Die Rückkehr der Geometrie : Parametrische Modelle komplexer Räume

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Parametrische Modelle Generatives Entwerfen: Parametrisches Modell, Geometrie 67 66 Die Rückkehr der Geometrie Parametrische Modelle komplexer Räume Nach Robin Evans bestimmt die projektive Zeichnung seit der Re- naissance unser räumliches Denken (vlg. ARCH+ 137 „Die Anfänge moderner Raumkonzeptionen“). Mit ihrer Hilfe lasse sich Raum visualisieren; sie habe aber auch einen Kanon von Architekturzeich- nungen hervorgebracht, der mit Grundriss, Ansicht, Schnitt und Perspektive Raum als zweidimen- sionales Bild begreife und so die räumliche Komplexität einschränke. Evans argumentierte, dass im Com- puterzeitalter die mathematischen Grundlagen der Architekturdar- stellung wieder in den Blickpunkt geraten müssten, damit der Archi- tekt nicht zum bloßen Konsument von Soft- und Hardware degradiert werde. Der Einsatz eines parametri- schen Modells bei der Ausfüh- rungsplanung des Mercedes-Benz- Museums deuten in diese Richtung. 1 Das Stuttgarter Mercedes-Benz-Mu- seum von UN Studio hat Bewegung in die Architekturlandschaft gebracht. Das volumetrische Konzept, das eine Kleeblattschlinge mit einer Doppel- helix verbindet, lässt auch noch zwei Jahre nach seiner Fertigstellung Be- sucher und Fachplaner staunen. Wenn man eine der miteinander verschlun- genen Spiralen des Museums hinab- geht und dabei versucht, das Ge- bäude räumlich zu erfassen, keimt langsam im Hinterkopf die Frage: Wie wurde das alles gebaut? Wie entwik- kelt man aus einer komplizierten mathematischen Figur, in der alles von allem abhängt, ein funktionstüchtiges Museum? Je mehr man dabei ver- sucht, sich in die einzelnen Arbeits- schritte im Planungs- und Bauprozess hineinzudenken, desto unmöglicher erscheint die Aufgabe: In welcher Darstellungsform vermittelt man den verschiedenen Baubeteiligten ein Ge- bäude, das durch Rampen, Bösch- ungen und verdrehte Wandscheiben strukturiert ist und die klassische Stockwerkstrennung sprengt? Wie passt man die geometrische Grund- figur während der fortschreitenden Planung des Gebäudes an die not- wendigen Änderungen an? Wie leitet man aus diesem räumlichen Gebilde die Planungsunterlagen für die kom- plizierten Einzelteile ab, die noch da- zu alle unterschiedlich sind? Und vor allem: Wie gelang es, dieses außerge- wöhnlich komplexe Gebäude inner- halb der kurzen Zeit von vier Jahren zwischen Wettbewerb und Eröffnung fertigzustellen, noch dazu ohne kriti- sche Budgetüberschreitungen? Pr ozess Die Fragen lassen vermuten, dass das Team hinter dem Mercedes-Benz- Museum nicht nur räumlich Neuland betreten hat, sondern dass dieser Schritt erst durch das gleichzeitige Erforschen planungstechnischer Fra- gen möglich wurde. Hinter dem volu- metrischen Konzept des Mercedes- Benz-Museums steckt eine mathemati- sche Figur, auf der die gesamte Ausformulierung des Gebäudes auf- gebaut ist. Die Architekten von UN Studio stellten sich die eingangs genannten Fragen schon bald nach dem Gewinn des Wettbewerbs. Sie erkannten, dass die übliche zwei- oder dreidimensionale Architekturbe- schreibung mit graphischen CAD- Werkzeugen zur baulichen Umsetz- ung ihrer Idee nicht genügen würde und die Werkzeuge an die neue Herausforderung angepasst werden müssen. Ben van Berkel und der Pro- jektarchitekt Tobias Wallisser 2 be- auftragten daher den Architekten Arnold Walz 3 , planungsbegleitend ein sogenanntes „parametrisches CAD- Modell“ zu entwickeln. Dabei handelt es sich um eine Alternative zur zeichnerischen Archi- tekturbeschreibung. Das Modell er- fasst eine Geometrie nicht zeichne- risch, sondern mathematisch. Die „Parameter“ sind dabei bestimmte Variablen der Geometrie wie Dis- tanzen oder Radien, die über defi- nierte Abhängigkeiten miteinander in Beziehung gesetzt sind. Im Fall des Mercedes-Benz-Museums wurde eine handelsübliche CAD-Software ver- wendet, deren Funktionen sich mit Hilfe ihrer internen Programmier- sprache „fernsteuern“ lassen. Durch Übersetzen der Parameter und ihrer Abhängigkeiten in ein Programm konnte so die darin beschriebene zeichnerische Darstellung auf Knopf- druck erzeugt werden. Hierarchisch wird also über der zeichnerischen Ebene noch eine ab- strakte Ebene der Beschreibung ange- ordnet, auf der die Entwurfsgeometrie durch mathematische Abhängigkei- ten