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190 Afíríkà yèyé mi! – Meine Mutter Afrika! Die Trommeln Die religiösen Aktivitäten von Òrì‚à auf Trinidad sind in Bezug auf die verwende- ten Instrumente im Wesentlichen durch den Gebrauch unterschiedlicher Trommeln gekennzeichnet. Dabei kommen mindestens drei verschiedene Trommeln zum Ein- satz: Die Bo (oder Bembe) – die Basstrommel – die Ialu, die mittlere Trommel – sowie die zumeist paarweise vorhandenen Oumaley, das Kleinste der drei Schlag- instrumente. Daneben werden sogenannte shak-shaks verwendet: Diese Rasseln werden aus ausgehöhlten Flaschenkürbissen gefertigt, die mit getrockneten Samen gefüllt sind. Die Trommeln werden aus den Stümpfen des Brotfruchtbaumes, des Avoca- dobaumes oder aus dem Stamm einer Zeder geschnitzt. Die Länge der Trommeln variiert von etwa 25 cm bis knapp einen Meter, der Durchmesser reicht von unge- fähr 25 cm bis 50 cm. Bespannt wird die Trommel mit einem Ziegenfell – manch- mal auch beidseitig. Das Fell wird meist mit einem Draht oder einer Schnur, in selteneren Fällen mit kleinen Holzpflöcken befestigt. Im Allgemeinen wird die Haut von Opfertieren bevorzugt: “The skins of sacrificial animals are employed for this purpose, and the visitor to a cult house will frequently see skins pegged against the wall, drying” (Herskovits 1957:481). Abbildung 64: Anrufung der Ori‚á im palais von „‰gbë Onisìn Elòdùmaré“

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190 Afíríkà yèyé mi! – Meine Mutter Afrika!

Die Trommeln

Die religiösen Aktivitäten von Òrì‚à auf Trinidad sind in Bezug auf die verwende-ten Instrumente im Wesentlichen durch den Gebrauch unterschiedlicher Trommelngekennzeichnet. Dabei kommen mindestens drei verschiedene Trommeln zum Ein-satz: Die Bo (oder Bembe) – die Basstrommel – die Ialu, die mittlere Trommel –sowie die zumeist paarweise vorhandenen Oumaley, das Kleinste der drei Schlag-instrumente. Daneben werden sogenannte shak-shaks verwendet: Diese Rasselnwerden aus ausgehöhlten Flaschenkürbissen gefertigt, die mit getrockneten Samengefüllt sind.

Die Trommeln werden aus den Stümpfen des Brotfruchtbaumes, des Avoca-dobaumes oder aus dem Stamm einer Zeder geschnitzt. Die Länge der Trommelnvariiert von etwa 25 cm bis knapp einen Meter, der Durchmesser reicht von unge-fähr 25 cm bis 50 cm. Bespannt wird die Trommel mit einem Ziegenfell – manch-mal auch beidseitig. Das Fell wird meist mit einem Draht oder einer Schnur, inselteneren Fällen mit kleinen Holzpflöcken befestigt. Im Allgemeinen wird dieHaut von Opfertieren bevorzugt:

“The skins of sacrificial animals are employed for this purpose, and the visitor to acult house will frequently see skins pegged against the wall, drying” (Herskovits1957:481).

Abbildung 64: Anrufung der Ori‚á im palais von „‰gbë Onisìn Elòdùmaré“

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Die fundamentale Bedeutung der Trommeln innerhalb der Zeremonien derÒrì‚à-Religion Trinidads ist unumstritten. Hierbei ist es wichtig anzumerken, daßdas Ausmaß des rituellen Rahmens eng mit dem afrikanischen Weltbild verknüpftist: Die Grenzen von Menschlichem und Göttlichem, von Geist und Materie sowievon Profanem und Sakralem werden weniger als Gegensätze betrachtet, sondern alsharmonisierendes Ganzes, dessen Grenzflächen sich in einem ständigen Prozeßpulsierend überlappen. Der Gebrauch der drei Trommeln im rituellen Kontext re-flektiert dieses Weltbild:

