Die zweite Telosformel des Antipater von Tarsos

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Die zweite Telosformei des Antipater von Tarsos von Marion Soreth (K ln) Der Lehrer des Antipater von Tarsos, Diogenes von Babylon, bestimmte das Lebensziel als ,,clas Vern nftigsein in der Auslese des Naturgem en" 1 . Antipater, sein Sch ler und Nachfolger, gab an, es sei das Telos, „unabl ssig und unbeirrt das Naturgem e auszulesen und das Naturwidrige zu verwerfen" 2 . Diese von der des Diogenes sonst verschiedene Formel nennt doch wie sie die Auslese des Naturgem en als die T tigkeit, die im Ziel zu voll- ziehen w re. Mit dem ,,Naturgem en" d rfte hier sicher das ,,erste Naturgem e" (τα ττροοτα κατά φύσιν) gemeint sein 3 . 1 DL VII 88 (= SVF III Diogenes Nr. 45; vgl. auch Nr. 46): ό μεν oOv Διογένης τέλος φησί ρητώς το εύλογιστεϊν εν TTJ των κατά φύσιν εκλογή. Bei Stob. II (ed. Wachsmuth) 76, 9 (= SVF III Diogenes Nr. 44) ist die Version εν TTJ των κατά φΟσιν εκλογή και άττεκλογτ| (sc. των τταρά φΟσιν) berliefert. Hans von Arnim („45] Diogenes aus Seleukeia am Tigris", RE IX [1903] Sp. 775) verstand ενλογιστεΐν als die „F higkeit richtiger Berechnung in der Aus- wahl der naturgem en Dinge". Eine hnliche Auffassung vertrat A. D ring („Zwei bisher nicht gen gend beachtete Beitr ge zur Geschichte der G terlehre aus Cicero de Finibus", Zeitschrift f r Philosophie und philosophische Kritik 128 [1906] S. 26). Adolf Bonh ffer („Die Telosformei des Stoikers Diogenes", Philo- logus 67 [1908] S. 582—605) wendete sich mit guten Argumenten gegen v. Arnim und D ring. Nach Bonh ffer (S. 589) ist das εύλογιστεΐν keine „inferiore Gei- stesfunktion", „sondern eine Bet tigung des h chsten Geistesverm gens, eine Funktion der Weisheit oder der Tugend". Max Pohlenz (DieStoall 2 , G ttingen 1955, S. 95) sieht in dem εΟλογιστεΐν hnlich „die vernunftgem e tugendhafte Haltung als Ganzes". 2 Clemens Alexandrinus, Stromaia II (ed. St hlin) 183, 4 (= SVF III Antipater Nr. 58; vgl. auch Nr. 57): δ τε Αντίπατρος ... το τέλος κεΐσθαι εν τω διηνεκως καΐ απαράβατους εκλέγεσθαι μεν τα κατά φύσιν, άττεκλέγεσθαι δε τα τταρά φΟσιν Οττολαμβάνει. Hermann Cohn (Antipater von Tarsos, Diss. Gie en, Berlin 1905, S. 55ff.) hat διηνεκως καΐ άτταραβάτως als erster (mit Bezug auf de fin. 3, 20) erkl rt. hnlich, aber mit mehr Aufwand, erl utert diese Worte Maximilian Sch fer (Ein fr hmittelstoisches System der Ethik bei Cicero, M nchen 1934, S. lllff.). Vgl. auch Pohlenz, Die Stoa II S. 95. 3 Das hat Adolf Bonh ffer (Die Ethik des Stoikers Epiktet, Stuttgart 1894, S. 169) berzeugend nachgewiesen. Die ττρωτα κατά φΟσιν im allgemeinen behandelt er cbendovt S. 175—177. Vgl. dazu auch Robert Philippson, „Das .Erste Natur- gem e'", Philologus 87 (1932) S. 445—466. Πρώτα κατά φύσιν sind unter anderem die Unversehrtheit der Glieder und die Integrit t der Sinnesorgane (de fin. 5, 18). Ein Hang zu diesen Dingen und der Sinn f r sie liegt von allem Anfang an in unserer Natur (Gellius, NocL Att. XII 5, 7 = SVF III 181). Ob Brought to you by | St. Petersburg State Un Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 11/4/13 3:11 AM

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Die zweite Telosformei des Antipater von Tarsosvon M a r i o n Soreth (K ln)

Der Lehrer des Antipater von Tarsos, Diogenes von Babylon,bestimmte das Lebensziel als ,,clas Vern nftigsein in der Auslesedes Naturgem en"1. Antipater, sein Sch ler und Nachfolger, gaban, es sei das Telos, „unabl ssig und unbeirrt das Naturgem eauszulesen und das Naturwidrige zu verwerfen"2. Diese von derdes Diogenes sonst verschiedene Formel nennt doch wie sie dieAuslese des Naturgem en als die T tigkeit, die im Ziel zu voll-ziehen w re. Mit dem ,,Naturgem en" d rfte hier sicher das ,,ersteNaturgem e" (τα ττροοτα κατά φύσιν) gemeint sein3.1 DL VII 88 (= SVF III Diogenes Nr. 45; vgl. auch Nr. 46): ό μεν oOv Διογένης

τέλος φησί ρητώς το εύλογιστεϊν εν TTJ των κατά φύσιν εκλογή. Bei Stob. II(ed. Wachsmuth) 76, 9 (= SVF III Diogenes Nr. 44) ist die Version εν TTJτων κατά φΟσιν εκλογή και άττεκλογτ| (sc. των τταρά φΟσιν) berliefert. —Hans von Arnim („45] Diogenes aus Seleukeia am Tigris", RE IX [1903] Sp.775) verstand ενλογιστεΐν als die „F higkeit richtiger Berechnung in der Aus-wahl der naturgem en Dinge". Eine hnliche Auffassung vertrat A. D ring(„Zwei bisher nicht gen gend beachtete Beitr ge zur Geschichte der G terlehreaus Cicero de Finibus", Zeitschrift f r Philosophie und philosophische Kritik 128[1906] S. 26). Adolf Bonh ffer („Die Telosformei des Stoikers Diogenes", Philo-logus 67 [1908] S. 582—605) wendete sich mit guten Argumenten gegen v. Arnimund D ring. Nach Bonh ffer (S. 589) ist das εύλογιστεΐν keine „inferiore Gei-stesfunktion", „sondern eine Bet tigung des h chsten Geistesverm gens, eineFunktion der Weisheit oder der Tugend". Max Pohlenz (DieStoall2, G ttingen1955, S. 95) sieht in dem εΟλογιστεΐν hnlich „die vernunftgem e tugendhafteHaltung als Ganzes".

2 Clemens Alexandrinus, Stromaia II (ed. St hlin) 183, 4 (= S VF III AntipaterNr. 58; vgl. auch Nr. 57): δ τε Αντίπατρος ... το τέλος κεΐσθαι εν τω διηνεκως καΐαπαράβατους εκλέγεσθαι μεν τα κατά φύσιν, άττεκλέγεσθαι δε τα τταρά φΟσινΟττολαμβάνει. Hermann Cohn (Antipater von Tarsos, Diss. Gie en, Berlin1905, S. 55ff.) hat διηνεκως καΐ άτταραβάτως als erster (mit Bezug auf de fin.3, 20) erkl rt. hnlich, aber mit mehr Aufwand, erl utert diese Worte MaximilianSch fer (Ein fr hmittelstoisches System der Ethik bei Cicero, M nchen 1934,S. lllff.). Vgl. auch Pohlenz, Die Stoa II S. 95.

3 Das hat Adolf Bonh ffer (Die Ethik des Stoikers Epiktet, Stuttgart 1894, S. 169)berzeugend nachgewiesen. Die ττρωτα κατά φΟσιν im allgemeinen behandelt er

cbendovt S. 175—177. Vgl. dazu auch Robert Philippson, „Das .Erste Natur-gem e'", Philologus 87 (1932) S. 445—466. — Πρώτα κατά φύσιν sind unteranderem die Unversehrtheit der Glieder und die Integrit t der Sinnesorgane(de fin. 5, 18). Ein Hang zu diesen Dingen und der Sinn f r sie liegt von allemAnfang an in unserer Natur (Gellius, NocL Att. XII 5, 7 = SVF III 181). Ob

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In einer zweiten Formel aber, die Antipater neben der erw hntenersten gebrauchte, ist die Anweisung, das Naturgem e auszulesen,durch die Vorschrift ersetzt, alle M he auf das Erlangen des Natur-gem en zu verwenden. Wie Stobaeus berichtet, pflegte er n mlichdas Telos h ufig auch so zu bestimmen: ,,Alles tun, was in dereigenen Macht steht, um das naturgem Vorangehende zu erlan-gen4/' Nur bei Stobaeus, der freilich allein die Formel ausdr cklichdem Antipater zuweist, findet sich der Ausdruck: ,,das naturgemVorangehende" (τα προηγούμενα κατά φΟσιν). An den brigenStellen, an denen auf die zweite Formel angespielt wird, ohne dader Name des Antipater f llt, hei t es statt dessen, alles sei zu tun,um „das erste Naturgem e" oder einfach ,,das Naturgem e" zuerlangen5. Demnach entspricht das „naturgem Vorangehende"wohl zumindest sachlich dem „ersten Naturgem en"6.

Die Formulierung: „alles, was in der eigenen Macht steht, tun"enth lt das Zugest ndnis, da der Gegenstand der Bem hungen,das Naturgem e, nicht ganz aus eigener Kraft erlangt werdenkann. Nach Aristoteles gibt es K nste, bei denen die methodisch

die Stoiker der Ansicht waren, da die Lebewesen diese πρώτα κατά φύσιν gleichnach ihrer Geburt tats chlich anstreben oder anstreben k nnten, wie Philippson(a. a. O. S. 452) es will, d rfte doch zweifelhaft sein. Philippson ger t bei seinerDeutung dann auch in Schwierigkeiten mit dem Chrysippfragment: οίκειούμε-θα Trpos αυτούς εύθύ$ γενόμενοι καΐ τα μέρη καΐ τα Ικγονα τα εαυτών (Plutarchde Stoic. repugn. 1038 B = SVF III 179). Die ττρωτα κατά φύσιν sind nur „Vor-gezogenes" (-προηγμένα) und keine G ter (SVF III 181).

4 Stob. II 76, 13 (= SVF III Antipater Nr. 57): ττολλάκι? δε καΐ ούτω? άττεδίδου-'τταν το καθ* αυτόν ττοιεΐν διηνεκω* καΐ άτταραβάτω$ ·πρό$ το τυγχάνει ν τωνπροηγουμένων κατά φύσιν.'

5 Poseidonios bei Galen de placit. Hippocrat. et Plat. (ed. M ller) 450. 2:τταν το ένδεχόμενον ττοιεϊν ένεκα των -πρώτων κατά φύσιν. Plutarch de comm.not. (ed. Pohlenz) 1071 A: ττάντα τα τταρ' εαυτόν ττοιεΐν εκαστον ένεκα τουτυγχάνει ν των -πρώτων κατά φύσιν. Karneades bei Cicero de fin. 5, 20:facere omnia ut adipiscamur, quae secundum naturam sint.

