Die Zeit: Gedränge um den Master

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  • 8/8/2019 Die Zeit: Gedrnge um den Master

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    11. November 2010 DIE ZEIT N o 46 83CHANCEN HOCHSCHULE

    NACKTE ZAHLEN

    11... Prozent der Studenten in Deutschlandhaben einen Migrationshintergrund.Ein Drittel von ihnen kommtaus einkommensschwachen Familien

    Ob wir euch verachten? Na ja, jeder kennt jadie blden Sprche der lteren Generationen,dass frher alles besser war. Und das notwendigeGegenstck zu dieser Larmoyanz ist eben dieVerachtung der jungen Generation gegenberder lteren, eine Verachtung aus der berzeu-gung heraus, dass frher gar nichts besser war,dass frhere Generationen ausschlielich aus ver-bohrten Spieern mit verstaubten Ansichten undbescheuerten Frisuren bestanden. Nur aus dieserVerachtung kann sozialer Fortschritt entstehen.Ich glaube aber, dass meine Generation die Vor-gngergeneration kaum verachtet. Weil wir keineVorbilder und Ideen haben. Weil wir das unguteGefhl haben, selbst nicht besser zu sein. Weilwir viel um die Ohren haben: Arbeitsplatzsorgen,verschulte Studiengnge, Facebook. Vielleichtwar ja frher wirklich alles besser. Es ist zumHeulen.

    Verachtet eure Generationunsere Generationeigentlich genauso,wie unsere Generationdie vorangegangenenGenerationen verachtet hat?

    STUDENTEN ERKLREN IHRE WELT

    ... fragt:

    Rocko Schamoni,Entertainer

    Philipp Demling, 25. Erstudiert in BambergSlawistik mit Politikwissen-schaft und Kommunikations-wissenschaft/Journalistik alsNebenfchern

    ... antwortet

    Gedrnge um den MasterGibt es tatschlich zu wenig Masterstudienpltze? Eine Spurensuche im Zulassungsdschungel VON JAN-MARTIN WIARDA

    D

    ie Emprung der Abgelehn-ten war gro: Im Fach BWLverweigerte die UniversittKln ihren Bachelorabsol-venten reihenweise den Zu-

    gang zum Masterstudium und nahm stattdessen Ab-

    gnger anderer Hochschulen. Sie sei angesichts desAnsturms streng nach den Examensnoten vor-gegangen, rechtfertigte sich die Uni: Bei einemSchnitt von 1,9 sei Schluss egal, von welcherHochschule man komme. Die Geschichte von denheimatvertriebenen Klnern machte ihre Rundedurch die Republik. Pltzlich fhlten sich jenebesttigt, die seit Jahren vor einer unfairenBeschrnkung des Masterzugangs warnen:Andreas Keller, Vorstandsmitglied der

    Bildungsgewerkschaft GEW, warf denLndern vor, sie htten die bergangs-quoten grundstzlich zu niedrig angesetzt.Der Studentenverband Linke.SDS rief angesichtsvon Sparpolitik und dem Kampf um ein Master-tudium zur Fortsetzung des Bildungsstreiks auf,

    und Anja Gadow vom Freien Zusammenschlussder StudentInnenschaften kritisierte: Das Pro-blem zieht sich durchs ganze Land.

    Tut es das tatschlich? Gerade hat eine Studie desKasseler Forschungsinstituts Incher gezeigt, dass bis-ang 75 Prozent der Bachelorabsolventen einen

    Master angeschlossen haben. Und auch dieses Win-ersemester sind Schreckensmeldungen, abgesehenvon einigen prominenten Beispielen wie den BWL-Studenten in Kln oder den Lehramtsstudenten inBerlin, Mangelware. Selbst Andreas Keller rumtein, dass viele Rektoren derzeit eher Sorge htten,hre Masterpltze loszuwerden.

    Was aber soll dann der Sturm im Wasserglas?Wozu die Verunsicherung der Absolventen weidoch derzeit keiner, wie es in den nchsten Jahrenkommt. Genau das sei das eigentliche Problem, sagt

    der grne Hochschulexperte Kai Gehring: StattSpekulationen brauchen wir empirische Studien berbergangsquoten und fehlende Masterstudienpltze.Schon heute gebe es Anzeichen fr erhebliche Schwan-kungen zwischen Fchergruppen, Bundeslndern und

    Hochschultypen. Doch GEW-Mann Keller unkt:Was wir jetzt erleben, sind nur die Vorboten dessen,was passiert, wenn in den nchsten Jahren die groenBachelorjahrgnge abschlieen.

