Diplomarbeit 100JahrfeiergekürzteAusgabe 2 · 6.2 Die Schulchronik als wichtiger...

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Eizinger Gabriele 100 Jahre Volksschule 3 Villach Lind – 1910 bis 2010 Ein historisch-pädagogisches Portrait Die Volksschule 3 Villach/ Lind im Jahr 2009 (Bildquelle: Volksschule 3 Villach/Lind)

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Eizinger Gabriele

100 Jahre Volksschule 3 Villach Lind – 1910 bis 2010

Ein historisch-pädagogisches Portrait

Die Volksschule 3 Villach/ Lind im Jahr 2009 (Bildquelle: Volksschule 3 Villach/Lind)

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2 Vorwort der Verfasserin

Vorwort der Verfasserin Schule und Bildung und die damit im Zusammenhang stehenden Entwicklungen sind für mich als Volksschullehrerin und Schulleiterin Themen, die mich seit meiner Berufswahl vor mehr als 20 Jahren begleiten. In meiner Berufspraxis ist es unumgänglich, sich mit den Ver-änderungen im Bereich des Schul- und Unterrichtswesens auseinanderzusetzen. Angeregt durch mein Pädagogikstudium und dabei vor allem durch den Besuch mehrerer pädago-gisch-historischer Vorlesungen von Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Gerald Grimm, welche sich in-tensiv mit der österreichischen Bildungsgeschichte und ihren Entwicklungen auseinanderset-zen, keimte in mir schon bald der Gedanke, meine Diplomarbeit in diese Richtung hin zu entwickeln. Diese Broschüre zeigt einen Auszug aus dieser Diplomarbeit1. Die Schule, in der ich seit 1993 unterrichte, ist ein geschichtsträchtiges Haus, erbaut zu Be-ginn des vorigen Jahrhunderts, und schon oft stellte ich mir die Frage, was sich wohl in den Chronikbüchern – teilweise noch in Kurrentschrift geschrieben – an schulischer Entwick-lungsgeschichte verborgen hält. Es war eine große Herausforderung für mich, die alten handschriftlichen Dokumente zu entziffern. Doch dahinter stand nicht nur die persönliche Neugier, sondern auch das Anliegen, diese Aufzeichnungen für alle Menschen, die Interesse an dieser Schule haben, in zusammengefasster Form zu präsentieren. Für diese Arbeit habe ich alle mir zur Verfügung stehenden Aufzeichnungen und Dokumente über die Volksschule 3 Villach/Lind herangezogen und versucht, sie zu einem lebendigen Gesamtbild zusammenzufassen. Einen besonderen Schwerpunkt setzte ich dabei auf die Zeit der beiden Weltkriege, da in vielen Schulchroniken während der Kriegszeiten kaum Ein-tragungen gemacht bzw. nachträglich entfernt wurden. Die Schulchronik der Volksschule 3 ist aber auch über diesen Zeitraum vollständig erhalten geblieben und zeichnet ein sehr ein-drucksvolles Bild dieser Jahre. Der besseren Lesbarkeit wegen, verwende ich in meiner Arbeit oft das generische Ge-schlecht. Ich meine naturgemäß immer beide Geschlechter. An dieser Stelle möchte ich mich noch sehr herzlich bei folgenden Personen für ihre freund-liche Unterstützung bedanken: Herrn Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Gerald Grimm möchte ich für die Bestärkung in der Wahl des Themas und seine stets bereitwillige und kompetente Unterstützung meiner Arbeit danken. Mein Dank geht auch an den Leiter des Museums der Stadt Villach, Herrn Dr. Dieter Neumann, der mich bei der Quellensuche sehr freundlich und äußerst fachkundig beraten hat. Großen Dank schulde ich auch meinen Interviewpartnern – Herrn Ing. Wilhelm Sereinigg, Herrn Rudolf Kanzi, Herrn Ägydius Wanker und Frau Margot Glawischnig, die mir mit ihren interessanten Erzählungen aus ihrer Schulzeit eine wertvolle Unterstützung zukommen lie-ßen. Für die Hilfe bei der oft schwierigen Entzifferung der in Kurrentschrift geschriebenen Chro-nikbücher bedanke ich mich sehr herzlich bei meiner Mutter, Frau Mathilde Klier, die selbst noch in ihrem ersten Schuljahr 1937 diese Schrift zu schreiben lernte, und ich bedanke mich auch bei Frau Johanna Marinitsch, die mir ebenfalls immer wieder hilfreich zur Seite stand. Villach, Juni 2010

1 Eizinger, Gabriele: 100 Jahre Volksschule 3 Villach Lind. Ein historisch-pädagogisches Portrait im Kontext der allgemeinen Entwicklung des Kärntner Volksschulwesens im 20. Jahrhundert. Klagenfurt, Alpen-Adria-Univ., Dipl.-Arb., 2009.

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Inhalt

Inhalt Vorwort der Verfasserin

1 Die Volksschule Lind in Villach 1 1.1 Die Entstehung 1 1.2 Der Schulbau 1 1.3 Die feierliche Eröffnung 2 2 Aus der Schulchronik der ersten Schuljahre bis 1914 7

2.1 Christbaumfeiern der Villacher „Bauerngman“ 7 2.2 Lehrerwohlfahrtsverein „Selbsthilfe“ 7 2.3 Bezirkslehrerkonferenz am 6. November 1911 8 2.4 Das neue Lehrergehaltsgesetz von 1912 9 2.5 Der Eislaufplatz der Volksschule Lind 10 2.6 Schulgartenarbeit als Bestandteil des Unterrichtes 11 3 Das Schulleben während des 1. Weltkrieges 11

4 Aus der Schulchronik während der ersten Republik 16

4.1 Interview mit einem Zeitzeugen: Wilhelm Sereinigg 19 5 Aus der Schulchronik der Jahre 1934 – 1938 23

6 Die Schule unter dem Einfluss des Nationalsozialismus 1938 bis 1945 23

6.1 Schulpolitische Gegebenheiten während der NS-Zeit 23 6.1.1 Der Anschluss an das Großdeutsche Reich 24 6.1.2 Ausschaltung jüdischer Lehrer und Schüler 24 6.1.3 Entkonfessionalisierung 28 6.1.4 Organisatorische und lehrplanmäßige Veränderungen 28 6.2 Die Schulchronik als wichtiger gesellschaftspolitischer Spiegel – Chronologie des

Schullebens während des 2. Weltkrieges 29 6.2.1 Schuljahr 1937/38 – Der Anschluss wird gefeiert 29 6.2.2 Schuljahr 1938/39 – Leibeserziehung als Hauptfach 30 6.2.3 Schuljahr 1939/40 – Luftschutzübungen 30 6.2.4 Schuljahr 1940/41 – Kriegsunterstützende Aktionen 31 6.2.5 Schuljahr 1941/42 – Stricken für die Wehrmacht 32 6.2.6 Schuljahr 1942/43 – Einberufungen 33 6.2.7 Schuljahr 1943/44 – Kinderlandverschickung 33 6.2.8 Schuljahr 1944/45 – Schwere Bombenangriffe vor Kriegsende 34 7 Die Nachkriegsjahre – Der Wiederaufbau nach 1945 35

7.1 Der Schulbetrieb nach 1945 35

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7.1.1 Ein schwieriger Beginn 35 7.1.2 Schülerausspeisung 37 7.1.3 Buttinger-Spende 38 7.1.4 Wirtschaftsstützende Maßnahmen im Schulbereich 39 8 Interviews mit Zeitzeugen 40

8.1 Interview mit Herrn Kanzi 40 8.2 Interview mit Herrn Wanker 44 9 Das 50-Jahr-Jubiläum der Volksschule Lind im Jahre 1960 47

9.1 Interview mit Frau Glawischnig 47 10 Volksschule 3 Villach/Lind – Schule der Vielfalt 51

10.1 Integration 51 10.2 Fremdsprachliche Vorschulung mit Native Speaker 51 10.3 Europa in der Schule 55 10.4 Bilingualer Unterricht mit Arbeitssprache Italienisch 56 10.5 Interkulturelles Lernen 56 11 Direktoren u. Direktorinnen der Volksschule Villach Lind 1910 bis 2009 58

12 Schlusswort 58

Literatur 60

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Die Volksschule Lind in Villach 1

1 Die Volksschule Lind in Villach

1.1 Die Entstehung „Vor dem Jahre 1897 standen in Lind noch sehr wenige Häuser. Im Jahr 1897 wurde hier das Wasserreservoir der Möltschacher Wasserleitung erbaut und die Wasserleitung ange-legt. Dies, sowie die sonnige Lage des Ortes, welcher gegen Norden durch den Oswaldiberg geschützt ist, erweckte die Baulust der Bevölkerung Villachs und es entstand in kurzer Zeit ein Haus um das andere eine Villa neben der anderen.“ 2 Mit dem Bau der Karawankenbahn (1905) und der vier Jahre später folgenden Fertigstellung der Tauernbahn (Eröffnung 5. Juli 1909) entwickelte sich Villach zu einem wichtigen Eisen-bahnknotenpunkt.3 Hand in Hand mit dieser Entwicklung gingen auch die Veränderungen der Infrastruktur der Stadt. Der Bau der Bahn brachte viele Eisenbahner nach Villach. Am linken Drauufer, im Stadtteil Lind, wurden daher 16 Personalhäuser (in der Rennsteinerstraße und in der Piccostraße) für sie gebaut. Durch das rasche Anwachsen der Bevölkerung in diesem Stadtteil, war ein Schulneubau unumgänglich. Die Schülerzahl wuchs derartig an, dass im Schulhaus in der Peraustraße, die bereits 15 Klassen umfassende Knabenvolksschule nicht mehr untergebracht werden konnte, und deshalb 4 Klassen in das Gebäude der Knabenbür-gerschule verlegt werden mussten. Am 5. Juli 1907 wurde in der Gemeindeausschusssit-zung der Bau eines Doppelschulhauses im Stadtteil Lind beschlossen und zu diesem Zweck die Adamitschgründe um den Betrag von 20.000 Kronen angekauft.4

1.2 Der Schulbau Am 1. September 1909 wurde mit dem Bau des Schulhauses begonnen. Die Pläne dafür verfasste Rudolf Müller, der städtische Bauadjunkt. Für die Fassadenpläne zeichnete der Innsbrucker Architekt Fritz Rupp verantwortlich. Die Erd- und Maurerarbeiten bewerkstelligte Stadtbaumeister Josef Willroider, die Herstellung der Beton- und Eisenkonstruktionen war der Bauunternehmung „Janesch & Schnell“ anvertraut. Leider ging dieser Schulbau nicht ganz reibungslos vonstatten. Am 2. Dezember 1909 kam es zu einem schweren Unglück. Am Nachmittag zwischen 13:00 und 14:00 Uhr stürzte die Eisenbetondecke des Mitteltraktes mitsamt den Pfeilern der südlichen Fassade ein. Zu die-ser Zeit befanden sich gerade die Zimmermänner Bernhard Mathis und Johann Wernig auf dem Gerüst, die es mit in die Tiefe riss. Durch das abstürzende Material wurden beide so schwer verletzt, dass sie am darauffolgenden Tage ihren Verletzungen erlagen. Vermutlich waren die Stützen der unteren Turnsaaldecke zu früh entfernt worden. Am 3. Mai 1911 kam es diesbezüglich zu einer Gerichtsverhandlung. Wegen Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens wurden Franz Stekregg, Kranführer der Firma Janesch & Schnell, Josef Willroider, Baumeister, und Rudolf Müller, Bauadjunkt, angeklagt – alle drei erhielten einen Freispruch. Die Hinterbliebenen der Verunglückten entschädigte eine Unfall-versicherung.5 Der eingestürzte Trakt wurde von den Bauunternehmern auf eigene Kosten wieder herge-stellt. Am 6. Oktober 1910 brachte eine vorgenommene Belastungsprobe ein befriedigendes Ergebnis. Die Gesamtkosten für das Schulhaus betrugen rund 270.000 Kronen. Eine genau-ere Aufstellung der Baukosten befindet sich in einem Zeitungsartikel vom 22. Jänner 1912, welcher der Chronik beigefügt wurde:6 Grunderwerb und Architektenhonorar 25.324,21 Kronen

2 Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 4. (Original unpag. Seitennummerierung v. Verf. eingef.) 3 vgl. Schöpfer 1931, S. 83. 4 vgl. Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 1. (Original unpag. Seitennummerierung v. Verf. eingef.) 5 vgl. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 6 u. 7. 6 vgl. ebd., S. 37.

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2 Die Volksschule Lind in Villach Erd- und Maurerarbeiten sowie Regie 91.748,91 Kronen Zimmermannsarbeiten 11.105,60 Kronen Eisenbetondecken 32.424,46 Kronen Kunststeinarbeiten und Betonmaterial 3.683,86 Kronen Schmiedearbeiten 1.589,15 Kronen Schlosserarbeiten 1.957,06 Kronen Eisenwaren 2.329,62 Kronen Spenglerarbeiten 4.991,48 Kronen Zentralheizung 19.664,61 Kronen Maler- und Anstreicherarbeiten 4.387,93 Kronen Glaserarbeiten 3.861,47 Kronen Tischlerarbeiten 21.533,63 Kronen Fußböden (Asphalt) 13.692,48 Kronen Installation der Wasser und Klosettanlagen 6.588,62 Kronen Einfriedung 4.543,39 Kronen Schulgarten 1.417,64 Kronen Innere Einrichtung 16.840,18 Kronen Verschiedene Auslagen 2.120,62 Kronen Gesamtsumme 269.805,66 Kronen Für die Kanalsanierung des Schulhauses mussten separat noch 14.000 K. ausgegeben wer-den.7 Der Bauunfall verzögerte die Fertigstellung des Gebäudes so, dass mit Beginn des Schul-jahres 1910/11 die Schule noch nicht bezugsbereit war und sämtliche zehn Klassen in die Schulgebäude der Khevenhüllergasse und der Schulstraße ausweichen mussten.8

1.3 Die feierliche Eröffnung Am 4. Oktober 1910 war es dann endlich soweit – das Schulhaus wurde feierlich eröffnet und die sechsklassige Knabenvolksschule und die sechsklassige Mädchenvolksschule konn-ten zur Benützung übergeben werden. Obmann des Bezirkschulrates war zu dieser Zeit Dr. Richard Strobl, das Amt des k.k. Bezirksschulinspektors bekleidete Hr. Hugo Moro.9 Frau Maria Olsacher, zur Oberlehrerin ernannt, übernahm die Leitung der Mädchenvolksschule III. Mit der Leitung der Knabenvolksschule III wurde Oberlehrer Edmund Zaderer betraut, der bei der Eröffnungsfeier folgende Rede hielt:

7 vgl. Ghon 1913, S. 91. 8 vgl. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 7. 9 s. Abb. S. 28.

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Die Volksschule Lind in Villach 3

Das erste Blatt der Schulchronik der Knabenvolksschule III aus dem Jahre 191010

10 Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, Deckblatt.

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4 Die Volksschule Lind in Villach „Hochgeschätzte Festgäste! Liebe Kinder! Soeben sind mir vom Herrn Ortsschulratsobmann die Schlüssel dieses Hauses überreicht worden, zum Zeichen, dass dieses herrliche Gebäude seiner Bestimmung übergeben und mir die Obhut über dasselbe übertragen wurde. Ich erachte es als meine erste Pflicht, im Namen der Lehrpersonen, der Schüler und Schülerinnen sowie im eigenen, vor allem dem löblichen OSR für sein schüler- u. lehrerfreundliches Wirken, insbesondere dem Obmann desselben Herrn Dr. Richard Strobl auf dessen Anregung dieser, höherer Bestimmung ge-widmete Bau zustande gekommen ist, herzlichst zu danken. Wärmsten Dank sage ich auch dem löbl. Gemeindeausschusse, welcher der Anregung des OSR Gehör schenkend, die Er-bauung dieses Schulhauses beschloß. Nicht in letzter Linie sage ich herzlichen Dank der gesamten Bewohnerschaft Villachs wel-che die Mittel gab, um diese, den Kindern gewidmete Bildungsstätte erbauen zu können. Große Kosten und schwere Lasten hat dieser Bau gefordert, darum liebe Kinder, seid ihr allen jenen, welche in irgendeiner Weise zur Erbauung dieses, für euch bestimmten Hauses beigetragen haben, zu innigem Dank verpflichtet. Eure Dankbarkeit könnt ihr dadurch bezeugen, dass ihr das Haus und dessen Einrichtung schont, Fleiß und Eifer im Lernen zeigt, Achtung den Lehrern und Lehrerinnen entgegen bringt, und deren Anordnungen freudig befolgt. Dann werdet ihr aber auch gute Menschen und tüchtige Mitglieder der Gemeinde und des Staates werden. Liebe Kinder, gelobt heute, als am Tage des Namensfestes unseres lieben guten Kaisers so treu eure Pflicht zu erfüllen, wie uns in dieser Beziehung unser erhabener Monarch ein leuchtendes Beispiel gibt. Damit bringt ihr dem greisen Monarchen wohl das schönste Namenstagsgeschenk. An Sie liebe Eltern, stelle ich die herzliche Bitte: Habt Vertrauen zu den Lehrern und Lehrerinnen unserer Kinder, schädigt deren Ansehen nicht, haltet treu zu denselben bei der Erziehung der Jugend und geht mit ihnen Hand in Hand. Und ich gebe dem Wunsche Ausdruck: Möge Schule und Elternhaus ein inniges Band umschlingen und vereinen zum Wohle unserer Kin-der, damit es uns Lehrern gelinge, aus denselben tüchtige, für Vaterland taugliche Mitglieder heranzubilden. Nochmals bitte ich Sie, liebe Eltern sich mit uns zu vereinen bei dem schönen Werke der Jugenderziehung. Dass Schule und Elternhaus ein inniges Band umschlingen möge zum Wohle der uns anver-trauten Jugend, bewirke der Wahlspruch unseres geliebten Monarchen: „Mit vereinten Kräften!“ 11 Nach der Ansprache von OL Maria Olsacher, trug der Schüler Josef Rabitsch folgendes Ge-dicht vor:

„Gesegnet sei oh Tag gefeiert in Gebeten, Da wir dies Haus erfreut zum ersten Mal betreten!

Es ist ein Heiligtum worin durch Gottes Wollen Wir Kinder gute tüchtige Menschen werden sollen.

Oh Heil den Edlen, die dies Haus der Jugend weihten Und goldnen Samen in der Zukunft Furchen streuten!

Das Haus, das da empor geblüht in diesen Tagen, An unseren Seelen wird es reiche Zinsen tragen.

Denn offen wir im Tempel steh’n, auch hier die Pforten jedwedem, der da dürstet nach der Weisheit Worten;

Dem Kindergeiste wird in diesen heil’gen Hallen des Schöpfers schönstes Wort: ‚Es werde Licht!’ erschallen.

Drum Dank, der tiefste Dank aus Kinderherzensgrunde,

11 Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 2 – 4.

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Die Volksschule Lind in Villach 5

Sei heute dargebracht in dieser Feierstunde. Den edlen all, die hier das höchste Opfer brachten,

des heil’gen Werks der Jugendbildung treu gedachten.

Es soll der Segen Gottes ruhn, auf diesen Hallen Und auf den Gründern dieses stolzen Baues allen!

Wenn auch Geschlechter um Geschlechter still verwehen Die Saaten, hier gesä’t, sie werden nie vergehen.

Und dankbar wird nach langen ungezählten Tagen

Der Nachwelt Herz in liebender Erinnerung schlagen: Der edlen Gönner Namen werden ewig leben,

Und später Enkel Segen wird sie noch umschweben.“ 12 Auch die Festrede des äußerst beliebten Bezirkschulrates der Stadt Villach, Hugo Moro, soll den Lesern dieser Arbeit nicht vorenthalten und deshalb auch wortwörtlich wiedergegeben werden: „Auch mir als dem fachmännischen Leiter des Volksschulwesens in dieser so herrlich auf-blühenden Stadt, die wir stolz und voll Freude Vaterstadt nennen, obliegt es, etliche Worte in dieser festlichen Stunde zu sagen. Es sind Worte der innigsten Freude, die meinem Herzen entquellen, – der innigsten Freude darüber, daß eine so prächtige Bildungsstätte, mit so freudigen Opfersinn geschaffen, unter verheißungsvollen Vorzeichen ihrer bedeutsamen Bestimmung übergeben wird. Anheimelnd von draußen und traulich im Inneren, allen neuzeitlichen Anforderungen vollauf entsprechend und von strahlendem Lichte durchflutet, also bietet das schöne Haus sich uns dar! Und unter guten Vorzeichen öffnen sich seine Pforten! Der weite und breite Platz, den der stattliche Bau nun schmückt, – er ward erst dieser Tage nach dem Vorsitzenden der Be-zirksschulbehörde nach unserem verehrten Herr Reg. Rat Hans Schuster zu [sic!] benannt! Eine sinnige Ehrung der dankbaren Stadt fürwahr für den Mann, der für Schule u. Jugend und Lehrer ein fürsorglich Herz bekundet Zeit seines Lebens. Und es betrübt uns gar sehr ihn nicht in unserer Mitte zu haben. Doch senden wir ihm in die Ferne, wo er zu Ruh und Kraft weilt, in Verehrung und Dankbarkeit treuherzige Grüße. Und von guter Vorbedeutung mag es zum anderen sein, dass die Leitung der beiden Schu-len, die das Haus beherbergt, der Tochter und dem Schwiegersohn eines Mannes anvertraut ward, den die Stadt mit Fug und Recht einen Ehrenbürger nennt, da er unermüdlich in edler Uneigennützigkeit Jahrzehnte hindurch für das Wohl unserer Stadt in Treue gewirkt hat. Mit demselben guten Willen und der gleichen Aufopferung werden seine Kinder in ihrer Art schaffen in diesem Hause, schaffen und wirken eifervoll rastlos für den kostbarsten Besitz, den die Stadt zueigen hat, für ihren Stolz und ihre Hoffnung, für unsere liebe und geliebte goldselige Jugend! Umso gewisser wird sich ihr Wirken segensreich gestalten, als ihre Mitarbeiter und Mitarbei-terinnen fähig und willens sind, die Doppelschule zu einer Musteranstalt emporzuheben. Und nicht wahr: immerdar soll in diesen geheiligten Räumen Sonnenschein walten. Bele-bender, beglückender, wärmender Sonnenschein, auch in Zeiten, da Allmutter Sonne, die heute so herrlich uns grüßt vom blauenden Himmel, sich verborgen halten wird! Der Son-nenschein der tiefen und edlen Liebe zum Kind, der aus dem Herzen Pestalozzis, des größ-ten Kinderfreundes fortwirkend strahlt in allen Zeiten und Welten – der Sonnenschein des Frohsinns, der Heiterkeit und Freudigkeit, die allein die echten und rechten Erziehungsmittel sind. Ein gar sinniger Gedanke des trefflichen Baumeister wars, den ich wohl loben muss, da er in die Tore des Hauses liebliche Szenen aus unseren wundervollen deutschen Märchen hat eingefügt, die uns so traut und so traulich und verheißungsvoll entgegenblicken, den Kindern

12 ebd., S. 4 f.

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6 Die Volksschule Lind in Villach und ihren Lehrern andeutend, daß ein Haus sie betreten, worin Freude und Frohsinn die ernste Arbeit, die es zu leisten gibt, begleiten, erleichtern und verschönern werden. Das beste Vorzeichen aber, endlich für eine gedeihliche, gesegnete Arbeit im Hause allhier ist die Fügung, daß wir das Haus eröffnen am Tage, da unser geliebter Kaiser und Herr sein 80. Namensfest feiert. Der Kaiser der liebe und gute gnädige Herr! Zum Namensfest eröffnet die bildungsfreundli-che Stadt dies Haus, die Stadt die alleweil und immer bewiesen hat, wie sehr und wie wohl es vereinbar sei, deutsch zu sein bis ins innerste Herz und also zu fühlen, zu wirken, aber auch dem Kaiser Liebe zu bekunden und Treue ohn’ Ende. Die Stadt, sie bringt dem innig geliebten Kaiser dies Haus zum Angebinde, wir aber die wir die Jugend zu lehren haben und ihr, ihr wackeren Buben und ihr lieben Mädel, wir Lehrer und ihr Kinder, nicht wahr, wir geloben dem Kaiser in dieser festlichen Feier- und Weihe-stunde, alles zu tun was recht ist und edel und gut und jeder nach seiner Kraft dahin zu wir-ken, daß nur gottesfürchtige kaiser- und volkstreue, tüchtige deutsche Männer und Frauen dieser Anstalt entwachsen. Die Treue zum edlen großmächtig deutschen Volke, die Liebe und Treue dem edelsten und besten aller Kaiser, die hingebungsvolle und aufopfernde Arbeit für’s herrliche große Öster-reich und für unser schönes geliebtes Kärntnerland, die wollen wir lehren und die sollt ihr lernen in diesem herrlichen Haus. Wir gelobens dem Kaiser, den wir jubelnd grüßen mit dem schönsten der Lieder, das uns teuer und heilig ist vor allen anderen, mit dem erhabenen, erhebenden alterwürdigen:

‚Gott erhalte, Gott beschütze Unser’n Kaiser, unser Land!’ “ 13

Die Villacher Zeitung vom 6. Oktober 1910 Nr. 80 berichtete über die Eröffnung des Schul-hauses folgendes:14

13 ebd., S. 5 – 9. 14 ebd., S. 9.

