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Die VIDMARhallen Von der Tresorfabrik zum Kultur- und Gewerbezentrum

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Die VIDMARhallenVon der Tresorfabrik zum Kultur- und Gewerbezentrum

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Herausgegeben von der Rykart Architekten AG

anlässlich ihres Umzuges in die VIDMARhallen

Die VIDMARhallenVon der Tresorfabrik zum Kultur- und Gewerbezentrum

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Inhalt

Willkommen zu Hause! 6 Ein Grusswort von Luc Mentha

Die Firma Wiedemar 10 Wiedemar. Kassenfabrik und Tresorbau (1862–1929)

14 Das Label „Vidmar“ für zeitgemässe Büromöbel (1930–1939)

16 Moderne Betonbauten für Vidmar (1940–1949)

20 Vidmar international (1950-1959)

22 Hochkonjunktur und Niedergang (1960–1992)

Die VIDMARhallen 28 Zwischennutzungen als Standortqualität

32 Das neue Leben in den VIDMARhallen ist wie ein vielfältiges Biotop

Die Zukunft. Ein Gespräch mit Fredy Lienhard

36 Die Sanierungsstrategie

40 Ich war immer für die Erhaltung der VIDMARhallen

Die Umnutzung. Ein Gespräch mit Walter Nellen

44 Von der Stadt in der Stadt zum Kulturzentrum

48 Wie finden wir hier wieder hinaus?

Die Realisierung. Ein Gespräch mit Claude Rykart und Oliver Sidler

Impressum Herausgeberin

Rykart Architekten AG, Liebefeld

Konzept und Redaktion

Veronika Niederhauser, Claude Rykart, Olivier Sidler

Interviews

Stefan Furler

Layout

atelierwuethrich.ch, VIDMARhallen, Liebefeld

Druck

Stämpfli Publikationen AG, Bern

Mit bestem Dank an die ALID Finanz AG

für die finanzielle Unterstützung des vorliegenden Bandes

Liebefeld, 2013

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Willkommen zu Hause!

Köniz – VIDMARhallen – Rykart Architekten: Diese drei Begriffe sind untrennbar

miteinander verbunden.

Als ich vor rund zehn Jahren mein Amt als Gemeindepräsident von Köniz antrat,

präsentierte sich das Areal rund um die VIDMARhallen als Industriebrache, die

auf bessere Zeiten wartete. Auf der einen Seite eine ehemalige Kiesgrube –

rostige Autos, Material, Abfall und heruntergekommene Lagergebäude prägten

das Bild. Auf der anderen Seite die unübersichtlichen und teilweise leer stehen-

den VIDMARhallen, ein ehemaliger Industriekomplex mit unterschiedlichsten

Bautypologien. Wahrlich keine Augenweide, aber bei näherem Betrachten ein

Areal mit grossem Potenzial; ein Areal quasi im Dornröschenschlaf!

Die Umbauarbeiten der VIDMARhallen waren 2002 durch Rykart Architekten

aufgenommen worden und standen 2004 vor dem Abschluss. Damit war die

Initialzündung für die ganze Arealentwicklung erfolgt. Von da an ging es nur

noch aufwärts. Die VIDMARhallen wurden dank den gekonnt zurückhaltenden

Eingriffen der Architekten und der Weitsicht des Investors zu einem stimmigen

Gebäudekomplex für Dienstleistung und Gewerbe sowie für Kultur und Kunst-

schaffen umgestaltet. 2005 entschied das Stadttheater Bern, seine zweite Spiel-

stätte hier einzurichten. Wenig später fand der bekannte Jazzclub Bejazz neben

dem Stadttheater im VIDMAR 2 sein neues Auftrittslokal. Im Restaurant des

ehemaligen Industriekomplexes wurde der Kantinenbetrieb abgelöst durch den

jungen Gastrobetrieb „Le Beizli“. Ich habe diese Entwicklung vom ersten Tag

meines Wirkens mit grosser Freude verfolgt und auch unterstützt. Heute kann

Köniz stolz und dankbar sein auf die „Verwandlung“ der VIDMARhallen. Rykart

Architekten haben dazu mit ihrer Arbeit einen wesentlichen Beitrag geleistet.

Neben den VIDMARhallen ist auf der ehemaligen Hunzikergrube das gemeinde-

übergreifende, moderne neue Wohnquartier Weissenstein/Neumatt entstanden,

das inzwischen zu den beliebtesten Wohnadressen in Köniz und Bern gehört.

Heute präsentiert sich dieser ganze Ortsteil als attraktiver urbaner Wohnort mit

eigenständiger Identität und als weit herum bekannter kultureller Treffpunkt für

städtisch orientierte Menschen. Abrunden und abschliessen werden wir diese

Entwicklung mit dem Bau der Sporthallen Weissenstein, zwei Mehrfachturnhal-

len mit Zuschauerbereich, die sowohl dem Spitzensport als auch dem Breiten-

sport dienen.

Rykart Architekten haben nicht nur im neuen Quartier Weissenstein/Neumatt

ihre Spuren hinterlassen. Seit 1949 ist Architektur aus dem Hause Rykart in

Köniz präsent. Herausragend ist dabei sicher die 2003 bis 2011 entstandene

Überbauung Dreispitz beim Liebefeld Park, die zusammen mit dem Park wesent-

lich dazu beigetragen hat, dass Köniz ein modernes, gepflegtes neues Gesicht

erhalten hat, das 2012 vom Schweizerischen Heimatschutz mit dem Wakker-

preis ausgezeichnet wurde.

