Die Rolle der Juden für Tertullians Darstellung der christlichen Gottesverehrung im Apologeticum,...

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Die Rolle der Juden für Tertullians Darstellung der christlichen Gottesverehrung im Apologeticum, speziell in Apologeticum 21 1 von Tobias Georges Tertullians Beziehungen zu den Juden sind ausgiebig diskutiert worden – und die Palette der Ansichten zu diesem Thema ist weit 2 . Während William H. Frend von einer engen Vertrautheit Tertullians mit dem zeitgenössischen Judentum ausgeht 3 , spricht Timothy David Barnes von einem „lack of real contact“ zwischen Tertullian und den Juden und interpretiert die Äuße- rungen Tertullians zu den Juden eher als Auseinandersetzung mit einem literarischen Phänomen, dem Volk des Alten Testaments 4 . Im Apologeticum nimmt Tertullian wiederholt Bezug auf die Juden, insbesondere in den Kapiteln 16 bis 21. Bei genauerer Analyse des Komplexes Apologeticum 16-21 erweist sich für die Deutung des Werks allerdings weniger die Frage nach diesen Beziehungen als aufschlussreich. Es stellt sich heraus, dass für die Interpretation des Apologeticum die Frage nach der Funktion, welche die Juden für Tertullians Argumentation haben, wesentlich ergiebiger ist. Die Frage nach dieser Funktion lässt sich unabhängig von etwaigen Be- ziehungen betrachten – auf welch spekulativer Ebene die Rekonstruktion solcher Beziehungen häufig operiert, lässt sich an der Bandbreite der An- sichten zu diesem Thema ablesen. Hier soll also kein weiterer Antwort- versuch zu Tertullians Beziehungen zu den Juden unternommen werden, sondern gezeigt werden, warum und wie Tertullian in Apologeticum 16-21 gerade mit den Juden argumentiert – in der Absicht, diesen Komplex des Apologeticum besser zu verstehen. Der Schwerpunkt der Analyse soll auf 1 Der vorliegende Artikel stellt die überarbeitete Version eines Vortrags dar, den ich auf der 15. Tagung der „Arbeitsgemeinschaft zweites Jahrhundert Theologischer Fakultäten Bayerns“ in Benediktbeuern am 15.9.2007 gehalten habe. Für die weiterführenden An- regungen, die ich auf den Vortrag hin erhalten und in den Artikel eingearbeitet habe, danke ich den Mitgliedern des Arbeitskreises sehr herzlich. 2 Siehe zu dieser Diskussion H. Tränkle, § 474. Q. Septimius Florens Tertullianus, in: K. Sallmann (Hg.), Die Literatur des Umbruchs. Von der römischen zur christlichen Lite- ratur. 117 bis 284 n.Chr., Handbuch der lateinischen Literatur der Antike 4, HAW 8/4, München 1997, (438-511) 454f. 3 Siehe W.H. Frend, Tertulliano e gli Ebrei, RSLR 4, 1968, 3-10. 4 Siehe T.D. Barnes, Tertullian. A historical and literary study, Oxford 2005, 90-93, für das Zitat 92. ZAC, vol. 12, pp. 236-249 DOI 10.1515/ZAC.2008.016 © Walter de Gruyter 2008 Brought to you by | University of Michigan Authenticated | 141.213.236.110 Download Date | 5/1/13 3:50 PM

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Die Rolle der Juden für Tertullians Darstellung der christlichen Gottesverehrung im Apologeticum,

speziell in Apologeticum 211

von Tobias Georges

Tertullians Beziehungen zu den Juden sind ausgiebig diskutiert worden – und die Palette der Ansichten zu diesem Thema ist weit2. Während William H. Frend von einer engen Vertrautheit Tertullians mit dem zeitgenössischen Judentum ausgeht3, spricht Timothy David Barnes von einem „lack of real contact“ zwischen Tertullian und den Juden und interpretiert die Äuße-rungen Tertullians zu den Juden eher als Auseinandersetzung mit einem literarischen Phänomen, dem Volk des Alten Testaments4. Im Apologeticum nimmt Tertullian wiederholt Bezug auf die Juden, insbesondere in den Kapiteln 16 bis 21. Bei genauerer Analyse des Komplexes Apologeticum 16-21 erweist sich für die Deutung des Werks allerdings weniger die Frage nach diesen Beziehungen als aufschlussreich. Es stellt sich heraus, dass für die Interpretation des Apologeticum die Frage nach der Funktion, welche die Juden für Tertullians Argumentation haben, wesentlich ergiebiger ist. Die Frage nach dieser Funktion lässt sich unabhängig von etwaigen Be-ziehungen betrachten – auf welch spekulativer Ebene die Rekonstruktion solcher Beziehungen häufi g operiert, lässt sich an der Bandbreite der An-sichten zu diesem Thema ablesen. Hier soll also kein weiterer Antwort-versuch zu Tertullians Beziehungen zu den Juden unternommen werden, sondern gezeigt werden, warum und wie Tertullian in Apologeticum 16-21 gerade mit den Juden argumentiert – in der Absicht, diesen Komplex des Apologeticum besser zu verstehen. Der Schwerpunkt der Analyse soll auf

1 Der vorliegende Artikel stellt die überarbeitete Version eines Vortrags dar, den ich auf der 15. Tagung der „Arbeitsgemeinschaft zweites Jahrhundert Theologischer Fakultäten Bayerns“ in Benediktbeuern am 15.9.2007 gehalten habe. Für die weiterführenden An-regungen, die ich auf den Vortrag hin erhalten und in den Artikel eingearbeitet habe, danke ich den Mitgliedern des Arbeitskreises sehr herzlich.

2 Siehe zu dieser Diskussion H. Tränkle, § 474. Q. Septimius Florens Tertullianus, in: K. Sallmann (Hg.), Die Literatur des Umbruchs. Von der römischen zur christlichen Lite-ratur. 117 bis 284 n.Chr., Handbuch der lateinischen Literatur der Antike 4, HAW 8/4, München 1997, (438-511) 454f.

3 Siehe W.H. Frend, Tertulliano e gli Ebrei, RSLR 4, 1968, 3-10.4 Siehe T.D. Barnes, Tertullian. A historical and literary study, Oxford 2005, 90-93, für

das Zitat 92.

ZAC, vol. 12, pp. 236-249 DOI 10.1515/ZAC.2008.016© Walter de Gruyter 2008 Brought to you by | University of Michigan

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Apologeticum 21 liegen, für welches die Juden eine besonders herausge-hobene Rolle spielen.

