Donau - Rumänien, ohne Diktator · 2009. 2. 19. · Otto v. Stritzky und Marja de Pree Im...

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1 Otto v. Stritzky Donau - Rumänien, ohne Diktator 1990 Dieser Bericht war bisher enthalten in dem Buch Donau, Elbe, Rhone, Mittelmeer — vom Boot aus gesehen Er steht jetzt unentgeltlich zur Verfügung und bringt Ihnen hoffentlich beim Lesen einen Nutzen. Wie wäre es als Dank dafür mit einer Spende an die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger? Die finanziert aus- schließlich aus solchen Einnahmen die Hilfe für auf See in Gefahr geratene Menschen, auch für Kleinbootfahrer — vielleicht mal für Sie? Überweisung dann bitte an DGzRS, Konto Nr. 107 2016, BLZ 290 501 01, Sparkasse Bremen Und wenn Sie nach dem Lesen des Berichtes Fragen beantwortet haben möchten, dann schreiben Sie uns bitte Otto v. Stritzky und Marja de Pree Im Birkenfeld 13 A, 65779 Kelkheim-Eppenhain Tel / Fax 06198-8657, e-mail <[email protected]> Text und Bilder dieses Berichtes sind Eigentum des Autors bzw. seines Verlages. Sie dürfen ohne schriftliche Genehmigung nicht vervielfältigt oder in Publikationen über- nommen werden, sei es gedruckt oder mittels elektronischer Medien. Auch die Wei- terverbreitung auf andere Weise, sowie Übersetzungen, unterliegen den Bestimmun- gen des Urheberrechts und damit der Zustimmung des Autors / des Verlages.

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    Otto v. Stritzky

    Donau - Rumänien, ohne Diktator

    1990

    Dieser Bericht war bisher enthalten in dem Buch

    Donau, Elbe, Rhone, Mittelmeer — vom Boot aus gesehen

    Er steht jetzt unentgeltlich zur Verfügung und bringt Ihnen hoffentlichbeim Lesen einen Nutzen. Wie wäre es als Dank dafür mit einer Spende andie Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger? Die finanziert aus-schließlich aus solchen Einnahmen die Hilfe für auf See in Gefahr gerateneMenschen, auch für Kleinbootfahrer — vielleicht mal für Sie?

    Überweisung dann bitte anDGzRS, Konto Nr. 107 2016, BLZ 290 501 01, Sparkasse Bremen

    Und wenn Sie nach dem Lesen des Berichtes Fragen beantwortet habenmöchten, dann schreiben Sie uns bitte

    Otto v. Stritzky und Marja de PreeIm Birkenfeld 13 A, 65779 Kelkheim-EppenhainTel / Fax 06198-8657, e-mail

    Text und Bilder dieses Berichtes sind Eigentum des Autors bzw. seines Verlages. Siedürfen ohne schriftliche Genehmigung nicht vervielfältigt oder in Publikationen über-nommen werden, sei es gedruckt oder mittels elektronischer Medien. Auch die Wei-terverbreitung auf andere Weise, sowie Übersetzungen, unterliegen den Bestimmun-gen des Urheberrechts und damit der Zustimmung des Autors / des Verlages.

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    Zu Hause hatten wir schon die neue Flaggedes Gastlandes genäht: Blau-Gelb-Rot – ohnedas Emblem, das früher im Mittelfeld densozialistischen Staat symbolisierte. Aber:Eine Faltbootfahrt auf der Donau in Rumä-niens Hoheitsgewässern?Bisher ein Tabu, selbst für international or-ganisierte Touren. Dann aber, am 22. Dezem-ber 1989, wurde Nicolae Ceaucescu, der ru-mänische Diktator, vom Volk gestürzt undnach seiner Flucht drei Tage später hinge-richtet. Begründung des Militärgerichtes:Tod von 60.000 Menschen verschuldet, dierumänische Wirtschaft ruiniert und mehr alseine Milliarde US-Dollar ins Ausland ge-

    schafft. Ein Aufatmen gingdurch die zuvor von der Ge-heimpolizei Securitate bespit-zelte und drangsalierte Bevöl-kerung. Wo wir jetzt, fünf Mo-naten nach dieser Wende, mitdem Auto durchs Land fahren,da winken die Menschen uns zu.Sie dürfen das wieder, dürfensich mit uns Ausländern unter-halten. Früher hätte das unan-genehme Fragen der Polizei pro-voziert oder auch sehr nachtei-lige Folgen für sie haben kön-nen. Bei ihnen übernachtendurften damals nur Verwandte