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Aus der Schulchronik der ersten Schuljahre bis 1914 7

2 Aus der Schulchronik der ersten Schuljahre bis 1914 In den folgenden Unterkapiteln werden verschiedenste Ereignisse, welche in der Chronik der beiden im Schulhause Lind untergebrachten Volksschulen Erwähnung fanden und sowohl Schüler als auch die Lehrerschaft bewegten, beschrieben. Der regelmäßige Unterricht an der Knaben- und Mädchenvolksschule III begann am 6. Ok-tober 1910. Der Lehrkörper an der Knabenvolksschule bestand aus folgenden Lehrern:15 1. Klasse: 79 Schüler Oberlehrer Edmund Zaderer 2. Klasse: 69 Schüler Lehrer Georg Lottersberger 3. Klasse: 65 Schüler Lehrer Wilhelm Neumann 4. Klasse: 49 Schüler Lehrer Gottfried Berg 5. Klasse: 40 Schüler Lehrer Josef Gatternigg An der Mädchenvolksschule setzte sich der Lehrkörper wie folgt zusammen:16 1. Klasse: 55 Schülerinnen Lehrerin Katharina Falkner 2. Klasse: 55 Schülerinnen Oberlehrerin Maria Olsacher 3. Klasse: 61 Schülerinnen Lehrerin Michaela Schöninger 4. Klasse: 49 Schülerinnen Lehrerin Helene Nebauer 5. Klasse: 49 Schülerinnen Unterlehrerin Herta Wittmann

2.1 Christbaumfeiern der Villacher „Bauerngman“ „Am 18. Dez. 1910 veranstaltete die Tischrunde der deutschen Bauerngman zu Villach eine Christbaumfeier bei welcher zum ersten Mal Schüler mit vollständiger Kleidung beschenkt wurden. Von den 12 Schülern wurden an der hiesigen Schule die Schüler Rabitsch Josef, 5. Kl. und Truppe Konrad, II. Kl. beschenkt. Außer den Kleidern bekamen die Schüler noch einen Korb Esswaren und wurden Schüler und begleitende Eltern mit einem guten Abend-mahl bedacht.“ 17 Diese soziale Aktion rief die Villacher Bauerngman im Jahre 1908 ins Leben, und zwar als sich sieben Villacher Bürger im Gasthof „Meran“ trafen, um zu beraten, wie man die Mittel dafür aufbringen konnte, armen Villacher Kindern zu helfen, indem man ihnen Kleider für den Winter zur Verfügung stellte, welche man im Zuge einer Christbaumfeier überreichte. Im Jah-re 1910 fand zu diesem Zwecke der erste Bauernball statt, der mit einigen anderen abgehal-tenen Veranstaltungen schon so viel Erlös abwarf, dass man am Weihnachtsabend bereits die erste „Kindlbescherung“ feiern konnte. Durch diesen Erfolg wurde die Villacher Bauern-gman darin bestärkt auch in den folgenden Jahren verschiedenste Feste zu veranstalten, welche einerseits der Brauchtumspflege dienten, andererseits den Zweck verfolgten, Geld-mittel für wohltätige Zwecke aufzutreiben. Eine dieser Aktionen war z. B. das „Kirchtagsla-den“, im Jahre 1950 von Robert Moosbach („Zahnbauer“) und Walter Adamitsch („Platz-bauer“) ins Leben gerufen. Diese Tradition ist in Villach bis heute aufrecht und die Spenden-freudigkeit der Bürger macht es möglich, dass jedes Jahr über hundert Kinder aus der „Kindlkassa“ von Kopf bis Fuß eingekleidet werden können.18

2.2 Lehrerwohlfahrtsverein „Selbsthilfe“ Am 1. Februar 1911 wurde der Lehrerwohlfahrtsverein „Selbsthilfe“ mit dem Sitz in Villach gegründet. Ins Leben gerufen wurde dieser humane Verein von k.k. Bezirksschulinspektor Hugo Moro, „welcher trotz seiner anstrengenden Berufsarbeit keine Mühen scheute, diesen Verein, welcher der gesamten Lehrerschaft zum Heil und Segen gereicht und gar viele Trä-nen zu trocknen bestimmt ist, zu organisieren.“ 19 Die konstituierende Versammlung fand am 1.2.1911 in Villach statt. In die Vereinsleitung wurden gewählt:

15 vgl. ebd., S. 10 u. 13 f. 16 vgl. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 8 u. 9. 17 Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 11. 18 vgl. http://www.bauerngman.at/ 19 Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 29.

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8 Aus der Schulchronik der ersten Schuljahre bis 1914 Obmann: Hr. Hugo Moro Stellvertreter: Herr Fachlehrer Richter Schriftführer : Herr Fachlehrer Köchl Stellvertreter: Frl. Oberlehrerin Spörl Zahlmeister: Hr. Fachlehrer Lackner Zahlmeister Stellvertreter: Frl. Fachlehrerin Micheu Beiräte: Frl. Oberlehrerin Olsacher, Hr. Oberlehrer Zaderer Die Aufgabe, die sich dieser Verein gesetzt hatte war, im Falle des Todes eines Lehrers oder einer Lehrerin des Bezirkes, den Hinterbliebenen finanziell unter die Arme zu greifen. Die Mitglieder hatten sich zu verpflichten, außer der Einschreibgebühr und dem Jahresbeitrag, nach dem Tode jedes Mitgliedes 3 Kronen zu zahlen. Der Witwe oder anderen Hinterbliebe-nen des verstorbenen Kollegen wurden soviel mal 3 Kronen ausbezahlt wie der Verein am Todestag Mitglieder zählte. Am 9. Oktober 1911 hatte der Verein bereits 315 Mitglieder.20

2.3 Bezirkslehrerkonferenz am 6. November 1911 Zu den Aufgaben des Bezirksschulrates gehörte es unter anderem auch, Bezirkslehrerkonfe-renzen abzuhalten. Am 6.11.1911 fand sich die gesamte Lehrerschaft des Bezirkes im Turnsaal der Mädchenvolksschule zu einer solchen Konferenz ein. Die Eröffnungsansprache hielt der Vorsitzende, k.k. Bezirksschulinspektor Hugo Moro. Laut Inspektionsbericht gab es in diesem Jahr im Villacher Bezirk 74 Schulen mit 224 Klassen an denen mit Ausnahme der Religionslehrer 155 männliche und 118 weibliche Lehrkräfte wirkten.21 Einem der Schulchro-nik beigelegten Zeitungsartikel ist zu entnehmen, „daß die Schulreform, soweit sie in der Arbeit der Lehrerschaft liegt, kräftig eingesetzt hat und Früchte zu zeitigen beginnt, daß trotz ungünstiger materieller Stellung, trotz vielfacher Not der Geist des Fortschrittes nicht er-lahmt, daß somit der Stand des Volksschulwesens in diesem Bezirke im allgemeinen ein erfreulicher, ja sehr erfreulicher ist.“ 22 An sonstigen Einrichtungen gab es im Bezirk 54 Lehrer- und 73 Schülerbüchereien, 52 Schulgärten und 24 Jugendspielplätze.23 Das Pflichtthema dieser Bezirkslehrerkonferenz war: „Wie ich meine Schüler zu selbständi-gen und denkenden Menschen erziehe. Wie ich in meinem gesamten Unterricht dem Ar-beitsprinzip und vor allem der Heimatsidee genüge. Wie ich die Kinder nur Dinge lehre, die sie im Leben wirklich brauchen und wie ich für dauernde Unterrichtserfolge vorsorge.“ 24 Die-ses Thema spiegelte eigentlich eine Zusammenfassung der Reformbestrebungen wider. Wie weit der Reformgedanken bereits in der Praxis umgesetzt wurde, zeigten zahlreiche Praxis-beispiele, welche vom Vorsitzenden Hugo Moro eingehend beschrieben und in der Tageszei-tung vom 15. November wie folgt zusammengefasst wurden: „Fruchtbringender Unterricht erfordert zunächst eine richtige Stoffauswahl, die vor allem den heimatlichen Interessen Rechnung zu tragen hat. Soll der Unterricht Leben schaffen, soll er Werte für den künftigen Lebensberuf der Schüler festlegen, muß er das Leben selbst, wie es sich im eigenen Kreise, im Elternhause und dessen Umgebung, im Heimatort, in der Ge-meinde, im Lande offenbart, zum Ausgangspunkt nehmen. Hier liegen die Schätze, die von der Schule gehoben werden sollen. Der Unterricht darf sich daher nicht in allgemeinen Aus-drücken bewegen, er muß mit dem Namen immer eine bestimmte Person, ein bestimmtes Tier, eine bestimmte Sache in Beziehung bringen, darf also nicht einen unbekannten Kna-ben, ein unbekanntes Mädchen, sondern den Franz, den Michl, die Anna und die Rosl, nicht den Vater, die Mutter, den Bruder, die Schwester, sondern meinen Vater, meine Mutter, ih-ren Bruder, ihre Schwester handelnd auftreten lassen, darf nicht vom Hund, von der Katze im allgemeinen sondern von unserem Feldmann, unserem Miezchen etwas aussagen lassen

20 vgl. ebd., S. 29 f. 21 vgl. Zeitungsausschnitt i. d. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 36. 22 ebd., S. 36. 23 vgl. ebd., S. 36. 24 ebd., S. 36.

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Aus der Schulchronik der ersten Schuljahre bis 1914 9

usw. Das ist bodenständiger Unterricht und der muß Mittelpunkt aller Reformbestrebungen der Gegenwart und Zukunft sein.“ 25 Weiters wies der Bezirksschulinspektor im Rahmen dieser Konferenz darauf hin, dass sämt-liche veraltete Rechen- und Sprachbücher aus dem Unterricht zu verbannen wären, da sie mit der Lebenswelt der Schüler nicht übereinstimmen und daher nicht mehr verwendbar wä-ren. Eine Reihe praktischer Beispiele, in verschiedenen Lehrerkonferenzen ausgearbeitet, wurde vorgestellt und bezüglich des Sprachunterrichtes wies man auf „Lindenthalers Sprechlehre“ hin. Auch der Sachunterricht sollte „alles das in sich vereinigen, das der Schü-ler im späteren Leben braucht, das ihn befähigt, die Erscheinungen des Alltags in ihrem na-türlichen Zusammenhang zu betrachten, zu erfassen, zu beurteilen und nutzbringend für sich und andere zu verwerten.“ 26 Nachdem der pädagogische Teil der Konferenz zu Ende war, überreichte Oberlehrer Reiner dem Vorsitzenden Moro als Zeichen der Verehrung und Anerkennung für seine unermüdli-chen Verdienste im Dienste des Schulwesens im Bezirk ein Diplom zur Ehrenmitgliedschaft der Zweigvereine des Bezirkes. Nach fünfstündiger Arbeit endete die Bezirkslehrerkonferenz des Jahres 1911 mit der Volks-hymne.27

2.4 Das neue Lehrergehaltsgesetz von 1912 Wenig Zustimmung fand das neue Lehrergehaltsgesetz in der Kärntner Lehrerschaft. Der Unmut über die nicht erfolgte Gleichstellung der Lehrer mit anderen Staatsbeamten und die unterschiedliche Besoldung von Lehrerinnen und Lehrern wurde auch in der Chronik festge-halten.28 „In der Landtagssitzung von 23. und. 26. Februar 1912 wurde nach lebhafter Wechselrede, in welcher Schule und Lehrerschaft in schmachvoller Weise herabgesetzt wurde [...], das vom vereinigten Schul- und Finanzausschuss ausgearbeitete neue Lehrergehaltsgesetz zur Annahme gebracht. Die Veröffentlichung desselben erfolgte im Schulblatt Nr. 11 XI. Jahr-gang. Dieses Gehaltsgesetz kommt dem vom Kärntner Lehrerbund in der Denkschrift vom 1. Jänner 1912 ausgearbeiteten Gesetzesentwurf, welcher in der Zeitvorrückung, in der Gleich-stellung mit den Bezügen der Staatsbeamten in den untersten 4 Rangstufen und in der Gleichstellung der Lehrerinnen mit den Lehrern in keiner Weise nahe. Es macht einen Unterschied in den Bezügen der verheirateten und ledigen Lehrer und reiht die Lehrerinnen noch um eine Stufe tiefer, sodaß sich in den Bezügen der ledigen Lehrer und der Lehrerinnen folgende bedeutende und durch nichts zu verteidigende Unterschiede ergeben.

1. Gehaltsstufe: 450 Kronen 2. Gehaltsstufe 400 Kronen 3. Gehaltsstufe 350 Kronen 4. Gehaltsstufe 300 Kronen 5. Gehaltsstufe 200 Kronen

In den Kreisen der Lehrerinnen macht sich über diese kränkende Zurückstellung eine nur allzuberechtigte Erbitterung bemerkbar.“ 29 Im Landesgesetz- und Verordnungsblatt für das Herzogtum Kärnten wurden die Bezüge der Lehrer und Lehrerinnen an öffentlichen Volks- und Bürgerschulen in Kärnten geregelt. Die Jahresgehälter waren in fünf Klassen eingeteilt.30

1. Klasse:

25 ebd., S. 36. 26 ebd., S. 36. 27 vgl. ebd., S. 36. 28 vgl. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 38. 29 ebd., S. 38. 30 vgl. LGBl. 1912, Nr. 38, § 23.

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10 Aus der Schulchronik der ersten Schuljahre bis 1914

Lehrer und Oberlehrer 2.200 Kronen Lehrerinnen und Oberlehrerinnen 1.750 Kronen 2. Klasse: Ledige Lehrer und Oberlehrer 2.000 Kronen Ledige Lehrerinnen und Oberlehrerinnen 1.600 Kronen 3. Klasse: Lehrer und Oberlehrer 1.800 Kronen Lehrerinnen und Oberlehrerinnen 1.450 Kronen 4. Klasse: Ledige Lehrer und Oberlehrer 1.600 Kronen Ledige Lehrerinnen und Oberlehrerinnen 1.300 Kronen 5. Klasse: Lehrer und Oberlehrer 1.400 Kronen Lehrerinnen und Oberlehrerinnen 1.200 Kronen Jahresgehalt Unterlehrer/innen 1.000 Kronen Verwitwete Lehrer und Oberlehrer mit mindestens einem ehelichen Kind waren verheira-teten Lehrern und Oberlehrern gleichgestellt. Dies galt auch für Lehrer deren Ehe aufge-löst wurde, jedoch nur dann, wenn dies nicht durch eigenes Verschulden geschah. Die Vorrückung in eine nächst höhere Gehaltsklasse erfolgte nicht automatisch, wie zum Beispiel heute gebräuchlich in Biennalsprüngen, sondern dafür musste man ernannt werden und auch einige Bedingungen erfüllen. Berücksichtigt wurden:

• Befriedigende Dienstleistung • Guter Unterrichtserfolg trotz schwieriger Verhältnisse, wie zum Beispiel an ge-

mischtsprachigen Schulen • Befähigung zur Erteilung von Fortbildungsunterricht • Verdienste um das Volksbildungswesen31

2.5 Der Eislaufplatz der Volksschule Lind Im Schuljahr 1912/13 errichtete der Eislaufverein am Turnplatz der Volksschule Lind einen Eislaufplatz. Die Bewilligung dazu erteilte der Ortsschulrat in der Sitzung am 9. 12.1912. Die Leitung dieses Vereins oblag dem Stadtbaumeister Rudolf Müller, welcher sich für den un-entgeltlichen Wasserverbrauch dazu verpflichten musste, den Kindern der Schule Freikarten zur Benützung des Platzes zu geben.32 Dieser Eislaufplatz, der am 8. Jänner 1913 eröffnet wurde, sollte noch eine lange Tradition bekommen, denn auch noch heute findet der Turnunterricht der Schüler und Schülerinnen der Volksschule Lind im Winter überwiegend auf dem Natureislaufplatz hinter dem Schulge-bäude statt. Doch nicht nur für die Lindner Jugend hat dieser Eislaufplatz Tradition, sondern auch für den Villacher Eishockey-Sport, dessen Anfänge auf die ersten Nachkriegsjahre nach dem Ersten Weltkrieg zurückgehen. 1925 fand auf dem Eislaufplatz bei der Volksschule in Lind das erste offizielle Eishockeyspiel statt. Der VSV spielte gegen eine Wiener Juden-Mannschaft und siegte gegen dieses Profiteam sensationell 5:4. Diesem Spiel folgten auf dem Platz noch viele weitere und die Draustädter waren schon damals eine sehr kämpferische Eishockey-mannschaft.33 „Das mußten die Spieler des GAK erfahren, die in Lind eine 0:5 Abfuhr bezo-gen, außerdem mit vielen blauen Flecken und zahlreichen Verletzten zum Bahnhof humpel-ten. Und das waren noch Zeiten: Der VSV besiegte den KAC mit 3:1, wobei jedoch die Kla-genfurter ohne Hockeyschuhe und Schützer antraten.“ 34 31 vgl. ebd., § 24. 32 vgl. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd.1, S. 53 f. 33 vgl. Festschrift zum Bestandsjubiläum. 50 Jahre Villacher Sportverein. unpag. 34 ebd.

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Das Schulleben während des 1. Weltkrieges 11

2.6 Schulgartenarbeit als Bestandteil des Unterrichtes In der Unterrichtsordnung von 1905 ist im § 13 genau beschrieben wie die Schulgartenarbeit zu erfolgen hat. Bei jeder Volksschule sollte ein Schulgarten vorhanden sein und ebenso ein landwirtschaftliches Versuchsfeld, auf dem die Schüler und Schülerinnen praktizieren konn-ten. Zu den Arbeiten im Schulgarten wurden die Kinder der obersten drei Klassen herange-zogen, wobei die Buben vor allem in der Obstbaumschule, die Mädchen hingegen bei der Blumenzucht und in der Gemüseabteilung zum Einsatz kamen. Diese Arbeit hatte im An-schluss an den regulären Unterricht zu erfolgen, und zwar in dem Ausmaß von einer Wo-chenstunde.35 In der Schulchronik finden sich hiezu immer wieder Eintragungen, nicht nur über die Schul-gartenarbeit, sondern auch über die Topfblumenzucht, an der auch die Kinder der unteren Klassen beteiligt waren. So wurden am 27. März 1912 in der 1. Klasse 48 Schülerinnen und in der 2. Klasse 49 Mädchen mit verschiedenen Blumensamen, die das Blumenschmuckko-mitee spendete, beschenkt. Dazu erhielten sie eine genaue Anleitung zur Behandlung des Samens und der daraus zu ziehenden Blumen.36 Am 22. Juni 1912 wurden in der dritten, vierten und fünften Klasse 133 Mädchen mit Topfblumen beschenkt, welche man ihnen zur Pflege und in der Folge zur Darbietung an verschiedenen Ausstellungen übergab.37 Vom 7. bis 10. September 1912 fand in den Räumen des Schulgebäudes in der Peraustraße unter der Schirmherrschaft des k.k. Hofrates Hans Schuster die Jubiläumsgartenausstellung statt. Auch die Lindner Volksschule nahm mit ihren Schulgartenerzeugnissen an dieser Ver-anstaltung teil und belegte den 3. Platz, belohnt mit einer Silbermedaille. Ausgestellt wurden Blumen, Gewürz- und Heilkräuter im frischen und getrockneten Zustand sowie Giftpflan-zen.38 Die Presse berichtete darüber folgendes: „Man kann hier sehen, ein welch’ reiches Feld der Betätigung sich unsere moderne Schule damit errungen hat und läßt jedoch auch erkennen, mit welcher idealen Aufopferung sich die Lehrerschaft der Aufgabe unterzieht, die Jugend für die Natur zu begeistern und ihre Nutzar-beit im Alltagsleben hervorzukehren. Die Erzeugnisse der Lindner Mädchenvolksschule 3 verdienen schon deshalb angeführt zu werden, da der dortige Schulgarten erst ein Jahr be-steht und doch schon so schöne Resultate aufzuweisen hat. Insbesondere müssen die Heil-kräuter für den Haushalt hervorgehoben werden.“ 39

3 Das Schulleben während des 1. Weltkrieges Das Schuljahr 1914/15 begann am 14. September mit einer heiligen Messe. Der regelmäßi-ge Unterricht begann am 18. September. Aufgrund der hohen Schülerzahlen wurde die dritte Klasse der Knabenschule geteilt. Doch wegen der Einrückung zum Militärdienst des Lehrers Paul Kruletz mussten beide dritten Klassen von HL Michl Ludwig übernommen werden. Schülerzahlen: Mädchenvolksschule 340 Knabenvolksschule 341 1. Klasse: 53 Schülerinnen 1. Klasse: 73 Schüler, Edmund Garderer 2. Klasse: 67 Schülerinnen 2. Klasse: 65 Schüler, Georg Lottersberger 3. Klasse. 69 Schülerinnen 3.a Klasse: 36 Schüler, Michl Ludwig 3.b Klasse: 35 Schüler, Michl Ludwig 4. Klasse: 54 Schülerinnen 4. Klasse: 50 Schüler, Wilhelm Neumann 5. Klasse: 46 Schülerinnen 5. Klasse: 57 Schüler, Gottfried Berg

35 vgl. RGBl. 1905, Nr. 159, S. 403. 36 vgl. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 40. 37 vgl. ebd., S. 42. 38 vgl. ebd., S. 44 f. 39 Zeitungsausschnitt in der Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 45. 40 vgl. ebd., S. 88. 41 vgl. Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 32.

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12 Das Schulleben während des 1. Weltkrieges Aufgrund der herrschenden Kriegswirren konnte der Unterricht nicht im vollen Umfang auf-genommen werden. In der Knabenvolksschule wurde die k.k. Landsturm-Eisenbahnsicherungsabteilung einquartiert. Der Unterricht der Buben fand im Mädchentrakt statt. Dies konnte allerdings nur durch Einführung eines Halbtagsunterrichtes in abwechseln-der Weise bewerkstelligt werden. Die Schüler und Schülerinnen hatten wöchentlich je drei Schultage Vormittagsunterricht und drei Tage Nachmittagsunterricht.42 „Vom 1. Schultage an wird Kriegsgelegenheitsunterricht betrieben u. täglich werden die Kin-der auf die gewaltigen Ereignisse der Gegenwart und auf unsere Verpflichtungen diesen gegenüber aufmerksam gemacht. Das Manifest des Kaisers, wie 1 Karte mit den Kriegs-schauplätzen wird im Stiegenhaus aufgehängt. Die Bewegungen der Truppen werden auf der Karte mittels Fähnchen bezeichnet, was mit großem Interesse verfolgt wird. Die Bildnisse der besten Heerführer wurden von den Kindern gezeichnet, die Heldentaten unserer tapfe-ren Kärntner Soldaten aus den Zeitungen vorgelesen.“ 43 „In allen Kl. werden patriotische Lieder gesungen und der Unterrichtsbetrieb ganz in den Dienst der Kriegsfürsorge gestellt. Folgende Kriegsgebete werden täglich gesprochen.

In der I. u. II. Klasse: Lieber Gott, erhöre die Bitte und mein mündliches Flehen

beschütze unsere Soldaten die vor dem Feinde stehen bewahre sie immer, verleih ihnen Glück, und gib sie gesund bald der Heimat zurück.

In der III. IV. u. V. Kl.:

Himmelvater, Herr der Welt! Wir bitten für die Soldaten im Feld,

im fernen Land unter Frost und Brand. Uns ist beschieden, der Heimat heiliger Frieden.

wir rufen zur Nacht in stillen Betten. Die Soldaten stehen auf der Wacht sollen uns beschützen und retten.

Allmächtiger Gott verlasse sie nimmer und nie Schütze und rette auch sie.

Du sandtest sie aus mit Waffen, die falschen Feinde strafen. Sie wie wir alle sind schuldlos an diesem Krieg

O gib ihnen Sieg! Lasse sie schuldlos bleiben u. rein. Und führe sie uns wieder heim! Und schütze o Herr unsere Heimat auf Erden mit deiner Hand,

bis wir eingehen zu dir ins ewige Vaterland. Amen.“ 44

Am 11. November 1914 musste das gesamte Schulhaus geräumt werden, da es als Reser-vespittal in Anspruch genommen wurde. Damit überhaupt ein Unterricht stattfinden konnte, sollten die Kinder in Völkendorf in die Schule gehen, wo wie bisher abwechselnder Halb-tagsunterricht gehalten werden sollte. Doch die Bevölkerung erhob Einspruch und am 7. November kam es im Bahnhofgasthaus unter der Leitung von Albert Kümmel zu einer Wi-derspruchsveranstaltung. Darauf hin bemühte sich der Ortsschulrat die Schüler und Schüle-rinnen im Gebäude des Peraugymnasiums unterzubringen. Der dortige Direktor Eugen Giovanni ermöglichte dies, indem zwei Lehrzimmer geteilt und zusätzlich noch drei Zimmer zur Verfügung gestellt wurden.45 Am 7. Dezember 1914 erfolgte die Einberufung von Gottfried Berg zur aktiven militärischen Dienstleistung und am 16. Jänner 1915 die von Wilhelm Neumann, welcher allerdings rück-beurlaubt wurde und am 22. Jänner seinen Dienst in der Schule wieder antreten konnte.

42 vgl. ebd., S. 32. 43 Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 89. 44 ebd., S. 90. 45 vgl. Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 32 f.

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Das Schulleben während des 1. Weltkrieges 13

Doch nicht lange währte diese Schonzeit, denn am 5. Juni wurde Neumann bei einer erneu-ten Musterung wieder für tauglich befunden.46 Italien kündigte den deutsch-österreichisch-italienischen Dreibund und erklärte am 23. Mai 1915 Österreich-Ungarn und am 28. August dem Deutschen Reich den Krieg. Die Kämpfe konzentrierten sich auf das italienisch-jugoslawische Grenzgebiet, die sogenannte Isonzoli-nie.47 In der Chronik wird dies folgend dokumentiert: „Am 23. Mai 1915 um halb 4 Uhr nach-mittags wurde vom heuchlerischen und verlogenen Welschen Österreich der Krieg erklärt.“ 48 Immer wieder werden in der Chronik auch verschiedenste gemeinnützige Tätigkeiten der Schüler und Schülerinnen beschrieben, die sie gemeinsam mit dem Lehrkörper ausführten. „Viele große Opfer wurden während dieses Weltkrieges an Geld, Gut und Blut von den Deut-schen gebracht und hoffentlich sind die Opfer nicht umsonst gebracht worden. Auch die Schuljugend brachte gerne Opfer für ihr liebes Vaterland und beteiligte sich bei den ver-schiedenen Veranstaltungen nach ihren Kräften.“ 49 So zum Beispiel gab es in regelmäßigen Abständen Sammlungen für den Kriegswaisen- und Witwenfond, das Rote Kreuz, oder auch für das Kriegsfürsorgeamt des k.k. Kriegsministeriums. Für die Verwundeten wurden Erd-beer- und Brombeerblätter zur Teebereitung gesammelt. Die Schüler spendeten Geld zum Ankauf von Wolle, welche der Mädchenschule zur Herstellung von Strümpfen, Leibchen, Handschuhen und Schneehauben diente. Die Naturalspendensammelstelle des Kriegsfür-sorgeverbandes bekam folgende Dinge zur Weitergabe: Am 1. Dezember 1914: 1700 Stück Zigaretten, 355 Stück Zünder, 125 Feldpostkarten, 12 Tabakpfeifen, 20 Päck-chen Rauchtabak, 1 Schneehaube, 26 dkg Schokolade; Am 9. Februar 1915: 800 Stück Zigaretten, 5 Päckchen Pfeifentabak, 3 Schachteln Zünder, 2 Päckchen Tee, 550 Paar Papierschuheinlagesohlen; Am 12. Oktober 1915: 14 Kronen in bar, ein Paar Socken, 7 Bleistifte, 5 dkg Tee, 1 Zigarettentasche, 82 Stück Zi-garetten, 100 Feldpostkarten, 9 Päckchen Pfeifentabak, 70 dkg Schokolade, 30 Stück Brief-papier und Umschläge und 50 dkg verschiedenes Gebäck, 10 dkg Zucker sowie 2 Päckchen Zigarettentabak;50 Am 27. Mai 1915 führten die Schüler eine Kriegsmetallsammlung durch, bei der sie 4100 kg Metall sammelten. Doch nicht nur Großsammlungen fanden statt, sondern man hatte auch direkten Kontakt mit den Soldaten im Feld, wie z. B. mit dem Lehrer der Knabenvolksschule III, Paul Kruletz. „Herrn Kollegen Kruletz Paul welcher in Gallizien kämpfte und an Lungenspitzenkatharr er-krankt in Miskolcz lag wurden am 5.12.14 von den Mädchen der V. Klasse ein Paar Waden-stutzen, eine Schneehaube, ein Paar Fäustlinge nebst einem Begleitschreiben als Weih-nachtsgabe übersandt.“ 51 Aber auch die anderen Soldaten im Feld nahmen die Spenden von den Daheimgebliebenen gerne und dankbar an, wie aus einem Briefwechsel mit den Schülerinnen der Mädchen-volksschule III zu entnehmen ist.52

46 vgl. ebd., S. 33 f. 47 vgl. Harenberg 1984, S. 858. 48 Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 35. 49 ebd., S. 73. 50 vgl. ebd., S. 76 f. 51 Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd.1, S. 94. 52 ebd., S. 96.

