Betrieb setzen und erklären, dass er ihm nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Auftrag entziehe (§ 8 Nr. 3 VOB/B).“

258 Vgl. BGH, NJW-RR 1996, 1108, 1109. 259 Vgl. BGH, NJW 2000, 1714, 1716. 260 Vgl. Begr. z. RegE. BT-Drucks. 14/6040, 175. 261 Vgl. Begr. z. RegE. BT-Drucks. 14/6040, 174, 176.

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§ 5 Nr. 4 VOB/B

„Verzögert der Auftragnehmer den Beginn der Ausführung, gerät er mit der Vollendung in Verzug oder kommt er der in Nummer 3 erwähnten Verpflichtung nicht nach, so kann der Auftraggeber bei Aufrechterhaltung des Vertrages Schadenersatz nach § 6 Nr. 6 VOB/B verlangen oder dem Auftragnehmer eine angemessene Frist zur Vertragserfüllung setzen und erklären, dass er ihm nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Auftrag entziehe (§ 8 Nr. 3 VOB/B).“

§ 8 Nr. 3 VOB/B

„Der Auftraggeber kann den Vertrag kündigen, wenn in den Fällen des § 4 Nr. 7 und § 8 Abs. 1 und des § 5 Nr. 4 VOB/B die gesetzte Frist fruchtlos abgelaufen ist (Entziehung des Auftrages).“

a) Regelungsgehalt der Klauseln

Die durch die Neufassung der VOB/B 2002 unverändert gebliebene Regelung des § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B räumt dem Auftraggeber die Möglichkeit ein, auf die ordnungsge-mäße Leistungserbringung durch den Auftragnehmer noch vor der Abnahme des Wer-kes Druck auszuüben. Tritt bereits in diesem Stadium der Vertragsabwicklung ein Man-gel am Werk auf und kommt der Auftragnehmer seiner Mangelbeseitigungspflicht nicht nach, kann der Auftraggeber dem Auftragnehmer zur Mangelbeseitigung eine ange-messene Frist setzen und erklären, dass er dem Auftragnehmer nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Auftrag entziehe. Der auch durch die VOB/B-Reform 2002 unbe-rührt gebliebene § 8 Nr. 3 Abs. 1 VOB/B bestimmt, dass dem Auftraggeber nach frucht-losem Ablauf der Frist ein Kündigungsrecht zusteht. In Literatur und Rechtsprechung besteht Konsens, dass eine isolierte Mängelbeseitigungsaufforderung nicht genügt, um eine Entziehung des Auftrages zu begründen. Da an dem Erfordernis der Ankündigung der Auftragsentziehung festzuhalten ist, hat der Auftraggeber in einem solchen Fall nach fruchtlosem Ablauf der Frist eine erneute Frist mit der Ankündigung der Auftrags-entziehung zu setzen,262 um die Folgen des § 8 Nr. 3 VOB/B herbeiführen zu können.

Ein Kündigungsrecht steht dem Auftraggeber unter den gleichen Voraussetzungen im Fall der Übertragung von Leistungen durch den Auftragnehmer an einen Dritten ohne schriftliche Zustimmung des Auftraggebers zu. Dieser Umstand wird in der durch die VOB/B 2002 unverändert gebliebenen Klausel des § 4 Nr. 8 Abs. 1 Satz 3 VOB/B ge-regelt. Auch blieb mit der VOB/B 2002 das Kündigungsrecht des Auftraggebers für den Verzug des Auftragnehmers unangetastet, § 5 Nr. 4 VOB/B. Verzögert der Auftrag-nehmer den Ausführungsbeginn oder gerät er mit der Vollendung des Werkes in Ver-zug, kann der Auftraggeber ihm eine angemessene Frist zur Vertragserfüllung verbun-den mit der Ankündigung nach fruchtlosem Ablauf den Auftrag zu entziehen setzen.

262 Vgl. Oppler, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 4 Nr. 7 Rdnr. 42.

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Kennzeichnend für § 4 Nr. 7, Nr. 8, § 5 Nr. 4 VOB/B ist demnach, dass der Auftragge-ber für den Fall, dass der Auftragnehmer seinen Verpflichtungen nicht fristgemäß nach-kommt, regelmäßig zunächst androhen muss, den Auftrag zu entziehen, bevor er kündigen kann. Die Pflichtverletzung allein reicht nicht aus, ein Kündigungsrecht zu begründen. Allerdings weichte die Rechtsprechung das strenge Erfordernis der Ankün-digung der Auftragsentziehung auf. Eine Fristsetzung soll nicht erforderlich sein, wenn das Verhalten des Auftragnehmers es dem Auftraggeber unzumutbar macht, am Ver-trag festzuhalten und die Vertrauensgrundlage erschüttert hat.263

b) Verletzung des Transparenzgebotes

Das durch die Schuldrechtsmodernisierung in das BGB ausdrücklich aufgenommene Transparenzgebot kann als das vom EuGH und auch im sonstigen EG-Recht veranker-te Informationsmodell verstanden werden.264 Die beiden Maßstäbe der Transparenz, Klarheit und Verständlichkeit, zielen auf Wettbewerbstransparenz,265 verfolgen jedoch zugleich eine möglichst umfassende Information des Vertragspartners des Klauselver-wenders. Der Verwender ist verpflichtet, Pflichten, aber und insbesondere auch Rechte seines Vertragspartners in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen möglichst klar und durchschaubar darzustellen.266267

Zu konstatieren ist, dass § 5 Nr. 4 VOB/B den Verbraucher nur unvollständig über die tatsächlichen Möglichkeiten sich vom Vertrag zu lösen unterrichtet. Die von der Recht-sprechung anerkannte Möglichkeit, sich ohne Fristsetzung mit Androhung des Auf-tragsentzuges vom Vertrag lösen zu können, bleibt unerwähnt. Sicherlich würden die Anforderungen überspannt werden,268 verlangte man die Aufnahme jeder richterlichen

263 Vgl. BGHZ 50, 160. 264 Vgl. EuGH, EuZW 1990, 222; 1995, 245; Dreher, JZ 1997, 167, 170, 171;

Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, Art. 5 Rdnr. 1. 265 Siehe Punkt B.II.4c). 266 Vgl. BGH, NJW 2000, 651; Ulmer/Brandner/Hensen-Brandner, AGBG, § 9 Rdnr. 10. 267 Ein aufmerksamer und verständiger Vertragspartner, der sich mit der VOB/B konfrontiert

sieht, wird von deren Gesetzeskraft ausgehen. Den wahren Charakter der VOB/B als Allge-meine Geschäftsbedingungen erkennen nur die wenigsten Verbraucher. Die Ursache liegt in deren Behandlung im alltäglichen Rechtsverkehr und vermeintlich öffentlich-rechtlicher Ent-stehung. Die Richtigkeit dieser Sichtweise ergibt sich nicht zuletzt aus einem Blick in eines der gängigen Nachschlagewerke. So schreibt beispielsweise der Brockhaus über die VOB/B: ...„Verdingung (Submission), die Vergabe von Arbeiten oder Lieferungen durch Ausschrei-bung. Unternehmungen werden darin aufgefordert, ihre Angebote einzureichen. Das Verfah-ren der Verdingung ist besonders bei Aufträgen durch die öffentliche Hand üblich. Maßgebli-che Verwaltungsvorschriften sind die Verdingungsordnung für Bauleistung (VOB) und die Verdingungsordnung für Leistungen (VOL), ausgenommen Bauleistungen.“*

* Vgl. Der Brockhaus in 15 Bänden, Band 14 „Verdingung“. 268 Siehe zu diesem Problembereich BGH, NJW 1993, 2054.

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Entscheidung in Allgemeine Geschäftsbedingungen. Anders liegt die Situation aber, wenn sich die Rechtsprechung verfestigt hat.

Anerkannte und stabile Judikatur, die für Fachleute des jeweiligen Gebietes selbstver-ständlich ist, muss nach Ablauf einer angemessenen Wartefrist Niederschlag in Allge-meine Geschäftsbedingungen finden. Dass der DVA die Notwendigkeit der Aufnahme der Rechtsprechung zu den einzelnen Klauseln der VOB sieht, lässt sich unschwer aus dem Beschluss des Vorstandes des DVA vom 02.05.2002 zu § 13 Nr. 5 Abs. 1 und 2 VOB/B entnehmen. Insoweit sah der DVA sehr wohl die Notwendigkeit einer Änderung des § 13 Nr. 5 Abs. 1 und 2 VOB/B infolge der hierzu ergangenen höchstgerichtlichen Rechtsprechung.269 Insofern kann es keinen Zweifel am Erfordernis der Aufnahme der Rechtsprechung in Klauseln der VOB/B geben. Die bisherige Rechtsprechung zum Wegfall der Fristsetzung mit Androhung des Auftragsentzuges hätte in die VOB/B 2002 aufgenommen werden müssen.

c) Verletzung des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB – Festhalten an der Leistungsableh-nungsandrohung

Durch die Schuldrechtsmodernisierung wurde die Gewährleistungsregelung des Werk-vertrages dem neuen Leistungsstörungsrecht angepasst. Dem Besteller stehen im Wesentlichen die bisherigen Rechtsbehelfe zu.270 Die eigentliche Änderung des bishe-rigen gesetzlichen Leitbildes erfolgte in den §§ 634 ff. BGB und in den §§ 281, 323 BGB, auf die die §§ 634 ff. BGB verweisen. Das Erfordernis einer Fristsetzung mit Ab-lehnungsandrohung wurde ausdrücklich aufgegeben. Vielmehr genügt es seitens des Auftraggebers, dem Auftragnehmer bei Verzug oder der mangelhaften Herstellung des Werkes eine Frist zur Nacherfüllung (statt bisher Mangelbeseitigung) zu setzen. Ein Hinweis auf die Rechtsfolgen ist entbehrlich. Der Auftraggeber kann nach fruchtlosem Fristablauf frei zwischen einem Anspruch auf Schadenersatz nach § 281 BGB, ggf. i.V.m. den §§ 634 Nr. 4, 636 BGB, einem Rücktrittsrecht, § 323 BGB ggf. i.V.m. §§ 634 Nr. 3, 636 BGB oder der Ersatzvornahme nach §§ 634 Nr. 2 BGB i.V.m. § 637 BGB wählen.271 Zudem verfolgte der Reformgesetzgeber das Ziel einer Angleichung der Voraussetzungen für alle Sekundärrechte. Im Hinblick auf die Entstehung und Zielset-zung der maßgeblichen BGB-Normen kann es keinen begründeten Zweifel an der We-sentlichkeit der Neuregelung geben.

269 Vgl. Beschluss des Vorstandes des DVA vom 2.5.2002 Punkt 10, 25; Fran-

ke/Kemper/Zanner/Grün-hagen, VOB/B, § 13 Rdnr. 106. 270 Vgl. Anwaltkommentar-Raab, § 634 Rdnr. 11; Palandt-Sprau, BGB Vorbem. v. § 633 Rdnr.

1. 271 Vgl. Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, Kommentar zur VOB B II 2.

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Aus den Ergebnissen der Sitzungen des DVA lässt sich entnehmen, dass man an der bisherigen Regelung in Kenntnis des veränderten gesetzlichen Leitbildes festhalten wollte. Es wurde auch das Auseinanderfallen zwischen den VOB/B-Regelungen und dem neuen gesetzlichen Leitbild nicht nur auf der Tatbestandsebene, sondern auch auf der Rechtsfolgenseite gesehen und erörtert.272 Das Festhalten am Tatbestandserfor-dernis einer der „Leistungsablehnungsandrohung“ entsprechenden „Androhung des Auftragsentzuges“ wird mit dem im Baurecht geltenden Grundsatz von Treu und Glau-ben, sowie des zwischen den Parteien bestehenden Kooperationsverhältnisses be-gründet. Diese Sichtweise verkennt Grund und Reichweite der konkreten Normen im Gefüge der Schuldrechtsmodernisierung. Die Neuregelung verzichtet bewusst auf die tatbestandliche Voraussetzung „Ablehnungsandrohung“, da die von der Rechtspre-chung hierzu gestellten Anforderungen sich vielfach als Falle für die Besteller erwie-sen.273 Weiterhin erfolgte auch durch diesen Verzicht ein Gleichlauf der Voraussetzun-gen für alle Sekundärrechte.274

Folgerichtig bleibt es den Parteien eines Vertrages unbenommen, individualvertraglich andere Voraussetzungen, also eine Ablehnungsandrohung für die Geltendmachung eines Sekundärrechtes zu vereinbaren, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen müssen jedoch die §§ 307 ff. BGB beachtet werden.275 Die Prüfung der VOB/B-Regelungen an § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB führt zu deren Unwirksamkeit.276 Betrachtet man den aktuellen Anwendungsbereich der §§ 631 ff. BGB unter Beachtung des neuen § 651 BGB, verbleiben überwiegend Bauwerkverträge dem Anwendungsbereich der werkvertragli-chen Regelungen des BGB.277 Der Gesetzgeber wollte einheitliche Voraussetzungen für Sekundärrechte schaffen. Hiervon weicht die Klausel in nicht begründeter und un-angemessener Weise ab.

d) Verletzung des § 307 Abs. 2 Nr. 1BGB – Kündigungsrecht statt Rücktrittsrecht

Auch auf der Rechtsfolgenseite bleibt insofern ein Verstoß gegen das gesetzliche Leit-bild durch die VOB/B-Regelungen festzustellen als lediglich ein Kündigungsrecht statt eines Rücktrittsrechtes eingeräumt wird. Die Kündigung führt zu einer Vertragsbeendi-gung für die Zukunft und lässt den (teilweise) erbrachten Vertrag unberührt, der Rück-tritt berechtigt zur Rückgewähr bereits empfangener Leistungen.

272 Vgl. DVA, Beschluss vom 2.5.2002, 6, 7. 273 RegE. BT-Drucks. 14/6040, 262; Roth, JZ 2001. 274 Vgl. Anwaltkommentar-Raab, Vor § 631 ff. Rdnr. 7. 275 Vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, § 323 Rdnr. 2. 276 Vgl. insoweit schon Kiesel, NJW 2002, 2064, 2067; Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen,

VOB B IV. 277 Vgl. insoweit schon Kiesel, NJW 2002, 2064, 2067; Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen,

VOB B IV.

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Der vom DVA als Argument für die Beibehaltung der VOB/B-Regelungen bemühte § 649 BGB verfängt nicht. § 649 BGB lässt bis zur Kündigung beiden Vertragsparteien die allgemeinen Rechte.278 Keinesfalls beabsichtigt ist eine Reduktion auf ein Kündi-gungsrecht, vielmehr sollen die Rechte des Bestellers erweitert werden. Sofern die VOB/B nur ein Kündigungsrecht einräumt, verstößt sie gegen das gesetzliche Leitbild und ist nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.279

e) Zusammenfassende Bewertung

Da die zu § 5 Nr. 2 VOB/B ergangene Rechtsprechung im Wortlaut der Vorschrift keine Berücksichtigung findet und der Auftraggeber demzufolge über sein Recht, sich vom Vertrag gegebenenfalls auch ohne Fristsetzung mit Androhung des Auftragsentzuges lösen zu können, nicht unterrichtet wird, ist die Klausel gemessen am Gebot der Infor-mation des Verbrauchers intransparent.

Zugleich sind § 4 Nr. 7 Satz 3, Nr. 8 Abs. 1 Satz 3, § 5 Nr. 4 und § 8 Nr. 3 gemessen an der Generalklausel des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, da auf der Tatbe-standsseite an dem Erfordernis einer Leistungsablehnungsandrohung = Androhung des Auftragsentzuges festgehalten wurde und als Rechtsfolge nur die Möglichkeit einer Kündigung eingeräumt wird.

4. § 5 Nr. 1 und Nr. 2 VOB/B

„(1) Die Ausführung ist nach den verbindlichen Fristen (Vertragsfristen) zu beginnen, an-gemessen zu fördern und zu vollenden. In einem Bauzeitenplan enthaltene Einzelfristen gelten nur dann als Vertragsfristen, wenn dies im Vertrag ausdrücklich vereinbart ist.

(2) Ist für den Beginn der Ausführung keine Frist vereinbart, so hat der Auftraggeber dem Auftragnehmer auf Verlangen Auskunft über den voraussichtlichen Beginn zu erteilen. Der Auftragnehmer hat innerhalb von zwölf Werktagen nach Aufforderung zu beginnen. Der Beginn der Ausführung ist dem Auftraggeber anzuzeigen.“

a) Regelungsgehalt der Klauseln

Bereits seit langem unverändert geblieben ist § 5 Nr. 1 und Nr. 2 VOB/B, der sich mit der in der gesamten VOB/B besonders gewichtigen Thematik der Ausführungsfristen auseinandersetzt. Einerseits steht das primäre Interesse des Auftraggebers, das Bau-gewerk rechtzeitig fertiggestellt zu erhalten, um es wie beabsichtigt der geplanten Nut-zung zuführen zu können.280 Dagegen steht das Interesse des Auftragnehmers sich im Hinblick auf seine betrieblichen Dispositionen eine gewisse Flexibilität zu erhalten und

278 Vgl. Köln, MDR 1969, 903; Palandt-Sprau, BGB, § 649, Rdnr. 9. 279 So auch Kiesel, NJW 2002, 2064, 2067. 280 Vgl. Döring, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 5 Rdnr. 1.

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die von ihm dem Vertrag zugrunde gelegte Preisgestaltung einzuhalten. Damit sind die Grundlagen der Gesamtbaukostenermittlung durch die zeitabhängigen und produktiven Baukosten angesprochen.281 Weil die Gründe für Bauverzögerungen vielgestaltig sind, liegt die Entstehung von Schäden in Form von beispielsweise Mietausfällen, Lohnkos-ten und ähnlichem nahe, die aber regelmäßig nach ihrer Entstehung keiner überneh-men möchte.

Nun versucht § 5 VOB/B in Ausfüllung der gesetzlichen Vorgaben der §§ 631 ff. BGB, insbesondere aber des § 323 BGB, die fehlende Regelung für den Zeitraum der Werk-herstellung unter Beachtung der Besonderheiten des Bauvertragswesens zu gestal-ten.282 Dabei formuliert § 5 Nr. 1 Satz 1 VOB/B als Grundregel, dass die Ausführung der geschuldeten Leistung nach den Vertragsfristen zu beginnen, zu fördern und zu vollenden ist. Die in einem Bauzeitenplan enthaltenen Fristen gelten nach Satz 2 je-doch nur dann als Vertragsfristen, wenn dies ausdrücklich vereinbart wurde.

Vertragsfristen sind „verbindliche Fristen“. Nach juristischer Terminologie handelt es sich um Fristen, die durch besondere vertragliche Vereinbarungen ausdrücklich festge-legt wurden oder deren Verbindlichkeit sich zweifelsfrei im Wege der Vertragsausle-gung nach Maßgabe der §§ 133, 157, 242 BGB ermitteln lässt.283 Mindestvorausset-zung für die Verbindlichkeit der Frist ist, dass dies durch die Angabe ganz bestimmter, uneingeschränkter im Sinn einer klar gewollten Verpflichtung genannter Daten oder Zeiträume bestimmt wird.284 Allgemein zeitliche Vorstellungen, wie beispielsweise „cir-ca“ oder „etwa“ genügen diesem Erfordernis nicht. Die Verwendung von Bauzeitplänen ist bei komplexen Bauvorhaben angezeigt. Darin festgelegte Einzelfristen, die grund-sätzlich Bedeutung für die Abfolge der einzelnen Baugewerke und somit den gesamten Baufortschritt haben, werden nur dann zu Vertragsfristen, wenn dies nochmals geson-dert vereinbart wird. Allein durch ihre Aufnahme in den Bauzeitenplan werden sie nicht zu „verbindlichen Fristen“.

Diese hohen Anforderungen an die Verbindlichkeit von Fristen führen in der Praxis dazu, dass oftmals die im Bauvertrag oder seinen Bestandteilen enthaltenen Fristen eben nicht als Vertragsfristen im Sinne der Nr. 1 des § 5 VOB/B zu behandeln sind.285 Deshalb kommt Nr. 2 des § 5 VOB/B zum Zuge. Dieser Regelung zufolge ist der Be-ginn der Ausführung von einer Aufforderung des Auftraggebers abhängig. Es handelt sich um eine zu den Nebenpflichten zählende Mitwirkungspflicht des Auftraggebers, deren Verletzung im Fall schuldhafter Verzögerung einen Schadensersatzanspruch 281 Vgl. Döring, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 5 Rdnr. 1. 282 Vgl. Döring, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 5 Rdnr. 1; Locher, BauR Rdnr. 117. 283 Vgl. Korbion/Hohstein/Keldungs, VOB/B Rdnr. 258; Döring, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, §

5 Nr. 1-3 Rdnrn. 3 284 Vgl. Döring, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 5 Nr. 1-3 Rdnr. 3. 285 Vgl. Döring, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 5 Nr. 1-3 Rdnr. 3.

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des Auftragnehmers nach § 6 Nr. 6 VOB/B unter gleichzeitiger Verlängerung der Aus-führungsfrist oder ein Kündigungsrecht nach § 9 Nr. 1 a VOB/B zur Folge haben kann.286

b) Verletzung des Transparenzgebotes

Da das Transparenzgebot auch Wettbewerbstransparenz gewährleisten soll, ist jede Klausel unter Beachtung des gemeinschaftsrechtlichen Verständnisses an den Maß-stäben der Klarheit und Verständlichkeit zu messen. Das Gebot der Klarheit bezieht sich auf die rechtliche Wirkung einer Klausel einschließlich ihrer Konsequenzen. Das Gebot der Verständlichkeit enthält ein Informationsgebot in Form eines Irreführungs-verbotes des Verbrauchers über die Reichweite seiner Rechte und Pflichten.287

Der Auftraggeber, der im Zusammenhang mit der Planung seines Einfamilienheimes eine Vielzahl komplexer Pläne und Verzeichnisse vorgelegt erhält, wird regelmäßig darauf vertrauen, dass der ihm vorgelegte Zeitplan tatsächlich auch verbindlich ist. Ja, er muss sich auf die bei ihm geweckte Erwartung der Verbindlichkeit der Zusage be-stimmter Fristen und Termine verlassen können. Wird ihm vom Auftragnehmer ein Ver-tragsangebot vorgelegt, spielt bei der Höhe des Gesamtbaupreises die zu erwartende Arbeitszeit der Arbeitnehmer des Auftragnehmers eine maßgebliche Rolle. An dieser Stelle variieren die einzelnen Angebote unter Umständen dermaßen stark, dass ein Vergleich der Angebote kaum mehr möglich ist.

Zudem sind im Rahmen der Vertragsverhandlungen mitgeteilte Fristen und Termine für den Verbraucher von besonderem Belang für weitere von ihm zu treffende Dispositio-nen. So ist beispielsweise eine Kündigung der bislang bewohnten Mietwohnung, die Aufnahme weiterer Darlehen und ähnliches von Nöten. Sind die Fristen entgegen dem vermittelten Eindruck als unverbindlich zu werten, können für den Auftraggeber erheb-liche wirtschaftliche Nachteile auftreten.

Zur Vermeidung dieser Nachteile ist der Auftraggeber gezwungen, die Verbindlichkeit der Fristen mit dem Auftragnehmer individualvertraglich zu vereinbaren. Dies setzt je-doch die Kenntnis des Auftraggebers von der Möglichkeit voraus, von der VOB/B ab-weichende Vereinbarungen zu treffen. Genau daran wird es ihm fehlen. Insofern wird er von der Diskrepanz zwischen dem erweckten Eindruck der Verbindlichkeit und der klaren Anordnungen, dass ein solcher Zeitplan regelmäßig unverbindlich ist, überrascht

286 Vgl. Döring, in: Ingenstau/Korbion VOB/B, § 5 Nr. 1-3 Rdnr. 11; Korbion/Hohstein/Keldungs,

VOB/B Rdnr. 265 am Ende; Locher, BauR, Rdnr. 117. 287 Zurückzuweisen ist die Interpretation des Transparenzprinzips als Mittel der Einbeziehungs-

kontrolle von v. Westphalen, EWS 1993, 161, 165. Für eine europäische Lesart cf. Bueso-Guillén, VuR 1994, 309; Gozzo, Europäische Hochschulschriften, Peter Lang, 1996; Brunet-ta d’Usseaux, Consumer Law Journal 1997, 231.

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werden. Der Überraschungseffekt gilt als Unterfall des Transparenzgebotes.288 Er lässt sich beseitigen, indem dem Bauherrn die notwendigen Informationen zur Verfügung gestellt werden. Die Tatsache, dass die VOB/B weder Gesetz noch Rechtsverordnung ist und weder in die Gruppe der allgemeinen Geschäftsbedingungen eingeordnet noch mit diesen auf eine Stufe gestellt werden kann,289 nährt den Eindruck der Rechtsver-bindlichkeit der VOB/B. Den wenigsten Verbrauchern ist bewusst, dass die VOB/B Ver-tragsbestandteil nur kraft individueller Parteivereinbarung zwischen Auftraggeber und Bauunternehmer wird.

Wird der Verbraucher nicht einmal über die Folgen einer fehlenden Individualvereinba-rung unterrichtet, wiegt es umso schwerer, ihm die Verpflichtung aufzubürden, den Beginn der Ausführung der Arbeiten zu verlangen. Nicht nur, dass dem Auftragnehmer unter Umständen ein Schadensersatzanspruch gegen den Auftraggeber erwächst, der Auftraggeber muss sämtliche Schäden, die ihm als Folge der Unverbindlichkeit der Fristen entstehen, selbst tragen, obwohl ihm suggeriert wurde, die Fristen wären ein Maßstab für den Baufortschritt. Als denkbarer Ausweg bleibt nur, dem Transparenzge-bot zur vollen Wirksamkeit zu verhelfen. Deshalb kann nur eine Regelung als gemein-schaftskonform gelten, die den Verbraucher auf die Notwendigkeit verweist, eine indi-viduelle Vereinbarung treffen zu müssen, will der dem Verdikt der Unverbindlichkeit entgehen.

c) Verletzung des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB – Leistung bei Aufforderung

§ 271 BGB befasst sich mit der wesentlichen Leistungsmodalität der Leistungszeit. Für den Fall des Fehlens von Sonderregeln in Form von vertraglichen Abreden oder ab-weichender gesetzlicher Vorschriften gilt § 271 BGB als Ausdruck des typischen Par-teiwillens und ergänzender Rechtssatz der sofortigen Fälligkeit und Erfüllbarkeit.290 Dass es sich bei dieser dispositiven Regelung um einen Grundgedanken der gesetzli-chen Regelung handelt, steht außer Streit.291

Als wesentliche Grundgedanken der gesetzlichen Regelung sind der Zweck der Rege-lung und die in ihr getroffene Wertentscheidung anzusehen, bestimmte Interessen in einem Kernbereich schützen wollen. Soweit ersichtlich hat die Rechtsprechung zu der dieser Frage bisslang nicht Stellung bezogen. Der Gesetzgeber beabsichtigt mit dieser Regelung einen unklaren Rechtszustand hinsichtlich der Frage, wann zu leisten ist, zu vermeiden, indem er die sofortige Fälligkeit und Erfüllbarkeit anordnet. Es liegt im Inte-resse der Vertragsparteien, über den Umstand, wann eine Leistung zu erfolgen hat

288 Allg. Ansicht, MünchKomm-Basedow, § 305 c BGB, Rdnr. 2. 289 Vgl. BGHZ 55, 198. 290 Vgl. statt vieler Palandt-Heinrichs, BGB, § 271 Rdnr. 2. 291 Vgl. ebenfalls statt vieler Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, § 9 Rdnr. 67.