Ich freue mich, dass Rykart Architekten jetzt nach Köniz zurückgekehrt sind und

ihre Büros in den VIDMARhallen bezogen haben. Ich kann dazu mit Blick auf das

Wirken dieses für Köniz bedeutenden Architektenteams nur sagen:

Willkommen zu Hause!

Ein Grusswort von Luc Mentha

Gemeindepräsident Köniz

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Die Firma Wiedemar

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Wiedemar. Kassenfabrik und Tresorbau (1862–1929)

Das 1862 durch Julius Wiedemar gegründete Unternehmen macht sich schnell

einen Namen mit der Herstellung von Kassen und Tresoren. Bis 1904 ist das

Unternehmen an der Aarbergergasse in der Berner Altstadt angesiedelt. Die

wachsenden Platzbedürfnisse der Firma führen nach der Jahrhundertwende

zum Standortwechsel nach Bern-Liebefeld. Auf dem neuen Firmenareal wird

durch den Architekten E. Senften ein eingeschossiger Backsteinbau als erste

Fabrikhalle erstellt. Ein Blick in die neue Maschinenhalle zeugt vom hohen Grad

der Mechanisierung bei der Herstellung der Produkte. Damit ist der Grundstein

für eine rund 100-jährige, prosperierende Entwicklung eines der grösseren

Industrieareale in Bern gelegt.

Die Kassenschränke und Tresore der Firma Wiedemar finden wachsenden Ab-

satz und bewähren sich im Gebrauch. Von 1895 bis 1912 wird das Unternehmen

durch Lina Wiedemar geführt, danach geht die Unternehmensführung an ihre

Söhne Arthur und Richard Wiedemar über. Gleichzeitig wird die Produktpalette

um den Safebau für Banken erweitert.

Bereits um 1918 zeigt sich aufgrund der erfreulichen Geschäftsentwicklung die

Notwendigkeit einer Erweiterung der bestehenden Fabrikhalle. Die Aufstockung

des Bestandes und der Anbau einer Malerei werden durch das Berner Bauge-

schäft Iseli & Bütikofer projektiert und ausgeführt. Der Erweiterungsbau wird

mit einer klassizistisch gestalteten Stirnfassade versehen, welche die Solidität

der Firma Wiedemar zum Ausdruck bringt und ihr auch baulich ein Gesicht gibt.

1929 erfolgt die Erweiterung der Fabrik nach Südosten und deren Ergänzung um

eine Hauswartwohnung und Garderoben.

Bauphasen 1904–1929

Fabrik um 1918

Maschinenhalle

TresorraumErste Fabrikhalle 1904

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Das Label „Vidmar“ für zeitgemässe Büromöbel (1930–1939)

Die expandierende Firma steht unter der Leitung von Arthur und Richard Wie-

demar. Die Aufnahme der Produktion von Büromöbeln führt 1932 zur Neuaus-

richtung des Unternehmens. Der Firmenname „Wiedemar“ wird in „Vidmar“

umgestaltet, was durchaus als Programm zu verstehen ist: „Vidmar“ wird zum

Label für zeitgemässe, moderne Büromöbel. In Werbeprospekten präsentiert

das Unternehmen die neue Produktlinie selbstbewusst. Gleichzeitig wird ein

Verkaufsladen an der Neuengasse 24 in Bern eröffnet.

Diese Erweiterung des Sortiments erfordert die Errichtung weiterer Fabrikhallen.

1931 wird die neue Zuschneidehalle errichtet und 1938 folgt der Hochbau Nord

für Montage, Lager und Malerei. Dieser Bau wird in einer Stahlbeton-Skelett-

struktur mit Sichtbetonfassade erstellt. Bemerkenswert ist dabei der Umstand,

dass die neuen Fabrikbauten formal und technisch dem Geist der Moderne

verpflichtet sind und damit die fortschrittliche Firmenstrategie auch baulich zum

Ausdruck bringen.

Bauphasen 1931–1938

Hochbau Nord

Zeichnerbüro

Büromöbel Kollektion „Vidmar“

Maschinenhalle

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Moderne Betonbauten für Vidmar (1940–1949)

Das florierende Unternehmen erweitert in den 1940er-Jahren sein Angebot um

Betriebseinrichtungen und Werkstattmöbel. Ab 1942 wirkt Hans A. Wiedemar

als Patron. Weitere Neubauten folgen – der Architekt Hans F. Sütterle prägt bis

in die 1960er-Jahre mit seinen modernen Sichtbetonbauten von hoher architek-

tonischer Qualität das Erscheinungsbild des Unternehmens.

1946 wird die Shedhalle Süd für Montage und Spedition erstellt. Diese Halle

bietet mit ihrer Grosszügigkeit und der erstklassigen Belichtungssituation ein

optimales Umfeld für die Montage der anspruchsvollen Produkte der Firma

Vidmar. Ein Jahr später wird der Hochbau Süd für den Safebau und die erweiterte

Produktion von Büromöbeln erstellt.

Bauphasen 1940–1949

Vogelschau des Vidmar-Areals

Die Shedhalle Süd

Büromöblierungen, Werkzeug-schränke. Tresoranlagen

Schalung der Shedhalle

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Vidmar international (1950–1959)

Die bauliche Entwicklung des Areals trägt auch in den 1950er-Jahren die Hand-

schrift des Architekten Hans F. Sütterle: 1951 wird die neue Zuschneidehalle zur

Bearbeitung von Stabeisen und Profilen erstellt. Zwei Jahre später erfolgt die

Aufstockung des Bürobaus. Zeitgleich wird als markantes Volumen der Hochbau

Süd-Ost für die Produktion von Betriebseinrichtungen errichtet. 1958 folgt die

Shedhalle Nord für den Gehäusebau.