    ersten Grades. Und die Polizei hatte ihre Au-gen überall. Uns gab sie nicht einmal banaleAuskünfte.Verschwunden sind auch die Begleiterschei-nungen einer jeden Diktatur: Plakate, diehier die Segnungen des Sozialismus verherr-lichten – Aussprüche und Bilder des Conduca-tor, des Führers Ceaucescu. Die ersten Wah-len stehen vor der Tür. Würde es jetzt mög-lich sein von Rumänien aus auf dem breitenStrom weiter zu paddeln?„Versuchen Sie’s“, hieß die Antwort von Leu-ten, die wir unterwegs fragten, „aber lassenSie dabei die Offiziellen aus dem Spiel. Diemachen bloß Probleme.“

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    In Calafat, kurz hinter den beiden Donau-Sperrwerken, in deren Nähe „schräg gegen-über“ die letzte Fahrt in Jugoslawien endete,holen wir die drei Packsäcke aus dem Wagen.Bei der Fähre, die Passagiere und Autos nachVilin, drüben in Bulga-rien, bringt, beginnenwir das Faltboot am Ha-fen aufzubauen.Einem Soldaten kommtverdächtig vor, was wirda tun und er will unse-re Pässe. Als wir sie ihmnicht geben, denn damitwären wir in seiner bzw.

    in der Hand sei-ner Vorgesetzten,schickt er einenvon uns zu diesenin die Grenzstati-on. Der Offizierdort kann sichzwar nicht recht

    vorstellen, was wir da vorhaben, nachdem wirjedoch nahezu glaubhaft versichern nur aufder rumänischen Seite bleiben zu wollen, gibter mündlich sein „permisi“. Ohne aber den Pos-ten beim Boot zu verständigen. Der versperrt

    den Weg, bringt drohend sein Gewehr in An-schlag. Leise: „Du Idiot...“ und laut „... nimmdas blöde Ding das weg, wir sind nicht mehrbei Deinem Genossen Ceaucescu.“ Das letzteWort jedenfalls versteht er, schaut verdutzt,ein wenig hilflos, lässt die Knarre sinken undgeht weg. Wir beeilen uns nun, verstauen allesim Boot und legen ab.

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    Herrlich, wieder auf dem Wasser zu sein –frei und ungebunden. Keine Wachttürme undkeine Militärstreifen mehr am Ufer, so wiefrüher in den anderen Ostblockländern undsicher auch hier an der Donau. UnberührteNatur: die schöne Auenlandschaft diesesStromes; Inseln zum Übernachten; Vogelge-sang, sogar nachts. Pelikane, Kormorane, Rei-

    her, Störche – sie lassen sich von uns kaumstören. Einmal jedoch protestiert ein Marder-hund, ein selten gewordenes scheues Tier, ge-gen unser Zelten in seinem Revier: WeißeZeichnung im Gesicht wie beim Dachs, kurzeBeine. Er tobt herum, beißt in die Zeltleine

    und verschwindet dann mit heiserem, wüten-dem Bellen im dichten Gebüsch. Leider bevornoch der Foto aus dem wasserdichten Behäl-ter raus ist.Die wenigen Schiffe, denen wir pro Tag begeg-nen, fahren so wie früher schon, meist unterrussischer Flagge. Schubeinheiten mit tief lie-genden Kähnen und elegante weiße Kreuzfahrt-

    schiffe. Mit denen kannman jetzt von Wien bis zurMündung der Donau schip-pern und auch essen undschlafen an Bord. Das allesin zwei Wochen. Manchmalhören wir sie nachts an un-serem Zeltplatz vorbeifah-ren, sehen die Reihen ihrerLichter. Tagsüber ist Land-gang für die Passagiere an-gesagt – ein ganz anderesProgramm also, als unseres.Mehr Luxus und „...die ha-ben zu trinken, so viel siewollen. Unsere Wasserbeu-tel aber sind bald leer.Donauwasser? Nein...“

    Ja, wir brauchen Trinkwasser - dringend.Auf „unserer“ Seite der Donau aber gibt esauf 150 km zunächst keines. Weder Häusernoch Orte liegen am Fluss. Also paddeln wir,mit etwas schlechtem Gewissen, über die un-sichtbare Grenze nach drüben, nach Bulgarien.