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bzw. wann diese zu erbringen ist, Bescheid zu wissen. Eine vertragliche Abrede über einen späteren Fälligkeitszeitpunkt ist vom Gesetz vorgesehen. Jedoch ist eine Partei-vereinbarung über den Fälligkeitszeitpunkt erforderlich. In der für die VOB/B typischen Ausgangskonstellation wird das Klauselwerk jedoch einseitig gestellt. Eine „Vereinba-rung“ im Sinne des § 271 BGB liegt nicht vor.

Die in § 5 Nr. 2 VOB/B enthaltene Regelung lässt sich mit den Worten zusammenfas-sen, dass der zur Leistung verpflichtete Auftragnehmer nur dann zu leisten hat, wenn er aufgefordert wird. Diese Konsequenz folgt nicht etwa aus einer individuellen Verein-barung, sondern aus einseitig aufgestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Ein sachlicher Grund für diese den Auftragnehmer einseitig bevorzugende Regelung ist nicht ersichtlich. Somit wird durch die VOB/B das Tatbestandserfordernis einer abwei-chenden Vereinbarung abbedungen, ohne dass hierfür Handlungsbedarf besteht. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Leistung bei Fehlen einer Vereinbarung sofort fällig sein, § 271 Abs. 1 BGB. Die Analyse der jüngsten gesetzgeberischen Entschei-dungen im Zusammenhang mit der Schuldrechtsmodernisierung bestätigt das gefun-dene Ergebnis. Mit der Abschaffung der Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung als Tatbestandsvoraussetzung für die Ausübung eines Rücktrittsrechts macht der Gesetz-geber deutlich, dass nicht nur übertriebener Formalismus verhindert werden, sondern die Leistung unverzüglich erfolgen soll. Der Gesetzgeber setzt auf die schnelle Abwick-lung von Rechtsverhältnissen. Auch wenn diese Regelungen die Fälligkeit der Leistung begrifflich voraussetzen und somit systematisch nach der hier erörterten Thematik der Fälligkeit der Leistung anzusiedeln sind, lässt sich aus ihnen dennoch die grundsätzli-che gesetzgeberische Entscheidung ableiten, dass bei bestehender Leistungspflicht die Leistung auch zu erbringen ist. Ein „Warterecht“ gibt es nicht.

d) Verletzung des § 307 Abs. 2 – Ausnutzung der AGB-typischen Verhandlungs-schwäche des privaten Bauherrn

Das eigentliche Problem der Regelung in § 5 Nr. 1 und Nr. 2 VOB/B liegt nicht in der Information des Kunden über die Folgen unverbindlicher Termine, sondern darin, dass er über die VOB/B in die Abhängigkeit von der Mitwirkung des Unternehmers gedrängt wird, wenn er die Verbindlichkeit der Termine erreichen will. Möglich ist das für den Auftragnehmer günstige Ergebnis nur, weil die VOB/B sich die typische Verhandlungs-schwäche des privaten Bauherrn zunutze machen. Insofern verstärkt sich der Ein-druck, dass hier möglicherweise eine neue eigenständige Fallkonstellation vorliegt, die zur Unwirksamkeit von AGB-Klauseln führen kann.

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e) Zusammenfassende Bewertung

§ 5 Nr. 1 und Nr. 2 VOB/B stellt nicht nur eine intransparente Klausel dar, da über die Folgen unverbindlicher Termine keine Aufklärung erfolgt und somit der Maßstab des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht erreicht wird. Hinzu tritt ein Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB durch die Anordnung in § 5 Nr. 2 VOB/B, dass der Auftraggeber die an sich ihm unverzüglich zustehende Leistung einzufordern hat.

5. § 7 Nr. 1 VOB/B

„Wird die ganz oder teilweise ausgeführte Leistung vor der Abnahme durch höhere Ge-walt, Krieg, Aufruhr oder andere objektiv unabwendbare, vom Auftragnehmer nicht zu vertretende Umstände beschädigt oder zerstört, so hat dieser für die ausgeführten Teile der Leistung die Ansprüche nach § 6 Nr. 5 VOB/B; für andere Schäden besteht keine ge-genseitige Ersatzpflicht.“

a) Regelungsgehalt

Der in der VOB/B 2002 unverändert gebliebene § 7 VOB/B formuliert eine Ausnahme vom Grundsatz des § 12 Nr. 6 VOB/B. Grundsätzlich geht das Risiko für den Bestand der erbrachten Leistung auch beim VOB-Vertrag erst mit der Abnahme vom Auftrag-nehmer auf den Auftraggeber über. Hiervon trifft § 7 VOB/B eine Ausnahme für Fälle, Umstände und Geschehnisse, die nicht in der Sphäre der Vertragsparteien liegen,292 mit der Folge, dass der Auftraggeber die Vergütungsgefahr trägt. § 7 VOB/B regelt wie §645 BGB die Vergütungsgefahr.293 Für andere als in § 7 Nr. 1, 1. Hs. VOB/B genannte Schäden besteht keine gegenseitige Ersatzpflicht, § 7 Nr. 1, 2. Hs. VOB/B. Somit be-hält der Auftragnehmer seinen Vergütungsanspruch, wenn die in § 7 Nr. 1 VOB/B ge-nannten Umstände/Ereignisse objektiv unabhängig von der konkreten Situation des betroffenen Auftragnehmers unvorhersehbar und unvermeidbar waren.294 Im übrigen findet die Regelung des § 645 BGB auch auf den VOB/B-Vertrag Anwendung.295

Nach den auch durch die Schuldrechtsmodernisierung unverändert gebliebenen Ge-fahrtragungsregeln im Werkvertragsrecht trägt der Unternehmer bis zur Abnahme die Leistungsgefahr. Diese in §§ 644, 645 BGB vom Gesetzgeber getroffene Grundent-scheidung zieht für den Auftragnehmer bis zur Abnahme ein erhöhtes Risiko nach sich. Er hat bis zur Abnahme keinen Vergütungsanspruch für seine bisherigen Arbeiten und Aufwendungen, wenn die Ausführung des Werkes unmöglich wird oder der Stoff oder das Werk sich verschlechtert oder untergeht. Mit dieser Regelung wird der Charakter

292 Vgl. Oppler, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 7 Rdnr. 1; Werner/Pastor, Bauprozess, Rdnr.

1346. 293 Vgl. BGH, NJW 1977, 1966, 1967; Nicklisch/Weik-Weik, VOB, § 7 Nr. 4 294 Vgl. Korbion/Hohstein/Keldungs, VOB, Rdnr. 337. 295 Vgl. Oppler, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 7 Rdnr. 12.

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des den Werkvertrag kennzeichnenden Moments der Erfolgsbezogenheit und des Un-ternehmerrisikos hervorgehoben.296 Der in § 644 Abs. 1 Satz 1 BGB enthaltene Grund-satz findet sich in § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB wieder. Selbst wenn die §§ 320 ff. BGB den Gefahrtragungsregeln der §§ 644 und 645 BGB nachrangig sind,297 ist das dort formulierte gesetzgeberische Leitbild als Grundentscheidung zu verstehen. Eine Risi-koverlagerung auf den Besteller für die Zeit bis zur Abnahme sieht das Gesetz für den Fall des Verzuges des Bestellers mit der Abnahme, § 644 Abs. 1 Satz 2 BGB, des zu-fälligen Unterganges oder der zufälligen Verschlechterung des vom Besteller geliefer-ten Stoffes, § 644 Abs. 1 Satz 3 BGB, vor. Die letzte Variante spielt bei vom Auftrag-geber bereit gestellten Baustoffen und Bauteilen, sowie gegebenenfalls bei dem zur Verfügung gestellten Baugrundstück eine gewichtige Rolle.298

b) Verletzung von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB – Verlagerung des Unternehmerrisikos

Als wesentlicher Grundgedanke der gesetzlichen Regelung sind ihr Zweck und die in ihr getroffenen Wertentscheidungen zu analysieren, um herauszufinden, ob sie als Orientierung nach Maßgabe des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB dienen kann.299 Den dispositi-ven §§ 644, 645 BGB kommt eine Ordnungs- und Leitbildfunktion zu.300 Die Frage der Wesentlichkeit und ihre Abgrenzung ist zwischen Rechtsprechung und Literatur im Einzelnen umstritten,301 führt aber regelmäßig zu identischen Ergebnissen. Die AGB-rechtliche Zulässigkeit des § 7 VOB/B wird kontrovers diskutiert.302 Die Auseinander-setzung setzt bei der Wesentlichkeit der Risikoverteilung an.303

Die Befürworter der Zulässigkeit des § 7 VOB/B stützen sich insbesondere auf die Be-sonderheiten eines Bauablaufes. Baugewerke sind in erhöhtem Maße äußeren Ein-flüssen ausgesetzt. Auch sind sie schlechter vor Beschädigungen oder Zerstörung zu

296 Vgl. Palandt-Sprau, BGB, §§ 644, 645 Rdnr. 4; Einführung 1, vor § 631; Locher, BauR, Rdnr.

136. 297 Vgl. Palandt-Sprau, BGB, §§ 644, 645 Rdnr. 4; Einführung 1, vor § 631; Locher, BauR,Rdnr.

136. 298 Vgl. Palandt-Sprau, BGB, §§ 644, 645 Rdnr. 4; Einf. v. § 631 Rdnr. 1; Locher, BauR, Rdnr.

136; Werner/Pastor, Bauprozess, Rdnr. 1366. 299 Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, § 9 Rdnr. 70; Palandt-Heinrichs, BGB, § 307 Rdnrn. 25,

27. 300 Vgl. hierzu BGHZ 89, 211; 54, 110. 301 Vgl. BGHZ 41, 154; 54, 110; 89, 211; 115, 42: Unterscheidung zwischen frei abänderbaren

Zweck-mässigkeitsregeln und nicht dispositiven Gerechtigkeitsgeboten; aus der Literatur Ulmer/Brand-ner/Hensen-Hensen, AGBG, § 9 Rdnr. 133; Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, § 9 Rdnr. 72: Wem dient die Norm? Frage nach dem wesentlichen Schutzbedürfnis.

302 Zulässig: Wolf/Horn/Lindacher-Horn, AGBG, § 23 Rdnr. 253 mwN.; Oppler, in: In-genstau/Korbion, VOB/B, § 7 Nr. 1-3 Rdnr. 1; unzulässig: Ulmer/Brandner/Hensen-Hensen, AGBG, §§ 9-11 Rdnr. 911; Schmidt-Salzer, BB-Beilage 1, 1973, 8.

303 Vgl. Wolf/Horn/Lindacher-Horn, AGBG, 23 Rdnr. 253.

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schützen als andere Werkleistungen.304 Aus diesen Gründen sei die Regelung des § 7 VOB/B gerechtfertigt. Diese Sichtweise versperrt den Blick auf die tatsächlichen Gege-benheiten. Oftmals wird dem Bauherrn entgegen § 4 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B der Zugang zu „seiner“ Baustelle verweigert und dieser damit gänzlich ohne Einflussmöglichkeiten auf den Bau gestellt.305 Auch bleibt die Wertung des § 5 Nr. 4 VOB/B ebenso außen vor,306 wie die für den Unternehmer bestehende Möglichkeit, eine Bauwesenversiche-rung abzuschließen.307 Aus diesen Gründen ist die gesetzliche Regelung interessenge-recht. Eine einschränkende Auslegung kann die Mängel des § 7 VOB/B308 nicht besei-tigen. Der Gesetzgeber wollte den Besteller mit seiner Entscheidung über die Risiko-verteilung schützen.

Diese Rechtsaufassung erhärtet sich durch einen Blick auf § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB. § 644 Abs. 1 Satz 1 BGB normiert und spezifiziert nur die dort enthaltene Regel für den Werkvertrag. Insofern ist von einer gesetzgeberischen Grundsatzentscheidung auszu-gehen. Kennzeichen des Werkvertrages ist seine Erfolgsbezogenheit. Die Vergütung soll erst verlangt werden können, wenn das Werk fertig gestellt ist. Bis dahin trägt der Unternehmer das Risiko des Gelingens des Werkes. Der insoweit ohne Einfluss ge-stellte Besteller sollte geschützt werden.

Die §§ 644 und 645 BGB formulieren einen wesentlichen Leit-/Grundgedanken des Gesetzes. Da § 7 VOB/B abweichend von diesem Bild eine Gefahrverlagerung zu Las-ten des Auftraggebers vornimmt, ist § 7 VOB/B mit § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht ver-einbar.309 Eine Kompensation der dadurch entstehenden Nachteile für den Besteller ist nicht ersichtlich. Die Klausel benachteiligt den Auftraggeber ohne sachlich rechtferti-gende Begründung unangemessen.

c) Zusammenfassende Bewertung

§ 7 Nr. 1 VOB/B hält einer Inhaltskontrolle nach Maßgabe des deutschen Rechts nicht stand. § 7 Nr. 1 VOB ist gemessen an § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, da er zu einer Gefahrverlagerung zu Lasten des Auftraggebers führt.

6. § 12 Nr. 5 Abs. 1 bis Abs. 3 VOB/B

„(1) Wird keine Abnahme verlangt, so gilt die Leistung als abgenommen mit Ablauf von zwölf Werktagen nach schriftlicher Mitteilung über die Fertigstellung der Leistung.

304 Vgl. hierzu statt vieler Locher, BauR Rdnr. 137; Oppler, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 7

Nr. 1-3 Rdnrn. 1, 8. 305 Vgl. Ulmer/Brandner/Hensen-Hensen, AGBG, Anh. §§ 9-11, Rdnr. 911. 306 Siehe oben Punkt C.II.3. 307 Vgl. Wolf/Horn/Lindacher-Horn, AGBG, § 23, Rdnr. 253. 308 So aber Wolf/Horn/Lindacher-Horn, AGBG, Rdnr. 253. 309 Vgl. Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, § 9 Rdnr. 76.

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(2) Wird keine Abnahme verlangt und hat der Auftraggeber die Leistung oder einen Teil der Leistung in Benutzung genommen, so gilt die Abnahme nach Ablauf von sechs Werktagen nach Beginn der Benutzung als erfolgt, wenn nichts anderes vereinbart ist. Die Benutzung von Teilen einer baulichen Anlage zur Weiterführung der Arbeiten gilt nicht als Abnahme.

(3) Vorbehalte wegen bekannter Mängel oder wegen Vertragsstrafen hat der Auftragge-ber spätestens zu den in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten Zeitpunkten geltend zu machen.“

a) Regelungsgehalt

Die in der VOB/B 2002 sprachlich klarer gefasste Norm hat lediglich kosmetische Kor-rekturen erfahren.310 Damit können wie bisher die folgenreichen Wirkungen der Ab-nahme wie Beendigung des Erfüllungsstadiums, Umkehr der Beweislast, Übergang der Leistungsgefahr, Beginn der kurzen Gewährleistungsfristen, Übergang der Vergü-tungsgefahr, möglicher Ausschluss von Gewährleistungsansprüchen und Beginn des Abrechnungsstadiums rasch und unabhängig vom Willen des Auftraggebers eintre-ten.311 Denn § 12 Nr. 5 VOB/B regelt in seinem Abs. 1 und Abs. 2 Abnahmefiktionen. Diese haben nichts mit den hiervon abzugrenzenden stillschweigenden Abnahmehand-lungen zu tun, die durch schlüssiges Verhalten erfolgen.312 Beiden Fiktionen gemein-sam ist, dass keine Abnahme verlangt wird. In Erweiterung hierzu finden nach der Rechtsprechung die Abs. 1 und 2 auch bei Verweigerung der Abnahme Anwendung.313

Nach Abs. 1 gilt die Leistung mit Ablauf von zwölf Werktagen nach schriftlicher Mittei-lung über die Fertigstellung als abgenommen. Die Rechtsprechung hat den Begriff der schriftlichen Mitteilung inzwischen konkretisiert. Die Voraussetzungen liegen vor, wenn sich aus einem dem Auftraggeber zugeleiteten Schriftstück eine derartige Mitteilung inhaltlich zweifelsfrei entnehmen lässt, so dass beispielsweise die Übersendung einer Schlussrechung314 oder gar der bloßen Mitteilung des Auftragnehmers über die Räu-mung der Baustelle315 ausreicht. Mit Zugang dieser Erklärung beginnt die Zwölftages-frist des Abs. 1 zu laufen. Nach Abs. 2 gilt, wenn der Auftraggeber die Leistung oder einen Teil der Leistung in Benutzung genommen hat und nichts anderes vereinbart ist, die Abnahme nach Ablauf von sechs Werktagen nach Beginn der Benutzung als er-folgt.

310 Vgl. Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, Die Neuregelungen der VOB/B 2002 DII; so auch

Beschluss des Vorstandes des DVA vom 02.05.2002, 4, 10 ff. 311 Vgl. statt vieler Locher, BauR, Rdnr. 145. 312 Vgl. hierzu Oppler, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 12 Rdnr. 10. 313 Vgl. hierzu BGH, BauR 1979, 152. 314 Grundlegend BGH, NJW 1971, 839; OLG Düsseldorf, BauR 1997, 842 = NJW-RR 1997,

1178. 315 Vgl. Oppler, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B § 12 Nr. 5 Rdnr. 11 m.w. Beispielen.

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Nun erschöpft sich der unter der Überschrift „Abnahme“ erfasste § 12 Nr. 5 VOB/B nicht in den vorstehenden Regelungen. Nach seinem Abs. 3 der Vorschrift muss sich der Auftraggeber nämlich innerhalb der entsprechenden Fristen seine Ansprüche we-gen bekannter Mängel und verwirkter Vertragsstrafen vorbehalten, will er sie nicht ver-lieren. Dabei ist diese Regelung für den Fall der fiktiven Abnahme dahingehend auszu-legen, dass anstelle des sonst für Vorbehalte maßgeblichen Zeitpunktes die in Abs. 1 und Abs. 2 genannten Fristen treten.316 Dabei hat die Rechtsprechung es für ausrei-chend erachtet, wenn der Auftraggeber innerhalb der zwölf- bzw. sechstägigen Frist eine kurz vorher geäußerte Mängelrüge erkennbar aufrecht erhält.317 Die VOB/B schweigt sich über die Frage aus, bis zu welchem Zeitpunkt nach Fertigstellung oder Inbezugnahme die Abnahme verlangt werden muss, um den Eintritt der vorstehenden Fiktionen zu verhindern.318

b) Privilegierung der VOB/B in § 308 Nr. 5 BGB – die fehlende innere Logik

Dass die Privilegierung vor dem Gemeinschaftsrecht keinen Bestand hat, wurde be-reits erläutert.319 Hier kommt es allein darauf an zu zeigen, dass die Privilegierung in-haltlich nicht gerechtfertigt ist. Die vom Gesetzgeber in § 308 Nr. 5 BGB (früher § 23 Abs. 2 Nr. 5 AGBG) angeordnete Freistellung der Erklärungsfiktion der VOB/B von einer Inhaltskontrolle zielte vor allem auf § 12 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B.320 Jedoch wird infol-ge der weiten sprachlichen Fassung des § 308 Nr. 5 BGB unter anderem auch § 12 Nr. 1 Abs. 1 VOB/B in diese Privilegierung einbezogen.321 Da § 12 Nr. 5 Abs. 3 VOB/B abhängig von § 12 Nr. 5 Abs. 1 und Abs. 2 VOB/B ist, unterfällt er ebenfalls dem An-wendungsbereich.

Die Kontrollnorm mit Wertungsmöglichkeit des § 308 Nr. 5 BGB beruht auf § 307 Abs.2 Nr. 1 BGB322 und findet teilweise im Anhang Nummer 1 h) und Nummer 1 i) der Richtli-nie 93/13/EWG zu Artikel 3 Abs. 3 eine gemeinschaftsrechtliche Vorgabe.323 Weil der

316 BGHZ 33, 236, 239; Nicklisch/Weik-Nicklisch, VOB, § 12 Rdnrn. 88, 89. 317 Vgl. BGH, BauR 1975, 344 = NJW 1975, 1701, außerhalb der Abnahme nach Nr. 5 ist dies

streitig. 318 Siehe dazu BGH, BauR 1977, 344; 1987, 727. 319 Vgl. B.I.5 und B.II.5. 320 Vgl. Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, § 10 Nr. 5 Rdnr. 12; Palandt-Heinrichs, BGB, § 308

Rdnr. 28. 321 Strittig, dafür Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, § 10 Nr. 5 Rdnr. 12; Palandt-Heinrichs,

BGB, § 308 Rdnr. 28; dagegen Wolf/Horn/Lindacher-Horn, AGBG, § 23 Rdnr. 244; Nicklisch/Weik-Weik, VOB, § 12 Rdnr. 92.

322 Vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, § 308 Rdnr. 25. 323 Vgl. MünchKommBGB-Basedow, § 308 Rdnr. 2, der klarstellt, dass die Richtlinie keine ent-

sprechende Regelung enthält, aber § 308 Nr. 5 im Lichte von Anhang 1 i richtlinienkonform auszulegen ist.

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Grundsatz, dass Schweigen in der Regel keine Willenserklärung ist,324 ein wesentli-ches Prinzip des deutschen Privatrechtes darstellt,325 zugleich jedoch Erklärungsfiktio-nen der Rechtssicherheit durch Herstellung klarer Rechtsfolgen dienen und die Abgabe und Übermittlung von Erklärungen ersparen,326 wollte der Gesetzgeber mit § 308 Nr. 5 BGB einen praktischen Kompromiss schaffen. Sofern der Vertragspartner des Ver-wenders über die Bedeutung der Fiktionen informiert ist und sich darauf einstellen kann, um gegebenenfalls ihre Rechtsfolgen abzuwenden, soll eine Erklärungsfiktion möglich und zulässig sein.327

Zur Begründung der Privilegierung des § 12 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B, den man bei Schaf-fung der Ausnahmeregelung des früheren § 10 Nr. 5 AGBG, heute § 308 Nr. 5 BGB im Auge hatte,328 wird ausgeführt, der Auftragnehmer könne mangels Kenntnis vom Zeit-punkt der Inbenutzungsnahme der Hinweispflicht nach (nunmehr) § 308 Nr. 5 b BGB nicht (immer) genügen.329 Zu Recht wird dagegen darauf hingewiesen, dass in einer widerspruchslosen Ingebrauchnahme des fertiggestellten Werkes regelmäßig eine Ab-nahme durch schlüssiges Verhalten liegen wird.330 Es verbleiben somit kaum Anwen-dungsfälle für § 308 Nr. 5 BGB. Weshalb dann überhaupt noch eine Privilegierung stattfinden soll, ist nicht ersichtlich.331 Jedenfalls ist der an sich erforderliche Hinweis nicht nur zum Schutz des Bauherren wichtig, sondern dem Unternehmer möglich und zumutbar,332 so dass ein Verstoß gegen § 307 BGB festzustellen ist.333

Sofern aber nur wenige Anwendungsfälle verbleiben, Argumente für eine weitergehen-de Bevorzugung der VOB/B in diesem Bereich nicht ersichtlich und von der einschlägi-gen Literatur auch nicht angeführt werden, kann dies konsequenterweise nur die Ab-schaffung der Privilegierung in § 308 Nr. 5 BGB zur Folge haben.

324 Vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, Einf. v. § 116 Rdnr. 7. 325 Vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, § 308 Rdnr. 25. 326 Vgl. Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, § 10 Nr. 5 Rdnr. 1. 327 Vgl. Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, § 10 Nr. 5 Rdnr. 1; Palandt-Heinrichs, BGB, § 308

Rdnrn. 26, 27. 328 Vgl. BT-Drucks. 7/3019, 16; BT-Drucks. 7/5422, 14. 329 Vgl. BT-Drucks. 7/3019, 50; BT-Drucks. 7/5422, 7. 330 Vgl. MünchKommBGB-Basedow, § 308 Nr. 5 Rdnr. 8 331 So bezogen auf Abs. 1 MünchKommBGB-Basedow, § 308 Nr. 5 Rdnr. 8;

Wolf/Horn/Lindacher-Horn, AGBG, § 23 Rdnr. 255. 332 Vgl. MünchKommBGB-Basedow, § 308 Nr. 5 Rdnr. 8; Wolf/Horn/Lindacher-Horn, AGBG, §

23 Rdnr. 55 mit Hinweis auf Ulmer/Brandner/Hensen-Hensen, AGBG, Anh. §§ 9 bis 11 Rdnr. 912.

333 Vgl. MünchKommBGB-Basedow § 308 Nr. 5 Rdnr. 5; Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, § 23 Rdnr. 255.

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c) Zusammenfassende Bewertung

§ 12 Nr. 5 Absätze 1 bis 3 VOB/B stellt einen elementaren Verstoß gegen die gesetzli-chen Grundüberlegungen und -wertungen dar, ist folglich unangemessen und somit im Ergebnis unwirksam.334 Das Problem der Unvereinbarkeit des § 12 Nr. 5 VOB/B mit § 308 Nr. 5 BGB wird auch in der baurechtlichen Kommentarliteratur gesehen. Dabei setzt die Kritik bei der Privilegierung als solcher im Rahmen von Verbraucherverträgen an.335 Auch geht § 12 Nr. 5 VOB/B an den tatsächlichen Verhältnissen beim Bau vor-bei. Dem „Einmal-Häuslebauer“ bleibt faktisch nur der Einzug in das nicht fertig ge-baute Eigenheim, um seine Kosten zu minimieren.336 Ihn zudem mit den Rechtsfolgen der Fiktionen des § 12 Nr. 5 VOB/B zu belasten, ist unangemessen.

Nicht nur, dass die in § 308 Nr. 5 BGB vorgesehene Privilegierung von Bauverträgen obsolet ist; § 12 Nr. 5 VOB/B greift überdies in nicht vertretbarer Weise in ein für das deutsche Privatrecht wesentliches Prinzip ein, nämlich dass Schweigen keine Willens-erklärung ist.

7. § 13 Nr. 4 VOB/B

„(1) Ist für Mängelansprüche keine Verjährungsfrist im Vertrag vereinbart, so beträgt sie für Bauwerke vier Jahre, für Arbeiten an einem Grundstück und für die vom Feuer be-rührten Teile von Feuerungsanlagen zwei Jahre. Abweichend von Satz 1 beträgt die Verjährungsfrist für feuerberührte und abgasdämmende Teile von industriellen Feuerungsanlagen ein Jahr.

(2) Bei maschinellen und elektrotechnischen/elektronischen Anlagen oder Teilen davon, bei denen die Wartung Einfluss auf die Sicherheit und Funktionsfähigkeit hat, beträgt die Verjährungsfrist für die Mängelansprüche abweichend von Abs. 1 zwei Jahre, wenn der Auftraggeber sich dafür entschieden hat, dem Auftragnehmer die Wartung für die Dauer der Verjährungsfrist nicht zu übertragen.

(3) Die Frist beginnt mit der Abnahme der gesamten Leistung; nur für in sich abgeschlos-sene Teile der Leistung beginnt sie mit der Teilabnahme.“

a) Regelungsgehalt

Die an dieser die Gewährleistungsfristen regelnden Klausel geäußerte Kritik der Litera-tur und die Änderung des BGB durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (insbe-sondere § 438 Abs. 2 b BGB neue Fassung) haben beim DVA die Einsicht reifen las-sen, dass die Verjährungsfristen des § 13 Nr. 4 VOB/B verlängert werden müssen.337

334 So auch Kiesel, NJW 2002, 2064, 2067; ebenso MünchKommBGB/Brandner, § 308 Rdnr. 7. 335 Siehe insoweit Oppler, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 12 Nr. 5 Rdnr. 7. 336 Vgl. Ulmer/Brandner/Hensen-Hensen, AGBG, Anh. §§ 9 bis 11, Rdnr. 911. 337 Vgl. Beschluss des Vorstandes des DVA vom 2.5.2002, Punkt 8, 19.