Die Produktpalette wird laufend ausgebaut und verfeinert. Die Firma expandiert

über die Landesgrenzen hinaus. Mittlerweile finden ihre Produkte weltweiten

Absatz: Lizenznehmer in den USA und in Österreich stellen unter dem Namen

„Vidmar“ Möbel und Schubladenschränke her. In aufwendigen Werbeprospekten

werden die Produkte professionell inszeniert.

Bauphasen 1950–1959

Büromöbel-Kollektion, Werbeprospekt

Tresorbau, Werbeprospekt

Hochbau Süd-Ost

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Hochkonjunktur und Niedergang (1960–1992)

In der Hochkonjunktur arbeiten bis zu 420 Angestellte auf dem Vidmar-Areal.

Die Produktion läuft im 3-Schicht-Betrieb rund um die Uhr. Im Rahmen von

Erweiterungen und Neubauten schafft sich die Firma modernste Betriebsein-

richtungen. Als Firmenarchitekt zeichnet weiterhin Hans F. Sütterle.

1960 wird das Wohlfahrtsgebäude mit Garderoben und einer Kantine für die

Direktion und das Personal erstellt. 1963–1965 folgen Erweiterungen der Pro-

duktionsanlagen: die Erweiterung des Hochbaus Süd-Ost (Produktion Betriebs-

einrichtungen), der Neubau der Halle für die Malerei- und Spritzanlage und die

Errichtung der Kassenbauhalle zur Montage von Panzertüren und Tresoren.

Mitte der 1960er-Jahre ist der Höhepunkt der Produktion und damit die grösste

Ausdehnung des Fabrikareals erreicht.

Ab 1978 führen Hans und Daniel Wiedemar die Firma. Strukturelle Veränderun-

gen im Wirtschaftssektor und der konjunkturelle Einbruch Mitte der 1970er-

Jahre zollen ihren Tribut. Der beginnende Rückgang des Umsatzes kann nicht

aufgehalten werden und führt 1989 zum Verkauf der Firma an die Lista AG Erlen,

welche weiterhin Büromöbel produziert. Aufgrund der Marktveränderungen

muss 1992 die Produktion an diesem Standort vollständig eingestellt werden.

Das Vidmar-Areal wird in der Folge an verschiedene Gewerbetreibende und

Künstler vermietet und entwickelt sich so bis zur Jahrtausendwende zu einem

vielfältigen und kreativen Mikrokosmos.

Bauphasen 1960–1966

Rollbandanlage in Japan

Ausstattung SchalterhalleMessestand in Chicago

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Die VIDMARhallen

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Zwischennutzungen als Standortqualität

Nach der Einstellung der Produktion vermietet die neue Besitzerin Lista ab 1992

die frei gewordenen Räumlichkeiten an verschiedenste Kreise von Interessenten,

zuerst in provisorischer Absicht, später zunehmend rentabel. Im potenziellen

Abbruchobjekt nistet sich so eine vielfältige Nutzerschaft ein, die die Räume mit

individuellen baulichen Eingriffen an ihre Bedürfnisse anpasst. Im Jahr 2000 sind

rund 140 Mieter auf dem Areal anzutreffen, neben verschiedenen Handwerkern

etwa auch ein Paketservice, ein Schulmittelversand, diverse Künstlerateliers,

Läden für Designmöbel oder Lebensmittel, eine Tanzwerkstatt und eine Theater-

projektbühne ...

Bevor der Studienauftrag zur baulichen Entwicklung des Areals erteilt wird,

stehen seitens der Bauherrschaft Überlegungen zum Totalabbruch und zum Bau

von Büroneubauten im Vordergrund. Angesichts der Qualität des Baubestandes

halten die Architekten nach Alternativen Ausschau. Doch es ist nicht nur der

Komplex hervorragender Sichtbetonbauten, welcher zum Projekt führt: Die stark

durchmischte Nutzerschaft hat längst eine spontane und attraktive Atmosphäre

geschaffen. Die beabsichtigte Zwischennutzung hat sich damit klammheimlich

zu einer Standortqualität gemausert!

Der entscheidende Schritt ist jedoch der Entschluss der Bauherrschaft, sich

auf den ungewöhnlichen Vorschlag der etappenweisen Sanierung einzulassen.

Aufwendige Vorabklärungen erbringen den Nachweis, dass das ungewöhnli-

che Vorhaben gelingen kann. Zur Umsetzung wird ein langer Zeithorizont, eine

prozesshafte, rollende Planung, die Unterteilung der Massnahmen in zahlreiche

kleine Etappen sowie zusätzlicher Aufwand für die Immobilienbewirtschaftung

während der Bauarbeiten in Kauf genommen.

Nutzungsstruktur um 2000 Zustand 2000

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Das neue Leben in den VIDMARhallen ist wie ein vielfältiges Biotop

Wie kommt es, dass Sie als Ostschweizer Industrieller in Köniz im

Immobiliensektor tätig sind?

Die Vidmar AG war früher einmal die Nummer 1 auf dem Gebiet, auf dem wir

mit der Lista AG ebenfalls tätig waren, also in der Herstellung und dem Vertrieb

von Büro-, Betriebs- und Lagereinrichtung. Im Zuge unserer Expansion übernah-

men wir 1989 die Vidmar AG, um sie unter dem gleichen Namen weiterzuführen.

Lediglich den „Banken-Sektor“ – die Vidmar AG stellte ja auch Tresoren her –

wollten wir abstossen, weil wir von diesem Geschäft nichts verstanden. Es ging

uns um Synergien in angestammten Geschäftsbereichen und um die Weiterfüh-

rung der Produktion in den Vidmar-Gebäuden.