definiert ist. Die Bausteine dieser Entwurfsbeschreibung sind nicht Linien, Kurven, Flächen und Volu- men, sondern Handlungsanweisun- gen an die CAD-Software. Die Reihe dieser Algorithmen erzeugt wieder- um das dreidimensionale Modell. Sinn und Zweck ist ein schneller, automatisierter Aufbau des Modells, welches durch Veränderungen der Handlungsvorschriften variiert wer- den kann. Das parametrische Modell des Mer- cedes-Benz-Museums wurde wegen seiner zentralen Rolle in der Planung von den Projektbeteiligten schon bald als „master model“ bezeichnet. In die- sem Mastermodell sind die notwendi- gen Angaben zur Beschreibung der Geometrie nicht als feste Werte, son- dern als veränderbare Parameter gegeben. Deren gegenseitige Abhän- gigkeiten sind im Modell so definiert, dass sich eine Änderung an alle not- wendigen Stellen fortpflanzt. Ändert man beispielsweise die Lage des Atriums oder die Radien der Rampen, werden die tangential daran an- schließenden Kurven neu berechnet und die Figur automatisch neu ge- zeichnet. Dabei gibt es „harte“, durch vorgegebene Werte geometrisch ex- akt bestimmte Bereiche und „weiche“, die zwischen den harten Bereichen einen flüssigen Übergang schaffen. Prinzip Ausarbeitung: von 2D zu 3D Bis hierher klingt die Funktionsweise des parametrischen Modells nach purer Mathematik. Nun ist das Ziel des Modells aber nicht die Para- metrisierung einer abstrakten mathe- matischen Figur, sondern die Be- schreibung eines realen, geometrisch ungewöhnlich anspruchsvollen Ge- bäudes. Mit der Angabe einiger mit Regeln verknüpfter Parameter ist es also nicht getan, will man Faktoren wie das Tragwerk (Wand- und De- ckenstärken) berücksichtigen oder Vorgaben aus der Bauordnung (Stei- gungsverhältnisse von Treppen und Rampen, Fluchtwege etc). Eine zu- sätzliche Herausforderung beim Mer- cedes-Benz-Museum war die Haus- technik, da die Hohlräume für die Leitungsführung innerhalb der Beton- bauteile integriert werden sollten. Die konkreten Bauteilabmessungen und die fachplanerischen und bau- rechtlichen Vorgaben schränken den Lösungsraum ganz erheblich ein und können zu Widersprüchen führen. Mit reiner Mathematik allein ist noch lange kein baubares Ergebnis zu erzielen. An dieser Stelle war die enge Ko- operation zwischen dem Architekten als Gestalter und dem Programmierer als Autor des Modells entscheidend. Wie können Widersprüche zwischen verschiedenen Vorgaben aufgelöst werden? Welche Teile der Planung werden mit welchen Parametern er- fasst, welche besser später zeich- nerisch ergänzt? Bis zu welcher Detaillierungsstufe reicht das Modell? Fehlen wichtige Funktionen im para- metrischen CAD-Modell, ist ein hoher zeichnerischer Planungsaufwand die Folge. Beinhaltet das Modell zu viele Angaben, wird es langsam, unüber- sichtlich und schließlich funktionsun- tüchtig. Es ist hilfreich, an entschei- denden Stellen gezielt in die Tiefe zu gehen und sehr detaillierte Angaben zu machen. Es ist aber illusorisch und technisch unmöglich, ein Bauwerk komplett mit sämtlichen Angaben in ein parametrisches Modell zu packen Stattdessen muss das jeweils passende Abstraktionsniveau gefunden werden. Das parametrische Modell des Mercedes-Benz-Museum umfasst die Bereiche des Gebäudes, die dessen Raumbildung im wesentlichen defin- ieren. Dies sind zum einen das Betontragwerk einschließlich der Stützen als Volumen, zum anderen die Fassade als dreidimensionale Gebäudehaut. Gemeinsam organisierten Archi- tekt und Programmierer die wesentli- chen Parameter und stimmten sie in den „Regeln“ aufeinander ab, bis sich ein sinnvolles „Ganzes“ ergab. Dabei galt es nicht nur, die Entwurfsidee zu erfassen, sondern auch frühzeitig die jeweiligen projektspezifischen Frei- räume für die Fachplaner zu schaffen. Arnold Walz genügten weniger als 100 Parameter zur Beschreibung der komplexen Gebäudegeometrie. Das parametrische Modell des Mercedes-Benz-Museums ist ein Brückenschlag zwischen Informatik und Architektur: Die Aufgabe des Parametrisches 3D-Mastermodell Vergleichende Gegenüberstellung von Museumsbauten: Nachdem die Moderne ein stark eingeschränktes geometrisches Vokabular bevorzugt hatte, hält nun unter dem digitalen Paradigma die Geometrie wieder Einzug in die Architektur Kreisbögen-Diagramme: Konzeptillustration, erstes Modell und Optimierung Konzeptfindung Christoph Schindler und Fabian Scheurer