Zum besseren Verständnis der Erörterungen zu Apologeticum 16-21 ist vorweg eine Einordnung dieses Komplexes innerhalb des Aufrisses des Apologeticum angezeigt5: Tertullian bettet sein Reden im Apologeticum in eine fi ktive Gerichtsszene ein, in welcher die Romani imperii antistites, die Statthalter des römischen Reiches, Gericht halten über die Sache der Christen6. Für die Sache der Christen wendet er sich an diese Statthalter7 sowie die sie umgebende nichtchristliche Menge8. An seinen Ausführun-gen, die vielfach und intensiv auf pagane Vorstellungen zurückgreifen und eingehen9, wird deutlich, dass er vermittels der antistites und der sie Umgebenden primär ein gebildetes nichtchristliches Publikum anspricht10. Innerhalb der 50 Kapitel des Apologeticum bilden die Kapitel 10-45 den Hauptteil der argumentatio, welcher wiederum zweigeteilt ist. Tertullian setzt sich mit zwei Hauptvorwürfen seiner Gesprächspartner auseinander, zunächst in Apologeticum 10-27 mit dem Vorwurf der laesa religio, der Schädigung der Gottesverehrung, dann in Apologeticum 28-45 mit dem Vorwurf der laesa maiestas, der Schädigung der kaiserlichen Majestät und damit verbunden auch der politischen Ordnung11. Innerhalb der ersten Hälfte des Hauptteils (Apologeticum 10-27) bilden die Kapitel 16 bis 21 nun das Herzstück – genauer genommen der Block Apologeticum 17-21, dem Apologeticum 16 als Vorschaltkapitel angegliedert ist. In den voraus-gehenden Kapiteln 10-15 hat Tertullian gezeigt, dass die paganen Götter seiner Adressaten keine Götter sind, dass sie somit nicht zu verehren sind

5 Siehe zum Aufbau des Apologeticum: Tertullian, Apologeticum/Verteidigung des Chri-stentums, lateinisch und deutsch, hg., übersetzt und erläutert von C. Becker, München 41992, 24; Tränkle, Tertullianus (wie Anm. 2), 444-449. Tränkle liefert ebenda eine sehr bündige Übersicht zu wesentlichen Einleitungsfragen des Apologeticum, speziell zum außergewöhnlichen Überlieferungsbefund des Apologeticum und die mit ihm ver-bundene, höchst umstrittene Frage, ob Tertullian selbst zwei Fassungen seines Werkes verfasst hat – von der doppelten Autorenversion geht Becker in seiner oben genannten Edition aus. Der vorliegenden Untersuchung wird die Edition im Corpus Christianorum zugrunde gelegt (Tertullian, Apologeticum, hg. von E. Dekkers, Quinti Septimi Florentis Tertulliani Opera, Pars I, CChr.SL 1, Turnhout 1954, 85-171); E. Dekkers zeigt sich im Vorwort zu dieser Edition (81-84) Beckers Entstehungstheorie gegenüber wohl zu Recht kritisch. Die Übersetzungen der Zitate aus dem Apologeticum sind meine eigenen und greifen auf die Übersetzung Beckers aus seiner zweisprachigen Ausgabe zurück.

6 Vgl. Tert., apol. 1,1 (CChr.SL 1, 85 Dekkers).7 Vgl. Tert., apol. 1,1 (85 D.).8 Vgl. Tert., apol. 9,1.6 (102 D.).9 Siehe als Beispiel hierfür nur Tert., apol. 10-15 (105-114 D.).10 Im Folgenden wird dieses offensichtlich angesprochene Publikum als Tertullians Adres-

saten in den Blick genommen. Dass Tertullian auf einer impliziten Ebene neben diesem primären Publikum auch Christen ansprechen kann, um ihnen Argumente für die Aus-einandersetzung mit ihrer paganen Umwelt an die Hand zu geben, liegt nahe.

11 Ausdrücklich benennt Tertullian den Vorwurfstitel der laesa religio in apol. 24,1 (133 D.); 27,1 (138 D.), den der laesa maiestas in apol. 28,3 (140 D.).

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und dass die Christen sich durch deren Nichtverehrung nicht der laesa religio schuldig machen können. Auf diesen Negativbeweis folgt in Apo-logeticum 16 bzw. 17-21 die Darstellung der christlichen Gottesverehrung, die demonstratio religio nostrae12: Der positive Beweis dafür, dass die Christen den wahren Gott verehren, für die wahre religio einstehen und somit genau das Gegenteil der laesa religio betreiben.

Vor dem Hintergrund dieser Einordnung kann nun Tertullians Argu-mentation in Apologeticum 16-21 und speziell die Rolle der Juden für diese Argumentation fokussiert werden. Dabei wird, wie schon erwähnt, vor allem Kapitel 21 eingehend beleuchtet werden. Vorausgeschickt wird ein zügigerer Durchgang durch die Kapitel 16-20. Apologeticum 16 ist ein Vorschaltkapitel: Wie Tertullian selber in Apologeticum 15,8 ankündigt, weist er darin, bevor er die christliche „Glaubensverpfl ichtung“ offen legt, zunächst die falschen Vorstellungen darüber zurück13. In Apologeticum 17 beginnt die eigentliche demonstratio der christlichen religio. Tertullian setzt mit dem Bekenntnis zu dem einen großen und richtenden Schöpfergott ein. Als Bezeugungsmittel für einen vertieften Zugang zu diesem Gott führt er in Apologeticum 18,1 das instrumentum litteraturae14 an. Das geschriebene Wort, die Septuaginta bzw. die ins Griechische übertragene Schrift der Juden. In den Kapiteln 18 bis 20 widmet Tertullian sich diesem Bezeugungsmittel: Zunächst seinem prophetischer Charakter und seiner Tradierung (Apologeticum 18) – hierzu referiert er die Septuagintalegen-de –, dann seinem Alter (Apologeticum 19) und seiner Bewahrheitung (Apologeticum 20). Tertullian zufolge ist diese Schrift älter und somit glaubwürdiger als jede pagane Geschichtsquelle; die Erfüllung des in der Schrift Geweissagten zeugt von ihrem göttlichen Ursprung und von ihrer Wahrheit – Tertullian bedient sich zweier Argumentationsverfahren, die in der Apologetik seiner Zeit gängig sind: Des sogenannten Altersbeweises und des Prophetie-Arguments15. Dafür beruft er sich in Apologeticum 18-20 ausdrücklich auf die Schrift der Juden als die Juden und Christen gemeinsame Quelle für den Glauben an den einen Gott – und dabei spricht er in auffällig unpolemischer, ja stellenweise recht wohlgesonnener Weise von den Juden: Schon in Apologeticum 16,3 hatte er die Christen als „Verwandte der jüdischen Religion“16 bezeichnet, in Apologeticum 18,6 benennt er die Juden dann als Empfänger des instrumentum litteraturae