    Tatschlich ist eines nicht von der Handzu weisen: Der Mangel an Masterpltzenmag bislang nur in Ausnahmefllen real sein,das Durcheinander bei der Studienzulassung

    ist es umso mehr, und das schon seit Jahren,genauer: seit die Hochschulen ihre Studenten

    in den meisten Fchern selbst auswhlen drfen.Seitdem bewerben sich viele Studierwillige an

    zig Unis gleichzeitig, um ihre Chancen zuerhhen. Die Flut an Mehrfachbewerbun-gen fhrt dazu, dass viele Studiengngezunchst berbelegt sind, whrend amEnde und oft erst mitten im neuenSemester doch die meisten einen Platzbekommen. Und Masterstudenten, diean der einen Uni abgelehnt werden,wissen womglich gar nicht, dass eswoanders freie Pltze gibt. Angesichtsdes Chaos erlebt die einst verschriee-ne Zentralstelle fr die Vergabe von

    Studienpltzen ihren zweiten Frh-ling. Unter dem weniger behrdig klin-genden Namen Stiftung fr Hochschulzulassungwird sie knftig eine neue, demtigere Rolle spielen:Statt den Unis wie frher Studenten von Amts wegenzuzuteilen, soll sie Bewerber und Hochschulen ent-sprechend ihren Wnschen zusammenbringen.Dieses dialogorientierte Verfahren ist als groer Wurfgedacht, soll es doch die gewonnene Eigenstndigkeitder Hochschulen bei der Studentenauswahl bewahrenund gleichzeitig fr Transparenz bei der Verteilung

    der Studienpltze sorgen. Der Starttermin wurdeindes bereits mehrfach verschoben, zuletzt auf April2011, zu spt wurde die Telekom-Tochter T-Systemsins Boot geholt, um unter Aufsicht eines Fraunhofer-Instituts an der Software zu tfteln. Jetzt sei alles im

    Plan, versichern das fr die Anschubfinanzierung zu-stndige Bundesbildungsministerium, die Stiftung frHochschulzulassung und das ebenfalls an der Umset-zung beteiligte Hochschul-Informations-System.

    Anders als oft behauptet, funktioniere das Systemselbst dann, wenn nur ein Teil der Hochschulen mit-mache, sagt dessen Chef Martin Leitner. Er warntaber zugleich: Wir knnten in die absurde Situationgeraten, dass ein neues, gutes Zulassungsverfahren,das sich alle gewnscht haben, einsatzbereit vorliegt,aber nicht zur Anwendung kommt, weil entweder zuwenig informiert wurde oder weil niemand die Be-triebskosten bernehmen will. Die meisten Hoch-schulverwaltungen ahnten noch nicht, was da auf siezukomme. Gefhrlich sei zudem, dass die Dauer-finanzierung immer noch zwischen Lndern undHochschulen diskutiert werde. Das sieht auch DieterLenzen so, Prsident der Uni Hamburg, dessen Vor-gngerin noch angekndigt hatte, sich nicht an demVerfahren zu beteiligen. Zwar verspricht Lenzen jetzt,wenn alle mitmachten, werde sich auch Hamburgnicht verweigern. Voraussetzung dafr, dass diegroe Mehrheit der Universitten dem neuen Systemzugestimmt hat, war aber die Zusage, dass fr Studie-

    rende und Hochschulen keine zustzlichen Kostenanfallen wrden. Sollte es anders kommen, sei Ham-burg als ffentlich finanzierte Hochschule verpflich-tet, kostengnstigere Alternativen zu suchen.

    Margret Wintermantel, Prsidentin der Hoch-schulrektorenkonferenz, rgern die Unkereien um dasmgliche Scheitern des neuen Systems. Wer so redet,wei es entweder nicht besser oder handelt unverant-wortlich. Denn technisch sehe ich keine Probleme,und finanziell mssen wir uns darauf verlassen, dassauch Bund und Lnder ihre Zusagen einhalten.

    Jetzt wird gespart!Allen Versprechungen zum Trotz geben die Landesregierungen weniger Geld fr Bildung aus VON JAN-MARTIN WIARDA

    Vielleicht kommt es fr die bayerischen

    Hochschulen doch nicht ganz so dick.Nachdem die Rektoren im Freistaat vorTagen noch ein Minus von bis zu 190 MillionenEuro befrchten mussten, erneuerte Ministerpr-ident Horst Seehofer (CSU) bei der Kabinetts-

    klausur am vergangenen Wochenende seinenSchwur, dass Bayern bei den entscheidendenZukunftsthemen Familie, Bildung und Innova-tion weiterhin an der Spitze in Deutschland ste-hen werde. Was eine reichlich dreiste Umschrei-bung fr die Tatsache ist, dass die Regierung denHochschulen nchstes Jahr immer noch zwischen30 und 50 Millionen Euro krzen drfte.