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Neben der redaktionellen Änderung des Substantivs „Gewährleistung“ in „Mängelan-sprüche“, sowie der ersatzlosen Streichung des beigeordneten Nebensatzes „und für Holzerkrankungen“, – die sachlich angezeigt ist, da bei Vorliegen einer Holzerkrankung stets eine Abweichung von der vertraglich vereinbarten Beschaffenheit des Bauwerkes und somit ein Mangel vorliegt, – wurden die Verjährungsfristen für Mängelansprüche verlängert. Nunmehr beträgt die Gewährleistungsfrist, wenn im Vertrag nichts anderes vereinbart ist:

für Bauwerke statt bisher zwei Jahre fortan vier Jahre;

für Arbeiten an einem Grundstück und für die vom Feuer berührten Teile von Feuerungsanlagen statt bisher einem Jahr nun zwei Jahre und

bei maschinellen und elektronischen/elektrotechnischen Anlagen oder Teilen davon ebenfalls statt einem Jahr jetzt zwei Jahre.

Nach ständiger Rechtsprechung338 gelten die Verjährungsfristen des § 13 Nr. 4 VOB/B für sämtliche der in § 13 VOB/B aufgeführten Mängelansprüche, soweit nicht die Aus-nahmevorschrift des § 13 Nr. 7 Abs. 3 VOB/B eingreift.

b) Privilegierung der VOB/B in § 309 Nr. 8 b) ff) – die fehlende innere Logik

Die im Vergleich zu der Parallelvorschrift des § 11 Nr. 10 f) AGBG neu gefasste Vor-schrift des § 309 Nr. 8 b) ff) BGB legt eine Frist von einem Jahr für Ansprüche wegen Mängeln neuhergestellter Sachen im Kauf- und Werkvertragsrecht fest. Diese Rege-lung gilt nicht für die fünfjährige Verjährungsfrist für Bau- und Baustoffmängel gemäß §§438 Abs. 1 Nr. 2, 634 a Abs. 1 Nr. 1 BGB. Verträge, in die die VOB/B als Ganzes einbezogen wurde, werden privilegiert.339 Genau daraus folgt die Unzulässigkeit des § 13 Nr. 4 VOB/B, da es andernfalls keiner Privilegierung bedürfte.

Bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung und vor Ausarbeitung der VOB/B 2002 wurde § 13 Nr. 4 VOB/B im Hinblick auf § 11 Nr. 10 f) AGBG Unausgewogenheit attes-tiert und dessen Unwirksamkeit reklamiert.340 Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass im Hinblick auf die EG-Richtlinie 93/13/EWG eine Rettung dieser Klausel durch richtlinienkonforme Auslegung ausgeschlossen sei.341

338 Siehe grundlegend statt vieler OLG München, NJW 1972, 63. 339 Vgl. u.a. Scherer, in: Wirth/Sienz/Englert, Verträge am Bau, § 309 Rdnr. 16; Anwaltkommen-

tar-Hennrichs, § 309 Rdnr. 31, Palandt-Heinrichs, BGB, § 309 Rdnr. 75. 340 Vgl. früher: Quack, BauR 1997, 24, 25; heute: MünchKommBGB-Basedow, § 309 Nr. 8

Rdnr. 77. 341 Vgl. Quack, BauR; Heinrichs, NJW 1997, 1414; MünchKommBGB-Basedow, § 309 Nr. 8

Rdnr. 77.

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Nach Auffassung des DVA stellt die Neuregelung einen angemessenen Ausgleich der Interessen dar.342 Mit der Neuregelung des § 438 Abs. 1 Nr. 2 b) BGB, der nunmehr eine fünfjährige Gewährleistungsfrist für Baustoffe, die für ein Bauwerk verwendet wer-den, regelt, sei der Grund für die Aufrechterhaltung der kurzen zweijährigen Verjäh-rungsfrist aus der VOB/B 2000 entfallen.343 Weitere Belange, die bei der Diskussion der Schaffung der VOB/B 2002 eine Rolle spielten, waren die gesehene Diskrepanz zwischen der gesetzlichen Regelung und der zwei- bzw. einjährigen Verjährungsfrist des § 13 Nr. 4 VOB/B 2000. Ausdrücklich formulierte jedoch der DVA in der Begrün-dung zu der Neufassung des § 13 Nr. 4 VOB/B, dass es geboten sei, unter Ausnutzung der im neuen Recht im § 309 Nr. 8 b) ff) BGB enthaltenen Privilegierung die gesetzli-chen Verjährungsfristen des BGB in den Regelungen des § 13 VOB/B zu unterschrei-ten, um den spezifischen baufachlichen Anforderungen gerecht zu werden und eine ausgewogene Regelung zu erreichen.344 Die „Argumente“ erschöpfen sich in dem Hin-weis auf die Vorschrift des § 438 Abs. 1 Nr. 2 b) BGB. Mit keiner Silbe geht der DVA auf die zuvor skizzierte Kritik an der Klausel ein. Hier zeigt sich erneut, wie wenig die Belange des Verbrauchers im Rahmen der VOB/B-Reform Beachtung fanden. Nur reine „Unternehmer-Argumente“ werden berücksichtigt.

Die 20 %ige Verkürzung der Gewährleistungsfrist ist unwirksam. Nicht nur, dass für die Verkürzung kein sachlicher Grund angegeben wird, auch die gesetzgeberischen Inten-tionen der Schuldrechtsmodernisierung bleiben außer acht. Dies, obwohl der DVA auf §438 Abs. 1 Nr. 2 b) BGB hinweist. Auch führt der DVA aus, dass eine Verkürzung der fünfjährigen Frist zwischen Kaufleuten (richtiger: Unternehmern) einer AGB-Kontrolle nach § 307 BGB nicht Stand hält.345 Jedoch zieht der DVA aus der eigenen Argumen-tation nicht die gebotenen Konsequenzen. Das Argument für die Verkürzung der Ver-jährungsfrist ist entfallen. Vielmehr wird heute der Auftragnehmer besser gestellt. Er sieht sich nur einer vierjährigen Gewährleistungsfrist ausgesetzt, kann seine eigenen Ansprüche gegenüber seinen Lieferanten jedoch fünf Jahre verfolgen.

c) Möglichkeit der engen Kompensation

Auch kann die Vorschrift nicht dadurch wirksam werden, dass man eine den Auftrag-nehmer begünstigende Kompensation durch die Vorschrift des § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 und 3 VOB/B sieht. Auf den ersten Blick scheint der Auftraggeber besser gestellt zu werden. § 13 Nr. 5 Abs. 1 Sätze 2 und 3 VOB/B scheinen ihm abweichend von § 203 BGB die Möglichkeit einzuräumen, die Verjährung mittels eines einfachen, schriftlichen Verlangens nach Mängelbeseitigung zu unterbrechen. Außerdem beginnt mit Abnahme 342 Vgl. DVA, Beschluss vom 02.05.2002, 21. 343 Vgl. DVA, Beschluss vom 02.05.2002, 22. 344 Vgl. DVA, Beschluss vom 02.05.2002, 20. 345 Vgl. DVA, Beschluss vom 02.05.2002.

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der auf Mängelbeseitigung gerichteten Leistung für diese eine neue Verjährungsfrist zu laufen. Nach § 203 BGB, wenn er denn zur Anwendung käme, wäre sie nur gehemmt.

Ohne dass hier zu klären wäre,346 ob § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 und 3 als Hemmung und/oder Neubeginn zu qualifizieren ist, trägt die insoweit aufgebaute Logik der Kom-pensation schon immanent nicht. Die bisherige Kritik dieser Vorschrift in der Literatur orientierte sich an der alten inzwischen aufgegebenen zweijährigen Frist der VOB/B. Danach hing die dem Auftraggeber eingeräumte Möglichkeit der Fristunterbrechung nach Maßgabe der § 13 Nr. 5 Abs. 1 Sätze 2 und 3 VOB/B von reinen Zufälligkeiten ab. Selbst schwere Baumängel träten oftmals erst nach Ablauf der zweijährigen Ver-jährungsfrist nach Abnahme auf. Ein sachlicher Grund, warum der Auftraggeber besser gestellt sein sollte, der (glücklicherweise) vor Ablauf von zwei Jahren seit Abnahme des Gewerkes Kenntnis von den Mängeln erhält als derjenige, der nach Ablauf der zwei Jahre von den Mängeln überrascht wird, sei nicht ersichtlich. Basedow spricht in Bezug auf die alte VOB/B Regelung überzeugend vom „Lotteriedenken“, dass der Vor-schrift des § 13 Nr. 1 Abs. 1 Sätze 2 und 3 VOB/B inne wohne.

Auf die Neuregelung ist diese Argumentation so nicht übertragbar. Für die Frage, ob eine Benachteiligung vorliegt, kommt es allein auf die Rechtsposition an, nicht darauf, ob ein statistisch relevantes Risiko besteht. Die Verkürzung eines Rechts um ein Jahr ist nicht damit ausgleichbar, dass eine Fristverlängerung gewährt wird, solange Rechte bestehen. Hat der Auftraggeber das Recht nicht mehr, nützt ihm die Fristverlängerung nichts. Außerdem kann die Quasiunterbrechung, selbst dort, wo sie greift, nicht als adäquater Vorteil betrachtet werden. Sie ist an die Regelfristen geknüpft und führt nicht zwangsläufig zu Verjährungsfristen nach Maßgabe des BGB.347 Da es nicht auf die Ausgewogenheit aller Bauverträge ankommen kann, sich Vertragsgerechtigkeit im ein-zelnen Vertrag darstellen muss, scheidet nicht nur eine Kompensation der Nachteile des § 13 Nr. 4 durch § 13 Nr. 5 Abs. 1 Sätze 2 und 3 VOB/B aus, sondern es ist zugleich angezeigt, dass der einzige Weg heraus aus der Sackgasse in der Beseiti-gung der Ausnahmeregelung des § 309 Nr. 8 b ff. BGB liegt.348

d) Eigenständiger Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG

Die prinzipielle Unvereinbarkeit VOB/B-rechtlicher Privilegien mit den Vorgaben der Richtlinie 93/13/EWG wurde bereits festgestellt.349 Damit ist aber noch nicht gesagt, dass das Gemeinschaftsrecht eine Verkürzung der Verjährungsfrist in den VOB/B ver- 346 Zum Verhältnis von §§ 203 und 212 BGB im Verhältnis zu § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 und 3,

vgl. Ziffer 9 d). 347 Vgl. die Argumentation unter Ziffer 9 b) und c) zu § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2. 348 Vgl. MünchKommBGB-Basedow, § 309, Nr. 8 Rdnr. 74 mwN in Fn. 132 insbes. auf Ul-

mer/Brandner/Hensen, AGBG, Anh. §§ 9 bis 11 Rdnr. 905. 349 Vgl. B.I.5 und B.II.5.

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bietet. Prima vista scheint es so, als ob die Richtlinie keine Aussagen über die Verjäh-rung von Ansprüchen trifft. Mittelbar einschlägig ist jedoch Anhang 1) lit q), wonach dem Verbraucher die Möglichkeit, Rechtsbehelfe bei Gericht einzulegen oder sonstige Beschwerdemittel zu ergreifen nicht genommen oder erschwert werden dürfen. Hierzu zählen auch zeitliche Erschwerungen, also Verkürzungen von Verjährungsfristen.350

Die eigentliche Problematik liegt vorliegend in der Ungleichbehandlung von Ansprü-chen aus der VOB/B und „normalen“ baurechtlichen, d.h. werkvertraglichen Ansprü-chen. Lit q) bietet für eine Beurteilung einer solchen Ungleichbehandlung keinen direk-ten Aufhänger. Jedoch ist lit q) als Ausdruck des Grundsatzes des angemessenen und effektiven Rechtsschutzes zu verstehen, der das gesamte Gemeinschaftsrecht trägt. In REWE351 und Comet352 hatte der EuGH noch die prinzipielle Gestaltungsautonomie der Mitgliedstaaten anerkannt. Demnach obliegt

„die Aufgabe, den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für die Bürger aus der unmit-telbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts ergibt, (...) entsprechend dem im Art. 5 EGV ausgesprochenen Grundsatz der Mitwirkungspflicht den innerstaatlichen Gerichten“.

Angesichts dessen läge die Festlegung der Verjährungsfristen in den Händen der Bun-desrepublik Deutschland, weil es an direkten gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in der Richtlinie 93/13/EWG und im Gemeinschaftsrecht überhaupt fehlt.353 Die nationalen Verjährungs-Regelungen dürfen aber

„nicht ungünstiger gestaltet werden als für gleichartige Klagen, die das innerstaatliche Rechte betreffen. (...) Anders wäre es nur, wenn diese Verfahrensregeln und Fristen die Verfolgung von Rechten, die die innerstaatlichen Gerichte zu schützen verpflichtet sind, praktisch unmöglich machten“.354

In Palmisani355 konkretisierte der EuGH den Gleichbehandlungsgrundsatz dahin, dass die materiellen und formellen Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürfen als bei ähnlichen Klagen, die nur nationales Recht betreffen. Die konkrete Untersuchung, ob der Grundsatz der Gleichwertigkeit gewahrt wurde, hat er dem nationalen vorlegenden Gericht überlassen.356 Francovich357 verschärft die Anforderungen insoweit, als die nationalen Bedingungen die Rechtsverfolgung nicht praktisch unmöglich machen oder 350 So zutreffend Grabitz/Hilf II/Wolf-Pfeiffer, A 5, Anhang Rdnr. 163; enger Heinrichs, FS Reich,

542 ff. 351 EuGH, 16.12.1976, Rs. 33/76, REWE/Landwirtschaftskammer Saarland, Slg. 1976, 1989,

Rdnr. 5. 352 EuGH, 16.12.1976, Rs. 45/76, Comet, Slg. 1976, 2043, Rdnrn. 11, 18. 353 EuGH, 16.12.1976, Rs. 33/76, REWE/Landwirtschaftskammer Saarland, Slg. 1976, 1989,

Rdnr. 5; EuGH, 16.12.1976, Rs. 45/76, Comet, Slg. 1976, 2043, Rdnrn. 11, 18. 354 EuGH, 16.12.1976, Rs. 33/76, REWE/Landwirtschaftskammer Saarland, Slg. 1976, 1989,

Rdnr. 5; EuGH, 16.12.1976, Rs. 45/76, Comet, Slg. 1976, 2043, Rdnrn. 11, 18. 355 EuGH, 10.7.1997, Rs. C-261/95, Palmisani, Slg. 1997, I-4027. 356 EuGH, (Fn. 7), Rdnr. 32. 357 EuGH, (Fn. 9), Rdnr. 43.

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übermäßig erschweren dürfen. Angesichts dieser Vorgaben scheint die Differenzierung zwischen normalen baurechtlichen Ansprüchen, die in 5 Jahren verjähren und der Richtlinie unterliegenden Ansprüchen nach der VOB/B, die in 4 Jahren verjähren, nicht haltbar. Der deutsche Gesetzgeber hat in § 309 Nr. 8 b) ff) BGB eine Regelung ge-schaffen, die die Durchsetzung aus der Richtlinie 93/13/EWG folgender Ansprüche gegenüber vergleichbaren nationalen Regeln erschwert. Das ist als Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 i.V. mit Anhang 1) lit q) zu werten. Den nationalen Gerichten bleibt insoweit nichts anderes übrig, als die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Gesetzesregelung festzustellen.

e) Zusammenfassende Bewertung

Die Klausel ist entgegen der Rechtsauffassung des DVA nicht ausgewogen und daher als unangemessen zu beurteilen.358 § 309 Nr. 8 b) ff) BGB privilegiert ohne Grund Bauwerkverträge; ein sachlicher Grund für die Verkürzung der Gewährleistungsfristen ist nicht ersichtlich. Die Regelung verstößt überdies gegen den Gleichbehandlungs-grundsatz, der über Art. 3 Abs. 1 i.V. mit Anhang 1) lit q) der Richtlinie 93/13/EWG in die Missbrauchskontrolle einfließt.

8. § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 1 VOB/B

„Der Auftragnehmer ist verpflichtet, alle während der Verjährungsfrist hervortretenden Mängel, die auf vertragswidrige Leistung zurückzuführen sind, auf seine Kosten zu besei-tigen, wenn es der Auftraggeber vor Ablauf der Frist schriftlich verlangt.“

a) Regelungsgehalt

Mit dem Leitsatz „Der bisherige Regelungsinhalt des § 13 Nr. 5 Abs. 1... VOB/B kann im Hinblick auf das umformulierte gesetzliche Nachbesserungsrecht weiterhin beibe-halten werden“359 ließ der DVA den bisherigen Inhalt des § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 1 im Wege der VOB/B-Reform 2002 unberührt. Somit steht dem Auftraggeber im Fall des Auftretens von Mängeln ein Recht auf Nachbesserung zu, wenn er dies vor Ablauf der Verjährungsfrist für seine Mängelansprüche schriftlich verlangt. Nach umstrittener Rechtsauffassung ist der Anspruch auf Nachbesserung als modifizierter Erfüllungsan-spruch zu qualifizieren.360 Die Rechtsprechung hat jedoch das im Vordergrund stehen-de Ziel der Erhaltung geschaffener Werke in einen Anspruch auf Mangelbeseitigung

358 Vgl. Kiesel, NJW 2002, 2064, 2067, 2068; Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB/B, Nr. 5

b, aa; zweifelnd MünchKommBGB-Basedow, § 308 Nr. 8 Rdnr. 77. 359 Vgl. DVA, Beschluss vom 2.5.2002, Punkt 9, 23. 360 Siehe zum Meinungsstand BGH, BauR 1972, 172; Wirth, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 13

Rdnr. 445.

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durch Neuherstellung umgeformt, wenn sich der Mangel nicht anders beseitigen lässt.361

Das Erfordernis eines schriftlichen Verlangens wird von der Literatur und Rechtspre-chung in zwei Teile aufgespalten. Für den Mangelbeseitigungsanspruch lässt die herr-schende Meinung entgegen dem klaren Wortlaut aus Zweckmäßigkeitsgründen, insbe-sondere deshalb, weil vor Abnahme für dieselbe Verpflichtung keine Form verlangt wird, eine mündliche Mangelbeseitigungsaufforderung des Auftraggebers genügen.362 Dagegen wird der Schriftform für die Verjährungsfrist der Mängelansprüche entschei-dende Bedeutung beigemessen. Hier ist die Einhaltung der Schriftform von rechtsbe-gründender Bedeutung.363

b) Verletzung des Transparenzgebotes

Das nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes als Informationsmodell zu verstehende und nunmehr im BGB in § 307 Abs. 1 Satz 2 enthaltene Transparenz-gebot364 zielt mit seinen beiden Kategorien der Klarheit und Verständlichkeit nicht nur auf eine Wettbewerbstransparenz,365 sondern insbesondere auf eine möglichst umfas-sende Information des Verbrauchers durch die Verwendung klarer und durchschauba-rer allgemeiner Geschäftsbedingungen ab.366 Dabei sind die Entscheidungen der Rechtsprechung zu den einzelnen Klauseln gängiger Allgemeiner Geschäftsbedingun-gen und somit der VOB zumindest dann in das Klauselwerk aufzunehmen, wenn die Rechtsprechung als gesichert anzusehen ist. Diese Sichtweise teilt der DVA, wie sich aus dem Beschluss des Vorstandes vom 02.05.2002 in Bezug auf § 13 Nr. 5 Abs. 1 Sätze 2 und 3 VOB/B entnehmen lässt. Hier fand die Rechtsprechung bei Ausgestal-tung des § 13 Nr. 5 VOB/B ausdrücklich Berücksichtigung.367

§ 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 1 VOB/B erweckt bei dem Auftragnehmer der Eindruck, er müs-se sein Begehren schriftlich vortragen. Dass im Einklang mit der Rechtsprechung an diesem Erfordernis nur im Hinblick auf die in § 13 Nr. 4 VOB/B geregelten Verjährungs-fristen zwingend festzuhalten ist, jedoch ansonsten für eine mündliche Mängelbeseiti-gungsaufforderung des Auftraggebers Platz ist, lässt sich der Regelung nicht entneh-men. Die seit über 30 Jahren bestehende gefestigte Rechtsprechung368 hätte Nieder-

361 Vgl. bereits hierzu BGH, NJW 1986, 711 = BauR 1986, 93. 362 Vgl. BGH, BauR 1972, 311; Wirth, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 13, Nr. 5 Rdnr. 90. 363 Vgl. Wirth, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 13 Nr. 5 Rdnr. 499; BGH, BauR 1977, Rdnr. 94. 364 Vgl. EuGH, EuZW 1990, 222; 1995, 245; Dreher, JZ 1997, 167, 170 f.; Wolf/Horn/Lindacher-

Wolf, AGBG, Art. 5 Rdnr. 1. 365 Siehe Punkt B.II.4c). 366 Vgl. BGH, NJW 2000, 651; Ulmer/Brandner/Hensen-Brandner, AGBG, § 9 Rdnr. 10. 367 Vgl. Beschluss des Vorstandes des DVA vom 02.05.2002.10, 24; Fran-

ke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB/B, § 13 Rdnr. 106. 368 Vgl. bereits BGH, Baurecht 1972, 311.

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schlag in der novellierten VOB/B finden müssen. Das Transparenzgebot verlangt einen klaren Hinweis darauf, unter welchen Voraussetzungen ein Mangelbeseitigungsan-spruch besteht. Da § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 1 VOB/B auch für das Mangelbeseitigungs-verlangen die Schriftform anordnet, steht für den Verbraucher, der nur mündlich Män-gel gerügt hat zu besorgen, dass er im Streitfalle klein beigibt und von der Verfolgung seines Rechtsanspruchs Abstand nimmt, wenn er mit der Formulierung der Klausel konfrontiert wird. Denn sie lässt annehmen, dass nur bei Einhaltung der Schriftform ein Mangelbeseitigungsanspruch besteht. Aus den genannten Gründen ist die Klausel als unwirksam einzuordnen.

c) Verletzung des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB – Verweigerung des Neuherstellungs-anspruches

Mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz hat der Gesetzgeber in den § 634 Nr. 1, § 635 BGB, die an die Stelle des § 633 Abs. 2 BGB traten, die von der Rechtsprechung aufgestellte Möglichkeit der Neuherstellung neben der Nachbesserung als Möglichkeit der Mangelbeseitigung369 zum gesetzlichen Prinzip erhoben. Der in den §§ 634 Nr. 1, 635 BGB geregelte Nacherfüllungsanspruch des Bestellers steht ihm bis zur mangel-freien Herstellung des Werkes zu. Damit ist die Natur des Anspruchs als eine nach dem Vertrag geschuldete Primärleistung eindeutig.370 Primärer Erfüllungsanspruch und Mangelbeseitigungsanspruch verlaufen im Gleichklang.371 § 635 BGB apostrophiert die Neuherstellung als Alternative der Nacherfüllung. Im Gegensatz zum Kaufrecht, § 439 Abs. 1 BGB, hat der Unternehmer das Wahlrecht zwischen Nachbesserung und Neu-herstellung. Diese Regelung ändert nichts an der Möglichkeit des Auftraggebers, die Mangelbeseitigung abzulehnen, wenn sie ihm – gleich aus welchem Grund – nicht zu-mutbar ist.372 Die neue gesetzliche Regelung weist wesentliche Grundgedanken im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB auf.

Mit der Schuldrechtsmodernisierung sollte eine Anpassung der Mängelhaftung von Verkäufer und Werkunternehmer erreicht werden.373 Sowohl im Kaufrecht als auch im Werkvertragsrecht werden dem Käufer/Besteller Alternativrechte eingeräumt.374 Die Möglichkeit der Ausübung des Wahlrechtes durch den Unternehmer ändert nichts an der zentralen Stellung der Alternativrechte, da sie nicht gegen Treu und Glauben aus-geübt werden dürfen.375

369 Vgl. grundlegend hierzu BGHZ 96, 111, 118; BT-Drucks. 14/6040, 264. 370 Siehe Begr. RegE. BT-Drucks. 14/6040, 209, 219, 220. 371 So bisher schon u.a. Staudinger-Peters, Kommentar zum BGB, § 633 Rdnr. 164. 372 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, 265. 373 Vgl. Begr. RegE. BT-Drucks. 14/6040, 260. 374 Vgl. Kiesel, NJW 2002, 2068. 375 Vgl. Kiesel, NJW 2002, 2068.

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§ 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 1 VOB/B teilt in Abweichung von diesem gesetzlichen Leitbild dem Verbraucher das Bestehen eines Neuherstellungsanspruches nicht mit. Bereits aus diesem Grund stimmt die Sicht und Begründung des DVA zur Beibehaltung des § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 1 VOB/B nicht. Die gesetzliche Ausgangslage hat sich geändert und deckt sich nicht mit der VOB/B-Klausel. Da in § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 1 VOB/B kei-ne Alternativrechte festgelegt werden, findet sich folglich auch keine Auseinanderset-zung mit dem dem Unternehmer zugebilligten Wahlrecht sowie der Möglichkeit des Bestellers, sich gegen die getroffene Wahl für den Fall der Unzumutbarkeit zur Wehr zu setzen. Die Klausel verkürzt die Rechtsposition des Verbrauchers und weicht damit von den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung ab.

d) Zusammenfassende Bewertung

§ 13 Nr. 5 Abs.1 Satz 1 VOB/B lässt die gravierende Änderung der Rechtsprechung und des Gesetzgebers außer Acht. Schon deshalb ist die Bestimmung so nicht mehr haltbar.376 Der Auftragnehmer wird infolge der Intransparenz der Klausel des § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 1 nicht nur über die Bedeutung des Schriftlichkeitsgebotes getäuscht, ihm wird auch der Anspruch auf Neuherstellung abgeschnitten.

9. § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 und 3 VOB/B

„Der Anspruch auf Beseitigung der gerügten Mängel verjährt in zwei Jahren, gerechnet vom Zugang des schriftlichen Verlangens an, jedoch nicht vor Ablauf der Regelfrist nach Nr. 4 oder der an ihrer Stelle vereinbarten Frist. Nach Abnahme der Mängelbeseiti-gungsleistung beginnt für diese Leistung eine Verjährungsfrist von zwei Jahren neu, die jedoch nicht vor Ablauf der Regelfristen nach Nr. 4 oder der an ihrer Stelle ver-einbarten Frist endet.“

a) Regelungsgehalt

Die VOB/B 2002 brachte eine Änderung der als Quasiunterbrechung der Verjährung bezeichneten Regelung des § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 und 3 VOB/B.377 Dabei sind die Korrekturen lediglich klarstellender Natur und sollen der Rechtsprechung zum bisheri-gen § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 und 3 VOB/B Rechnung tragen,378 wobei die auf den Lauf der Verjährungsfrist einwirkende Sonderregelung in ihrem Kern insoweit unberührt blieb, als an der bereits in der VOB 1952 enthaltenen Forderung auf ein schriftliches Mangelbeseitigungsverlangen des Auftraggebers festgehalten wurde.

376 So auch Kiesel, NJW 2002, 2068. 377 Vgl. DVA, Beschluss vom 2.5.2002, Punkt 10, 25; Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen,

VOB/B, § 13 Rdnr. 106. 378 Vgl. DVA, Beschluss vom 2.5.2002, Punkt 10, 25; Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen,

VOB/B, § 13 Rdnr. 106.

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Nach § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 VOB/B 2000 verjährte der Anspruch auf Beseitigung der gerügten Mängel mit Ablauf der bisherigen Regelfrist der Nr. 4, gerechnet vom Zugang des schriftlichen Verlangens an, jedoch nicht vor Ablauf der vereinbarten Frist. Der schriftlichen Mängelbeseitigungsaufforderung kommt rechtsbegründende Wirkung zu.379 Nr. 5 Abs. 1 Satz 3 VOB/B bestimmte, dass nach Abnahme der Mängelbeseiti-gungsleistung für diese die Regelfristen der Nr. 4 beginnen, wenn nichts anderes ver-einbart wurde.