12 Tert., apol. 16,14 (117 D.).13 Tert., apol. 15,8 (114 D.): Hoc prius capite et omnem hinc sacramenti nostri ordinem

haurite, repercussis ante tamen opinionibus falsis.14 Tert., apol. 18,1 (118 D.).15 Siehe hierzu M. Fiedrowicz, Apologie im frühen Christentum. Die Kontroverse um den

christlichen Wahrheitsanspruch in den ersten Jahrhunderten, Paderborn 2000, 212-215.282-287; speziell zum Altersbeweis P. Pilhofer, Presbyteron Kreitton. Der Altersbeweis der jüdischen und christlichen Apologeten und seine Vorgeschichte, WUNT, 2. Reihe, Band 39, Tübingen 1990.

16 Iudaicae religionis propinquos (Tert., apol. 16,3 [115 D.]).

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mit den Worten: „Denn aus ihren eigenen Reihen und zu ihnen selbst hatten immer die Propheten gesprochen, das heißt zum Eigentumsvolk Gottes kraft der den Vätern widerfahrenen Gnade“17. In diesem Satz wird sehr deutlich das ganze jüdische Volk gewürdigt, nicht nur die jüdischen Propheten. Diese Würdigung steht in Kontrast zu Passagen bei Apologeten des zweiten Jahrhunderts, in welchen diese sich eben mit dem sogenannten Altersbeweis oder dem Prophetie-Argument auf die jüdischen Propheten be-rufen und diese von ihrem Volk abgrenzen (vgl. z.B. Justin, Apologia prima 31.3618). Eine weitere bemerkenswert positive Bezugnahme auf die Juden folgt in Apologeticum 19,2. Dort bezeichnet Tertullian die Mosebücher als Schriftschatulle, in der „sich der Schatz der ganzen jüdischen Glaubens-verpfl ichtung, und daher nun auch der unseren, niedergelegt“ fi ndet19. Die jüdische Gottesverehrung erscheint hier als Wurzel der christlichen, der Pentateuch als Quelle des jüdischen Glaubens, von dem aus er auch zur Quelle des christlichen Glaubens geworden ist. Die zitierten Sätze stehen dem sonstigen Tenor von Apologeticum 18-20 keineswegs entgegen. In dem gesamten Gedankengang begegnet nicht eine offensichtlich polemische Wendung gegen die Juden – ein außergewöhnliches Phänomen bei einem ausgewiesenen Polemiker wie Tertullian, der seine Streitlust sonst auch im Apologeticum nicht vermissen lässt20. Nicht nur angesichts Tertullians spezieller Charakteristik ist die fehlende Polemik gegen die Juden bemer-kenswert. Justin z.B. führt in Apologia prima 31,5 beim Verweis auf die Septuagintalegende sogleich einen Seitenhieb auf die Juden21: Sie verstünden den Sinn der Schrift nicht, wenn sie darin lesen – Tertullian hingegen spielt in Apologeticum 18,9 eben im Zusammenhang der Septuagintalegende im positiven Sinne auf die Schriftlektüre der Juden an: Im Anschluss an die Bemerkung, die Juden verläsen die Schrift an allen Sabbaten öffentlich, sagt er: „Wer diese Worte hört, wird Gott fi nden; wer sich überdies bemüht, sie zu verstehen, wird gezwungen sein, auch zu glauben“22. Nur schwerlich ließe sich der aufgezeigte Zusammenhang von Hören und Glauben, der freilich Tertullians eigenes Schriftverständnis kennzeichnet, hier nicht auf die jüdische Schriftlektüre beziehen.

Angesichts dieses außergewöhnlichen Tonfalls legt sich die Folgerung nahe: Tertullian spricht in Apologeticum 16-20 bewusst positiv von den Juden. Sie erlauben ihm den Zugang zum Altersbeweis und zum Prophe-

17 Ex ipsis enim et ad ipsos semper prophetae peroraverant, scilicet ad domesticam Dei gentem ex patrum gratia. (Tert., apol. 18,6 [119 D.]).

18 Just., 1 apol. 31.36 (PTS 38, 76f.84 Marcovich).19 Scrinium […], in quo videtur thesaurus collocatus totius Iudaici sacramenti et inde iam

et nostri (Tert., apol. 19,2 [120f. D.]).20 Siehe z.B. Tert., apol. 13,1-8 (110-112 D.).21 Just., 1 apol. 31,5 (77 M.).22 Qui audierit, inveniet deum; qui etiam studuerit intellegere, cogetur et credere (Tert.,

apol. 18,9 [119 D.]).

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tie-Argument, die beide der Beglaubigung seines christlichen Gottesver-ständnisses dienen – und zwar vor seinen paganen Adressaten, an welche sich die demonstratio des Glaubens der Christen wendet: Gerade in der römischen Bildungswelt genießt der Altersbeweis hohes Ansehen23, und auch das Prophetie-Argument kann vor Hörern, die mit Orakeln vertraut sind, auf Anerkennung setzen24. Vor diesen Adressaten erscheinen die Christen als „ziemlich junge“ Gemeinschaft25 und bedürfen des Rückgriffs auf ihre jüdischen Wurzeln: Wie Tertullian selbst in Apologeticum 21,1 bekennt, mag den Adressaten allein das Judentum als „überaus bedeu-tende Religion, die zweifellos erlaubt ist“, als insignissima religio, certe licita26 erscheinen. In einem Zusammenhang, in welchem Tertullian sich des jüdischen Ansehens für die Sache der Christen bedient, wäre Polemik gegenüber den Juden kontraproduktiv und selbstzerstörerisch. Würde Ter-tullian schon im Kontext von Altersbeweis und Prophetie-Argument z.B. die Propheten vom jüdischen Volk absetzen – was er an anderer Stelle (vgl. Apologeticum 21,18) freilich nicht unterlassen wird –, würde er die Wirkung seiner Argumentation deutlich schmälern. Dass Tertullian hier bewusst Polemik vermeidet, legt der Vergleich von Apologeticum 16,1227 mit Ad nationes I 14,128 nahe: Ad nationes I 14,1 hat als Vorlage für Apologeticum 16,12 gedient. Dort berichtet Tertullian von folgender Ver-unglimpfung des Christengottes. Die Christen verehrten ein „Onokoites“ genanntes Mischwesen aus Mensch und Esel. Als Erfi nder dieses Spotts benennt Tertullian einen abtrünnigen Juden – nicht ohne Seitenhiebe auf dessen jüdische Herkunft. In Apologeticum 16,12 setzt Tertullian sich mit eben dieser Verunglimpfung und deren Anstifter auseinander, von der jüdischen Herkunft des Christenverleumders ist aber keine Rede mehr. So verdichten sich die Indizien für die These: Tertullian bedient sich in Apologeticum 18-20 des Ansehens der Juden und speziell ihrer Schrift, um vor seinen Adressaten sein Gottesverständnis, das er in Apologeticum 17 dargelegt hat, zu beglaubigen. Um dieses Ansehen nicht zu schädigen, sondern die Christen daran partizipieren zu lassen, enthält er sich ab der Überleitung zur christlichen Gottesverehrung in Apologeticum 16 jeglicher