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    Dort, in Lom, füllt die Köchin eines Restau-rants unsere Kanister und niemand fragt nachVisum, nach Woher und Wohin. Am Ufer diegut geteerten Holzboote der Donaufischer.

    Gut kalfa-tert? See-leute nann-ten früherdas Dichtenihrer Plan-ken so. Undangebl ic h

    stammt diese Bezeichnungvon dem Ort, in dem wir einsetzten – Calafat.Dort, in der Nähe, gab es zur Zeit der Römergroße natürliche Vorkommen desschwarzen Dichtmaterials - so istes in sehr alten Schriften nachzu-lesen. Auch bei einem späteren,erneuten „illegalen“ Besuch deranderen Donauseite gibt es außeretwas Angst und Herzklopfen kei-ne Probleme. Und glücklicherweisesieht uns das alte, rostige Grenz-boot der Bulgaren, mit einer Kano-ne vorn am Bug, erst, nachdem wirden durch ihr Land führenden,malerischen Nebenarm der Donau bei Vardingerade wieder verlassen haben. Es lässt unsweiterziehen auf dem Strom, der Länder ver-bindet´, der sie aber auch trennt. Länder, dieVerbündete waren, jetzt aber die Integrität

    ihrer Grenzen unsinnig ernst nehmen. Viel-leicht, weil mit den Visagebühren gutes westli-ches Geld zu verdienen ist?Wir landen in Corabia, der ersten rumänischenStadt auf unserem Weg. „Einkaufen“, erklärenwir den auf einem Kahn Wache schiebendenSoldaten. Einer muss es per Telefon seinemGrenztruppen-Offizier melden und der lässtausrichten, dass er käme und uns begleitenwürde. Warum? Aus Vorsicht, Neugier oderHöflichkeit? Mit ihm zusammen erscheint derhiesige Donauflottillen-Kommandant in einerschicken weißen, mit viel Gold verzierten Uni-form. Für den Stadtbesuch brauchten wir ei-nen Passierschein, einen Stempel, erklären sie.

    Wir hätten keinen?Nun, das wäre keinProblem: „Kommenmit ...“, die Soldatenauf dem Pontonschauen uns grinsendnach. Erster Anlauf-punkt ist ein Ufer-Restaurant, eines oh-ne Gäste. Und ohneVorräte in der Kü-che. Die Offiziere

    sind schockiert und bedauern sehr - nun müss-ten wir doch in die Stadt. Dazu requiriert derMariner kurzerhand einen der am Bahnhof la-denden Lastwagen - der Arbeiter am Steuermuss uns durch die Straßen des Industrie-

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    Quartiers fahren. Irgendwo Halt, Aussteigen.Hinter unscheinbarem Tor und Hof öffnet sichder Zugang zu einem versteckten Lagerraum:Eier, Brot, Wurst und Käse, Krabbenkonservenaus Vietnam, Ketchup aus der DDR, Wein undMineralwasser sowie eine Kühltheke, die ausder Luftfeuchtigkeit Eis produziert. Hieß esnicht, dass sich vor der Revolution Funktionäredes Regimes aus solchen Quellen reichlich ver-sorgten, während das Volk zu hungern hatte?Nun, jetzt dürfen wir auswählen - und sollennoch mehr als wir wollen mitnehmen. Bezahlen?Nein - die Offiziere quittieren den Empfangder Fressalien, schnappen sich noch einige Fla-schen Wein und der LKW-Fahrer hat uns zu-rückzufahren. Bis ganz zum Liegeplatz unseresBootes - ein hartes Kommando scheucht denPosten am Eingang zum Hafen beiseite.Und dann beginnt eine richtige Ufer-Party. Zu viert leeren wir drei Fla-schen Wein und feiern mit „Nuruk –Prost – Santé und Cheerio“, die Do-nau, die Marine und die Völkerver-ständigung. Wobei diese, je längersie dauert, immer fröhlicher und be-redter wird. Auf den Uniformen kün-den rote Tupfer wie Orden vom Ge-schehen. Soldaten helfen uns dannüber einen schmalen schwankendenSteg – oder schwanken wir? – undrecht beschwingt paddeln wir strom-ab. Zu schnell, wie wir bald feststel-