Nach der Rechtsprechung des BGH zur bisherigen Regelung führt die Verjährungsun-terbrechung nach § 13 Nr. 5 VOB/B bei Vorliegen einer von § 13 Nr. 4 Abs. 1 VOB/B abweichenden (längeren) Verjährungsfrist zu einer Verjährungsverlängerung um zwei Jahre.380 Die Verjährung trat unstreitig nicht vor Ablauf der ursprünglich vereinbarten Frist ein.

Die VOB/B 2002 versucht, diese Rechtsprechung und die an der vormaligen Regelung geübte Kritik umzusetzen. Die Verlängerung der Verjährungsfrist soll im Fall der schrift-lichen Mängelbeseitigungsaufforderung und ebenso bei Abnahme der Mängelbeseiti-gungsleistung zwei Jahre betragen. Der grundsätzliche Charakter einer verjährungsun-terbrechenden Wirkung der Mangelbeseitigung wurde beibehalten.

b) Verletzung von § 309 Nr. 8 b) ff) – Verkürzung der Verjährung in § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 VOB/B

Die Neuregelung des § 11 Nr. 10 f) AGBG soll eine ungebührliche Verkürzung von Gewährleistungsansprüchen verhindern. Nach § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 VOB/B tritt mit dem Zugang des schriftlichen Mängelbeseitigungsverlangens ein Neubeginn der Ver-jährung ein, das heißt, die bislang verstrichene Frist findet keine Beachtung, § 212 BGB.

Der Gesetzgeber geht nach der Schuldrechtsmodernisierung vom Grundfall der Hem-mung der Verjährung aus,381 in Abweichung vom bisherigen Leitbild der Unterbrechung (nach neuer Diktion: Neubeginn). Vor der Schuldrechtsmodernisierung formulierte § 639 Abs. 2 BGB einen Hemmungstatbestand, der im Fall der Verhandlungen über einen Mangel zum Tragen kam. Dieser Rechtsgedanke wurde verallgemeinert und in § 203 BGB kodifiziert.382 Der Verbraucher wird in der Neuregelung besser gestellt. Zugleich wird mit der Mangelbeseitigungsaufforderung eine neue Zweijahresfrist in Gang gesetzt, die jedoch zu keiner Verkürzung der Regelfrist von vier Jahren führen

379 Vgl. BGH, BauR 1997, 346 = NJW 1976, 960 = BauR 1976, 202; NJW-RR 1990, 1240. 380 BGHZ 66, 142 ff.; Wirth, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 13 Nr. 5 Rdnr. 4; § 13 Nr. 4 Rdnr.

292 381 Vgl. Dauner-Lieb, § 1 Rdnr. 5; Palandt-Heinrichs, BGB, Einf. Vor § 203 Rdnr. 1. 382 Vgl. Peters, NZBau 2002, 113, 120.

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darf. Die Verknüpfung von Nr.5 Abs.1 Satz 2 VOB/B mit der Regelfrist der Nr. 4 führt dazu, dass trotz Verjährungsunterbrechung Fristen von weniger als 5 Jahren bestehen können. Damit bleibt die Klausel hinter der 5-jährigen Verjährungsfrist des § 634 a Abs. 1 Nr. 2 BGB zurück und ist im Hinblick auf die gefundenen Ergebnisse unwirksam.

c) Möglichkeit der engen Kompensation des „unwirksamen“ § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 VOB/B durch § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 3

Jedoch stellt sich die Frage, ob nicht die zulässige enge Kompensation383 zu einer Wirksamkeit des Satzes 2 der entsprechenden VOB/B-Klausel führen kann. Nach der aktuellen Gesetzeslage stünde dem Auftraggeber die Möglichkeit der Geltendmachung seiner Rechte für fünf weitere Jahre zu, § 634 a Abs. 1 Nr. 2 BGB. Wird im Rahmen eines Werkvertrages eine Mangelbeseitigungsleistung erbracht, wird diese grundsätz-lich als Anerkenntnis im Sinn des § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB gewertet.384 Selbst wenn im Einzelfall die konkreten Umstände der Mangelbeseitigung zu prüfen sind, wird sich im Fall des ernsthaften Bemühens um Mangelbeseitigung auf Aufforderung des Auftrag-gebers im Regelfall ein Anerkenntnis feststellen lassen.385 Somit beginnt für die Man-gelbeseitigungsleistung eine neue fünfjährige Gewährleistungsfrist mit Abnahme zu laufen, § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB i.V.m. § 634 a Abs. 1 Nr. 2 BGB.

Diese im BGB verankerte Wertentscheidung des Gesetzgebers zur Länge der Verjäh-rungsfristen wird eklatant durch die VOB/B-Klausel verkürzt. Diesem Nachteil steht ein nicht unerheblicher Vorteil des Auftraggebers gegenüber. Durch das Schuldrechtsmo-dernisierungsgesetz wurde im Verjährungsrecht vom Regelfall der Unterbrechung des Laufs der Verjährung (heute: Neubeginn) zur Hemmung der Verjährung als gesetzli-chem Regelfall übergegangen. Da es § 13 Nr. 4 Abs. 1 Satz 3 VOB/B bei der alten gesetzlichen Regelung belässt, ist der Klauselgegner gegenüber der neuen gesetzli-chen Regelung im Zuge der Schuldrechtsreform besser gestellt.

Diese Sichtweise lässt jedoch die tatsächlichen rechtlichen Gegebenheiten des VOB-Vertrages außer Betracht. Nach einem VOB/B-Vertrag beläuft sich die Regelverjäh-rungsfrist für Gewährleistungsansprüche auf vier Jahre, § 13 Nr. 4 VOB/B. Die VOB/B bleibt hinter den gesetzlichen Vorgaben zurück. Sie führt im günstigsten Fall zu einer Verjährungshöchstfrist von sechs Jahren. Demgegenüber steht eine maximale zehn-jährige Verjährungsfrist von Gewährleistungsansprüchen nach Maßgabe des BGB. Im Hinblick auf diese eklatante Verkürzung der Frist für die Geltendmachung von Mängel-ansprüchen erscheint die Besserstellung des Auftraggebers als nicht ausreichend, um

383 Siehe Punkt B.II.4d). 384 Vgl. Wirth, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 13 Nr. 4 Rdnr. 312; OLG Zweibrücken, BauR

1992, 770. 385 Vgl. Locher, BauR, Rdnr. 172.

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die Nachteile der Verkürzung der Länge der Verjährungsfrist der Mängelansprüche zu kompensieren.

d) Verletzung von § 309 Nr. 8 b) ff) – Verkürzung der Verjährung in § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 3 VOB/B

Nach Abs. 1 Satz 3 verjähren die Mängelbeseitigungsleistungen nicht in der Regelfrist von vier Jahren, sondern bereits nach zwei Jahren. Da die Mangelbeseitigungsleistung als Anerkenntnis im Sinn des § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu verstehen ist,386 beginnt für die Mangelbeseitigungsleistung eine neue fünfjährige Gewährleistungsfrist mit Abnah-me zu laufen, § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB i.V.m. § 634 a Abs. 1 Nr. 2 BGB.

Die Verjährungsfrist für die Ansprüche des Auftraggebers nach Mängelbeseitigung beträgt beim VOB/B-Vertrag nur zwei Jahre, beim BGB-Werkvertrag fünf Jahre. Die Situation ist identisch mit der Problematik des § 13 Nr. 5 Abs. 1 VOB/B 2000 und des-sen Vereinbarkeit mit § 11 Nr. 10 f. AGBG. Aus den zuvor ausgeführten Gründen ist diese Regelung ebenfalls unwirksam. Im übrigen lässt sich als Argument für die Unzu-lässigkeit dieser Klausel ihre eigene Privilegierung in § 309 Nr. 8 b) ff) BGB anführen. Ginge nicht der Gesetzgeber selbst von einer Unwirksamkeit der betreffenden VOB/B-Klausel aus, entfiele die Notwendigkeit der ausdrücklichen Erwähnung und Privilegie-rung in § 309 Nr. 8 b) ff) BGB. Überdies verstößt die Regelung gegen den Gleichbe-handlungsgrundsatz, der über Art. 3 Abs. 1 i.V. mit Anhang 1) lit q) der Richtlinie 93/13/EWG in die gemeinschaftsrechtliche Missbrauchskontrolle einfließt.387

e) Zusammenfassende Betrachtung

Bei der Auslegung der Katalogtatbestände der §§ 308 und 309 BGB sind die gemein-schaftsrechtlichen Vorgaben aus der Richtlinie 93/13/EWG zu berücksichtigen. Diesen ist eine Privilegierung des Bauwerkvertragsrechtes unbekannt. Die EG-Richtlinie beab-sichtigt die umfassende Kontrolle von Klauseln in Verbraucherverträgen ungeachtet der rechtlichen Qualifikation des zugrunde liegenden Vertragstypus. Im Zusammenwir-ken mit der nicht haltbaren Privilegierung der VOB/B lässt sich die Unwirksamkeit die-ser VOB/B-Klausel begründen. Jenseits der vorweg zu fordernden Beseitigung der Sonderregelung in § 309 Nr. 8 b) ff) BGB genügen die § 13 Nr. 5 Abs. 1 Sätze 2 und 3 VOB/B nicht den Erfordernissen des § 309 Nr. 8 b) ff) BGB.

386 Vgl. Wirth, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 13 Nr. 4 Rdnr. 312; OLG Zweibrücken, BauR

1992, 770. 387 Vgl. C.II.7.d).

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10. § 13 Nr. 6 VOB/B

„Ist die Beseitigung des Mangels für den Auftraggeber unzumutbar oder ist sie unmöglich oder würde sie einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordern und wird sie deshalb vom Auftragnehmer verweigert, so kann der Auftraggeber durch Erklärung gegenüber dem Auftragnehmer die Vergütung mindern (§ 638 BGB).“

a) Regelungsgehalt

War nach der bisherigen Regelung des § 13 Nr. 6 VOB/B der Auftraggeber berechtigt, Minderung der Vergütung zu verlangen, wenn der Auftragnehmer wegen Unmöglich-keit oder unverhältnismäßig hohem Aufwand die Nachbesserung ablehnte, so wurde diese Rechtsfolge im Hinblick auf § 638 BGB inhaltlich geändert und klarer formuliert. Die Minderung kommt durch rechtsgestaltende Erklärung gegenüber dem Unterneh-mer zustande.388 Der Auftraggeber kann seinen Minderungsanspruch auf die

Unmöglichkeit der Mangelbeseitigung,

Unverhältnismäßigkeit des Aufwandes und Verweigerung durch den Auftrag-nehmer sowie

Unzumutbarkeit der Beseitigung des Mangels für den Auftraggeber

stützen.389

Bereits zu der früheren Fassung des § 13 VOB/B war umstritten, ob es sich bei den in § 13 VOB/B enthaltenen Mängelrechten um einen numerus clausus handelt.390 Hinter-grund ist, dass in § 13 VOB/B, insbesondere im Zusammenhang mit dem Minderungs-recht der Nr. 6, das Recht des Auftragnehmers zur (früheren Wandlung), nicht ange-sprochen war. Hieraus wurde überwiegend der Schluss gezogen, dass ein solcher An-spruch als ausgeschlossen gilt und nicht besteht. Da der DVA bei der Novellierung der VOB/B von der Aufnahme eines Rücktrittsrechtes und einer Veränderung der Voraus-setzungen des erhaltenen Minderungsanspruches ausdrücklich absah, bleibt das Prob-lem auch in der Neufassung der VOB/B 2002 bestehen. Der BGH hat die Frage nicht entschieden. Aus den vorliegenden Entscheidungen lässt sich vielmehr eine andere Sichtweise der Zulässigkeit der (früheren) Wandlung, dem heutigen Rücktritt neben sonstigen Rechten des §13VOB/B erkennen.391 Diese Tendenz findet sich in jüngsten Entscheidungen zu den Bauträgerverträgen bestätigt.392 Obwohl es bei dieser Ent-scheidung um ein Problem des Begriffes der Bauleistung im Sinn des § 309 Nr. 8 b) 388 Vgl. Kiesel, NJW 2002, 2064, 2065. 389 Vgl. Locher, BauR, Rdnr. 160. 390 So die wohl herrschende Sichtweise in der Literatur, vgl. statt vieler hierzu Wirth, in: In-

genstau/ Korbion, VOB/B, § 13 Nr. 6 Rdnrn. 78 ff. mwN. in Fn. 1. 391 Vgl. grundlegend BGH, NJW 1965, 152; 1969, 653. 392 Vgl. BGH, NJW 2002, 511.

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bb) BGB (früher § 11 Nr. 10 b AGBG) ging, lässt der BGH die Bereitschaft erkennen, ganz im Sinne der Begründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz an einem möglichen Rücktritt trotz praktischer Schwierigkeiten festzuhalten.393 Es könne, so der BGH, für den Werkunternehmer interessengerecht sein, eine Rückabwicklung durchzu-führen.

b) Verletzung des Transparenzgebotes

Entgegen dem in § 13 Nr. 6 VOB/B gewählten Wortlaut und der dazu von der Literatur vertretenen Sichtweise sind die Rechte des Bestellers/Auftraggebers in § 13 Nr. 6 VOB/B nicht abschließend aufgezählt. Solange die Frage der abschließenden Aufzäh-lung der Mängelrechte in § 13 Nr. 6 VOB/B nicht geklärt ist, darf dem Verbraucher nicht vorgespiegelt werden, er hätte kein Rücktrittsrecht. Es mangelt an einer ordnungsge-mäßen Information des Verbrauchers über seine Rechte.

Erst wenn die Frage abschließend geklärt ist und/oder ein entsprechender Hinweis in § 13 Nr. 6 VOB/B auf den ausdrücklichen Ausschluss des Rechtes zum Rücktritt erfolgt ist, ist die Klausel unter dem Gesichtspunkt der Transparenz als wirksam zu bezeich-nen. Bis dahin ist sie als unwirksam anzusehen.394

c) Eigenständiger Verstoß des § 13 Nr. 6 VOB/B gegen Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG – Abschneiden des Rücktrittsrechts

Nach § 309 Nr. 8 b) bb) BGB ist der Ausschluss des Mangelrechtes Rücktritt zulässig, wenn es sich dem Vertragsgegenstand nach um eine Bauleistung handelt. Ungeachtet der Frage, ob das Rücktrittsrecht stillschweigend ohne ausdrückliche Erwähnung in § 13 VOB/B bereits ausgeschlossen sein soll, oder ob die Anwendung der BGB-Regeln nicht doch möglich ist, wird diese Norm, die frührer ihre Entsprechung in § 11 Nr. 10 b) AGBG hatte, neben den praktischen Schwierigkeiten bei der Rückabwicklung eines Bauvertrages als Begründung für die Zulässigkeit des § 13 Nr. 6 VOB/B nebst seines in der Literatur geäußerten Verständnisses herangezogen.395 Mit diesem in § 309 Nr. 8 b) bb) BGB formulierten Ausschluss ist die Klausel nicht richtlinienkonform auszulegen. Am eindeutigen Wortlaut kann nicht vorbeigegangen werden. Die Möglichkeit der Richtlinienwidrigkeit dispositiver Normen ist herausgearbeitet worden.396 Unter Beach-tung des in diesem Gutachten vertretenen Begriffes der Missbräuchlichkeit im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Richtlinie verbietet sich die in der AGB-Kommentarliteratur vertretene

393 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, 262. 394 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, 262. 395 Vgl. wieder statt vieler Wirth, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 13 Nr. 6 Rdnr. 78. 396 Siehe Punkt B.I.3c).

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Sichtweise, dass zwischen dem ABG-Gesetz/den §§ 305ff. BGB und der Richtlinie kein Unterschied bestünde.397

Die Klausel ist deshalb eigenständig auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 Richtlinie zu überprüfen. Der Anhang zu Art. 3 Abs. 3 Richtlinie bietet keine Anhaltspunkte. Da die Richtlinie auf eine Missbrauchs- statt Klauselkontrolle abstellt,398 besteht keine Kongruenz zu den §§ 308 und 309 BGB. Insbesondere sind Privilegien der Baubran-che in Form von Freistellungen dem Kontrollsystem der Richtlinie unbekannt. Nach Art. 3 Abs. 1 Richtlinie ist auf ein Missverhältnis von Rechten und Pflichten abzustellen, wobei dieses bei einer Gesamtbetrachtung nach Treu und Glauben erheblich und un-gerechtfertigt sein, sowie den Verbraucher benachteiligen muss, um unwirksam im Sinn des Art. 3 Abs. 1 Richtlinie zu sein.

Ein Missverhältnis besteht dann, wenn die materiellen Interessen unrichtig bewertet und unzureichend berücksichtigt sind. Ein solches Missverhältnis ist anzunehmen, wenn von der dispositiven gesetzlichen Regelung spürbar abgewichen wird.399 Vorlie-gend wird das gesetzlich vorgesehene Rücktrittsrecht des Auftraggebers vom Vertrag ausgeschlossen. Stattdessen wird ihm lediglich ein Minderungsrecht eingeräumt. Darin ist ein Missverhältnis im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Richtlinie zu sehen. Ein solches Miss-verhältnis ist unter Beachtung von Treu und Glauben erheblich, wenn ein Ausgleich nicht mehr gegeben ist, weil die Nachteile erkennbar überwiegen.400

Der Verlust eines dem Verbraucher vom Gesetzgeber eingeräumten Mängelanspru-ches ohne ihm einen wie auch immer gearteten normativen Ausgleich zu gewähren, ist erheblich. Ein Nachteil kann nur durch Einräumung eines Ausgleichs kompensiert wer-den. Der Verlust des Rücktrittsrechts ist einseitig. Ein Ausgleich zugunsten des Auf-traggebers ist nicht ersichtlich. Ein Nachteil für den Verbraucher kann bei jeder Schmä-lerung seiner Rechte und Mehrung seiner Pflichten und Lasten angenommen wer-den.401

Sicherlich findet auch im Rahmen der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie eine Ge-samtabwägung an den Maßstäben von Treu und Glauben statt.402 Dass der deutsche Gesetzgeber die Verkürzung der Rechte des Verbrauchers in der in § 13 VOB/B ge-schehenen Weise dem Grund nach als unbillig und nicht möglich ansieht, ergibt sich bereits aus § 309 Nr. 8 b) bb) BGB. Andernfalls wäre die dort erfolgte Privilegierung von Bauverträgen, die auch VOB/B-Bauverträge betrifft, entbehrlich gewesen.

397 Wilhelmsson, JCP 1993, 435, 440; ders., Social Contract Law, 148 ff. 398 Vgl. beispielhaft Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, Art. 3 RL Rdnr. 1. 399 Vgl. Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, Rdnr. 6 mwN. 400 Vgl. Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, Rdnr. 9 mwN. 401 Vgl. Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, Rdnr. 10. 402 Vgl. Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, Rdnr. 12.

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Als Argument für die Privilegierung der Bauverträge in § 309 Nr. 8 b) bb) BGB werden die wirtschaftlichen Schwierigkeiten bei der Rückabwicklung ins Feld geführt. Diese Argumentation lässt berechtigte Interessen des Verbrauchers/Auftraggebers unbeach-tet. Der Auftraggeber muss sich mit einem mangelhaften Werk, dessen Mangelfreiheit nicht herbeigeführt werden kann, weil die Beseitigung des Mangels unmöglich ist oder einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde, begnügen. Anhand eines Bei-spiels ausgedrückt hat der Bauherr mit seinem nicht gegen (nicht-)drückendes Wasser abgedichteten Haus zu leben. Die zu erwartende Unbewohnbarkeit des Hauses infolge Schimmelpilzbildung ist hinzunehmen, ebenso wie der Fortbestand dieses Hauses. Eine Rückabwicklung – Beseitigung des Hauses! – gibt es nicht. Da aber kein, die Pri-vilegierung rechtfertigendes Argument existiert, zudem eine Besserstellung von Bau-verträgen der Richtlinie fremd ist, ist vom gesetzlichen Regelfall des BGB auszugehen. Dieser bewertet die Verkürzung der Rechte als unzulässig.

d) Bewertende Zusammenfassung

§ 13 Nr. 6 VOB/B ist in dieser Fassung nicht haltbar. Er verletzt in eklatanter Weise das Transparenzgebot und genügt auch nicht den Anforderungen, die die Richtlinie 93/13/EWG in Art. 3 Abs. 1 stellt. Wesentliche Rechte, hier das Rücktrittsrecht, können dem Verbraucher nicht einfach abgeschnitten werden.

11. § 15 Nr. 3 Satz 5 VOB/B

„Nicht fristgemäß zurückgegebene Stundenlohnzettel gelten als anerkannt.“

a) Regelungsgehalt

Diese durch die VOB/B-Novelle unverändert gebliebene Klausel regelt in ihrem Kern-bereich die Berechnung der Vergütung bei Stundenlohnarbeiten, nicht hingegen die nach § 2 Nr. 10 VOB/B zu beurteilende grundsätzliche Zulässigkeit der Vereinbarung von Stundenlohnarbeit.403

Sofern ausdrücklich eine Stundenlohnvereinbarung getroffen wurde, treten für den Auf-traggeber besondere Risiken auf. Zumal die Höhe der für sie insgesamt zu bezahlen-den Gesamtvergütung maßgeblich „vom Fleiß und der Arbeitskraft, sowie vom Können und der Geschicklichkeit der vom Auftragnehmer eingesetzten Kräfte“404 abhängig ist. Um so bedeutsamer ist das in § 15 Nr. 3 Sätze 3 bis 5 geforderte Verhalten des Auf-traggebers im Hinblick auf die ihm – unter Umständen verspätet – zugegangenen Stundenlohnzettel. Der Auftraggeber hat die Stundenlohnzettel ohne schuldhaftes Zö-

403 Vgl. hierzu Locher, BauR, Rdnr. 191. 404 Vgl. Korbion/Hohstein/Keldungs, VOB Rdnr. 829.

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gern, spätestens jedoch innerhalb von sechs Werktagen nach Zugang zurückzugeben und muss innerhalb dieser Frist eventuelle Einwendungen gegen diese Stundenlohn-zettel, aber nicht unbedingt schriftlich,405 erheben. Dabei müssen diese dem Auftrag-nehmer innerhalb der vorgenannten Frist zugehen, andernfalls gelten die Stunden-lohnzettel als anerkannt, § 15 Nr. 3 Satz 5 VOB/B. Somit stellt § 15 Nr. 3 Satz 5 VOB/B die Fiktion eines Anerkenntnisses auf.406 Dies führt zu einer Beweislastumkehr, da dem Anerkenntnis deklaratorische Bedeutung zukommt.407

b) Privilegierung der VOB/B in § 308 Nr. 5 BGB – Anwendbarkeit auf § 15 Nr. 3 Satz 5 VOB/B

Die gemeinschaftsrechtliche Dimension der Privilegierung in § 308 Nr. 5 BGB ist be-reits erörtert worden ebenso der Bezug zu § 12 Nr. 5 VOB/B.408 Vorliegend steht die Wechselwirkung der §§ 308 Nr. 5 BGB, 12 Nr. 5 und 15 Nr. 3 Satz 5 VOB/B im Mittel-punkt des Interesses.

Selbst wenn der Gesetzgeber bei Schaffung des § 308 Nr. 5 a) und b) BGB (früher § 10Nr. 5 AGBG) vorrangig § 12 Nr. 5 VOB/B privilegieren wollte,409 unterfällt auch § 15 Nr. 3 Satz 5 VOB/B infolge der weiten generalisierenden Fassung des § 10 Nr. 5 AGBG, heute § 308 Nr. 5 BGB, einem Klauselverbot mit Wertungsmöglichkeit.410 § 308 Nr. 5 hat im Anhang Nr. 1 h) und Nr. 1 i) der Richtlinie 93/13/EWG zu Art. 3 Abs. 3 eine genuin gemeinschaftsrechtliche Vorgabe gefunden. Der deutsche Gesetzgeber sieht in § 308 Nr. 5 BGB einen handhabbaren Kompromiss, sofern der Vertragspartner des Verwenders über die Bedeutung der Fiktionen für den Fall seines Schweigens infor-miert ist und er sich darauf einstellen kann, um gegebenenfalls für ihn nachteilige Rechtsfolgen abzuwenden.411

Die nähere Analyse des § 308 Nr. 5 BGB und des § 15 Nr. 3 Satz 5 VOB/B hat die Entstehungsgeschichte der Regelung des Bürgerlichen Gesetzbuches zu berücksichti-gen. Schon bei Schaffung des § 10 Nr. 5 AGBG, dem heutigen § 308 Nr. 5 BGB, hatte der Gesetzgeber die Vorschrift des § 12 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B im Visier.412 Dieser Um-

405 Vgl. Korbion/Hohstein/Keldungs, VOB Rdnr. 836. 406 Vgl. Werner/Pastor, Bauprozess, Rdnrn. 2033 ff.; Korbion/Hohstein/Keldungs, VOB Rdnr.

834. 407 Vgl. Werner/Pastor, Bauprozess, Rdnrn. 2033 ff.; Korbion/Hohstein/Keldungs, VOB Rdnr.

834. 408 Vgl. B. I. 5 und B. II. 5, sowie C. II. 6. 409 Vgl. BT-Drucks. 7/5422, 7, 14. 410 Vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, § 308 Rdnr. 28; Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, § 10, Nr. 5

Rdnr. 12. 411 Vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, § 308 Rdnrn. 26, 27; Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, § 10

Nr. 5 Rdnr. 1. 412 Vgl. BT-Drucks. 7/3010, 16; BT-Drucks. 7/5422, 14.

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stand führt gelegentlich zu der Schlussfolgerung, dass insbesondere § 15 Nr. 3 Satz 5 VOB/B dem Anwendungsbereich des vormaligen § 10 Nr. 5 ABGB, dem heutigen § 308 Nr. 5 BGB entzogen sei, und nur eine Inhaltskontrolle nach § 9 ABGB bzw. § 307 Abs. 2 BGB stattzufinden habe.413 Einigkeit besteht jedoch darüber, dass eine Inhalts-kontrolle insbesondere unter dem Gesichtspunkt zu erfolgen hat, ob der in § 308 Nr. 5 BGB verlangte Hinweis dem Auftragnehmer zumutbar und möglich ist.414

§ 15 Nr. 3 Satz 5 VOB/B lässt einen angemessenen Inhalt im Hinblick auf die in §308Nr. 5 BGB geforderten Hinweispflichten vermissen. Ein nach § 308 Nr. 5 b) BGB verlangter Hinweis auf die Folgen der nichtrechtzeitigen Rückgabe der Stundenlohnzettel fehlt, obwohl er unschwer sprachlich aufzunehmen wäre. Der Auftraggeber hat ein legitimes Interesse an der Unterrichtung über die Wirkungen eines nicht fristgemäß zurückgegebenen Stundenlohnzettels, um eigene Rechtsnachteile zu vermeiden. Gründe, wieso und warum diese Rechtspflicht zugunsten des Auftragnehmers abbedungen werden können sollte, sind nicht ersichtlich. c) Zusammenfassende Bewertung

Gerade § 15 Nr. 3 Satz 5 zeigt die Notwendigkeit, die Privilegierung in § 308 Nr. 5 BGB ersatzlos zu streichen. § 15 Nr. 3 Satz 5 VOB/B fingiert eine Erklärung, ohne dass der Auftraggeber auf die Rechtswirkungen hingewiesen wird. Das stellt einen elementaren Verstoß gegen die Wertungen des Gesetzgebers dar. Schweigen ist nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich keine Willenserklärung. Nachdem der dem Unterneh-mer auferlegte Hinweis auf die Folgen des Schweigens unterbleibt, ist die VOB/B-Regelung nicht nur mit dem Argument ihrer eigenen Privilegierung als unwirksam ein-zustufen, sondern auch wegen Verstoßes gegen § 308 Nr. 5 BGB.415

12. § 16 Nr. 1 Abs. 1 VOB/B

„Abschlagszahlungen sind auf Antrag in Höhe des Wertes der jeweils nachgewiesenen vertragsgemäßen Leistungen einschließlich des ausgewiesenen, darauf entfallenden Umsatzsteuerbetrages in möglichst kurzen Zeitabständen zu gewähren.“

413 Vgl. Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, § 10 Nr. 5 Rdnr. 12 mit weiteren Nachweisen in Fn.

4. 414 Vgl. MünchKommBGB-Basedow, § 308 Nr. 5 Rdnr. 8; Wolf/Horn/Lindacher-Horn, AGBG, §

23 Rdnr. 5 mit Hinweis auf Ulmer/Brandner/Hensen-Hensen, AGBG, Anh. §§ 9 bis 11 Rdnr. 912.

415 So wohl auch MünchKommBGB-Basedow, § 308 Nr. 5 Rdnr. 9.

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a) Regelungsgehalt

Diese bis zur Einführung des § 632 a BGB einzige Regelung zum Thema Abschlags-zahlung wurde durch die VOB/B 2002 nicht geändert. Demnach können bei einem VOB/B-Vertrag Abschlagszahlungen unter drei Voraussetzungen verlangt werden.