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Christoph Schindler, Fabian Scheurer Die Rückkehr der Geometrie : Parametrische Modelle komplexer Räume. In: ARCH+ 189, ARCH+ Verlag, Aachen 2008, pp. 66–69

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Parametrische Modellesteuern mithilfe von variablen Kenn-

werten, so genannten Parametern,

komplexe Systeme. Sie werden in der

Architektur für den Entwurf geome-

trischer Objekte verwendet,die anson-

sten schwer zu handhaben sind. Ein

Zylinder wird beispielsweise durch

die Parameter Durchmesser und

Höhe definiert. Wenn solche Kenn-

werte in Abhängigkeit zueinander ge-

setzt werden, entsteht ein abstraktes

Daten-Modell, das die konkreten For-

men, Eigenschaften und das Verhalten

eines Gebäudes steuern kann. Die An-

wendung parametrischer Modelle

geht über die bloße Darstellung eines

bestehenden Entwurfs mithilfe eines

CAD-Programms hinaus.

Generatives Entwerfen: Parametrisches Modell, Geometrie

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Die Rückkehr der GeometrieParametrische Modelle komplexer Räume

Nach Robin Evans bestimmt dieprojektive Zeichnung seit der Re-naissance unser räumliches Denken(vlg. ARCH+ 137 „Die Anfängemoderner Raumkonzeptionen“).Mit ihrer Hilfe lasse sich Raumvisualisieren; sie habe aber aucheinen Kanon von Architekturzeich-nungen hervorgebracht, der mitGrundriss, Ansicht, Schnitt undPerspektive Raum als zweidimen-sionales Bild begreife und so dieräumliche Komplexität einschränke.Evans argumentierte, dass im Com-puterzeitalter die mathematischenGrundlagen der Architekturdar-stellung wieder in den Blickpunktgeraten müssten, damit der Archi-tekt nicht zum bloßen Konsumentvon Soft- und Hardware degradiertwerde. Der Einsatz eines parametri-schen Modells bei der Ausfüh-rungsplanung des Mercedes-Benz-Museums deuten in diese Richtung.1