6 Madvig (M. Tullii Ciceronis de finibus bonorum et malorum libri quinque, Hauniae1869 [Nachdruck Hildesheim 1963], S. 817) hielt die Ausdr cke: -προηγούμεναund ττρωτα κατά φύσιν f r identisch, ebenso Bonh ffer (Die Ethik des StoikersEpiktet S. 169). Nach Rudolf Hirzel (Untersuchungen zu Ciceros philosophischenSchriften II, Leipzig 1882 [Nachdruck Hildesheim 1964], S. 805) ist doch wenig-stens die bezeichnete Sache identisch. Pohlenz (Die Stoa I2, G ttingen 1969,S. 188 und II S. 96) versteht die -προηγούμενα als das, „was prim r unsererNatur entspricht". An den Stellen, die er als Belege nennt (S Γ l·' 111 315 und116), geht es um G ter, die wir direkt und immer anstreben, im Gegensatz zu.solchen, die nur unter ungl cklichen Umst nden gebrain ht werden (wie etwaGeduld bei einer schweren Krankheit). Nach allem aber, was wii bet <lie 1 ·<»ιnid des Antipater wissen, k nnen die -προηγούμενα keine G ter gewesen sein

4 Arch. Gesch. Philosophie. Bd. 50Brought to you by | St. Petersburg State University

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oimvjuulfivii! Hetiltigung nicht gen gt, um das gew nschte Ergeb-nis htTlxMzuf hivn. Er bedient sich einer hnlichen Ausdrucksweisewir sp ter Antipater in seiner zweiten Formel, wenn er die T tig-keit einer solchen Kunst — der Dialektik — beschreibt7. Damitendet die hnlichkeit freilich schon. Die Medizin, der Prototypderartiger K nste bei Aristoteles, hat die Gesundheit zum Ziel8.Es ist also ihre Aufgabe, ein Objekt, das au erhalb ihrer T tigkeitliegt, /u verwirklichen. F r Antipater hingegen liegt das Ziel nichtin dem Gegenstand9, auf den sich die in seiner Formel erw hnte7 l\>f>ik lOlb 5—10. Die vergleichbare Formulierung lautet: εκ των ενδεχομένων

ποιεί ν α ττροαιρούμεθα (b 7). Vgl. Rhetorik 1355 b 7—14. Diese und die meistenanderen im folgenden genannten Stellen sind angegeben bei Otto Rieth, ,,Uberdas Telos der Stoiker", Hermes 69 (1934) S. 13—45.

8 Kl·: T216b 16—18, EN 1094a 8. Vgl. auch Alexander in Topic. libr. comment.,CAG II '2 (ed. Wallies) S. 33, 27—34, 1: τοο γαρ ίστρου έργον μεν το ποιήσαιττάντα τα ενδεχόμενα γενέσθαι κατά την τέχνη ν προς το σωθηναι τον κάμνοντα,τέλος δε το σώσαι, ου χάριν καΐ ταύτα ττοιεΐ, δ δεϊται καΐ άλλων τινών προςτοις γινομένοις κατά την ίατρικήν.

* Der Gegenstand einer Kunst wurde zuweilen auch σκοπός (w rtlich: Ziel)genannt. Dem σκοπός entsprach dann als τέλος das Erlangen oder der Besitzdes Gegenstandes, der den σκοττός bildete. So bezeichnete Ariston, einFreund des Peripatetikers Kritolaos, die πειθώ als den σκοπός der Rhetorikund das τύχει ν της πειθούς als ihr Telos (Sextus Empiricus adv. math. II61) und Galen (de sectis, scripta minora III [ed. Helmreich] l, 1) dieυγίεια als den σκοπός der Medizin und ihren Besitz als Telos. Ganz analoghaben die Stoiker zwischen der ευδαιμονία als dem σκοπός und dem τυχεΐντης ευδαιμονίας als dem τέλος unterschieden (Stob. II 77, 25 = SVF I 554).Diese Unterscheidung schreibt Stobaeus ausdr cklich dem Kleanthes, Chrysippund ihren Nachfolgern zu. Philippson (,,Das Sittlichsch ne bei Panaitios",Philologus 85 [1930] S. 360) meinte daher, auch schon Kleanthes und Chrysipph tten den Vergleich mit dem Bogensch tzen gebraucht. Diese Bemerkung muzu Mi verst ndnissen f hren, da Philippson anschlie end den Bogensch tzendes Antipater (de fin. 3, 22) bespricht. Das Besondere an dem Bogensch tzendes Antipater ist n mlich, da er sich ein Ziel setzt (das Naturgem e), dessenErreichen aber nicht das Telos f r ihn darstellt. F r einen Bogensch tzen imSinne der Stobaeusstelle dagegen w re das Erreichen des σκοπός, der Eudai-monie, auch das Telos. Gewi wird auch der Bogensch tze des Antipater dieEudaimonie als σκοπός und τέλος haben; er richtet sein Handeln aber aufein ,,Ziel" hin, das nicht sein Telos ist. Die Angaben Rieths, die als Kommen-tar zu Stob. II 77, 25 verfehlt sind, da dort nicht auch der Bogensch tze desAntipater speziell ber cksichtigt wird, k nnte man nur als Beschreibung derLehre des Antipater gelten lassen: ,,Die Stoa denkt auch hier an den Vergleichmit dem Bogensch tzen. Die Eudaimonia ist der wirkliche Zweck; das Ziel,das man sich vorzunehmen hat, ist, diesen Zweck zu erreichen. Weil der Weiseallein nach diesem Zweck strebt, erlebt er nie eine Entt uschung, auch wennder u ere Zweck seines Handelns nicht erreicht wird" (,,Uber das Telos derStoiker" S. 22). Man sieht an dieser Darstellung recht deutlich, wie verwirrend

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Tätigkeit richtet. „Alles tun, was in der eigenen Macht steht, umdas Naturgemäße zu erlangen", soll ja das Ziel definieren. Danachmuß diese Tätigkeit selbst das Ziel büden.

Aus einer recht schwierigen SteUe bei Cicero läßt sich dochwenigstens dies mit Sicherheit entnehmen, daß in der Vorlage dieauf das Naturgemäße gerichtete Tätigkeit selbst als Ziel angesehenwurde. In de fin. 3, 22 erklärt Cicero, alle Pflichten seien notwen-digerweise auf das erste Naturgemäße (principia naturae) bezogen,weil sie von diesem auch ausgingen. Man habe also das Recht zusagen, daß sich alle Pflichten auf das Erlangen des ersten Natur-gemäßen beziehen. Das Erlangen des ersten Naturgemäßen seigleichwohl nicht das höchste Gut, da die honesta actio nicht zuden „ersten Empfehlungen der Natur" gehöre. Sie sei etwas, sagtCicero, das erst folge und später entstehe. Dennoch sei sie, diehonesta actio, naturgemäß und ermahne uns mehr, sie selbst anzu-streben als alles vorige.

Cicero bemerkt dann weiter, zuerst müsse der Irrtum ausgeräumtwerden, daß es zwei höchste Güter gebe. Leider versäumt er zuerklären, wie dieser Irrtum hier entstehen könnte. Worin er denAnlaß für ein solches Mißverständnis sah, läßt sich jedoch miteiniger Wahrscheinlichkeit vermuten. Er hatte gesagt, die honestaactio gehöre nicht zum ersten Naturgemäßen (was selbstverständ-lich auch für das honestum im ganzen gilt). Es bliebe nun dieMöglichkeit und der Gedanke läge nahe, daß das honestum auseinem Prinzip herstammt, das mit dem ersten Naturgemäßen nichtszu tun hat. In diesem Falle wäre man aber zu der Annahmezweier höchster Güter gezwungen. Denn nun müßte eigens begrün-det werden, weshalb die Pflichten auf das erste Naturgemäße be-

es gewirkt haben würde, wenn Antipater für den ,,äußeren Zweck" (die natur-gemäßen Dinge) ebenfalls den Terminus <JKOTTOS gebraucht hätte (was nichtsicher ist; vgl. Anm. 47). Jedenfalls wäre Antipater damit von der Termino-logie seiner Schule abgewichen, nach der ja, wie Stob. II 77, 26 zeigt, der -TTOS in einer festen Relation zum Telos stand, und zwar so, daß dem O-KOTTOSdas Erreichen des Gegenstandes, der den OTKOTTOS bildete, als Telos entsprach.Rieth sagt freilich nirgendwo ausdrücklich, Antipater habe den ..äußerenZweck", die naturgemäßen Dinge, $ genannt. Es scheint dies aber seineMeinung gewesen zu sein. Pohlenz, der sich auf Rieth beruft, vorstand ihnoffenbar so: ,,die präzise Trennung, nach der $ das Objekt des Handelns,

die Vollendung und das Ziel der Tätigkeit bezeichnet hat wohl erstAntipater vorgenommen" (Die Stoa II S. 06). Wenn Antipater aboi für dienaturgemäßen Dinge vielleicht auch nicht den AiifulriH k OKOTTOS gobrain hte. sohat er doch jedenfalls der Sache nach ein ..Ziel" gcset/1. dem nu hl da·* l· 1 1 «chcn des Objektes, wel« hcs ilas ,,/iel" bildet, korrespondiert

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zotftMi sind, lun Telos1 nämlich, das selbst auf ein anderes Prinzipzurückgeht, könnte nicht den Grund für die Beziehung der Pflich-ten auf das erste Naturgemäße abgeben. Wie anders wäre dieseBeziehung dann aber noch zu begründen, als daß man das ersteNaturgemäße zum zweiten Telos neben dem honestum werdenließe11 ? Die Notwendigkeit, einen eigenen Grund für jene Bezie-hung zu finden, entfällt, wenn das Telos und die Pflichten auf demgleichen Prinzip beruhen. Das eben will Cicero anscheinend imfolgenden zeigen12.

An dem Beispiel des Bogenschützen demonstriert er, wie dashöchste Gut auf das erste Naturgemäße, das selbst aber nicht dasTelos bildet, bezogen ist.

Die Überlieferung dieses Abschnittes gilt als schwer verdorben.Die Teubnerausgabe13 hat den folgenden Text: etenim (Schickeut enim libri), si cui propositum sit conliniare hastam aliquo autsagittam, sicut nos ultimum in bonis dicimus, [sie illi facere omnia,quae possit, ut conliniet] huic in eius modi similitudine omnia sintfacienda, ut conliniet, et tarnen, ut omnia faciat quo propositumadsequatur, sit (Ernesti sed libri) hoc quasi ultimum, quäle nossummum in vita bonum dicimus, illud autem, ut feriat, quasiseligendum, non expetendum.10 Da das Telos nach stoischer Lehre mit dem ,,Leben nach der Tugend" gleich-

bedeutend ist (Stob. II 78, 5 = SVF III 16:* J3ico), darf es mit dem honestum identifiziert werden. Auch für

Cicero ist offenbar die inhaltliche Bestimmung des Telos mit dem honestumgleichbedeutend, denn nachdem er das honestum als neues Thema eingeführthat, bespricht er (an dem Beispiel des Bogenschützen) die Formel des Anti-pater. In de fin. 5, 20 sagt er (ebenfalls in bezug auf diese Formel): „alles tun,um das Naturgemäße zu erlangen", sei nach Angaben der Stoiker das Ehren-hafte und das einzige Gut.