23 Siehe Fiedrowicz, Apologie (wie Anm. 15), 212-215.24 Siehe Fiedrowicz, Apologie (wie Anm. 15), 282-287.25 Secta aliquanto novella (Tert., apol. 21,1 [122 D.]).26 Tert., apol. 21,1 (122 D.).27 Tert., apol. 16,12 (116 D.): Sed nova iam Dei nostri in ista civitate proxime editio

publicata est, ex quo quidam frustrandis bestiis mercenarius noxius picturam proposuit cum eiusmodi inscriptione: Deus – Christianorum – Onokoites. Is erat auribus asininis, altero pede ungulatus, librum gestans et togatus. Risimus et nomen et formam.

28 Tert., nat. I 14,1 (CChr.SL 1, 32f. Borleffs): Nova iam de deo nostro fama suggessit, et adeo nuper quidam perditissimus in ista civit<ate>, etiam suae religionis desertor, solo detrimento cutis Iudaeus, uti<que> magis post bestiarum morsus, ut ad quas se locan-do quot<idie> toto iam corpore decutit<ur> et <cir>cumcidit<ur>, pictura<m> in nos pro<posuit> sub ista proscriptione: ,Onocoetes’. Is erat auribus cant<herinis>, in toga, cum libro, altero pede ungulato.

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Polemik gegenüber den Juden. In dieser funktionalen Rolle sind die Juden für Tertullian innerhalb Apologeticum 16-20 von Bedeutung.

In Apologeticum 21 nun wendet sich Tertullian dem Spezifi kum der christlichen Gottesverehrung zu, welches die Christen von den Juden trennt: der Verehrung Christi als Gott. Hier – genauer genommen ab Apologeticum 21,3 – ändert sich der Ton gegenüber den Juden, aber eben erst an diesem Punkt, an welchem die Auseinandersetzung mit den Juden unausweichlich ist, nachdem die Bezeugung des Glaubens an den einen Schöpfergott vor den paganen Adressaten abgeschlossen ist. Gerade vor diesen Adressaten ist die Abgrenzung von den Juden nun auch angezeigt, wollen die Chri-sten nicht den Vorwurf auf sich ziehen, sie seien Pseudojuden29. Bei den Ausführungen zu Christus fällt auf, dass Tertullian gleich am Anfang das Unverständnis der Juden gegenüber der Göttlichkeit Christi mit dem des vulgus, des einsichtslosen römischen Pöbels paart, indem er sagt: „Indessen kennt auch der Pöbel Christus, als einen gewiss gewöhnlichen Menschen, als welchen ihn die Juden verurteilt haben“30. Mit dem vulgus spielt Tertullian wiederum auf seine paganen Adressaten an. In welcher Weise sich vulgus und Adressaten im Apologeticum überschneiden, ist hier kurz darzustellen. Tertullian markiert im Apologeticum mit Zielrichtung auf seine Adressaten eine wichtige Unterscheidung innerhalb der Römer: Auf der einen Seite stehen der Pöbel sowie die bösen und ungerechten Kai-ser, welche die Christen verfolgen31. Gegen sie wendet sich Tertullian mit aller Vehemenz. Sie verschmelzen mit Tertullians Adressaten insofern, als diese auch von ungerechtem Hass geleitet gegen die Christen vorgehen32. Auf der anderen Seite stehen die rechtschaffenen Machthaber und Kaiser, welche die Christen, soweit es in ihrer Macht steht, schonen und ihnen gegenüber verständnisvoll sind33 – und mit ihnen, implizit, die Adressaten, sofern sie sich Tertullians Eintreten für die Sache der Christen gegenüber aufgeschlossen zeigen. Diese Unterscheidung transportiert offensichtlich einen Appell Tertullians an seine Adressaten, den Hass gegenüber den Christen aufzugeben und sich ihrer Sache zu öffnen. Vor dem Hintergrund dieser auf die Adressaten gerichteten Differenzierung erhält die Paarung des unverständigen vulgus mit den Juden besondere Brisanz. Sie gibt Anlass zu

29 Sed quoniam edidimus, antiquissimis Iudaeorum instrumentis sectam istam esse suf-fultam, quam aliquanto novellam, ut Tiberiani temporis, plerique sciunt profi tentibus nobis quoque: fortasse an hoc nomine de statu eius retractetur, quasi sub umbraculo insignissimae religionis, certe licitae, aliquid propriae praesumptionis abscondat (Tert., apol. 21,1 [122f. D.]).

30 Sed et vulgus iam sciunt Christum, hominem utique aliquem, qualem Iudaei iudicaverunt (Tert., apol. 21,3 [123 D.]).

31 Siehe für den Pöbel Tert., apol. 35,8 (146 D.); 37,2 (147f. D.); 49,4.6 (169 D.), für die Kaiser apol. 5,3f.7f. (95f. D.); 21,25 (127 D.).

32 Siehe Tert., apol. 1-3 (85-92 D.); 50,12 (171 D.).33 Siehe Tert., apol. 5,2.5-8 (94-96 D.); 21,18.24 (126f. D.).

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der Vermutung, dass Tertullian die leugnende Haltung der Juden gegenüber der Göttlichkeit Christi als Abbild anführt für die Adressaten, sofern sie selber im Unverständnis gegenüber dem Gott der Christen verharren und die religio der Christen bekämpfen. Lässt sich dieser Verdacht erhärten, so bedeutet dies für die Rolle der Juden für Tertullians Gedankenführung: Ter-tullian bedient sich der Juden weiterhin für seine Argumentation gegenüber den paganen Adressaten, die Juden erhalten nun aber eine adressatenkri-tische Funktion. Indem Tertullian das Unverständnis der Juden gegenüber der Göttlichkeit Christi kritisiert, verfolgt er in erster Linie das Ziel, der Leugnung dieser Göttlichkeit durch seine Adressaten entgegenzutreten. Da Tertullian nun seinen Adressaten ohnehin direkt entgegentritt, kann er es sich an diesem Punkt auch leisten, die Berufung auf die Juden aufzugeben und die Juden stattdessen zum Vehikel seiner Kritik an den Adressaten zu machen. Der Beleg dieser Vermutung soll im Durchgang durch Apo-logeticum 21 erbracht werden. Es soll gezeigt werden, wie Tertullian mit seiner Rede von den Juden in Apologeticum 21 immer wieder auf seine Adressaten anspielt und welches Ziel er damit verfolgt.