    len Denn wo ist unsere Tasche mit Foto, Fern-glas, Schlüsseln und anderen für uns wertvol-len Utensilien? Diese verflixten Promille!Fast zwei Stunden zurück, gegen die Strö-mung, machen uns nüchtern. Gibt es noch eineChance? Während wir uns schwitzend zum Ortder Wein-Party zurück “arbeiten“, geht unsdiese Frage durch den Kopf. Knapp vor demZiel dann ein auf Wache stehender Soldat. Ersieht uns, schaltet „die haben wohl etwas ver-gessen“, geht zu unserem Landeplatz und -hält unsere dort „im Suff“ liegengelassene Ta-sche triumphierend in die Höhe: Also dochehrliche Leute, diese jedenfalls. Nachdenk-lich, „wie konnte uns das nur passieren und waswäre gewesen wenn ...?“ paddeln wir nun wie-der stromab und nehmen den nächstbestenZeltplatz auf einer Insel im Strom.

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    Auf den Donau-Inseln sind wir nachts alleinmit unserem Zelt. Landen wir dagegen am fes-ten Ufer, so gibt es schon mal eine Kontrolle.Eines Abends zuerst durch Soldaten, die ver-suchen uns vom „verboten ist“ zu überzeugen,dann aber der Aufforderung besser beim Tra-gen des Bootes zu helfen, willig folgen. Aber:später holen sie ihren Offizier vom Dienst,

    folgen ihm in gebührlichem Abstand. Auch dermöchte uns gern wegschicken – Militärgeländesei das hier. Bedauerlich allerdings, wenn manso etwas einfach nicht versteht, Bedauern aufbeiden Seiten, Kopfschütteln, Achselzucken,und schließlich ein freundliches „Gute Nacht“,auf Deutsch und Rumänisch. Ein anderes Malvermutet ein Polizist, als wir für eine Pause ameinsamen Strand landen, in uns anscheinendAngehörige der ehemaligen Securitate, dervor der Revolution berüchtigten Geheimpolizei,von der es noch bewaffnete Reste im Unter-grund geben soll. Er wird sehr dienstlich. Alssich dann der Irrtum aufklärt, bietet er er-leichtert und sichtlich um uns besorgt Konser-ven aus seinem Bestand an.In Bechet winken uns Marinesoldaten zu sichans Ufer. Ob unsere Papiere in Ordnung wä-ren, fragen sie und akzeptieren treuherzig dasJa. Ein junger Mann bringt eine Flasche klaresWasser und schenkt quasi zum Willkommenein. Wir pusten Ballons für die Kinder auf. Alseiner von denen platzt, schrecken die Soldatenhoch und greifen instinktiv zu den Waffen:Schießen die Deutschen?Bei einem kleinen, vor Anker liegenden russi-schen Schiff gehen wir längsseit – unsereWasserbehälter waren wieder einmal leer ge-worden: „Woda?“ Der Bootsmann füllt bereit-willig die Kanister. Auf eine Unterhaltung mager sich nicht einlassen – wie auch? Wir verste-hen ihn und er uns nicht. Schade, dass wir in

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    der Schule nicht mehr Sprachen gelernt ha-ben. Wie viele Leute in diesem Land Deutschkönnen, ist erstaunlich. Nicht nur die Volks-deutschen, die seit Generationen hier wohnen,nun aber versuchen ins wirtschaftlich bessereund sicherere Deutschland auszuwandern.Die Strömung wird, nur noch wenige hundertKilometer vor der Mündung, langsamer, dasWasser scheint stellenweise ganz sauber.Waschen und Baden in der Donau ist hier keinProblem. Aber nein, ganz so ist es auch nichtimmer.

    Was, wenn mannach dem Aussteigenaus dem Boot durchdicken Schlamm zumZelt waten muss? Ei-nen Topf Flusswassermitnehmen. Nur: einerreicht nicht zum Ent-schlacken der Füße.

    Zurück also – und wieder durch den zähenbraunen Brei. Ein blöder Kreislauf. Alternati-ve: Ein Messer und schaben. Es kitzelt? Na,wenn das stört, hilft nur noch eintrocknen las-sen und mit dem Hammer...