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14 Das Schulleben während des 1. Weltkrieges

Kriegsschauplatz, 12.I.15

An unsere lieben Kärntnermädel!

Kalter Jännerfrost zieht durch die von uns besetzten Ge-

genden, doch das macht uns nichts, denn unsere Lieben

in der Heimat sorgen für uns mit warmen Sachen. Ich

kann Euch daher nicht nur unseren Dank, sondern auch

unsere vollste Zufriedenheit bekannt geben.

Euer Fleiß und Euer gutes Herz wird ein Höherer beloh-

nen. Herzlichen Gruß Euch allen, schreiben aus weiter

Ferne

Eure Feldkriegsteilnehmer

Feldwebel Egger, Hubert Peits Golser Regiment, Scharf

Zugsführer, Max Prindel Zugsführer.

Ein geborener Lindner dankt ganz besonders.

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Das Schulleben während des 1. Weltkrieges 15

Ein zweiter Brief der in der Chronik festgehalten wurde war folgender:53

53 ebd., S. 96 f.

Im Felde am 11.I.1915

Die Freude die wir hatten, als uns die Heimats-

liebesgabe zuteil wurde, ist unbeschreibbar.

Alles paßt – wie angemessen! Darum tausend

Dank Euch lieben, braven Kärntner Mädln, für

die warmen Sachen. Erwidern Eure Grüße aufs

herzlichste,

Heil und Sieg,

die Mannschaft der Hermagorer Maschinenge-

wehrabteilung 1/4

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16 Aus der Schulchronik während der ersten Republik Villach lag sehr nahe an der Front und erlebte das volle Kriegsleid mit. Am 6. Februar 1917 musste der Unterricht gänzlich eingestellt werden, da aus Mangel an Heizstoffen die Schul-zimmer nicht mehr beheizt werden konnten und eine ziemlich strenge Kälte, bis zu -22° C. herrschte. Erst am 12. April 1917 konnte der ganztägige Unterricht im Schulhause Lind wie-der aufgenommen werden.54 Doch nicht nur der Unterricht war in diesen Kriegsjahren äußerst mangelhaft, auch die Er-nährungsverhältnisse wurden immer trauriger und besonders die Kinder litten darunter.55 Die Fachlehrerin Andrea Huber bemühte sich in dieser Zeit sehr, um diesem Mangel Abhilfe zu schaffen. So gelang es ihr, mit Unterstützung von Finanzrat Dr. Raunegger und dem Postkontrollor Schneider, eine Frühstückssuppenausgabe an die Schüler zu organisieren. Mit 18.4.1918 erhielt jedes Schulkind 3/8 l Kartoffel-, Dörrgemüse- oder Bohnensuppe, be-kocht von der Aushilfsschuldienerin Fr. Volkmar. Zwischen 18. April und 14. Juli 1918 wur-den insgesamt 6218 Portionen Suppe verteilt.56

4 Aus der Schulchronik während der ersten Republik Das Schuljahr 1918/19 begann am 1. Oktober 1918. Alle Klassen waren wieder in ihren ei-genen Hausabteilungen untergebracht, doch das Kriegsgeschehen und der Zusammenbruch warfen düstere Schatten auf die Schule. Das Militär zog schießend durch die Stadt und in den Bahnhöfen wurden Lebensmittelwaggons von der Bevölkerung geplündert.57 Durch die geringe zugewiesene Menge an Lebensmitteln war die Not sehr groß. Die Verpflegung be-trug für 14 Tage pro Kopf: ½ kg Marmelade, 2 ¼ Laib Brot, ½ kg Mehl, 1 kg Erdäpfel, 6 dkg Fett. Pro Woche gab es 20 – 25 dkg Fleisch und zeitweise kam es sogar vor, dass jede dritte Woche fleischlos blieb. Die Milch war, abhängig vom Alter, rationiert. So erhielten über 70 Jahre alte Menschen und unter 4jährige Kinder ¼ l täglich, Zucker ¾ kg monatlich.58 Le-bensmittel einzukaufen war aufgrund der überhöhten Preise kaum möglich. Mit 3. November 1918 trat der Waffenstillstand an allen Fronten in Kraft, am 12. November 1918 wurde die Republik ausgerufen und am 16. Februar 1919 fanden die ersten Wahlen statt.59 Zu den Wahlen in Kärnten ist in der Schulchronik folgender Eintrag nachzulesen: „Am 16. Feb. 1919 fand die Wahl in die deutschösterr. Nationalversammlung auf Grund des gleichen, direkten und geheimen Wahlrechtes statt. Die Wahlagitation seitens der einzelnen politi-schen Parteien war eine ungemein rege. Der Wahltag selbst verlief in Villach, Kärnten und ganz Deutschösterr. ruhig. Das Ergebnis der Wahlen wurde am 18.2. offiziell bekannt gege-ben. Gewählt erscheinen in Kärnten: 4 Sozialdemokraten, 1 Deutschdemokrat, 2 Bauernbündler, 2 Christlichsoziale. Das Stimmenverhältnis war folgend: Abgegeben wurden in Kärnten – ausgenommen das von den Südslawen besetzte Gebiet – 157.231 Stimmen. Hiervon entfielen: Sozialdemokratische Stimmen: 77.961 Christlich soziale Stimmen: 27.733 Deutschnat. Arbeiterpartei: 2.124 Deutschdemokratische Partei: 15.917 Bauernbund: 33.494“ 60 Hiezu schrieb das Kärntner Schulblatt Nr. 2 vom Monat Februar 1919 folgenden Artikel:61

54 vgl. Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 60. 55 vgl. Schrott 1931, S. 194. 56 vgl. Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 73. 57 vgl. Schrott 1931, S. 194. 58 vgl. Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 75. 59 vgl. ebd., S. 82. 60 ebd., S. 82.

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Aus der Schulchronik während der ersten Republik 17

Am 21. Februar 1919 beschloss die provisorische Landesversammlung von Kärnten ein neues Lehrergehaltsgesetz. Dieses wurde der schon so lange Zeit erhobenen Forderung nach einer Gleichstellung der Lehrer mit den IV. und V. untersten Rangklassen der Staats-beamten gerecht.62 Auch die nächsten Jahre wurden für unsere Schuljugend und auch für die Lehrerschaft nicht ruhiger. Wegen Mangel an Heizmaterial musste die Schule vom 15. Dezember 1919 bis 15. Jänner 1920 abermals geschlossen werden. Doch der Unterrichtsbeginn zögerte sich noch weiter hinaus, da es wegen verspäteter Gehaltsauszahlungen und nichterfüllter Forderungen zu einem 4-tägigen Demonstrations-Ausstand der Lehrer und Lehrerinnen kam. Der regel-mäßige Unterricht fand erst mit 20. Jänner 1920 seine Fortsetzung.63 Mit Beschluss der Lan-desversammlung vom 24. Februar 1920 wurde die Lehrerschaft in ihren Bezügen den Staatsbeamten mit gleicher Vorbildung gleichgestellt. „Jede Erhöhung welche der Beamten-schaft auch in Zukunft gewährt wird, muß auch der Lehrerschaft zukommen. Damit hat das Bitten und Betteln der Lehrer um materielle Besserstellung hoffentlich definitiv ein Ende ge-funden. Deshalb ist das Los der Lehrerschaft noch kein glänzendes, doch in der Zeit der sprunghaften Steigerung aller Bedarfsartikel die schon ans Märchenhafte grenzen, ein etwas leichteres und trostreicheres.“ 64 Die Grundgehalte der Lehrer wurden wie folgt festgesetzt:65 XI. Rangklasse 4.000 Kronen X. Rangklasse 4.800 Kronen IX. Rangklasse 6.000 Kronen VIII. Rangklasse 7.200 Kronen VII. Rangklasse 9.600 Kronen Wegen des drohenden Einmarsches der Serben in Kärnten wurde Villach vom italienischen Militär besetzt. Mit Beginn des Schuljahres 1920/21 befanden sich noch italienische Besat-zungstruppen im Knabentrakt der Lindner Volksschule, sodass es wieder nur abwechseln-den Halbtagsunterricht gab.66 Als die Italiener die Villacher Schulen endlich räumten, befan-den sich diese in einem äußerst trostlosen Zustand. „Erst jetzt begannen wieder geordnete Zeiten. Einer ganzen Generation aber konnte die Schule nicht das geben, was sie in friedli-chen Jahren hätte geben können.“ 67 Das Schuljahr 1921/22 begann wegen der in Villach und Umgebung herrschenden Ruhr- und Typhuserkrankungen erst am 1. Oktober 1921.68

61 Zeitungsartikel i. d. Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 82. 62 vgl. Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 83. 63 vgl. ebd., S. 89. 64 ebd., S. 90. 65 vgl. LGBl. 1920, Nr. 16, § 6. 66 vgl. Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 91. 67 Schrott 1931, S. 194. 68 vgl. Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 95.

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18 Aus der Schulchronik während der ersten Republik Während der Ferienmonate lagerte die Stadtgemeinde im Kellerraum der Schule Torf ein, welcher zur Beheizung des Schulgebäudes in den Wintermonaten hätte dienen sollen. Am Morgen des 29. September 1921 brach im Keller der Schule durch Selbstentzündung des Torfes Feuer aus. Der Schuldiener, Hr. Volkmar, bemerkte den Brand zum Glück noch rechtzeitig und konnte das Feuer noch vor Eintreffen der Feuerwehr löschen. Beschädigt wurden lediglich ein paar Kellerfensterscheiben, und es kam zu kleineren Sprüngen in den Mauern der Kanzlei und des Konferenzzimmers.69 Die wirtschaftliche Lage des Landes wurde im Laufe des Jahres immer schwieriger. Die Kro-ne erreichte einen Tiefstand, was sich in einer enormen Teuerungswelle bemerkbar mach-te.70 „Hier einige Preise von Bedarfsartikeln des täglichen Haushaltes am 26. März 1922: 1kg Weizenmehl 560 K., 1 Laib Brot 1 kg schwer 376 K., 1 kg Zuckergrieß 980 K., Würfelzucker 1140 K., 1 kg Rindfleisch 1400 K., 1 kg Schweinefett 2400 K., 1 kg Salzspeck 2200 K., 1 kg Selchspeck 2500 K., 1 kg Powidl 580 K. Seit 1. Februar 1922 wurden die Eisenbahntarife um 380 % erhöht, sodaß eine kurze Bahn-fahrt von einigen Minuten z. B. Villach-Warmbad 72 K., eine Fahrt nach Klagenfurt 260 Kro-nen kostet.“ 71 Und die Preise stiegen weiter ins nahezu Unermessliche. Im August 1922 kosteten oben angeführte Lebensmittel schon 10 bis 20 Mal soviel, z. B. 1 kg Schweinefett 30.800 Kronen oder 1 kg Brot 6.500 Kronen. Österreich stand vor dem Zusammenbruch. Niemand glaubte mehr daran, dass sich dieses Land wirtschaftlich noch erholen könnte. Viele Betriebe mussten schließen und es gab eine sehr hohe Arbeitslosenrate. Nach langen Verhandlungen rettete schließlich der Völkerbund Österreich mit einem Kredit und am 1. April 1925 kam es zur Einführung der Schillingwäh-rung.72 Im Jahre 1926 trat ein neuer Lehrplan in Kraft. „Im Wege der Neuverordnungen des Bundes-amtes für Unterricht vom 19.5.1926 Z.8523 ist ein definitiver Lehrplan erschienen, abwei-chend von dem im Jahre 1920 eingeführten zur Erprobung in Verwendung stehenden Lehr-plane des damaligen Staatssekretärs Glöckel. Gegen die Einführung dieses Lehrplanes de-monstrierte die Arbeiterschaft wie in allen größeren Orten Österreichs, auch in Villach bei einer Massenbeteiligung am 18. Juni d. J.“ 73 Immer wieder findet man auch Aufzeichnun-gen darüber, dass die Lehrerschaft sehr großes Interesse an der „Wiener Schulreform“ zeig-te. So stellte der Ortsschulrat wiederholt größere Summen zur Verfügung, damit Lehrer an Studienfahrten nach Wien teilnehmen konnten. Von der Lindner Knabenvolksschule nahmen die Lehrer Paul Kruletz in der Zeit von 28. April bis 4. Mai 1929 und Wilhelm Neumann vom 5. bis 10. Mai 1929, an einer solchen „Studienfahrt der Wiener Schule“ teil.74 Das Schuljahr 1927/28 brachte auch schulorganisatorische Umstrukturierungen. Die Bürger-schule wurde von drei auf vier Klassen aufgestockt und ihre Bezeichnung wurde auf „Haupt-schule“ geändert. Diese Schulform, in zwei Klassenzügen geführt, unterschied sich vom Lehrplan der Bürgerschule insofern, als einerseits darauf Bedacht genommen wurde, dass die Schüler bei entsprechender Begabung und Kenntnis einer Fremdsprache auch in die Mittelschule übertreten konnten. Andererseits sollten die Schüler auf das praktische Leben oder den Besuch einer Fachschule vorbereitet werden. Der Fremdsprachenunterricht wurde in Form eines unverbindlichen Unterrichtes angeboten.75 „Mit Beginn des neuen Schuljahres trat nach Verordnung des Landesministeriums für Unterricht (Bundesges. Vom 2. Aug. 27, 8.

69 vgl. ebd., S. 96. 70 ebd., S. 97 f. 71 ebd., S. 97 f. 72 vgl. ebd., S. 112. 73 ebd., S. 116. 74 vgl. ebd., S. 126. 75 vgl. Engelbrecht 1988, S. 101.

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Aug. 27 u. 5. Juni 1928) das Hauptschulgesetz in Kraft, nach welchem alle aufsteigenden Schüler der 4. Klassen in diese Schule übergetreten sind, um die Schulpflicht dort zu vollen-den, die fünfklassige Volksschule (mit aufsteigenden 4 Schulstufen) zur vierklassigen Grund-schule geworden ist.“ 76 Die Weltwirtschaftskrise verschlimmerte in den folgenden Jahren die Lage Österreichs im-mer mehr. Es kam zu einer Vielzahl von Konkursen und die Arbeitslosenrate stieg sprunghaft an. Diese Entwicklung dokumentiert die Schulchronik sehr genau: „Die Verschlechterung der Gesamtwirtschaftslage des Bundes und der Bundesländer kam zum Ausdrucke in den vielen Konkursen (1930: 694, 1932: 1093) Ausgleichen ( 1930:2695 1932: 4487) der hohen Zahl der unterstützten Arbeitslosen (1930: 207.081, 1032: 308.853, 1933: (Feb.) 402.000), dadurch in den starken Rückgängen der Steuerleistungen. Die weiteren Folgen waren auch Einsparungen in den verschiedenen Posten des Landesbudgets. Am Schulbudget allein wurden Abstriche von 1. Mill. Schillinge gemacht und wurden an den Lehrergehalten (Grundgehalte u. Vorrückungsbeträgen) von 18% Kürzungen vorgenommen. Die Lehrer-schaft des Landes geriet infolge dieser hohen Gehaltsverminderung in nicht geringe Aufre-gung, umsomehr, da weder die Landesbeamten, noch die übrigen Angestellten des Bundes, der Länder u. Gemeinden mit Gehaltskürzungen bedacht wurden. (Hier sei bemerkt, daß nur N.Österr., dessen Lehrer gehaltlich besser stehen, eine Kürzung, aber nicht in dem Ausma-ße wie in Kärnten durchführte.)“ 77 Für die meisten Lehrer kam es zu Gehaltseinbußen bis zu 30 %. Um dem wachsenden Un-mut darüber kundzutun, gab es im Dezember 1932 Protestveranstaltungen der gesamten Kärntner Lehrerschaft.78 „Vorsprachen bei der Bundesregierung, den einzelnen politischen Parteien des Nationalrates, eingebrachte Klagen beim zuständigen Gerichte gegen diese Gehaltskürzungen ergaben wohl die Ungesetzlichkeit dieser Maßnahme. Die Landesregie-rung erwiderte auf diese Proteste, daß man den Lehrern diese Gehaltskürzungen nur ‚schul-dig’ bleibt.“ 79

4.1 Interview mit einem Zeitzeugen: Wilhelm Sereinigg Herr Ing. Wilhelm Sereinigg wurde am 13. November 1913 in Triest geboren. Er war ab 1953 im Villacher Gemeinderat als Stadtrat und Finanzreferent tätig und von 1965 bis 1973 be-kleidete er das Amt des Vizebürgermeisters der Stadt Villach. Weiters war er viele Jahre lang Obmann der Wohnbaugenossenschaft „Heimat“. Nach einem kurzen Telefongespräch er-klärte sich der vermutlich wohl älteste lebende Schüler der Volksschule Lind gerne zu einem Gespräch bereit, das am 6. März 2009 in der heutigen Schule stattfand. Gemeinsam blätter-ten wir in der Chronik und in den Klassenbüchern aus den Schuljahren 1919/20 und 1920/21. Herr Sereinigg konnte sich noch gut an den Lehrer Paul Kruletz erinnern und auch teilweise an einige Namen von Klassenkameraden, vermutet aber, dass ein Großteil der Schulkollegen wohl nicht mehr lebt. Nach der 2. Klasse wechselte Herr Sereinigg aufgrund eines Wohnungswechsels in die Volksschule Perau. Interview: Darf ich Sie bitten sich kurz vorzustellen? „Ja, ich heiße Wilhelm Sereinigg und wurde am 13.11.1913 in Triest geboren. In den letzten Jahren haben mich eine Menge Leute interviewt, aber alle über die 30er Jahre bzw. die Kriegszeit. Da hab ich auch schon eine Rolle gespielt. Erstens war ich ein ganzes Jahr im Gefängnis, 1935, als Sozialdemokrat in Klagenfurt, mit dem Hr. Wedenig, der später Lan-deshauptmann war, und auch der Hr. Resch, der dann später Bürgermeister von Villach war, war auch mit uns im Gefängnis. Auch 1934 beim Februarputsch war ich einige Tage in Vil-lach in Haft. Ja und dann kam das Dritte Reich. Zuerst war ich Immigrant in Jugoslawien,

76 Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 121. 77 ebd., S. 143. 78 ebd., S. 144. 79 ebd., S. 144.

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20 Aus der Schulchronik während der ersten Republik dann im Dritten Reich insgesamt sechs Jahre beim Militär – mit der Gefangenschaft – und dann nach dem Krieg war ich Vizebürgermeister in Villach und Abgeordneter im Landtag... damals hatte ich eine Menge von Funktionen.“ Ja, wenn man sein Leben über die Jahre betrachtet... „Ja, ich hatte viele Erlebnisse, aber so weit zurück liegende sind natürlich schon sehr dämm-rig, sowie die 1. und 2. Klasse. Da kann ich mich hauptsächlich an einige Schüler erinnern, an den Tatschl, an den Fradenegg usw., aber ich hab mir schon gedacht, dass es eher we-nig sein wird, was ich Ihnen erzählen kann.“ Als Sie die Schule hier besuchten, das war ja unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg. Kön-nen Sie sich an bestimmte Ereignisse noch erinnern? „Ja, ich kann mich an einige Sachen noch gut erinnern. Wir haben ja in Triest gewohnt. Mein Vater war bei der k.k. Staatsbahn in Triest und ich hab den Einmarsch der Italiener in Triest erlebt. Zuerst den Angriff der Italiener auf die Stadt Triest, wo sie von Flugzeugen aus herun-tergeschossen haben auf die Stadt. Dann die ersten Tage nach dem Einmarsch der Italiener, wo sie uns, wenn wir deutsch gesprochen haben, gedroht haben, sie werfen uns aus der Straßenbahn – damals gab es in Triest noch eine Straßenbahn – und dann im März 1919 sind wir nach Villach übersiedelt. Das heißt, alle Eisenbahner, die nicht unterschrieben ha-ben, dass sie Italiener werden wollen, mussten zurück nach Österreich. Mein Vater war Kärntner, ein Rosentaler, für ihn kam Italien nicht in Frage und er ging mit „Kind und Kegel“ zurück nach Villach. Da haben wir dann ein paar Monate in der Seebacher Kaserne ge-wohnt, weil es ja keine Wohnungen gegeben hat, und dann haben wir da in Lind in der Thomas Koschat Straße gewohnt. Der Hausbesitzer damals war ein Fiaker. Damals hatte es in Villach noch Fiaker gegeben. Er ist mit seinem Fiaker am Bahnhof gestanden, so wie heu-te die Taxis. Zu dieser Zeit bin ich in die 1. und 2. Klasse gegangen. Dann sind wir nach Völ-kendorf übersiedelt, wo mein Vater die Siedlung gebaut hat, die Sackgassensiedlung ober dem Steirerhof, und von dort bin ich in die Perauschule gegangen. Dort hab ich als ersten Lehrer den Herrn Timmerer gehabt. Und dieser hat mich dann „verfolgt“ von der Volksschule angefangen, über die Politik, als er Bürgermeister war und ich Vizebürgermeister von Villach. Als wir hierher kamen, war der Krieg ja schon vorbei, und die Volksabstimmung für Kärnten war in Vorbereitung. Die Italiener waren hier und achteten darauf, dass die Serben Villach nicht besetzen, wie sie einen Teil von Kärnten schon besetzt hatten.“ War dies der Grund warum im Schuljahr 1919/20 die Mädchenvolksschule III in Lind von den Italienern besetzt wurde? „Ja, deshalb war ein Bataillon Italiener hier stationiert, bis die Volksabstimmung vorüber war. Ja, und bei denen haben wir immer um ein Mittagessen gebettelt. Die hatten ihre Volksküche da, ihre Gulaschkanonen, und da haben wir immer Minestrone bekommen.“ Nach dem Krieg waren die Leute ja relativ arm. „Ja, sehr. Es hat keine Wohnungen gegeben und auch keine Lebensmittel. Die bekam man nur gegen Bezugsscheine und es gab die Inflation. Ich kann mich noch erinnern, als mich meine Mutter zum Milchholen in Lind schickte da hab ich 280.000 Kronen für einen Liter Milch bezahlt. Sie musste mir ein richtiges Packerl Geld mitgeben.“ Ist in der Schule über diese Ereignisse gesprochen worden? Können Sie sich daran noch erinnern? „Nein, da kann ich mich nicht daran erinnern. Es müsste eigentlich über die Volksabstim-mung gesprochen worden sein, weil ja fast ganz Kärnten davon betroffen war. Villach aber

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nicht. Die Grenze war die Gail, denn bis fast nach Maria Gail sind die Serben ja gekommen, und in Villach haben die Italiener einen Einmarsch verhindert.“ Haben Sie noch eine Erinnerung an Ihren ersten Schultag? „Nicht die geringste. Da kann ich mich nicht mehr daran erinnern. Ich kann mich nur mehr an einige Mitschüler erinnern, aber von denen an die ich mich erinnern kann, lebt heute keiner mehr. Im November werde ich schon 96 Jahre. Im vorigen November wurde mein 95. Geburtstag mit viel Aufsehen gefeiert.“ Ja, Sie sind eine bekannte Villacher Persönlichkeit. Sie haben Villach ein Stück mit-geprägt. Können Sie sich noch an die Unterrichtsmittel erinnern? Wie wurde damals geschrieben? „Geschrieben wurde gotisch, also lateinische Schrift hatten wir überhaupt nicht. Aufstrich, Schattenstrich, Abstrich usw. Hatten Sie Schulhefte? Wir hatten Schiefertafeln in der ersten Klasse, und in der zweiten Klasse glaube ich auch. Schiefertafeln mit einem Holzrahmen und einen Griffel. Ich glaube, die haben wir damals sogar von der Schule bekommen.“ Und die Bücher? „Ich glaube, die mussten wir selber kaufen, aber in der 1. und 2. Klasse hatten wir fast keine Bücher, soweit ich mich erinnern kann. Ich glaube ein Rechenbuch und ein Deutschbuch, nein, kein Deutschbuch, aber ein Lesebuch. Ja, das Lesebuch zum Lesen und die Tafel mit dem Griffel, das waren die wesentlichsten Instrumente, die wir damals hatten.“ Können Sie sich noch an bestimmt Feste oder Feiern erinnern? „Nein, daran kann ich mich nicht wirklich erinnern. Oder doch, zur Errichtung der Republik im November 1919 hat es eine Feier gegeben.“ Wenn Sie an den Unterricht von damals zurück denken, wie hat der damals ausgese-hen? „Der war eigentlich sehr einfach. Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendetwas Besonderes gewesen wäre. Der Lehrer, der Hr. Kruletz, hat in der 1. Klasse die Buchstaben an die Tafel geschrieben und wir haben das nachvollzogen. Aber dass er irgendwie besondere Schwie-rigkeiten mit den Schülern gehabt hätte, daran kann ich mich nicht erinnern. Wie hat es damals mit der Disziplin in der Klasse ausgesehen? Wir waren sehr folgsame Schüler. Der Respekt gegenüber der Schule war da. Der Lehrer war eine Respektsperson und die Schüler haben das akzeptiert. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass in den ersten zwei Klassen irgendwann einmal ein Schüler aufgefallen wäre.“ Das heißt, Sie haben auch keine Erinnerung an irgendwelche disziplinären bzw. erzie-herischen Maßnahmen, die vom Lehrer ausgingen? „Nein in der Volksschule nicht. Erst als ich in die Bürgerschule ging, in der Richard-Wagner-Straße. Da kann ich mich erinnern, da hatte ich den Hr. Piesch, den späteren Landeshaupt-mann, als Lehrer. Der hat mir wohl einmal eine runter gehaut, in der Klasse. Und zu Mittag

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22 Aus der Schulchronik während der ersten Republik war er bei meinem Vater zum Essen eingeladen. Ich bin bei ihm vorbei gegangen und hab ihn nicht beachtet. Da rief mich mein Vater zurück und sagte: „Komm her! Warum grüßt du denn den Lehrer nicht?“, und der Piesch sagte: ‚Lass ihn, ich hab ihm Vormittag eine runter gehauen.’ Das Zweite an das ich mich erinnern kann, war, wir hatten damals in der Bürgerschule in Religion den Stadtpfarrer von St. Jakob. Der war ziemlich dick, und wir habe Fangen gespielt und ich renne, ohne es zu wollen, mit meinem Kopf direkt in seinen Bauch, sodass er keine Luft bekam. Da musste ich mich auf den Sessel legen und er hat mich mit dem Meterstab durchgehaut. Das sind die zwei Erinnerungen aus der Bürgerschulzeit, aber in der Volks-schule hat es, glaube ich, so etwas nicht gegeben.“ Können Sie sich noch an den Religionsunterricht in der Volksschule erinnern? „Nein, weder im positiven noch im negativen Sinn. Na ja, es ist ja alles schon 90 Jahre her.“ Im Schuljahr 1919/20 war die Schule vom 15.12.19 bis 15.01.20 wegen Mangels an Heizmaterial gesperrt. Können Sie sich daran noch erinnern? „Ja, ja, da hat es kein Heizmaterial gegeben. Auch bei der Bahn gab es keine Kohle mehr, gerade noch das Notwendigste für die Loks. Ja, da kann ich mich so dunkel daran erinnern.“ Als die Italiener damals in einem Teil der Schule einquartiert waren, gab es ja wegen des Raummangels alternierend Vormittags- und Nachmittagsunterricht. Können Sie sich daran noch erinnern? Gab es damit Probleme? „Nein, damit hat es keine Probleme gegeben. Elternproteste waren damals unbekannt.“ Im Schuljahr 1920/21 begann der Unterricht erst im Oktober, weil es eine Typhus- und Ruhrepidemie gab. „Ja, ich weiß noch, die Eltern hatten damals ziemliche Angst. Sie ließen uns impfen. Und wir hatten alle Freude daran, dass keine Schule war.“ Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit mir über Ihre Schulerlebnis-se zu plaudern. „Ich danke Ihnen fürs Zuhören.“

