Digitale Regelsysteme || Einführung

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1. EinfOhrung

ProzeBlenkung

Die bei der Lenkung (Flihrung) von technischen Prozessen auftretenden

Aufgaben konnen verschiedenen Ebenen zugeordnet werden, die hierar­

chisch strukturiert sind, Bild 1.1.

In einer ersten Ebene sind direkt meBbare GroBen y zu regeln und zu

steuern. Die FlihrungsgroBen ~ sind entweder konstant (Festwert-Rege­

lung und -Steuerung) oder werden durch hohere Ebenen vorgegeben (Flih­

rungs-Regelung und -Steuerung). Wenn mehr als eine RegelgroBe gere­

gelt oder gesteuert wird, spricht man von einer MehrgroBen-Regelung

oder -Steuerung. Das An- und Abfahren von Prozessen werde ebenfalls

als Bestandteil der ersten Ebene aufgefaBt.

S. EBENE

4. EBENE

3.EBENE

Z.EBENE

1. EBENE

PLANUNG MARKT

1lf<:===ROHPRODUKTE L ___ J::=====n PERSONAL

2::., • J..2

Bild 1.1 ProzeBlenkung in mehreren Ebenen

R. Isermann, Digitale Regelsysteme© Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 1977

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2 1. EinfUhrung

In der zweiten Ebene wird der ProzeB Uberwacht. Hierzu wird die Funk­

tion des Prozesses laufend geprUft und festgestellt, ob besonders aus­

gewahlte ZustandsgroBen festgelegte Grenzwerte Uberschreiten. Dabei

kann sich die Uberwachung auf momentane ZustandsgroBen beschranken,

aber auch zukUnftige, vorhergesagte ZustandsgroBen berUcksichtigen.

Die AusgangsgroBen der Uberwachungsebene sind z.B. Alarmmeldungen als

Vorwarnungen oder aber Kommandos zum schnellen Abfahren des Prozesses.

In einer dritten Ebene kann die Optimierung des Prozesses angeordnet

werden. Hierbei wird z.B. der Wirkungsgrad oder der Durchsatz maxi­

miert. Oft ist nur die Optimierung des statischen Verhaltens der Pro­

zesse von Interesse. Man spricht dann von statischer Optimierung.

Wenn die Optimierung on-line, also wahrend des Betriebsablaufes durch­

gefUhrt wird, dann wird aus den MeBgroBen y ein GUtewert gebildet,

dessen Maximum mittels eines Optimierungsverfahrens durch systemati­

sches Verandern verstellbarer EingangsgroBen, z.B. der FUhrungsgroBen

'!!.., gesucht wird.

Falls mehrere Prozesse in einem Verbund zusammenhangen, werden sie in

einer vierten Ebene koordiniert. Bei einem Verbund von FluB- und ther­

mischen Kraftwerken ist diese Koordinierung die Lastverteilung, bei

einem Verbund von Prozessen der Stahlherstellung die gegenseitige An­

pas sung von Hochofen, Stahlwerk und Walzwerken.

In der obersten Ebene, hier die funfte Ebene, findet schlieBlich das

Management statt, in der die Anpassung eines Systems von Prozessen

(Werk, Verbundnetz, groBere wirtschaftliche Einheiten) an die Planung,

den Markt, die vorhandenen Rohprodukte und das zur VerfUgung stehende

Personal erfolgt.

In allen Ebenen werden die Prinzipien der Steuerung und RegeZung

(Rlickflihrung) verwendet. 1m Fall von RUckfUhrungen kann man deshalb

auBer von Regelkreisen auch von Uberwachungskreisen, Optimierungs­

kreisen und Koordinierungskreisen, oder allgemein von Mehrebenen-Re­

geZung sprechen.

Einzelne Aufgaben der ProzeBlenkung wurden frliher, und werden zum

Teil auch noch heute, vom Bedienungspersonal durchgefUhrt. Der ProzeB

wird dann ganz oder teilweise "von Hand gefahren" oder "gelenkt". 1m

Zuge der Automatisierung der Proze2Zenkung libernahmen selbsttatig ar­

beitende Gerate zunachst die Aufgaben der unteren Ebenen. Bis etwa

1960 erfolgte die automatische Regelung und Steuerung ausschlieBlich

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1. Einflihrung 3

mit analog arbeitenden Reglern und Steuergliedern mit elektrischer,

pneumatischer oder hydraulischer Hilfsenergie. Programmsteuerungen

waren entweder mit elektrischen oder pneumatischen Bauelementen, die

binare Signale verarbeiten, realisiert. Zur Uberwachung verwendete

man analog und binar arbeitende Gerate. Eine Optimierung und Koordi­

nierung wahrend des Betriebs wurde entweder von Hand oder gar nicht

ausgeflihrt. Die Verwendung von Digitalrechnern erlaubte dann in den

hoheren Ebenen eine Teilautomatisierung im Off-line-Betrieb.

