Die Zeit: So geht es nicht

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  • 8/8/2019 Die Zeit: So geht es nicht

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    21. Oktober 2010 DIE ZEIT No 43 81CHANCENS. 97 LESERBRIEFE

    S. 98 DIE ZEIT DER LESER

    Am Freitag legt Bundesprsident Chris-tian Wulff zusammen mit seinem Amts-

    kollegen Abdullah Gl den Grundstein frdie Deutsch-Trkische Universitt. Aber wersoll dort eigentlich studieren?Gedacht ist die Universitt fr Studentenmit guten Deutschkenntnissen aus dem ge-samten Mittleren Osten und fr deutsche

    Abiturienten, etwa Kinder von Migranten,die zum Studium in die Heimat der Elternzurckkehren wollen.

    Wie trkisch wird die Universitt sein und wie deutsch?

    Unterrichtssprachen werden Deutsch, Tr-kisch und Englisch sein. Die Trkei trgtalle Kosten fr Bau und Betrieb der Univer-sitt, Deutschland finanziert Stipendienund Austauschprogramme. Am Ende desStudiums erhalten die Studenten einenDoppelabschluss, der in Deutschland undder Trkei als vollwertig anerkannt wird.

    Und wann werden die ersten Studentenin Istanbul ber den Campus schlen-

    dern?Im Wintersemester 2011 beginnt der Lehr-betrieb, allerdings in einem Provisorium inder Innenstadt. Wann der Campus erffnet

    wird, ist noch unklar. Langfristig sollen20 000 Studenten hier studieren damit

    wre es die grte deutsche Auslands-Uni.

    Studiumam Bosporus

    SCHULEHOCHSCHULEBERUFE

    In Istanbul wird die grte

    deutsche Uni im Ausland gebaut

    D R E I F R A G E N Z U M

    MEHR CHANCEN:

    S. 85 BERUFETeil 8 unserer Serie ber Jobs

    mit Zukunft. Diese Woche: Lehrer.Plus Tipps vom Karrierecoach ab S. 86 STELLENMARKT

    M

    anchmal ist es schwierigzu entscheiden, welcherUnsinn eigentlich der gr-bere ist. Nachdem aus-gerechnet die Befrwortervon Studiengebhren al-les getan hatten, um diese

    durch sozial unvertrgliche Regelungen in Miss-

    kredit zu bringen, haben ihre Gegner sie mit reich-ich Eigenlob wieder abgeschafft. Erst in Hessen.Dann im Saarland. Zuletzt in Nordrhein-West-falen. Das Ergebnis: Das Thema steht bundesweitpolitisch kurz vor dem Aus, die Unis fallen in ihrevom Staat verschuldete Armut zurck, und dieStudenten atmen auf ohne zu merken, dass auchie zu den Gelackmeierten zhlen.

    Die Einfhrung der Gebhren htte der Start-chuss fr ein neues, lebendigeres, ja sogar faireres

    Hochschulsystem werden knnen. Mehr Geld frdie Unis, das bedeutete mehr Geld fr die Betreuungvon Studenten, mehr Bcher in der Bibliothek,Mentorenprogramme fr Migranten oder Stipen-dien fr sozial besonders engagierte Studenten. Alldas existiert heute tatschlich in jenen Lndern, wounionsgefhrte Regierungen die Studiengebhreneit 2007 durchgesetzt haben, etwa in Bayern, Baden-

    Wrttemberg, Hamburg und Niedersachsen. WasStudiengebhren nie htten werden drfen undrotzdem wurden: ein Symbol fr soziale Ungerech-igkeit, fr das Fernbleiben rmerer Studienanfnger

    aus Angst vor Verschuldung. Ob diese Angst nunberechtigt ist oder nicht: Am Ende ist von Bedeu-

    ung, dass sich mit dem Versprechen, das Bezahl-tudium wieder abzuschaffen, Wahlen gewinnenassen. Die Schuld daran trifft jene Bildungspolitikeraus Union und FDP, die zu faul waren, die Web-fehler ihres Systems zu korrigieren.