Es muss eine der Abschlagszahlung entsprechende Bauleistung erbracht worden sein. Erwähnenswert ist die reine Erforderlichkeit der geschuldeten Leistung im Rahmen des Bauvertrages und deren tatsächliche Erbringung. Keine Anspruchsvoraussetzung ist, dass es sich hierbei um in sich abge-schlossene Teile des Werkes handelt.416

Der Auftragnehmer muss eine prüfbare Aufstellung der Bauleistung vorlegen.

Der Auftragnehmer muss einen Antrag auf Abschlagszahlung stellen.

Der unter diesen Voraussetzungen bestimmte Anspruch des Auftragnehmers bemisst sich in seiner Höhe an der vertragsgemäß und somit mangelfreien Leistung.417 Mit um-fasst sind neben der gesetzlichen Mehrwertsteuer auch die für die geforderte Leistung eigens angefertigten und bereitgestellten Bauteile, sowie die für die Baustelle angelie-ferten, aber noch nicht eingebauten Stoffe oder Bauteile, jedoch nur, wenn dem Auf-traggeber nach seiner Wahl das Eigentum an ihnen übertragen wird (§§ 929 ff., 950 BGB) oder entsprechende Sicherheiten (nach § 17 VOB/B) gegeben werden. Mit die-ser in der baurechtlichen Literatur als ausgewogen bezeichneten Klausel418 sollen wirt-schaftliche Unbilligkeiten für den grundsätzlich zur Vorleistung verpflichteten Auftrag-nehmer abgefangen werden.

b) Verletzung des § 307 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB – Leitbildcharakter des § 632 a BGB

Nach § 632 a BGB darf der Unternehmer Abschlagszahlungen nur für in sich abge-schlossene Teile des Werkes, sowie für eigens angefertigte Stoffe oder Bauteile for-dern. Als zusätzliche Voraussetzung für den Anspruch formuliert der Gesetzgeber, dass dem Besteller Eigentum an den Teilen des Werkes, an den Stoffen oder Bautei-len übertragen oder Sicherheit hierfür geleistet wird.419 Zudem muss die Leistung ver-

416 Vgl. Locher, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 16 Nr. 1 Rdnr. 2; Werner/Pastor, Bauprozess,

Rdnr. 1222. 417 Vgl. Locher, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 16 Rdnr. 38 mwN. auf die umstrittene Frage

des Maßstabes der Mangelfreiheit; Werner/Pastor, Bauprozess, Rdnr. 1226; Locher, BauR, Rdnr. 201; Korbion/Hohstein/Keldungs, VOB, Rdnr. 852.

418 Vgl. insoweit Locher, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 16 Nr. 1 Rdnr. 3. 419 Vgl. Korbion/Hohstein/Keldungs, VOB, Rdnr. 861; Palandt-Sprau, BGB, § 632 a Rdnr. 5;

Werner/Pastor, Bauprozess, Rdnrn. 1218 ff.

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tragsgemäß, somit nach dem Vertrag geschuldet und wenigstens im wesentlichen mangelfrei sein.420

Bei dieser, durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30.03.2000 eingeführten Norm ist im Einzelnen vieles strittig. Die Auseinandersetzungen nehmen ihren Anfang bei der Frage der Erforderlichkeit der Stellung einer prüfbaren Rechnung oder Aufstellung,421 zieht sich über die Definition des Begriffes „in sich abgeschlossene Teile des Werkes“422 und mündet in der Frage der eigentlichen Sinnhaltigkeit der Rege-lung,423 was im Hinblick auf die Bezeichnung des Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlung und des eigentlichen Zwecks des Gesetzgebers nicht erstaunt.

Trotz dieser Kritikpunkte besteht mittlerweile über den Leitbildcharakter des § 632 a BGB Einigkeit:424 Zur Begründung wird auf die, auf der Grundlage des (alten) § 27 a AGB-Gesetz erlassene „Verordnung über Abschlagszahlung bei Bauträgerverträgen“ vom 23.05.2001 verwiesen. Der Gesetzgeber hat hiermit auf die Entscheidung des BGH vom 22.12.2000425 reagiert. In dieser Entscheidung hatte der BGH jede Ab-schlagszahlungsvereinbarung in einem Bauträgervertrag gemäß § 134 BGB als insge-samt nichtig eingestuft, wenn sie zu Lasten des Erwerbers von § 3 Abs. 2 MaBV ab-weicht und daher dem mit dieser Vorschrift bezweckten Schutz des Erwerbers zuwider läuft. Anstelle dieser nichtigen Abschlagszahlungsvereinbarung tritt nach Sichtweise des BGH die Vorschrift des § 641 BGB als Fälligkeitsregelung.

Auf die unter dem Schlagwort „Der Bauträgervertrag vor dem Aus!“ geführte Diskussi-on426 reagierte der Gesetzgeber mit einer Regelung für den Hausbau unter Abwei-chung des § 632 a BGB, um Bauträger von der Geltung des § 632 a BGB auszuneh-men.427 Im Hinblick auf die Entscheidung des BGH vom 22.12.2000 ist § 632 a BGB nicht zuletzt unter Berücksichtigung der nunmehr in Kraft getretenen „Verordnung über Abschlagszahlungen bei Bauträgerverträgen“ als gesetzliches Leitbild zu verstehen.428

Von diesem gesetzlichen Leitbild weicht § 16 Nr. 1 Abs. 1 VOB/B in drei wesentlichen Punkten ab. Insbesondere ergibt sich eine eklatante Divergenz bei den Voraussetzun-gen, unter denen eine Abschlagszahlung verlangt werden kann:

420 Vgl. Palandt-Sprau, BGB, § 632 a Rdnr. 5; weitergehend BT-Drucks. 14/1246, 56. 421 Dagegen Werner/Pastor, Bauprozess; Kirberger, BauR 2001, 492, 499; Heinze, NZBau

2001, 233, 237; dafür Kiesel, NJW 2001, 1675. 422 Vgl. u.a. Böhme, BauR 2001, 525, 527; Motzke, NZBau 2000, 489, 492; Rodemann, BauR

2002, 863, 866. 423 Vgl. statt vieler Thode, IBR 2001, 153, 155. 424 Vgl. Thode, IBR 2001, 153, 154, 155; Schmidt-Ränsch, ZFIR 2000, 337. 425 BGH, NJW 2001, 818 = Baurecht 2001, 391 = NZBau 2001, 132 = NJW-RR 2001, 520. 426 Vgl. Schmid, Baurecht 2001, 866; Pause, NZBau 2001, 181. 427 Vgl. Thode, IBR 2001, 154. 428 Vgl. Thode, IBR 2001, 154; Palandt-Sprau, BGB, § 632 a Rdnr. 1.

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Eine Abschlagszahlung nach § 16 Nr. 1 Abs. 1 VOB/B soll unabhängig vom Vorliegen eines in sich abgeschlossenen Teils des Werkes oder eigens ange-fertigter und angelieferter Stoffe und Bauteile möglich sein.

Dem vom Gesetzgeber in § 632 a BGB verstärkt berücksichtigten Sicherungs-interesse des Bestellers (Eigentumsverschaffungspflicht oder Sicherheitsleis-tung) wird in § 16 Nr. 1 Abs. 1 VOB/B nicht Rechnung getragen.

§ 16 Nr. 1 Abs. 1 VOB/B verzichtet auf die Voraussetzung der vertragsge-mäßen, d.h. wenigstens im Wesentlichen mangelfreien429 Leistung des Wer-kes.

Gründe, die eine solche Verschlechterung der Stellung des Auftraggebers rechtfertigen könnten, sind angesichts des klaren gesetzlichen Leitbildes in § 632 a BGB nicht er-sichtlich. Derzeit wird eine Änderung des gesetzlichen Leitbildes in § 632 a diskutiert, mit der die Vorschrift an § 16 VOB/B angeglichen werden soll. Das betrifft insbesonde-re die Anforderung, Abschläge für in sich abgeschlossene Leistungsteile verlangen zu können, zu streichen. Dem wäre aus Sicht der privaten Bauunternehmer nicht zu wi-dersprechen, denn die gesetzliche Anforderung ist völlig unpraktikabel und streitanfällig und damit auch wenig verbraucherfreundlich.

c) Zusammenfassende Bewertung

Somit ist § 16 Nr. 1 Abs. 1 VOB/B eine gegen die Wertungen des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB verstoßende Regelung, da sie vom gesetzlichen Leitbild des § 632 a BGB ohne rechtfertigende Punkte abweicht und hierdurch den Verbraucher unangemessen be-nachteiligt.

13. § 16 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B

„Gegenforderungen können einbehalten werden. Andere Einbehalte sind nur in den im Vertrag und in den gesetzlichen Bestimmungen vorgesehenen Fällen zulässig.“

Auch diese, in der aktuellen VOB/B-Fassung konstant gebliebene Klausel befasst sich mit der Abschlagszahlung. Jedoch sollen Gegenrechte für den Auftraggeber begründet werden. Die sprachliche Fassung lässt deren wahren Inhalt nur schwach erkennen. Denn der Auftraggeber, der von der Abschlagszahlung grundsätzlich keine Abzüge vornehmen darf, kann ein Zurückbehaltungsrecht ausüben, wenn er sich Forderungen berühmt, mit denen er gemäß §§ 387 ff. BGB aufrechnen kann.430 Hiermit sollen insbe-sondere die Rechte des Auftraggebers wegen (bereits jetzt schon oder noch) vorlie-

429 Vgl. Thode, IBR 2001, 154; Palandt-Sprau, BGB, § 632 a Rdnr. 1. 430 Vgl. Korbion/Hohstein/Keldungs, VOB, Rdnr. 855; Locher, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, §

16 Nr. 1 Rdnr. 9.

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VOB/B – Einzelprüfung

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gender Baumängel gesichert werden. Der Auftraggeber kann durch die Geltendma-chung seines Rechts Druck auf eine rasche Mangelbeseitigung ausüben.431

b) Verletzung des Transparenzgebotes

Bereits mehrfach wurde auf die im Rahmen des Transparenzprinzips zu beachtenden Maßstäbe der Klarheit und Verständlichkeit hingewiesen und eingegangen. Damit die beiden Säulen des Transparenzgebotes richtig verstanden und demzufolge der An-wendungsbereich des Gebotes der Transparenz richtig bestimmt werden kann, ist die Kenntnis der Entscheidung des EuGH vom 10.05.2001 in dem Verfahren Kommissi-on/Niederlande432 unabdingbar. Die überragende Bedeutung des Transparenzgebotes wurde durch den EuGH unterstrichen. Die Kriterien zur Beurteilung der Transparenz einer Klausel, Klarheit und Verständlichkeit, sind keinesfalls als „einfach“ oder „auch bei flüchtiger Betrachtung ohne Weiteres einsichtig“ zu verstehen.433 Vielmehr ist auf einen sorgfältigen Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr abzustellen.434 Die in der Kom-mentarliteratur geäußerte Ansicht, das Transparenzgebot nicht zu überdehnen und den Schwerpunkt auf die inhaltliche Angemessenheit zu legen,435 geht von einem gemein-schaftsrechtlich nicht haltbaren Verständnis dieses elementaren Prinzips des europäi-schen Verbraucherschutzes und seines Einflusses auf die Auslegung des deutschen Rechtes aus. Insbesondere verfängt das Argument nicht, dass letztlich der Kunde das „Kleingedruckte“ nicht prüfe, weil sich dieses in aller Regel wegen des damit verbun-denen Aufwandes an Zeit und Mühe nicht lohne und er deshalb nicht ausreichend über den Inhalt der Klausel informiert sei.436 Ungeachtet des Fehlgehens dieses Argumentes mangelt es an einem Beweis für die vorgetragene Nachlässigkeit des Verbrauchers im Umgang mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen.

Dem Verbraucher ist die Kenntnis zu verschaffen und genau hier liegt die Schwäche des Arguments, der Kunde lese das Kleingedruckte nicht, was sich plastisch an der zu prüfenden VOB/B Klausel zeigen lässt. Der Kunde kann nur mit fachkundiger Hilfe den wahren Inhalt der Rechte erfassen. Tatsächlich soll der Verbraucher sich mittels der Klausel umfassend über seine Rechte informieren können.437 Der Klauselverwender ist nicht an der Verwendung juristischer Termini gehindert, sofern diese für den Verbrau-cher verständlich sind. Jedoch muss der Hinweis auf bestimmte Rechtsfolgen einem vernünftigen, sorgfältigen und informierten Verbraucher eingängig und verständlich

431 Vgl. Werner/Pastor, Bauprozess, Rdnr. 1227. 432 Vgl. EuGH, NJW 2001, 2000, 244 und Fn. 166, 168. 433 Vgl. Anwaltkommentar-Hennrichs, § 307 Rdnr. 8. 434 Vgl. Wolf/Horn/Lindacher-Wolf, AGBG, Art. 5 RL Rdnr. 1. 435 Vgl. insoweit richtungsweisend MünchKommBGB-Basedow, § 307 Rdnrn. 51, 52. 436 Vgl. insoweit richtungsweisend MünchKommBGB-Basedow, § 307 Rdnrn. 51, 52. 437 Vgl. u.a. Anwaltkommentar Schuldrecht-Raab, § 307 Rdnrn. 6, 8.

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Hans-W. Micklitz/Hartwig Pieler

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sein, um dem Transparenzgebot und seinen Maßstäben von Klarheit und Verständlich-keit zu genügen.

Die Klausel ist bereits auf der Tatbestandsseite unverständlich. Was „Gegenforderun-gen“ und „andere Einbehalte“ in Abgrenzung voneinander sein sollen, ist schon für den Juristen nicht einfach, für den Verbraucher schlicht nicht nachvollziehbar. Die dem Auf-traggeber an und für sich zugedachte Möglichkeit, Druck auf den Auftragnehmer noch vor Abnahme auszuüben, indem Gelder zurückbehalten werden, bleibt gänzlich im Dunklen. Dem Klauselverwender wäre es zumutbar, durch eine sprachlich klare For-mulierung für eine ausreichende Information des Vertragspartners Sorge zu tragen. Allein die Verwendung des Terminus „Zurückbehaltungsrecht“ würde ausreichen, ist zugleich aber auch geboten. Der über seine Rechte im unklaren gelassene Verbrau-cher ist durch die einschlägige Formulierung in § 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B seiner Hand-lungsmöglichkeiten beraubt.

c) Zusammenfassende Wertung

Einer Wirksamkeit des § 16 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B stehen die Maßstäbe des Transpa-renzgebotes entgegen. Die nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksame Klausel erfüllt nicht die Kriterien der umfassenden Information des hierauf angewiesenen Auftragge-bers. Nicht nur dass die Voraussetzungen, unter denen der Auftraggeber seine Rechte geltend machen kann, bereits unscharf bezeichnet werden, bleiben vor allem die maß-geblichen „Druckmöglichkeiten“ für den Auftraggeber verborgen. Die eigentliche Kern-aussage dieser Regelung, Druck auf den Auftragnehmer durch Ausübung eines Zu-rückbehaltungsrechtes auszuüben, wird nicht in der gebotenen und hinreichend erfor-derlichen Art und Weise mitgeteilt. Die Klausel ist deshalb intransparent und unwirk-sam.

14. Zusammenfassung

Die VOB/B ist in ihrer bisherigen Gestalt nicht weiter aufrecht zu erhalten. Sie stellt einen Anachronismus dar. Eine Vielzahl von Klauseln der VOB/B verstoßen gegen geltendes Recht. Auch für die an sich privilegierten Gewerbetreibenden ist dieser Be-fund misslich, da sich die Unhaltbarkeit gesicherter Rechtspositionen erst in einer Viel-zahl von Prozessen, die erfahrungsgemäß lange und kostspielig sind, erweisen dürfte. Wichtiger ist es, nochmals die Nichtberücksichtigung der legitimen Interessen der Verbraucher im Rahmen der VOB/B zu betonen. Aus Sicht der im Rahmen der Bau-wirtschaft gewichtigen Gruppe der Verbraucher gibt es eine Vielzahl von Klauseln, die nicht interessengerecht sind.

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Handlungsmöglichkeiten

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D. Welche rechtlichen Handlungsmöglichkeiten bestehen für den Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. gegen den richtlinienwidri-gen Zustand vorzugehen?

I. Ziele und Mittel

1. Ziel des Vorgehens

Das Ziel kann nur sein, den gemeinschaftswidrigen Zustand im deutschen Recht zu beseitigen. Die Gemeinschaftswidrigkeit resultiert einmal aus der Herausnahme der VOB/B aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG, sodann aus der Son-derbehandlung, die die VOB/B auch nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz in den §§ 305 ff. BGB erfahren hat. Wäre dagegen die VOB/B im vollen Umfange der AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB unterworfen, ergäbe sich ein erheblicher Kor-rekturbedarf. Insofern hat der Gesetzgeber, durchaus im Einklang mit der Rechtspre-chung der deutschen Gerichte, einen Schutzwall um die deutsche Bauwirtschaft bzw. die Ausgestaltung ihrer Vertragsbedingungen gebaut. Ein Einreißen dieses Schutz-walls scheint nur möglich, indem Maßnahmen ergriffen werden, um die volle Anwend-barkeit des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen.

Die „eleganteste“ Lösung wäre die eines „negativen horizontalen Effekts“ der Richtlinie 93/13/EWG, für den es in der Rechtsprechung des EuGH Beispiele gibt.438 Die richter-liche Nichtanwendung der gemeinschaftswidrigen Regelung hätte zur Folge, dass die Privilegien der § 308 Nr. 5, § 309 Nr. 8 b) ff) und § 309 Nr. 8 b) bb) BGB nicht griffen. Allerdings bleibt das Problem des Verbots der horizontalen Direktwirkung, d.h. die Richtlinie kann Privatleute nicht unmittelbar verpflichten. Man könnte argumentieren, dass das Gemeinschaftsrecht nur die §§ 305 ff. BGB vollinhaltlich in Kraft setzen wür-de, der Vertrauensgrundsatz also nicht verletzt sei. Gleichwohl erscheint dieser Weg wenig aussichtsreich, da die deutsche Rechtswissenschaft dem negativen horizontalen Effekt einer Richtlinie ablehnend gegenübersteht.439

2. Mittel

Zwei denkbare Wege eröffnen sich, um den gemeinschaftsrechtswidrigen Zustand zu beseitigen. Der erste Weg bestünde darin, auf eine Änderung der einschlägigen Be-stimmungen der §§ 305 ff. hinzuwirken. Hierzu bieten sich wiederum zwei Möglichkei-ten:

438 EuGH, 27.2.2003, Rs. C-327/00, Santex, Slg. 2003, I-1877. 439 Vgl. zuletzt Jarass/Beljin, JZ 2003, 768.

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Hans-W. Micklitz

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politischen Druck auf die Bundesrepublik Deutschland auszuüben, um die §§ 305 ff. BGB zu ändern und/oder

politischen Druck auf die Europäische Kommission auszuüben, um die Einlei-tung eines Vertragsverletzungsverfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof zu erreichen, um so – im Erfolgsfalle – die Bundesrepublik Deutschland zur gesetzgeberischen Korrektur zu zwingen.

Die zweite Variante der denkbaren Handlungsformen führt direkt zum Europäischen Gerichtshof. Hier bieten sich wiederum zwei Möglichkeiten:

Gegen die Verwender der VOB/B bzw. den DVA als Empfehler der VOB/B im Wege der Unterlassungsklage nach § 1 UKlaG vorzugehen. Vor deutschen Gerichten ließe sich so die Gemeinschaftswidrigkeit der §§ 305 ff. BGB rügen und eine Vorlage zum Europäischen Gerichtshof erreichen;

gegen die Bundesrepublik Deutschland eine Schadensersatzklage wegen feh-lerhafter Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG einzureichen. Hierzu bedürfte es geeigneter Fallkonstellationen, in denen einzelnen privaten Bauherren nachweislich ein Schaden dadurch entstanden ist, dass die VOB/B die Bauun-ternehmer gemeinschaftswidrig haftungsrechtlich privilegieren.

Die verschiedenen Möglichkeiten, die sich aus dem Gemeinschaftsrecht in Verknüp-fung mit dem deutschen Recht ergeben, um den gemeinschaftswidrigen Zustand zu beseitigen, sollen mit einer Ausnahme untersucht werden. Die Ausnahme bezieht sich auf die jedenfalls theoretisch gegebene Möglichkeit, dass der deutsche Gesetzgeber der Bauwirtschaft die Privilegien der §§ 305 ff. BGB selbst nähme. Während der Ge-setzgebungsarbeiten zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz tauchte die Frage auf, ob es notwendig und geboten wäre, den Bauvertrag einer gesonderten gesetzlichen Regelung zu unterziehen. In diesem Zusammenhang wurde auch erörtert, ob sich die Privilegien der VOB/B überhaupt verteidigen lassen bzw. ob sie überhaupt noch sinn-voll seien.440 Der Gesetzgeber hat allen Bemühungen der Verbraucherverbände zum Trotz die Problematik im Zuge des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes nicht aufge-griffen. Sie steht auch nicht auf der Agenda, die sich das Justizministerium für die lau-fende Legislaturperiode gesetzt hat.

440 Prof. Micklitz war Mitglied der Kommission, die sich 2001/2002 mit der Integration der

Verbraucherschutzgesetze in das BGB befasste.

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Handlungsmöglichkeiten

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II. Ziel: Gesetzesänderung mittels Einleitung eines Vertragsverlet-zungsverfahrens, Art. 226 EGV

1. Funktion des Vertragsverletzungsverfahrens

Das Vertragsverletzungsverfahren ist dasjenige Verfahren, mittels dessen die Europäi-sche Kommission sicherstellt, dass die Mitgliedstaaten ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag einhalten. So ist die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft, und damit auch die Richtlinie 93/13/EWG innerhalb der vorgesetzten Frist voll inhaltlich umzusetzen. Der Kommission obliegt die Prüfung, ob die Mitgliedstaaten dieser Verpflichtung nachkommen und sofern sie es nicht tun, ein Verfahren gegen die Mitgliedstaaten einzuleiten. Obsiegt die Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof, weil der EuGH die Verletzung des Gemeinschaftsrechts bejaht, so sind die Mitgliedstaaten gezwungen, gesetzgeberische Maßnahmen zu er-greifen, um das nationale Recht an die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts in ihrer Interpretation durch den Europäischen Gerichtshof anzupassen. Neben dem Vorabent-scheidungsverfahren nach Art. 234 EGV zählt das Vertragsverletzungsverfahren zu den wichtigsten Klagetypen, die der EG-Vertrag zu bieten hat. Beide Verfahrensarten zusammengenommen machen mehr als 90 % aller Verfahren vor dem EuGH aus.441

2. Möglichkeiten des Verbraucherzentrale Bundesverbandes e.V. die Einlei-tung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die Kommission zu er-zwingen

Um das Ergebnis vorwegzunehmen: unabhängige Dritte bzw. außenstehende Verbän-de haben keinerlei Möglichkeit, die Kommission rechtlich zu zwingen, ein Vertragsver-letzungsverfahren einzuleiten. Zwar lässt sich Art. 226 Abs. 1 EGV durchaus so lesen, dass der Kommission eine Verpflichtung obliegt, jeden ihr bekannt gewordenen Ver-tragsverstoß zu verfolgen. Insoweit ist die prinzipielle Verfolgungspflicht weitgehend unbestritten.442 Jedoch bezieht sich eine Verfolgungspflicht jedenfalls nur darauf, ein Mahnschreiben zu verfassen bzw. eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu for-mulieren, die den Mitgliedstaaten zuzuleiten ist. Eine Rechtspflicht zur Anrufung des Europäischen Gerichtshofes besteht dagegen nicht. Diese Rechtsfolge ergibt sich ein-deutig aus der Formulierung des Art. 226 Abs. 2 EGV, wonach die Kommission den Gerichtshof anrufen kann.

441 Grundsätzlich, Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 177 EG-Vertrag, 2.

Auflage, 1995 mit Statistiken. 442 Vgl. Krück, in: Groeben/Thiesen/Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 5.

Auflage, 1997, Art. 169 Rdnr. 65 m. Nachweisen in Fn. 105.

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Dem Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. bleibt es unbenommen, sich an die zuständige Dienststelle der Europäischen Kommission zu wenden und diese auf die Vertragsverletzung der Bundesrepublik Deutschland hinzuweisen. Sachlich zuständig wäre die Europäische Kommission, Generaldirektion Gesundheit und Verbraucher-schutz, Ref. B 2, Unfair Commercial Practices, Redress and administrative Co-operation, Abteilungsleiterin Carina Toernblom, rue de la loi, 200, B-1049 Brüssel. In-nerhalb der Abteilung liegt die Zuständigkeit für die Richtlinie 93/13/EWG in den Hän-den von Cathal O’Conaill. Eine mögliche begründete Beschwerde würde deshalb in dieser Abteilung bzw. bei Cathal O’Conaill auflaufen. Die Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz ist nicht autonom in ihrer Entscheidung, ob sie ein Vertragsver-letzungsverfahren einleiten möchte oder nicht. Hierüber befindet die Kommission nach Einschaltung ihres Juristischen Dienstes insgesamt.