Doch diese Firma gibt es schon länger nicht mehr …

Bei der Übernahme war schnelles Handeln nötig und wir haben für diese Eile ei-

nen hohen Preis bezahlt. Wir sahen erst etwas später, dass die Firma längst ein

Patient auf der Intensivstation war, sie war marode und nicht überlebensfähig.

Dazu kam die Branchenrezession zu Beginn der 1990er-Jahre: Es gab Überkapa-

zitäten, die auch der Lista AG zu schaffen machten, weshalb wir Herstellung und

Vertrieb von Vidmar-Produkten einstellen mussten. Das war für mich persönlich

schlimm, denn ich hatte mich bei der Übernahme vor die Mitarbeiter der Vidmar AG

gestellt und ihnen eine positive Zukunft in Aussicht gestellt. Arbeitsplätze zu

schaffen und zu sichern, betrachte ich von je her als eine der wichtigsten Aufga-

ben eines Unternehmers. Das kann aber nur gelingen, wenn ein Unternehmen

auch einen Profit erwirtschaftet, damit Löhne bezahlt und Investitionen getätigt

werden können. Daran war mit der Vidmar AG einfach nicht mehr zu denken.

Immerhin konnten wir die Aktivitäten geordnet redimensionieren und auslaufen

lassen, was für die damals Mitarbeitenden vielleicht etwas weniger schlimm war,

als von einem Tag auf den anderen auf der Strasse zu stehen.

Warum haben Sie dann die Immobilie in Köniz nicht verkauft?

Der Verkauf der Liegenschaft war tatsächlich eine Option, die wir geprüft haben.

Allerdings hatten wir begonnen, die im Gleichschritt mit der Verkleinerung der

Vidmar-Produktion frei werdenden Flächen an Kleingewerbler, Dienstleister und

Künstler zu vermieten. Daraus ergab sich eine viel sinnvollere Option, nämlich

die VIDMARhallen zu behalten und definitiv in der eingeschlagenen Richtung

zu nutzen, um in diesen Gebäuden wieder, wie früher, Arbeitsplätze zu haben.

Doch ich wusste natürlich, dass Umbau und Sanierung einer Liegenschaft dieser

Grössenordnung ein Riesenprojekt würde.

Weshalb haben Sie sich trotzdem für die Sanierung entschieden?

Das war im Jahr 2000 und es waren primär zwei Faktoren ausschlaggebend:

Einerseits gefiel mir der Mix an Mietern, die bereits in den VIDMARhallen ansäs-

sig geworden waren, sehr gut. Andererseits hatte ich zu diesem Zeitpunkt in der

Person von Urs Brüschweiler einen internen professionellen Immobilienmanager,

der sich um unsere Liegenschaften kümmerte. Ohne ihn hätte ich den Umbau

nicht gemacht, mit ihm konnte ich es wagen. Aber wir wussten natürlich um

das nicht unbeträchtliche Risiko, das wir mit diesem Entscheid eingingen. Ein

weiterer Faktor war natürlich auch Lage und Potenzial der VIDMARhallen am

Stadtrand von Bern: gut vom öffentlichen wie vom privaten Verkehr erschlossen

und die Möglichkeit, die Liegenschaft bei positiver Nachfrage durch Aufstock-

ungen sogar noch auszubauen.

Wie verlief die Umsetzung Ihrer Pläne mit den VIDMARhallen?

Zunächst konnten wir auf die Flexibilität der bereits bestehenden Mieterschaft

zählen, die bereit war, für den Umbau in den Gebäuden umzuziehen. Wir hatten

im Totalunternehmer Walter Nellen einen versierten Spezialisten zur Seite, der

auch sehr erfolgreich vermietet hat, eine Aufgabe, die von der H. P. Burkhalter

+ Partner AG als unserer Verwalterin gleichermassen erfolgreich weitergeführt

wurde und wird. Dann hatten wir das Glück, in den Herren Claude Rykart und

Oliver Sidler Architekten zu finden, die es vorzüglich verstanden, sehr sorgfältig

mit der bestehenden alten Bausubstanz umzugehen und notwendiges Moder-

nes mit erhaltenswertem Alten harmonisch zu verbinden. Schliesslich hatten

wir Urs Brüschweiler, der das ganze Projekt überwacht und gesteuert hat. Da

war ein sehr gutes Team am Werk, das diese Herausforderung hervorragend

gemeistert hat.

Womit aus dem Projekt VIDMARhallen eine Erfolgsgeschichte wurde …

Es hat sich zumindest gezeigt, dass das Konzept mit vielen verschiedenen klei-

nen Unternehmen, Dienstleistern und Künstlern als Mieter umgesetzt werden

konnte. Heute sind die Hallen vermietet, auch das zusätzliche Volumen, das

durch die aktuelle, letzte Aufstocketappe geschaffen wird, ist bereits belegt.

Es freut mich besonders, dass diese Räume von der Rykart Architekten AG

bezogen werden, der offenbar gefällt, was sie gebaut hat! So gesehen darf man

von einem Erfolg sprechen. Aber bei allen Projekten braucht es immer auch ein

bisschen Glück. Das hatten wir, als sich das Stadttheater Bern entschloss, das

Konzerttheater Bern in den VIDMARhallen zu etablieren, auch dass BeJazz bei

uns in Köniz ist. So konnte auf dem künstlerischen Bereich ein starker Akzent

mit grosser Anziehungskraft gesetzt werden. Mit „Le Beizli“ entstand mitten im

Gebäude und in ursprünglichem Gemäuer ein Restaurant, dessen besonderes

Ambiente wie auch dessen Angebot von Mietern wie Konzert- und Veranstal-

tungsbesuchern sehr geschätzt wird.