    Sieben Prozent und mehr mussten Studentenzwischenzeitlich an Zinsen zahlen, wenn sie einender angeblich sozialvertrglichen Studienkredite auf-nehmen wollten. Am Ende eines Studiums knnenich Kredit, Zins und Zinsenszinsen schnell auf das

    Zwei- bis Dreifache der damit finanzierten Gebh-ren zusammenlppern. Jeden Neuwagen gibt es zugnstigeren Konditionen. Auch die Risiken sindungerecht verteilt: Wer kommt dafr auf, dass zumBeispiel in NRW zwei Drittel der Bafg-Empfngern einer an sich vorbildlichen Regelung von derRckzahlung der Gebhren be-freit sind? FDP-Wissenschafts-minister Pinkwart bezeichnete dieRegelung als Basis der bundes-weit sozialvertrglichsten Aus-

    gestaltung von Studiengebhren.Doch es sind die anderen Studen-en, die zahlen: 18 Prozent ihrer

    Gebhren gehen in einen Ausfall-fonds und so fr Sozialpolitikdrauf, an sich eine ureigene Auf-gabe des Staates.

    Oder zum Beispiel in Bayern:Wer trgt dort die zum Teil un-innigen Befreiungen, die von regionalen Abgeord-

    neten gegen die Wissenschaftspolitiker durchgesetztwurden aus Angst vor dem Wahlvolk und mit demErgebnis, dass selbst extrem gut verdienende Elternnur fr maximal ein Kind zahlen mssen? Es sinddie Hochschulen, die pltzlich mit rund einemDrittel weniger Gebhren auskommen mussten.Der schlechte Ruf der Campus-Maut besserte sichdurch solche und die Vielzahl hnlicher Manahmennicht, da die Whler das hilflose Herumdokternerkannten und die Studenten das Dickicht der Aus-nahmen oft gar nicht durchschauten. Viele der po-enziellen Studienanfnger wissen nicht, dass sie

    keine Gebhren mehr zahlen mssen, und gebenmmer noch an, ebendiese wrden sie von einemStudium abschrecken.

    Welch ein traumhaftes Chaos fr die Oppositionaus SPD, Linken und Grnen. Mittlerweile habenie in drei Lndern die Gebhren beseitigt, im Saar-and unter tatkrftiger Hilfe von CDU-Minister-prsident Peter Mller, der so seinen Machtverlustverhindern wollte. Als Nchstes knnte die Ab-chaffung in Baden-Wrttemberg anstehen, wo im

    Mrz 2011 Wahlen sind. Irritierend dabei ist, dassnicht nur Mller wider besseres Wissen handelte.Auch in der SPD gibt es Bildungspolitiker, diehinter vorgehaltener Hand gestehen, dass Studien-gebhren durchaus ein Segen sein knnten wennman sie richtig macht. Doch, fgen die gleichenLeute dann hinzu, warum sollten wir dabei helfen,ie richtig zu machen, wenn sich das System, das wir

    haben, als Wahlkampfschlager erwiesen hat?

    Ja, ein sozial wirk-lich vertrgliches Stu-diengebhrensystem

    wre mglich, selbstjetzt noch, da die Ge-bhrenpolitiker dasThema Bezahlstudi-um in einer selten

    gekannten Virtuosittgegen die Wand ge-fahren haben. Es wreihre allerletzte Chan-ce. Wenn ihnen auch nurirgendetwas daran liegt, dieStudiengebhren zu-mindest in den verbliebe-nen Lndern zu retten,sollten sie sie ergreifen.