Die Kommission hat nach Erlass der AGB-Richtlinie 93/13/EWG die Vereinbarkeit des damaligen AGB-Gesetzes mit der Richtlinie 93/13/EWG geprüft. Auch damals bestan-den bereits die wesentlichen Privilegien zugunsten der VOB/B, vgl. § 23 Abs. 2 Nr. 5 AGBG.443 Dennoch hat die Kommission in ihrem Mahnschreiben lediglich die Frage aufgeworfen, ob die Bundesrepublik Deutschland das Transparenzprinzip kodifizieren müsse oder ob es ausreiche, dass die Rechtsprechung das Transparenzprinzip aus dem damaligen § 9 AGBG abgeleitet hatte. Über diese Frage ist es zu einem Aus-tausch der Rechtspositionen zwischen der Kommission und den deutschen Ministerien gekommen. Die Kommission hat von der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfah-rens abgesehen. Inzwischen ist die Frage obsolet geworden, weil das Transparenz-prinzip im Zuge des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kodifiziert wurde.444

Über die Erfolgsaussichten eines Beschwerdeverfahrens lässt sich nur spekulieren. Es dürfte nicht einfach sein, schon die Generaldirektion Gesundheit und Verbraucher-schutz zum Handeln zu bewegen. Jedenfalls sollte die Beschwerde auf englisch oder französisch abgefasst werden, um den Gang der Ereignisse zu beschleunigen. Alle Erfahrung zeigt, dass die Kommission Beschwerdeverfahren eher aufgreift, wenn sich Probleme und Rechtsfragen zeigen, die für die Gemeinschaft insgesamt von Bedeu-tung sind. Dagegen zögert die Kommission, sich für nationale rechtspolitische Anliegen einzusetzen. Die Probleme der deutschen Bauwirtschaft bzw. der Privilegien, die die deutsche Bauwirtschaft in den §§ 308 Nr. 5, 309 Nr. 8 b) bb) bzw. 309 Nr. 8 b) ff) BGB genießt, sind der Kommission nicht ohne weiteres vermittelbar. Wenn überhaupt, so

443 Zu den Unterschieden zwischen der alten Regelung im AGBG und der neuen in den §§ 305

ff. BGB, vgl. A. II. 1. 444 Allerdings hatte der EuGH in seiner Entscheidung vom 10.5.2001, Rs. C-144/99, Kommissi-

on/Niederlande, Slg. 2001, I-3541, hierzu erst die Begründung geliefert.

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ließen sich die Chancen wesentlich verbessern, wenn es sich um Rechtsfragen han-deln würde, die nicht nur in Deutschland, sondern in einer ganzen Reihe von Mitglied-staaten relevant sind. Hierzu wären vorbereitende Maßnahmen zu ergreifen. Typi-scherweise könnte der Verbraucherzentrale Bundesverband anregen, dass die Kom-mission eine Studie vergibt, die sich mit möglichen Privilegien befasst, die die Bauwirt-schaft in Europa genießt, um klären zu lassen, ob derartige Privilegien mit der Richtli-nie 93/13/EWG vereinbar sind.

III. Feststellung der Gemeinschaftswidrigkeit im Wege des Vorabent-scheidungsverfahrens nach Art. 234 EGV

1. Vorabentscheidungsverfahren und Unterlassungsklage

Der EuGH entscheidet im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung des Ver-trages. Art. 234 EGV erläutert nicht, was unter „Auslegung“ zu verstehen ist. Nach all-gemeinem Verständnis geht es bei der Auslegung um die Ermittlung des Inhalts und die Tragweite einer bestimmten Rechtsnorm oder eines bestimmten Rechtsgrundsat-zes. Der Begriff der Auslegung umfasst auch die Schließung von Lücken des Gemein-schaftsrechts sowie die Beantwortung der Frage nach dem Bestehen oder dem Inhalt der in die Gemeinschaftsordnung integrierten allgemeinen Rechtsgrundsätze. Vorlage-berechtigt ist gem. Art. 234 Abs. 2 EGV nur ein Gericht eines Mitgliedstaates bzw. nach Art. 234 Abs. 3 EGV ein einzelstaatliches Gericht. Somit scheiden aus dem Kreis der Vorlageberechtigten die Parteien des Ausgangsverfahren, die Organe der Gemein-schaft, Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten, Gerichte dritter Staaten oder interna-tionale Gerichtshöfe aus.445

Ein entscheidender Unterschied besteht zwischen der Regelung des Art. 234 Abs. 2 und 234 Abs. 3 EGV. Während ein unterinstanzliches Gericht den Europäischen Ge-richtshof um Vorabentscheidung ersuchen kann, ist das letztinstanzliche, einzelstaatli-che Gericht, dessen Entscheidung selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatli-chen Rechts angefochten werden kann, zur Anrufung des Gerichtshofes verpflichtet.

Der Vertrag selbst enthält keine Bestimmungen über Form und Inhalt des Vorabent-scheidungsersuchens. Damit fehlt es an Vorgaben darüber, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein nationales Gericht den Europäischen Gerichtshof anru-fen kann bzw. wann es dazu verpflichtet ist.446 Der Europäische Gerichtshof hat in ei-ner Vielzahl von Entscheidungen Kriterien entwickelt, die einen Leitfaden für die natio-nalen Gerichte darstellen. Prinzipiell gilt, dass der Europäische Gerichtshof bei der Annahme von Vorabentscheidungsersuchen großzügig verfährt. Immer dann, wenn ein

445 Krück, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 177 Rdnr. 44 f. 446 Vgl. Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, 94 ff.

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nationales Gericht begründete Zweifel an der Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts hat, legt das nationale Gericht dem EuGH eine Rechtsfrage vor. Der EuGH wird im Regelfall das Verfahren zur Entscheidung annehmen. Auf Details soll hier nicht eingegangen werden.

Nach Lage der Dinge wäre im Unterlassungsklageverfahren das Landgericht bzw. das Oberlandesgericht zur Vorlage befugt. Spätestens der BGH wäre gemeinschaftsrecht-lich verpflichtet, den Europäischen Gerichtshof anzurufen, weil nach hiesiger Rechtsauffassung gut begründbare Zweifel an der Gemeinschaftsverträglichkeit der §§ 308 Nr. 5, 309 Nr.8 b) bb) und 309 Nr. 8 b) ff) BGB bestehen. Dies muss umso eher gelten, als gerade BGH-Richter Zweifel an der Gemeinschaftsverträglichkeit einzelner Bestimmungen der VOB/B geäußert haben.447

2. Unterlassungsklage nach § 1 UKlaG

Probates Mittel zur Verfahrenseinleitung wäre eine Unterlassungsklage nach § 1 UKlaG. Das Verbandsklageverfahren ist eingespielt. Die formale und inhaltliche Kom-petenz des Verbraucherzentrale Bundesverbandes e.V. wird von deutschen Gerichten anerkannt. Insoweit spräche allein schon der Umstand, dass der Verbraucherzentrale Bundesverband ein Unterlassungsklageverfahren gegen einen Verwender oder Empfehler der VOB/B einreichen würde, um die Gemeinschaftsverträglichkeit der §§ 308 Nr. 5, 309 Nr. 8 b) bb) sowie 309 Nr. 8 b) ff) BGB klären zu lassen, für die Ernst-haftigkeit des Begehrens. Gleichwohl wäre eine Reihe von prozesstaktischen Überle-gungen anzustellen.

3. Adressaten der Unterlassungsklage – Verwender und Empfehler

Theoretisch ist es möglich, eine Unterlassungsklage gegen potenzielle Verwender der VOB/B oder gegen den DVA einzuleiten, sofern letzterer als Empfehler zu qualifizieren ist. Welcher Weg der bessere und gangbarere ist, ist allein anhand kostenmäßiger und prozesstaktischer Überlegungen zu entscheiden. Typischerweise sind Unterlassungs-klageverfahren gegen einzelne Verwender mit einem geringeren Prozesskostenrisiko belastet.448 Die Gerichte neigen dazu, in diesen Verfahren den Streitwert niedriger an-zusetzen als in Unterlassungsklageverfahren gegen Empfehler. Rechtspolitisch gese-hen, erscheint es überzeugender, gegen den DVA vorzugehen, dazu müsste er als Empfehler im Sinn des Unterlassungsklagengesetzes zu betrachten sein.

447 So Quack, BauR 1997, 24; sowie Thode, IBR 2001, 153. 448 MünchKommBGB-Micklitz, 4. Auflage 2001, § 15 Rdnrn. 43 ff.

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a) Anforderungen an den Empfehler

Als Empfehler und damit Anspruchsgegner eines Unterlassungsanspruches ist anzu-sehen, wer Allgemeine Geschäftsbedingungen nicht selbst verwendet, sondern ihre Verwendung durch Dritte fördert.449 Auf die Rechtsform kommt es nicht.450 Jeder, der nach der Verkehrsanschauung das Gewicht seines Namens für die Angemessenheit der anempfohlenen AGB einsetzt451 bzw. wer die Verwendung bestimmter Allgemeiner Geschäftsbedingungen nahe legt, anrät, oder sogar anhält,452 fördert die Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Von einem Empfehler im Sinn des § 2 UKlaG wird verlangt, dass er auf die tatsächliche Verwendung bestimmter Klauseln hinwirkt. Eine derartige Energie entfaltet nur, wer aus kommerziellen oder beruflichen Gründen Interesse an der Verwendung eines bestimmten Klauselwerkes hat oder die Empfeh-lung vor dem Hintergrund einer wirtschaftlichen Verbundenheit mit dem Adressaten ausspricht.453 Aus diesem Grunde fallen in erster Linie die Wirtschafts- und Berufsver-einigungen unter den Begriff des Empfehlers, die für ihre Mitglieder einheitliche, auf die Bedürfnisse der jeweiligen Wirtschafts- und Berufsgruppe zugeschnittene AGB aufstel-len und zur Verwendung empfehlen.454

Die Empfehler werden zum Adressaten eines Unterlassungsanspruches, indem sie handeln, eben eine Verwendungsempfehlung abgeben. Unter einer Empfehlung ver-steht man generelle Erklärungen an eine Vielzahl von Personen. Dies ist zugleich der Grund, warum Empfehler Adressat eines Unterlassungs- und Widerrufsanspruches sein können. Von derart generellen Erklärungen an eine Vielzahl von Personen geht eine besondere Breitenwirkungsgefahr aus, der der Gesetzgeber mit dem Unterlas-sungs- und Widerrufsanspruch gegen den Empfehler begegnen will.455 Jedoch ist keine ausdrückliche Erklärung von Nöten, vielmehr genügt für die Annahme einer Empfeh-lung beispielhaft die kommentarlose Herausgabe und Verbreitung eines Mustermiet-vertrages durch einen Verband von Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümern, da

449 Palandt-Bassenge, § 2 UKlaG Rdnr. 15. 450 Insoweit einhellige Meinung in der AGB Literatur, Wolf/Horn/Lindacher-Lindacher AGBG, §

13 Rdnr. 62-63; Ulmer/Brandner/Hensen-Hensen AGBG, § 13 Rdnr. 16; Staudinger-Schlosser, § 13 AGBG, Rdnr. 36-39.

451 Wolf/Horn/Lindacher-Lindacher AGBG, § 13 Rdnr. 65. 452 Ulmer/Brandner/Hensen-Hensen AGBG, § 13 Rdnr. 15. 453 Staudinger-Schlosser, § 13 AGBG, Rdnr. 39. 454 Ulmer/Brandner/Hensen-Hensen, AGBG, § 13 Rdnr. 16. 455 Ulmer/Brandner/Hensen-Hensen, AGBG, § 13 Rdnr. 15; Staudinger-Schlosser, § 13 AGBG,

Rdnr. 39; Wolf/Horn/Lindacher-Lindacher, AGBG, § 13 Rdnr. 63.

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Hans-W. Micklitz

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dieses Verhalten zur Verwendung durch Vermieter anregt.456 Als typische Formen des Empfehlens457 sind festzuhalten:

Verbandsempfehlungen: Wirtschafts- und Berufsvereinigungen machen die für ihre Mitglieder erstellten, auf deren Bedürfnisse und Interessen zugeschnitte-nen Bedingungswerke denselben zugänglich,

AGB-Formularbücher und -Formulare,

Sonstige Fälle, zum Beispiel Rechtsanwalt/Notar, der von ihm konzipierte AGB mehreren Mandanten empfiehlt.

b) DVA als Empfehler der VOB/B

Der grundsätzlich als Werkvertrag zu qualifizierende Bauvertrag findet in den §§ 631 bis 651 BGB keine ausreichende gesetzliche Regelung. Das Werkvertragsrecht ist bekanntlich nicht auf die speziellen Belange des Bauvertrages als eines auf Kooperati-on der Vertragspartner ausgerichteten Langzeitvertrages eingerichtet.458 Infolge des-sen hat sich eine Aufspaltung des privaten Baurechtes in Bauverträge, die sich nach dem gesetzlichen Werkvertragsrecht beurteilen und andererseits in solche, in denen die VOB/B als Vertragsgrundlage vereinbart ist, ergeben. Dabei überwiegen in der Praxis die sogenannten VOB-Verträge. Dies ist nicht allein mit der Bindung der öffentli-chen Auftraggeber an haushaltsrechtliche Vorschriften zu erklären, sondern insbeson-dere mit der freiwilligen Bindung privater Auftraggeber an eine häufig mit zahlreichen Änderungen versehene VOB/B. Angeblich berücksichtige die VOB/B die Belange und Interessen beider Bauvertragspartner besser als das allgemeine und für alle Arten von Werkverträgen geltende Werkvertragsrecht des BGB.459

Der Bezug auf die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen von Bau- und Werkvertrag kommt nicht von ungefähr. Schon früh bestand insbesondere bei öffentlichen Auftrag-gebern das Bedürfnis, für die Abwicklung von komplexen Bauverträgen zumal bei grö-ßeren Bauvorhaben eine eigene Rechts- oder Vertragsordnung zu schaffen. Bereits im 19. Jahrhundert existierten von staatlicher Seite aufgestellte sogenannte Verdingungs-ordnungen, die sich nicht nur mit der Gestaltung der Bauverträge, sondern auch mit der Bauausführung befassten. Die Vorläufer der heutigen VOB führten schließlich zur Gründung des Reichsverdingungsausschusses, der in den Jahren 1921 bis 1926 über die endgültige Fassung der Verdingungsordnung für Bauleistungen beriet. Seit 1947 wurde und wird diese Aufgabe vom deutschen Verdingungsausschuss für Bauleistun- 456 Ulmer/Brandner//Hensen-Hensen, AGBG, § 13 Rdnr. 15; Wolf/Horn/Lindacher-Lindacher,

AGBG, § 13 Rdnr. 63. 457 Wolf/Horn/Lindacher-Lindacher AGBG, § 13 Rdnr. 64. 458 Nicklisch/Weick, Teil 3, Einleitung Rdnrn. 1 bis 4. 459 Vgl. Ingenstau/Korbion-Vygen VOB, Einleitung Rdnr. 13.

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gen, nunmehr umbenannt in deutscher Vergabe- und Vertragsausschuss (DVA), über-nommen. Seitdem wurde die VOB in allen ihren Teilen laufend überarbeitet und fort-entwickelt, insbesondere 1952, 1973, 1988, 1992, 1996, 2000, zuletzt 2002/2003.460 Bereits die erste VOB sollte „... für die Vergebung von Leistung und Lieferung einheitli-che Grundsätze für Reich und Länder zu schaffen“.461 Dieses ursprünglich nur das Vergaberecht betreffende Ziel findet sich in der Satzung des DVA deutlicher formuliert wieder. So ist es gemäß § 2 der Satzung des DVA Zweck des Vereines „Grundsätze für die sachgerechte Vergabe und Abwicklung von Bauaufträgen zu erarbeiten und weiter zu entwickeln“. Der DVA will nicht nur für einzelne Bauobjekte gangbare Wege finden, sondern allgemeine Grundsätze erarbeiten und weiter entwickeln. Die VOB/B soll die Vertragsgestaltung am Bau maßgeblich beeinflussen.

Die Verbreitung der VOB/B erfolgt über den Bundesanzeiger. Nach § 17 Abs. 1 der Satzung des DVA sind die VOB Teil A und B jeweils im amtlichen Teil des Bundesan-zeigers zu veröffentlichen. In ihm finden sich amtliche Bekanntmachungen, insbeson-dere Verwaltungsvorschriften der Bundesministerien und nicht amtliche Mitteilungen. Diese umfassen gerichtliche Entscheidungen und private Verlautbarungen, deren Ver-öffentlichung gesetzlich vorgeschrieben ist. Die Art und Weise der Verbreitung spricht für die Anerkennung des DVA als Empfehler im Sinne des § 2 UklaG. Mit der Veröf-fentlichung im Bundesanzeiger, einem Organ des Bundesjustizministeriums wird der halb-offizielle Charakter der VOB/B noch unterstrichen.

Mag diese Sonderbehandlung der VOB/B für sich noch nicht ausreichen, um den DVA als Empfehler zu qualifizieren, so wählt der DVA in der Präambel eine deutlichere Sprache. Dort heißt es unter Bezugnahme auf die VOB/B „Nach den Beschlüssen des DVA (Deutscher Vergabe- und Vertragsausschuss) vom 02.05.2002“. Der Name des Erstellers dieser Regelungen findet sich in der Formulierung wieder, ebenso wie ein deutlicher Hinweis auf den internen Prozess der Meinungsbildung. Die Verwendung der VOB wird den beteiligten Verkehrskreisen aufgrund eines „Beschlusses“ angera-ten, ohne dass direkt von Anraten oder Empfehlen die Rede ist. Bei einer quasi-gesetzlichen Regelung erübrigt sich ein solcher Hinweis ohnehin. Auch lässt die Unter-gliederung des DVA in drei Hauptausschüsse eine Gesetzgebungskompetenz vermu-ten. Jedoch mangelt es genau hieran. Der DVA als Verfasser der VOB hat keine Ge-setzgebungskompetenz.462 Gleichwohl trägt die öffentliche Hand das ihrige bei, um den Eindruck der Gesetzeskraft zu verstärken. Auf der Internetseite des Bundesministeri-ums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen findet sich unter dem Schlagwort „Geset-ze, Verordnungen und Erlasse“ unter anderem der Hinweis auf die VOB.

460 Vgl. Ingenstau/Korbion-Vygen VOB, Einleitung Rdnr. 12. 461 Nicklisch/Weick, Teil B, Einleitung Rdnrn. 23 ff. 462 Vgl. Ingenstau/Korbion-Vygen VOB, Einleitung Rdnr. 20.

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Unter Berücksichtigung der vorstehenden Argumente kann es keine begründeten Zwei-fel an der Empfehlereigenschaft des DVA geben. Angefangen von der eigenen Zielset-zung des DVA über die Wege der Veröffentlichung und Verbreitung der VOB, hin zu den vom DVA veranlassten tatsächlichen Auswirkungen im Rechts- und Baualltag er-scheint die VOB als vom DVA entwickelte quasi-gesetzliche Regelung mit allgegenwär-tigem Einfluss auf eine Vielzahl von Bauverträgen. Genau darauf kam und kommt es dem DVA von jeher an. Er hat, in Kenntnis der Zweifel, die von vielen Seiten gegen die Gemeinschaftsverträglichkeit der §§ 308 Nr. 5, 309 Nr. 8 b) bb) bzw. 309 Nr. 8 b) ff) BGB vorgebracht wurde, die VOB/B 2002 verabschiedet. Er ist nicht nur der geistige Urheber der Neufassung, die sich in so maßgeblicher Weise von den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts unterscheidet, sondern auch rechtlich gesprochen deren Empfehler. Die Rechtsform als nicht eingetragener Verein ist für die Empfehlereigen-schaft unbeachtlich.

Mit einem Vorgehen gegen den DVA würde deutlich, worum es dem Verbraucherzent-rale Bundesverband e.V. in der Sache geht. Eine Klage gegen einen einzelnen Ver-wender erscheint demgegenüber nicht unbedingt sachgerecht und könnte auch das befasste Gericht negativ beeinflussen.

4. Gegenstand der Unterlassungsklage

Die vorliegende Untersuchung hat vier Erkenntnisse zutage gefördert, die jeweils für sich stehen und die gemeinsam oder getrennt zum Gegenstand eines Unterlassungs-klageverfahrens gemacht werden könnten:

die Anwendbarkeit der Richtlinie 93/13/EWG auf die VOB/B;

die Unvereinbarkeit der Sonderbehandlung der VOB/B in den §§ 308 Nr. 5, 309 Nr. b) bb) und 309 Nr. 8 b) ff) BGB mit der Richtlinie 93/13/EWG;

die Unwirksamkeit einzelner Bestimmungen der VOB/B, die aus der gemein-schaftsrechtlichen Auslegung des Transparenzprinzips resultiert;

die Unwirksamkeit einzelner VOB/B-Bestimmungen, die allein auf dem Um-stand beruht, dass die §§ 305 ff. BGB in ihrer ihnen von deutschen Gerichten gegebenen Bedeutung voll inhaltlich auf die VOB/B anwendbar sind.

Die ersten beiden Problemkomplexe stehen in einem engen inhaltlichen Zusammen-hang. Sie sollten deshalb in jedem Fall Gegenstand eines Unterlassungsklageverfah-rens werden. Letztendlich muss es darauf ankommen, diese beiden Komplexe zum integralen Bestandteil eines Vorlagebeschlusses des befassten Gerichtes zu machen. Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des Interesses. An ihnen hängt, ob die Privilegien der VOB/B fallen oder ob sie weiterhin bestehen können.

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Anders verhält es sich mit dem dritten Problemkomplex. Hier geht es darum, ob der BGH bereit ist, auch in der Richtlinie 93/13/EWG dem vom EuGH geprägten Grundsatz zum Tragen zu verhelfen, dass die Aufsteller von Allgemeinen Geschäftsbedingungen die betroffenen Verbraucher über ihre Rechte voll inhaltlich informieren müssen.463 Das so verstandene Transparenzgebot mobilisiert erhebliches Potenzial zur Überprüfung der einschlägigen VOB/B-Bestimmungen, aber nicht nur dieser. Gegebenenfalls eröff-nen sich neue Tätigkeitsfelder für den Verbraucherzentrale Bundesverband e.V., um im Wege des Unterlassungsklageverfahrens den Informationsstand der Verbraucher über ihre Rechte entscheidend zu verbessern. Sollte der BGH sich weigern, die gemein-schaftsrechtlich vorgegebene Auslegung des Transparenzprinzips in die §§ 305 ff. BGB zu übertragen, könnte dem EuGH die Frage vorgelegt werden, ob sich aus dem Transparenzprinzip der Richtlinie 93/13/EWG eine Informationsverpflichtung der Verbraucher über ihre Rechte ergibt.

Der vierte Problemkomplex ist wiederum mit den ersten beiden Sachfragen eng ver-bunden. Fallen nämlich die Privilegien, so sind die §§ 305 ff. BGB voll inhaltlich an-wendbar. Eher prozesstaktisch wäre zu überlegen, ob die Detailfragen in einem sol-chen Musterverfahren mit problematisiert werden sollten oder ob ein gestuftes Vorge-hen angezeigt wäre. Gestuftes Vorgehen könnte bedeuten, dass der Verbraucherzent-rale Bundesverband e.V. zunächst auf die Klärung der ersten beiden Sachfragen hin-arbeitet und erst danach die Überprüfung der Detailfragen anstrebt. Möglich wäre aber auch, die beiden ersten Komplexe bzw. alle vier Komplexe miteinander zu verbinden. Jedoch gewönne ein Verfahren, das alle vier Rechtsfragen aufgreift, erheblich an Komplexität. Das mag vor deutschen Gerichten, die sich mit den Details der VOB/B auskennen, kein Hinderungsgrund sein, jedoch könnte das Verfahren vor dem EuGH mit den Finessen des deutschen Rechts überfrachtet werden.

5. Verjährung der Unterlassungsansprüche

Für die Verjährung von Unterlassungsansprüchen gelten nunmehr die §§ 195, 199 BGB. Danach verjähren die Ansprüche 3 Jahre ab dem Ende des Jahres, in dem der Anspruchsberechtigte Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis von der Verwendung hatte, oder kenntnisunabhängig 10 Jahre ab Verwendung oder Empfehlung. Soweit die VOB/B 2002 im Unterlassungsverfahren angegriffen wird, stellt sich das Verjährungs-problem nicht ernsthaft. Es könnte von Bedeutung werden, soweit mit der Unterlas-sungsklage Tatbestände in der VOB/B 2002 auf- und angegriffen werden, die gegen-über der bisherigen Regelung keine Änderung erfahren haben. Dann nämlich könnte der DVA versuchen, zu seiner Verteidigung § 199 BGB ins Feld zu führen. Überzeu-gend wäre eine solche Argumentation nicht, da die Richtlinie selbst aus dem Jahre 463 Vgl. unter B. II. 4.

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1993 resultiert und der Gesetzgeber die Privilegien im Schuldrechtsmodernisierungs-gesetz bestätigt, ja sogar verstärkt hat.464 Dennoch soll ein kurzer Blick auf mögliche Vorgaben aus dem Gemeinschaftsrecht geworfen werden.

Die Richtlinie selbst schweigt sich darüber aus, ob die Mitgliedstaaten den Zeitraum begrenzen können, der den Verbrauchern bzw. den klagebefugten Verbänden zur Ver-fügung gestellt wird, um sich auf die Unwirksamkeit einer Vertragsklausel berufen zu können. Bislang hat nur die Literatur die nach altem deutschen Recht festgeschriebene Verjährung der Ansprüche in § 13 AGBG problematisiert.465 Spätestens nach Heininger stellt sich ohnehin die Frage, ob ein angemessener und effektiver Rechtsschutz nicht einer zeitlichen Begrenzung des Anspruchs entgegensteht, zumindest dann, wenn die sekundärrechtlichen Vorschriften keine Regelung enthalten. Ganz auf dieser Linie liegt die Argumentation des GA Tizzano in Cofidis,466 der jedoch als Ansatzpunkt Art. 6 he-ranzieht. Er hält im konkreten Fall eine Begrenzung auf 2 Jahre für mit dem Gemein-schaftsrecht nicht vereinbar, weil ein wirksamer Verbraucherschutz nur gewährleistet sein könne, wenn die Missbräuchlichkeit der Vertragsklausel ohne Ausschlussfrist gel-tend gemacht werden könne. Gestützt sieht sich der GA durch die vom EuGH in Océa-no467 formulierte Verpflichtung der Gerichte, die Missbräuchlichkeit von Amts wegen zu prüfen. Der Grundsatz der Rechtssicherheit beanspruche Geltung auch im Interesse des Verbrauchers.468 Insofern rechtfertige er die Einführung einer Ausschlussfrist nicht. Der EuGH folgt dem GA im Ergebnis, knüpft jedoch in seiner Entscheidung nicht an Heininger an.469 Die Festlegung einer Grenze für die Befugnis der Gerichte, Klauseln von Amts wegen oder auf eine vom Verbraucher erhobene Einrede hin unberücksich-tigt zu lassen, sei geeignet, die Effektivität des von den Artikeln 6 und 7 der Richtlinie gewollten Schutzes zu beeinträchtigen.470 Insofern erscheint die 10-jährige Ausschluss-frist gemeinschaftsrechtlich problematisch.471

6. Antrag auf Vorlage an den Europäischen Gerichtshof

Sollte sich der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. zur Einleitung eines Unterlas-sungsklageverfahrens vor einem deutschen Zivilgericht entscheiden, so wäre von An-fang an deutlich zu machen, dass es um ein Musterverfahren geht, bei dem vorrangig zu klären ist, ob die im BGB der VOB/B gewährten Privilegien mit dem Gemeinschafts- 464 Vgl. A. II. 1. 465 Reich/Vergau, in: FS Heinrichs, 411. 466 Schlussantrag, 18.4.2002, Rs. C-473/00, Cofidis S.A./Jean Louis Fredout, Rdnrn. 55-63. 467 27.6.2000, verb. Rs. C-281/98 bis C-244/98, Océano Grupo Editorial und Salvat Editores,

Slg. 2000, I-4941 Rdnrn. 21-24. 468 Schlussantrag, 18.4.2002, Rs. C-473/00, Cofidis S.A./Jean Louis Fredout, Rdnr. 62. 469 Zu den Unterschieden zwischen den beiden Fällen, Rott, EuZW 2003, 5. 470 21.11.2002, Rs. C-473/00, Cofidis S.A./Jean Louis Fredout, Slg. 2002, I-0875 Rdnr. 35. 471 So schon ZPOKommUKlaG-Micklitz Rdnr. 20.