“Well, some consider them a family, if I quote a Brother – Mansa Musa, he re-corded a LP in the seventies: He did a piece called ‘Hold on to the faith’ and he dida running commentary on what the drums are: He called the Bo the ‘steady heart-beat of the universe’, he called the Oumaley ‘The plastic forces of the universe’ –the ‘elemental frivolity’, and he called the Ialu ‘The bridge between the plastic anthe steady’ The ‘pIastic’ means something that can be molded, so that is how wedescribe the three drums and how they work – The Oumaley is the frivolous, theBo – the conciliate, the ‘anchor’ – it is the sound-pattern on which the other patternresonate and bound to go along to a large extent” (Interview 1/2000, Oludari Mas-setungi, mongba, TB 39, 02:30).

Abbildung 65: Eine Bo, Ialu, Oumaley, (von links nach rechts) kurz vor der rituellenEinweihung im palais von „‰gbë Onisìn Elòdùmaré“

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Rituale

Für Durkheim (1947) bestand die Religion einer Gesellschaft aus den beiden Ele-menten der Riten und Mythen. Die Riten als soziale Handlung im religiösen Be-reich stellen das Ursprüngliche dar, währenddessen die Mythen eine Rationalisie-rung und Symbolisierung des Handlungsaspektes bedeuten. Diese Ansicht blieb bisLevi-Strauss (1986) vorherrschend, der Mythen und Riten als Teil einer dialekti-schen Einheit betrachtete. Dahingegen wird von den meisten Interpreten die An-sicht Durkheims bestätigt, daß Rituale eine kollektive Funktion der Gruppenbin-dung und Gruppenbestätigung einnehmen.

Turner (1968) unterstreicht die gruppenstabilisierende Funktion des Rituals: DasRitual ist eine Bekräftigung der gesellschaftlichen Einheit. Das Ritual generiert ei-ne kreative „Antistruktur“ einer Gesellschaft, die quasi den Ausgleich zu einemAlltagsleben – bestehend aus sozialem Druck, Hierarchie und traditioneller Starre –bildet. Trotz der verschiedenen theoretischen Betrachtungsweisen sind sich diemeisten Autoren in der Beschreibung und der Funktion des Rituals grundsätzlicheinig: Ein Ritual ist eine Art kritische Verknüpfung und Verbindung, bei der zweivorher getrennte soziale oder kulturelle Elemente eine Einheit bilden (Bell1992:16).

Levi-Strauss (1973:47,48) unterscheidet (hier) zwischen Spiel und Ritual: DasSpiel ist das trennende Element, es endet mit der differentialen Trennung zweierGruppen, die am Anfang nicht zu unterscheiden waren … „auf umgekehrt symme-trische Weise ist das Ritual verbindend, denn es schafft eine Verbindung … mansetzt eine im voraus entworfene und postulierte Asymmetrie zwischen profan undsakral, Gläubigen und Priestern, Toten und Lebendigen“. Das Ritual integriert undverbindet Tradition und Veränderung, Ordnung und Chaos, das Individuum und dieGruppe, Subjektivität und Objektivität, Natur und Kultur (Bell 1992:16).

Im ¤bø finden sich diese Asymmetrien oder Oppositionspaare in ein westafrika-nisches Raum- und Zeitkontinuum eingebunden. Hier wird einerseits – zeitlich be-trachtet – die Distanz zwischen der Gegenwart und dem Zeitpunkt der Schöpfungüberwunden. Die Kontinuität dieser Verbindung stellt sich über eine gedachte, un-unterbrochene Genealogie von Ahnen dar. Andererseits wird der allgemeine Be-zugsrahmen zur natürlichen Umwelt modellhaft auf eine Ebene der Unmittelbarkeitfokussiert: Die Struktur und das Sinngefüge der gesamten Welt – durch die Òrì‚àsymbolisiert – werden an den Ort des Rituals übertragen. Der Platz des Rituals wirdzum buchstäblich verkleinerten Abbild einer ganzen Welt. Der Mensch überwindetdie zeitliche Distanz zur Welt im Augenblick der Schöpfung, um so an der kreati-ven Schöpfungsenergie (à‚¤), teilzuhaben (vgl. Deren 1992:271-289).