    Wie ein solches Systemaussehen msste:

    Es gbe keine Verpflichtung zumZahlen von Studiengebhren vordem Abschluss. Die Hochschulenallerdings bekmen ab sofort 1000Euro pro Student und Jahr vomStaat vorgestreckt.Nach dem Abschluss werden Ge-bhren fllig, ohne alle Zinsen, inder bekannten Hhe von 1000 Europro Jahr und nur dann, wenn die Studentenmehr als 30 000 Euro im Jahr verdienen. Schaf-fen sie diese Schwelle ber zehn Jahre hinweg

    nicht, entfallen die Gebhren. Fr immer.Das ist schon alles. Smtliche sogenanntenBefreiungstatbestnde knnten entfallen. Einsolches System wre vor allem fr die Studentenso transparent, dass sie wirklich keine Angst mehrvor Verschuldung haben mssten. Und bei denHochschulen kmen 100 Prozent der Gebhrenan, sie htten Planungssicherheit. Warum keineinziges Bundesland dieses System eingefhrt hat?

    Weil der Staat die Rechnung dafr zahlen msste.Der Irrtum der Gebhrenfans besteht bis heutein der geradezu abenteuerlichen Annahme,man knne von den Studenten die Gebhren ver-langen und sich dann zurcklehnen. Dabei weidoch eigentlich jeder: Wer von anderen Engage-ment einfordert, muss es auch selbst beweisen.

    Dieses Engagement lsst sichbeziffern: Nordrhein-Westfalenetwa msste mit maximal 100Millionen Euro pro Jahr fr Ver-

    waltung, Zinsen und Ausfall-brgschaft rechnen. Der altenschwarz-gelben Regierung wardie Rettung der Studiengebh-

    ren jedoch offenbar nicht so vielwert. Dafr gibt jetzt die neuerot-grne Koalition mit groerGeste auf Pump finanzierte 250Millionen Euro im Jahr aus, umdie Hochschulen fr die Ab-

    schaffung der Gebhren zu kompensieren. Ab-surder geht es kaum.

    Der saarlndische Regierungschef Mller hatdas oben dargestellte System zwar in Anstzen kurzvor der vergangenen Landtagswahl eingefhrt abernur in hchster Not und zu spt. Das Thema warschon so aufgeladen, dass er es in den Koalitions-verhandlungen mit den Grnen opfern musste. InHamburg dagegen hat sich die erste schwarz-grneKoalition 2008 ohne Not den radikalen Neuanfangbei den Studiengebhren zugetraut und ein vor-bildliches System geschaffen. Zur Wahrheit gehrtallerdings auch, dass der Hamburger Senat seineRolle als Musterknabe nicht lange durchgehaltenhat und die Kosten der Nullzinskredite von 2011an auf die Hochschulen abwlzen will, bei denendann einfach weniger von den Studiengebhrenankme. Und die von den Unis fest eingeplanteKompensation fr die Gebhrensenkung von 500auf 375 Euro nahm der Senat ebenfalls zurck. FrNRW lsst sich erahnen, wie verlsslich das Ver-sprechen sein drfte, das den Hochschulen einedauerhafte Kompensation der ausfallenden Ge-bhren zusagt.

    berall gilt: Solange sich die Gebhrenpolitikerselbst dieser Minimalvariante eines sozialvertrg-lichen Bezahlstudiums verweigern, sollten sie soehrlich sein, die Studiengebhren ganz abzuschaf-fen. Nach verlorenen Wahlen werden das sonstandere fr sie bernehmen. Klar ist auch, wer dannam meisten verloren htte: die Universitten unddie Studenten.

    Groes Chaos

    Mit Studiengebhrenwre vieles mglich eigentlich.

    Doch das Systemwurde nur halbherzigumgesetzt

    Jetzt am Kiosk:Der ZEIT SchulfhrerWelche Schule ist die bestefr mein Kind? Wannlohnt sich Nachhilfe?Alles, was Eltern wissenmssen

    Im Netz:Zustzlich gibt ZEIT ONLINE Orientierung:

    www.zeit.de/studiengaengeundwww.zeit.de/hochschulranking

    So gehtes nichtDie Politik hat eine gute Idee ruiniert:Studiengebhren sind zum Wahlkampf-Instrument verkommen VON JAN-MARTIN WIARDA

    Abschaffungbeschlossen

    Abschaffungumgesetzt

    Hier gab es nieGebhren

    Hier wird immernoch gezahlt

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