Das Stuttgarter Mercedes-Benz-Mu-seum von UN Studio hat Bewegung indie Architekturlandschaft gebracht.Das volumetrische Konzept, das eineKleeblattschlinge mit einer Doppel-helix verbindet, lässt auch noch zweiJahre nach seiner Fertigstellung Be-sucher und Fachplaner staunen. Wennman eine der miteinander verschlun-genen Spiralen des Museums hinab-geht und dabei versucht, das Ge-bäude räumlich zu erfassen, keimtlangsam im Hinterkopf die Frage: Wiewurde das alles gebaut? Wie entwik-kelt man aus einer kompliziertenmathematischen Figur, in der alles vonallem abhängt, ein funktionstüchtigesMuseum? Je mehr man dabei ver-sucht, sich in die einzelnen Arbeits-schritte im Planungs- und Bauprozesshineinzudenken, desto unmöglichererscheint die Aufgabe: In welcherDarstellungsform vermittelt man denverschiedenen Baubeteiligten ein Ge-

bäude, das durch Rampen, Bösch-ungen und verdrehte Wandscheibenstrukturiert ist und die klassischeStockwerkstrennung sprengt? Wiepasst man die geometrische Grund-figur während der fortschreitendenPlanung des Gebäudes an die not-wendigen Änderungen an? Wie leitetman aus diesem räumlichen Gebildedie Planungsunterlagen für die kom-plizierten Einzelteile ab, die noch da-zu alle unterschiedlich sind? Und vorallem: Wie gelang es, dieses außerge-wöhnlich komplexe Gebäude inner-halb der kurzen Zeit von vier Jahrenzwischen Wettbewerb und Eröffnungfertigzustellen, noch dazu ohne kriti-sche Budgetüberschreitungen?

ProzessDie Fragen lassen vermuten, dass dasTeam hinter dem Mercedes-Benz-Museum nicht nur räumlich Neulandbetreten hat, sondern dass dieser

Schritt erst durch das gleichzeitigeErforschen planungstechnischer Fra-gen möglich wurde. Hinter dem volu-metrischen Konzept des Mercedes-Benz-Museums steckt eine mathemati-sche Figur, auf der die gesamteAusformulierung des Gebäudes auf-gebaut ist. Die Architekten von UNStudio stellten sich die eingangsgenannten Fragen schon bald nachdem Gewinn des Wettbewerbs. Sieerkannten, dass die übliche zwei-oder dreidimensionale Architekturbe-schreibung mit graphischen CAD-Werkzeugen zur baulichen Umsetz-ung ihrer Idee nicht genügen würdeund die Werkzeuge an die neueHerausforderung angepasst werdenmüssen. Ben van Berkel und der Pro-jektarchitekt Tobias Wallisser2 be-auftragten daher den ArchitektenArnold Walz3, planungsbegleitend einsogenanntes „parametrisches CAD-Modell“ zu entwickeln.

Dabei handelt es sich um eineAlternative zur zeichnerischen Archi-tekturbeschreibung. Das Modell er-fasst eine Geometrie nicht zeichne-risch, sondern mathematisch. Die„Parameter“ sind dabei bestimmteVariablen der Geometrie wie Dis-tanzen oder Radien, die über defi-nierte Abhängigkeiten miteinander inBeziehung gesetzt sind. Im Fall desMercedes-Benz-Museums wurde einehandelsübliche CAD-Software ver-wendet, deren Funktionen sich mitHilfe ihrer internen Programmier-sprache „fernsteuern“ lassen. DurchÜbersetzen der Parameter und ihrerAbhängigkeiten in ein Programmkonnte so die darin beschriebenezeichnerische Darstellung auf Knopf-druck erzeugt werden.

Hierarchisch wird also über derzeichnerischen Ebene noch eine ab-strakte Ebene der Beschreibung ange-ordnet, auf der die Entwurfsgeometriedurch mathematische Abhängigkei-ten definiert ist. Die Bausteine dieserEntwurfsbeschreibung sind nichtLinien, Kurven, Flächen und Volu-men, sondern Handlungsanweisun-gen an die CAD-Software. Die Reihedieser Algorithmen erzeugt wieder-um das dreidimensionale Modell.Sinn und Zweck ist ein schneller,automatisierter Aufbau des Modells,welches durch Veränderungen derHandlungsvorschriften variiert wer-den kann.

Das parametrische Modell des Mer-cedes-Benz-Museums wurde wegenseiner zentralen Rolle in der Planungvon den Projektbeteiligten schon baldals „master model“ bezeichnet. In die-sem Mastermodell sind die notwendi-gen Angaben zur Beschreibung derGeometrie nicht als feste Werte, son-dern als veränderbare Parametergegeben. Deren gegenseitige Abhän-gigkeiten sind im Modell so definiert,dass sich eine Änderung an alle not-wendigen Stellen fortpflanzt. Ändertman beispielsweise die Lage desAtriums oder die Radien der Rampen,werden die tangential daran an-schließenden Kurven neu berechnetund die Figur automatisch neu ge-zeichnet. Dabei gibt es „harte“, durchvorgegebene Werte geometrisch ex-akt bestimmte Bereiche und „weiche“,die zwischen den harten Bereicheneinen flüssigen Übergang schaffen.