Die einzige Möglichkeit für den Menschen, diese Raum- und Zeitdistanzen zuüberwinden – sprich zu verknüpfen – stellt sich über die Òrì‚à dar. Diese Verknüp-fung manifestiert sich durch Trance und Besessenheit. Deswegen kommt diesenZuständen im Ritual besondere Bedeutung zu (vgl. Deren 1992:271-289). Der Platzdes Rituals – das palais – bildet so das verkleinerte, jedoch getreue Abbild dieses

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Gefüges – oder der Welt. Die Òrì‚à bilden sowohl die räumliche Struktur, als auchdie Überbrückung der Zeit von der Gegenwart bis zum Zeitpunkt der Schöpfung.

Das Ritual versucht so die Schöpfung der Welt zu simulieren und die kreativeEnergie, die daraus resultiert, den einzelnen Teilnehmern begrifflich und bewußt zumachen. Besessenheit und Trance sind ein spezifischer Teil jener kulturellen Phä-nomene, die unter dem Überbegriff „altered states of consciousness“ zusammenge-faßt werden. Der Zustand eines „altered state of consciousness“ ist eine menschli-che Universalie, die Form und die Interpretation ist jedoch kulturspezifisch deter-miniert:

“It must be stressed that although the capacity to experience altered states of con-sciousness is a psychobiological capacity of the species, and thus universal, itsutilization, institutionalization, and patterning, are, indeed, features of culture, andthus variable” (Bourguignon 1973:12 zit. n. Houk 1995:116).

Houk (1995:124) ist der Auffassung, daß sogenannte „wissenschaftliche“ Annä-herungen an die vorher erwähnten Phänomene dazu tendieren, den Standpunkt desAutochthonen zu verkennen bzw. zu ignorieren: Rappaport (1989) schlägt in die-sem Kontext vor, sowohl die emische als auch die ethische Interpretation als gültigzu betrachten und beide Kategorien nicht als gegensätzlich anzusehen.

„‰bø“ – Vereinigung von Menschen und Òrì‚à

Die Organisation „‰gbë Onisìn Elòdùmaré“ betrachtet das ¤bø prinzipiell als einenreziproken Akt des Gebens und des Nehmens zwischen den Menschen und denÒrì‚à. Es ist das Wiederherstellen einer energetischen Balance im individuellen undkollektiven Lebensweg (vgl. dazu das Konzept von orí, dem spirituellen Kopf), diedurch den Gehalt der Gabe an geopferter (Lebens-) Energie und durch das Strömenvon à‚¤, der göttlichen Kraft, welche das Universum durchdringt, zustande kommt(Interview 18/1997, Oludari Massetungi, mongba, TB 32, 12:00; ).

Ein ¤bø beinhaltet jedoch mehr als das bloße Opfern von Tieren für bestimmteÒrì‚à: Ein ¤bø bedeutet auch die Gabe von Getränken, Tanz, Gesang, Zeit und Ge-beten; es ist hier in erster Linie die freiwillige Gabe von Energie von den Menschenzu den Òrì‚à ausschlaggebend. Da dies mitunter einen sehr individuellen Akt be-deuten kann, gibt es demnach auch die unterschiedlichsten Gründe ein ¤bø zu ver-anstalten: Ein rituelles Opfer, das aufgrund einer Verfehlung einer bestimmten Per-son obligat wurde, unterscheidet sich von einem ¤bø, das zur Heilung eines Men-schen veranstaltet wurde. Die meisten auf Trinidad abgehaltenen ¤bø dienen demAusdruck des Dankes – Dank für eine gute Ernte, für Gesundheit, für Glück etc. …Je nach Beschaffenheit, Anlaß und den Möglichkeiten des mongba wird das ¤bøunterschiedlich konzipiert: Individuell oder innerhalb der Gemeinschaft, mit einemBlutopfer oder anderen Gaben – es gibt keine festen Regeln. Zum Großteil werdenArt und Darbietungsweise vom mongba mit Hilfe der Kaurimuscheln bestimmt(Interview 18/1997, Oludari Massetungi, mongba, TB 32, 14:00).