11 Wenn der Anlaß zu dem Irrtum, die Stoiker hätten zwei höchste Güter auf-gestellt, wirklich in dieser Weise zu verstehen ist, dann dürfte der Gedanke,den Cicero nunmehr als ,,Irrtum" bezeichnet, auf einen Einwand zurückgehen,der gegen die stoische Lehre vor Diogenes mit Recht zu machen war. Solangenämlich das Telos ohne Bezug auf die naturgemäßen Dinge formuliert wurde,konnte sehr wohl behauptet werden, die Stoiker ließen faktisch (wenn auchnicht ausdrücklich) das Naturgemäße als zweites Telos neben der Tugend gelten.

12 Daß es Cicero darauf ankam, den Ursprung des höheren Naturgemäßen, wie der. sapientia, aus dem ersten Naturgemäßen (und folglich seine Beziehung auf das

erste Naturgemäße) nachzuweisen, bestätigen die Worte, mit denen der über-nächste Abschnitt, der Anfang von 3, 23, beginnt: Cum autem officia a principiisnaturae proficiscantur, ab isdem necesse est proficisci ipsam sapientiam.

13 De finibus bonorum et malorum recognovit Th. Schiche, Lipsiae 1915 (NachdruckStuttgart 1961).

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In einem Exkurs sollen nunmehr die textkritischen Problemeerörtert werden.

Madvig14 hatte ein Korrelat zu dem überlieferten ut enim (inGestalt eines Nachsatzes mit sie) vermißt. Er fand den passendenNachsatz in sicut nos ultimum in bonis dicimus und änderte ent-sprechend sicut in sie. Durch diese Änderung verlor der folgendeSatz, der mit sie beginnt, seinen Anschluß und wurde sinnlos.Madvig strich ihn daher. Diese Lösung ist nicht glücklich. Diegrammatische Form der beiden durch ut . . . sie verbundenen Sätzewäre ihrem Inhalt nicht angemessen. Das höchste Gut (im Sinneder Formel des Antipater, die hier zugrunde liegt) läßt sich nichtmit der bloßen Absicht, einen Speer oder Pfeil in irgendein Ziel zulenken15, vergleichen, sondern mit der auf diesen Zweck gerichtetenTätigkeit.

Schiche16 änderte ut enim, wohl wegen des von Madvig als an-stößig empfundenen Fehlens eines Korrelates, in etenim. Er hieltdas überlieferte sicut, da er anscheinend huic . . . omnia sint facienda,ut conliniet als Nachsatz von si cui propositum sit etc. ansah. Sicut14 M. Tullii Ciceronis de finibus bonorum et malorum libri quinque S. 379: „Mani-

festum est . . . orationem non cohaerere nee quidquam respondere initio com-parationis: Ut enim si cet., nee omnino dici, huic exemplo simile esse summumbonum."

15 Madvig (S. 378) versteht collineare (v. conliniare) hier, wie auch an der späterenStelle (huic . . . omnia sint facienda, ut conliniet) im Sinne von ,,zielen". DerEinwand gegen seinen Text bleibt davon unberührt. Denn auch die Absicht zuzielen könnte nicht mit dem höchsten Gut verglichen werden, sondern allenfallsdie Bemühung, möglichst gut zu zielen. Für das spätere (ut) conliniet wird sonstwohl allgemein die Bedeutung ,,treffen" (cf. de divin. 2, 121) angenommen — imThesaurus (s. v. collineare) ist es mit ,,feriat, percutiat" umschrieben. Der Grundfür die Annahme dieser Bedeutung läßt sich unschwer erkennen. Dem ,,Erlan-gen des Naturgemäßen" in der Formel des Antipater, die hier (was auch Madvignicht bezweifelt) zugrunde liegt, entspricht nur das ,,Treffen" genau. So übertrugPlutarch (de comm. not. 1071 C) das „Erlangen des Naturgemäßen" mit:

CTKOTTOV in das Beispiel des Bogenschützen. Für das erste collineare müßtedann freilich ebenfalls diese Bedeutung angenommen werden. Denn es wäredoch merkwürdig, wenn Cicero gesagt hätte, daß jemand, der beabsichtigt, einenSpeer oder einen Pfeil irgendwohin zu richten, alles tun müßte, um 711 treffenMan wird das erste collineare also besser im Sinne von ,,in ein Ziel bringen"verstehen als im Sinne von ,,zielen". Rieth übersetzt: ,,irgendwohin einen Sperroder einen Pfeil zu schießen" (S. 27). Er dürfte dabei wohl auch eher an ..treffen"und nicht bloß an ,,zielen" gedacht haben.

10 Karl Atzert (Von den Grenzen im Guten und Bösen, Latrinisrli und lVuts<h.Zürich und Stuttgart 1964, S. 228) folgt an dieser Stelle Schi« ho. nur behält rrut enim bei. Den gleichen Text wie Madvig hat in diesem Abs* hni t t Julos Martli.i(Des termes extrhnts des Metts et des maux, T. I et 11, Paris lW>f>, T U S 15*)

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iios idtimuHi in bonis dicimus wird so zu einem nachgetragenenVergleichssatz. Gegen diese Fassung ist der gleiche Einwand zumaclu-n wie gegen die von Madvig. Das höchste Gut würde zuUnrecht mit der bloßen Absicht verglichen, ein Ziel mit einemSpecT oder Pfeil zu treffen.

Man kann sich schwer dem Eindruck entziehen, daß sicut nosnltimum in bonis dicimus und sie illi facere etc. ursprünglich zu-sammengehörten. Schadewaldt und Rieth17 brachten diese beidenSätze wieder in Verbindung, strichen sie aber als Glossem. DieSätze konnten entbehrlich scheinen, wenn man — wie Philippsones getan hatte18 — in quäle nos summum in vita bonum dicimuseine Anspielung auf den Inhalt der Telosformel fand. Sie illi facereetc. schien ja schon gegenüber huic omnia sint facienda etc. nichtsNeues zu bieten. Sind diese beiden Sätze aber wirklich entbehrlich ?Quäle nos summum in vita bonum dicimus besagt unmittelbar janur, daß die Stoiker das summum bonum als ultimum bezeichneten.Mit den Worten: sicut nos summum in vita bonum dicimus, sie illifacere etc. würde jeder direkte Hinweis auf die Formel und ihrenInhalt fehlen. Ein Leser, dem ein Text ohne das vermeintlicheGlossem vorlag, hätte aus quäle nos summum in vita bonum dici-mus nichts mehr als die Angabe herauslesen können, daß dashöchste Gut in der Stoa das ultimum genannt werde. Man darfnicht argumentieren, ein Hinweis sei vielleicht nicht beabsichtigtgewesen — schließlich ist ein solcher Hinweis, wenn auch wohlnicht vollständig, überliefert.

Auf Grund ähnlicher Erwägungen vermutlich hat Pohlenz19 vor-geschlagen, diese Sätze wieder in den Text aufzunehmen. Er ver-steht sie als Parenthese, mit der Cicero ,,die Beziehung auf dasverglichene Objekt", das heißt die Telosformel, „in Erinnerunggebracht hat". Es wäre gewiß richtig — darin sollte man Pohlenz17 „Über das Telos der Stoiker" S. 27 Anm. 3.18 „Das Sittlichschöne bei Panaitios" S. 360.19 „Plutarchs Schriften gegen die Stoiker", Hermes 74 (1939) S. 24 Anm. 4 (Kleine

Schriften I [ed. Dörrie], Hildesheim 1965, S. 471 Anm. 4). Pohlenz schlägt fürden Abschnitt folgenden Text vor: ,,Ut [enim] (denkbar auch: Ita enim), sicui propositum sit conliniare hastam aliquo au t sagittam (sicut nos ultimum inbonis dicimus, sie illi — sc. propositum sit — facere omnia quae possit, ut con-liniet), huic in eiusmodi similitudine omnia sint facienda, ut conliniet, et tarnen,ut omnia faciat quo propositum adsequatur, <propter aliquam causam externamfieri possit ut id non adsequatur>, sed hoc quasi ultimum quäle nos summumin vita bonum dicimus, illud autem, ut feriat, quasi seligendum, non expeten-dum . . ."

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folgen —, die beiden Sätze als Bestandteile des Textes anzuerken-nen. Ob man sich indessen einfach mit dem überlieferten Wortlautzufrieden geben darf, scheint fraglicher. Es wäre für die LeserCiceros nur dann möglich gewesen, in omnia facere, quae possit, utconliniet die Anspielung auf die Formel des Antipater zu entdecken,wenn sie die Formel (wie die modernen Philologen) gekannt hätten.Das aber konnte Cicero wohl kaum voraussetzen. Es empfiehlt sichdaher wahrscheinlich, den Text durch die Formel selbst zu ergän-zen : sicut nos ultimum in bonis dicimus < facere omnia quae possi-mus, ut adipiscamur principia naturae,) sie illi <dicendum> odervielleicht: sie ille (sc. dicat) facere omnia, quae possit, ut conliniet.

Madvig und Schiene haben für das überlieferte sed im zweitenTeil (mit Ernesti) sit geschrieben. Rieth hingegen wollte sed in sieändern — wie schon vor ihm Philippson vorgeschlagen hatte —,wohl um das von Madvig vermißte Korrelat zu ut enim herzustel-len20. Wenn sed beibehalten würde, wäre et tarnen ut omnia faciatabhängig von omnia sint facienda. Diese Konstruktion ergäbe, wieMadvig anführt, einen Sinn, der für ihn (neben allem, was sichgegen sed selbst einwenden ließe) Grund genug war, das überlie-ferte sed aufzugeben. Man würde die Stoiker nämlich, argumentierteMadvig, eine Ausdrucksweise verwenden lassen, wie sie Plutarchzum Spott gegen die Stoiker gebrauchte21. Plutarch (de comm. not.1071 C) behauptet in seiner Kritik, nach stoischer Lehre sei alleszu tun, damit man das Ziel treffe, aber nicht um des Treffenswillen, sondern um alles zu tun (damit man treffe). Da die Lesartsie zu der gleichen Konstruktion führen würde wie das überliefertesed, mußte Rieth sich mit diesem Argument Madvigs auseinander-setzen. ,,Aber der Stoiker Ciceros leugnet nicht so wie Plutarch,daß das Schießen um des Treffens willen geschehe", entgegnete er.Ausdrücklich würde nun der Stoiker gewiß nicht leugnen, daß dasSchießen um des Treffens willen unternommen wird — soweit hatRieth jedenfalls recht. Die Worte: et tarnen ut omnia faciat indessenergeben keinen vollständigen Sinn. Sie bedürfen zumindest einer

20 „Über das Telos der Stoiker" S. 27 und Anm. 4; „Das Sittlichschöne bei Pan-aitios" S. 3GO. Die „neuesten Herausgeber" vor Madvig, die dafür von ihmgetadelt werden (S. 379), nahmen keinen Anstoß an dem ohne Nachsatz über-lieferten ut enim, wie auch Pohlcnz gegen ut jedenfalls nichts einwendet. Offen-bar haben sie es als einfaches ut zur Einführung eines Beispieles aufgefaßt.

21 S. 381: „itaque (quamquam omnino non dicitur sie: facirnda Ä M M / «/ . rttanicn ut) incidcmus in illam formain, qua Plutan hum vidimus Stoit os inidete.ne quid de ipso sed dicam". Dagegen Rieth, „Über das Telos der Stoiker" S *J8.