Und Ihr persönlicher Blick zurück?

Ich bin froh, dass wir damals nicht verkauft, sondern das Risiko der Umnutzung

eingegangen sind. Heute pulsiert vielfältiges Leben in den VIDMARhallen, die

eigentlich eine kleine, bunt gemixte Welt für sich sind, eine Art Biotop. Beson-

ders freut es mich aber, dass es in diesen Gebäuden wieder Arbeitsplätze gibt,

es dürften heute etwa so viele sein, wie es früher hier gab. Wenn die fachge-

recht renovierten und ausgebauten VIDMARhallen und das darin umgesetzte

Nutzungskonzept mit dazu beigetragen haben, dass Köniz mit dem Wakkerpreis

ausgezeichnet wurde, ist das natürlich eine besondere Anerkennung für unser

Projekt.

Die Zukunft.

Ein Gespräch mit Fredy Lienhard

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Die Sanierungsstrategie

Die Problematik des Areals zeigt sich zu Beginn der Planung in einem heteroge-

nen Neben- und Durcheinander von diversen Nutzungen und einer unübersicht-

lichen Erschliessungssituation. Die Gebäudehüllen weisen einen gravierenden

Unterhaltsüberhang auf und die Haustechnik ist weitgehend am Ende der

Lebensdauer angelangt. Die Brandschutzsituation ist bedenklich. Die industrielle

Gebäudestruktur hat sich jedoch als flexibel und resistent genug erwiesen, um

die Um- und Einbauten der Mieternutzung ohne grössere Beeinträchtigungen zu

überstehen.

Die architektonischen Eingriffe konzentrieren sich damit auf die Gebäudehülle

und auf die „öffentlichen“, für die Identität des Areals wesentlichen Elemente,

namentlich die Erschliessungsbereiche. Hinzu kommen die bauliche Sanierung

sowie die Einrichtung einer zeitgemässen technischen Infrastruktur. Das Ensem-

ble wird mit Neubauteilen gezielt ergänzt.

Die baulichen Massnahmen umfassen im Einzelnen folgende Schwerpunkte:

Bei der Sanierung der Gebäudehülle wird der Sichtbeton wiederhergestellt,

die Wärmedämmung wird dort gezielt verbessert, wo dies mit vertretbarem

Aufwand und ohne Eingriffe in die Substanz möglich ist. Die breiten Korridore

und Zufahrten, welche das Gebäude innen erschliessen, werden von Einbauten

befreit und, wo nötig, ergänzt. In Analogie zu städtische Gassen und Plätzen

erhalten sie eigene Strassennamen. Die Vertikalerschliessungen der Warenlifte

und Treppenhäuser heben sich als rote Körper aus dem Gesamtbild hervor. Die

Übergänge zu den Erschliessungskorridoren werden als Freiräume mit platzarti-

gem Charakter gestaltet und mit Sanitärcontainern ausgerüstet. Die Haustechnik

wird neu erstellt.

Fünf Ergänzungsbauten schöpfen das Arealpotenzial aus. Die Erweiterung des

Eingangsgebäudes unterstützt den neuen Hauptzugang und wird zum wichtigen

städtebaulichen Akzent am Kopf der Anlage. Mit der Umgestaltung des Unter-

geschosses werden neue Parkplätze für das Areal geschaffen. Die umgestaltete

Werkgasse beherbergt gleichzeitig Mieter- und Besucherparkplätze und ermög-

licht das Anliefern von Waren und Gütern.

Alle Neubauten und Einbauten werden mit dem gleichen Katalog von ausgewähl-

ten Baumaterialien realisiert. Es sind einfache Gebrauchsmaterialien mit wenig

Buntfarbenanteil, welche die Farben und Patina der bestehenden Bauteile zur

Geltung lassen kommen. Spuren der industriellen Vergangenheit werden als

Identifikationsobjekte belassen. Die notwendigen Eingriffe erfolgen mit gebüh-

render Zurückhaltung, womit der Kontrast zwischen Alt und Neu oft erst auf den

zweiten Blick erkennbar ist.

Situation

Interventionen von Rykart Architekten 2002–2013

Nordost- /Südwest-Fassade

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Ich war immer für die Erhaltung der VIDMARhallen

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie heute vor den VIDMARhallen

stehen?

Dass es gut gekommen ist mit dieser Liegenschaft. Dass ein nicht gerade alltäg-

liches Konzept erfolgreich und gut umgesetzt wurde. Dabei war längst nicht von

Anfang an klar, wie der Besitzer dieses Industrieareal nutzen wollte.

Gab es konkrete Pläne?

In der Krise der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts war man nicht gerade

optimistisch, das galt auch für den Immobilienbereich und seine damals eher

düsteren Zukunftsaussichten, sodass der Besitzer auch erwog, das Vidmar-

Gelände zu verkaufen.

Welche Haltung nahmen Sie damals ein?

Meine Firma war ab 1991 mit der Vermietung und der Verwaltung der VIDMAR-

hallen beauftragt. Während über zehn Jahren habe ich mich für die Erhaltung und

Neu nutzung der Liegenschaft eingesetzt. Ich war sehr froh, als sich der Besitzer ge-

gen den Verkauf der Liegenschaft und für die Sanierung und den Ausbau entschied.

Wie kam es zu diesem Entscheid?