In Apologeticum 21,1-3 hat Tertullian in der schon beschriebenen Wei-se die Auffassung der Juden, Christus sei nur ein Mensch gewesen, mit derjenigen des vulgus verkuppelt. Von da aus hat er die Darlegung seiner konträren christlichen Anschauung eingeleitet mit den Worten: „Es ist also nötig, einige wenige Worte über Christus als Gott zu sagen“34. Daraufhin wendet er sich in Apologeticum 21,4-7 zunächst dem heilsgeschichtlichen Hintergrund des Kommens Christi zu. Er konstatiert, die Juden hätten zunächst bei Gott in Gnade gestanden und ein fl orierendes Reich besessen, seien dann aber von Gottes Lebenslehre abgewichen, wie ihre gegenwär-tige Situation der Vertreibung belege. Die göttlichen Prophezeiungen, die Tertullian hier nun dem jüdischen Volk entgegenstellt, hätten den Juden das Kommen Christi angekündigt, mit dem Gott sich am Ende der Zeiten treuere Anhänger erwählen würde; und so sei Christus, der Sohn Gottes, zur Erneuerung und Erleuchtung des Menschengeschlechts erschienen. In diesem Zusammenhang zeigen sich deutliche Bezüge zwischen der Rede von dem einstmaligen, verlorenen Reich der Juden zu der römischen An-schauung vom imperium Romanum, wie Tertullian sie in Apologeticum 25f. wiedergibt und kritisiert: In Apologeticum 21,4 spricht Tertullian davon, dass „die Größe“ des jüdischen „Volks und die Erhabenheit ihres Reiches“ aufgrund der Gerechtigkeit und des Glaubens der Urväter „in Blü-te“ stand35 – in Apologeticum 25,2 referiert er die römische Überzeugung, „die Römer seien als Belohnung für ihre äußerst gewissenhafte Religions-ausübung zu solcher Erhabenheit emporgehoben und eingesetzt worden“36,

34 Necesse est igitur pauca de Christo ut Deo (Tert., apol. 21,3 [123 D.]).35 Illis et generis magnitudo et regni sublimitas fl oruit (Tert., apol. 21,4 [123 D.]).36 Romanos pro merito religionis diligentissimae in tantum sublimitatis elatos et impositos

(Tert., apol. 25,2 [135D.]).

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und die Römer stünden „mehr als die anderen in Blüte“37. Beide Male verwendet Tertullian im Blick auf die Entfaltung des jeweiligen Reiches das Nomen sublimitas und das Verb fl orere und führt sie auf die rechte Gottesverehrung zurück. Während er im Blick auf die Juden den Konnex zwischen Treue zu Gott und Blüte des regnum als zutreffend erachtet, wird er freilich die entsprechende Überzeugung der Römer in Apologeticum 25f. als haltlose Einbildung entlarven. Unabhängig davon dürfte er aber mit seinem Vokabular hier auf die römische Überzeugung anspielen und den Römern unterschwellig die Drohung vor Augen halten: Auch der Bestand ihres imperium steht in Frage, wenn sie den Gott der Christen leugnen38. Mit der Rede von Christus als „Erleuchter“, illuminator, in Apologeticum 21,739 spricht Tertullian das Wortfeld von Blindheit und Erleuchtung an, welches im Fortgang von Apologeticum 21 noch deutlicher zutage treten wird. Ausdrücklich kennzeichnet er in Apologeticum 21,16 die Juden in ihrem Unverständnis gegenüber Christi Göttlichkeit als Blinde40. Mit den Blinden zielt Tertullian aber wieder gerade auf seine Adressaten. Ihre Blind-heit gegenüber der Wahrheit, welche sie sowohl den Christen als auch sich selbst gegenüber blind macht, hat Tertullian besonders in Apologeticum 7-9 unterstrichen – in Apologeticum 9,20 hat er im Blick auf die Adressa-ten ausdrücklich von diesen „zwei Arten von Blindheit“, caecitatis duae species, gesprochen41.

Nachdem diese heilsgeschichtliche Einbettung Tertullian zur Benennung Christi als Gottessohn geleitet hat, erläutert er in Apologeticum 21,8-14, wie Christus als Sohn Gottes und zugleich als Gott zu verstehen ist und wie dabei die Einheit Gottes gewahrt bleibt. Die Juden sind innerhalb dieser Ausführungen gänzlich außerhalb des Blickfeldes, Tertullian stellt sich mit seinen Erläuterungen, insbesondere im Rückgriff auf die Logosvorstellung, in aller Offenheit seinen paganen Adressaten und ihrer Gedankenwelt. Hier wird deutlich, wen er in erster Linie von der Göttlichkeit Christi überzeugen will.

Die Juden rücken wieder ins Zentrum des Interesses, als Tertullian sich in Apologeticum 21,15-23 Christi Weg auf Erden bis zu seiner Himmelfahrt zuwendet. In diesem Abschnitt unterstreicht Tertullian das Unverständnis der Juden gegenüber der Göttlichkeit Christi, die doch in Tertullians Au-gen an Christi Werken und Zeichen abzulesen wäre. Apologeticum 21,15 zufolge sind zwei Ankünfte Christi angekündigt, die erste, schon erfüll-te, „in der Niedrigkeit menschlichen Daseins“, in humilitate condicionis

37 Praeter ceteros fl oreant (Tert., apol. 25,2 [135 D.]).38 Vgl. auch Tert., apol. 26,3 (138 D.).39 Tert., apol. 21,7 (123 D.): Venit igitur qui ad reformandam et illuminandam eam venturus

a Deo praenuntiabatur […] illuminator.40 Multatos se […] oculorum […] fruge (Tert., apol. 21,16 [125 D.]).41 Sed caecitatis duae species facile concurrunt, ut qui non vident quae sunt, videre videantur

quae non sunt (Tert., apol. 9,20 [105 D.]).