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5 > . So r« t h

gedanklichen Ergänzung, l i ie r ließe sich aber ohne ausdrücklichenanderweitigen Zusatz nur „und nicht damit er trifft" ergänzen.

Die Frage ist, ob eine derartige Formulierung, eine solch ellip-tische Ausdrucksweise, die dem Leser, wenn er nicht angestrengtmitdenkt, nur fragmentarisch und unverständlich vorkommenmüßte, überhaupt möglich wäre. Pohlenz, der das überlieferte sedhalten will, versucht den Text denn auch durch eine ausdrücklicheErgänzung zu heilen22. Er schlägt vor: et tarnen, ut omnia faciatquo propositum adsequatur, <propter aliquam causam externamfieri possit ut id non adsequatur), sed hoc etc. und bemerkt dazu:„Die Ergänzung nach et tarnen sachlich unbedingt notwendig, vgl.Fin. 5, 20." Eine Ergänzung dürfte, wenn secL gehalten werden soll,unerläßlich sein; ob aber der Gedanke, den Pohlenz zu ihrem Inhaltmacht, „sachlich unbedingt notwendig" ist, mag man zweifelhaftfinden. Es ist nur allzu bekannt, daß der Erfolg trotz angestrengtenBemühens häufig ausbleibt. Das braucht nicht gesagt zu werden.Mit der vorgeschlagenen Konjektur würde sehr viel Gewicht aufeinen trivialen Sachverhalt gelegt, und der Sinn, den Pohlenzhaben möchte, käme doch nicht klar heraus. In de fin. 5, 20 heißtes nämlich, das bloße Streben sei schon das Gute, auch wenn derErfolg ausbleibt. Seine Konjektur ist auch sprachlich nicht rechtbefriedigend. U t omnia faciat, das offensichtlich die Parallele zu utferiat darstellen soll (hoc . . . illud autem), bekäme einen konzessivenSinn und würde sich so von seinem Gegenstück unterscheiden. DerAnschluß von hoc wäre auch weniger sicher und klar als im jetzigenText.

Die Konjektur Ernestis (sit für sed), die alle neueren Heraus-geber akzeptiert haben, ergibt einen einwandfreien Sinn. Dieseleichte Änderung wäre der umfangreichen Ergänzung von Pohlenzohnehin schon vorzuziehen. Außerdem kann man auf sit nicht ver-zichten — Phüippson schlug daher auch sie sit vor. Wenn sit näm-lich fehlte, würde gesagt, daß es das Ziel eines Bogenschützen sei,alles zu tun, um das Beabsichtigte zu erreichen. Das wäre abernicht das Ziel eines gewöhnlichen Bogenschützen, der es doch sichervorziehen und sein höchstes Gut darin sehen würde, zu treffen.Cicero nimmt hier nur an, alles zu tun, was er kann, um zu treffen,sei für den Bogenschützen das Ziel, damit auf diese Weise diestoische Ansicht vom höchsten Gut deutlich werde.

Aus diesem Beispiel erfährt man also, daß das höchste Gut nichtdarin besteht, das Naturgemäße zu erlangen — „zu treffen". „Alles22 Vgl. Anm. 19.

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tun, was man kann, um zu treffen" gilt im Beispiel als summumbonum. Dies bedeutet, auf die Formel des Antipater bertragen:es ist das h chste Gut, „alles zu tun, um das Naturgem e zuerlangen". Das Erlangen stellt kein Gut dar, denn es hei t imBeispiel, das „Treffen" sei auszulesen (seligendum), aber nicht „zuerstreben" (expetendum). Auszulesen aber hat man nur das „Vor-gezogene" (προηγμένοv), das Streben bleibt dem Guten vorbe-halten23.

Was m gen nun die Gr nde gewesen sein, die Antipater dazuveranla ten, da er in seiner zweiten Formel nicht mehr die Aus-lese des Naturgem en als T tigkeit nennt, sondern die Bem hung,das Naturgem e zu erlangen ?

Nachdem Rieth24 als erster versucht hatte, ein Motiv f r dieAufstellung der zweiten Formel zu finden, befa te sich auch Poh-lenz mit diesem Problem. Er kam zu dem Ergebnis, die Aufgabedieser Formel sei es gewesen, eine Frage des Karneades zu beant-worten25. „Aber hier (gemeint ist: im Zusammenhang mit derFormel des Diogenes) tauchte die Frage auf, ob es eben nur aufdiese Auswahl ( bersetzung f r εκλογή) ankomme, und Karneadeszog sofort die Folgerung, die Stoiker verlegten das Ziel des Men-schen ausschlie lich in das richtige W hlen und betrachteten denErfolg des Handelns und den Besitz der naturgem en Dinge alsunwesentlich." Auch gegen ber der ersten Formel des Antipaterblieb nach Pohlenz „Karneades' Frage bestehen, was der Sinn die-ser Auswahl sei, und ob sie selbst das Ziel bilde oder ob es aufdas Ergebnis der Auswahl und den Erfolg des Strebens ankomme."Die neue Formel des Antipater sollte „gerade diesen Punkt", d. h.ob sie selbst das Ziel bilde oder ob es auf das Ergebnis der Auswahlund den Erfolg des Strebens ankomme, „klarstellen".

23 Das Gute ist αίρετόν (SVF III 88) oder expetendum (SVF III 41 und 43),das εκλέγεσθαι bezieht sich auf das ττροηγμένον (SVF l 192). Bei Cicero wirddem expetere auch das sumere (und nicht wie hier seligere) gegen bergestellt :ut alia sumamus, alia expetamus (de fin. 4, 39 = SVF III 132). Nach riutarch(decomm.not. 1071 A/B = SVF III 195) m ssen εκλέγεσθαι (seligere) und λαμ-βάνειν (sumere) synonym gebraucht worden sein.

2* „ ber das Telos der Stoiker" S. 31—34 (vgl. dazu hier S. 63 — 68). HermannCohn (Anlipaler von Tarsos S. 65) erkl rte (mit Hinweis auf de f i n . 4, 4(\) nur.da Antipater die neue Formel anwandte, ,,um jedes Mi verst ndnis 711 bosntigen, zu dem vielleicht die erste Formel f hren konnte".

25 Die Stoa I S. 187/88. Milton Valcnte (L'eM?qnr utoicicnnc fhrr Orrr«u/. J'.msI960, S. 112/13) bernimmt diese These von Pohlenz.

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58 M. Sorelh

n läßt sich zunächst einwenden, daß die Formel des Anti-patt*r selbst tatsächlich keine Antwort auf die (von Pohlenz postu-liert t*) Innige des Karneades darstellt. Wenn die beiden anderenFormeln noch nicht klar zu erkennen gaben, ob die Auslese desNaturgemäßen oder das Naturgemäße selbst entscheidend sei, dannwar es aus der zweiten des Antipater genauso wenig zu entnehmen,worauf es ankommt, auf das Streben nach dem Naturgemäßenoder sein Erlangen. Diese Formel kann den Anschein erwecken,als ob das Erlangen des Naturgemäßen das Ziel sei, wie die beidenanderen den Eindruck machen können, das Naturgemäße sei dasZiel. Auch bei ihr war es nötig, ausdrücklich festzustellen, dasStreben und nicht das Erlangen des Naturgemäßen sei das höchsteGut, und Antipater scheint dies ja, schon nach Cicero zu schließen,auch getan zu haben. Pohlenz muß ferner voraussetzen, daß Anti-pater jenen Punkt nicht schon vorher, anhand der beiden anderenFormeln, geklärt hat. Das aber ist nicht eben wahrscheinlich, wieeine Stelle bei Plutarch zeigt.

Plutarch hält den Stoikern dort26 vor, es sei unsinnig, zwei Zieleaufzustellen, noch unsinniger aber sei es, etwas anderes als denBezugspunkt des Handelns zum Ziel zu machen. Den Stoikernbleibe keine andere Wahl, als entweder das eine oder das andereauf sich zu nehmen. Sie müßten entweder zwei Ziele oder ein vomBezugspunkt des Handelns verschiedenes Ziel ansetzen.

Wie der Vorwurf gemeint war, daß die Stoiker zwei Ziele anset-zen, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Man konnte ihnen diesen\;rorwurf sehr leicht machen, solange das Naturgemäße noch nichtin der Telosformel erwähnt wurde. Falls Plutarch an einen solchenälteren Einwand dachte, käme für die Formeln des Diogenes unddes Antipater nur noch der zweite in Betracht, während der erstesich gegen ein Stadium gerichtet hätte, in dem das Telos noch ohneBezug auf die ersten naturgemäßen Dinge formuliert war.

Pohlenz deutete den ersten Vorwurf anders. Der Einwand wurdenach ihm (auch) gegen die Formel des Diogenes erhoben27. ,, Dioge-nes erkannte in seiner Telosformel doch an, daß denOrientierungspunkt für das vernunftgemäße Wählen darstellen.Chrysipp selbst hatte bei der Lehre vom Kathekon die -

als Ausgangspunkt bezeichnet und unbefangen vorausgesetzt,daß der letzte Beziehungspunkt des Handelns mit dem Telos iden-

28 De comm. not. 1070 F—71 A.27 „Plutarchs Schriften gegen die Stoiker" S. 24 (Kleine Schriften I S. 471).

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tisch sei. Kam dann also die stoische Lehre nicht darauf hinaus,neben der ευλύγιστος εκλογή noch ein zweites Telos anzusetzen ?"Nach den von Pohlenz angedeuteten Prinzipien w re der Vorwurfin folgender Weise zu verstehen. Die Akademiker h tten den Stoi-kern vorgehalten, da sie das Naturgem e kraft ihrer Definition,das Telos sei dasjenige, worauf alles Handeln bezogen ist28, faktischzum Telos machen oder wegen jener Definition zum Telos machenm ten. Das eine Ziel w re dann das, von dem die Stoiker aus-dr cklich behaupten, es sei das Telos, die Auslese n mlich, unddas zweite das, was nach jener Definition als Telos zu gelten h tte:das Naturgem e. Falls die Stoiker sich beharrlich geweigert habensollten, auch das Naturgem e als Ziel anzuerkennen, w rde derandere Vorwurf relevant geworden sein, da sie entgegen jenerDefinition den Bezugspunkt des Handelns vom Telos trennen.