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Aus der Schulchronik der Jahre 1934 – 1938 23

5 Aus der Schulchronik der Jahre 1934 – 1938 (Ständestaat)

„Die autoritäre Regierung, die mit Ausschaltung des National- und Bundesrates – dem Bun-deskanzler Dr. Engelbert Dollfuß an der Spitze – seit März vorigen Jahres aufgrund einer Ständeverfassung regierte, brachte auch auf dem Gebiete des Schulwesens Neuerungen wie z.B. den Abschluß des Konkordates [...]. Infolge Auflehnung des sozialdemokratischen republikanischen Schutzbundes mit Waffen-gewalt, dem die Auflösung der Sozialdemokratischen Partei voranging – gegen die Regie-rung – wo es zu Kämpfen insbesondere in Wien, Linz, Steiermark (größeren Orten) gekom-men ist, entfiel der Unterricht vom 13. – 17. Februar (5 Tage). In der Schule erfolgte gleichzeitig, d. i. ungefähr 4 Wochen, die Einquartierung von ca. 60 Mann d. freiwilligen Schutzkorps der Regierung (‚Ostmärkische Sturmscharen’). Sie nahmen den Kellerraum, das Konferenzzimmer die Kanzlei für sich in Anspruch. Mit Erl d. L.S.R. vom 17.5.1934, Z. 3021/1934 hielt am 12. Juni im Physiksaale des Bundes-realgymnasiums Ing. R. Keller, Luftschutzlehrer der gesamten Luftschutzkommission vor der Gesamtlehrerschaft von Villach u. Umgebung einen aufklärenden Vortrag mit Lichtbildern über den Schutz gegen Angriffe aus der Luft im Falle eines Krieges.“ 80 Im Sommer 1934 glaubten die Nationalsozialisten, dass die Zeit reif für eine Machtübernah-me wäre. Bei einem Putschversuch besetzten sie das Bundeskanzleramt und ermordeten den Bundeskanzler.81 Auch für die Lindner Volksschule blieb dieses Ereignis nicht ohne Fol-gen: „Die Ermordung des Bundeskanzlers Dr. Engelbert Dollfuß im Bundeskanzleramte in Wien am 25. Juli 1934 gab den Anlaß zu schweren blutigen Unruhen und Kämpfen im ganzen Bundesgebiete (d. i. in fast allen Bundesländern) zwischen den Anhängern der ehemaligen N.S.D.A.P. und der bewaffneten Macht (Bundesheer, Gendarmerie u. militärischer Formatio-nen, wie der ostmärkischen Sturmscharen und des Heimatschutzes) wobei es nach amtli-chen Meldungen bei der bewaffneten Macht allein 70 Tote und 175 Verwundete gab; die Verluste der Aufständischen wurde nicht bekannt. Wie im Februar des Jahres 1934 erfolgte im Juli nach diesen Unruhen, eine neuerliche Ein-quartierung im Schulhause des Freiheitsbundes der ostm. Sturmscharen und des Heimat-schutzes. So wurden in der Nacht vom 26. auf den 27. Juli etwa 200 Mann dieser Formatio-nen untergebracht. In der Nacht vom 28. auf den 29. Juli kam es wegen einer Explosion vor dem Schulhause zu einer wilden Schießerei. Aus Anlaß des Todes des Bundeskanzlers Dr. Dollfuß fand am 3. Oktober 1934 ein Trauer-gottesdienst und anschließend eine Trauerfeier in der Schule statt.“ 82 Im Jahre 1935 gab es für die Lindner Volksschule nicht nur die laut Erlässen vorgeschriebe-nen Feiern abzuhalten. Die Schlussfeier dieses Schuljahres wurde zu einer Gedenkfeier aus Anlass des 25-jährigen Bestandes der Schule in Lind, mit einem Rückblick auf die Ereignisse von der Eröffnung der Schule bis zu diesem Tage.83

6 Die Schule unter dem Einfluss des Nationalsozialismus 1938 bis 1945

6.1 Schulpolitische Gegebenheiten während der NS-Zeit Die schulpolitischen Gegebenheiten änderten sich mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich genauso radikal wie die allgemeine politische Situation. Die Schule fungierte „als Instrument der politischen Führung des Volkes“ und somit wurden in größter Eile alle

80 ebd., S. 148 f. 81 vgl. Achs/Scheuch/Tesar 2005, S. 48 f. 82 Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 151 f. 83 vgl. ebd., S. 153 f.

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24 Die Schule unter dem Einfluss des Nationalsozialismus 1938 bis 1945 einflussreichen Stellen im Schulwesen sofort mit regimegetreuen Mitarbeitern umbesetzt. In allen wichtigen Positionen standen nun nationalsozialistische Funktionäre. Der Unterrichts-minister, Landesschulinspektoren und verschiedene österreichgetreue Direktoren wurden nicht nur ihres Amtes enthoben, sondern auch direkt in Konzentrationslager überstellt. Ge-nauso wenig machte die Säuberungsaktion vor „kleinen“ Lehrern halt. Zeigte man nicht ganz klar seine zustimmende Haltung gegenüber der nationalsozialistischen Bewegung, so war man sofort seines Dienstpostens enthoben. Sehr viele Lehrer wurden einfach vorzeitig in den Ruhestand geschickt.84 Auch an der Knabenvolksschule III in Lind gab es nach dem An-schluss einen Wechsel in der Schulleitung. Dieses Amt übernahm nun OL Gustav Kauf-mann, welcher später (Schuljahr 1941/42) Kreisleiter der NSDAP in Lienz wurde. Das ge-naue Datum des Leiterwechsels geht aus der Chronik nicht eindeutig hervor, jedoch sind erstmals im Schuljahr 1938/39 die Eintragungen von ihm unterzeichnet.85 Das Unterrichtsministerium in seiner ursprünglichen Form hörte auf zu existieren und wurde nun als eine Unterabteilung des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten ge-führt. In den einzelnen Gauen war die Zuständigkeit so geregelt, dass eine Abteilung für Erziehung, Volksbildung und Kultur- und Gemeinschaftspflege entstand, die der Behörde des jeweiligen Reichsstatthalters unterstand. Sie ersetzte den Landesschulrat und sämtliche an-deren Einrichtungen, die in irgendeiner Weise mit Schulwesen zu tun hatten.86

6.1.1 Der Anschluss an das Großdeutsche Reich Am Sonntag, dem 13. März 1938, hätte in Österreich eine Volksabstimmung zur „Unabhän-gigkeit Österreichs“ stattfinden sollen. Auch die Kärntner Lehrerschaft war laut Erlass dazu angehalten, an dieser Abstimmung teilzunehmen.87 „Zu dieser Abstimmung kam es aber nicht, denn am Abend des 11. März gelangte die Natio-nalsozialistische deutsche Arbeiterpartei zur Regierung. Am nächsten Morgen bot die Stadt ein ganz verändertes Bild. Am 13. März 1938 wurde Österreich ein Teil des großdeutschen Reiches. Zur Feier der Machtergreifung der NSDAP, des Anschlusses, der Ankunft von Mili-tär und Schutzpolizei aus dem Altreich wurden Fackelzüge veranstaltet, die auch in Lind zu sehen waren.“ 88 Durch die Machtübernahme entfiel in ganz Österreich für längere Zeit der Unterricht. „Feiern war für eine Weile wichtiger, als Lernen und Studieren.“ 89 Auch an der Lindner Volksschule wurden eifrigst Vorbereitungen für die Anschlussfeier getroffen. „Eine Woche lang war kein Unterricht. Während dieser Zeit wurden die Bilder, die an die System-zeit erinnerten, aus den Schul- und Amtsräumen entfernt. Das Haus wurde einstweilen mit der Kärntnerfahne geschmückt, außerdem wurden aus alten Fahnen Hakenkreuzfahnen verfertigt, die Eingangstore für den Unterrichtsbeginn im dritten Reiche mit Reisiggewinden, Hakenkreuzfähnchen und größeren Fahnen geschmückt.90 Die erreichbaren Schülerinnen wurden zu Gesangsproben für die Schulfeier versammelt.“ 91

6.1.2 Ausschaltung jüdischer Lehrer und Schüler Bereits im Jahr 1938 kam es zu einer breiten „Säuberungswelle“. Schon im März mussten sämtliche Lehrkräfte aller Bildungseinrichtungen den Eid auf Adolf Hitler ablegen. 92 Auch die Villacher Lehrerschaft wurde auf den Führer vereidigt.93 „Heute, Freitag, den 18. März, ver-sammelten sich um 12 Uhr mittag im Hofe des städtischen Rathauses, der mit Hakenkreuz-fahnen und Blattpflanzen prächtig geschmückt war, sämtliche Beamte, Angestellte und Ar-

84 vgl. Engelbrecht 1988, S. 305. 85 vgl. Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 176. 86 vgl. Engelbrecht 1988, S. 305 f. 87 vgl. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 5. (Original unpag. Seitennummerierung v. Verf. eingef.) 88 ebd., S. 6. 89 Engelbrecht 2004, S. 14. 90 s. Abbildungen auf S. 75. 91 Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 6. 92 s. Abbildung auf S. 74. 93 vgl. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 6.

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beiter der Stadtgemeinde Villach, sowie die dem Stadtschulrat Villach unterstellte Lehrer-schaft, um auf den Führer und Kanzler des geeinten deutschen Volkes den Treueid abzule-gen.“ 94 Das Beamtengesetz wurde in der „Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums“ gänzlich neu geregelt. Jüdische Lehrer sowie Lehrer die jüdische Mischlinge oder welche die mit einem Juden (Jüdin) oder auch Mischling ersten Grades ver-heiratet waren, wurden per Gesetz sofort wegen „Dienstunfähigkeit“ in den Ruhestand ver-setzt. Die Verträge von jüdischen Vertragslehrern und –lehrerinnen wurden aufgelöst. Die Dienstverhältnisse von Lehrern an jüdischen Schulen blieben zu diesem Zeitpunkt bis zur Neuregelung des jüdischen Schulwesens noch unberührt. Unabhängig von der Religion wur-den aber auch Beamte in Pension geschickt, die durch ihr politisches Verhalten auffielen, d. h. die nicht rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat eintraten. Traf keiner dieser Gründe auf einen unerwünschten Beamten zu, so war es auch möglich, ihn wegen „Verein-fachung der Verwaltung“ zu pensionieren bzw. sein Dienstverhältnis zu lösen.95 Im Pflichtschulbereich bestanden in Österreich im Schuljahr 1937/38 auch verschiedene Pri-vatschulen für Kinder jüdischer Konfession. Es gab 12 Volksschulen, 2 Hauptschulen und eine Sonderschule, die als „Israelitische Schulen“ geführt wurden. Für die jüdischen Kinder, welche eine staatliche Schule besuchten, blieb auch weiterhin das Pflichtschulgesetz maß-geblich, jedoch mussten die Schulsprengel in größeren Städten so abgeändert werden, dass diese Kinder in einer Schule zusammengefasst unterrichtet werden konnten. Im ländlichen Bereich, wo dies aufgrund der Schülerzahl nicht möglich war, mussten Sammelklassen er-richtet werden, die ausschließlich von jüdischen Kindern besucht wurden. In kleineren Orten, in denen eine Mindestanzahl von 20 Kindern für eine Klasse nicht zusammenkamen, erging eine Aufforderung an die Eltern, ihr Kind in einen anderen Ort umzuschulen. Dabei wurden die Eltern weitgehend „unterstützt“, da es das Ziel der Nationalsozialisten war, die jüdische Schuljugend möglichst rasch aus den öffentlichen Schulen auszugliedern.96 Bei der Durchsicht der Klassenbücher (Hauptbücher) der Volksschule III Villach/Lind ab dem Schuljahr 41/42 wird ersichtlich, dass über die Abstammung der Schüler genauestens Buch geführt wurde. Die Eintragungen enthielten neben der Abstammung (Vollarier, Mischling 1. oder 2. Grades) auch verschiedene Betätigungen, z. B. bei der HJ (Hitlerjugend) oder beim BDM (Bund deutscher Mädchen).97

94 Zeitungsartikel in der Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 7. 95 vgl. RGBl. 1938 I, S. 607 f., §§ 3, 4 u. 6. 96 vgl. Engelbrecht 2004, S. 21. 97 vgl. Klassenbuch der 4. Klasse der Knabenvolksschule III Villach/Lind, Schuj. 1941/42, unpag.

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Mit diesem Formular musste die Lehrerschaft den Eid auf Adolf Hitler ablegen98

98 Beilage i. d. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 7a.

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Die Schülerinnen beim Girlandenbinden im Turnsaal der Volksschule99

Schülerzeichnung des geschmückten Schulhauses nach dem Anschluss an das Großdeutsche Reich100

99 Beilage i. d. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 10. 100 ebd., S. 11.

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6.1.3 Entkonfessionalisierung Mit dem Eintritt in das Deutsche Reich erloschen alle politischen Verträge Österreichs und hatten somit keine Gültigkeit mehr. Dies galt auch für das Konkordat von 1933. Dadurch wurden kirchenfeindlichen Maßnahmen Tür und Tor geöffnet. Obwohl die Kirche bemüht war, sich mit den nationalsozialistischen Machthabern zu verständigen, kam es zu ihrer Entmachtung im Schulbereich. Religionslehrer, den verschiedensten Demütigungen ausge-setzt, mussten z. B. den Religionsunterricht mit dem „Hitlergruß“ beginnen und beenden. Weiters waren sie auch, so wie alle anderen Lehrer, verpflichtet den Diensteid auf den Füh-rer abzulegen, um vorläufig überhaupt noch unterrichten zu dürfen. Ab 1938 trat ein striktes Verbot für alle religiösen Veranstaltungen im Bereich der Schule in Kraft. Darunter fielen z. B. Schulgottesdienste oder auch das Schulgebet.101 Doch dies reichte den Nationalsozialis-ten nicht. Man ging sogar soweit, dass der Religionsunterricht ganz aus dem Unterricht ver-bannt werden sollte. Der erste Schritt dazu war, dass man „Religion“ nur mehr als „unver-bindlichen Konfessionsunterricht“ anbot, ein Freigegenstand, der nicht mehr benotet wurde, ja nicht einmal mehr im Zeugnis aufschien. Die Eltern mussten ihre Kinder zu diesem Unter-richt am Schulbeginn anmelden, was aber vielfach aus Angst vor dem Regime unterblieb. In der Knabenvolksschule III in Lind waren im Schuljahr 1941/42 in der 4. Klasse von 56 Schü-lern nur 12 zum Konfessionsunterricht angemeldet – das sind ca. 21 %, in der 5. Klasse wa-ren es 4 von 36 Schülern.102 In Kärnten und Osttirol (bildeten eine gemeinsamen Gau) ging man darauffolgend noch einen Schritt weiter. Unter dem Vorwand, dass es zu einer „Doppel-belastung“ für die Schulkinder kommen könnte, wenn sie die Jugendseelsorgestunde der Kirche und den Konfessionsunterricht in der Schule besuchen, strich man den Religionsun-terricht gänzlich. Die Jugendseelsorge wurde weiterhin erlaubt, aber wie eine schulische Angelegenheit, gesetzlich genau geregelt.103

6.1.4 Organisatorische und lehrplanmäßige Veränderungen Die von Berlin geforderten strukturellen Veränderungen im österreichischen Bildungssystem goutierten die österreichischen Nationalsozialisten aber nicht und führten sie zum einem großen Teil auch nicht durch. Im Volksschulbereich kam es zu keinen wesentlichen Ände-rungen, da die Situation, die in Deutschland 1937 herrschte, in Österreich bereits mit dem Reichsvolksschulgesetz 1869 geschaffen worden war.104 Sehr umkämpft hingegen war die Weiterführung der in Österreich 1927 eingeführten und 1934 novellierten Hauptschule. Diese konnte zwar erhalten werden, aber mit einem sehr strengen Ausleseverfahren.105 „Nachdem vom nächsten Schulj. an [gemeint ist das Schulj. 1940/41 – Anm. Eizinger] die Angliederung der Ostmärk. Schulen an das Altreich angeordnet wurde, war eine strenge Auslese der Über-tretenden in die Haupt- bzw. Oberschule notwendig – die Hauptschule ist künftig keine Pflichtschule mehr. Die vierklassige Grundschule wird zur 8 klassigen gehobenen Volksschu-le erweitert.“ 106 So mussten Kinder, die nach der Volksschule in die Hauptschule übertreten wollten, vom Direktor der Volksschule eigens dafür vorgeschlagen werden und einen „cha-rakterlich“ einwandfreien Leumund aufweisen. Ein weiteres Kriterium waren Mut und Einsatz bei Spiel und Sport. Aus dieser Forderung wird auch die hohe Bedeutung des Sportunterrich-tes im dritten Reich ersichtlich. In den Klassenbüchern stand dieser Gegenstand noch vor den heute üblichen Hauptgegenständen. 1942 wurde diese für das „Altreich“ neue Schulform im ganzen Reichsgebiet eingeführt.107 Von Bedeutung waren die lehrplanmäßigen und didaktischen Neuerungen. Die Lehrkräfte waren aufgerufen, die Schüler „zum vollen Einsatz für Führer und Volk“ vorzubereiten. In den Fächern Naturkunde, Heimatkunde, Geschichte und Erdkunde stand stets die Ideologie im 101 vgl. Engelbrecht 1988, S. 308 f. 102 vgl. Klassenbücher d. 4. u. 5. Klasse d. Knabenvolksschule III Villach/Lind, Schuj. 1941/42, unpag. 103 vgl. Engelbrecht 1988, S. 310 f. 104 vgl. ebd., S. 317. 105 vgl. ebd., S. 319. 106 Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 37a. 107 vgl. Engelbrecht 2004, S. 24.

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Vordergrund. Sämtliche Schulbücher wurden angepasst und neu aufbereitet, infolge des Kriegsgeschehens kam es jedoch oft nur langsam zur Verteilung der Bücher an die Schu-len.108 „Dem Erlaß vom13./12.1938, Z.1070/1938, betreffend Änderungen der Lesebücher wurde durch Bestellung von Ergänzungsheften und Entfernung von Blättern aus den Lese-büchern entsprochen.“ 109 Besonderes Augenmerk richtete man auch darauf, dass Lehrer- und Schülerbüchereien von nun an der Ideologie des Deutschen Reiches und des Führers entsprachen. „Die Lehrer- und Schülerbücherei wurden durchgesehen, die separatistischen Schriften ausgeschieden. Am 30.4. versammelten sich die Schüler und Schülerinnen beider Volksschulen in Lind im Turnsaale. Herr Oberlehrer Gustav Kaufmann [Leiter der Knaben-volkschule III seit Mitte des Schuljahres 1937/38 – Anm. Eizinger] hielt eine Ansprache und verbrannte hierauf symbolisch eines der seperatistischen Schriftwerke.“ 110 „Mitte Juni wur-den aus den Lehrer- und Schülerbüchereien Bücher ausgeschieden, deren Inhalt nicht le-benswahr ist, und solche die infolge starker Abnützung gesundheitswidrig sind. Um diese Zeit wurden auch neue den Gedanken der NSDAP entsprechende Lehrgänge verfasst.“ 111 Nicht unbedeutend war auch der Einfluss diverser Jugendorganisationen auf die Erziehung der Kinder. Sie ermöglichten es, das politische Gedankengut glorifizierend an die Schulju-gend heranzuführen. Führer der Hitllerjugend (HJ) und des Bundes deutscher Mächen (BDM) sprachen auch in der Volksschule III Villach/Lind vor und ersuchten um Überlassung von Räumen für die Heimstunden, welche sie mit Erlaubnis des Stadschulrates erhielten.112

6.2 Die Schulchronik als wichtiger gesellschaftspolitischer Spiegel – Chrono-logie des Schullebens während des 2. Weltkrieges

Diesem Kapitel soll besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. In vielen Schulchroniken ist die Zeit des Nationalsozialismus überhaupt nicht behandelt, oder die Eintragungen wäh-rend der Jahre 1938 bis 1945 wurden im Nachhinein aus den Büchern entfernt und vernich-tet. Die Chronik der Volksschule in Lind (Knabenvolksschule III und Mädchenvolksschule III) ist auch in dieser Zeit sehr genau geführt worden und vor allem vollständig erhalten. Sie zeichnet ein sehr genaues Bild sowohl über die schulpolitischen Gegebenheiten als auch über die allgemeine politische Situation. Auffallend beim Vergleich der Eintragungen der Chronikbücher ist, dass in der Chronik der Knabenschule sehr detailliert und zeitweise eu-phorisch das Kriegsgeschehen an sich beschrieben wird, in der Chronik der Mädchenschule hingegen eher Eintragungen über die Auswirkungen der Kriegsereignisse auf das Schulle-ben zu finden sind.

6.2.1 Schuljahr 1937/38 – Der Anschluss wird gefeiert Am 21. März fand eine große Schulfeier, an der alle Schulen Villachs teilnahmen, statt. Für diese Feierlichkeit gab es eine genaue Abfolge lt. Verordnungsblatt für Kärntner Schulen, welche einzuhalten war. Die Hitlerjugend übernahm die Fahnenhissung – die aufgezogene Fahne wurde mit dem Hitlergruß geehrt. Im Anschluss folgten verschiedene Lieder, Gedichte und Ansprachen. Mit einen dreifachen „Sieg-Heil dem Führer!“ beendete man die Veranstal-tung. Im Anschluss gab es noch einen gemeinsamen Umzug durch die Stadt.113 „Am 22. März begann der Unterricht wieder. In der Woche nach diesem Tage wurde das Schulhaus nach dem Entwurfe des H. Oberlehrers Schnee mit Reisiggewinden und Fähnchen ge-schmückt. Das Nähen der Fähnchen besorgte die Frau Handarbeitslehrerin Wimberger mit einigen Schülerinnen der Abschlußklassen. Weil Fahnenstoff in jenen Tagen schwer zu be-schaffen war, konnten nur 12 Fähnchen in der Größe 45 x 80 cm angefertigt werden. Später erhielt das Schulhaus von der Gemeinde große Fahnen, u. zw. drei Hakenkreuzfahnen und 108 vgl. ebd., S. 26 f. 109 Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 23. 110 ebd., S. 16. 111 ebd., S. 27. 112 vgl. ebd., S. 9. 113 vgl. ebd., S. 9.

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30 Die Schule unter dem Einfluss des Nationalsozialismus 1938 bis 1945 eine Fahne mit dem Wappen der Stadt Villach.“ 114 Am 4. April entfiel abermals der Unter-richt, weil der Führer in Klagenfurt weilte und ein Teil der Villacher Lehrerschaft und der Schuljugend nach Klagenfurt reiste. Am 5. April fuhr der Sonderzug mit Adolf Hitler auch durch Villach, aber die jubelnde Bevölkerung wartete vergeblich darauf, dass der Führer den Zug verließ. Am 10. April 1938 kam es zu der schon erwähnten nachträglichen Volksab-stimmung bezüglich des Anschlusses an das Deutsche Reich. Die Lehrer hatten aufklärend zu wirken und halfen bei den Vorbereitungen mit, denn der Turnsaal der Schule diente als Abstimmungslokal.115 In diesem Schuljahr wurden die Jahreszeugnisse bereits auf neuen Vordrucken geschrieben. Bei der Entlassungsfeier erhielten die Schülerinnen vom Oberbürgermeister der Stadt Vil-lach, Oskar Kraus, als Erinnerung an ihre Volksschulzeit, das Büchlein „Du und dein Volk“. Das Schuljahr schloss am 2. Juni 1938.116

6.2.2 Schuljahr 1938/39 – Leibeserziehung als Hauptfach In den Sommerferien waren Mädchen aus anderen Gauen vom BDM im Schulhaus unterge-bracht. Von Mitte bis Ende September war das Militär in der Mädchenvolksschule einquar-tiert und aus diesem Grunde verschob sich der Schulbeginn auf 4. Oktober 1938. Diese Form von Unterrichtsentfall sollte sich in den nächsten Jahren noch häufen und den Unter-richtsertrag wesentlich beeinflussen. In diesem Schuljahr erhielt die Volksschule einen zwei-ten Turnplatz und der Turnsaal einen neuen Parkettboden. Die Leibeserziehung hatte im Deutschen Reich einen völlig neuen Stellenwert. Vom 16. bis 19. Feber 1939 entfiel wieder der Unterricht wegen der NS-Winterspiele. Die Lehrpersonen wurden nun besonders ge-schult, um den Turnunterricht den Anforderungen entsprechend abhalten zu können. Vom 19. bis 25.3.1939 nahm die Lehrerin der Mädchenvolksschule III, Grete Biedermann, an ei-nem Schulungslehrgang für Körpererziehung in Mallnitz teil.117

6.2.3 Schuljahr 1939/40 – Luftschutzübungen Das Schuljahr begann mit einer kleinen Feier, wobei in der ernsten Ansprache der Kriegszeit gedacht wurde. Auch in diesem Schuljahr gab es einige organisatorische Veränderungen. So fanden im Schulhaus das Wirtschaftsamt und auch die neuerrichtete Wirtschaftsschule (die heutige Handelsakademie in der Franz Xaver Wirth Straße, direkt gegenüber der Volksschu-le 3 Villach/Lind) ihren Platz. Deshalb musste die 2. Abschlussklasse wieder in die Kheven-hüllerschule ausgegliedert werden und an der Mädchenvolksschule III blieben nur mehr 5 Klassen übrig.118 Mit Beginn des Krieges spielte auch der Luftschutz eine bedeutende Rolle im Schulleben. Die Lehrer und Lehrerinnen hatten theoretische und praktische Schulungen – Luftschutz-übungen wurden regelmäßig abgehalten. Für jede Schule musste ein Luftschutzleiter er-nannt werden. In der Mädchenvolksschule III war dies im Schuljahr 1939/40 Frau Stefanie Huber. Die Zimmerfenster aller Schulen wurden mit Verdunkelungspapier versehen, die Kel-lerräume zu Luftschutzräumen umgewandelt. In Lind waren auch bauliche Maßnahmen er-forderlich. Der erdige Boden im Keller bekam eine Betondecke und ein Fenster musste zum Notausgang umfunktioniert werden.119 Am 11. Dezember 1939 explodierten die Kessel der Zentralheizung und mussten durch neue ersetzt werden. Während der Weihnachtsferien froren sämtliche Wasserleitungen im Mäd-chentrakt ein und die Schülerinnen mussten bis Mitte Jänner abermals im Knabentrakt un-tergebracht werden. Dies bedeutete, dass die Mädchen wieder Nachmittagsunterricht erhiel-ten.120

114 ebd., S. 9. 115 vgl. ebd., S. 15. 116 vgl. ebd., S. 18. 117 vgl. ebd., S. 18 f u. 24. 118 vgl. ebd., S. 29. 119 vgl. ebd., S. 32. 120 vgl. ebd., S. 34.