Prinzip Ausarbeitung: von 2D zu 3DBis hierher klingt die Funktionsweisedes parametrischen Modells nachpurer Mathematik. Nun ist das Zieldes Modells aber nicht die Para-

metrisierung einer abstrakten mathe-matischen Figur, sondern die Be-schreibung eines realen, geometrischungewöhnlich anspruchsvollen Ge-bäudes. Mit der Angabe einiger mitRegeln verknüpfter Parameter ist esalso nicht getan, will man Faktorenwie das Tragwerk (Wand- und De-ckenstärken) berücksichtigen oderVorgaben aus der Bauordnung (Stei-gungsverhältnisse von Treppen undRampen, Fluchtwege etc). Eine zu-sätzliche Herausforderung beim Mer-cedes-Benz-Museum war die Haus-technik, da die Hohlräume für dieLeitungsführung innerhalb der Beton-bauteile integriert werden sollten.

Die konkreten Bauteilabmessungenund die fachplanerischen und bau-rechtlichen Vorgaben schränken denLösungsraum ganz erheblich ein undkönnen zu Widersprüchen führen. Mitreiner Mathematik allein ist nochlange kein baubares Ergebnis zuerzielen.

An dieser Stelle war die enge Ko-operation zwischen dem Architektenals Gestalter und dem Programmiererals Autor des Modells entscheidend.Wie können Widersprüche zwischenverschiedenen Vorgaben aufgelöstwerden? Welche Teile der Planungwerden mit welchen Parametern er-fasst, welche besser später zeich-nerisch ergänzt? Bis zu welcherDetaillierungsstufe reicht das Modell?Fehlen wichtige Funktionen im para-metrischen CAD-Modell, ist ein hoherzeichnerischer Planungsaufwand dieFolge. Beinhaltet das Modell zu vieleAngaben, wird es langsam, unüber-sichtlich und schließlich funktionsun-tüchtig. Es ist hilfreich, an entschei-denden Stellen gezielt in die Tiefe zugehen und sehr detaillierte Angabenzu machen. Es ist aber illusorisch undtechnisch unmöglich, ein Bauwerkkomplett mit sämtlichen Angaben inein parametrisches Modell zu packenStattdessen muss das jeweils passendeAbstraktionsniveau gefunden werden.

Das parametrische Modell desMercedes-Benz-Museum umfasst dieBereiche des Gebäudes, die dessenRaumbildung im wesentlichen defin-ieren. Dies sind zum einen dasBetontragwerk einschließlich derStützen als Volumen, zum anderendie Fassade als dreidimensionaleGebäudehaut.

Gemeinsam organisierten Archi-tekt und Programmierer die wesentli-chen Parameter und stimmten sie inden „Regeln“ aufeinander ab, bis sichein sinnvolles „Ganzes“ ergab. Dabeigalt es nicht nur, die Entwurfsidee zu

erfassen, sondern auch frühzeitig diejeweiligen projektspezifischen Frei-räume für die Fachplaner zu schaffen.Arnold Walz genügten weniger als100 Parameter zur Beschreibung derkomplexen Gebäudegeometrie.

Das parametrische Modell desMercedes-Benz-Museums ist einBrückenschlag zwischen Informatikund Architektur: Die Aufgabe des

Parametrisches 3D-Mastermodell

Vergleichende Gegenüberstellung von Museumsbauten:Nachdem die Moderne ein stark eingeschränktes geometrisches

Vokabular bevorzugt hatte, hält nun unter dem digitalen Paradigma die Geometrie wieder Einzug in die Architektur

Kreisbögen-Diagramme:Konzeptillustration, erstes Modell undOptimierung

Konzeptfindung

Christoph Schindler und Fabian Scheurer

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Abwicklung der Schaltafeln der doppelt gekrümmten Rampe

Planrohlinge für vertikale Fassadenschnitte

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Generatives Entwerfen: Parametrisches Modell, Geometrie

Doppelhelix und Studie zur Doppelhelix-Organisation

Programmierers bestand darin, zurBeschreibung eines architektonischenProblems jeweils eine algorithmischeEntsprechung aus der Informatik zufinden. Bei der Programmierung einesparametrischen Modells sind dieFragen nach dem „wie“ (der Technik)und dem „was“ (dem Inhalt) vongleichwertiger Bedeutung.