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Es gibt jedoch auf Trinidad rituelle Standards, die den Ablauf des ¤bø bestim-men. Der Beginn eines jeden ¤bø ist durch die spirituelle Reinigung des gesamtencompounds gekennzeichnet. Dies wird als Aufgabe È‚ùs angesehen – das Entfer-nen der negativen „Spirits“ durch È‚ù wird auf Trinidad als das sogenannte eshuingbezeichnet. Danach wird È‚ù verabschiedet und spielt für den weiteren Verlauf des¤bø vordergründig keine Rolle mehr. Dann erst wird Ògún, der Osin Imole – derAnführer der Òrì‚à – angerufen. Dieser Òrì‚à bereitet als erster den Weg auf dieErde für die restlichen Òrì‚à vor. Die Reihenfolge der nachfolgenden Òrì‚à unter-liegt keinen festen Regeln; es ist jedoch bei den meisten compounds üblich, vorBeendigung des ¤bø nochmals alle Òrì‚à anzurufen, um sie gemeinsam zu verab-schieden (Interview 4/2000, Oludari Massetungi, mongba, TB 42, 00:30):

“As a basic format of ritual people feel to purge, to cleanse and purify the ritualspace. In Trinidad and Tobago, most people do a cleansing process, what they call‘eshuing’. So they will sing songs for È‚ù, and they will ritually neutralize the envi-ronment from all negativity. And then they call Ògún, the Chief-divinity and theclearer of the pathway to give permission to the other Òrì‚à to make themselvespresent. Whatever the pattern of the hierarchy, you call the Òrì‚à in that selectedorder, and basically at the end of the feast, they would call all of them together andmake a general farewell and close” (Interview 4/2000, Oludari Massetungi,mongba, TB 42, 00:30).

„‰gbë Onisìn Elòdùmaré“ ist jedoch der Auffassung, daß die Anrufung derhöchsten Gottheit – Olódùmarè – zu Beginn des ¤bø bereits ausreicht, um denSchrein spirituell zu „neutralisieren“. Darauf wird È‚ù angerufen, nicht ausschließ-lich seiner Funktion als „Spiritual Guard“ wegen, sondern auch als Hüter von à‚¤,der göttlichen Lebensenergie der Òrì‚à. Folglich wird È‚ù – im Gegensatz zu ande-ren compounds – nicht verabschiedet, sondern bleibt, quasi im Hintergrund, als„Regulator“ von à‚¤ und „Bewacher“ während des gesamten ¤bø anwesend. (Inter-view 4/2000, Oludari Massetungi, mongba, TB 42, 01:30):

“So in terms of the structure and layout of our organization, how does one begin a¤bø, our feast and our sacrifice, that would be our general format: If your ownmode is one that needs cleansing and purification, cleansing and purification wouldbe performed as a separate act of invocation in the name of the ultimate. My ownprocess is: invocation in the name of the ultimate [Olódùmarè] is sufficient forcleansing. Immediately after we call È‚ù as the divine and sacred holder of à‚¤ andsupervisor of all rituals to take charge in the order of things” (Interview 4/2000,Oludari Massetungi, mongba, TB 42, 01:30).

Das Fortschreiten der Reafrikanisierungstendenzen – verbunden mit dem lang-samen Rückgang der christlichen Symbolik – wird aus Sicht von Oludari Mas-setungi auch durch die Veränderung der „Standards“ des ¤bø verdeutlicht: Es gehtnicht nur die Quantität des zeitlichen Aufwandes für christliche Lieder und Gebetezurück; vor allem in Bezug auf die Ikonographie der einzelnen Òrì‚à konnte einRückgang der christlichen Elemente bemerkt werden (Interview 4/2000, OludariMassetungi, mongba, TB 42, 01:30):

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“Over the years, there have been some transformations to the ritual ‘Standards’ – ifyou want to call it that way. In the past, there were certain [catholic] symbols, thatwere placed to represent the certain Òrì‚à, whenever a feast was carried out. Today,this is hardly the case” (Interview 4/2000, Oludari Massetungi, mongba, TB 42,01:00).