Einsatz von ProzeBrechnern

Das Aufkommen von digitalen ProzeBrechnern beeinflusste die Automati­

sierung der ProzeBlenkung sowohl in der gesamten Struktur als auch in

der Funktion wesentlich. Dabei beobachtete man folgende Entwicklungs­

schritte.

In direkter, aber offener Kopplung mit dem ProzeB (on-line, open loop)

wurden erstmalig 1959 ProzeBrechner zur Datenregistrierung, Datenre­

duzierung und Uberwachung von Prozessen eingesetzt. Die direkte Rege­

lung von ProzeBgroBen ist dabei, zumeist aus Grlinden der noch unbe­

friedigenden Zuverlassigkeit der damaligen ProzeBrechner, durch analog

arbeitende Gerate durchgeflihrt worden. Dann wurde dazu libergegangen,

die FlihrungsgroBen von analogen Reglern vom ProzeBrechner vorzugeben

(supervisory control), z.B. zur ProzeBsteuerung nach Zeitplanen oder

zur ProzeBoptimierung. ProzeBrechner zur direkten digitalen Regelung

(direct digital control + DDC) in direkter, geschlossener Kopplung

mit dem ProzeB (on-line, closed loop) sind zum ersten Mal 1962 bei

verfahrenstechnischen und energietechnischen Prozessen eingesetzt

worden [1. 1 J, [1. 2 J , [1. 3 J, [1. 4 J , [1. 5 J, [1. 6 J .

Der Entwicklung immer leistungsfahigerer ProzeBrechner und zugehori­

ger Software entsprechend, hat der Einsatz von ProzeBrechnern zur

Flihrung von Prozessen seitdem stark zugenommen. ProzeBrechner sind

heute libliche Bestandteile der ProzeBautomatisierung [1.5J, [1.6J.

Weitere Angaben zur Entwicklung des Einsatzes von ProzeBrechnern

konnen den Blichern [1.7J bis [1.14J entnommen werden.

ProzeBrechner werden bisher auBer zur Datenregistrierung und -redu­

zierung hauptsachlich in den Ebenen der Regelung, Uberwachung und

Koordinierung eingesetzt [1.7J bis [1.11J. Eine On-line-Optimierung

wurde nur selten ausgeflihrt.

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4 1. Einfuhrung

Ein Kennzeichen der ersten 15 Jahre des Einsatzes von ProzeBrechnern

ist die Zentralisierung der ProzeBlenkung in einem Rechner, dessen

Funktion oft mit einem parallelen analogen Reservesystem oder einem

Reserverechner abgesichert sein muB.

Einsatz von MikroprozeBrechnern

Das Erscheinen von preiswerten Mikroprozessoren (ab 1971), die sich

mit Halbleiterspeichern und Ein/Ausgabebausteinen zu MikroprozeBrech­

nern zusarnrnenfugen lassen, gestattet die Verteilung der Aufgaben der

ProzeBlenkung auf mehrere Rechner. Damit sind neue Strukturen von Pro­

zeBlenkungssystemen moglich, die durch eine Dezentralisierung gekenn­

zeichnet werden. Die ersten, 1975 auf dem Markt erscheinenden Mikro­

prozeBrechner sind zur Regelung und Steuerung von 8 bis 16 GroBen und

zur Uberwachung vorgesehen. Sie ubernehmen damit zunachst die Funktio­

nen von analogen Geraten und ProzeBrechnern in den unteren Ebenen. Die

weitere Entwicklung ist zur Zeit noch nicht eindeutig abzusehen. Mikro­

prozeBrechner werden jedoch einen groBen EinfluB auf die kornrnende MeB­

und Regelungstechnik ausuben.

Digitale Regelsysteme

Die Signalverarbeitung bei digitalen ProzeBrechnern bzw. MikroprozeB­

rechnern ist bekanntlich nicht, wie bei Regel- und Steuergeraten in

analoger Technik oder bei prograrnrngesteuerten Steuerungen mit binaren

Bauelementen, an einige wenige standardisierte Grundfunktionen gebun­

den, sondern kann mittels Software frei prograrnrniert und mit vielen

Rechnungen versehen werden. Dadurch lassen sich zur ProzeBlenkung vie­

le neue Methoden entwickeln, die fur die unteren Ebenen als program­

mierte Algorithmen und fur die hoheren Ebenen als prograrnrnierte Lo­

sungsmethoden realisiert werden konnen. Da der Eingriff in allen Ebe­

nen mittels Steuerungen und Regelungen erfolgt, mussen beim Einsatz

von ProzeBrechnern Mehrebenen-Regel- und Steueralgorithmen entworfen,

ausgewahlt und an den ProzeB angepaBt werden.

Dieses Buch befaBt sich mit der digitalen Regelung und Steuerung in

der untersten Ebene der ProzeBlenkung. Viele der behandelten Methoden

zum Entwurf von Algorithmen, zur Gewinnung von ProzeBmodellen, zur

Schatzung von ZustandsgroBen und Parametern, zur Storsignalfilterung

und Stellgliedansteuerung lassen sich jedoch auch zur Synthese digi­

taler Uberwachungs-, Optimierungs- und Koordinierungssysteme verwen­

den.