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6.2.4 Schuljahr 1940/41 – Kriegsunterstützende Aktionen „Dieses Schuljahr stand im Zeichen des Krieges. Im Westen ist zwar nach der Niederwer-fung Frankreichs Ruhe eingetreten, aber dafür setzt der Luftkampf gegen England mit umso größerer Heftigkeit ein. So ist es kein Wunder, wenn mit Rücksicht auf die Gegenangriffe der Engländer in den westl. Gebieten d. Reiches auch bei uns die Gefahr eines Luftangriffes akut wird. Von einem geregelten Unterricht kann natürlich keine Rede mehr sein, da Luft-alarm u. Luftschutzübungen an der Tagesordnung sind. Es ist unter diesen Umständen sehr zu befürchten, daß das Unterrichtsziel kaum erreicht werden kann. Jetzt ist einmal Luftschutz Trumpf.“ 121 In diesem Jahr erfolgte auch die Rückholung der Bessarabier (dies ist eine deut-sche Volksgruppe, die zwischen 1814 und 1940 in Bessarabien, heute Moldawien /Ukraine, lebte) ins Deutsche Reich. Dabei handelte es sich um ca. 90.000 Menschen, die zunächst in verschiedenen Notunterkünften, wie z. B. in Schulen, Turnhallen oder Gasthäusern unterge-bracht werden mussten. Auch der östliche Teil des Lindner Schulhauses diente der Unter-bringung der Bessarabier.122 Im Oktober 1940 kam es zu einem verfrühten Kälteeinbruch. Weil die Zentralheizung wieder nicht ordnungsgemäß funktionierte, übersiedelten die beiden Schulen wieder einmal in ande-re Schulhäuser.123 „Das wußte man allerdings schon im Sommer, aber die Schule scheint nicht sehr wichtig zu sein. Im übrigen ist ja schließlich zu jedermanns Ausrede eben Krieg. Wer die Schuld trägt, ist schwer fest zustellen, aber man hat das Gefühl, daß bei gewissen-hafter Vorsorge u. bei gutem Willen dieser Wirbel u. die damit verbundene Hemmung u. Schädigung des Unterrichtes hätte werden vermieden können. Nun haben wir Nachmittags-unterricht in der Perauschule, wo ohnehin die 6 Schulen untergebracht sind.“ 124 Im April 1941 wurde auch das Schulhaus Perau wegen Truppenunterbringung gesperrt. Das Lindner Schulhaus war zwecks Sanierung ebenfalls geschlossen. Die Zeit der Schulsperre musste zur Sammlung von Heilkräutern genutzt werden. Immer häufiger zog man die Schul-jugend zu kriegsunterstützenden Aktionen heran. Darunter fiel neben der Heilkräutersamm-lung auch die Altstoffsammlung. Zwar als „zusätzlicher freiwilliger Kriegsdienst“ deklariert, wurde jedoch sowohl auf die Schüler als auch die Lehrerschaft Druck ausgeübt, damit diese Sammlungen erfolgreich funktionierten. 1941 sollte ein zusätzlich eingeführtes Punktesystem die Kinder zur Sammlung anspornen.125 „Jede Schule bekam ein bestimmtes Gebiet zuge-wiesen. Unsere Schule sammelte am Kumitzberg. Leider vereitelte ständiges Schlechtwetter jegliche Sammeltätigkeit. Nur ein einzigmal konnten wir ausmarschieren und sammelten Erdbeer- und Himbeerblätter, die im Dachboden zum Trocknen aufgelegt wurden. Jede Schule muß 60 kg getrocknete Drogen, der Gau-Kärnten 25.000 kg abliefern. Als Sachwalte-rin der Heilkräutersammlung wurde Lehrerin Hierländer bestellt.“ 126 „Zur Aneiferung verfügt der Herr Reichskommisar für Altmaterialienverwertung folgendes: ‚Im Zuge dieser Maßnahmen sollen diejenigen Schulen, Schüler und Schülerinnen die in der Altmaterialiensammlung hervorragende Ergebnisse erzielt haben, besonders ausgezeichnet werden – (Reise nach Berlin u. persönliche Vorstellung beim Herrn Reichsmarschall).’ Die Altstoffsachbearbeiter der Wirtschaftsämter ermitteln die besten Klassen, Schüler und Schü-lerinnen nach folgendem Punktesystem: 1 kg Knochen 3 Punkte 1 ’’ Hadern (Textilabfälle) 5 Punkte 1 ’’ Papier 2 Punkte 1 ’’ Buntmetall 3 Punkte“ 127 In diesem Schuljahr sammelten die Mädchen der Schule Lind 973 kg Knochen, 688 kg Ha-dern, 591 kg Altpapier, 79 kg Buntmetalle und 117 kg Eisen. Damit erreichte sie eine Ge-

121 Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 180. 122 vgl. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 38. 123 vgl. Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 181. 124 ebd., S. 181 f. 125 vgl. Engelbrecht 2004, S. 34. 126 Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 44. 127 ebd., S. 42.

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32 Die Schule unter dem Einfluss des Nationalsozialismus 1938 bis 1945 samtpunktezahl von 7947. Die fleißigste Schülerin erhielt von der Stadt Villach ein Sparbuch mit einer Einlage von 5 Reichsmark, die übrigen Kinder ein Anerkennungsschreiben.128 Durch die erschwerten Schulverhältnisse war es sehr mühsam geworden, das Lehrziel für alle Kinder zu erreichen. Doch, wie die folgende Eintragung in der Chronik zeigt, bemühten sich die Lehrer und Lehrerinnen sehr, den Kindern trotz der widrigen Umstände den best-möglichen Unterricht zukommen zu lassen. „Am 11. u. 12. Juni besucht Hr. Schulrat Feistrit-zer sämtliche Klassen und äußert sich lobend über die gewissenhaften Leistungen der Leh-rerinnen. [...] Trotz der erschwerten Schulverhältnisse und der Schulsperre wurde das Lehr-ziel dank dem Eifer der Lehrerinnen in allen Klassen erreicht. Der wiederholenden Vertiefung des Gelernten blieb natürlich keine Zeit. In diesem Schuljahr wurde in der 1. Klasse mit der Sütterlin-Schrift begonnen, wozu ein Vierlinienanstrich an der Tafel nötig war. Desgleichen wurde in diesen Schj. die neue Fibel ‚Kinderland’ eingeführt. Im Vergleich zur bisher ge-brauchten ‚Wir lernen lesen’ die methodisch aufgebaut, vom Leichten zum Schweren über-geht, beginnt die neue Fibel sehr früh mit zusammengesetzen Anlauten welche den schwä-cheren Schülerinnen große Schwierigkeiten bereiten. Auch in der 2. Klasse wurde das neue Lesebuch ‚Deutsches Lesebuch für Volksschulen’ I. Teil eingeführt. Die übrigen Klassen verwendeten neben dem Alpenländischen Lesebuch auch noch Klassenlesestoffe. Für die 6. Klasse waren fast keine Bücher vorhanden. Die alten – Abschlußband für das 6. – 8. Schj. wurden nicht mehr nachgeschafft. Von den neuen wurden überhaupt noch keine her-ausgegeben.“ 129

6.2.5 Schuljahr 1941/42 – Stricken für die Wehrmacht Im 3. Kriegsjahr begann die Schule ohne Verzögerungen am 9. September. Es waren je-doch wieder verschiedene andere Schulen im Schulhaus untergebracht, sodass ein Schüler-ausgleich mit der Mädchenvolksschule I und alternierender Vormittags- und Nachmittagsun-terricht notwendig war.130 Die Schülerzahlen stiegen infolge der Rücksiedelung deutscher Familien aus dem Kanaltal und Südtirol. Die Familien waren zum Großteil in dem von der Gemeinde neu erbauten Haus „Neue Heimat“ in Lind untergebracht.131 In diesem Schuljahr wurde mit Erlass des deutschen Reichsministeriums die Normalschrift eingeführt. Die Schulen bekamen Cebion-Zucker zugeteilt, damit die Kinder ausreichend mit Vitamin C versorgt waren. Die Frauen der NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) verteilten an die Schüler und Schülerinnen in der Zeit von 17. bis 24. März 1942 in der großen Pause Knä-ckebrot.132 Wie auch schon in den Jahren zuvor hatten die Mädchen neben ihren schulischen Aufgaben noch verschiedenste andere „freiwillige“ Arbeiten zu erledigen. Unzählige Päckchen für die Soldaten der Wehrmacht wurden bestückt und verschickt. Die Mädchen der 5. Kl. strickten 21 Paar Pulswärmer, 1 Paar Ohrenschützer.133 „Auf Anregung der Kreisverwaltung des NSLB Villach strickten die Md. der 3., 4., 5. u. 6. Kl. im Rahmen des Hilf mit Wettbewerbes ‚für Deutschlands Freiheit’ 5 Wolldecken u. zw. 3 St. 200 x 150 cm, 2 Stück 190 x 130 cm aus gesammelten Wollresten (mit welchen uns auch die Knaben-Volksschule 3 fleißig belie-ferte) für unsere Verwundeten. Die Decken wurden aus 20 x 20 cm großen Flecken zusam-mengestellt und umhäkelt. Sie sahen sehr stattlich aus und fühlten sich wunderbar warm an. Eine Decke war ganz in rot gehalten 2 in blau und eine in grüngrau, 1 etwas bunt. Dank der eifrigen Mitarbeit der Handarbeitslehrerin Wimmberger Anna konnte die Schule die 5 Decken in so schöner Ausführung liefern und dies in der so kurzen Zeit vom 14.2. bis 2.3. bzw. 12.3. (letzte Decke).“ 134

128 vgl. ebd., S. 49. 129 ebd., S. 48. 130 vgl. ebd., S. 51 f. 131 vgl. Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 186. 132 vgl. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 57. 133 vgl. ebd., S. 56. 134 ebd., S. 56.

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Durch den Mangel an Arbeitskräften wurde die Lehrerschaft während der Ferien zum Ar-beitseinsatz gerufen.135

6.2.6 Schuljahr 1942/43 – Einberufungen Im vierten Kriegsjahr begann die Schule mit einer einwöchigen Verspätung. In allen Schulbe-reichen zog man die Männer nun ein. „Der Führer proklamierte den total. Kriegseinsatz des ganzen deutsch. Volkes. „Alles wird in den Dienst des Krieges gestellt, es geht um Deutsch-lands Zukunft, um Sieg und Vernichtung!“ 136 Unter anderem erfolgte die Einberufung von Schulrat Peter Feistritzer an die Ostfront. Der Leiter der Knabenvolksschule III, OL Gustav Kaufmann, erhielt seine Ernennung zum Kreisleiter der NSDAP des Kreises Lienz. Er ersetz-te dort seinen Vorgänger, der ebenfalls zum Kriegsdienst einberufen worden war. Die Lei-tung der Knabenvolksschule III übernahm der Lehrer Artur Jangg.137 Die Mädchenvolksschule hatte im Oktober 1942 einen schweren Verlust hinzunehmen. Die Lehrerin Stefanie Huber nahm sich, so lässt es sich aufgrund der folgendenen Eintragung in der Chronik vermuten, das Leben. „Eine geheimnisvolle Tragik brach ihr arbeitsfrohes Wir-ken jäh ab. Ihre erbarmungswürdige Übermüdung zehrte den letzten Rest von Lebenswilllen und Lebensmut auf, so daß sie hilflos der Gewalt ihres Dämons verfiel, der ihr Leiden und damit ihre Angst drosselnd abschnürte. Die heitere, scheinbar so lebensfrische Wesensart unserer Huberin, die sie überall beliebt machte, ist mit ihrem jammervollen Lebensabschluß nicht zu vereinbaren. Ein tiefes Bedauern ehrt für immer das Andenken ihres nimmermüden Schaffens als Lehrerin und Luftschutzleiterin.“ 138

6.2.7 Schuljahr 1943/44 – Kinderlandverschickung Im 5. Kriegsjahr öffnete die Schule bereits am 28. August ihre Tore. In den Ferien waren immer wieder Truppenkontingente im Schulhaus einquartiert. In beiden Trakten wurden je 6 Klassen geführt. Wegen der erhöhten Bombardierungsgefahr verstärkte man auch die Luft-schutzmaßnahmen an der Volksschule Lind. Beide Luftschutzkeller erhielten einen Notaus-gang, geschützt durch eine Mauer und einen Erdwall. Am 8. Oktober schlossen alle Schulen in ganz Villach, wegen Bombengefahr für zwei Tage ihre Pforten.139 „Am 4. Dez. 1943 der erste Fliegeralarm während der Unterrichtszeit. Jeder Luftschutzraum war mit 130 Personen belegt. Nach über einstündigem Aufenthalt war die Luft schon sehr verbraucht u. zeigten sich Übelkeitserscheinungen bei einigen Lehrkräften. Mittwoch 15. u. Do 16./12. neuerlich Flie-geralarm in der Mittagszeit. Die 6. Kl. u. die Frauenwirtschaftschule, sowie einige Kinder, die verfrüht zum Nachmittagsunterricht kamen suchten Zuflucht im Luftschutzraum.“ 140 Nach dem ersten Bombenangriff von ca. 90 viermotorigen USA Bombern141 auf die Gau-hauptstadt Klagenfurt am 16. Jänner 1944 erging ein Aufruf an die Einwohner Villachs zur Umquartierung in bombensichere Orte. Ein Wandern in alle Himmelsrichtungen begann und die Schule entvölkerte sich immer mehr.142 Die Gauleitung beauftragte die HJ, die 10 – 14 jährigen Kinder der Städte Klagenfurt und Villach KLV zu verschicken.143 Die Kinderlandver-schickung (KLV) hatte das Ziel, die Kinder und Jugendlichen vor den Bombenangriffen in Sicherheit zu bringen. In den Kinderverschickungs-Lagern waren die Kinder weitgehend von ihren Eltern abgenabelt. Diese Lager wurden von der Hitlerjugend organisiert und internats-mäßig geführt, wobei in der Regel Kinder bis zum 14. Lebensjahr Aufnahme fanden. Zwar hatten die Kinder dort Unterricht, doch mit einer Lehrplanreduzierung. Weiters erhielten die Schüler und Schülerinnen kein Zeugnis, sondern lediglich eine Leistungsbescheinigung, da

135 vgl. ebd., S. 59. 136 Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 1, S. 190. 137 vgl. ebd., S. 190. 138 Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 64. 139 vgl. ebd., S. 70. 140 ebd., S. 71. 141 vgl. Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 3. 142 vgl. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 72. 143 vgl. Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 4.

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34 Die Schule unter dem Einfluss des Nationalsozialismus 1938 bis 1945 diese Einrichtung dem staatlichen Schulwesen nicht zugeordnet war.144 Die KLV wurde von der Regierung als „leuchtendes Beispiel sozialer Fürsorge“ dargestellt, doch war diese, aus heutiger Sicht betrachtet, nicht unumstritten.145 Die Buben- und Mädchenklassen der Lindner Volksschule mussten zusammengezogen wer-den, da die Schule zu diesem Zeitpunkt gerade noch 70 Schüler und Schülerinnen zählte. Da die Bombenangriffe meist um die Mittagszeit stattfanden, schloss der Vormittagsunter-richt bereits um 11 Uhr. 146 Im April 1944 zog die Hilfspolizei mit ihrem gesamten Gepäck im Schulhaus ein. Abgesehen davon, dass man wieder auf benötigte Räume verzichten musste, gab es aber auch andere Belastungen:147 „Am 29. April um 8 Uhr Abend zog die ‚deutsche Hilfspolizei’ mit ihrem gan-zen aus ihrer Heimat, der Ukraine, mitgebrachten Gepäck, bestehend aus einer großen An-zahl von Säcken mit Getreide, Pinkeln, fahrbaren Koffern, Wiegen, Bettgestellen u.a. m. [ein – Anm. d. Verf.]. In Ermangelung eines geeigneten Platzes lagerten die Ukrainer alles im Erdgeschoß und im Turnsaal ab. Der nervenreizende Geruch des aufgestauten Gepäcks erfüllte das ganze Schulhaus und störte sogar die sonst weniger reinlichen Buben. 12 Tage lang mußten sich die Schulkinder durch das Wirrwarr von Säcken und Koffern durchschlän-geln, bis die Polizei endlich einmal auf Betreiben der Schulleitung den Abtransport des Ge-päckes durchführte.“ 148 Das Schuljahr schloss am 13. Juli 1944.149

6.2.8 Schuljahr 1944/45 – Schwere Bombenangriffe vor Kriegsende Während der Ferien wurde der Villacher Hauptbahnhof von USA-Bombern angegriffen. Un-gefähr 40 bis 50 Bomben von 500 bis 1300 kg gingen nieder und es gab etwa 40 Tote und 80 Verletzte.150 Wegen der Umquartierung der Burschen und Mädchen mussten auch in diesem Schuljahr die Klassen der Mädchen- und Knabenvolksschule III zusammengezogen werden. Die Lei-tung wurde der Knabenschule unterstellt. Insgesamt besuchten nur noch 136 Kinder die Schule und es meldeten Eltern weiterhin täglich ihre Kinder wegen Umquartierung ab.151 Am 22. November 1944 wurde Villach zum sechsten Mal von Bombern angegriffen. Dabei kam es zu enormen Gebäudeschäden in Lind, der inneren Stadt, dem Westbahnhof, und den Stadtteilen Perau und St. Martin. Eine Bombe fiel direkt auf den Turnplatz in der näheren Umgebung des Schulhauses. Vom 22. November bis 11. Dezember blieb die Schule in Lind wegen Instandsetzungsarbeiten geschlossen. Am 16., 17., und 19. Dezember bombardierten die Alliierten Villach erneut und die Bevölkerung musste immer wieder Stunden in den Kel-lern verbringen.152 Aufgrund der großen Gefahr für die Kinder reduzierte man die Unter-richtszeiten stark und zwar von 7 Uhr bis halb 10 Uhr und nachmittags ab 15 Uhr. Am 16. Dezember wurde der Unterricht überhaupt geschlossen. Eine glückliche Entscheidung, denn der Bombenangriff am 17. Dezember beschädigte das Schulhaus wiederum stark. Die vor-verlegten Weihnachtsferien endeten mit 16. Jänner 1945.153 Während der ganzen Weih-nachtszeit wurde Villach immer wieder schwer bombardiert. Aufgrund der großen Kälte, des abgedeckten Daches und der zerborstenen Fenster froren im Schulhaus zum wiederholten Male die Wasserleitungen und die Zentralheizung ein. Die im Schulhaus untergebrachten Behörden und der Schulwart mussten ihre Räume mit Koksöfen beheizen. Die anhaltende Kältewelle und der starke Schneefall (in Villach bis zu 1,50 m) machten es unmöglich, den Unterricht aufrechtzuerhalten. Fast alle Schulen wurden wegen Kohlemangels gesperrt. En-de Jänner kam es wieder mehrmals zu Angriffen. Im Raum Villach wurden auf einmal 17

144 vgl. Engelbrecht 2004, S. 44 f. 145 vgl. ebd., S. 55. 146 vgl. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 72 f. 147 vgl. ebd., S. 73. 148 ebd., S. 73 f. 149 vgl. Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 7. 150 vgl. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 76. 151 vgl. ebd., S. 76 f. 152 vgl. ebd., S. 77. 153 vgl. ebd., S. 78.

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Die Nachkriegsjahre – Der Wiederaufbau nach 1945 35

Lokomotiven beschädigt bzw. zerstört.154 Im Februar und März 1945 kam es zu den schwersten Luftangriffen auf die Draustadt. Auch das Schulhaus in Lind bekam immer wie-der Treffer und blieb wegen der Luftgefahr und der Beschädigungen weiterhin geschlos-sen.155 Fast der ganze Stadtteil Lind war ausgebombt und musste in andere Ortsteile um-quartiert werden. Die Bevölkerung schlief nachts in den Bergen oder im Wald, aus Angst vor neuerlichen Nachtangriffen. Am 30. April nahm sich Adolf Hitler in Berlin das Leben. Am 8. Mai kapitulierte die deutsche Wehrmacht.156 „Das furchtbare Völkerringen ist aus.“ 157

7 Die Nachkriegsjahre – Der Wiederaufbau nach 1945

7.1 Der Schulbetrieb nach 1945 „Nach dem Krieg fanden die Verantwortlichen für den Bildungsbereich folgende Situation vor: unterernährte Kinder in ungeheizten Klassenzimmern, Jugendliche mit Mangelerscheinun-gen, zerbombte Schulen, verödete Forschungseinrichtungen, vernichtete oder fast un-brauchbare Lehrmittel, beschädigte Kulturinstitute und Bibliotheken, leere Kassen, das Per-sonal in alle Winde zerstreut.“ 158 Auch in Kärnten war der Schulbetrieb während des Schuljahres 1944/45 sehr stark durch den häufigen Fliegeralarm beeinträchtigt worden. Viele Schulen waren schwer beschädigt, manche gänzlich zerstört. Eine Zusammenstellung der Schäden in Villach, welche der dama-lige Oberbürgermeister Viktor Petschnik vornahm, zeigte, dass von 2.505 vorhandenen Bau-ten der Draustadt 2.381 beschädigt waren. Das heißt, nur 4,2 % des gesamten Gebäudebe-standes war unbeschädigt geblieben. Villach war somit nach Wiener Neustadt österreichweit an zweiter Stelle, was Kriegsschäden anbelangte.159 An einigen Schulen konnte wegen der schweren Schäden der Unterricht erst nach dem Sommersemester 1945 wieder aufgenom-men werden. Die meisten Schulhäuser wurden von der Besatzungsmacht der Briten be-schlagnahmt, sodass für manche Schüler der Unterricht im Herbst 1945 noch immer nicht ordnungsgemäß beginnen konnte. Das Schulleben war geprägt von miserablen Zuständen, wie Zwei- oder auch Dreischichtbetrieb in Ersatzunterkünften.160

7.1.1 Ein schwieriger Beginn Laut Weisung des Landesschulrates, sollte der Unterricht an den Volks- und Hauptschulen Kärntens am 1. Oktober 1945 wieder beginnen. Doch der Stadtteil Lind war eines der am schwersten getroffenen Stadtgebiete Villachs. Nahezu kein Wohnhaus war unbeschädigt geblieben, die Häusersiedlung „Auf der Heide“ wurde sogar hundertprozentig zerstört. Auch das Schulgebäude der Volksschule in Lind war durch Bomben beschädigt und die Schul-räume mussten nach der Einquartierung wieder instandgesetzt werden. So konnte der Unter-richt erst am 18. Februar 1946 beginnen. Mit der Leitung der Mädchen- und der Knaben-volksschule III wurde der Lehrer Wilhelm Pflegerl betraut. Die Kriegsjahre zogen eine große Materialknappheit nach sich. Bei der Übernahme der Schule mangelte es an allem. Es gab kaum Lehr- und Lernmittel, ja nicht einmal die nötigsten Einrichtungsgegenstände, um einen ordentlichen Unterricht abzuhalten. Alle Schulräume mussten einer gründlichen Renovierung unterzogen werden, die Lehrmittel konnten erst im Laufe des Schuljahres wieder nach und nach angeschafft werden.161 Folgende Lehrer und Lehrerinnen wirkten bei der Wiederaufnahme des Unterrichts an den beiden Schulen:

154 vgl. ebd., S. 79. 155 vgl. ebd., S. 80. 156 vgl. ebd., S. 82. 157 ebd., S. 82. 158 Pfeiffle 1998, S. 39 f. 159 vgl. Walzl 1995, S. 16 f. 160 vgl. Wadl 1985, S. 71 f. 161 vgl. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 83.

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36 Die Nachkriegsjahre – Der Wiederaufbau nach 1945 Mädchenvolksschule III162 Knabenvolksschule III163

1. Klasse: Maria Sturm 2. Klasse: Rosa Finger 3. Klasse: Emma Dolin 4. Klasse: Gabriele Hierländer 5. Klasse: Paula Brix-Bogensberger

1. Klasse A: Irmgard Beikircher 1. Klasse B: Herta Wagner 2. Klasse: Wilhelm Pflegerl (Leiter) 3. Klasse: Maria Moschitz 4. Klasse: Ägydius Wanker 5. Klasse: Gertrude Grünwalder

Die Schülerzahlen stiegen wieder massiv an, denn sofort nach dem Krieg strömten Massen von Villachern welche umquartiert waren, wieder zurück in ihre Heimatstadt. Ebenso wollten auch Kinder der Kinderlandverschickung sofort zu ihren Eltern zurück.164 In der Verhandlungsschrift vom 18. Feber 1946 ist nachzulesen, dass an der Volksschule Lind der Unterricht nur turnusmäßig bewältigt werden konnte. „Die Raumknappheit macht es notwendig, daß in turnusweisem Wechsel unterrichtet wird.

1. Turnus: Knaben: Montag, Mittwoch, Freitag, Vormittag Dienstag, Donnerstag, Samstag, Nachmittag

Mädchen: Montag, Mittwoch, Freitag, Nachmittag Dienstag, Donnerstag, Samstag, Vormittag

2. Turnus: umgekehrt“ 165 Laut Anordnung des Landesgesundheitsamtes, musste das Schuljahr, welches ohnehin ver-spätet begonnen hatte, wegen wachsender Typhusgefahr bereits am 24. Juni wieder been-det werden. In den Ferien war eine Aktion für erholungsbedürftige Kinder in den Heimen Mit-tewald bei Villach, Rubland bei Feistritz a. d. Drau und in Obermillstatt geplant. Aus dem gesamten Stadtgebiet sollten 200 Kinder im Alter von 6 bis 12 Jahren für diese Aktion in Be-tracht kommen. Von der Lindner Volksschule wurden dafür 20 Knaben und 20 Mädchen ge-meldet.166 Am 10. Jänner 1947 mussten Villachs Volks- und Hauptschulen wegen bestehender Ver-kehrsschwierigkeiten und Mangels an Brennmaterial bis auf weiteres wieder geschlossen werden.167 „Die Schulsperre macht sich um so unangenehmer bemerkbar, da die Rückstän-de vom vergangenen Schuljahr, das nur vom 18. Februar bis 24. Juni 1946 dauerte, kaum aufgearbeitet sind. Es geht Unterrichtszeit verloren, die nie wieder einzuholen ist.“ 168 Am 11. Februar 1947 konnte schließlich ein behelfsmäßiger Unterricht eingerichtet werden. Der Knaben- und Mädchenvolksschule III standen zwei, mit Öfen ausgestattete Lehrzimmer im Kellergeschoß der Berufsschule zur Verfügung. Aufgrund der Raumverhältnisse (2 Räu-me für 12 Klassen), konnte jedoch jede Klasse maximal 6 Wochenstunden Unterricht erhal-ten (jeden Tag 2 Stunden). Weitere Probleme stellten die schlechten Wegverhältnisse und das unzureichende Schuhwerk der Kinder dar. Der Schulbesuch betrug deshalb zeitweise nur 50 %.169 „Den Bemühungen des Schulleiters gelang es, wenigstens für die 51 Schülerin-nen aus Seebach grüne Berechtigungsscheine zur Benützung von Britischen Militärwagen zu erreichen. Wenn auch die Benützung dieser LKW’s vielfach mit Umständen verbunden war, so waren sie für die ärgste Zeit doch eine willkommene Hilfe.“ 170 Der normale Schulbe-trieb konnte erst wieder am 17. März 1946 aufgenommen werden.171

162 vgl. Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 20. 163 vgl. ebd., S. 20. 164 vgl. Walzl 1995, S. 16 f. 165 Hausberatungen/Verhandlungsschriften der Knabenvolksschule III, 1941 – 1954, unpag. 166 vgl. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 83 – 85. 167 vgl. ebd., S. 92. 168 ebd., S. 92. 169 vgl. ebd., S. 92 f. 170 ebd., S. 93. 171 vgl. ebd., S. 93.