Die Akademiker m gen dem Diogenes tats chlich (und auch indieser Form) vorgehalten haben, er stelle zwei Ziele auf29. Nur l tsich das nicht aus der Plutarchstelle beweisen. Denn die erhaltenenReste des Textes geben zu erkennen, da Plutarch bez glich derFormeln des Diogenes und des Antipater nur den zweiten Vorwurfausgef hrt hat. Der letzte vollst ndig erhaltene Satz lautet: ει yapαυτά μεν (τα) πρώτα κατά φΟσιν (αγ)αθά μη εστίν, ή δ'εΟλόγιστοςεκλογή και λήψις αυτών και το ττάντα τα παρ' εαυτόν ττοιεΐν εκαστονένεκα του τυγχάνει ν των ττρώτοον κατά φΟσιν, έττ* εκείνο δει πάνταέχει ν τα πραττόμενα την άναφοράν, το τυγχάνει ν των πρώτων κατάφυσιν. ,,Wenn die ersten naturgem en Dinge selbst keine G tersind, ihre vern nftige Auslese aber und ihr Nehmen, und da jederalles tut, um die ersten naturgem en Dinge zu erlangen (sc. gutist), dann mu alles Handeln auf jenes Bezug haben, auf das Er-langen der ersten naturgem en Dinge." Um den Stoikern zweiZiele nachzuweisen, h tte Plutarch nicht zu erw hnen brauchen,da die ersten naturgem en Dinge keine G ter sind. Diese alsPr misse f r einen solchen Schlu berfl ssige Angabe hat nurdann einen Sinn, wenn Plutarch mit ihr einen Schlu auf die Tren-«8 Stob. II 46. 8 (= SVF III 2). Das Telos ist: εφ* δ πάντα τα εν τφ βίω -η-ρσττό-

μενα καθήκοντος την άναφοράν λαμβάνει, αυτό δ* έττ* ουδέν.29 Nur kaiin Cicero bei dem Irrtum, den er in 3, 22 bespricht, nicht gut an einen

solchen Einwand gedacht haben. Er hatte ja gerade kurz zuvor in 22 ausdr ck-lich erkl rt, die Pflichten bez gen sich auf das Erlangen dos Naturgem en,aber nicht so, da dies das h chste Gut w re (ncc tarnen u t h r sit bonorumultimum). Es bestand also kein Grund zu der f lschlichen Annahme, die nn1mgem en Dinge m ten einfach schon deswegen, weil sie das Piinzip der Pf luh-ten (und damit der Bezugspunkt allen Handelns) sind, auch als Telos gelten

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(iO M. Sort i l l i

nimtf dos Zieles vom Hezutfspnnkt des Handelns einleiten wollte30.Sie soll offenbar besagen, da f r die Stoiker das Naturgermi enicht das Telos darstellt. Alles Handeln aber richtet sich auf daserste Naturgem e, das kein Gut (und damit auch nicht Telos) ist,weil das Gute darin besteht, das erste Naturgem e auszulesenoder alles zu tun, um es zu erlangen, erf hrt man weiter. Nunkonnte Plutarch schon den Schlu ziehen, da die Stoiker etwasanderes zum Ziel haben als den Bezugspunkt des Handelns, n m-lich „ihre Auslese und nicht diese selbst" — sc. die ersten natur-gem en Dinge — (την τούτων εκλογή ν καΐ μη ταύτα)31. Das sinddie Worte, mit denen der Satz endet32.

In dem anschlie enden Satz wird dann best tigt, da die Ausleseund nicht die ersten naturgem en Dinge das Telos bildet: τέλοςμεν γαρ το εκλέγεσθαι και λαμβάνειν εκείνα φρονίμοος, εκείνα δ' αΟτάκαι το τυγχάνει ν αυτοον οΟ τέλος, αλλ' οοσττερ ύλη τις υπόκειται τηνεκλεκτική ν άξια ν έχουσα. ,,Telos ist es n mlich, jene vern nftigauszulesen und zu nehmen; jene selbst aber und ihr Erlangen sindnicht Telos, sondern liegen (dem Handeln) als eine Art von Materiemit eklektischem Wert zugrunde/' Wie Plutarch erkl rt, haben dieStoiker selbst „den Unterschied'' (gemeint ist wohl der Unterschiedzwischen der Auslese als dem Ziel des Handelns und den erstennaturgem en Dingen als einer Art von Materie, die dem Handelnzugrunde liegt) auf gewiesen.

Hier stellt Plutarch nun mit aller Deutlichkeit fest, da nicht dieersten naturgem en Dinge und ihr Erlangen, sondern die Auslesedas Telos bildet. Dabei ber cksichtigt er ausdr cklich die Formeldes Diogenes (εκλέγεσθαι . . . εκείνα φρονίμοος)- Demzufolge ist wahr-30 Pohlenz hat eine Verbesserung des korrupten Satzes vorgeschlagen, nach der

zuerst der Vorwurf zweier Ziele und dann der einer Trennung des Zieles vornBezugspunkt des Handelns ausgef hrt worden w re (,,Plutarchs Schriften gegendie Stoiker" S. 25 [Kleine Schriften I S. 472] und Plutarchi Moralia Vol. VI,Fase. II, Lipsiae 1952, p. 88). Bei dieser Rekonstruktion bleiben die Worte:,,Wenn die ersten naturgem en Dinge keine G ter sind", ohne jede Funktion.

31 Dementsprechend w re der Text etwa so zu erg nzen: είττερ γαρ οΐονταιμη στοχαζομένους μηδ* έφιεμένον/s του τυχεΐν εκείνων το «(πάντα τα τταρ1 έαυτοί/sΊΓΟίεϊν αγαθόν είναι, όμολογουσι> τέλος εχειν άλλο, ένεκα οδ δει άναφέρεσθαι<ττάντα τα ττραττόμενα έττί τα ττρώτα κατά φύσιν>, την τούτων εκλογή ν καΐ μηταύτα.

32 Die Worte, mit denen der korrupte Satz schlie t, verbieten auch die (an sichund sonst) noch m gliche Annahme, da Plutarch an erster Stelle den zweitenund an zweiter Stelle den ersten Vorwurf behandelt h tte. Denn da ,,die Aus-lese und nicht diese selbst" das Telos ist (was dem anschlie enden Satz zufolgegemeint war), pa t ja nicht in das Ergebnis eines Schlusses auf zwei Ziele.

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scheinlich schon anhand der Diogenesformel gekl rt worden, „wor-auf es ankommt". Wollte man die These von Pohlenz aufrecht-erhalten, m te man annehmen, da Plutarch die erst sp ter dar-gelegte Ansicht des Antipater hier auf die Diogenesformel r ck-projiziert hat33. Das ist nicht ausgeschlossen, aber auch nicht geradewahrscheinlich. Plutarch beruft sich n mlich, um die Ansicht derStoiker zu belegen, die ersten naturgem en Dinge seien eine Artvon Materie f r das Handeln, au erdem noch auf den Terminus:εκλεκτική αξία, den Antipater (nach Stobaeus) einf hrte34. Danachscheint Plutarch es f r den Sinn der εκλεκτική αξία gehalten zuhaben, da die naturgem en Dinge nur im Hinblick auf die Aus-lese von Belang sind und da ihr Wert darin besteht, die Auslesezu erm glichen. Diese Deutung ist wohl richtig. Es d rfte jedenfallsschwer halten, eine bessere zu finden35. Der Ausdruck: εκλεκτικήαξία w rde danach also ebenfalls erkl ren, worauf es ankommt. Sollman nun wirklich glauben, Antipater habe diesen Terminus erstin Zusammenhang mit seiner zweiten Zielbestimmung, die ohnedas εκλέγεσθαι formuliert ist, aufgebracht und ihn nicht vielmehrschon zur Erl uterung der beiden anderen Formeln benutzt, diedas εκλέγεσθαι oder die εκλογή enthalten ?33 Pohlenz h lt die Theorie, die naturgem en Dinge seien die Materie des Han-

delns, f r die "wahre Ansicht des Antipater: „Die zweite M glichkeit entsprichtAntipaters wahrer Ansicht (Cicero F. 3, 6l), und die letzten Worte (Pohlenzmeint: τέλο$ μεν yorp κτλ.) sollen zeigen, da er, wenn er die φρόνιμος εκλογήals Telos festh lt, die "πρώτα κατά φύσιν als Zweck des Vernunfthandelns auf-gibt und sie im Widerspruch mit sich selbst ( ?) zum blo en Stoff des Handelnsherabdr ckt" (,,Plutarchs Schriften gegen die Stoiker" S. 25 [Kleine Schriften IS. 472]). Demnach sieht Pohlenz die Worte: TO TO μεν γαρ κτλ. als blo e Kon-sequenz an. Anders l t sich auch kaum seine Annahme erkl ren, da Karneadesdie Folgerung gezogen habe, ,,die Stoiker verlegten das Ziel ausschlie lich indas richtige W hlen und betrachteten den Erfolg des Handelns . . . als un-wesentlich" (Die Stoa S. 187). Sie mu wohl auf diese Stelle zur ckgehen. I>aw re aber zu fragen, wie es denn die sprachliche Form jener Worte erlaubt, sieals blo e Konsequenz zu deuten ?

34 Stob. II 83, 13 (= SVF III Antipater Nr. 52).35 So fa te Pohlenz den Terminus fr her offenbar auch auf: „Speziell der Tor-

minus εκλεκτική αξία zeigt, da Antipater den Eigenwert des Naturgem ennicht anerkennt, sondern dessen Wert wieder aus der 'Auswahl' ableitet, alsoden Zweck des Vernunfthandelns in dieses selbst zur ckverlegen m chte."(„Plutarchs Schriften gegen die Stoiker" S. 25 [Kleine Schriften l S. 427]). Wiees scheint, nderte er sp ter diese Auffassung: ,,Er verstand darunter den Wert,den die Dinge erst dadurch erhalten, da wir sie aus den Adiaphora als unsererNatur entsprechend ausw hlen" (Die Sloa \ S. 187). Diese u erung besagtentweder, da wir jenen Wert sozusagen durch die Auslese stiften Das d riteaber nicht der Sinn des ,,eklektischen Wertes" gewesen sein Wenn er n mlit h

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62 M. Soretli

Auch die bei Plularch dann folgende Polemik36 spricht nicht fürdie Annahme, daß Antipatcr die Klärung jenes Punktes unterlassenhätte, bis er die neue Formel aufstellte.

Plutarch beginnt diese Polemik mit der Behauptung, die Stoikerhätten ,,die Paradoxie zusammen mit der Definition übertragen"( TCO Aoyco), d. h. sie hätten sie mit indie neue Bestimmung hineingenommen, anstatt sie aufzugeben.Die Paradoxie ist die Verkehrung von Mittel und Zweck, die sichergibt, wenn die Auslese und nicht das Ausgelesene (die natur-gemäßen Dinge) das Telos ist. Die Auslese stellt dann den Zweckdar und die naturgemäßen Dinge das Mittel, während man norma-lerweise bei einer ,,Auslese des Naturgemäßen" in der Auslese dasMittel, und dem Naturgemäßen den Zweck sehen würde37. DieDefinition, in die hinein die Paradoxie übertragen worden seinsoll, ist die zweite des Antipater, die Plutarch anschließend behan-delt. Plutarch erläutert ihre, wie er meint, Absurdität an dem.Beispiel des Bogenschützen. Jemand, sagt Plutarch, der behauptenwolle, er tue alles, was in seiner Macht steht, nicht um das Zielzu treffen, sondern um alles zu tun, würde ,,rätselvolle und mon-ströse" Ausführungen machen. Plutarch (oder vielmehr Karneades,dem er in dieser Polemik folgt) dürfte sich aus dem Grunde berech-tigt gefühlt haben, das Verfahren dessen, der nach der Formel desAntipater lebt, in dieser Weise zu beschreiben, weil die Stoikerlehrten, das Telos sei dasjenige, um dessentwillen alles getan wird38.Wenn also ,,alles zu tun, um das Naturgemäße zu erlangen" dasZiel ist und nicht das Erlangen des Naturgemäßen, dann mußtatsächlich alles getan werden, damit alles getan werde.