Daran erinnere ich mich, wie wenn es gestern gewesen wäre! Der Besitzer,

Fredy Lienhard, kam im Jahr 2000 nach Köniz, um sich das Vidmar-Gelände ge-

nauer anzusehen. Vom Dach aus betrachtete er die Umgebung, die damals noch

nicht überbaut, aber bereits Bauland war. Während dieser Viertelstunde muss

der Entscheid gefallen sein, denn beim anschliessenden Mittagessen sagte mir

Fredy Lienhard: „Herr Nellen, ich verkaufe nicht. Ich glaube an das Potenzial

dieser Liegenschaft.“

War damit die Zukunft der VIDMARhallen klar?

Das war erst einmal der Grundsatzentscheid: Im Jahr 2000 war klar, dass das

Vidmar-Areal im Besitz von Fredy Lienhard bleiben würde und dass es durch Ver-

mietung wirtschaftlich genutzt werden sollte. Nun stellte sich die Frage nach der

konkreten Umsetzung: Wie sollten die VIDMARhallen künftig genutzt werden?

Wir haben drei Architekturbüros gebeten, uns ihre Vorstellungen zu präsentieren

und ich war froh, dass Rykart Architekten den Zuschlag bekamen. Ihr Konzept

sah die Sanierung und eine optimierte Nutzung der Liegenschaft vor. Daraus

wurde ein komplexes Projekt, denn die VIDMARhallen waren ja vermietet, zu

diesem Zeitpunkt hatten wir etwa 140 Mieter in den Gebäuden, ein sehr bunter

Mix war das, um nicht zu sagen „Chrut und Rüebli“!

Wie wurde die Sanierung aufgegleist?

Wir wollten die Gebäude erhalten und ausbauen und gleichzeitig die Mieter

behalten. Obwohl dies ein sehr sportliches Ziel war, ist es uns gelungen. Es hat

funktioniert, weil sich die meisten Mieter bereit erklärten, während der Umbau-

und Sanierungsarbeiten ein Mal innerhalb des Gebäudes umzuziehen. Meine

Firma IBP Integrale Bauherren- & Projektbetreuung AG bekam den Auftrag als

Totalunternehmerin. Allerdings mit offenem Kostendach, denn bei einem solchen

Projekt taucht immer wieder Unvorhergesehenes auf, das unmöglich vorauszu-

sehen ist, jedoch stets Zusatzkosten verursacht.

Wie sah das Konzept für die VIDMARhallen konkret aus?

Einerseits sollte die bestehende Bausubstanz saniert werden, andererseits ging

es darum, das Potenzial der Liegenschaft optimal zu nutzen. Die Gebäude, wie

sie im Jahr 2000 dastanden, konnten nämlich durch Aufstockungen noch subs-

tanziell vergrössert werden. Bei der Vermietung wollten wir den bereits beste-

henden Mix aus Gewerbe, Dienstleistung und Künstler beibehalten.

Gab es Rückschläge bei der Umsetzung?

Ja, natürlich, das geht bei einem Projekt dieser Art nicht anders. Zum Beispiel

beim Restaurant, das unserer Meinung nach in dieses Gebäude gehörte. Wir

waren überzeugt, einen idealen Pächter gefunden zu haben, der bereits einen

sehr erfolgreichen Betrieb führte. Später stellte sich heraus, dass es der Pächter

nicht ganz schaffte, sich punkto Angebot und Öffnungszeiten an die Besonder-

heit der VIDMARhallen anzupassen. Dass die Mieterschaft für einen Restau-

rateur ein tolles Potenzial darstellt, bestätigte sich bei der Neuvermietung des

Restaurants aber eindrücklich! Eine ganz ähnliche Situation hatten wir übrigens

auch mit einem Fitness-Center.

Wie beurteilen Sie das Projekt VIDMARhallen?

Es war in jeder Beziehung spannend! Das Projektmanagement war fordernd,

denn es musste sich mit den verschiedensten Bereichen befassen, wie es nicht

anders sein kann, wenn eine bestehende ältere Bausubstanz in eine Infrastruktur

umgewandelt werden soll, die modernen Mieteransprüchen genügt. Da kommt

jeden Tag ein neues Problem auf einen zu, das sofort gelöst werden muss.

Dass es gelungen ist, hat mit verschiedenen Faktoren zu tun. Da waren meine

Mitarbeiter, die sich mit Ehrgeiz und Zuversicht an die Arbeit gemacht haben. Da

waren die Architekten, die – ebenso wie ich selber – an den Wert der vorhande-

nen Bausubstanz glaubten und sie sehr schön erhalten haben. Und nicht zu letzt

war da eine Bauherrschaft, die sich voll und ganz hinter unsere Arbeit gestellt hat

und stets bereit war, Problemlösungen rasch und unkompliziert zu unterstützen.

Schliesslich haben Sie Ihr Vidmar-Mandat weitergegeben. Warum?

Vermietung und Verwaltung ist nicht mein Kerngeschäft. Nach 13 Jahren Tätig-

keit für das Projekt ergab sich 2004 eine ideale Möglichkeit zur Weitergabe des

Mandats. In Hanspeter Burkhalter fand ich einen exzellenten Nachfolger, den ich

aus einer gemeinsamen Zeit als Angestellte im gleichen Betrieb bestens kannte.

Er hat meine Mitarbeiter, die mit den VIDMARhallen befasst waren, übernom-

men. Dass seine Firma das spannende Vidmar-Konzept kompetent weiterführt,

beweist auch die Tatsache, dass er mittlerweile mit seinen Mitarbeiterinnen und

Mitarbeitern in den VIDMARhallen in Köniz ansässig ist. Die weiteren Ausbau-

und Entwicklungsschritte der Liegenschaft wurden von da weg vom internen

Immobilienmanagement des Besitzers koordiniert.