    Fast bescheiden nehmen sich da die 13 MillionenEuro aus, die Seehofer den Hochschulen bereits ineiner Art Sofort-Sparprogramm abgeknpft hat.Und dennoch waren sie der eigentliche Tabubruch:Sie wurden den Rektoren aus ihrem lngst zugeteil-en Budget herausgenommen. Sich bereits verteilte

    Gelder aus Schulen und Hochschulen zurckzuho-en ist der neueste Streich, der den Finanzpolitikernn ihrer Not eingefallen ist. All die Versprechungenvon der Bildungsrepublik scheinen pltzlich wenigwert zu sein. Den Vogel abgeschossen in Sachen

    Unberechenbarkeit hat dabei Brandenburgs SPD-Wissenschaftsministerin Martina Mnch. Sie hat

    kurzerhand die Rcklagen der Hochschulen fr sich

    reklamiert Rcklagen, die die Rektoren ausgerech-net fr schlechte Zeiten angelegt hatten, ermuntertdurch einen entsprechenden Passus in den mit demLand abgeschlossenen Hochschulvertrgen. DieVertrge seien ja nie Vertrge im juristischen Sinnegewesen, argumentiert Mnch, sondern lediglichWillensbekundungen, auerdem blieben denHochschulen noch 15 Millionen von ihrem Geld.

    Die brandenburgischen Hochschulenberlegen, Klage einzureichen

    Die Prsidentin der Universitt Potsdam, SabineKunst, spricht von einem Schlag ins Gesicht allderjenigen, die sich in den vergangenen Jahrenbemht htten, trotz knapper Mittel die univer-sitre Exzellenz im Land zu steigern und mit demGeld, das da war, vernnftig zu wirtschaften. DerVertrauensverlust ist maximal und das fr eineEinsparung von zehn Millionen Euro, die vom Landohnehin in null Komma nix verfrhstckt sind.Zwischenzeitlich stand sogar eine Klage der bran-denburgischen Hochschulen gegen das Ministeriumim Raum, nachdem renommierte Verfassungs-

    rechtler das Einsacken der Rcklagen als nichtrechtens bewertet hatten. Die sei noch immer denk-

    bar, bekrftigt Kunst, hofft jedoch auf Vernunft bei

    der Ministerin: Wir sollten versuchen, jetzt einenneuen, wirklich belastbaren Vertrag zwischen denHochschulen und der Regierung hinzubekommen.Ministerin Mnch beharrt indes darauf, dass siedank ihres Tricks mit den Rcklagen darum herum-komme, die Haushalte der Hochschulen direktzusammenzustreichen. Das ist doch gut so.

    Wie kreativ Bildungskrzungen auch anderswoverkauft werden, zeigt der Blick nach Thringen:Dort will die CDU/SPD-Landesregierung denHochschulen im nchsten Jahr rund 20 MillionenEuro weniger berweisen, eine enorm hohe Krzungfr ein kleines Bundesland. Doch der Sprecher vonMinister Christoph Matschie (SPD) bezeichnetberbordende Kritik an der Manahme als nichtangemessen, schlielich zhle nur, was am Ende beiden Hochschulen ankomme, und das seien 2011nicht mal fnf Millionen weniger als ursprnglichangekndigt. Wie das zusammengeht? Nun ja: Wasstimmt, ist, dass parallel zu den Landeskrzungendie Bundeszuschsse an die thringischen Hoch-schulen 2011 um fast 16 Millionen Euro steigenwerden. Dass die spendierfreudige Bundesbildungs-ministerin Annette Schavan (CDU) stets gebets-

    mhlenartig wiederholt, die Mittel des sogenanntenHochschulpakts wrden zustzlich zu den Landes-

    mitteln gezahlt, bezeichnet der Sprecher als eine

    Auffassung. Wenn man dann noch bedenkt, dassThringen nchstes Jahr 20 Millionen Euro mehrfr Bafg ausgibt, zeigt das: Es fliet sogar mehr Geldins Hochschulsystem. Man muss die Rechnungnicht bis ins Letzte nachvollziehen knnen, um zuverstehen, dass Thringens Rektoren sie alles ande-re als witzig finden.

    Nur ein schwacher Trost: Auchbritische Unis leiden unter Krzungen

    Die Liste der angedrohten oder umgesetzten Spar-plne liee sich fortsetzen, von Schleswig-Holsteinber Hamburg bis nach Hessen, doch klar ist auch:

    Angesichts der Krzungskatastrophen in anderenTeilen Europas (den britischen Universitten etwasollen bis zu 70 Prozent der staatlichen Zuschssegestrichen werden) haben viele Hochschulrektorenin Deutschland immer noch das Gefhl, mit einemblauen Auge davonzukommen. Das hat tatschlichvor allem mit den etlichen Milliarden zu tun, die derBund in mutiger Auslegung fderaler Zustndig-keiten ins Bildungssystem pumpt. Auf Dauerindes wird ein so unzuverlssig finanziertes Bildungs-

    system ohne bedeutende Abstriche bei der Qualittauch hierzulande nicht berleben knnen.

    Fotos:BeritNotzke/facet

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