Da die Polemik gegen die Formel des Diogenes — auf sie ist dasberühmte Beispiel gemünzt, daß nach stoischer Lehre die Gesund-

durch die Auslese geschaffen würde, müßte man ja Beliebiges (und nicht bloßdas Naturgemäße) auslesen und ihm damit eklektischen Wert verleihen können.Oder sie besagt, daß wir die naturgemäßen Dinge durch die Auslese als natur-gemäß anerkennen. Dann aber — wenn die Funktion der Auslese die Anerken-nung des Naturgemäßen ist — wäre es nicht nötig gewesen, eigens den Begriffder einzuführen. Die Naturgemäßheit als Wert hätte genügt.

36 1071 Cr- ,.37 Ebendies erklärt auch, weshalb die Definition des Diogenes den Anschein er-

wecken kann, als ob das Naturgemäße das Ziel sei.38 Stob. II 46, 5 = SVF III 2. — Streng genommen handelt es sich nicht um

genau die gleiche Paradoxie, wie sie die Formel des Diogenes enthält. Hier wirdnämlich etwas zum Ziel erhoben, was sonst nur Mittel ist (,,alles zu tun, umetwas zu erlangen"), ohne daß doch der Zweck, dem dieses Mittel nach dergewöhnlichen Vorstellung dient, zum Mittel gemacht würde.

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heit für die Nieswurz da ist, und nicht die Nieswurz für die Ge-sundheit — voraussetzt, daß die Auslese zum Ziel erklärt wordenist, müßte diese Polemik wieder rückwirkend erfolgt sein, wennPohlenz' These richtig sein soUte. Plutarch hätte ferner den Stoi-kern zu Unrecht den Vorwurf gemacht, daß sie die Paradoxieübertragen, anstatt sie aufzugeben. Diese Paradoxie wäre nachPohlenz ja erst mit der zweiten Formel des Antipater geschaffenworden. Denn solange noch offen war, ob nicht vielleicht doch dienaturgemäßen Dinge das Telos darstellen, hätte sie nicht wirklich(höchstens latent) bestanden.

Wahrscheinlicher als die Annahme, die man machen müßte, umdie These von Pohlenz zu halten, ist wohl die, daß Antipater schonin bezug auf die beiden „Auslese"-Formeln klarstellte, worin wirk-lich das Ziel besteht. Die andere Annahme aber würde der Poh-lenzschen These auch wenig helfen. Denn aus der Plutarchstellegeht doch wenigstens dies ganz deutlich hervor: Antipater konnteohne Mühe bezüglich der beiden anderen Formeln klären, woraufes ankommt. Welcher Anlaß sollte also in diesem Problem für ihnbestanden haben, die neue Formel einzuführen39? Bedenkt manweiter, daß diese Formel, wie schon gesagt, keine Antwort auf dieFrage gibt, ob das Naturgemäße oder das Streben danach entschei-dend ist, sondern selbst einer diesbezüglichen Erklärung bedarf,dann wird die Pohlenzsche These kaum noch Überzeugungskraftbehalten.

Vor Pohlenz hatte Rieth in der sogenannten Carneadea divisio40

den Grund für die Entstehung der neuen Formel gesucht. AuchPohlenz fand dann an dieser Stelle ein zusätzliches Motiv.

Die Stoa habe ausdrücklich bestritten, sagt Rieth41, daß dieTugend mit einer verglichen werden dürfe —

80 Die gleichen Argumente lassen sich auch gegen eine frühere Version bei Pohlenzvorbringen. Er hatte früher („Plutarchs Schriften gegen die Stoiker" S. 24[Kleine Schriften I S. 471]) die Entstehung der zweiten Formel aus dem Vor-wurf zweier Ziele zu erklären versucht (vgl. S. 58). Es war anscheinend seineMeinung, daß Antipater sich mit seiner Formel gegen ein zweites Telos entschiedund damit den Vorwurf auf sich nahm, das Ziel vom Bezugspunkt des Handelnszu trennen. Setzt man einmal mit Pohlenz voraus, Antipater sei in be/ug aufdie Formel des Diogenes zu einer Wahl zwischen den beiden Möglichkeit011aufgefordert worden, dann hätte er seine Wahl doch wahrscheinlich früher getroffen, und (was wichtiger ist), er hätte sie jedenfalls trofien können, ohne «honeue Formel einzuführen.

40 De fin. 5, 10—22.« „Über das Telos der Stoiker" S. 32.

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64 M. Soroth

d.h. mit einer Kunst, wie der Medizin und hnlichen, bei denen diekorrekte Aus bung nicht unter allen Umst nden den Erfolg herbei-f hrt . „Wenn nun trotzdem", meint Rielh, „Antipater das Ziel derWeisheit so beschreibt, als ob sie eine στοχαστική τέχνη w re, soist die Folgerung notwendig, da er es in polemischer Absicht tat".Kieth zieht seine Folgerung aus der, wie es ihm scheint, Diskrepanzzwischen der Formel des Antipater und der Meinung seiner Schule,nach der ein Vergleich der Weisheit mit der Medizin und hnlichenK nsten nicht erlaubt sei. Es w re jedoch zu fragen, ob die Formeldes Antipater wirklich jener stoischen Ansicht widerstreitet. DieStoiker haben n mlich nicht jeden Vergleich der Weisheit mit denστοχαστικαί τέχναι schlechthin abgelehnt. Sie dachten, wenn siediesen Vergleich zur ckwiesen, vielmehr an eine ganz bestimmteAuffassung dieser K nste, die ihnen wohl auch allein bekannt war.

In de fin. 3, 23 hei t es, die Weisheit sei der Medizin oder derSteuermannskunst deswegen un hnlich, weil das „ u erste" (ex-tremum) der Weisheit, das von ihr „Bewirkte" (artis effectio, gr.wohl έργου), innerhalb und nicht au erhalb ihrer T tigkeit liege42.Diese Stelle, auf die sich auch Rieth bezieht, zeigt, da die Stoikerdie Medizin und die Steuermannskunst als τέχναι ansahen, derenBet tigung nicht schon das „ u erste" enth lt und deren Zielsich au erhalb ihrer T tigkeit befindet. Nimmt man nun mit Riethan — und man hat das Recht zu dieser Annahme43 —, da „allestun, was in der eigenen Macht steht, um das Naturgem e zuerlangen", das Ziel der Weisheit beschreiben soll, dann vergleichtAntipater doch nicht die Weisheit selbst mit jenen K nsten. Denner beschreibt das Telos, das Ziel der Weisheit, als eine Bet tigung,die wiederum nur die Bet tigung der Weisheit sein kann. IhreT tigkeit w re danach also zugleich auch ihr Ziel. Die Weisheitbliebe somit von den anderen K nsten verschieden, die (nach derAuffassung, welche die Stoiker voraussetzen) ein au erhalb ihrerT tigkeit hegendes Ziel verfolgen.

Die Stoiker der Schule des Diogenes zumindest lehrten (nach defin. 3, 23) ausdr cklich, da die Weisheit von den ersten natur-42 Nee enim gubernationi aut medicinae (sapientiam) similem esse arbitramur, sed

actioni illi potius, quam modo dixi et saltationi, ut in ipsa insit, non foris petaturextremum, id est artis effectio.

43 Da die φρόνησις, die Weisheit, die Lebenskunst ist, durch die wir allein weise(σοφοί) und tugendhaft (καλοί) werden (Sextus Empiricus adv. math. XI 170= SVF III 598), mu das Telos, das ja dem Leben gem der Tugend gleich-kommt (S VF III 16), auch das Telos dieser Kunst sein.

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gem en Dingen ausgeht (und sich folglich auch auf sie bezieht).Sie ist also an einem u eren Objekt orientiert. Demnach h ttensich die Stoiker gegen einen Vergleich der Weisheit mit der Medizinund hnlichen K nsten nicht deshalb verwahren k nnen, weil dieseK nste auf ein u eres Objekt bezogen w ren. Denn auch nachstoischer Lehre bezieht sich die Weisheit auf ein solches Objekt44.Ebensowenig w re es f r die Stoiker m glich gewesen, die Weisheitvon den στοχαστικαι τέχναι zu unterscheiden, wenn ihnen eineAuffassung jener K nste vorgelegen h tte, nach der diese zwar aufeinen u eren Gegenstand gerichtet sind, ihr Telos aber in ihrerT tigkeit finden45. So verstehen sie ja selbst die Weisheit. WillRieth also (was anscheinend der Fall ist) Karneades daf r ver-antwortlich machen, da Antipater das Ziel wie eine στοχαστικήτέχνη beschreibt und der Weisheit damit ein Objekt vorgibt, andem sie orientiert ist, dann geht er fehl. Denn schon nach derFormel des Diogenes war die Weisheit auf ein solches Objekt be-zogen. Antipater folgt hier nur seinem Lehrer Diogenes.

Die Einteilung aller m glichen Lebensziele, die auf Karneadeszur ckgeht, beginnt bei Cicero mit der grundlegenden Feststellung,da keine Kunst sich in sich selbst bewege und aus sich selbsthervorgehe46. Man habe — dies sei offensichtlich — zu unterschei-den zwischen der Kunst und ihrem Gegenstand (propositum)47. Es44 Daher ist auch der Vergleich der Weisheit mit der Tanzkunst und der Schau-

spielkunst, die f r die Stoiker nicht auf ein u eres Objekt bezogene K nste ge-wesen sein m ssen (anders anscheinend f r Karneades nach de fin. 5, 16), proble-matisch. Das wu ten die Stoiker offenbar auch selbst, denn sie behauptetenvorsichtig nur, die \Veisheit sei „eher" (potius) mit der Tanz- oder Schauspiel-kunst zu vergleichen. So sagte Cohn (Antipater von Tarsos S. 56 Anm. 3) richtig:,.als einigerma en, aber doch nicht ganz zutreffend (wird) der (Vergleich) mitder Tanz- oder Schauspielkunst hingestellt".

45 Alexander von Aphrodisias zog die M glichkeit in Betracht, da το όπτοττληρώ-σαι τα τη$ τέχνης das Ziel der στοχαστικά! τέχναι sein k nnte und nicht τοτύχει ν του -προκειμένου (Quaestiones [ed. Bruns] S. 61, 23 = SVF III 10).Als m gliche Definition f r das Telos der στοχαστικαΐ τέχναι bezeichnet orauch: το ττάντα τα τταρ' αυτάξ ττοιεΐν ττρό* το τοο προκειμένου τυγχάνει ν(Quaestiones S. 61, 4 = SVF III 19).

4« De fin. 5. 16.47 Rieth (,,Uber das Telos der Stoiker" S. 32 Anm. 3) bemerkte, hier, wie am h in

de fin. 3, 22, sei propositum die bersetzung von ττροκείμενον. l>iesen Ausdnu kidentifizierte Rieth mit σκοττό$, und zwar deswegen, weil Stobaeus den <τκοττό$als το ττροκείμενον ε!$ το τυχεΤν definiert (ΤΙ 47, 8) und den Ausdruck ττροκί iμενον auch zur Definition des Telos verwendet: τέλος 5* <ήΝ του ττροκπμίνουτεϋξι$· M gen σκοττός und ττροκείμενον auch nah«· verwandt, j;» ausl:m··.« hb.nsein, so ist doch die Identifizierung dieser Ausdr cke ni« hl ohne \vntcri·«« ci

5 Afcb. Cic«ch. PhiloMiphir. M. 50 Brought to you by | St. Petersburg State UniversityAuthenticated | 134.99.128.41

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ί)Γ) Μ. So reih

sei nun notwendig, erkl rt Cicero weiter, da auch die Lebenskunst,dir prndentia, wie die Steuermannskunst oder die Medizin, durchirgendeine Sache konstituiert werde und aus ihr hervorgehe.