Das Erscheinen der Òrì‚à im palais ist in allen compounds Trinidads ähnlichstrukturiert. Die Organisation „‰gbë Onisìn Elòdùmaré“ bildet hier keine Ausnah-me, wie in den nächsten Kapiteln ausführlicher dargestellt werden wird. Die erstePhase bildet die Anrufung des Òrì‚à (call). Erscheint dieser, so beginnt die Phaseder „Arbeit“ (work); danach wird der Òrì‚à „unterhalten“ (pleasure) und so günstiggestimmt. Der Abschluß des Besuchs des Òrì‚à wird durch eine „Verabschiedung“(dismission) markiert.

Die Eröffnung des „‰bø“: „Opening“ („Cleansing“)

Im Rahmen der vorbereitenden Maßnahmen für das Ritual versammeln sich dieBeteiligten vor dem Altar von È‚ù, um durch das Werfen der Kauris die Erlaubnisdieser Gottheit einzuholen. Dabei knien die Anwesenden unter der Leitung desmongba nieder und legen die rechte Hand auf die Erde innerhalb des ojúbø von È‚ù[= stool]. Der mongba bricht eine Kolanuß, steckt den Keimling in die Erde desojúbø und gießt Öl und Wasser über die Gegenstände, die È‚ù repräsentieren(Horn, Flöte, Eisennägel, etc. …).313 Dabei rezitiert er Worte der Begrüßung undein Gebet an È‚ù (Video ¤bø 2).

Danach erfolgt der Muschelwurf. Vor und nach dem Werfen der Kauris wird dieErde mit Wasser befeuchtet. Das Ergebnis der Befragung wird diskutiert. Bei zwei-felhaftem Resultat wird der Muschelwurf mit detaillierterer Fragestellung wieder-holt. Den Abschluß der Zeremonie bildet eine Respektbezeugung an È‚ù, bei derdie Anwesenden die befeuchtete Erde dreimal mit den Worten „à‚¤“ auf die Stirnapplizieren (Video ¤bø 2).

Die Teilnehmer erheben sich. Erst zu diesem Zeitpunkt findet eine offizielle Be-grüßung durch den mongba statt. Alle im Versammlungsraum anwesenden Perso-nen umarmen einander rituell (rechte Schulter an linke Schulter – linke Schulter anrechte Schulter – beide Hände werden gegenseitig gereicht). Nun steht der gesamteRitualbereich für die Besucher offen. Beim Eintreten wird der Boden mit Zeige-und Mittelfinger der rechten Hand berührt und die Erde auf die Stirn appliziert.Dabei wird „à‚¤“ ausgerufen. Das palais darf nur barfuß betreten werden. Frauenmüssen eine Kopfbedeckung – meist in Form eines gebundenen Tuches – sowieRöcke bis unter das Knie tragen. Dabei werden helle Farben wie weiß, gelb, orangeoder rot bevorzugt (Video ¤bø 2).

313 Vergleiche Kapitel „È‚ù“, Seite 159.

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Unter der Anleitung des mongba werden die Utensilien für das Ritual um denHauptaltar, der sich im Zentrum des palais befindet, angeordnet. Zu den wesent-lichsten Bestandteilen zählen die Opfergaben, meist Früchte (im Falle von Tierop-fern werden diese kurz vor den Altar geführt und danach außerhalb des palais an-gebunden) sowie Olivenöl (als Ersatz für Palmöl), 80%iger Rum, Reis und schwar-ze Bohnen, Guinea-Pfeffer, Wasser, Salz sowie Kolanüsse314 (Video ¤bø 2).

Abbildung 66: Videosequenz ¤bø 2 (187,186,26)

Die Anrufung der Òrì‚à: „Call“

Die Anwesenden versammeln sich kreisförmig um den Altar. Kerzen werden inAltarnähe angezündet. Der mongba hält eine Eröffnungsrede zu Zweck, aktuellemAnlass und Thematik des Rituals. Die Trommler versammeln sich auf einem eigensfür sie reservierten Platz an einer der Stirnseiten des palais und stimmen sich unddie Instrumente aufeinander ein. Anschließend werden die Trommeln vor dem Al-tar pyramidenförmig aufgebaut (Video ¤bø 2).