Die Umnutzung.

Ein Gespräch mit Walter Nellen

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Von der Stadt in der Stadt zum Kulturzentrum

Was andernorts mit der Umnutzung von ehemaligen Industriebauten risiko-, aber

nicht immer erfolgreich angestrebt wird, ist auf dem Vidmar-Areal schon vor der

Sanierung vorhanden: eine bunt zusammengewürfelte Nutzerschaft aus allen

Sektoren – von der Produktion über Dienstleistung, Kunst und Kultur bis hin zur

arealeigenen Gastronomie. Die Qualitäten dieser „Stadt in der Stadt“ nicht zu

zerstören, ist die Maxime. Den MieterInnen wird angeboten, bereits sanierte

Räume auf dem Areal zu beziehen – ein Angebot, von dem lebhaft Gebrauch

gemacht wird. Alle baulichen Massnahmen werden in enger Zusammenarbeit

mit der Hausverwaltung umgesetzt. Während Bauherrschaft und Architekten

die Verantwortung für die Gebäudestruktur und die Gebäudehülle übernehmen,

können die NutzerInnen den Endausbau ihrer Räumlichkeiten nach ihren eigenen

Bedürfnissen gestalten.

Bereits beim Abschluss der Arbeiten kann ein Grossteil der Räume wieder der

Nutzung zugeführt werden und mittlerweile bestehen Wartelisten für Mietflä-

chen. Die Zukunft des hervorragenden baulichen Ensembles kann ohne Quer-

finanzierung auf wirtschaftlich und gestalterisch tragfähigem Boden gesichert

werden.

Im Herbst 2005 melden die Medien, dass das Stadttheater Bern plane, seine

zweite Spielstätte in die VIDMARhallen zu verlegen. Mit dem Einbau eines

mehrseitig bespielbaren, 300 Zuschauer fassenden Theatersaales mit mobilen

Sitzrampen und Bühnen, einer entsprechenden Infrastruktur, einem Backstage-,

Lager- und Sanitär-Bereich, einem Ballettsaal sowie einer kleinen Studiobühne,

welche sowohl für Theateraufführungen wie auch als Konzertlokal für BeJazz

genutzt werden kann, avancieren die VIDMARhallen endgültig zu einem der

lebendigsten Kulturtreffpunkte der Region.

Erdgeschoss 1. Obergeschoss

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Wie finden wir hier wieder hinaus?

Welches war Ihr Eindruck, als sie die VIDMARhallen zum ersten Mal

besucht haben?

Oliver Sidler: Meine einzige Frage war: Wie finden wir hier wieder hinaus? Es

war wie auf einem Flohmarkt – viele Teilflächen waren an ein sehr buntes Völk-

lein unterschiedlicher Couleur vermietet, es war ein faszinierendes Chaos!

Claude Rykart: Mir war rasch klar, dass es Strukturen brauchen würde. Und die

haben wir geschaffen: Gassen und Plätze tragen Namen, die Mieterinnen und

Mieter der verschiedensten Branchen verfügen über ihre eigene Infrastruktur

und als Treffpunkt für alle bietet das Vidmar-Restaurant „Le Beizli“ eine gute

Atmosphäre.

Wie sind Sie an den Studienauftrag um die Neunutzung der VIDMARhallen

herangegangen?

CR: Am Anfang jeder Projektarbeit steht bei uns die Analyse. Wir wollen begrei-

fen, wie sich eine Situation entwickelt hat und wie wir die Geschichte weiter-

schreiben können. Bei den VIDMARhallen haben wir rasch herausgefunden,

dass der Ort viele Qualitäten, eine gute Struktur und einen ganz eigenen Charak-

ter hat, der nicht zuletzt durch die bestehende Mieterschaft geprägt wurde.

OS: Wir wussten, dass Sanierung und Ausbau der VIDMARhallen eigentlich

eine Strukturbereinigung werden würde. Unsere Aufgabe war es, die bestehen-

den Gebäude mit einer auf die neue Nutzung zugeschnittenen Infrastruktur zu

versehen, dabei wollten wir den Charakter dieser Fabrikliegenschaft insgesamt

erhalten.

Wie sind Sie an die Aufgabe herangegangen?

OS: Wir hatten das Glück, im Areal ein Archiv vorzufinden, in welchem jede

Bauetappe nahezu lückenlos dokumentiert war. Wir konnten studieren, wie alles

entstanden ist …

CR: … und sozusagen geordnet zurückbauen, wo es nötig war, um zur effekti-

ven Grundsubstanz zu kommen, auf der wir neu aufbauen konnten.

Welches waren Ihre Ziele? CR: Die ergaben sich aus den Vorgaben der Bau-

herrschaft: In den VIDMAR hallen sollten bezahlbare Mietobjekte für einen

breiten Mieterkreis entstehen. Unsere Aufgabe war es, den Rahmen dafür

bereitzustellen. Dienstleister, Gewerbetreibende und Künstler sollten gleicher-

massen eine Heimat finden. Weiter ging es darum, das Verdichtungspotenzial

der Liegenschaft auszuloten.

OS: Wir haben die VIDMARhallen in unterschiedliche Nutzungsbereiche aufge-

teilt und auf den Ausbaustandard des „Edelrohbaus“ gebracht. Das heisst, es

entstanden Mietobjekte für Gewerbe-, Atelier- und Büronutzung sowie Lagerbe-

reiche, wobei jede Einheit mit Strom, Wasser und weiteren Medien erschlossen

wurde. Den individuellen Endausbau wollten wir den Mietern überlassen, das

hat zu den erschwinglichen Mietpreisen beigetragen.