Um die Kontrolle über das Modellzu behalten, wählte Arnold Walzeinen hierarchischen Aufbau. DerAusgangspunkt des Modells ist einezweidimensionale Grundrissgeome-trie, in der die Kanten aller Bauteiledes Modells in der Projektion aufge-nommen sind. Bestimmte Abfolgenvon Kreisbögen, Linien und Begren-zungspunkten werden anschließendin dreidimensionale Polygonzügeüberführt, die dann die Kanten derräumlichen Bauteile definieren. Letzt-endlich unterscheidet sich das Vor-gehen kaum von den Strategien eines

Nutzers von 3D-Software – mit demUnterschied, dass der Aufbau des3D-Modells automatisch erfolgt undrelativ leicht an Veränderungen an-passbar ist, sobald er einmal als Pro-gramm erfasst ist.

Globale PlanungAus den Daten des dreidimensionalenModells können nun verschiedeneDarstellungen abgeleitet werden. Zumeinen sind dies zeichnerische Dar-stellungen wie beispielsweise 2D-„Planrohlinge“ von Grundrissen undbeliebigen Schnitten des gesamtenMuseums (Abb. Vertikale Schnitte).Ein solcher „Planrohling“ darf nichtals fertiger Plan verstanden werden:Er enthält nur die Informationen, dieim 3D-Modell verwaltet werden undmuss gegebenenfalls zeichnerisch vonden Architekten oder Fachingen-ieuren ergänzt werden. Zum andernkönnen aus dem Mastermodell Text-ausgaben wie Bauteillisten und Mas-senermittlungen generiert werden.Wird einer der Eingangsparameteraufgrund einer Planungsänderungaktualisiert, können dank der einmalprogrammierten Beschreibung desGebäudes sämtliche Ableitungen mitminimalem Aufwand neu geschaffenwerden. Ändert sich zum Beispiel dieSteigung einer Rampe und verschiebtsich bei fixiertem Startpunkt darauf-hin ihr Endpunkt, dann müssen diePläne aller Bauteile aktualisiert wer-den, die an diesem Endpunkt an-schließen und von dieser Änderungbetroffen sind. Im weiteren Verlaufder Planungsarbeit musste die Pro-grammierung des Mastermodellsrund fünfzig Mal an grundsätzlicheÄnderungen angepasst werden. Hin-zu kommen ungezählte Durchläufedes Programms, bei denen lediglichdie Werte der Parameter variiert wur-den. Insgesamt wurden 38.000 Plänedes Gebäudes angefertigt, von denenviele auf der Grundlage der Plan-rohlinge aus dem parametrischenModell entwickelt wurden.

Lokale PlanungEbenso setzte UN Studio das Master-modell für die Detailplanung ein,indem entsprechende Werkpläne fürdie ausführenden Firmen erzeugtwurden. Hierfür mussten die notwen-digen Angaben und Bedingungen fürdie Verfeinerung einzelner Bauteile

ergänzt werden. Sowohl die 1.800individuellen trapezförmigen Glas-elemente der Fassade als auch dieverlorene Stahlschalung der Beton-stützen konnte mit Hilfe von Walz’Modell abgewickelt und als Werkplanfür die Fertigung vorbereitet werden.Die „Kür“ der Planungsautomationschließlich war die Schalungshautfür die Rampen der Spirale: Derendoppelt gekrümmte Betonoberflächewurde mit handelsüblichem ebenemPlattenmaterial geschalt. Die Tafelnsind dabei nicht gerade beschnitten,sondern haben eine leicht nach außengewölbte, bogenförmige Kante. Da-durch passen die individuellen Tafelngenau zusammen, wenn sie elastischin die gewünschte Form gedrücktwerden.