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Erlaubnisschein zur Benützung britischer Militärfahrzeuge

für Schülertransporte, 1946172 Die ersten Nachkriegsjahre waren besonders schwierig. Es herrschte Mangel an allem. Die Kinder litten wegen der prekären Nahrungsmittelsituation vielfach an Unterernährung und dies war vermutlich einer von vielen Gründen, dass sich Krankheiten leichter ausbreiten konnten, wie man auch immer wieder in der Chronik nachlesen kann. Zum Beispiel: 1946: „Infolge Typhusgefahr wurde über Weisung der Landes-Sanitätsbehörde der Unterricht vorzeitig am 24. Juni 1946 geschlossen.“ 173 1947: „Infolge epidemischen Auftretens der spinalen Kinderlähmung wurde das Schuljahr 1946/47 am 12. Juli 1947 vorzeitig geschlossen, die Jahreszeugnisse den Schülerinnen per Post zugeschickt.“ 174

7.1.2 Schülerausspeisung Eine wichtige Maßnahme, um dem Missstand der Mangelernährung entgegenzuwirken, war die Schülerausspeisung der UNICEF (United Nations International Children's Emergency Fund – Internationales Kinderhilfswerk). In der Stadtgemeinde Villach begann die Kinderaus-speisungsaktion im Schuljahr 1945/46. In der Schulchronik der Volksschule in Lind wird dar-über bis ins Schuljahr 1953/54 berichtet. Zahlungsfähige Schüler hatten einen Regiebeitrag von ca. 30 bis 40 Groschen je Portion zu entrichten.175 „Über Weisung des städt. Fürsorge-amtes können 10 % der Klassenstände, - die Bedürftigkeit vorausgesetzt – zahlungsfrei teil- 172 Bildquelle: Watzinger 2009, S. 160. 173 Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 84. 174 ebd., S. 99. 175 vgl. ebd., S. 84.

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38 Die Nachkriegsjahre – Der Wiederaufbau nach 1945 nehmen. Außerdem hat die Unicef-Mission Lebertrankapseln zu je 5 g zur Verfügung ge-stellt, die den an der Ausspeisung teilnehmenden Tbc-gefährdeten Kindern täglich verab-reicht werden. [...] Die Ausgabe der Speisen geschieht in der Pause von 9h30 bis 9h45. Ver-abreicht werden: Milchreis, Grießkoch; Rindsuppe, Einmachsuppe mit Wurstscheiben, Milch, Kakao, Semmel u. Süßgebäck.“ 176 Über die Teilnahme der Schüler an diesen Ausspeisun-gen wurde ganz genau Buch geführt. Der schulärztliche Dienst untersuchte die teilnehmen-den Schüler und Schülerinnen im Rahmen dieser Aktion und befundete ihren Gesundheits-zustand.177

7.1.3 Buttinger-Spende In den Nachkriegsjahren gab es die verschiedensten Spendenaktionen, durch welche die Villacher Schuljugend beteilt wurde. So veranstalteten z. B. die britischen Truppen alljährlich eine Weihnachtsbescherung für Villachs Schulkinder. Im Jahr 1948 fand diese Feier im briti-schen Besatzungslager „El Alamein“ in Villach/Seebach statt.178 Auch die „Schweizer Hilfe“, die Süßwaren für die Kinder spendete wird an dieser Stelle in der Chronik erwähnt.

Britisches Besatzungslager „El Alamein“ in Villach/Seebach179 Ein ganz besonderer Gönner der Lindner Kinder, der mehrmals ausführlich in der Chronik erwähnt wird, war aber Alois Buttinger. Buttinger wirkte vor 1934 als sozialistischer Ju-genderzieher bei den Kinderfreunden in Villach und leitete den „Sonnenhof“ in Lind. 180 1934 wurde diese noch heute bestehende Einrichtung vom Ständestaat enteignet und Alois But-tinger musste, wie so viele andere Österreicher, das Land verlassen. Auch in Amerika wid-mete er sich der Erziehungsarbeit als Leiter der „Withman School“ in New York. Mit Hilfe seiner Schüler veranstaltete er eine Sammlung und beschaffte damit Geld für Lebensmittel und Kleider. In einem kurzen Schreiben teilte er der Stadtgemeinde Villach das Eintreffen dieser Gaben mit. Nach der Ankunft derselben versammelten sich alle Kinder der Lindner Volksschule im Turnsaal und im Rahmen einer feierlichen Stunde konnten sie die Spenden in Empfang nehmen.181 „Nach einer Würdigung der Person des Genossen Buttinger, dem herzlichster Dank ausgesprochen wurde, wohnte Bürgermeister Petschnik der Verteilung der Liebespakete bei. Für 215 Mädchen und 200 Knaben war es eine Freudenstunde, die sorg-fältig vorbereiteten Gaben und alle erdenklichen hochwertigen Lebensmittel in Empfang zu nehmen. Die Pakete enthielten neben Butter, Speck- und Schinkenkonserven, Beigaben von Zucker, Früchten, Kakao und Schokolade. Es konnte noch mitgeteilt werden, daß eine weite-re Sendung an Kleidern unterwegs sei und ebenfalls bei ihrem Eintreffen sofort an die Be-dürftigsten zu Verteilung gelangt.“ 182 Diese erste „Buttingerfeier“ fand am 14. Oktober 1946 statt. Die bekannte Kärntner Dichterin Paula Brix-Bogensberger, welche an der Lindner

176 Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 37. (Original unpag. .....Seitennummerierung v. Verf. eingef.) 177 vgl. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 111. 178 vgl. Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 37. 179 Bildquelle: http://www.villach.at/bilder/inhalt/Alamein.jpg 180 vgl. http://www.villach.at/inhalt/29422_28211.htm 181 vgl. Zeitungsausschnitt in der Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 90. 182 ebd., S. 90.

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Volksschule als Lehrerin wirkte, widmete Herrn Buttinger ein Dankgedicht und die Buben und Mädchen bedankten sich mit Briefen. Dadurch entstand ein reger Briefwechsel zwischen den Lindner und den New Yorker Kindern.183 Die zweite Buttingerspende traf im März 1947 ein.184 „Groß war die Freude über diesen unverhofften ‚Osterhasen’ und mancher Familie war über die Nöte der Feiertage hinweggeholfen. Leuchtende Kinderaugen dankten hinüber ‚über das große Wasser’ für so viel wahre Menschenliebe und Opfersinn. Der Name Buttin-ger ist allen Schülerinnen nun schon ein Begriff geworden.“ 185 Die dritte große Spende kam im Oktober 1947, und nochmals konnten sich die Lindner Schüler und Schülerinnen über Kleidungsstücke und Schuhe freuen.186

7.1.4 Wirtschaftsstützende Maßnahmen im Schulbereich Altmaterialiensammlung: Die schlechte wirtschaftliche Situation machte es notwendig, dass die Schulen per Erlass zu verschiedensten Aktivitäten angehalten wurden. Tätigkeiten, die aus heutiger Sicht manch-mal etwas kurios anmuten. Eine dieser Aktionen war die Altstoffsammlung. Für besonders fleißiges Sammeln von Knochen-, Hadern- und Papierabfällen bekamen die Kinder kleine Belohnungen und aus dem Erlös für das Altmaterial konnte z. B. Lesestoff für die Bibliothek angeschafft werden.187 Für gesammelte Knochen erhielt die Schule Marken zum Bezug von Kernseife.188 Aus den Verhandlungsschriften der Knabenvolksschule III kann man ersehen, dass die Schulen bezüglich der Altstoffsammlung aber auch unter Druck standen. „Die Alt-materialiensammlung ist an der Schule intensiver zu betreiben. Frau Lehrerin Subicz wurde beauftragt das Abliefern zu überwachen. Auch soll mehr Altpapier abgeliefert werden, da sich die Papierzuteilungen an die Schulleitungen nach den abgegebenen Altpapiermengen richten.“ 189 Mit Erlass vom 8. Mai 1948 stellte der Landesschulrat von Kärnten die Beteili-gung der Schuljugend an Sammlungen von Alt- und Abfallstoffen wieder ein.190 Heilkräutersammlung: Grundsätzlich lehnte das Bundesministerium für Unterricht alle Maßnahmen ab, die den un-gestörten Verlauf des Unterrichts beeinträchtigen könnten. Deshalb fanden Heilkräuter-sammlungen durch Schüler lediglich in der unterrichtsfreien Zeit statt.191 Doch der erschre-ckende Mangel an Heilmitteln zwang dazu, den Anträgen mehrerer Landesschulräte, auf Einsatz der Schuljugend zur Heilkräutersammlung auch im Rahmen des Unterrichts, stattzu-geben. Vor dem Krieg wurden die Arzneimittel, bzw. die dafür benötigten Rohstoffe überwie-gend aus Ungarn, Bulgarien, der Slowakei und anderen Südoststaaten eingeführt. Aufgrund der nicht mehr bestehenden Handelsbeziehungen kam es zu diesem Engpass der pharma-zeutischen Industrie.192 Das Sammeln der Heilkräuter erfolgte, lt. Erlass des Bundesministe-riums, auf freiwilliger Basis und nach eingehender Unterweisung durch das Lehrpersonal bezüglich der Art und des Aussehens der zu sammelnden Pflanzen.193 Ein Bezirksschulrat regte an, dass Giftpflanzen wie z. B. die Tollkirsche oder der Fingerhut, vermutlich wegen der Gefährlichkeit, nicht von den Schülern gesammelt werden dürften.194 Doch die Durchfüh-rung dieser Heilkräutersammlungen erwies sich in der Praxis eher als schwierig und zeigte nicht den gewünschten Erfolg. Schon im Schuljahr 1947/48 lehnten die Villacher Direktoren, bei der Schulleiterbesprechung, die Beteiligung der Stadtschulen an der Heilkräutersamm- 183 vgl. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 91. 184 vgl. ebd., S. 94. 185 ebd., S. 94. 186 vgl. ebd., S. 102. 187 vgl. Hausberatungen/Verhandlungsschriften der Knabenvolksschule III, 1941 – 1954, unpag. 188 vgl. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 105. 189 Hausberatungen/Verhandlungsschriften der Knabenvolksschule III, 1941 – 1954, unpag. 190 vgl. Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 105. 191 vgl. Verordnungsblatt für das Schulwesen in Kärnten, Jg. 1947, Stück VII, Erl. Nr. 54. 192 vgl. Verordnungsblatt f. d. Dienstbereich d. Bundesministeriums f. Unterricht, Jg. 1948, 4. Stück, Erl. Nr. 29. 193 vgl. ebd. 194 vgl. Verordnungsblatt für das Schulwesen in Kärnten, Jg. 1947, Stück VII, Erl. Nr. 54.

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40 Interviews mit Zeitzeugen lung einstimmig ab.195 „Die Kinder haben keine Schuhe, die Ernährungslage ist zu schlecht und die Unsicherheit zu groß, als daß man den Eltern und Kindern eine Sammeltätigkeit zu-muten könnte.“ 196 Der Leiter der Knabenvolksschule III, Direktor Albin Schnee, hielt im Schuljahr 1948/49 folgende Stellungnahme bezüglich dieser Problematik in der Chronik fest: „Seitens der Apothekerschaft wird Klage geführt, daß die von ihrer Seite veranlaßte u. dann schulbehördliche (sic!) angeordnete Heilkräutersammlung nicht den gewünschten Erfolg zei-tigte. Um die beabsichtigte Beschickung der Apotheken mit Sammelgütern zu erreichen, müsse eine straffe Lenkung der Aktionen einsetzen. Zu dieser geäußerten Meinung der Apo-thekerschaft erfolgte in einer Hausberatung nachstehende Stellungnahme: Die Beteiligung an Sammelaktionen kann von der Schule aus nicht angeordnet werden, son-dern muß der Freiwilligkeit überlassen bleiben. In den beschränkten, ja oft notdürftigen Woh-nungen fehlt die Trockengelegenheit. Die Sammelarbeit von 6 – 9 jährigen Kindern kann weder entsprechend noch verläßlich gut sein; das Sammeln müßte unter steter Überwa-chung der Eltern bzw. Lehrer erfolgen, was beide Teile in weitüberwiegender Mehrheit ab-lehnen. Beim Ansetzen von Lehrausgängen treten mangelhafte Bekleidung, unzulängliche Jause u. Geldmittelnot in Erscheinung u. es muß darum begriffen werden, daß die geringe Anzahl der Lehrausgänge auf jeden Fall primär dem Unterrichtsvorhaben dienen muß u. nur gelegentlich, wenn sich das Sammeln mit diesem deckt, die Heilkräuteraktion getätigt wer-den kann. Die rationelle Auswertung der spärlich möglichen Lehrausgänge kann u. darf nicht einseitige Belastung erfahren. Der Standort der Schule K3 liegt von ertragreichen Sammel-plätzen entfernt. Auch sehen bäuerliche Besitzer sammelnde Schulkinder auch dann mit scheelen Augen an – (ja sie verbieten es ihnen vielfach) – wenn diese auch in Begleitung ihrer Eltern oder Lehrer der Sache dienen wollen. Nach bestehender Ansicht, wäre für die Versorgung der heimischen Apotheken mit Heilkräutern das Zurückgreifen auf berufsmäßige Kräutersammler wohl am zweckdienlichsten.“ 197

8 Interviews mit Zeitzeugen Die geführten Interviews mit Herrn Kanzi und Herrn Wanker sollen die Zeit des Zweiten Weltkrieges und die darauffolgenden Nachkriegsjahre einerseits aus der Sicht eines Schü-lers und andererseits aus der Sicht eines Lehrers dokumentieren. Herr Kanzi ist heute 77 Jahre und war 48 Jahre bei der Firma Radex in Radenthein beschäf-tigt. Viele Jahre war er Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Heraklith AG und Vor-stand der RHI AG (Radex-Heraklith Industriebeteiligungs AG). Im Rahmen seiner Funktionen in der Heraklith AG hat er den Wachstums- und Entwicklungsprozess des Unternehmens wesentlich beeinflusst. Er besuchte die Knabenvolksschule III in Lind in den Jahren 1938 bis 1942. Herr Wanker unterrichtete im Jahr 1945/46 erstmals in der Volksschule Lind und nach kurzer Unterbrechung wirkte er dann von 1948 bis 1976 als Pädagoge in diesem Hause.198 Er lebt heute im „Senioren-Wohnheim Untere Fellach“.

8.1 Interview mit Herrn Kanzi Darf ich Sie bitten, sich kurz vorzustellen. „Ja, Rudolf Kanzi, geboren 09.12.1932 und bin heute demnach 77 Jahre. Ich bin 1938 in die Volksschule Lind eingetreten und 1942 übergetreten ins Realgymnasium Villach. 1950 war ich mit dem Realgymnasium fertig, dann ging ich ein Jahr nach Klagenfurt und machte den

195 vgl. Hausberatungen/Verhandlungsschriften der Knabenvolksschule III, 1941 – 1954, unpag. 196 ebd. 197 Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 33. 198 vgl. Schulchronik Knabenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 3, unpag.

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Interviews mit Zeitzeugen 41

Abiturientenkurs der Handelsakademie und anschließend bin ich dann gleich nach Ra-denthein. Und wie bin ich nach Radenthein gekommen? Natürlich durchs Fußballspielen. Drinnen war der Herr Ing. Petz, den hab ich gekannt vom VSV, ich durfte mit ihm sogar ein-mal in der ersten [Liga – Anm. d. Verf.] spielen und der sagte: „Komm herein, hier bekommst du einen schönen Posten. Und damals war es mit den Posten nicht so einfach. Das war aber gerade zu einer Zeit, wo ich im Olympiakader des Eishockeyteams gewesen bin. Ich habe am Eislaufplatz bei der Lindner Schule allein trainiert und da kam mein Papa hinunter und sagte: ‚Du heute ist ein Telegramm gekommen, du sollst morgen sofort nach Radenthein kommen und anfangen.’ Aber ich hab gesagt: ‚Nein Papa, aber sicher nicht! Weil ich hab jetzt ein anderes Thema und das ist die Olympiade.’ Da hab ich dann gesehen wie meinem Papa der Schatten hinunter fällt. Aber ich muss sagen, es ist dann für beide Teile gut ausge-gangen. Ich bin hinein gefahren am nächsten Tag und die Eishockeymannschaft ist nicht zur Olympiade gefahren, weil zu wenig Geld da war. Und ich bin eigentlich gut gefahren, dass ich mich so entschieden habe. Der Papa hatte eine Freude, ich wollte ihm ja auch keine schlechten Stunden bereiten. Ich hab dann drinnen mit sehr viel Fleiß Fußball gespielt und im Winter in Villach Eishockey. Als ich damit aufhörte, das war ca. 1965, da war ich 33 Jah-re, sagte ich mir: „So ‚Bua’, aber jetzt gehen wir an die Arbeit.“ Ich habe immer einen guten Ruf gehabt, weil ich meine Arbeit immer gemacht habe. Ich hatte meinen Mann zu stehen und das hat man auch geschätzt, und so bin ich dann Stufe für Stufe weitergekommen, bis zum Schluss... bis an die Spitze. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Man sagt ja immer, dieses Managerwesen, da wird man krank davon, aber ich kann nur sagen, ein Mensch der Erfolg hat, kann nie ‚managerkrank’ werden, das ist unmöglich. Das Ausschlaggebende ist: wenn man Erfolg hat, gibt es keine Krankheit. Höchstens Schnupfen oder Halsweh, aber nichts beim Herz. Und wie gesagt: meine Anfänge waren in der Schule in Lind, die für mich heute noch sehr viel Bedeutung hat, denn beim Eintreten 1938, da hab ich meine Freunde, den Dr. Ressler, Dr. Caneppele, Dr. Gradischnig getroffen und wir haben seit damals, das sind heute 71 Jah-re eine sehr gute Freundschaft miteinander, die wir auch pflegen. Also, das ist nicht nur so, dass man sich als Schulfreunde halt kennt, sondern wir zeremonieren diese Freundschaft. Das wurde eine Freundschaft fürs Leben. Da gibt es gewisse Daten, an denen wir uns im-mer treffen,... wir gehen mit dem sehr sorgsam um. Die Volksschule, die hat mir nur Freude bereitet, wirklich, weil sie auch dann später, wie ich schon im Realgymnasium war, noch Bedeutung gehabt hat, weil ja unten der Eisplatz war. Ich bin von dieser Lindner Schule nicht weggekommen, sie hat eigentlich mein Leben geprägt - schön geprägt, Ich war sehr stolz, dass ich da unten die Schule gemacht hab, und es war immer eine Freude muss ich sagen. Aber ich hab auch x-mal von der Lehrerin Frau Hochleitner ‚a Tetschn kriagt’. Die Lehrerin war ziemlich groß und ich war ziemlich klein. Sie hat einen Schüler geprüft, und als er wieder in die Bank hinein ging, hab ich ihm das ‚Haxl g’stellt’ und er ist da drüber ‚gflogn’ und dann ist sie her gekommen und hat mir eine ‚getaucht’, das war unglaublich. Aber, (lachend) die hat mir gebührt, die hat mir nicht weh getan, und ich hatte nachzudenken. Ich habe an diese Schule nur schöne Gedanken. Wirklich.“ Das heißt, Sie werden sicherlich auch Freude daran haben, im nächsten Jahr an der „Hundertjahrfeier“ der Schule teilzunehmen. Ich werde Ihnen persönlich eine Einla-dung vorbei bringen, und selbstverständlich auch für Ihre Freunde. „Ja aber sicher. Ja, selbstverständlich kommen wir. Das wird uns eine große Freude sein. Und wie gesagt. Ich habe ja auch sehr viel Kontakt gehabt mit dem Herrn Wanker [Hr. Wan-ker war mehr als 30 Jahre Lehrer an der Volksschule Lind – Anm. d. Verf.], der war ja auch unser Fußballtrainer in jungen Jahren. Der hat sich sehr viel Mühe gegeben mit uns. Wir haben ja damals schon mindestens dreimal in der Woche trainiert.“ Als Sie die vierte Klasse der Volksschule Lind besuchten, das war ja mitten im 2. Weltkrieg. Können Sie sich an diese Zeit noch erinnern? Welche Auswirkungen hatte das Kriegsgeschehen auf das Schulleben?

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42 Interviews mit Zeitzeugen „In der Volksschule hat das ganze noch keine Auswirkungen gehabt. Die erste Auswirkung ist im zweiten Gymnasium gekommen, als wir evakuiert wurden. Wir waren dann unten in Velden im ‚Bundschuh’ da war das Villacher Gymnasium, also halt unsere Klasse ausgesie-delt und wir haben dann dort unseren Unterricht gehabt, was ja eigentlich für uns Buben recht lustig war. Wir waren in einem Lager mit den Freunden zusammen und... wir haben ja nichts mitbekommen, und wir haben Spaß gehabt.“ Habe ich das jetzt richtig verstanden, Sie waren auf einer Kinderlandverschickung? „Ja, das hat Kinderlandverschickung geheißen, und wir waren da im Hotel ‚Bundschuh’.“ Das ist sehr interessant, denn auch aus der Chronik geht hervor, dass zu dieser Zeit an der Lindner Volksschule nur mehr an die 100 Kinder waren, viele von ihnen wurden mittels Kinderlandverschickung evakuiert. Das heißt aber, die Bombardierungen von Villach haben Sie wahrscheinlich nicht un-mittelbar mitbekommen, da Sie zu dieser Zeit in Velden waren. „Es war dann so: Im dritten Gymnasium war die Schule ja auch noch in Velden. Aber etwas weiter oben, beim Aichelberghof hat der glaub ich geheißen, und da hat man es schon be-merkt. Dann hat ja die Schule aufgehört und die Schüler sind nach Hause zu ihren Eltern. Da hat man dann schon was bemerkt. Also wir mussten sehr oft in den Keller gehen und das über uns ergehen lassen. Da haben wir den Krieg schon sehr hautnah erlebt. Wir sind ein-mal mit der Mama, erinnere ich mich, nach Faak hinaus gefahren, dann ist auf einmal der Zug stehen geblieben und es hat geheißen ‚Aussteigen!’ und wir sind dann ausgestiegen und mussten Deckung nehmen. Ich hab mich mit meiner Mama unter irgendeiner Staude verkrochen und hab mir gedacht: ‚Was wollen die von uns?’ Es war eh niemand mehr da-heim, außer die Mütter und die kleinen Kinder, und die schossen auf uns mit den Maschi-nengewehren herunter. Da hab ich das erste Mal zu spüren bekommen, dass ein Krieg et-was Furchtbares ist, und dass er vor Kindern nicht Halt macht. Und das ist eigentlich das Traurige dabei.“ Villach ist ja schwer bombardiert worden. „Ja, aber in Villach waren ja eh nur mehr die Frauen daheim. Die Frauen und die Kinder. Und Industriestadt waren wir keine, also was hätten sie bei uns treffen können? Sie wollten Unru-he erzeugen.“ Wo genau haben Sie gewohnt als Kind? „Ich habe in dieser Zeit, als Kind, in der Adalbert-Stifter-Straße 20 gewohnt. Das ist die Stra-ße, die unten beim Sportplatz [in Lind – Anm. d. Verf.] vorbei führt.“ Das ist ja auch sehr nahe bei der Schule. „Ja ich hatte fünf Minuten zur Schule.“ Aus der Chronik konnte ich auch entnehmen, dass der Obere Heide Weg damals völlig zerstört wurde. „Ja das war auf der entgegen gesetzten Seite. Die haben sehr arg darunter gelitten. Wenn Sie an die Kriegsjahre im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus den-ken.... „Das war so etwas, das ist uns Jugendlichen gar nicht bewusst geworden. Wir haben eigent-lich als Kinder und Jugendliche eine schöne Zeit gehabt. Wir haben von alldem nichts ge-

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wusst. Von den KZs haben wir in diesem Alter nichts gewusst und es hat uns deshalb nicht berührt. Man hat für den Sport sehr viel übrig gehabt und das hat uns jungen Menschen sehr gut gefallen.“ In dieser Zeit war ja der Turnunterricht ein Hauptfach in der Schule. „Ja auf Sport hat man sehr viel Wert gelegt. Ich kann mich noch erinnern, damals im ersten Gymnasium da waren wir schon in Velden und ich hab immer darauf Wert gelegt einen Ein-ser in Turnen zu haben, aber ich hab damals noch nicht schwimmen können. Da hat die Turn-Lehrerin gesagt: ‚Kanzi, wenn du nicht vom 3-Meter-Brett springen kannst, dann be-kommst du keinen Einser in Turnen.’ Ich sagte mir: ‚Das kann nicht sein, dass ich in Turnen keinen Einser bekomme.’ und ich bin hinauf gegangen und bin gesprungen. Augen zu, Nase zu und bin gesprungen, und bin dann irgendwie hinaus gekrabbelt, irgendwie so, dass ich halt an das Ufer gekommen bin. Aber ich hätte es damals nicht ertragen, in Turnen einen Zweier zu bekommen. Turnen war damals das ‚Non plus ultra’.“ Der Religionsunterricht war ab 1938 nur mehr ein unverbindlicher Freigegenstand und man musste sich dafür eigens anmelden. „Wir mussten damals dafür in die Kirche hinein gehen. Ich weiß noch, dass ich damals in die Nikolaikirche gegangen bin und dort hat der Unterricht stattgefunden.“ Ja das war eine „Kärntner Lösung“, dass der Religionsunterricht überhaupt nicht mehr in der Schule stattfand. „Ja aber ich bin in die Kirche hinein gegangen. Meine Eltern sagten: ‚Du gehst dorthin.’“ War es für die Eltern mit Schwierigkeiten verbunden, das Kind für den Religionsunter-richt anzumelden? „Nein, es hat keinen Druck gegeben.“ Im Jahr 1941 war im Schulhaus die Volksgruppe der Bessarabier, die aus Moldawien rückgesiedelt wurde, untergebracht. Können Sie sich daran erinnern? „Also wir haben davon nichts gemerkt. Aber wir haben auch einen Schulwart gehabt, der Herr Felfernig, der war mehr als ein ‚Oberleutnant’. Der hat alles unter seiner ‚Fuchtel’ ge-habt. Der hat alles so geregelt, dass wir davon nicht betroffen waren.“ Während des Krieges hat es auch verschiedene Sammelaktionen, wie z. B. die Heil-kräutersammlung gegeben. Können Sie sich daran erinnern? „Ja, darauf ist großer Wert gelegt worden. Das ist sogar soweit gegangen, dass im Zeugnis ein Vermerk war: ‚Heilkräuter nicht ordnungsgemäß abgegeben.’ Da mussten wir verschie-dene Blätter sammeln, was ja relativ einfach war und für uns Buben eher lustig.“ Ist das während der Schulzeit passiert? „Nein, außerhalb des Unterrichtes.“ Können Sie sich auch an die Altstoffsammlungen erinnern? Je nach Menge der ge-sammelten Altstoffe bekamen die Kinder dafür Punkte. Den fleißigsten Sammlern wurde eine Reise nach Berlin und ein persönliches Treffen mit dem Reichsmarschall in Aussicht gestellt. „Ja, wir haben schon solche Sachen in die Schule mitbringen müssen. Und wie gesagt, es wurde im Zeugnis vermerkt, wenn man dabei nachlässig war. Aber es hatte keine Auswir-