Die Realisierung.

Ein Gespräch mit Claude Rykart

und Oliver Sidler

Wie haben Sie sich organisiert?

CR: Wir haben mit Hanspeter Marmet einen hervorragenden Projektleiter und sensiblen

Architekten in den eigenen Reihen. Er hat die Zielsetzungen im Einzelnen definiert und

zusammen mit einem internen Team von bis zu fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern

sowie einem Stab aus Fachplanern das anspruchsvolle Projekt erfolgreich umgesetzt.

OS: Dabei sollten Sanierung und Ausbau so realisiert werden, dass die bestehende

Substanz wenn immer möglich nicht verändert, sondern als tragender Teil in die

Pläne integriert werden konnte.

Was bedeutet das konkret?

OS: Ganz einfach: Wir wollten nur dort eingreifen, wo im Laufe der Zeit etwas

Störendes dazukam, im Weg war, oder die Sicherheit beeinträchtigte.

CR: Das bedeutete zum Beispiel, die Fenster in den Künstlerateliers so zu erhalten,

wie sie von der Firma Vidmar geschaffen worden waren. Also die ursprünglichen filig-

ranen Stahlprofile mit einer Isolierverglasung zu versehen und so ein charakterprägen-

des Element zu erhalten. Oder Träger, Böden oder ursprüngliche Fragmente wie etwa

Dächer in Zwischengängen als Zeitzeugen in ihrer ursprünglichen Form zu erhalten.

Zu einem Objekt dieser Grössenordnung gehören Parkplätze für die Mieter …

CR: … da hatten wir das Glück, dass grosse Teile der Anlage unterkellert und als

Lager genutzt waren. Durch die ehemalige Direktionsgarage liess sich diese Etage

erschliessen und als Parking nutzen, sodass die VIDMARhallen heute über genü-

gend Parkplätze für die Mieter, aber auch für die abendlichen Besucher des Stadt-

theaters Bern oder des Jazzclubs verfügt.

Warum hat Ihr Konzept für die VIDMARhallen dermassen eingeschlagen?

OS: Es gibt in der Region schlicht nichts Vergleichbares. Die VIDMARhallen be-

finden sich an bester Lage an der Stadtgrenze von Bern und sind auch mit dem

öffentlichen Verkehrsmittel gut erreichbar.

CR: Natürlich hat das auch mit dem Entscheid des Stadttheaters Bern zu tun, die

zweite Spielstätte in den VIDMARhallen zu etablieren. So haben wir dort nun einen

äusserst attraktiven Mietermix, zu dem eben auch die Kultur zählt.

Sind die VIDMARhallen nun fertig gebaut?

CR: Wir haben jetzt 13 Jahre an diesem Projekt gearbeitet. Es handelt sich um einen Pro-

zess, der eigentlich nie beendet ist. Gerade jetzt planen wir eine weitere Aufstockung, und

es wird immer wieder etwas zu verändern sein, etwa wenn neue Mieter neue Bedürfnis-

se haben. Die VIDMARhallen sind und bleiben natürlich auch eine ausgezeichnete Refe-

renz für unser Büro – wir haben gezeigt, wie wir mit alter Substanz umgehen wollen und

können. Ohne zu übertreiben darf man sagen, dass die Umnutzung der VIDMARhallen zu

einer Erfolgsgeschichte geworden ist. Wir sind stolz darauf, dazu beigetragen zu haben.

OS: Nach den verschiedenen grossen Renovierungs- und Ausbauetappen ist das Erweite-

rungspotenzial dieses Areals natürlich irgendwann ausgeschöpft. Wir blicken gerne zurück

auf eine jederzeit interessante und bereichernde Zusammenarbeit mit der Totalunterneh-

merin, vielen Unternehmern, sowie einer begeisterungsfähigen Bauherrschaft, die letztlich

diesen gelungenen Umbau einer ehemaligen Fabrikliegenschaft in eine eigene vielfältige

und pulsierende kleine Stadt mit faszinierendem Innenleben ermöglicht hat.

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Literaturverzeichnis 100 Jahre VIDMAR. Jubiläumsschrift zum 100jährigen Bestehen

unseres Unternehmens. Bern, 1962

Gabler, Christiane: Sanierung und Umnutzung der VIDMARhallen.

Nutzungsmix statt Monofunktion. In: Bauwelt, 23.2005

Schläppi, Christoph: Vom Sorgenkind zum Kulturtreffpunkt.

Vidmar-Areal Köniz: wegweisend zwischengenutzt.

In: Forum Heimatschutz 2/06

Schnell, Dieter: Beispielhaftes Bauen, Umnutzungen.

In: Akzent Baukultur: Köniz. Hrsg: Berner Heimatschutz, 2012

Bildnachweise Archiv Firma Vidmar (Fotografien in Schwarz-Weiss)

Gerhard Hagen, Bamberg (Architekturfotografien)

Alexander Gempeler, Bern (Fotografien der Ateliers)

Fred Leiser (Fotografie Büro Rykart)

Rykart Architekten AG (Pläne)

Dank Wir bedanken uns herzlich bei allen, die uns bei der Realisierung dieses Bandes

unterstützt haben, im Speziellen bei Fredy Lienhard, Urs Brüschweiler und allen

Vidmar-MieterInnen, welche uns ihre Ateliers geöffnet haben!

Rykart Architekten AG, Liebefeld, im Herbst 2013

Rykart Architekten AG

Könizstrasse 161

3097 Liebefeld

www.rykartarchitekten.ch

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© 2013 Rykart Architekten AG, Liebefeld

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