InformationsreduktionBei der Erstellung parametrischerModelle sieht sich der Planer mit dreiHerausforderungen konfrontiert:

Die erste ist die maximal möglicheReduktion der notwendigen Infor-mation zur mathematisch eindeutigenBeschreibung des Gebäudes. Dasheißt, dass die Geometrie durch mög-lichst wenige Regeln und Abhängig-keiten zwischen festen und variablenWerten definiert ist. Zum Beispielhaben zwei aneinander stoßendeKreisbögen einen „glatten“, tangen-tenstetigen Übergang, wenn ihreMittelpunkte und der Kontaktpunktauf einer geraden Linie liegen. DieseRegel definiert eine Abhängigkeitzwischen den Bögen, unabhängigvon ihren Radien (den Parametern)und damit der „gezeichneten“ Geo-metrie. In diesem Sinn ist ein parame-trisches Modell ein „Kompressions-verfahren für Architekturbeschrei-bung“. Die Auswahl der wesentlichenAngaben erfordert es, ein fundiertesFachwissen über Geometrie mit ent-werferischen, baukonstruktiven undfertigungstechnischen Vorgaben inEinklang zu bringen. Dies setzt einesorgfältige Abstimmung mit denArchitekten, Fachplanern und Aus-führenden voraus.

EindeutigkeitDie zweite Herausforderung liegtdarin, die Parameter im Gleichungs-system zur Beschreibung einer geome-trischen Figur richtig miteinander zuverknüpfen. Mathematisch müssen

sich stets eindeutige Lösungen erge-ben: Bei mehr Unbekannten alsGleichungen kann ein System nichtaufgelöst werden; es wäre unterbe-stimmt. Gibt es mehr Gleichungen alsUnbekannte, gilt das Modell alsüberbestimmt. Praktisch bedeutet dies:Wenn zwischen Parametern gegen-seitige Abhängigkeiten (auch übermehrere Stationen) bestehen, dannkann sich das System "verklemmen".Beispielsweise schneiden sich zweiGeraden im Raum nur, wenn eine ge-meinsame Schnittebene existiert. Fallsdie Regeln des parametrischen Mo-dells einerseits zulassen, dass diebeiden Geraden windschief sind,andererseits aber der Schnittpunkt alsAusgangspunkt für die folgende Kon-struktionsschritte verwendet wird, kanndas Modell „unerfüllbar“ werden.

QualitätssicherungDie dritte Herausforderung schließlichist die Überprüfung, ob die program-mierten Algorithmen auch tatsächlichdie gewünschte Geometrie generie-ren. Auch wenn ein Gleichungssystemeindeutig bestimmt ist, kann es leichtvorkommen, dass die damit erzeugteGeometrie nicht den Wunschvor-stellungen entspricht. Die Algorithmenselbst deuten mit keinem Hinweis an,ob sie inhaltlich korrekt sind. Die drei-dimensionale Darstellung des para-metrischen Modells wird zudemimmer unübersichtlicher, je mehr sieins Detail geht. Die einzige Hilfe-stellung bieten zusätzlich program-mierte graphische Kontrollen durchden Bearbeiter. Beispielsweise kannein Algorithmus alle von einer zusätz-lich definierten Regel abweichendenBauteile rot einfärben, wie zumBeispiel die nicht-planaren Glasele-mente einer Fassade. Eine andereMöglichkeit der Qualitätssicherung istdie überdimensionale Darstellungbestimmter Eigenschaften, wie dieGenerierung einer Senkrechten aufeiner Fassadenfläche, um Winkel-abweichungen gegenüber benach-barten Fassadenelementen visuellfestzustellen.

Regelbasierter EntwurfNun ist zwar beschrieben worden,welche vielfältigen Rollen ein parame-trisches Modell im Bauprozess spielenkann. Die Rolle, die das Mastermodelldes Mercedes-Benz-Museum hatte, istbisher jedoch einzigartig. Walz undseine Partner bei „designtoproducti-on“ haben schon verschiedene para-metrische Modelle zur Beschreibungvon Architektur gebaut. Darunter