Abbildung 67: Videosequenz ¤bø 2 (125,126,127)

Der mongba leitet die spirituelle Inbesitznahme des palais ein. Er postiert sichneben dem Altar innerhalb eines Kreises der Anwesenden, die sich an den Händenfassen, berührt mit der Stirn den Boden vor dem Altar und nimmt eine Keramikka-lebasse mit Wasser zur Hand. Mit Ògún beginnend werden die einzelnen Òrì‚à mitihrem Namen angerufen. Nach jeder Anrufung wird der jeweilige Name des Gottesdreimal von den Anwesenden in Verbindung mit „iba à‚¤“ wiederholt. Parallel da-zu verteilt der mongba etwas Wasser auf dem Boden in Anordnung der vier Him-melsrichtungen. Dazu werden folgende Ehrerbietungen formuliert:

314 Siehe auch Kapitel „Food“, Seite 183.

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iba à‚¤ !iba à‚¤ !iba à‚¤ !iba Ògún, O‚in-Imølê! 315

iba Ògún, O‚in-Imølê!iba Ògún, O‚in-Imølê!iba Øbàtálá, ObaÒrì‚à!iba Øbàtálá, ObaÒrì‚à!iba Øbàtálá, ObaÒrì‚à!iba Yemønjá!

Ehre an à‚¤ !Ehre an à‚¤ !Ehre an à‚¤ !Ehre an Ògún, An-führer der Òrì‚à!Ehre an Ògún, An-führer der Òrì‚à!Ehre an Ògún, An-führer der Òrì‚à!Ehre an Øbàtálá,König der Òrì‚à!Ehre an Øbàtálá,König der Òrì‚à!Ehre an Øbàtálá,König der Òrì‚à!Ehre an Yemønjá!

iba Yemønjá!iba Yemønjá!iba Íangó!iba Íangó!iba Íangó!iba egún-gún babami!iba egún-gún babami!iba e egún-gún babawa!iba egún-gún babawa!iba ørun!oba ayé!oba ørun!

Ehre an Yemønjá!Ehre an Yemønjá!Ehre an Íangó!Ehre an Íangó!Ehre an Íangó!Ehre an die Ahnenmeines Vaters!Ehre an die Ahnenmeines Vaters!Ehre an die Ahneneurer Väter!Ehre an die Ahneneuerer Väter!Ehre an ørun!Könige der Erde!Könige von ørun!

Diese gedachten Achsen entsprechen dem Längs- und Querschnitt des palais. ImRahmen dieser rituellen Handlung wird ein Lied zu Ehren der Òrì‚à angestimmt,bei dem der mongba die Rolle des Vorsängers übernimmt. Der Inhalt entsprichteiner Einladung an die Òrì‚à verbunden mit der Hoffnung, negative Kräfte aus demRitual fernzuhalten (Video ¤bø 2).

Es folgt eine Anrufung an Afrika (Afíríkà yèyé mi!), um so eine Verbindung zuden Ahnen des alten Kontinents herzustellen. Dieser Akt wird als symbolischeVerbindung mit den afrikanischen Wurzeln über die Grenzen von Raum und Zeithinweg verstanden (Video ¤bø 2). An diesem Punkt setzt die eigentliche Anrufungder Òrì‚à ein. Dazu werden einige Tropfen Wasser aus der Kalebasse des Hauptal-tars in allen vier Ecken des palais verteilt: Dieser Akt markiert die Öffnung despalais für die Òrì‚à:

“Each cardinal is home to benevolent and malevolent powers of the universe, thatreside in the various quarters, and that is our way of paying respect to this cardinalpowers. One could say it is the pathways, one could say it is the roads” (Interview2000/4, Oludari Massetungi, mongba, TB 4/4:30).