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humanae, und die zweite, am Ende bevorstehende, „in der Erhabenheit der vom Vater empfangenen Macht und der offenbarten Göttlichkeit“, in sublimitate paternae potestatis acceptae <et> divinitatis exsertae42. Die Juden haben, so Tertullian, die erste Ankunft nicht als solche verstanden und rechnen somit allein mit einer Ankunft Christi in Herrlichkeit. Dieses Unverständnis für die Niedrigkeit Christi, in der gemäß Apologeticum 21,17 die göttliche potestas und mit ihr die Erhabenheit gerade am Werk ist43, erachtet Tertullian als Folge des Ungehorsams der Juden gegenüber Gott und charakterisiert es jetzt offen als Taub- und Blindheit: Die Juden sind „mit dem Verlust der Weisheit, des Erkennens und des Nutzens von Augen und Ohren bestraft worden“44. Dass Tertullian mit dem Hinweis auf den Erkenntnisverlust bzw. auf die Blindheit – einschließlich der Taub-heit – auf seine Adressaten weist, dürfte an dieser Stelle schon deutlich sein: Sie sind es, welche durch die Vielzahl der Werke und Zeichen Christi, welche Tertullian in Apologeticum 21,17-23 aufzählt, von ihrer Blindheit abgebracht werden sollen.

Besonders aufschlussreich ist ein genauerer Blick auf den Bezugspunkt dieser Blindheit: Die Nichterkenntnis Christi als Gott aufgrund seiner menschlichen Niedrigkeit von Seiten der Juden deckt sich mit dem Vorur-teil der Adressaten, die Christen verehrten einen einfachen Menschen, das Tertullian schon in Apologeticum 21,3 benannt hat. Darüber hinaus spricht Tertullian mit der Rede von Christi Niedrigkeit, humilitas, und Erhaben-heit, sublimitas, sowie Macht, potestas, das Thema der göttlichen maiestas an – dessen grundlegende Bedeutung für das Apologeticum sich nicht zu-letzt am Vorwurf der laesa maiestas ablesen lässt. Sublimitas und potestas stehen für Tertullian in enger Verbindung zum Terminus der maiestas, wie sich an Apologeticum 24,3 schön belegen lässt. Dort spricht Tertullian von dem großen Gott als einem „erhabeneren und mächtigeren“, gleich-sam einem „Herrn der Welt von vollkommener Majestät“ – aliquem […] sublimiorem et potentiorem, velut principem mundi perfectae maiestatis45. Die göttliche maiestas ist für Tertullian nun gerade der Punkt, an dem die vermeintlichen Götter der Adressaten scheitern: Wie er in Apologeticum 23 darlegt, haben die paganen Götter gerade keine göttliche maiestas und sind daher nichts als Dämonen. Die höchste maiestas kommt allein dem einen

42 Tert., apol. 21,15 (125 D.).43 Tert., apol. 21,17 (125 D.): Quem igitur hominem solummodo praesumpserant de

humilitate, sequebatur uti magum existimarent de potestate, cum ille daemonia de ho-minibus excuteret verbo, caecos reluminaret, leprosos purgaret, paralyticos restringeret, mortuos denique verbo redderet vitae, elementa ipsa famularet, compescens procellas et freta ingrediens, ostendens se esse Filium illum, et olim a Deo praedictum et ad omnium salutem natum, Verbum illud primordiale, primogenitum, virtute et ratione comitatum et spiritu fultum.

44 Multatos se sapientia et intellegentia et oculorum et aurium fruge (Tert., apol. 21,16 [125 D.]).

45 Tert., apol. 24,3 (133 D.).

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Gott der Christen zu, wie Tertullian schon gleich zu Beginn seiner Darle-gung der christlichen Gottesverehrung in Apologeticum 17,1 angedeutet hat46. Die Vermutung liegt nahe, dass Tertullian hier darauf verweist, dass eben die Adressaten, die fälschlich ihren Göttern anhängen, die maiestas Christi wegen seiner menschlichen Niedrigkeit nicht erkennen – obwohl sie doch an seinem Wirken aus der göttlichen potestas abzulesen wäre. Der Clou dieser Fassung von maiestas besteht darin, dass sie sich auf Christi Erdenweg im Gegenteil von Erhabenheit zeigt, in der menschlichen hu-militas, und erst am Ende in der sublimitas paternae potestatis acceptae für alle sichtbar wird. Mit diesem Verständnis göttlicher Größe gegen den Augenschein dürfte Tertullian die Maßstäbe seiner Adressaten für maiestas konterkarieren47 – so, wie er mit seiner Vorstellung vom göttlichen Gericht die Maßstäbe, die im irdischen Gericht der Adressaten (vgl. Apologeticum 1,1) gelten, konterkariert: Die Christen, welche vor den antistites verurteilt werden, sind am Ende, vor dem erhabenen Gott, der auf Erden selber in humilitate erschienen ist, die Sieger. Dieser Bezug erhält seine besondere Bedeutsamkeit dadurch, dass Tertullians Vorstellungen von Gottes maiestas und Gericht aufs Engste zusammengehören, wie z.B. in Apologeticum 18,3 an der Rede von den Zeichen der „richterlichen Majestät“ Gottes, den signa maiestatis suae iudicando48 deutlich wird49. So spricht vieles dafür, dass Tertullian vermittels der Juden hier auf seine Adressaten anspielt. Sie verkennen die Göttlichkeit Christi aufgrund der vermeintlichen Ermange-lung seiner maiestas und beten doch selber vermeintliche Götter an, die keine maiestas besitzen.

In dem Abschnitt Apologeticum 21,15-23 sprechen noch weitere Bezugs-punkte dafür, dass die Ausführungen zu den Juden hier auf die paganen Adressaten zugeschnitten sind50. Hierfür ist z.B. auf die Aussage in Apolo-geticum 21,22 – im Kontext des jüdischen Vorwurfs, die Jünger hätten den toten Jesus aus dem Grab geraubt – zu verweisen: „Er [Christus] zeigte sich

46 Tert., apol. 17,1 (117 D.): Quod colimus, Deus unus est, qui totam molem istam […] de nihilo expressit in ornamentum maiestatis suae.

47 Diese Maßstäbe dürften gerade am römischen Stolz auf die sublimitas ihres Imperiums (vgl. Tert., apol. 25,2 [135 D.] und die Bezüge zu dieser Stelle in apol. 21,4 [123 D.]) ablesbar sein.