Pohlenz18 glaubte diesen Bemerkungen entnehmen zu k nnen,Karneadcs habe f r jede Kunst die Verwirklichung eines au erhalbihrer selbst liegenden Zweckes gefordert. Darin sah er einen An-griff auf die Stoa, zu dessen Abwehr die Formel des Antipater,wie er sagte, dienen sollte. Ihre Aufgabe m te es dann (nachPohlenz) gewesen sein, dem Karneades zu demonstrieren, da dieWeisheit zwar auf einen u eren Gegenstand, die naturgem enDinge, bezogen sei, diesen Gegenstand aber nicht zu verwirklichenbrauche.

Wenn sich vielleicht auch aus dem, was Cicero hier sagt, heraus-lesen l t, Karneades habe f r jede Kunst die Verwirklichungihres Gegenstandes gefordert, so behauptet Cicero dies doch jeden-falls nicht ausdr cklich. Wie sp tere Angaben Ciceros zeigen49, istes auch recht unwahrscheinlich, da Karneades sein System allerm glichen Lebensziele auf diese Forderung gr ndete. Karneadesteilte n mlich die m glichen Ansichten ber das Lebensziel insolche ein, nach denen alle Pflichten darauf bezogen sind, denGegenstand der Lebenskunst zu erreichen, und solche, nach denendas Ehrenhafte (honestum) und Gute aus dem Gegenstand derLebenskunst hervorgeht, der aber nicht erreicht (und damit auchnicht verwirklicht) zu werden braucht. Dieser zweiten Art ent-sprechende Lebensziele w ren aber nicht m glich und vertretbar,wenn jede Kunst ihren Gegenstand auch verwirklichen m te.Karneades d rfte demnach die Forderung, der Gegenstand einerjeden Kunst sei zu verwirklichen, nicht zur Grundlage seines

laubt. Denn der Terminus: σκοπός selbst war, wie auch diese Stobaeusstelle•wieder zeigt, in seinem Verh ltnis zum τέλος fixiert. Das gilt aber nicht selbst-verst ndlich auch f r den Ausdruck: ττροκείμενον, mit dessen Hilfe der σκοπόςdefiniert wird. Antipater kann also sehr wohl f r die naturgem en Dinge denAusdruck: ττροκείμενον gebraucht und damit eine Abweichung von der Ter-minologie seiner Schule vermieden haben.

48 ,,Plutarchs Schriften gegen die Stoiker" S. 24 (Kleine Schriften I S. 471): „Das(sc. das Ziel im vern nftigen Streben ohne R cksicht auf den Erfolg zu sehen)sei aber unhaltbar (sc. stellte Karneades fest), da die Lebenskunst wie jedeandere Techne ihren Wert darin haben m sse, da sie auf einen σκοπός abziele,ein bestimmtes Ziel verwirklichen wolle." Vgl. Die Stoa I S. 187. Das war auchdie Auffassung von Bonh ffer (Die Ethik des Stoikers Epiktet S. 179): „Karnea-des . . . hat den allgemeinen Satz aufgestellt, da keine Kunst, folglich auchnicht die Lebenskunst, oder Weisheit ihr Ziel in sich selber habe."

49 De fin. 5, 19/20.

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Systems gemacht haben. Diese Forderung hätte ihn nämlich daranhindern müssen, die Ansichten über das Lebensziel von der zweitenArt (zu denen die stoische gehört) in sein System mit einzubezie-hen. Da er diese Ansichten aber in seine Einteilung aller möglichenLebensziele aufnahm, kann er wohl nur behauptet haben, es seinotwendig, daß jede Kunst aus einem Gegenstand hervorgeht, nichtaber, daß sie ihn auch verwirklicht50. Das Grundprinzip der Car-neadea divisio würde so nicht der stoischen Auffassung von derWeisheit widerstreiten, und es war wohl auch nicht als Angriff aufdie Stoa seiner Zeit gedacht51.

Wie Cicero weiter sagt, kommt nach Karneades nur ein Objektdes ursprünglichen Begehrens als propositum der Lebenskunst inFrage. Die einzig möglichen Objekte für das ursprüngliche Begeh-ren sind nach Meinung des Karneades die Freiheit von Schmerz,die Lust und die ersten naturgemäßen Dinge. Die Stoiker als ein-zige haben nun das Gute darin gesehen, alles für ein solches Objektdes ursprünglichen Begehrens, für das Naturgemäße, zu tun, auchwenn man es nicht erreicht. Niemand war jemals der Meinung, essei das Gute, alles um der Lust oder der Schmerzfreiheit willen zutun, auch wenn man sie nicht erreicht oder erreichen kann. Ari-stipp, der die Lust, und Hieronymus, der die Schmerzfreiheit alshöchstes Gut ansah, haben demnach das Erreichen der Lust bzw.der Schmerzfreiheit zur Pflicht gemacht. Karneades schließlich ver-trat in der Diskussion (disserendi causa) eine Formel, nach der dashöchste Gut in dem Erreichen des ersten Naturgemäßen besteht.Er verteidigte die Ansicht, es sei das Telos, ,,die ersten naturgemä-ßen Dinge zu genießen" (sententia . . . fruendi rebus iis, quas pri-mas secundum naturam esse diximus)52.

Rieth53 vermutete, Antipater habe seine Formel vielleicht „alsWaffe" gegen Karneades benutzen wollen. Anscheinend sollte sie60 Das meinte anscheinend auch Rieth („Über das Telos der Stoiker" S. 33).51 In der Formulierung: nullam artem ipsam in se versari (16) dürfte freilich eine

Kritik an den Stoikern liegen, nach denen die Weisheit als einzige Kunst „inse tota conversa est" (3. 24). Karneades wollte den Stoikern damit wohl dasRecht streitig machen, die Weisheit, die ja immerhin auf einen äußeren Gegen-stand bezogen ist, als eine Kunst zu bezeichnen, die sich ganz in sich selbstbewege.

52 Vgl. Luc. 131: introducebat etiam Carneades, non quo probaret sed ut opponerotStoicis, summum bonum esse frui rebus iis quas primas natura conoilia rissetNach Luc. 139 verteidigte er die Ansicht des (Deinomachos und) Kalliphon. iuu hder die Lust und die Tugend das höchste Gut ist, mit solrliom Eifer, <1aU rs s»»aussah, als ob er selbst dieses Ziel gebilligt habe.

53 „Über das Telos der Stoiker" S. 34.

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dem Karnoaclos die Folgen der von ihm in der Diskussion vertei-digten Ansicht über das höchste Gut demonstrieren. „Antipaterhat wohl ausgeführt", meinte Rieth, „daß Karneades selbst demmenschlichen Handeln keine andere Aufgabe stellte, als eben alleKräfte anzustrengen. Aber während Karneades die menschlicheKuduimonia den Launen des Zufalls ausliefert, weil er einen Zweckansetzt, den der Mensch aus eigener Kraft nicht erreichen kann,vermag die Stoa die Unabhängigkeit der menschlichen Eudaimoniazu retten. Denn, so lehrt sie, dadurch daß der Mensch alles tut,was in seiner Kraft steht, erreicht er das Ziel, die Homologia."Der Gewinn und der Besitz der ersten naturgemäßen Dinge ist,was auch Karneades selbst nicht verborgen geblieben sein kann,in gewissem Maße den Launen des Zufalls ausgesetzt. Es fragt sichnur, ob damit auch schon die Eudaimonie den Launen des Zufallspreisgegeben wäre. Karneades jedenfalls — Rieth verweist selbstdarauf — hat in der Diskussion die Ansicht verteidigt, daß dieTugend hinreichend Schutz für die Glückseligkeit biete, worinimmer auch das höchste Gut gesehen werde54. Dies wäre gewißauch für die ersten naturgemäßen Dinge als höchstes Gut gültig.Wie hätte Antipater da erwarten dürfen, daß sich Karneades vonseiner Formel als Waffe getroffen fühlen würde? Sie konnte nurjemanden schrecken, der wie die Stoiker die Überzeugung hegte,die Eudaimonie sei schon in Gefahr, wenn etwas zu ihr beitrüge,das irgend äußeren Einflüssen ausgesetzt wäre.

Die Carneadea divisio scheint also kaum den Anstoß zu derneuen Formel des Antipater gegeben zu haben. Gleichwohl ist siefür die Frage nach dem Motiv nicht belanglos. Es hieß dort55, dieStoiker hätten gelehrt: ,,Alles zu tun, damit wir das Naturgemäßeerlangen, auch wenn wir es nicht erreichen, sei das Ehrenhafte unddas allein für sich Erstrebenswerte und das einzige Gut" (facereomnia, u t adipiscamur quae secundum naturam sint, etiam si eanon assequamur, id esse et honestum et solum per se expetendumet solum bonum).

Hier hat Karneades darauf hingewiesen, daß man nach stoischerLehre das Naturgemäße nicht zu erreichen braucht, um das höchsteGut zu erwerben. Ob die Stoiker das jemals selbst ausdrücklichbehauptet haben, mag dahingestellt bleiben. Es ergibt sich aber64 Tusc. 5, 83: quaecumque dissentientium philosophorum sententia sit de finibus.

tarnen virtus satis habeat ad vitam beatam praesidii, quod quidem Carneademdisputare solitum accepimus.

55 De fin. 5, 20.

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als legitime Konsequenz aus der zweiten Formel des Antipater,wie er selbst sie verstand. Wenn das höchste Gut nämlich darinliegt, alles zu tun, was in der eigenen Macht steht, um das Natur-gemäße zu erlangen, dann läßt sich das Ziel auch ohne das Erlan-gen des Naturgemäßen erreichen. Eben dadurch unterscheidet sichdie zweite Formel des Antipater von den beiden anderen. Das Zielbestand nach diesen beiden Formeln, wie sie Antipater deutete, inder Auslese der naturgemäßen Dinge (und nicht in den natur-gemäßen Dingen selbst). Die Tätigkeit des Auslesens war also dasTelos. Für diese Tätigkeit müssen die naturgemäßen Dinge aberzur Verfügung stehen. Man hat sie zu erlangen, damit die Auslesevollzogen werden kann. Wenn die naturgemäßen Dinge selbst auchgleichgültig bleiben, so setzt doch der Akt der Auslese ihr \>brhan-densein als Bedingung voraus. Anders steht es mit der zweitenFormel des Antipater. Die Tätigkeit, die nach ihr das Ziel bildet,ist auf das Vorhandensein des Naturgemäßen nicht mehr angewie-sen. Das höchste Gut läßt sich dieser Bestimmung des Lebenszieleszufolge erwerben, ohne daß die naturgemäßen Dinge erlangt wer-den.