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44 Interviews mit Zeitzeugen kungen. In meiner Umgebung hat aber keiner soviel gebracht, dass er eine besondere Aus-zeichnung bekommen hätte“. Nach dem Krieg war Kärnten britische Besatzungszone. Können Sie sich an diese Zeit erinnern? „Ja, das war ein Glück für uns, denn die Besatzung bei uns war sehr gutmütig, also die Leute – die Engländer, die uns besetzt haben. Es war so, wir haben schon ein paar Brocken Eng-lisch gekonnt, da konnten wir uns schon ein bisschen mit ihnen verständigen und man hat den einen oder anderen Kaugummi gekommen, was natürlich sehr beliebt war. Die waren sehr freundlich zu uns Jugendlichen. Ich kann nur das höchste Lob aussprechen für diese Leute, die bei uns als Besatzungsmitglieder waren.“ Haben Sie sonst noch irgendwelche Erinnerungen an die Volksschule, bezüglich Un-terricht oder Unterrichtsmittel oder irgendwelche Besonderheiten, die sie gerne erzäh-len möchten? „Also von meiner Seite gesehen... es war einfach alles ‚klass’. Ich habe nur schöne Erinne-rungen. Ich war ein relativ guter Schüler bis zur vierten Klasse. Ich kann mich noch erinnern, die Lehrerin Hochleitner hat zu meiner Mama gesagt: ‚Sie, es ist nicht möglich, Ihrem Buben alles Einser zu geben. Ich muss ihm in Zeichnen einen Zweier geben. In Zeichnen ist wirklich kein Einser drinnen.’ Nein, ich muss wirklich sagen, diese Zeit... Es war der erste Schritt ins Leben, wenn man in die Volksschule geht, und das ist etwas ganz Wesentliches. Und wir haben eine sehr schöne Schule gehabt mit sehr positiven Erinnerungen. Es gibt nichts, was mir nicht gefallen hätte. Ich kann über diese Schule nur Positives sagen. Es hat Freude ge-macht, dort in die Schule zu gehen. Und heute, ich fahre ja jeden Tag an der Schule vorbei, schau ich immer gerne hin zu ihr.“ Herr Kanzi, ich danke Ihnen für das Gespräch. „Ja sehr gerne, ich hab das sehr gerne getan. Und zur ‚Hundertjahrfeier’, da können Sie si-cher sein, dass wir alle vier kommen.“

8.2 Interview mit Herrn Wanker Vielen Dank dass Sie bereit sind, mir ein Interview zu geben. Können Sie sich bitte, kurz vorzustellen. „Ich heiße Ägydius Wanker, bin 87 Jahre alt.“ Herr Wanker, darf ich Sie bitten, etwas über Ihre lange Lehrtätigkeit an der Volksschu-le in Villach Lind zu erzählen. Welche Ereignisse sind Ihnen in Erinnerung geblieben? „Ich habe mir ein paar Notizen gemacht. Ich werde einfach einmal erzählen, und wenn Sie etwas fragen wollen, fragen Sie nur. Also, 1946 habe ich angefangen und war mit kurzen Unterbrechungen bis 1976 dort. Sie sind in Lind tätig? Gibt es eigentlich noch die beiden Schulen?“ Ja ich unterrichte in Lind, aber die beiden Schulen wurden 1996 zu einer Schule zu-sammengelegt. „Ach so, weil lange gab es ja die Bubenschule und die Mädchenschule. Nach dem Krieg war geplant den Vogelweidepark vor der Schule aufzulassen und dort ein Kino hinzubauen. Für die Schule wäre das sehr ungünstig gewesen. Außerdem gibt es eh nur mehr so wenige Grünflächen. Gott sei Dank konnten wir das abwenden. Die zweite ungünstige Situation für

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die Schule war der Bau des Kindergartens. Man wollte uns dafür mehr vom Schulhof weg-nehmen, als erträglich war. Für den Turnunterricht braucht man ja eine gewisse Fläche. Wir haben damals um jeden Meter gerungen und konnten erkämpfen, nachdem alles schon ge-plant war, dass wir noch einen 5 m breiten Streifen mehr behalten konnten.“ Den großen Pausenhof gibt es auch heute noch und im Winter ist dort der Eislauf-platz. „Den Eislaufplatz gab es damals auch schon und wir haben die Gelegenheit beim Schopf gepackt und waren teilweise in den Turnstunden Eis laufen.“ Der Chronik konnte ich entnehmen, dass Sie die Schule 1972 – 1973 provisorisch ge-leitet haben. „Ja, das habe ich. Und damals habe ich folgendes Projekt im Sinne des „Europäischen Ge-danken“ initiiert: Gemeinsam mit dem Pater Thomas von St. Leonhard [ein Stadtteil Villachs – Anm. d. Verf.] organisierten wir einen Sportvergleichskampf zwischen Udine und Villach. Dazu ist eine Klasse aus einer Schule in Udine zu uns nach Villach gekommen und wir machten einen gemeinsamen Sportnachmittag mit verschiedenen Bewerben. Damals war das außergewöhnlich, ich glaube nicht, dass es noch eine Volksschule gab, die so etwas veranstaltet hat.“ Da waren Sie sozusagen, allen schon einen Schritt voraus. „Ja, auch durch den Pater Thomas, der damals viel in Udine bzw. Gemona zu tun hatte. Wir fuhren gemeinsam hinunter und organisierten alles mit der Schule. Die Stadt Villach hat das Projekt auch finanziell unterstützt.“ Auch heute pflegen wir intensiven Kontakt zu italienischen Partnerschulen, denn in unserer Schule gibt es seit 2001 die Möglichkeit eine bilinguale Klasse mit Arbeits-sprache Deutsch/Italienisch zu besuchen. „Also, ich muss ja eines sagen, ich war vor Jahren einmal in der Schule und habe alle Lehr-kräfte kennengelernt und hab’ in erster Linie auch mit der Direktorin zu tun gehabt. Aus den Gesprächen hatte ich damals wirklich den besten Eindruck. Man tut den Lehrern heute ja manchmal unrecht. In der Volksschule in Lind hab ich wirklich den Eindruck gewonnen, man ist dort sehr fortschrittlich. Man kann ruhig sagen, die Volksschule Lind gehört zu den besten im Raum Villach Stadt und Land. Ein Professor vom Gymnasium hat sich einmal geäußert: ‚Die Lindner sind die Besten.’ In meiner Zeit als prov. Leiter habe ich auch eingeführt, dass die Schüler auch zwischen-durch immer kleine Pausen machen konnten, und nicht unentwegt sitzen mussten. Es ist ja für die Kinder eine Qual, speziell am Anfang ständig sitzen zu müssen weil sie ja auch rasch ermüden. Ich habe mich auch immer bemüht das ‚gute Alte’ mit dem ‚guten Neuen’ zu verbinden. Beim Leseunterricht ist damals die Ganzheitsmethode gekommen. Plötzlich mussten die Setzkäs-ten alle weg. Ich dachte mir aber, das kann ja kein Problem sein, wenn ich ihn trotzdem spie-lerisch einsetze. Wir haben dann direkt „Setzkastenolympiaden“ veranstaltet. Das hat den Eifer der Kinder sehr angespornt. So hat sich der alte, verpönte Setzkasten durchaus noch bewährt.“ Sie haben ja im Laufe Ihrer Dienstjahre viele verschiedene Methoden kennengelernt. „Ja, und da verdanke ich dem ehemaligen Bürgermeister Timmerer, der die St. Johanner Schule gehabt hat, sehr viel. Der war, das kann man wirklich sagen, auf dem Gebiet des Volksschulunterrichtes, führend. Als Junglehrer wollte er mich an seine Schule haben, ich

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46 Interviews mit Zeitzeugen wollte aber nicht von Lind weg. Das hat er mir lange Zeit nicht verziehen, dass ich sozusa-gen die Chance nicht wahrnahm, beim „Meister“ in die Lehre zu gehen. Ich habe aber auch dadurch sehr viel profitiert, dass er seine Bücherei zur Verfügung stellte. Zwei Bücher waren für mich damals von unschätzbarem Wert: Fürs Rechnen hat Johannes Kühnel ein Buch geschrieben und, zwar ‚Neubau des Rechenunterrichtes’. Auf dem Sprachgebiet war ein gewisser Linke führend. Mein ganzer Deutsch- und Rechenunterricht hat auf diesen beiden aufgebaut.“ Hat die Mengenlehre in Ihrem Unterricht irgendwann einmal Bedeutung gehabt? „Von der Mengenlehre hab’ ich eigentlich nicht viel gehalten. Sagte man vorher zur Veran-schaulichung: ‚Du hast 3 Äpfel und es kommen noch 2 dazu. Wie viele sind das?’, so musste der Schüler bei der Mengenlehre sagen: ‚Die Teilmenge von 3 Äpfeln plus die Teilmenge von 2 Äpfeln ergibt die Gesamtmenge von 5 Äpfeln.’ Das war ein unnötiger Ballast für die Kin-der.“ Wenn wir in der Zeit wieder ein bisschen zurück gehen, können Sie sich an bestimmte Aktionen erinnern, die es in der Nachkriegszeit gab, wie z. B. Heilkräutersammlung, oder Altstoffsammlung? „Ich weiß nicht mehr so genau. Aber da war einmal etwas mit den Maikäfern... Das erinnert mich an eine Situation in Religion. Der Bischof von Kärnten war bei uns auf Besuch, das war damals der Bischof Köstner, und der hat halt die Kinder Verschiedenes gefragt, er wollte sie irgendwie zur ‚Maiandacht’ hinführen. Da fragte er: ‚Woran erinnert euch der Mai?’, und dann hat ein Schüler aufgezeigt und sagte: ‚An die Maikäfer, Herr Bischof!’ So, ich schau noch einmal meine Notizen durch. Ich glaube ich habe Ihnen alles gesagt, was ich mir notiert habe. Ach ja, etwas fällt mir noch ein. Für mich war es damals das Schlimmste, die Zeugnisse zu schreiben. Noch dazu musste man in der vierten Klasse entscheiden, ob ein Schüler in den A-Zug oder B-Zug der Hauptschule oder ins Gymnasium ging. Ganz schlimm war es beim B-Zug, weil den ‚B-Züglern’ waren die Wege in höhere Schulen abgeschnitten. Es war manch-mal so, dass ein Schüler von den momentanen Leistungen her, nur reif für den B-Zug war, aber von der Entwicklung her schien es so, als ob er nur eine Entwicklungsverspätung hätte. Da bin ich zum Direktor Binder gegangen, der die Hauptschule gehabt hat und mit dem ich mich persönlich auch sehr gut verstanden habe. Dem hab ich gesagt: ‚Du Helmut, ich hab’ da solche Gewissensbisse bei der Feststellung der A- und B-Zug-Reife.’ Er war sehr aufge-schlossen und sagte: ‚Weißt was, du beurteilst die Schüler so wie sie es momentan verdie-nen und führst sie als B-Zug-Schüler, schickst mir aber zu Schulbeginn ein Liste der Schüler mit der Bemerkung: ‚Ich habe gegen eine probeweise Verwendung im A-Zug nichts einzu-wenden.’ Und es sind dann immer wieder einige von diesen Schülern im A-Zug geblieben. Ich war sehr froh darüber, dass wir dieses Problem unbürokratisch lösen konnten. Wir waren damals wirklich ein tadelloser Lehrkörper. Kameradschaftlich zusammen ge-schweißt und äußerst erfolgreich.“ Können Sie sich noch an die 50-Jahr-Feier der Volksschule Lind erinnern? „Nein, nicht wirklich. Vielleicht war ich in diesem Jahr gerade nicht in der Volksschule, denn sonst vergisst man so etwas ja nicht. Das wäre vielleicht noch zu sagen: Die Lindner Volksschule war in den Nachkriegsjahre im-mer ‚pumpvoll’. Wir hatten Vormittags- und Nachmittagsunterricht, weil sonst räumlich die ganze Sache nicht zu machen gewesen wäre. Bevor die Handelsakademie fertig gebaut war,

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wurden Handelsakademieklassen bei uns untergebracht und später auch noch der Polytech-nische Lehrgang.“ Herr Wanker, vielen Dank, dass Sie mir so viel aus Ihrem Erfahrungsschatz erzählt haben. Es war sehr interessant. „Das hab’ ich sehr gerne gemacht.“

9 Das 50-Jahr-Jubiläum der Volksschule Lind im Jahre 1960

„Der kleine Chronist“ 199

Am 2. Juli 1960 fand anlässlich des 50 jährigen Bestandsjubiläums der Volksschule Lind eine Schulfeier unter den Linden vor dem Schulhaus statt. Zu dieser Veranstaltung eingela-den hatten die beiden Direktoren, der Leiter der Knabenvolksschule III Ernst Ebner und der Leiter der Mädchenvolksschule III Franz Smoley. Bei seiner Rede sprach Bürgermeister Gottfried Timmerer von Lind als einem zukünftigen „Erziehungszentrum“. Denn zum Kinder-garten und der Volksschule würden in absehbarer Zeit eine Handelsakademie und eine Handelsschule hinzukommen. Auch für den Neubau der Hauptschule Lind konnten von der Stadtverwaltung schon Baugründe angekauft werden. Die Dichterin und langjährige Lehrerin an der Mädchenvolksschule III, Paula Brix-Bogensberger, verfasste eigens für diese Feier-lichkeit das Theaterstück „Der kleine Chronist“.200 „In diesem von den Mädchen der Volks-schule III vorgeführten, kindlich-naiven Frage-und-Antwort-Spiel berichtet der Chronist über den Werdegang und das recht wechselvolle Schicksal des Geburtstagskindes.“ 201 Auf einer Bühne vor dem Schulhaus stellten die Schüler und Schülerinnen Szenen aus dem bewegten Leben des Hauses dar. Die Rolle des „kleinen Chronisten“ spielte die damals 9-jährige Schü-lerin Margot Buxbaum (s. Foto oben), die heute, 50 Jahre später, an dieser Schule mit viel Freude und Engagement als Lehrerin tätig ist. Über die Erinnerungen an ihre Volksschulzeit berichtet Frau Glawischnig (geb. Buxbaum) im folgenden Interview.

9.1 Interview mit Frau Glawischnig Darf ich dich um eine kurze Vorstellung bitten? 199 Bildquelle: Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 237. 200 vgl. Zeitungsausschnitt in der Schulchronik Mädchenvolksschule III, Villach/Lind Bd. 2, S. 235. 201 ebd.

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48 Das 50-Jahr-Jubiläum der Volksschule Lind im Jahre 1960 „Ich heiße Margot Glawischnig, bin 1950 geboren und ich unterrichte seit 1998 an der Volks-schule 3 Villach/Lind. Auch meine Mutti, Martha Maier, ist schon in diese Volksschule ge-gangen. Sie war damals Linkshänderin und hatte furchtbare Angst vor der Schule. Das war im Jahr 1926. Diese Geschichte hat sie uns Kindern immer gerne erzählt. Sie hatte höllische Angst vor der Schule, weil sie mit der rechten Hand nichts machen konnte. Sie ist in den ersten Schultagen immer wieder getürmt. Kaum war sie drinnen in der Klasse, war sie auch schon wieder fort. Die Lehrerin eine gewisse Fr. Hierländer musste die Klassentüre zusper-ren, bis das ‚Marthele’ dann endlich geblieben ist.“ Warum hatte sie solche Angst? „Ja, weil sie befürchtete, dass sie in der Schule auf rechts umgelernt würde, was dann ja auch geschah. Sie erzählte, dass sie öfters Schläge auf die Finger bekommen hätte. Aber das war damals leider so. Sie hat ihr ganzes Leben alles immer mit der linken Hand ge-macht, nur geschrieben hat sie rechts.“ Deine Familie ist praktisch über mindestens 3 Generationen in diese Schule gegan-gen. „Ja, also meine Mutti und ihre Geschwister, ich und zwei meiner vier Töchter sind hier in die Schule gegangen.“ Welche Erinnerungen hast du an deine eigene Volksschulzeit? „Also, für uns war damals beeindruckend, dass da zwei verschiedene Schulen waren, eine für Buben und eine für Mädchen. Aber in unserer Klasse waren auch 7 Buben, weil es ir-gendeinen Ausgleich wegen der Schülerzahlen gab. Die Buben wurden in Handarbeiten im-mer so gelobt, weil sie so brav stickten und strickten. Dann kann ich mich noch an den Schulhof erinnern, aber nicht daran, ob wir jemals die Pause draußen verbracht hätten. Ich kann mich an keine Hofpause erinnern. Ich kann mich an zwei Lehrmittel erinnern: Das eine war eine große Landkarte, die war so groß, dass ich, je näher ich war, darauf gar nichts mehr erkennen konnte. Das war für mich furchtbar, weil ich dann im Vergleich mit der kleinen Karte nie wusste, was wo ist. In der zweiten Klasse hatte ich den Herrn Direktor Smoley und der hat immer den ‚Rechenmaxi’ mitgebracht. Das war so ein Holzgestell in Form einer Pup-pe, mit dem man rechnen konnte. Das war das Schönste für uns, wenn er diesen ‚Rechen-maxi’ mit in die Klasse brachte. Ich kann mich auch noch erinnern, dass ich mich sehr ge-freut habe, als ich die ersten Buchstaben lernte. Seid ihr schon nach der Ganzheitsmethode unterrichtet worden? „Nein, ich noch nicht, aber mein jüngerer Bruder, der ging 4 Jahre nach mir in die Lindner Schule und der lernte mit der Ganzheitsmethode. Das weiß ich deshalb noch so genau, weil ich daheim mit ihm immer die Aufgabe machen und mit ihm lernen musste. Ich war damals schon jeden Nachmittag ‚Lehrerin’ mit meinem kleinen Bruder. Wir haben noch Buchstabe für Buchstabe gelernt. Und ich war so glücklich mit meinen Buchstaben. Als eines Tages meine Großtante zu Besuch kam und ich ihr zeigen wollte, wie gut ich schon schreiben konn-te, schrieb ich ‚Papa’ aber mit zwei ‚bb’, also Pabba. Sie hat daraufhin so herzlich gelacht, was mich dazu bewogen hatte, von da an alles immer richtig zu schreiben. Ich dachte mir damals: ‚Nie wieder im Leben mach ich Fehler.’ Das war für mich damals so der Funken, in der Schule alles richtig zu machen. Meine Mutter hat sich nicht so gekümmert, wie ich die Hausaufgaben machte, und später, für meinen Bruder hat sie mich eingesetzt. Was damals auch besonders wichtig war, das war die schöne Heftführung, oder dass man z.B. keine ‚Eselsohren’ in den Heften und ordentliche Bücher hatte. Auch durfte man keine Fehler machen. Es gab zwar Radiergummis, aber man durfte nicht bemerken, dass radiert wurde. Diese Erziehung zur Genauigkeit das hat sich auf uns stark übertragen.“

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Wie siehst du diese Erfahrungen als Schülerin heute aus der Sicht der Lehrerin? „Die Kinder von heute gehen meiner Meinung nach viel zu großzügig mit ihren Sachen um. Aber das ist scheinbar der Trend der Zeit. Damals gab es ja noch Fleiß- und Betragensno-ten, auch die äußere Form der Arbeiten wurde beurteilt. Das gibt es heute nicht mehr. Des-halb hab’ ich es mir als Lehrerin schon vor Jahren zur Angewohnheit gemacht, den Schülern zum Zeugnis dazu einen Brief zu geben, in dem auch diese Aspekte erwähnt werden. Ich kann mich auch noch an einen fantastischen, großen Turnsaal erinnern, der mittlerweile auch schon renoviert wurde, und ich war ganz weg, als ich feststellte, dass er gar nicht so groß ist, wie ich ihn damals als Kind wahrgenommen habe. Auch der Eislaufplatz war damals auch schon bei der Schule. Aber wir konnten ihn nur am Nachmittag nutzen. Im Turnunterricht gingen wir nicht Eis laufen, so wie wir das heute mit unseren Schülern machen. Ich weiß auch noch, dass wir im Grunde genommen immer artig, brav und fromm in der Bank gesessen sind. Ich kann mich an keine störenden oder verhaltensauffälligen Schüler erinnern. Ich kann mich erinnern, dass die Lehrer eigentlich die meiste Zeit an ihrem Tisch saßen, außer wenn sie etwas an der Tafel schreiben mussten. Ich glaube, dass es diszipli-när damals für die Lehrer einfacher war, als es heute ist. Obwohl viel mehr Kinder in einer Klasse waren. Es gab damals mehr Respekt vor den Lehrern und überhaupt einen respekt-volleren Umgang der Menschen miteinander. Man ist einfach so erzogen worden. Es hat z.B. jedes Kind selbstverständlich gegrüßt. Man hat Regeln mitbekommen, wie man sich beneh-men soll. Das ist heute bei weitem nicht immer so. Ich hab’ mich in der Schule immer wohl gefühlt. Es war zwar kein Ort des ‚Gaudihabens’, das war der Ort zum Lernen und man war in der Zeit, in der man dort war, interessiert an dem was geschah. Das Schönste war der gemeinsame Schulweg mit den Schulfreunden. Damals war die Genotteallee noch nicht asphaltiert. Das war noch eine richtige Landstraße in die Dörfer hinauf.“ Wo hast du damals gewohnt? „Damals wohnte ich in der Kasmanhuber Straße, gleich gegenüber von der Schule. Im Win-ter haben die Bauern vom Dorf mit Schneepflügen, die von Pferden gezogen wurden, den Schnee geräumt. Geboren wurde ich eigentlich im Elternhaus meiner Mutter in der Kanalta-ler Straße in der Neuen Heimat oben und ich kann mich noch erinnern, wir sind oft zu Fuß in die Stadt hinunter gegangen und in der Meerbothstraße waren lauter Häuser mit Bomben-schäden. Die Fassaden haben fürchterlich ausgesehen. Meine Mutter hat mir damals erklärt, warum die Häuser so beschädigt waren. Das war ja kurz nach dem Krieg.“ Wie ist es für dich, in der Schule zu unterrichten, die du als Kind besucht hast? „Das war für mich eigentlich mein Leben lang ‚meine Schule’. Wann immer ich an der Schule vorbeiging, auch später als ich schon ins Gymnasium ging und noch später als ich schon erwachsen war, es hat mich immer mit einem warmen Gefühl erfüllt, diese Schule zu sehen. Es war immer ‚meine Schule’ und es war für mich unheimlich schön wieder an diese Schule zurückzukommen. Und ich bin auch heute wahnsinnig gerne dort – es ist nach wie vor ‚mei-ne Schule’. Diese Schule ist für mich ein Stück ‚Heimat’.“ Welche Erinnerungen hast du an die 50-Jahr-Feier der Schule? Du hast ja damals bei der Aufführung des Stückes „Der kleine Chronist“ die Hauptrolle gespielt.

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50 Das 50-Jahr-Jubiläum der Volksschule Lind im Jahre 1960 „An die Vorbereitungen für das Fest kann ich mich nicht mehr so genau erinnern. Aber was mir in Erinnerung geblieben ist, ist dass ich mit der Chronik in der Hand auf der Tribüne ge-standen bin. Ich war so stolz darauf, dass man mir so ein schönes Gewand von der Villacher Faschingsgilde angezogen hat. Ich kann mich noch ganz genau an dieses Gefühl erinnern. Ich konnte damals schön vorlesen, wahrscheinlich hat man mich deshalb auch für diese Auf-gabe genommen. Aber ich weiß sonst eigentlich nicht mehr, was da bei dieser Feier passiert ist. Ich war damals für mich wohl der Mittelpunkt der Welt mit dieser Rolle, die ich spielen durfte.“ Vielen Dank für das Gespräch.

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Volksschule 3 Villach/Lind – Schule der Vielfalt 51

10 Volksschule 3 Villach/Lind – Schule der Vielfalt Betrachtet man die Volksschule 3 Villach/Lind202 von „heute“, so findet man von außen gese-hen noch immer ein wunderschönes, altehrwürdiges Jugendstilgebäude vor, das mittlerweile unter Denkmalschutz steht. Doch von innen ist die Schule so lebhaft, wie man sich eine mo-derne Volksschule der Gegenwart vorstellt. „Schule der Vielfalt“ spiegelt das Schulprofil die-ser Bildungsanstalt wider, welches die verschiedensten Angebote beinhaltet, um der Vielfäl-tigkeit der heutigen Schuljugend gerecht zu werden zu können.

10.1 Integration An der Volksschule 6 wurde im Schuljahr 1994/95 erstmals eine Integrationsklasse geführt. „Unter den 17 Schülern sind 4 (2 Kn., 2 Md.) mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Die Klasse hat mit VL Teda Lampel und VL Maria Winkler eine ausgezeichnete Betreuung, was den Eltern auch bewusst ist. Sie haben die Neuerung auch pos. aufgenommen. In der Klas-se herrscht zwischen Eltern, Schülern und Lehrern ein harmonisches Verhältnis. In dieser Integrationsklasse werden die Schüler in allen Gegenständen von jeweils 2 Lehrern betreut.“ 203 Seit 1994 wird an der Volksschule Villach Lind jedes Jahr mindestens eine Integrationsklas-se geführt (s. auch Zeitungsbericht auf S. 52).

10.2 Fremdsprachliche Vorschulung mit Native Speaker Eine logische Schlussfolgerung der Globalisierung ist die Forderung nach vermehrter sprachlicher Ausbildung, auch schon im Volksschulbereich. Nach der Einführung der fremd-sprachlichen Vorschulung für die dritten und vierten Klassen wurde die verbindliche Übung „Lebende Fremdsprache“ ab 2003/04 nach verschiedenen Übergangsbestimmungen für die erste bis vierte Schulstufe endgültig verankert. Die gemachten Erfahrungen in der Erprobung während der Jahre 1994 – 1998 zeigten, dass die frühe Einführung der Fremdsprache fol-gende Auswirkungen hatte:

1. „Steigerung der Motivation, eine Fremdsprache zu erlernen 2. Positive Auswirkungen auf das Sozialverhalten der SchülerInnen 3. Vertieftes interkulturelles Verständnis 4. Aufbau einer handlungsorientierten kommunikativen Kompetenz in einer Fremdspra-

che.“ 204 Die Begegnung mit der zweiten Sprache soll in einer kindgemäßen Form und in einer zwang-losen Atmosphäre stattfinden. Dabei soll die Freude am Erlernen einer Zweitsprache ge-weckt und eine positive Haltung gegenüber Sprachen aufgebaut werden. In der Grundstufe 1 findet dieser Unterricht als integrierter Bestandteil des Grundschulunterrichts statt. Das heißt, dass sich die Dauer der Einheiten nach der Aufnahmefähigkeit der Kinder richtet.205 Beson-derer Wert ist dabei auf die „Einsprachigkeit“ zu legen. „Im Fremdsprachenunterricht in der Grundschule ist auch bei integrativer Führung Einsprachigkeit anzustreben.“ 206 Natürlich forderte die sprachliche Früherziehung eine zusätzliche Ausbildung der Volks-schulehrerinnen. Dafür wurden von den Pädagogischen Instituten eigens eingerichtete Aus-bildungskurse angeboten, sodass bereits im zweiten Jahr der verpflichtenden Einführung fast alle österreichischen Volksschulen die lebende Fremdsprache ab der 1. Schulstufe mit qualifizierten Lehrerinnen abdecken konnten.207 202 Im Jahr 1996 wurden die beiden Schulen VS 5 und VS 6 zusammengelegt und unter der Bezeichnung Volksschule 3 Villach/Lind weiter geführt. 203 Schulchronik Volksschule 6, Villach/Lind, unpag. 204 Felberbauer u. a. 2004, S. 699. 205 vgl. Lehrplan d. Volksschule 2004, S. 371 u. 375 f. 206 ebd., S. 376. 207 vgl. Felberbauer u. a. 2004, S. 699 f.