48 Tert., apol. 18,3 (118 D.).49 Siehe zur Bedeutung der Vorstellung von maiestas und des Gerichtsmotivs für das apol.

sowie zu deren Zusammenhang T. Georges, Retorsio aus theologischer Perspektive. Gerichtsszene und maiestas in Tertullians Apologeticum, in: F.R. Prostmeier (Hg.), Früh-christentum und Kultur, Kommentar zu frühchristlichen Apologeten, Ergänzungsband 2, Freiburg 2007, 223-235.

50 Man vergleiche z.B. auch Tertullians Rede von den magistri primoresque Iudaeorum (Tert., apol. 21,18.22 [126 D.]), die durch ihr Vorgehen gegen Christus versuchen, das ihnen dienstbare Volk in ihrer Gewalt zu halten, mit der Zeichnung der römischen antistites bzw. praesides, die sich durch die Verfolgung der Christen die Gunst des Volkes sichern (vgl. apol. 50,12 [171 D.]).

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51 Nam nec ille se in vulgus eduxit, ne impii errore liberarentur, sed ut fi des, non mediocri praemio destinata, diffi cultate constaret (Tert., apol. 21,22 [126 D.]).

52 Tert., apol. 13,1 (110 D.): Et quomodo vos e contrario, impii.53 Siehe hierzu Tert., apol. 15,8 (114 D.); 17,5 (117 D.); 22,6 (129 D.); 47,11 (164 D.).54 Multo verius quam apud vos asseverare de Romulis Proculi solent (Tert., apol. 21,23

[127 D.]).55 Iam pro sua conscientia Christianus (Tert., apol. 21,24 [127 D.]).56 Tert., apol. 21,18 (126 D.).57 Tert., apol. 21,25 (127 D.): Discipuli vero diffusi per orbem ex praecepto magistri Dei

paruerunt, qui et ipsi a Iudaeis persequentibus multa perpessi utique pro fi ducia veritatis libenter Romae postremo per Neronis saevitiam sanguinem Christianorum seminave-runt.

ja auch nicht vor dem Pöbel, damit die Gottlosen nicht von ihrem Irrtum befreit würden, damit indessen der Glaube, dem eine nicht unbedeutende Belohnung bestimmt war, Mühe koste“51. Der „Pöbel“, vulgus, ist auf der Textebene eindeutig das jüdische Volk, benannt mit eben dem Begriff, den Tertullian in Apologeticum 21,3 für den römischen Pöbel verwandt hat. Dass Tertullian hier beabsichtigt, jüdischen und römischen vulgus verschmelzen zu lassen, wird ersichtlich an dem folgenden Hinweis darauf, dass die „Gottlosen“, impii, nicht von ihrem „Irrtum“, error, befreit werden sollen: Als impii hat Tertullian in Apologeticum 13,1 eben seine Adressaten gekennzeichnet52, und ihnen hat er mehrfach unterstellt, sie seien im error gefangen – kraft der Macht der Dämonen, welche ihnen den Glauben an die falschen Götter eingeben53. Angesichts der so hervortretenden Anspie-lungen auf die Adressaten vermittels der Juden verwundert es nicht, wenn Tertullian diesen Abschnitt in Apologeticum 21,23 beschließt, indem er die Himmelfahrt Christi wieder ausdrücklich zur römischen Vorstellungswelt in Bezug setzt: Sie sei „viel wahrhafter“ als die Entrückung eines Romu-lus54, des legendären Gründers der Stadt Rom. Hier tritt Tertullian wieder offen seinen eigentlichen Adressaten entgegen.

In den folgenden Sätzen Apologeticum 21,24f. rückt die Differenzierung ins Blickfeld, die Tertullian innerhalb der Römer macht. Auf der einen Seite Aufgeschlossenheit gegenüber Christus und den Christen, auf der anderen grausame Verfolgung. Die Juden werden dabei in aller Deutlichkeit auf die Seite der Christenverfolger gestellt: Pilatus wird als Kryptochrist gezeichnet – er sei „schon seiner inneren Überzeugung nach Christ“ gewe-sen55. Den Kontrast zwischen Pilatus und den Juden hat Tertullian schon in Apologeticum 21,18 gekennzeichnet, indem er die Kreuzigung Christi allein den Juden bzw. ihren „Lehrern und Vordersten“, magistri primoresque, angelastet hat, deren Ansturm Pilatus lediglich notgedrungen nachgegeben habe56. Die Gleichung zwischen christenfeindlichen Römern und Juden, die damit angelegt ist, belegt Tertullian in Apologeticum 21,25: Die Jünger Christi sind zunächst von den Juden verfolgt worden und haben schließlich in Rom unter Nero das Martyrium erlitten57. Die Juden stehen also in

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einer Linie mit Nero, der den Gegenpol bildet zu Pilatus und den Kaisern, die Christus gegenüber aufgeschlossen waren (vgl. Apologeticum 21,24). Damit erweisen sie sich offensichtlich als Abbild der Adressaten, weil diese wie ihr Kaiser Nero den ungerechten Hass gegenüber den Christen nicht aufgeben. An den Juden lässt Tertullian seine Adressaten ablesen, wie sich ihre Leugnung der Göttlichkeit Christi mit der Verfolgung der Christen verbindet.

Nachdem diese Gleichung offen ausgesprochen ist, wendet sich Tertul-lian ab Apologeticum 21,26 für den Rest von Kapitel 21 explizit seinen Adressaten zu. Die Juden fi nden nur noch einmal in Apologeticum 21,29 Erwähnung, in einer Weise, die in Einklang steht mit den bisherigen Be-obachtungen: Tertullian verweist auf Parallelen zur christlichen Vereh-rung Gottes durch Christus (Apologeticum 21,28: Deum colimus per Christum): Auch die Juden hätten Gott durch den Menschen Mose, per Moysen, zu verehren gelernt. Diese Parallele bei den Juden führt über eine entsprechende Parallele bei den Griechen zur Vermittlung der römischen Götterverehrung durch Pompilius Numa hin58. Wieder stehen Juden und römische Adressaten in einer Linie.

In dem abschließenden Abschnitt Apologeticum 21,26-31 fällt noch ein Satz, der für die Zielsetzung, welche Tertullian mit seiner Argumen-tation in Apologeticum 21 verfolgt, höchst aufschlussreich ist: Tertullian bemerkt in Apologeticum 21,30, Christus habe die Göttlichkeit doch zu Recht beanspruchen können, „um damit schon kultivierten und von der Zivilisation selbst irregeleiteten Menschen die Augen zu öffnen für die Erkenntnis der Wahrheit“59. Mit den „kultivierten und von der Zivilisation selbst irregeleiteten Menschen“ werden zweifellos die Adressaten und ihre römisch-urbane Kultur angesprochen und kritisiert. Christi Göttlichkeit, deren Beleg Apologeticum 21 diente, zielt Tertullian zufolge darauf ab, diesen Adressaten „die Augen zu öffnen für die Erkenntnis der Wahrheit“. Hier wird am Ende des Kapitels sehr klar, dass die Ausführungen über die Blindheit der Juden vor der Göttlichkeit des „Erleuchters“ Christus primär darauf hinzielen, den römisch geprägten Adressaten die agnitio veritatis zu eröffnen.