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recht vereinbar sind oder nicht. Musterverfahren bedürfen auf jeder Stufe des Verfah-rens einer außerordentlich sorgfältigen Vorbereitung. Kommt es doch allein auf das strategische Ziel an, die Klärung der alles entscheidenden Rechtsfrage, nicht aber dar-auf, ob der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. in einem frühen Stadium obsiegt oder nicht. Deshalb ist bereits mit Einreichung der Klage deutlich zu machen, was das eigentliche Ziel ist. Hierzu könnte die vorliegende Analyse als Parteigutachten einge-bracht werden, möglicherweise in erheblich gekürzter Form. Der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. kann als Kläger nicht mehr machen, als die Vorlage an den EuGH zu beantragen. Praktische Erfahrungen zeigen, dass Gerichte eher geneigt sind, den EuGH anzurufen, wenn sich die Parteien einig darüber sind, dass es um eine Rechts-frage geht, die der Klärung durch den EuGH bedarf. Vorliegend muss in Betracht ge-zogen werden, dass der DVA als potenzieller Beklagter sich mit einem solchen Vorge-hen nicht einverstanden erklären würde. Angesichts der Bedeutung und der Brisanz des Verfahrens muss auch einkalkuliert werden, dass nicht ein Land- oder Oberlan-desgericht den EuGH anrufen wird, sondern diese Frage dem BGH überlassen wird.

Der BGH hat es theoretisch in der Hand, die §§ 308 Nr. 5, 309 Nr. 8 b) bb) bzw. 309 Nr. 8 b) ff) BGB gemeinschaftsrechtskonform auszulegen und so den Weg für die An-wendbarkeit der §§ 305 ff. BGB auf die VOB/B frei zu machen. Einer gemeinschafts-konformen Auslegung steht allerdings sowohl der Wortlaut als auch die Geschichte der Gesetzgebung entgegen. Der BGH müsste die §§ 308 Nr. 5, 309 Nr. 8 b) bb) bzw. 309 Nr. 8 b) ff) BGB schon contra legem auslegen, was denn doch eher unwahrscheinlich sein dürfte. Immerhin hat der BGH in der Heininger-Folgeentscheidung472 gezeigt, dass dogmatisch saubere Lösungen selbst dort möglich sind, wo scheinbar Wortlaut und Geschichte des nationalen Rechts einer gemeinschaftskonformen Auslegung entge-genstehen. Denkbar und möglich ist aber auch, dass der BGH den Weg zum EuGH wählt. Da der Gang durch die Instanzen in etwa zwei Jahre in Anspruch nehmen wür-de, dürfte die produktive deutsche Rechtswissenschaft für die notwendige publizisti-sche Begleitung sorgen, die vielleicht auch den BGH zu kreativen Ideen inspiriert.

Probleme könnten sich ergeben, wenn der BGH allen Argumenten zum Trotz feststel-len sollte, dass die Privilegien der VOB/B vor dem Gemeinschaftsrecht Bestand haben und eine Vorlage an den EuGH verweigert. Damit wären die Rechtswegmöglichkeiten nicht erschöpft. Dem Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. bliebe es unbenom-men, im Wege der Verfassungsbeschwerde das Bundesverfassungsgericht anzurufen und die Verletzung des Art. 103 Grundgesetz zu rügen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer spektakulären Entscheidung das Bundesverwaltungsgericht gerügt, weil es den Klägern die Vorlage zum EuGH verweigerte.473 Diese hatten sich darauf berufen,

472 BGH, DB 2002, 1262. 473 BVerfG, NJW 2001, 1267.

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dass Gemeinschaftsrecht verletzt worden sei und deshalb eine Vorlage zum EuGH geboten gewesen wäre. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sollte mög-liche Vorbehalte deutscher Obergerichte gegen eine Vorlage zum EuGH abbauen, so dass der Rückgriff auf das Instrument der Verfassungsbeschwerde eine Ausnahme bleiben dürfte.

IV. Anspruch geschädigter Bauherren auf Schadensersatz gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen fehlerhafter Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG

1. Grundlagen eines Schadensersatzanspruches

Seit der Francovich-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes474 steht fest, dass die Mitgliedstaaten einzelnen Verbrauchern, denen in gemeinschaftsrechtlichen Richt-linien subjektive Rechte gewährt werden, für Ersatz des Schadens haften, der diesen durch die Nicht- oder fehlerhafte Umsetzung einer Richtlinie entstanden ist. In der Dil-lenkofer-Entscheidung475 hat der Europäische Gerichtshof deutlich gemacht, dass die-se Rechtsprechung zu Ausgleichszahlungen zugunsten der Verbraucher führen kann. So gelang es in Florida sitzen gebliebenen Urlaubern, in Verfolg der Dillenkofer-Entscheidung von der Bundesrepublik Deutschland Ersatz des Schadens zu erhalten, den sie dadurch erlitten hatten, dass der Reiseveranstalter in Konkurs gegangen war und sie die Rückreise aus Florida nach Deutschland aus eigener Tasche vorfinanzie-ren mussten.476 Die Bundesrepublik hatte es versäumt, Art. 7 der Richtlinie 90/314/EWG vollständig umzusetzen und Vorkehrungen für den Konkurs der Reise-veranstalter zu treffen. Seither wurde der Anspruch auf Staatshaftung in mehreren Ent-scheidungen präzisiert und erweitert. Die Anspruchsvoraussetzungen stehen im Ein-zelnen fest. Bezogen auf die Richtlinie 93/13/EWG stellt sich die Ausgangsposition folgendermaßen dar:

Dem Einzelnen stehen subjektive Rechte zu, die er aus der Richtlinie 93/13/EWG ableiten kann – vorausgesetzt die Bestimmungen sind klar, genau und unbedingt formuliert;

Die Bundesrepublik Deutschland hat die Richtlinie 93/13/EWG nicht oder feh-lerhaft umgesetzt – vorausgesetzt in der Verletzung liegt ein hinreichend quali-fizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht;

474 EuGH, 19.11.1991, Verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5357. 475 EuGH, 8.10.1996, Rs. C-178/94 u.a., Dillenkofer, Slg. 1996, I-4845. 476 Vgl. zu den Kosten der Abwicklung Stöhr, Schadensersatzansprüche wegen verspäteter

Umsetzung der EG-Pauschalreiserichtlinie, NJW 1999, 1063.

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Der Verbraucher hat durch die Nicht- bzw. fehlerhafte Umsetzung der Richtli-nie einen Schaden erlitten – vorausgesetzt, die Kausalität zwischen Verlet-zungshandlung und Schaden ist gegeben.

2. Auswahl der geeigneten Fallkonstellation

Musste noch die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände in Verfolg von Dillen-kofer außerhalb eines prozessual gesicherten Umfeldes Sammelklagen von geschä-digten Verbrauchern organisieren, so hat sich die Rechtslage mit der Änderung des Art. 1 § 3 Nr. 8 RechtsberG erheblich verändert. Um das Potenzial der Neuregelung bestimmen zu können, ist zwischen der Musterklage und der Sammelklage zu unter-scheiden.477 Für die Durchführung einer Musterklage reicht es theoretisch aus, wenn ein einzelner Verbraucher seinen Anspruch nach Maßgabe des Art. 1 § 3 Nr. 8 RechtsberG an den Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. abtritt. Diese Form der kollektiven Rechtswahrnehmung hat Art. 1 § 3 Nr. 8 RechtsberG nicht vorrangig im Auge, spricht er doch von Forderungen, die dem Verband abgetreten werden müssten. Andererseits zeigt der Blick auf die Funktionen der erweiterten Klagebefugnis, dass auch eine einzelne Abtretung im kollektiven Interesse der Verbraucher sein kann, so wenn die Anspruchsvoraussetzungen besonders hohe Anforderungen stellen, die im Extremfall nur von einer Person erfüllt werden oder wenn die kollektive Betroffenheit ohne weiteres vorhanden ist, aber die Anspruchsvoraussetzungen in sich strittig sind. Unproblematisch ist dagegen die Sammelklage. Hier ist der Kreis der betroffenen Verbraucher größer. Der Verband muss nur eine genügende Anzahl von potenziell Betroffenen finden, die ihre Ansprüche an die klagebefugten Verbände abtreten. Indi-rektes Vorbild für die Neuregelung ist die in Österreich geltende Regelung.478

Die Sammelklage oder auch die Musterklage ist nicht mit Blick auf ein Vorlageverfah-ren zum EuGH eingeführt worden. Deshalb sind die Besonderheiten zu erörtern, die sich sowohl aus der Staatshaftung selbst ergeben als auch aus dem Ziel der Klage, nämlich mittelbar die Gemeinschaftswidrigkeit der VOB/B-Privilegien feststellen zu las-sen. Aller Erfahrung nach eignen sich für derartige Musterverfahren, unabhängig da-von, ob sie in Form eines einzelnen Rechtsstreits oder in Form einer Sammelklage ausgeführt werden, nur Fallkonstellationen, bei denen die Rechtsverletzung außer Fra-ge steht. Nach Lage der Dinge bietet sich die erhebliche Diskrepanz an, die zwischen

477 ZPOKommUKlaG-Micklitz, Rdnr. 31. 478 Vgl. Kolba, Erfahrungsbericht des Vereines für Konsumenteninformation (VKI) über die Mus-

terprozesse in Österreich, in: Brönneke, (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess-recht, 2001, 53 ff.

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den allgemeinen Verjährungsregeln des Werkvertragsrechts und den Privilegien, die die VOB/B zugunsten der Bauunternehmer statuiert, besteht.479

3. Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches geschädigter Bau-herren im Einzelnen

a) Zur Existenz subjektiver Rechte in der Richtlinie 93/13/EWG

Nicht ganz einfach zu beantworten ist die Frage, ob und inwieweit die Richtlinie 93/13/EWG dem einzelnen Verbraucher subjektive Rechte gewährt. Als denkbare sub-jektive Rechtspositionen kämen in Betracht:

das Recht auf die Sicherstellung der Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedin-gungen;

das Recht auf Gleichbehandlung;

das Recht auf transparente Allgemeine Geschäftsbedingungen;

das Recht auf Information über die nach nationalem Recht und Gemein-schaftsrecht gewährten Rechte und auferlegten Pflichten.

Soweit ersichtlich ist bislang lediglich thematisiert worden, ob die Richtlinie 93/13/EWG dem Verbraucher das Recht gewährt, transparente Allgemeine Geschäftsbedingungen zu verlangen.480 Von da aus ist es im Lichte der jüngsten Rechtsprechung des EuGH kein weiter Weg der Frage nachzugehen, ob der Verbraucher ein Recht auf Information über seine Rechte und Pflichten hat, soweit sie durch die Allgemeinen Geschäftsbe-dingungen mittelbar oder unmittelbar tangiert werden. Für das angestrebte Musterver-fahren bzw. die angestrebte Sammelklage geben beide Rechte, wenn sie denn beste-hen sollten, nichts her. Die VOB/B schneidet dem Verbraucher Rechte ab, die ihnen bei Anwendbarkeit des § 634 a BGB zustünden. Allenfalls könnte man prüfen, ob der Verwender und/oder Empfehler der VOB/B den Verbraucher darüber informieren muss, dass er sich in Bezug auf die Verjährung in der VOB/B schlechter stellt als nach dem BGB. Diese Möglichkeit soll nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Die wirkli-chen Probleme liegen jedoch auf einer anderen Ebene.

Die alles entscheidende Frage ist, ob die Richtlinie 93/13/EWG dem Verbraucher das Recht gibt, von seinem Staat verlangen zu können, dass dieser die Kontrolle Allgemei-ner Geschäftsbedingungen sicherstellt sind und/oder ob er verlangen kann, dass er vom Verwender/Empfehler ebenso behandelt wird, wie er es in vergleichbaren rechtli-

479 Insoweit sei auf C. II. 7-9. verwiesen. 480 Vgl. die Nachweise zum Stand der europäischen Diskussion bei Reich/Micklitz, Europäi-

sches Verbraucherrecht, 4. Auflage, 2003, § 13 Rdnrn. 13.16 ff.

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chen Vertragskonstellationen legitimerweise erwarten darf. Die Existenz eines Rechts auf Gleichbehandlung im Zivilrecht wirft so viele und so weitgehende Grundsatzfragen auf, dass es sinnvoll erscheint, diese Variante nicht weiter zu verfolgen.481 So bleibt letztendlich nur das Recht auf die Sicherstellung der Kontrolle Allgemeiner Geschäfts-bedingungen. Die Existenz eines solchen Rechts, wenn es denn existierte, hätte sei-nen Kern in der menschenrechtlich abgesicherten Verpflichtung der Staaten, den Bür-gern einen effektiven und wirksamen Rechtsschutz zu gewähren. Die Richtlinie 93/13/EWG würde dieses Prinzip lediglich in Bezug auf die Kontrolle Allgemeiner Ge-schäftsbedingungen konkretisieren, Art. 7 Abs. 1. Die Erwägungsgründe der Richtlinie und die Oceano-Entscheidung482 gehen eher von einem „kollektiven“ Recht der Verbraucher gegen den Machtmissbrauch von Unternehmen aufgrund ihrer schwäche-ren Verhandlungsposition als von Individualrechten aus. Dem kann man durch prozes-suale Rechte abhelfen, etwa Prüfung der Missbräuchlichkeit von Amts wegen, nicht aber durch individuelle oder Gruppenschadensersatzansprüche. Die Francovich-Doktrin stößt ins Leere und widerspricht dem Grundsatz des effektiven Rechtsschut-zes. Insoweit müsste der EuGH über seine bisherige Rechtsprechung hinausgehen. Vergleichbare Rechtsfragen stellen sich in dem Vorlageverfahren Peter und Paul.483 Deshalb ist mit einer Weiterentwicklung der Rechtsprechung zu rechnen.

Ein solches subjektives Recht wäre außerordentlich weitgehend und nicht sehr spezi-fisch. Die dem EG-Recht so vertraute Verknüpfung von Rechten mit Rechtsschutzin-strumenten eröffnet Möglichkeiten, ein solches subjektives Recht inhaltlich nicht zu überfrachten und damit de facto und de jure auszuhöhlen. Maßstab für die Existenz eines solchen Rechts könnte die Doktrin vom hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht sein, die vom EuGH für die Existenz oder die Eingrenzung eines subjektiven Rechts bislang nicht herangezogen worden ist. Man könnte überle-gen, ein solches subjektives Recht nur zu gewähren, wenn durch die Mitgliedstaaten eindeutige Vorgaben der Richtlinie verletzt werden. So gesehen, ergäben sich zwei denkbare Varianten:

ein subjektives Recht auf die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Kontrol-le der VOB/B, das nur insoweit existierte als die Richtlinie den Anwendungs-bereich hinreichend klar und deutlich bestimmt,

481 Vgl. umfassend Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit – Diskriminierungsschutz und Vertrags-

recht, 2000. 482 27.6.2000, verb. Rs. C-281/98 bis C-244/98, Océano Grupo Editorial und Salvat Editores,

Slg. 2000, I-4941 Rdnrn. 25-26. 483 BGH, WM 2002, 1266; vgl. die ablehnende Stellungnahme der GA Stix-Hackl, Schlussantrag

vom 25.11.2003, Rs. C-222/02, P. Paul u.a./Bundesrepublik Deutschland, nnv.

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ein subjektives Recht auf die Durchsetzung nach nationalem Recht gewährter Ansprüche nach Maßgabe der Regeln, die auch für die Durchsetzung ge-meinschaftsrechtlicher Vorschriften gelten.

In der ersten Variante ginge es um den Entzug des EG-Rechts. Dann stünde weniger die Verjährungsproblematik im Vordergrund als die im deutschen Recht verankerte und der Richtlinie fremde Privilegierung der VOB/B. Mit der Beschränkung des Anwen-dungsbereichs schneidet der deutsche Gesetzgeber vom EG-Recht gewährte Rechte auf die Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen ab. Diese Politik führt im Ergebnis zur Verkürzung gemeinschaftsrechtlich gewährter Rechtspositionen, weil der Anwen-dungsbereich der Kontrolle versperrt wird. Da die Richtlinie eher auf kollektive Kontrolle setzt, ist dieser Variante mit Vorsicht zu begegnen. Erfolgsversprechender scheint die zweite Variante, in der es um die Gleichbehandlung nach nationalem Recht und nach EG-Recht gewährter Ansprüche ginge.484 Die für den Verbraucher nachteilige Rechts-lage resultiert aus einem Vergleich der Allgemeinen Verjährungsvorschriften des BGB für Werkverträge und der verkürzten Verjährungsvorschriften in der VOB/B. Als denk-bare Brücke, mittels derer sich die Schwierigkeiten überwinden ließen, könnte die Ver-knüpfung des subjektiven Rechts auf Kontrollzugang mit den Rechtsschutzmöglichkei-ten dienen. Nach dem derzeitigen Stand des EG-Rechts muss der Mitgliedstaat sicher-stellen, dass die Durchsetzung gemeinschaftsrechtlicher Regeln und die Durchsetzung nationaler Rechte identischen Regeln folgen. Das vom EuGH kreierte Äquivalenz- und Effektivitätsprinzip hat sich als machtvolles Instrument zur Durchsetzung des EG-Rechts erwiesen.485 Hier könnte es dazu führen, dass die Ungleichbehandlung ge-meinschaftsrechtlich gewährter Rechte im nationalen Recht – hier die Vorschriften des § 634 a BGB für Bauverträge, dort § 13 Nr. 4 VOB/B – Grundsätze des Gemeinschafts-rechts verletzt.

b) Fehlerhafte Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG

Ein Schadensersatzanspruch kommt allein in Betracht, soweit der Bundesrepublik Deutschland vorzuwerfen ist, dass sie die Richtlinie fehlerhaft umgesetzt hat. Während die Nichtumsetzung einer Richtlinie quasi automatisch einen hinreichend qualifizierten Rechtsverstoß begründet, stellt sich die Rechtslage bei einer fehlerhaften Umsetzung anders dar. So scheiden insbesondere Staatshaftungsansprüche aus, wenn die fehler-hafte Umsetzung für den Mitgliedstaat zum Zeitpunkt des Auslaufens der Umsetzungs-frist so nicht ersichtlich war, weil über die Reichweite der Umsetzungsverpflichtung

484 Insoweit ist deutlich zwischen dem subjektiven Recht auf Gleichbehandlung im Zivilrecht

(Rechtsgrund) und dem Prinzip der Gleichbehandlung in der Ausgestaltung eines einmal anerkannten subjektiven Rechts (Rechtsfolgenseite) zu unterscheiden.

485 Vgl. Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Auflage 2003 Rdnrn. 29.3.

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Handlungsmöglichkeiten

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Streit bestand bzw. keine klaren Vorgaben existierten.486 Auf diese Rechtsprechung kann sich die Bundesrepublik Deutschland jedoch nicht berufen. Bereits kurz nach Verabschiedung der Richtlinie 93/13/EWG äußerten sich Stimmen in der Literatur, die die Verteidigung bzw. Aufrechterhaltung der VOB/B-Privilegien im damaligen AGB-Gesetz für gemeinschaftswidrig hielten.487 Insofern konnte die BRD gewarnt sein. Im Schuldrechtsmodernisierungsgesetz hat die BRD überdies ihre Rechtsposition bekräf-tigt und die Privilegien der Bauwirtschaft eher noch weiter ausgebaut. Spätestens 2001 musste auch der BRD deutlich sein, dass die Privilegierung der Bauwirtschaft gemein-schaftsrechtlich problematisch ist. Diese Einschätzung gilt gleichermaßen für die Ein-schränkung des Anwendungsbereichs der Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedin-gungen, wie auch für die Verkürzung der Verjährungsvorschriften in der VOB/B. Inso-weit laufen „beide“ subjektiven Rechte parallel.

c) Schaden

Der Schaden des einzelnen Verbrauchers bestünde darin, dass ihm Ansprüche abge-schnitten werden, er also in Folge der Verjährung an sich durchsetzbare Schadenser-satzansprüche gegen den Bauunternehmer nicht mehr realisieren kann. Soweit sich Konstellationen finden lassen, in denen tatsächlich private Bauherren Nachteile durch die verkürzte Verjährung erlitten haben, wäre der Weg für einen Staatshaftungsan-spruch frei. Die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden ist unstrittig gege-ben.

4. Exkurs – Anspruch geschädigter Bauherren auf Schadensersatz gegen die BRD wegen einer fehlerhaften Anwendung der Richtlinie durch die deut-schen Gerichte

Der Vollständigkeit halber sei noch auf eine Variante hingewiesen, die bislang nur in der Literatur diskutiert wurde, die aber jetzt vor den EuGH gelangte. Sachinhaltlich geht es um die Frage, ob Mitgliedstaaten für ihre Gerichte haften, die sich der Anwendungs-verpflichtung des Gemeinschaftsrechts verweigern und den Bürgern den Zugriff auf das Gemeinschaftsrecht versperren. Erstmals tauchte die Problematik im Zuge der Bananenmarktverordnung auf, als sich deutsche Gerichte weigerten, die Unvereinbar-keit der Bananenmarktverordnung mit den Regeln des GATT festzustellen. Vorliegend ließe sich eine vergleichbare Konstellation für den Fall denken, dass die nationalen Gerichte die angestrebte Sammel- oder Musterklage mit dem Argument abwiesen,

486 Restriktiv, EuGH, Rs. C-392/93, R/HM Treasury, ex parte British Telecommunications, plc

Slg. 1996, I-1631; vergleichsweise offener EuGH, Rs. C-140/97, Rechberger, Slg. 1999, I-3499.

487 Vgl. A. II. 1. b) und c).

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dass die VOB/B-Privilegien mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar seien. Für diesen Fall wäre an einen Schadensersatzanspruch gegen die BRD jedenfalls dann zu den-ken, wenn auch eine mögliche Verfassungsbeschwerde nicht zur Eröffnung des Rechtsweges zum EuGH führt. Die Voraussetzungen eines solchen Schadensersatz-anspruches sind in sich strittig.488 Der EuGH wird in Kürze Gelegenheit haben, zur Problematik Stellung zu nehmen. GA Léger hat in Köbler489 dafür plädiert, die aner-kannten Grundsätze der Staatshaftung gleichermaßen auf ein gemeinschaftswidriges Handeln nationaler Gerichte zu übertragen. Die Dritte Gewalt soll wie die Erste und Zweite Gewalt behandelt werden. Dem EuGH hat in seiner Entscheidung vom 30.9.2003 entsprochen.490 Neue Vorlageverfahren stehen an, so hat das Tribunale Genua mit Beschluss vom 20. März 2003 den EuGH um die Beantwortung folgender Fragen ersucht:

1. Haftet ein Staat im Rahmen der außervertraglichen Haftung den einzelnen Bürgern gegenüber für Fehler seiner Richter bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts oder für die Nichtanwendung des Gemeinschaftsrechts und insbesondere dafür, dass ein letztinstanzliches Gericht der Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof nach Art. 234 Abs. 3 EG nicht nachkommt?

2. Sofern ein Mitgliedstaat für Fehler seiner Richter bei der Anwendung des Gemein-schaftsrechts und insbesondere dafür haftet, dass ein letztinstanzliches Gericht im Sinne des Art. 234 Abs. 3 EG eine Vorlage an den Gerichtshof unterlässt, stehen dann einer solchen Haftung nationale Rechtsvorschriften über die Staatshaftung für von Richtern begangene Fehler entgegen – und verstoßen deshalb gegen die Grundsätze des Gemeinschaftsrechts – wonach

die Haftung für die in Ausübung der Rechtsprechung ausgeübte Tätigkeit der Auslegung von Rechtsnormen sowie der Sachverhalts- und der Beweiswürdi-gung ausgeschlossen ist,

die Haftung des Staates allein auf Fälle von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit des Richters begrenzt wird?491

Die absehbaren Entscheidungen werden erste Einsichten in die Reichweite einer Staatshaftung für judizielles Unrecht bringen. Für das angestrebte Musterverfahren dürfte die Rechtsprechung zu spät kommen. Indirekt jedoch könnte sich der Druck auf die Gerichte erhöhen, dem Gemeinschaftsrecht zur vollen Anwendbarkeit zu verhelfen.

488 G. Meier, EuZW 1991, 11. 489 Schussantrag GA Léger, 8.2.2003, Rs. C-224/01, Köbler/Republik Österreich, Slg. 2003, I-

nnv, Rdnrn. 115 ff. 490 EuGH, 30.9.2003, Rs. C-224/01, Köbler/Republik Österreich, Slg. 2003, I-nnv. 491 Rs. C-173/03, Traghetti del Mediterraneo SpA in liquidation/Italienische Republik, Abl. EG C

158, 5.7.2003, 10

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V. Schlussbetrachtung

Angesichts der erheblichen Unsicherheiten, mit denen ein möglicher Staatshaftungs-anspruch belastet ist, bleibt als gangbarer und erfolgsversprechender Weg, eine Unter-lassungsklage gegen den DVA nach § 1 UklaG einzuleiten, um so das zuständige nati-onale Gericht auffordern zu können, dem EuGH die Frage zur Entscheidung vorzule-gen, ob die

Richtlinie 93/13/EWG auf die VOB/B anwendbar ist,

der VOB/B in §§ 308 Nr. 5, 309 Nr. 8 b) bb) und 309 Nr. 8 b) ff) BGB gewähr-ten Privilegien mit der Richtlinie 93/13/EWG vereinbar sind,

Richtlinie 93/13/EWG dem Verwender/Empfehler von Allgemeinen Geschäfts-bedingungen die Verpflichtung auferlegt, den Verbraucher über seine Rechte positiv zu informieren.

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E. Zusammenfassung

I. Gegenstand und Grundlagen des Gutachtens

Die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B „Allgemeine Vertragsbe-dingungen für die Ausführung von Bauleistungen DIN 1961“ (VOB/B) ist ein Regelwerk, das in Bau- und Handwerkerverträgen mit privaten Bauherren (Verbrauchern) als Ver-tragsgrundlage weit verbreitet ist und in seiner Bedeutung die Vorschriften des Werk-vertragsrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in weitem Umfang verdrängt. Verantwortlich für Erstellung und Fortentwicklung der VOB/B ist der Deutsche Verga-be- und Vertragsausschuss (DVA). Der DVA ist ein nicht rechtsfähiger Verein, dessen (ordentliche und stimmberechtigte) Mitglieder auf Auftraggeberseite unmittelbar an der Vergabe von öffentlichen Bauleistungen beteiligte Bundesministerien, Landesministe-rien und kommunale Spitzenverbände sind, auf Auftragnehmerseite bundesweit tätige Spitzenorganisationen zur Vertretung der Auftragnehmer im Bereich des öffentlichen Bauauftragswesens (§ 3 Satzung des DVA).

Die VOB/B hat weder den Charakter eines Gesetzes noch den einer Rechtsverord-nung, ebenso wenig wie ihre Vorschriften die Qualität von Gewohnheitsrecht haben. Verschiedentlich wird die VOB/B i.V.m. allgemeinen Rechtsgrundsätzen, insbesondere dem Grundsatz von Treu und Glauben gebracht oder in die Nähe der Verkehrssitte gerückt. Dies ändert allerdings nichts daran, dass die Vorschriften der VOB/B nach allgemeiner Meinung grundsätzlich einer vertraglichen Vereinbarung der Vertragspar-teien bedürfen, um Vertragsbestandteil zu werden. Zumindest seit Inkrafttreten des AGB-Gesetzes dürfte jedenfalls die Behandlung der Regeln der VOB/B als Allgemeine Geschäftsbedingungen überwiegend anerkannt sein.