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52 Volksschule 3 Villach/Lind – Schule der Vielfalt

Zeitungsbericht über eine Integrationsklasse in der Volksschule 3 Villach/Lind 208

Um der geforderten „Einsprachigkeit“ im besonderen Maße Rechnung zu tragen, begannen sich die Lehrerinnen der Volksschule Lind mit der Thematik des Englischunterrichtes mittels 208 Beilage i. d. Schulchronik Volksschule 6, Villach/Lind, unpag.

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Native Speaker auseinanderzusetzen. Im Schuljahr 1999 suchte man schließlich beim Bun-desministerium für Unterricht im Rahmen des EU-Projektes „Comenius“ um einen englischen Sprachassistenten an. John Wilks aus Plymouth wirkte ein ganzes Schuljahr als Native Speaker in acht Klassen der Schule (s. auch Zeitungsbericht auf S. 54).209 Die Begeisterung für diese Art von Fremdsprachenunterricht, gleichermaßen bei Schülern, Eltern und Lehrern, war der Grund dafür, dass man sich darum bemühte, auch in Zukunft den Englischunterricht mittels Native Speaker durchführen zu können. Seit 1999 wird dies nun durchgängig praktiziert, und zwar in allen Klassen. Der Native Speaker der Schule, Mrs. Margaret Hoffmann (BA), wird für ihre Tätigkeit von den Eltern bezahlt. Dafür braucht es all-jährlich einen einstimmigen Beschluss der Klassenforen aller Klassen. Seit dem Schuljahr 2002/03 gibt es auch die Möglichkeit, eine Klasse mit vermehrtem Eng-lischunterricht zu besuchen. Hier unterrichtet Mrs. Hoffmann drei Stunden in der Woche, aufgeteilt auf 5 bis 6 Unterrichtseinheiten, auf integrativer Basis.

Bericht über den Englischunterricht mit Mrs. Margaret Hoffmann auf der Homepage der Volksschule 3 Villach/Lind 210

209 vgl. Schulchronik, Volksschule 3, Villach/Lind, unpag. 210 http://www.vs-villach3.ksn.at/news/schulleben2008_09/schullebenseite2008_09.htm

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John Wilks aus Plymouth wirkte als Sprachassistent an der Volksschule 3 Villach/Lind 211

211 Beilage i. d. Schulchronik Volksschule 6, Villach/Lind, unpag.

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10.3 Europa in der Schule Die Gegenwart ist gekennzeichnet von der Tendenz einer weltweiten Vernetzung einerseits getragen von den verschiedenen neuen Medien wie Computer und Internet, andererseits durch die Tatsache, dass die europäischen Länder durch die Vereinigung in der Europäi-schen Union sozusagen ein Stück näher aneinander gerückt sind. In verschiedenen Projek-ten wie z. B. dem schon erwähnten Comenius-Projekt wird der Europagedanke in die Schu-len getragen und den Schülern näher gebracht. „Comenius-Projekte sind Schulprojekte, die von der EU gefördert werden. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, möglichst viele Schulpartnerschaften zwischen Schulen in europäischen Ländern (und sogar darüber hinaus) zu initiieren. Damit wird die europäische Dimension im Bereich der Schulen ebenso gefördert wie das Bewusstsein für europäische Gemeinsamkei-ten. Der Erfahrungsaustausch zwischen Lehrern in ganz Europa wird möglich, und es wer-den oft auch europaweit einsetzbare Lernbehelfe erarbeitet. Eine besondere Chance liegt im Offenwerden für andere Länder mit ihren Sprachen und Kulturen. In Form von Lehreraus-tauschen und Study visits können sich beteiligte Lehrer und Direktoren über Unterrichtsme-thoden in den Partnerschulen und Schulsysteme in den Partnerländern informieren. Sie be-obachten den Unterricht und unterrichten auch selbst. Die Chance für die Schüler liegt darin zu begreifen, welche Bereicherung es bedeutet, Kinder aus anderen Ländern kennenzuler-nen, sich mit ihrer Sprache, ihren Bräuchen und Lebensgewohnheiten vertraut zu machen und sie vielleicht sogar persönlich zu treffen.“ 212 Dieses Projekt, welches von VOL Christa Fleischhacker geleitet wurde, erstreckte sich über 3 Schuljahre. Am Beginn (1997) arbeiteten 4 Klassen mit, doch mit der Zeit beteiligten sich immer mehr Schüler und Lehrer der Schule an dieser Möglichkeit, mit europäischen Schü-lern und Lehrern in Kontakt zu treten.213 „Eine Schule in Staranzano, Italien, und eine Schule in Renče, Slowenien, traten mit uns in Kontakt. Es gab gegenseitige Besuche und es ist für uns alle interessant zu sehen, wie Schulen in anderen Ländern – unseren Nachbarländern – funktionieren. Am 2. März 1998 kamen je zwei Lehrerinnen von unseren Partnerschulen in Finnland und in Italien an unsere Schule, um hier mit den Schülern zu arbeiten. In ihrer freien Zeit zeigten wir ihnen viel von unserem Land und bei privaten Einladungen auch von unserer Lebensart. Im Dezember die-ses Schuljahres war ich [gemeint ist die Schulleiterin Johanna Stuppnigg – Amn. d. Verf.] mit Kollegin Eva Lepuschitz in Spirano auf Studienbesuch. Und im Mai werden die Kolleginnen Teda Lampel und Isabella Buse nach Kokkola [Finnland – Anm. d. Verf.] fliegen. Teachers-exchange – eine gute Idee, die sicherlich viel zum Verständnis für Menschen in anderen Ländern und für deren Kultur und Lebensweise beiträgt.mIm Mai kamen 100 Schüler und Lehrer aus Staranzano und Renče zu uns. Wir veranstalteten ein großes Sportfest in unse-rem Garten. Im Juni fuhren wir mit ca. 50 Schülern nach Staranzano, wo sie zu einen Krea-tivtag eingeladen waren.“ 214 Ein weiteres mehrtägiges Treffen zwischen Schülern und Lehrern im Rahmen dieses Projek-tes fand in Marina die Massa bei Pisa statt.215 Beim Abschlussfest, das in Villach gefeiert wurde, waren auch der Schulleiter der finnischen Partnerschule Aatto Pennanen und seine Frau Pirjo sowie der Schulleiter der italienischen Schule Elio Ferrari anwesend.216 „Aus dieser Projektarbeit sind sehr schöne menschliche Beziehungen entstanden und wir werden ganz sicher weiter in Kontakt bleiben.“ 217

212 Bericht der Projektleiterin der VS 3, VOL Christa Fleischhacker, im Archiv der Homepage der Volksschule 3 213 vgl. Schulchronik, Volksschule 3, Villach/Lind, unpag. 214 Schulchronik, Volksschule 3, Villach/Lind, unpag. 215 vgl. Bericht der Projektleiterin der VS 3, VOL Christa Fleischhacker, im Archiv der Homepage der Volksschule 3 216 vgl. Schulchronik, Volksschule 3, Villach/Lind, unpag. 217 ebd.

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10.4 Bilingualer Unterricht mit Arbeitssprache Italienisch Die Aufnahme der Minderheiten- bzw. Nachbarsprachen in den Kanon der lebenden Fremd-sprachen im Lehrplan der Volksschule und die verbindliche Einführung einer lebenden Fremdsprache ab der 1. Schulstufe im Jahr 1998 bildeten die Basis für das Modell des bilin-gualen Unterrichts mit Arbeitssprache Deutsch und Italienisch an Volksschulen. Die Idee dazu stammte vom italienischen Generalkonsul in Klagenfurt Dott. Lorenzo de Medici. Im Jahr 2000 konkretisierte er in Besprechungen mit der Abteilung VI der Kärntner Landesregie-rung die Errichtung einer deutsch-italienischen Grundschule mit dem Standort Klagenfurt oder Villach.218 Die erste Klasse dieser Art wurde im Jahr 2000 an der Volksschule 10 in Kla-genfurt installiert. Im Schuljahr 2000/01 bemühte sich die Volksschule Lind unter der Leitung von Fr. Dir. Johanna Stuppnigg ebenfalls um den Schulversuch „Bilingualer Unterricht mit deutsch-italienischer Arbeitssprache“.219 Folgende organisatorischen und pädagogisch-didaktische Vorbedingung waren dafür zu erfüllen:

• „Der klassenführenden österreichischen Lehrperson ist eine italienische zugeordnet. • Jede beherrscht in ausreichendem Maße die jeweilige Sprache der anderen, selbst-

verständlich in kulturtechnischem Sinn. • Beide sind im Unterricht durchgehend präsent. • Beider Aufgabe ist es, die Kulturtechniken der jeweiligen Sprache den Kindern zu

vermitteln, mit den Kindern zu erarbeiten.“ 220 Diese Vorbedingungen zogen nach sich, dass der Schule je

• „eine pädagogisch-didaktisch ausgebildete österreichische Lehrperson mit entspre-chender Zusatzausbildung in Italienisch und

• eine italienische Lehrkraft mit entsprechender Ausbildung in Deutsch“ 221 zur Verfügung stehen. Weiters musste sowohl die wissenschaftliche als auch die didaktisch-methodische Beglei-tung gesichert werden.222 Zur Abklärung der Finanzierung bedurfte es vieler Verhandlungen mit der Kärntner Landes-regierung, bis es zur endgültigen Genehmigung kam. 223 Im Schuljahr 2001/02 begann für 24 Schüler und Schülerinnen der 1.c Klasse der Volksschule 3 Villach/Lind der zweisprachige Unterricht.224 Noch heute läuft dieser Schulversuch und er wird von Eltern, Schülern und Lehrern gleich-ermaßen mit großer Begeisterung angenommen. Unterrichtet wird in dieser Form je eine Klasse auf allen vier Schulstufen. Für den bilingualen Unterricht steht jeder Klasse, je 11 Stunden, ein Native Speaker zur Verfügung. Sechs Lehrerinnen der Schule haben die Lehr-amtsprüfung für Italienisch gemacht, um die Voraussetzung für diese Unterrichtsform zu er-füllen. Im Zusammenhang mit diesem Schulversuch erarbeiteten die beteiligten Lehrerinnen ge-meinsam mit dem Team der Volksschule 10 in Klagenfurt im Jahre 2005 einen Lehrplanzu-satz, der dem Unterrichtsministerium zur Begutachtung vorgelegt wurde.225

10.5 Interkulturelles Lernen Das österreichische Regelschulwesen ist grundsätzlich auf Integration und nicht auf Segre-gation ausgelegt. Unabhängig von Herkunft, Geschlecht, der Rasse, des Standes, der Spra-che oder des Bekenntnisses sind öffentliche Schulen für alle schulpflichtigen Kinder zugäng-lich. Flüchtlings- und Migrantenkinder besuchen dieselben Schulen wie österreichische Schulkinder. Für alle Kinder, die sich dauernd in Österreich aufhalten, unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft, gilt die Schulpflicht. Auch Kinder von Asylwerbern, oder von Personen 218 vgl. Lehrplanzusatz f. bil. Unterr. in dt. u. ital. Arbeitssprache. Klagenfurt 2005, S. 6. 219 vgl. Schulchronik, Volksschule 3, Villach/Lind, unpag. 220 Cencig 2004, S. 2. 221 ebd., S. 3. 222 vgl. ebd., S. 4. 223 vgl. Zeitungsberichte aus der Schulchronik, Volksschule 3, Villach/Lind, unpag. 224 vgl. Schulchronik, Volksschule 3, Villach/Lind, 1995 – 2002, unpag. 225 vgl. Lehrplanzusatz f. bil. Unterr. in dt. u. ital. Arbeitssprache. Klagenfurt 2005.

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mit ungeklärtem aufenthaltsrechtlichen Status, sind davon nicht ausgenommen. Dies ist nicht überall in Europa selbstverständlich, da es auch Länder gibt, die Asylwerberkinder dezidiert vom Besuch der Regelschule ausschließen.226 Auch die Volksschule 3 Villach/Lind wird von Kindern aus vielen verschiedenen Staaten der Erde besucht. Kulturelle und auch sprachliche Vielfalt in den Klassen ist heute mehr die Re-gel als die Ausnahme. Kinder von Einwanderern und Flüchtlingen oder anderen ausländi-schen Staatsangehörigen lernen gemeinsam mit österreichischen Kindern. Diese sprachlich und kulturell bunt gemischten Klassen sind für Schüler und auch Lehrer eine Chance, ihr Blickfeld zu ändern und zu erweitern. In österreichischen Schulen sollen solche Lernprozesse nicht nur toleriert, sondern auch ausdrücklich gefördert werden. Als Schritt in diese Richtung wurde in den 1990er Jahren „Interkulturelles Lernen“ als Unter-richtsprinzip im Lehrplan verankert. „Unterrichtsprinzip“ bedeutet, dass interkulturelles Ler-nen nicht als Gegenstand unterrichtet wird, sondern sich wie ein roter Faden, mit folgenden Zielen, durch alle Gegenstände zieht: 227

• „Einen angemessenen Umgang mit der Befremdung entwickeln • Eine Grundlage für tolerante Verhaltensweisen erwerben • Partnerschaftliche Konfliktlösung • Erfahren, dass die eigene Lebensweise eine unter vielen ist • Andere religiöse Traditionen wahrnehmen als etwas, das anderen wichtig ist • Sensibilität entwickeln für Benachteiligungen • Lernen, (Kultur-) Konflikte vernünftig zu bewältigen“ 228

Wie dieses Unterrichtsprinzip umgesetzt werden kann, zeigte VOL Ingrid Holzfeind bei ihrer Arbeit in den letzten vier Jahren in einer sehr heterogenen Klasse an der Volksschule 3. Informationen zur Klasse:

• Die Klasse wurde von 23 Kindern besucht. • Diese Kinder sprachen 7 verschiedene Sprachen: Serbisch, Bosnisch, Kroatisch,

Arabisch, Türkisch, Tschetschenisch, Deutsch; • Herkunftsländer: Türkei, Kroatien, Ägypten, Serbien und Montenegro, Bosnien-

Herzegowina, Tschetschenien, Marokko, Österreich • Religionen: islam., serbisch-orthodox, griechisch-orthodox, katholisch, evangelisch • Fremdsprachliche Vorschulung mit Native Speaker Margaret Hoffmann • Zwei Kinder (eines mit serbischer und eines mit türkischer Muttersprache) hatten ei-

nen sonderpädagogischen Förderbedarf und wurden stundenweise von einer Son-derpädagogin integrativ unterrichtet.

• Fünf der Kinder besuchten vor der ersten Schulstufe die Vorschulklasse • Alle Kinder erreichten am Ende der vierten Klasse, im Rahmen ihres Lehrplanes, das

Lehrziel. In jedem Schuljahr arbeitete die Lehrerin an einem interkulturellen Jahresprojekt. Das Jah-resthema in der zweiten Klasse lautete z. B. „Wir lernen voneinander“. Dabei ging es in der Unterrichtsarbeit um die verschiedenen Sprachen mit den dazugehörenden Schriften, lan-desübliche Feste, Speisen und Getränke, Tänze und Spiele. Die Eltern waren sehr intensiv in diese Jahresprojekte eingebunden. Sie stellten Schul- und Kinderbücher in ihrer jeweiligen Landessprache zur Verfügung, halfen der Lehrerin beim Erlernen verschiedener Sprachen mit allen Kindern (z.B. zählen bis 10), schrieben Plakate in den verschiedenen Schriften, gestalteten Buffets für Veranstaltungen in der Klasse mit landesüblichen Speisen, brachten Bäckereien zur Weihnachtszeit oder ihren landesüblichen Festen u.v.m. Auf der Grundstufe II wurden auch die verschiedenen Religionen fächerübergreifend in Zusammenarbeit mit den Lehrern für islamische und orthodoxe Religion beleuchtet. Der Sachunterricht im geographi-

226 vgl. Häusler 2005, S. 34. 227 vgl. http://www.bmukk.gv.at/schulen/unterricht/prinz/interkult_lernen.xml. 228 Böhm u.a. 1999, S. 45 -51.

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58 Direktoren u. Direktorinnen der Volksschule Villach Lind 1910 bis 2009 schen Bereich bezog sich nicht nur, wie normalerweise üblich, auf Kärnten, sondern beinhal-tete die Geographie aller Herkunftsländer der Schüler. Das Abschlussfest am Ende des Schuljahres 2008/09 mit allen Kindern, Eltern, Lehrern, und Religionslehrern aller Konfessionen zeigte auf eine sehr berührende Art und Weise das Er-gebnis gelebten interkulturellen Lernens.

11 Direktoren u. Direktorinnen der Volksschule Villach Lind 1910 bis 2009 229

Knabenvolksschule III Villach/Lind

(1910 – 1972)

Mädchenvolksschule III Villach/Lind (1910 – 1972)

ZADERER Edmund 1910 - 1920 OLSACHER Maria 1910 - 1917 BERG Gottfried 1920 - 1933 BOUTHILLIA Fanny 1917 - 1931 ZOLLY Anton 1934 - 1937 DOLIN Franziska 1931 - 1944 SCHNEE Albin 1937 - 1938 KAUFMANN Gustav 1938 - 1943 JANGG Artur 1943 - 1945 JANGG Artur 1944 – 1945 PFLEGERL Wilhelm 1945 – 1947 PFLEGERL Wilhelm 1945 – 1947 PIETSCH Ida 1947 - 1948 SMOLEY Franz 1947 – 1961 SCHNEE Albin 1948 - 1955 KÖLBL Josefine 1961 – 1971 LEBERER Anna 1955 POPPINGER Angela 1955 - 1957 EBNER Ernst 1957 - 1972 WANKER Ägydius 1972 – 1973

(prov.)

Volksschule 5 Villach/Lind (1972 – 1995)

Volksschule 6 Villach/Lind (1972 – 1995)

MALLE Albin 1973 - 1984 POLEßNIG Katharina 1972 – 1973 HASCH Beatrice 1984 - 1993 RUHS Margarethe 1973 – 1974 UDOVIC Helene 1993 - 1996 DRAXL Gottfried 1975 – 1984 JANGG Lieselotte 1984 – 1994 STUPPNIGG Johanna 1995 – 1996

Volksschule 3 Villach/Lind (seit 1996) STUPPNIGG Johanna 1996 - 2002 PETAUTSCHNIG Tusnelda 2002 - dato

12 Schlusswort 100 Jahre Volksschule Lind - ein Jubiläum, das nicht viele Schulen feiern können. Im Som-mer 2010 fand dieses denkwürdige Ereignis statt und es wird sicher seinen Eintrag in der Schulchronik finden, die heute in Form einer Homepage das Schulgeschehen dokumentiert. Manches ist gleich geblieben, vieles hat sich gewandelt. Nahezu unverändert zeigt sich das wunderschöne, im Jugendstil erbaute Schulgebäude. Wesentlich verändert hat sich aber die Gesellschaft und mit ihr auch die Aufgaben der Schule. In ihren Anfängen, beschränkte sich die Volksschule darauf „Wissen“ zu vermitteln. Heute ist die Wissensvermittlung nur Teil ei-nes umfassenden Pakets, das die Schule für ihre Schüler schnürt. „Die jungen Menschen [...] sollen zu selbständigem Urteil und sozialem Verständnis geführt, dem politischen und welt-anschaulichen Denken anderer aufgeschlossen sowie befähigt werden, am Wirtschafts- und

229 vgl. alle Bände der Schulchronik der Volksschule Villach/Lind.

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Schlusswort 59

Kulturleben Österreichs, Europas und der Welt Anteil zu nehmen und in Freiheits- und Frie-densliebe an den gemeinsamen Aufgaben der Menschheit mitzuwirken.“ 230 Die ständige Anpassung der Institution Schule an die jeweiligen gesellschaftlichen, politi-schen und wirtschaftlichen Veränderungen während der letzten 100 Jahre wird in der Aufar-beitung der Schulchronik der Volksschule 3 sehr deutlich. Die beiden Weltkriege, Wirt-schaftskrisen aber auch das Wirtschaftswachstum haben die Bildungspolitik im Allgemeinen und das Schulleben im Speziellen sehr stark geprägt. Der Weg der Schule in die Zukunft muss sich an vielen Herausforderungen orientieren. Durch das Auflösen der rigiden Schulsprengeleinteilung entstand ein freier Wettbewerb unter den Schulen. Schulprogramme und Schulprofile wurden entwickelt und die „Schulqualität“ zum wesentlichen Punkt, der den Schülerzulauf an eine Schule deutlich mitbestimmt. Mit spezieller Attraktivität und Schwerpunktsetzung versucht jede Schule, auch im Pflichtschul-bereich, Eltern und Schüler davon zu überzeugen, eben diese Schule zu wählen. Als Bezeichnung der Volksschule 3 wurde im Rahmen einer regen Schulentwicklung der Name „Schule der Vielfalt“ gewählt. Ein „vielfältiges“ Angebot und „vielfältige“ Methoden, abgestimmt auf die „vielfältigen“ Bedürfnisse der Schüler und Schülerinnen von heute und in der Zukunft, sollen diesem Namen gerecht werden.

230 Lehrplan d. Volksschule 2004, S. 19.

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60 Literatur

Literatur Ungedruckte Quellen: HAUSBERATUNGEN/VERHANDLUNGSSCHRIFTEN der Knabenvolksschule III, 1941 – 1954, unpag. KATALOG UND KLASSENBUCH der 1.b Klasse Schuljahr 1919/20. KLASSENBUCH der 4. Klasse der KNVS III Villach/Lind, Schuj. 1941/42. KLASSENBUCH der 5. Klasse der KNVS III Villach/Lind, Schuj. 1941/42. SCHULCHRONIK, Mädchenvolksschule III, Villach/Lind, Bd. 1, 1910 – 1937. SCHULCHRONIK, Mädchenvolksschule III, Villach/Lind, Bd. 2, 1937 – 1974. SCHULCHRONIK, Volksschule 6, Villach/Lind, 1974 – 1995. SCHULCHRONIK, Knabenvolksschule III, Villach/Lind, Bd. 1, 1910 – 1943. SCHULCHRONIK, Knabenvolksschule III, Villach/Lind, Bd. 2, 1943 – 1957. SCHULCHRONIK, Knabenvolksschule VI, Villach/Lind, Bd. 2a, 1948 – 1955. SCHULCHRONIK, Knabenvolksschule III, Villach/Lind, Bd. 3, 1957 – 1973. Fortsetzung im selben Buch: SCHULCHRONIK, Volksschule 5, 1973 – 1995. SCHULCHRONIK, Volksschule 3, 1995 – 2002. Gedruckte Quellen, Gesetzestexte231 und Erlässe: CENCIG, Norbert: Erfahrungsbericht zum Schulversuch Bilingualer Unterricht an Volksschulen. Unterrichtssprachen: Deutsch und Italienisch. Völkermarkt 2004. *LANDESGESETZ- UND VERORDNUNGSBLATT für das Herzogtum Kärnten, Nr. 38, Klagenfurt 1912, S. 73 – 76. LEHRPLAN-ZUSATZ für bilingualen Unterricht in deutscher und italienischer Arbeitssprache. Klagenfurt 2005. *REICHS-GESETZ-BLATT Teil I, Nr. 87, Berlin 1938, S. 607 – 610. VERORDNUNGSBLATT für den Dienstbereich des Bundesministeriums für Unterricht, Jg. 1948, 4. Stück, Erlaß Nr. 29. VERORDNUNGSBLATT für das Schulwesen in Kärnten, Jg. 1947, Stück VII, Erlaß Nr. 54. Sekundärliteratur: ACHS Oskar/SCHEUCH Manfred/TESAR Eva: gestern – heute – morgen. Aus Geschichte lernen. Das 20. Jahrhundert. Wien 2005. BÖHM Dietmar/BÖHM Regine/DEISS-NIETHAMMER Birgit: Handbuch Interkulturelles Lernen. Theorie und Praxis für die Arbeit in Kindertageseinrichtungen. Freiburg im Breisgau 1999. ENGELBRECHT, Helmut: Lagerschulen. Schule unter Einfluss von Krieg und Vertreibung. Wien 2004. ENGELBRECHT, Helmut: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Öster-reichs. Band 5: Von 1918 bis zur Gegenwart. Wien 1988. FELBERBAUER, Maria u. a.: Verbindliche Übung Lebende Fremdsprache. In: WOLF Wilhelm (Hrsg.): Kommentar zum Lehr-plan der Volksschule. Wien 2004. S. 698 – 753. HARENBERG Bodo (Hrsg.): Chronik der Menschheit. Dortmund 1984. HÄUSLER, Wolfgang: Wird es uns schon zuviel? In: Herausforderung: Vielfalt. Pädagogische Perspektiven. Herausgeber: Pädagogische Akademie der Diözese Graz-Seckau in Graz-Eggenberg, Graz 2005, S. 13 – 66. LEHRPLAN der Volksschule, 10. Auflage, Wien 2004. PFEIFFLE, Horst: Österreichische Bildungspolitik unter Ernst Fischer und Felix Hurdes. In: ZDARZIL, Herbert/SEVERINSKI, Nikolaus (Hrsg.): Österreichische Bildungspolitik in der Zweiten Republik. Höbersdorf (bei Wien) 1998. S. 39 – 55. SCHROTT, Andreas: Schulen und Wohlfahrtseinrichtungen. Die Volks- und Hauptschulen. In: STEIN, Erwin (Hrsg.): Die Städte Deutschösterreichs. Eine Sammlung von Darstellungen der deutschösterreichischen Städte und ihrer Arbeit in Wirtschaft, Fi-nanzwesen, Hygiene, Sozialpolitik und Technik. Bd. VI: Villach. Berlin-Fiedenau 1931. S. 189 – 196. VILLACHER SPORTVEREIN (Hrsg.): Festschrift zum Bestandsjubiläum. 50 Jahre Villacher Sportverein. WADL, Wilhelm: Das Jahr 1945 in Kärnten. Ein Überblick. Klagenfurt 1985. WALZL, August: Villach zwischen den Zeiten. Die Geschichte der Draustadt 1945 – 1995. Klagenfurt 1995. Internetquellen: Archiv der Homepage der Volksschule 3 (nicht mehr abrufbar) http://www.bmukk.gv.at/schulen/unterricht/prinz/interkult_lernen.xml, Das Unterrichtsprinzip „Interkulturelles Lernen“ [Zugriff am 29.07.2009]. http://www.bauerngman.at/ [Zugriff: 04.07.2009] http://www.villach.at/inhalt/29422_28211.htm[Zugriff: 29.07.2009] http: // www.villach3.ksn.at [Zugriff: 29.07.2009] Bildquellen: http://www.villach.at/bilder/inhalt/Alamein.jpg [Zugriff am 04.07.2009] WATZINGER, Walter: Villacher Zeitbilder aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Klagenfurt 2009.

231 Alle mit einem * gekennzeichneten Gesetzestexte können unter folgender URL im Originaltext nachgelesen werden: Österreichische Nationalbibliothek, ALEX - Historische Rechts- und Gesetzestexte Online: http://alex.onb.ac.at