Hat man sich diesen Unterschied zwischen der zweiten Formeldes Antipater und den beiden anderen56 erst einmal bewußt ge-5e Rieth war sich offenbar über diesen Unterschied nicht im klaren, denn sonst

hätte er nicht auf den Gedanken kommen können, ,,die Telosformel, die unsereÜberlieferung dem Antipater zuschreibt, habe er selbst gar nicht vertreten, siewerde ihm nur deshalb gegeben, weil Karneades sagte, dies sei tatsächlich derSinn der stoischen Lehre" (,,Uber das Telos der Stoiker" S. 34). Das, was Kar-neades in der Hinteilung aller möglichen Lebensziele, wie sie bei Cicero vorliegt,über den Sinn der stoischen Lehre sagt, setzt eindeutig die zweite Formel desAntipater voraus. Karneades behauptet dort ja nicht, die naturgemäßen Dingeseien ein Zweck, ,,dessen Erreichen gleichgültig wäre", wie Rieth anscheinendmeint. Diese Formulierung würde auch für die beiden anderen Formeln zutref-fen — auch nach diesen Formeln (in der Deutung des Antipater) ist das Natur-gemäße ein Zweck, ,,dessen Erreichen gleichgültig wäre". Gleichwohl muß die-ser Zweck bei ihnen erreicht werden. Was Karneades hingegen wirklich behaup-tet, nämlich, es sei das Gute, alles zu tun, um das Naturgemäße zu erlangen,auch wenn man es nicht erreicht, paßt nur auf die zweite Formel des Anti-pater und nicht auf die beiden anderen. Pohlenz, der zwar ausdrücklich angil 1.in der Carneadea divisio sei die zweite Formel des Antipater gemeint (Die Stoa \ \S. 96), scheint es ebenfalls für möglich gehalten zu haben, daß die Darstellungder stoischen Lehre dort auch für die anderen Formeln gilt. Er gibt nämlichkeine Erklärung darüber ab, wie denn die (auf die Formel des Antipater In«zogene) Carneadea divisio ein Motiv für die Entstehung dieser Formel enthaltenkönne. Diese Frage hätte er doch behandeln müssen, wenn ihm bewußt gewesenwäre, daß sich das, was Karneades dort den Sinn der stoischen Lebte nennt,nur auf die zweite Formel des Antipater beziehen kann.

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macht, dann ist es nicht mehr schwierig zu vermuten, weshalbAntipater diese Formel aufstellte. Anscheinend war es seine Ab-sicht, eine von der Verf gbarkeit der naturgem en Dinge unab-h ngige Bet tigung zum Ziel zu machen. Wenn n mlich das Zielin einer von den naturgem en Dingen abh ngigen T tigkeit liegt,dann hat dies die Folge, da auch die Eudaimonie, die sich alsWirkung des h chsten Gutes einstellen soll, von den naturgem enDingen (die selbst nicht das Ziel sind) abh ngig wird. Die Abh n-gigkeit der Auslese von dem Vorhandensein der naturgem enDinge war also eine Gefahr f r die Autarkie der Gl ckseligkeit.

Einw nde von dieser Art sind nun tats chlich gegen die ,,Auslesedes Naturgem en" als Bet tigung der Tugend erhoben worden.Sie finden sich bei Alexander von Aphrodisias im zweiten Buch vonde anima unter dem Titel: ,,Da die Tugend nicht selbstgen gendist f r die Gl ckseligkeit" (δτι ουκ αυτάρκης ή αρετή irpos εύδαι-μονίαν)57.

Zuerst weist Alexander mit einer Reihe von Argumenten nach,die Gl ckseligkeit sei nicht in der Tugend als blo em Besitz be-schlossen. Auf Grund dieses Nachweises anscheinend f hlt er sichdann zu der Annahme berechtigt, da die Gl ckseligkeit durchdie Bet tigung der Tugend bewirkt werde. Wenn die T tigkeit imSinne der Tugend die Gl ckseligkeit bewirke, behauptet er nun58,die Tugend aber nicht selbstgen gend f r ihre T tigkeit sei, dannsei die Tugend auch nicht autark in bezug auf die Gl ckseligkeit.Jetzt mu er zeigen, da die Tugend in bezug auf ihre T tigkeitnicht autark ist. Die Tugend habe es entweder mit der Auslese desAngenehmen zu tun, wie es f r Epikur gelte, oder mit der Auslesedes Naturgem en, wie die Stoiker annehmen, oder mit der Aus-lese von irgend etwas anderem Zugeh rigen (οίκεΐον)59. Dies, dasjeweils Zugeh rige — im Falle der Stoiker das Naturgem e —,m sse die Tugend, erkl rt Alexander weiter, als Materie voraus-setzen, wie die Schmiedekunst das Erz, das Eisen, das Feuer unddie Kohle als Materie voraussetzt. Das alles stelle sie aber nichther, sondern gebrauche es als etwas schon Vorliegendes. DasNaturgem e werde ja nicht von der Bet tigung im Sinne der67 De anima libri mantissa (ed. Bruns) S. 159, 15.58 De anima libri mantissa S. 160, l—11 (= SVF III 64).59 Alexander meint hier das οίκεΐον, das ein Objekt des ersten Begehrens bildet,

der πρώτη ορμή (DL VII 85 = SVF III 178). Freilich gilt auch die Tugend,die nicht zu den ,,ersten Empfehlungen der Natur" geh rt, f r die Stoiker alsοίκεΐον (Stob. II 69, 13 = S FF III 86).

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Tugend hergestellt. Wenn sich die T tigkeit der Tugend aber aufetwas schon Vorliegendes, das sie selbst nicht herstellt, bezieht,dann sei sie nicht selbstgen gend f r ihre eigene Bet tigung,schlie t Alexander, denn sie brauche etwas, das sich au erhalbihrer selbst befinde, zu ihrer Bet tigung60.

Ein paar Zeilen sp ter61 folgt dann ein hnliches Argument.Wenn es die Bet tigung der Tugend mit der Auslese des Natur-gem en und dem Verwerfen und Vermeiden des Entgegengesetz-ten zu tun habe, dann m sse das, was ausgelesen werden soll,vorhanden sein. Das aber stehe dem Menschen nicht immer zurVerf gung, sagt Alexander. Wegen des Mangels an diesen Dingennehme sich derjenige, der im Besitz der Tugend ist, ja eventuelldas Leben. Dazu bemerkt Alexander, der Selbstmord werde nichtbegangen, weil es unm glich w re, die Auslese, das ,,Werk derTugend" (έργον τή$ αρετής) zu vollziehen, sondern weil etwasnicht vorhanden sei, das nicht in der Macht der Tugend liege. Erscheint damit sagen zu wollen, da die (subjektive, nicht durchdas Fehlen des Naturgem en bedingte) Unf higkeit, das Natur-gem e auszulesen, f r den, der im Besitz der Tugend ist, keinGrund zum Selbstmord sein kann. Denn der Besitz der Tugendbedeutet ja nichts anderes als die F higkeit zur Auslese. Falls einsolcher Mensch sich also das Leben nimmt, dann geschieht dieswohl deswegen, weil ihm etwas fehlt, wor ber die Tugend nichtHerr ist. Wenn das Vorhandensein der naturgem en Dinge — sobeschlie t Alexander diese Argumentation — nicht in der Machtder Tugend steht, dann sei die Tugend nicht autark in bezug aufihre eigene T tigkeit (und damit auch nicht in bezug auf dieGl ckseligkeit).

Diese Argumente, die wohl letztlich von Karneades stammen,richten sich zwar nicht ausdr cklich gegen die „Auslesen-Formelndes Diogenes und des Antipater. Da die Auslese des Naturgem endiesen Zielbestimmungen zufolge aber die T tigkeit der Tugend

60 Das Argument ist damit abgeschlossen. Die zwei folgenden S tze (12—16: ουδέγαρ . . . τά$ άρετά$) sollen es aber vielleicht erg nzen. Darin wird gesagt, ..dies"(wohl das Naturgem e) sei nach stoischer Ansicht keine notwendige Bedin-gung, sondern eine bewegende Ursache f r die Tugend. Es fragt sich aller-dings, ob der Text an dieser Stelle in Ordnung ist. Man vermi t mindestenseinen Satz zur berleitung. Was dann folgt (I —20: ουδέ ydp l αυλοίοντά ccvrfis) wirkt in diesem Zusammenhang ganz unverst ndlich. l>icso Sttt-ze w rden aber vorz glich an: σ! δε αίσθήσεις . . . Ιχοιεν αν (S. 101. 20— 28) an-schlie en. Dort g ben sie einen guten Sinn.

β' De anima libri manti&sa S. 1GO, 24—31 (- S V l·' 1Π 700).

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sein mu , waren diese Bestimmungen auch von den Einw ndengegen die Auslese des Naturgem en als T tigkeit der Tugendbetroffen. Gegen die T tigkeit der Tugend nach der zweiten For-mol dos Antipater lassen sich jene Einw nde nicht mehr machen.Man wird daher wohl annehmen d rfen, da Antipater seine For-mel aufstellte, um ihnen zu entgehen62. Einen anderen und besserenAusweg vor ihnen h tte er jedenfalls nicht finden k nnen.

•a Stobaeus hatte, bevor er die zweite Formel auff hrte, gesagt, da Antipaterdas Lebensziel ,,h uf ig auch so bestimmte" (πολλάκις δε καΐ οΟτοος άττεδίδου).Zu eben dieser u erung des Stobaeus bemerkte Pohlenz (Die Stoa II S. 95):,.aber es ist die nat rliche Entwicklung, da Antipater sich zuerst enger anDiogenes anschlo , und dann unter Karneades' Druck die neue Auslegung derTelosformel gab." Nach dem ,,aber" zu urteilen, meinte Pohlenz wohl, Antipaterhabe die zweite Formel an die Stelle der ersten gesetzt, obwohl die u erungdes Stobaeus eher daf r spreche, da er beide Formeln nebeneinander verwen-dete. Was Stobaeus sagt, mag aber durchaus richtig sein. Antipater brauchteseine erste Formel nicht aufzugeben — er konnte sie mit der zweiten erg nzenund erl utern. Sie h tte dann besagt, nicht immer und unter allen Umst ndensei das tats chliche Auslesen n tig, sondern gegebenenfalls gen ge auch schondie Bem hung, das Naturgem e zu erlangen, um das Ziel zu erreichen. Es istm glich, da er diese Formel schon von Anfang an der ersten beigegeben hat.Denn die Einw nde, die vermutlich der Grund f r ihre Entstehung sind, wurdenm glicherweise auch schon gegen die Formel des Diogenes erhoben. F r dieseFormel waren sie freilich weniger gef hrlich als f r die erste des Antipater. Die(nicht ganz eindeutige) Formel des Diogenes h tte sich n mlich noch so zurecht-legen lassen, da die εύλογιστία zwar, wenn die M glichkeit zur Auslese gegebenist, in der Auslese bewiesen werden mu , da aber die εΟλογιστία allein schongen ge, falls einmal nichts zum Auslesen vorhanden w re. Die erste Formeldes Antipater hingegen enth lt kein solches, von der Auslese m glicherweiseabl sbares, Moment wie die εΟλογιστία. Das Ziel ist hier ganz eindeutig inbezug auf die Auslese definiert, als eine ganz bestimmte Art und Weise — „un-abl ssig und unbeirrt" —, das Naturgem e auszul sen.

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