Abbildung 68: Videosequenz ¤bø 2 (95,79,22)

315 Vergleiche Kapitel „Ògún“, Seite 188.

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Das Geschenk der Götter: „Work“

Die Trommler leiten die Anrufung der Òrì‚à ein, unterstützt durch den Gesang unddas Klatschen der Anwesenden, die immer noch in einem Kreis um den Altar ste-hen. Diese Zeremonie ist ein Versuch, Kontakt zu den Òrì‚à herzustellen. EinigeTeilnehmer fallen in Trance. Nach mehreren Versuchen der Kontaktaufnahme ma-nifestiert sich in der Regel ein Òrì‚à in einem oder mehreren der Teilnehmer. Die-ser Òrì‚à führt ihm zugeschriebene Gesten und Bewegungen aus; dadurch wird esden Umstehenden ermöglicht, den Òrì‚à zu identifizieren316 (Video ¤bø 2).

Der mongba heißt den anwesenden Òrì‚à willkommen, indem er seine Stirn aufdie der in Trance gefallenen Person presst und diese anschließend mit Öl benetzt.Desweiteren wird der Òrì‚à in eine Schärpe in der mit ihm assoziierten Farbe ge-hüllt. Der Òrì‚à wird durch Lieder und Trommelrhythmen unterhalten und günstiggestimmt. Der mongba folgt dem Òrì‚à zu seinem jeweiligen shrine außerhalb despalais. Dort knien beide nieder und opfern Öl und Rum. Anschließend kehren beidein das palais zurück und die eigentliche „Arbeitsphase“ des Òrì‚à beginnt: DieTeilnehmer werden zum Tanzen animiert und anschließend gesegnet. Dabei be-dient sich der Òrì‚à der Opfergaben des Hauptaltars. Öl, Rum und Wasser werdenden Anwesenden gereicht. Die Flüssigkeiten werden entweder über den Kopf ge-schüttet oder getrunken. Ebenso werden die Gläubigen mit diesen Substanzen ein-gerieben (Video ¤bø 2).

Abbildung 69: Videosequenz ¤bø 2 (7,135,152,170,33,25)

316 Im Falle von Ògún wird dieser etwa durch das Andeuten eines Schwertschlages und ausfal-lende Schritte – Kampfposen – charakterisiert.

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Einzelne Teilnehmer werden von dem Òrì‚à zu den vier Ecken des palais ge-führt, verneigen sich und verteilen Reis, Öl und Wasser in jede Ecke. Ein Teil derManifestation des Òrì‚à beinhaltet verbale Äußerungen in Form von Ratschlägenoder Kritik, die entweder an einzelne Mitglieder der Gemeinde oder an die gesamteGruppe adressiert sind. Da diese oft für die Umstehenden schwer verständlich sind,übernimmt der mongba die Übersetzung und Interpretation (Video ¤bø 2).

Der Dank der Menschen: „Pleasure“

Über eine längere Phase hinweg tanzen die Anwesenden nun gemeinsam mit demÒrì‚à zu den Trommelklängen. Auch andere Òrì‚à können sich in einzelnen Teil-nehmern durch Trance manifestieren. Die Trommelrhythmen leiten den Tanz desÒrì‚à. Die bereits erwähnten Phasen von Segnung und Unterhaltung des Òrì‚à wie-derholen sich in unbestimmter Abfolge. Dieser Teil des Rituals kann mehrereStunden dauern (Video ¤bø 2).

Der Abschluß des ‰bø: „Dismission“

Der Òrì‚à wird nach Beendigung seiner Arbeit „entlassen“. Rum, Wasser oder Ölwerden diesem zum Abschied gereicht. Der Òrì‚à zieht sich langsam zurück. Die inTrance gefallene Person kehrt allmählich wieder in ihre eigene Bewusstseinssphärezurück. Die Trommeln klingen langsam aus – eine Ruhephase entsteht, in welcherder mongba das Geschehen resümiert und die im Ritual geweihten Nahrungsmittelund Getränke reicht (Video ¤bø 2). Dieser rituelle Ablauf kann sich die ganzeNacht hindurch bis Sonnenaufgang mehrmals wiederholen. Eventuelle Opfertierewerden erst kurz vor Sonnenaufgang den einzelnen Òrì‚à geopfert.

Abbildung 70: Videosequenz ¤bø 2 (150,157,20,16,165,187)