Allerdings wurde und wird der VOB/B durch den Gesetzgeber und die Rechtsprechung seit eh und je eine Sonderstellung unter den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ein-geräumt. Sie betrifft die Frage, in welchem Umfang die gesetzlichen Vorschriften zur Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen, die dem Schutz des Vertragspartners vor benachteiligenden vorformulierten Vertragsklauseln dienen, auf die VOB/B Anwen-dung finden.

Nach dem bis zum 31.12. 2001 geltenden § 23 Abs. 2 Nr. 5 AGBG sollten die Klausel-verbote des § 10 Nr. 5 AGBG (Fingierte Erklärungen) und § 11 Nr. 10 lit. f) AGBG (Verkürzung der Gewährleistungsfristen) für Leistungen, deren Vertragsgrundlage die VOB ist, keine Anwendung finden.

Der BGH vertrat mehrmals den Standpunkt, dass die VOB nicht ohne weiteres mit All-gemeinen Geschäftsbedingungen auf eine Stufe zu stellen sei. In seinem Grundsatzur-teil vom 16.12.1982 arbeitete der BGH die Voraussetzungen einer Privilegierung der

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VOB/B heraus, aufgrund derer die VOB/B insgesamt der für Allgemeine Geschäftsbe-dingungen an sich geltenden gesetzlichen Inhaltskontrolle weitestgehend entzogen ist. Die VOB/B sei – so der BGH – im Gegensatz zu sonstigen Allgemeinen Geschäftsbe-dingungen, die vorrangig die Interessen des Verwenders berücksichtigten, gerade kein Vertragswerk, das den Vorteil nur einer Vertragsseite verfolge. Die Beteiligung von Interessengruppen sowohl der Unternehmer als auch der Besteller, einschließlich der öffentlichen Hand führe zu einem auf die Besonderheiten des Bauvertragsrechts abge-stimmten, im ganzen einigermaßen ausgewogenen Ausgleich der beteiligten Interes-sen. Von den Bestimmungen des Werkvertrages des Bürgerlichen Gesetzbuchs werde teils zu Gunsten des Auftraggebers, teils zu Gunsten des Auftragnehmers abgewichen. Diese Einschätzung schaffte die Grundlage für den bis heute geltenden Lehrsatz, dass Einzelbestimmungen der VOB/B einer Inhaltskontrolle anhand der Generalklausel ent-zogen seien, wenn die VOB/B als Ganzes, das heißt ohne ins Gewicht fallende Ände-rungen oder Beschränkungen, zur Vertragsgrundlage gemacht werde und das Norm-gefüge der VOB/B als Ganzes einer Ausgewogenheitskontrolle standhalte, was der Fall sei. Würden einzelne VOB/B-Bestimmungen einer Billigkeitskontrolle unterworfen und hierdurch bestimmte, die Interessen einer Vertragsseite bevorzugende Bestim-mungen für unwirksam erklärt werden, so würde nach Auffassung des BGH gerade dadurch der von dem Vertragswerk im Zusammenwirken sämtlicher Vorschriften er-strebte billige Ausgleich der Interessen gestört und das mit der Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz verfolgte Ziel verfehlt. Aus diesem Grunde sei eine Inhaltskontrolle nur eröffnet, wenn die VOB/B nicht als Ganzes in vorstehendem Sinne vereinbart wor-den sei.

Neben den Besonderheiten im Aufstellungsprozess der VOB/B und ihrer vermeintli-chen Ausgewogenheit führt der BGH auch die Wertung des AGB-Gesetzgebers zur Rechtfertigung der Sonderstellung der VOB/B an: Die Privilegierung in § 23 Abs. 2 Nr. 5 AGBG beruhe nämlich auf der gleichen Erwägung, wiewohl eine solche Lesart vom Wortlaut der Vorschrift nicht ohne weiteres gedeckt ist. Bis heute lehnt der BGH die Durchführung einer isolierten Inhaltskontrolle einzelner Bestimmungen der VOB/B an-hand der Generalklausel mittels obiger Gründe ab. Bemerkenswert ist jedoch, dass schon geringfügige Eingriffe in die VOB/B das Gesamtprivileg zunichte machen. Inso-fern hat sich der BGH ein flexibel zu handhabendes Rückzugsargument geschaffen.

Mit Artikel 6 Nr. 4 des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes wurde das AGBG und damit auch § 23 Abs. 2 Nr. 5 AGBG aufgehoben. Eine § 23 Abs. 2 Nr. 5 AGBG ent-sprechende Privilegierung der VOB/B findet sich jetzt in den seit dem 1. Januar 2002 geltenden § 308 Nr. 5 BGB bzw. § 309 Nr. 8 b) ff) BGB. Nach diesen beiden Vorschrif-ten sollen nunmehr explizit die dort jeweils niedergelegten Kontrollvorschriften keine Anwendung für Verträge finden, in die die VOB/B insgesamt einbezogen ist.

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Die Privilegierung der VOB/B bedingt nicht nur, dass die nationalen Vorschriften zur Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen in der Anwendung auf die VOB/B bei Bau- und Handwerkerverträgen mit Verbrauchern weitestgehend ausgeschaltet sind. Sie ist auch im Hinblick auf die Richtlinie 93/13/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherver-trägen zu betrachten. Die Richtlinie 93/13/EWG bezweckt eine Teilharmonisierung des Verbrauchervertragsrechts der Mitgliedstaaten mit dem Ziel, private Endverbraucher vor dem Machtmissbrauch aus der Verwendung vorformulierter Vertragsbedingungen zu schützen. Die Bedeutung der mit der Richtlinie aufgestellten Schutzstandards für das nationale Recht wurde bislang wenig beleuchtet. Dies bedingt, dass dem Verhält-nis der VOB/B bzw. deren Sonderbehandlung zur Richtlinie ebenso wenig Beachtung geschenkt wurde wie der Frage der Zulässigkeit der Inhalte der VOB/B bei Verbrau-cherverträgen im Lichte der Richtlinie.

Soweit diese Fragen insbesondere in der nationalen Literatur aufgegriffen wurden, zeigt die Analyse, dass das Gemeinschaftsrecht vornehmlich aus einer vertikalen Per-spektive wahrgenommen wird, bei der das Gemeinschaftsrecht aus dem Blickwinkel des nationalen Rechts und seiner Besonderheiten interpretiert wird. Notwendig ist je-doch eine horizontale Perspektive. Denn die Lösungsansätze der europäischen Rechtsordnung müssen für die unterschiedlichsten Zivilrechtsordnungen der Mitglied-staaten passförmig gemacht werden. Nur so kann dem Suprematieanspruch des Ge-meinschaftsrechts Rechnung getragen werden.

Vor diesem Hintergrund untersucht das Gutachten folgende Fragestellungen:

Fragestellung 1: Unterfällt die VOB/B dem Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG?

Insbesondere soll untersucht und bewertet werden, welche Rolle es spielt, dass die VOB/B kein Formularvertragswerk eines Anbieters ist, sondern durch den DVA entsteht. Hierbei sollen Zusammensetzung und Mitgliederstruktur des DVA sowie das Entste-hungsverfahren der VOB/B unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Legitimation zur Aufstellung von Regeln (auch) für Verbraucherverträge berücksichtigt werden.

Falls ja

Fragestellung 2: Ist die nationale Sonderbehandlung mit der Richtlinie vereinbar?

Falls nein

Fragestellung 3: Welche Vorschriften der VOB/B sind nach den §§ 305 ff. BGB im Lich-te der Richtlinie unwirksam?

Fragestellung 4: Welche rechtlichen Handlungsmöglichkeiten bestehen für den Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. als Verbraucherverband, gegen einen richtli-nienwidrigen Zustand vorzugehen?

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Insbesondere sollen die Voraussetzungen und Erfolgsaussichten einschließlich Verjäh-rung geprüft werden für

ein Unterlassungsverfahren gegen ein die VOB/B verwendendes Unternehmen;

ein Unterlassungsverfahren gegen den DVA;

ein Amtshaftungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen fehler-hafter Umsetzung der Richtlinie (ggf. als „Sammelverfahren“);

eine Eingabe bei der Europäischen Kommission zur Einleitung eines Vertragsver-letzungsverfahrens gegen die Bundesrepublik Deutschland.

II. Die VOB/B im Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13/EWG

1. Die VOB/B unterfällt dem Anwendungsbereich der Richtlinie

Die Richtlinie 93/13/EWG ist auf Standardvertragsklauseln anwendbar, die einen Bau-vertrag zum Gegenstand haben, der zwischen einem privaten Bauherrn (Verbraucher) und einem Bauunternehmer (Unternehmer) geschlossen worden ist. Dagegen ist der persönliche Anwendungsbereich der Richtlinie nicht für Bauverträge zwischen Unter-nehmen eröffnet, die sich auf die VOB/B beziehen.

VOB/B sind als Standardvertragsklauseln im Sinne der Richtlinie zu behandeln. Als solche unterliegen sie dem Anwendungsbereich der Richtlinie. Kollektiv ausgehandelte Standardvertragsklauseln genießen in der Richtlinie keine Sonderprivilegien. Hätte der EG-Gesetzgeber den Aufstellungsprozess berücksichtigen wollen, hätte er eine Legal-ausnahme schaffen müssen. Wenn überhaupt, so kann der behaupteten Ausgewo-genheit der VOB/B im Rahmen der Inhaltskontrolle Rechnung getragen werden. Dort geht es nämlich um die Frage, ob und inwieweit die Missbräuchlichkeit von Standard-vertragsklauseln einzeln oder insgesamt kompensiert werden kann. Die Grenzlinien zwischen der Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs und der Reichweite bzw. Intensität der Kontrolle verwischen sich jedoch, wenn argumentiert wird, dass die Richtlinie eine Gesamtabwägung zulasse. Diese läuft im Ergebnis auf eine Be-reichsausnahme hinaus, die so in der Richtlinie nicht vorgesehen ist.

Eine eindeutige Antwort enthält die Richtlinie auch in Bezug auf die Frage, ob die Par-teien die VOB/B „tel quel“ vereinbaren können. Die Kontrolle knüpft an die Vorformulie-rung an, nicht an das „Stellen“ der VOB/B. Überdies steht der in der Richtlinie gewährte Mindeststandard nicht zur Disposition der Parteien. Vorformulierte Vertragswerke un-terliegen dem Anwendungsbereich der Richtlinie, unabhängig vom Willen der Ver-tragsparteien. Vertragsfreiheit ist nur eröffnet, wenn sie sich aktiv in der individuellen Vereinbarung von Rechten und Pflichten niederschlägt.

Die VOB/B genießen in der Richtlinie keinen Sonderstatus. Die verschiedenen Legal-ausnahmen geben für eine Sonderbehandlung nichts her. Das gilt insbesondere für

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Art. 1 Abs. 2. Die VOB/B lassen sich nicht als zwingende Rechtsvorschriften verstehen, die vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen sind.

2. Die nationale Sonderbehandlung ist mit der Richtlinie nicht vereinbar

Die nationale Sonderbehandlung der VOB/B ist mit der Richtlinie nicht vereinbar. Sie beruht auf dem Lehrsatz, dass die VOB/B für den Auftraggeber sowohl vorteilhafte als auch nachteilige Regelungen enthält, die sich insgesamt zu einem ausgewogenen Ganzen kompensieren, so dass für eine Inhaltskontrolle im Detail kein Raum ist. Damit wird die VOB/B insgesamt der Kontrolle entzogen.

Nach Art. 4 Abs.1 der Richtlinie beurteilt sich die Missbräuchlichkeit einer Vertrags-klausel nicht allein nach dem Inhalt der konkreten Klausel. Es sind auch alle den Ver-tragsabschluss begleitenden Umstände sowie alle anderen Klauseln desselben Vertra-ges oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt, zu berücksichtigen. Ob hierunter zu verstehen ist, dass eine für Verbraucher nachteilige Vertragsklausel durch einen Vorteil kompensiert werden kann, der in keinem Zusammenhang zum ver-ursachten Nachteil steht (weite Kompensation) oder eine Nachteilskompensation nur durch Vorteile erfolgen kann, die einen inneren Zusammenhang zum verursachten Nachteil haben (enge Kompensation), ist dem Wortlaut des Art. 4 Abs.1 nicht zu ent-nehmen und wird in der nationalen Literatur unterschiedlich gesehen.

Richtigerweise kann nur eine enge Kompensation zulässig sein. Dies folgt bereits aus dem Telos der Richtlinie. Sie will einen effektiven Schutz des Verbrauchers vor miss-bräuchlichen Vertragsklauseln gewährleisten. Dieser Schutz wird mit einer weiten Kompensation unterlaufen. Denn Standardvertragsklauseln können sich als Gemenge-lage präsentieren, für die der Anspruch auf einen Gesamtausgleich erhoben wird, ohne dass der Nachweis erbracht wird, wo und wie genau Nachteile durch Vorteile kompen-siert werden.

Auch das Kontrollkonzept der Richtlinie belegt, dass nur eine enge Kompensation in Betracht kommen kann. Nach hier vertretener Auffassung muss sich die Missbrauchs-kontrolle der Richtlinie an dem Gedanken einer „sozialbereichsspezifischen Generali-sierung der Benachteiligungsfrage“ orientieren. Er bedeutet, dass die Missbräuchlich-keit einer Vertragsklausel auf der Grundlage einer branchen- bzw. vertragstypischen Betrachtung stattzufinden hat. Die hierin liegende Konkretisierung impliziert, dass auch die Möglichkeit einer Kompensation branchen- bzw. vertragstypisch zu beantworten ist. Der innere Zusammenhang zwischen einem Nach- und einem Vorteil muss aus dem Umfeld der jeweiligen Branche erklärbar und konkret sein, um den Bezug zwischen nachteiliger und vorteilhafter Regelung offen zu legen.

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Da die Richtlinie lediglich eine enge Kompensation zulässt, ist die gängige Argumenta-tion, die VOB/B sei so lange einer Inhaltskontrolle entzogen und privilegiert, wie sie als Ganzes vereinbart wird, hinfällig. Die Richtlinie erlaubt keine pauschale Verweisung auf die Ausgewogenheit eines Klauselwerks, die im Ergebnis auch zu einer in der Richtli-nie nicht vorgesehenen Legalausnahme vom ihrem Anwendungsbereich führt. Sie er-fordert vielmehr, dass die Regelungen der VOB/B einer Inhaltskontrolle nach den Vor-schriften zur Kontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen im Lichte der Vorgaben der Richtlinie unterzogen werden. Bei dieser Inhaltskontrolle der Einzelregelungen ist ge-gebenenfalls zu berücksichtigen, inwieweit Regelungen, die Verbrauchern Nachteile auferlegen durch die Einräumung von rechtlichen Vorteilen, die in einem inneren Sach-zusammenhang mit dem jeweils auferlegten Nachteil stehen, kompensiert werden. Das Transparenzprinzip der Richtlinie liefert wichtige Anhaltspunkte für die Art und Weise des Nachweises des geforderten Sachzusammenhangs.

III. Die VOB/B-Klauseln in der Prüfung nach den Vorschriften zur Kon-trolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen

Die Prüfung der Einzelvorschriften der VOB/B nach den Vorschriften zur Kontrolle All-gemeiner Geschäftsbedingungen im Lichte der Vorgaben der Richtlinie belegt, dass eine Vielzahl von Vorschriften der novellierten VOB/B den Verbraucher unangemessen benachteiligen. Der bislang vorherrschenden Sichtweise, die VOB/B sei ein insgesamt ausgewogenes Regelwerk, ist der Boden entzogen. Die Prüfung zeigt, dass die VOB/B in ihrer jetzigen Fassung bei der Verwendung gegenüber Verbrauchern ebenso wenig Bestand haben können wie die gesetzlichen der VOB/B in den §§ 308 Nr.5, § 309 Nr. 8 b) ff) BGB und § 308 Nr. 8 b) bb) BGB gewährten Privilegien.

Die Ergebnisse der Einzelprüfung sind in einer tabellarischen Kurzübersicht zusam-mengefasst.

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Vorschrift der VOB/B

Gegenstand der Vorschrift Rechtliche Beurteilung

§ 2 Nr. 2 und § 14 Nr. 2 Satz 1

Einheitspreisvertrag/Abrechnung bei Fortgang der Arbeit

§ 2 Nr. 2 VOB/B ist infolge seiner Unklarheiten über den Einzelpreis als intranspa-rent einzustufen. Der Kontext zu § 14 Nr. 1 Satz 1 VOB/B hellt die Bedeutung nicht auf. Die maßgebliche Mitteilung des Auftragnehmers, die Information über den zum Vergleich notwendigen Preis lässt sich aus ihr nicht entnehmen. Ferner ist § 14 Nr. 2 Satz 1 VOB/B für sich betrachtet intransparent. Die angeordnete Beweislastum-kehr bleibt dem Auftragnehmer verborgen bleibt. Hinzu tritt die fehlende Information über das bei dem gemeinsamen Aufmaß einzuhaltende Gebot der Regelungen nach Teil C der VOB. § 14 Nr. 2 Satz 1 VOB/B genügt den Anforderungen des § 309 Nr. 12 b BGB nicht. Hierbei findet die Vorschrift aus dem bürgerlichen Gesetz-buch ihre Entsprechung in Nr. 1 q des Anhangs der Richtlinie 93/13/EWG.

§ 2 Nr. 7 Abs. 1 Vergütung bei Pauschalpreisvertrag § 2 Nr. 7 VOB/B ist nicht nur infolge der Verwendung des unbestimmten Rechtsbeg-riffes „Treu und Glauben“ intransparent, sondern insbes. wegen der fehlenden In-formation des Auftraggebers über seine Rechte. Jedoch nicht nur die Hürde des Transparenzgebotes mag § 2 Nr. 7 VOB/B nicht nehmen, sondern er verstößt zugleich gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, da durch die gänzliche Versagung eines Lösungsrechtes vom Vertrage die Rechte des Auftraggebers beschnitten werden und zu einer unangemessenen Benachteiligung führen

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§ 4 Nr. 7 Abs. 3, § 4 Nr. 8 Abs. 1 Satz 3, § 5 Nr. 4, § 8 Nr. 3

Druckmöglichkeiten des Auftragge-bers auf ordnungsgemäße Leis-tungserbringung vor Abnahme des Werkes bei Mängeln

Da die zu § 5 Nr. 2 VOB/B ergangene Rechtsprechung im Wortlaut der Vorschrift keine Berücksichtigung findet und der Auftraggeber demzufolge über sein Recht, sich vom Vertrag gegebenenfalls auch ohne Fristsetzung mit Androhung des Auf-tragsentzuges lösen zu können, nicht unterrichtet wird, ist die Klausel gemessen am Gebot der Information des Verbrauchers intransparent. Zugleich sind § 4 Nr. 7 Satz 3, Nr. 8 Abs. 1 Satz 3, § 5 Nr. 4 und § 8 Nr. 3 gemessen an der Generalklausel des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, da auf der Tatbestandsseite an dem Erfordernis einer Leistungsablehnungsandrohung = Androhung des Auftragsentzuges fest-gehalten wurde und als Rechtsfolge nur die Möglichkeit einer Kündigung einge-räumt wird.

§ 5 Nr. 1 und Nr. 2

Ausführungsfristen § 5 Nr. 1 und Nr. 2 VOB/B stellt nicht nur eine intransparente Klausel dar, da über die Folgen unverbindlicher Termine keine Aufklärung erfolgt und somit der Maßstab des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht erreicht wird. Hinzu tritt ein Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB durch die Anordnung in § 5 Nr. 2 VOB/B, dass der Auftraggeber die an sich ihm unverzüglich zustehende Leistung einzufordern hat.

§ 7 Nr. 1 Rechtsfolgen bei nicht in der Sphäre der Vertragsparteien liegenden Leis-tungshindernissen vor der Abnahme

§ 7 Nr. 1 VOB/B hält einer Inhaltskontrolle nach Maßgabe des deutschen Rechts nicht stand. § 7 Nr. 1 VOB ist gemessen an § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, da er zu einer Gefahrverlagerung zu Lasten des Auftraggebers führt.

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§ 12 Nr. 5 Abs. 1 bis 3

Eintritt der Rechtsfolgen der Abnah-me unabhängig vom Willen des Auf-traggebers

§ 12 Nr. 5 Absätze 1 bis 3 VOB/B stellt einen elementaren Verstoß gegen die ge-setzlichen Grundüberlegungen und -wertungen dar, ist folglich unangemessen und somit im Ergebnis unwirksam. Das Problem der Unvereinbarkeit des § 12 Nr. 5 VOB/B mit § 308 Nr. 5 BGB wird auch in der baurechtlichen Kommentarliteratur gesehen. Dabei setzt die Kritik bei der Privilegierung als solcher im Rahmen von Verbraucherverträgen an. Auch geht § 12 Nr. 5 VOB/B an den tatsächlichen Ver-hältnissen beim Bau vorbei. Dem „Einmal-Häuslebauer“ bleibt faktisch nur der Ein-zug in das nicht fertig gebaute Eigenheim, um seine Kosten zu minimieren. Ihn zu-dem mit den Rechtsfolgen der Fiktionen des § 12 Nr. 5 VOB/B zu belasten, ist un-angemessen. Nicht nur, dass die in § 308 Nr. 5 BGB vorgesehene Privilegierung von Bauverträgen obsolet ist; § 12 Nr. 5 VOB/B greift überdies in nicht vertretbarer Weise in ein für das deutsche Privatrecht wesentliches Prinzip ein, nämlich dass Schweigen keine Willenserklärung ist.

§ 13 Nr. 4 Verjährungsfrist für Mängelansprüche Die Klausel ist entgegen der Rechtsauffassung des DVA nicht ausgewogen und daher als unangemessen zu beurteilen. § 309 Nr. 8 b) ff) BGB privilegiert ohne Grund Bauwerkverträge; ein sachlicher Grund für die Verkürzung der Gewährleis-tungsfristen ist nicht ersichtlich.

§ 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 1

Mängelbeseitigung auf schriftliches Verlangen

§ 13 Nr. 5 Abs.1 Satz 1 VOB/B lässt die gravierende Änderung der Rechtsprechung und des Gesetzgebers außer Acht. Schon deshalb ist die Bestimmung so nicht mehr haltbar. Der Auftragnehmer wird infolge der Intransparenz der Klausel des § 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 1 nicht nur über die Bedeutung des Schriftlichkeitsgebotes getäuscht, ihm wird auch der Anspruch auf Neuherstellung abgeschnitten.

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§ 13 Nr. 5 Abs. 1 Satz 2 und 3

Quasiunterbrechung der Verjährung – Voraussetzung und Rechtsfolgen

Bei der Auslegung der Katalogtatbestände der §§ 308 und 309 BGB sind die ge-meinschaftsrechtlichen Vorgaben aus der Richtlinie 93/13/EWG zu berücksichtigen. Diesen ist eine Privilegierung des Bauwerkvertragsrechtes unbekannt. Die EG-Richtlinie beabsichtigt die umfassende Kontrolle von Klauseln in Verbraucherverträ-gen ungeachtet der rechtlichen Qualifikation des zugrunde liegenden Vertragstypus. Im Zusammenwirken mit der nicht haltbaren Privilegierung der VOB/B lässt sich die Unwirksamkeit dieser VOB/B-Klausel begründen. Jenseits der vorweg zu fordern-den Beseitigung der Sonderregelung in § 309 Nr. 8 b) ff) BGB genügen die § 13 Nr. 5 Abs. 1 Sätze 2 und 3 VOB/B nicht den Erfordernissen des § 309 Nr. 8 b) ff.) BGB.

§ 13 Nr. 6 Voraussetzungen für den Minde-rungsanspruch

§ 13 Nr. 6 VOB/B ist in dieser Fassung nicht haltbar. Er verletzt in eklatanter Weise das Transparenzgebot und genügt auch nicht den Anforderungen, die die Richtlinie 93/13/EWG in Art. 3 Abs. 1 stellt. Wesentliche Rechte, hier das Rücktrittsrecht, kön-nen dem Verbraucher nicht einfach abgeschnitten werden.

§ 15 Nr. 3 Satz 5

Vergütung bei Stundenlohnarbeiten Gerade § 15 Nr. 3 Satz 5 zeigt die Notwendigkeit, die Privilegierung in § 308 Nr. 5 BGB ersatzlos zu streichen. § 15 Nr. 3 Satz 5 VOB/B fingiert eine Erklärung, ohne dass der Auftraggeber auf die Rechtswirkungen hingewiesen wird. Das stellt einen elementaren Verstoß gegen die Wertungen des Gesetzgebers dar. Schweigen ist nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich keine Willenserklärung. Nachdem der dem Unternehmer auferlegte Hinweis auf die Folgen des Schweigens unter-bleibt, ist die VOB/B-Regelung nicht nur mit dem Argument ihrer eigenen Privilegie-rung als unwirksam einzustufen, sondern auch wegen Verstoßes gegen § 308 Nr. 5 BGB.

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Hans-W. Micklitz

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§ 16 Nr. 1 Abs. 1

Abschlagszahlungen Somit ist § 16 Nr. 1 Abs. 1 VOB/B eine gegen die Wertungen des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB verstoßende Regelung, da sie vom gesetzlichen Leitbild des § 632 a BGB ohne rechtfertigende Punkte abweicht und hierdurch den Verbraucher unangemes-sen benachteiligt.

§ 16 Nr. 1 Abs. 2

Gegenrechte des Auftraggebers Einer Wirksamkeit des § 16 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B stehen die Maßstäbe des Transpa-renzgebotes entgegen. Die nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksame Klausel erfüllt nicht die Kriterien der umfassenden Information des hierauf angewiesenen Auftraggebers. Nicht nur dass die Voraussetzungen, unter denen der Auftraggeber seine Rechte geltend machen kann, bereits unscharf bezeichnet werden, bleiben vor allem die maßgeblichen „Druckmöglichkeiten“ für den Auftraggeber verborgen. Die eigentliche Kernaussage dieser Regelung, Druck auf den Auftragnehmer durch Ausübung eines Zurückbehaltungsrechtes auszuüben, wird nicht in der gebotenen und hinreichend erforderlichen Art und Weise mitgeteilt. Die Klausel ist deshalb intransparent und unwirksam.

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Zusammenfassung

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IV. Rechtliche Handlungsmöglichkeiten des Verbraucherzentrale Bun-desverbandes e.V.

Theoretisch bestehen drei Möglichkeiten, den richtlinienwidrigen Zustand des nationa-len Rechts zu beheben: (1) die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Bundesrepublik Deutschland nach Art. 226 EGV durch die Kommission, (2) das Ersuchen deutscher Gerichte um ein Vorabentscheidungsverfahren des Europäischen Gerichtshofes nach Art. 234 EGV, dessen Voraussetzung eine im nationalen Rechts erhobene Unterlassungsklage nach § 1 UklaG ist, sowie (3) das Erheben von Amtshaf-tungsklagen geschädigter Verbraucher gegen die Bundesrepublik Deutschland.

Vor dem Hintergrund, dass die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EGV nicht erzwungen werden kann und bezüglich der Durchsetzbarkeit von Amts-haftungsansprüchen geschädigter Verbraucher erhebliche Rechtsunsicherheiten be-stehen, empfiehlt es sich, eine Unterlassungsklage nach § 1 UklaG gegen den DVA in seiner Eigenschaft als Empfehler der VOB/B einzuleiten, um so das zuständige natio-nale Gericht im Ergebnis zu zwingen, dem EuGH die Frage zur Entscheidung vorzule-gen, ob die

Richtlinie 93/13/EWG auf die VOB/B anwendbar ist,

der VOB/B in §§ 308 Nr. 5, 309 Nr. 8 b) bb) und 309 Nr. 8 b) ff) BGB gewähr-ten Privilegien mit der Richtlinie 93/13/EWG vereinbar sind.

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