Am Ende des gesamten Durchgangs durch Apologeticum 16-21 kann die Schlussfolgerung gezogen werden: Die Juden sind für Tertullian nicht primär als Gegenüber der Christen Thema; sie haben vielmehr eine Funkti-on für die Argumentation: Tertullian will anhand ihrer die paganen Adres-

58 Tert., apol. 21,29 (127 D.): Ut Iudaeis respondeam, et ipsi Deum per Moysen colere didicerunt; ut Graecis occurram, Orpheus Pieriae, Musaeus Athenis, Melampus Argis, Trophonius Boeotiae initiationibus homines obligaverunt; ut ad vos quoque dominatores gentium convertar, homo fuit Pompilius Numa, qui Romanos operosissimis superstitio-nibus oneravit.

59 Qua iam expolitos et ipsa urbanitate deceptos in agnitionem veritatis ocularet (Tert., apol. 21,30 [128 D.]).

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saten von der Wahrheit der christlichen religio überzeugen60. Dazu geht er in zwei Schritten vor: In Apologeticum 16-20 dienen die Juden ihm zur Beglaubigung des Glaubens an den einen großen richtenden Schöpfergott. Diesen Glauben teilen die Christen mit den Juden. Er erschließt sich aus den Schriften der Juden, deren Alter und Würde die Wahrhaftigkeit dieses Glaubens bezeugen. Die jüdische Religion als insignissima religio, certe licita fungiert als taugliche Zeugin gerade vor den Adressaten. In Apolo-geticum 21 bedient Tertullian sich der Juden in einer anderen Weise: Vor dem Hintergrund des Glaubens an den einen Gott legt er den spezifi schen Glauben der Christen an Christus als Gott dar, der die Christen von den Juden trennt und für den zugleich der römische Pöbel kein Verständnis hat. Die Argumentation behält ihre Ausrichtung auf die Adressaten bei, und Tertullian bleibt bei seinem primär funktionalen Rückgriff auf die Juden. Allerdings wendet er sich jetzt kritisch gegen die Juden, um mit der Kritik seine römisch geprägten Adressaten zu treffen: Die Blindheit der Juden vor Christi Göttlichkeit und für seine besondere maiestas, die gerade in der menschlichen humilitas zutage tritt, fungiert als Anspielung auf das Unverständnis der Adressaten, die durch die Dämonen in ihrem Irrtum gefangen gehalten werden. Insgesamt wirken Tertullians Äußerungen zu den Juden als Appell an seine paganen Adressaten: Sie sollen mit den Juden und den Christen an den einen großen richtenden Schöpfergott glauben, in Abkehr von den Juden – und damit von der eigenen Überzeugung – aber an Christus als Gott glauben und folglich den ungerechten Hass des Pöbels und eines Nero gegenüber den Christen aufgeben.

Blickt man abschließend zurück zur Ausgangsfrage nach den Bezie-hungen Tertullians zu den Juden, so lässt sich festhalten: Zumindest im Apologeticum erlauben die offensichtlich wohl durchdachten Bezugnahmen auf die Juden eher Rückschlüsse auf Tertullians Argumentationskunst und deren Ziele denn auf seine tatsächlichen Beziehungen zu den Juden. Der Blick darauf, wie Tertullian mit den Juden gezielt argumentiert, lässt die

60 Der funktionale Rückgriff auf die Juden scheint in apologetischen Argumentationszu-sammenhängen zu Tertullians Zeit keine Seltenheit zu sein, wie sich z.B. an Diogn. 3f. (SC 33, 56-60 Marrou) belegen lässt. Auch in dieser Passage dürfte der Verfasser sich der Juden zu bedienen, um seine paganen Adressaten zu treffen; siehe hierzu An Diognet, übersetzt und erklärt von H.E. Lona, Kommentar zu frühchristlichen Apologeten 8, Frei-burg 2001, 141-150. Während bei Tertullian zu beobachten war, dass er zum Zweck der Funktionalisierung der Juden auf Polemik auch bewusst verzichtet, lässt sich an Diogn. 3f. ablesen, dass auch die scharfe antijüdische Polemik im Dienste einer Funktionalisierung der Juden stehen kann.

Die Funktionalisierungsperspektive auf Tertullians Argumentation mag sich über den hier vorgenommenen Nachweis, dass Tertullian mit seinen Ausführungen zu den Juden seine paganen Adressaten ansprechen will, noch ausweiten lassen: Es ist z.B. nicht aus-zuschließen, dass Tertullian – da er implizit auch ein christliches Publikum im Blick hat (vgl. Anm. 10) – anhand der Juden auch Christen in ihrem Glauben festigen möchte. Von Funktionalisierung läßt sich überdies sprechen, wenn Tertullian mit der Rede vom römischen vulgus beabsichtigt, gebildete pagane Adressaten anzusprechen.

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Aussageintentionen deutlicher zutage treten, die er vor seinen paganen Adressaten verfolgt.

ABSTRACT

In Tertullian’s Apologeticum, the Jews play a major role within the chapters 16-21, and especially in chapter 21. A closer look at those chapters shows that Tertullian is referring to the Jews in a very functional way. They enable him to stand up for his Christian faith in God – in front of his pagan addressees. He proceeds in two steps.

In apol. 16-20, he makes use of the Jews to support the faith in the one God, the creator of the universe. The source of this faith are the Jews’ scriptures. Their age and dignity testify the truth of this faith shared by the Christians and the Jews. The Jew-ish religion as „insignissima religio, certe licita“ (apol. 21,1) functions as a witness in front of the pagan addresses, and that’s why Tertullian is very friendly with the Jews in this context.

In apol. 21, the climate changes. Tertullian exposes the Christian faith in Christ as God that separates the Christians from the Jews. At this point, the confl ict is unavoid-able. But still, by attacking the Jews, Tertullian addresses hin non-Christian audience, this time in a critical way. It’s the roman vulgus that is as blind as the Jews in apol. 21 refer to the pagan addresses who shall be freed from their blindness.

Thus, it can be seen that Tertullian is delibaretely talking of the Jews in two dif-ferent ways, each time with one intention: to convince his pagan audience of the truth of the Christian faith.

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