befinden sich zwei Projekte vonRenzo Piano – Peek & Cloppenburgin Köln und das Zentrum Paul Klee inBern – bei denen jeweils die Ge-bäudehülle des Entwurfs parametrischerfasst wurde. Andere parametrischeModelle betreffen die Ausführungs-planung einzelner Gewerke wie dieSchalungsplanung für das EPFL Lear-ning Center von SANAA, die Ferti-gungsplanung für die Dachkonstruk-tion der vier Hungerburgbahn-Statio-nen von Zaha Hadid und das Holz-tragwerk des Centre Pompidou Metzvon Shigeru Ban (siehe Seite …). Beiletzteren Projekten diente das para-metrische Modell jeweils zur Detail-lierung und Aufbereitung für die NC-Fertigung. Der Ausgangspunkt derparametrischen Modelle war hiernicht durch mathematische Regelnund Zusammenhänge bestimmt, son-dern lag in Form von 3D-Leitkurvenoder modellierten 3D-Flächen vor.

Das Modell für das Mercedes-Benz-Museum zeichnet sich im Ver-gleich zu allen anderen von „design-toproduction“ betreuten Projektendurch zwei Qualitäten aus:

Erstens ist die oberste Hierarchie-ebene des Entwurfs von den Archi-tekten bei UN Studio mit den Motivenvon Kleeblattschlinge und Doppel-helix bereits so angelegt worden,dass sie algorithmisch beschreibbarist. Die grundlegenden Regeln desparametrischen Modells ergeben sichdirekt aus den grundlegenden Ideendes Entwurfs. Zweitens bestimmt die-ses Regelwerk nicht nur einen Teil desEntwurfs oder ein einzelnes Gewerkwie in den oben genannten Bei-spielen, sondern umfasst verschieden-ste Arbeiten wie den Fassaden- undBetonbau. Es gibt keinen Bereich desGebäudes, der nicht durch dasModell abgedeckt werden könnte.Zusammenfassend kann durch diePositionierung des Modells im Zen-trum des Planungs- und Bauprozesseseine in den wesentlichen Schrittenautomatisierte Koordination der be-teiligten Gewerke erreicht werden.

SchlussfolgerungDas Mercedes-Benz-Museum zeigt,dass die Rolle von parametrischenModellen im Bauprozess über diewirtschaftliche Ausführung unregel-mäßiger Form auch weit in die Ent-wurfsarbeit der Architekten hinein-reichen kann. Durch die frühzeitigeEinbindung eines parametrischenModells als Dreh- und Angelpunkt desPlanungs- und Bauprozesses hat UNStudio architektonisches Neuland

erschlossen und eine neue Marke fürdie Grenze des Baubaren gesetzt.Dies konnte nur gelingen, weil dieArchitekten und ihr Team sich in ihrerArbeit mit der Funktionsweise des all-gegenwärtigen Werkzeugs Computerauseinandersetzten. Sie begnügtensich nicht mit den handelsüblichenSoftware-Werkzeugen zur Model-lierung und Visualisierung von Formauf der Bildschirmoberfläche, son-dern verstanden sich als Autoren derdahinterliegenden Algorithmen. Es istdas tiefere Verständnis des Computersals Rechenmaschine zur Formulierunggeometrischer Zusammenhänge, dasdie Beschränkungen der projektivenArchitekturzeichnung, wie wir sie seitder Renaissance kennen, hinter sichlässt und die tatsächlichen Möglich-keiten dieses zeitgenössischen Werk-zeugs für die Architekturproduktionoffenlegt.

Kreisbögen Diagramme:Optimierungsphase und letzte geometrische Fassung

(1) Siehe dazu Robin Evans: TheProjective Cast, in: ARCH+ 137 „DieAnfänge moderner Raumkonzeptionen“,Juni 1997(2) Tobias Wallisser hat als Partner vonBen van Berkel bei UN-Studio das neueMercedes-Benz-Museum in Stuttgart alsProjektarchitekt betreut. Wallisser leitet alsProfessor an der Stuttgarter Akademie fürbildende Künste die Klasse für digitalesEntwerfen. Gemeinsam mit Chris Bossebetreibt er das Architekturbüro LAVA.(3) Mit der Erstellung parametrischerModelle unterstützt der Stuttgarter Archi-tekt Arnold Walz seit nunmehr zehn JahrenKollegen bei der Planung komplexerArchitekturprojekte. 2006 gründete er mitFabian Scheurer und Christoph Schindlerdie Firma „designtoproduction“.