    Neben Öl, Gas, Erz und Kohle ist Holz einerder wichtigen Rohstoffe des Landes. Fracht-schiffe mit Grubenholz beladen begegnen uns,kaum noch kann der Steuermann über die La-

    dung schauen. Und dortwuchtet ein jungerMann schwere, dickeBaumstämme aus sei-nem Boot. Er schlepptsie zum kleinen Pferde-wagen – wofür wir Krä-ne einsetzen – er machtdas ohne Hilfe ganz al-lein: „Wer bei uns kanndas noch?“

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    Etwas weiter ein Pavillon oberhalb der Ab-bruchkante, daneben ein schönes braunesHaus in L-Form gebaut. Flussabwärts der dazugehörende moderne breite Aluminium-Anlege-steg – aufs trockene Land gezogen.„Betreten verboten“, regt sich ein Mann auf,als wir ihn, der übliche Vorwand bei Neugier,nach Wasser fragen. Er verbietet das Foto-grafieren des Anwesens an Land und ist natür-lich sauer, weil wir es vom Wasser aus tun.Dass diese Anlage einer der über hundertSommersitze des Diktators war, hören wir we-nig später von einem Angler, der sein Netz oh-ne Beute aus dem Wasser zieht: „Viel Betriebhier gewesen früher, hohe Leute gekommenmit Schiff oder Auto. Viel gegessen und ge-soffen mit Chef. Genug Essen und Geld. Nix

    müssen arbeiten, leben gut. Sieheute sagen: nix gemacht, immergegen Chef gedacht. Aber jederweiß von Gegenteil.“Sein Deutsch? „Soldat gewesen,zusammen mit eurigen in Russland –viel Kampf, Bein kaputt, schlechteZeit...“ Gegen Ende des zweitenWeltkrieges, 1945, wechselte Ru-mänien von der deutschen auf dieSeite der Alliierten.

    Ein Tag ist so schön und sonnig wie der andere.Nebelbänke am Morgen lösen sich auf, gebendie Sicht frei. Wir schieben das Boot ins Was-ser und genießen einen neuen Wandertag. DieStrömung nimmt uns mit und bringt uns zu ei-nem anderen, einsamen Platz in der Natur. DieSonne geht glutrot unter, ein Vogel huscht

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    vorbei. Dann sitzen wir vor dem Zeltund kochen unser Abendessen aufdem leise schnurrenden Benzinkocher,schauen zu, wie schwer beladeneSchiffe langsam stromauf ziehen.

    Und dann ein anderer Tag: Kräf-tige Windböen, Seegang undtrotz Strömung müssen wirtüchtig paddeln um voranzukom-men. Fast totale Ruhe hinter ei-ner Biegung des Flusses oderauf der vom Wind abgewendetenSeite.

    Zeichen der immer näher rückenden Zivilisati-on: Schnelle, laute Tragflügelboote russischerBauart. Sie transportieren Arbeiter von dervoraus liegenden Großstadt Giurgiu zu ihrenArbeitsstellen. Zu Fabriken, deren Schorn-steine wir von unserem Zeltplatz aus sehen.Vom letzten, denn in Giurgiu wird unsereFahrt enden.Weiterpaddeln bis zur Mündung? Die Zeitreicht nicht. Schade, knapp 500 km noch,dann wären wir im Schwarzen Meer...

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    Wir landen am Anlegerfür größere Flussbenut-zer. Der Pontonmeisterpackt zu, gemeinsamziehen wir das voll bela-dene Boot auf denschwimmenden Abbau-

    platz. Soldaten,die uns da kon-trollieren wollen,schickt er ein-fach weg. Einpa-cken, einen Rissim Rucksack nä-

    hen, dann, das istVorschrift, zum Ha-fenmeister um unsereAnkunft zu melden.„Ihr Schiff liegtnicht mehr am Pon-ton? Sie haben es ein-gepackt? Und wo sindIhre Schiffspapiere?Keine?“ - Er verstehtnicht, was da vorgeht.

    Seine Uniform ist so wieihr Besitzer - alt, schmut-zig und verschlissen. Unddann tut er das, was einChef in solch einer Situa-tion normalerweise tut: Erdelegiert den rätselhaf-ten Fall an seinen Stabmit der Weisung „Papiereabstempeln.“ Welche? Das

    bleibt ebenso unklar, wie was durch wen nungeschehen sollte. Womit die Sache sich vonselbst erledigt.„So wie hier üblich“, kommentiert der Fahrereines Taxis, das uns zurück nach Calafatbringt. Dort hatten wir unser Auto auf demHof des örtlichen orthodoxen Priester, bei

    seiner netten Familie, „in Pension“gegeben. Preis für die vier StundenRückfahrt DM 100, umgerechnetauf den Schwarzmarkt-Kurs, derMonatslohn eines Arbeiters.Überall hängen Plakate mit den Na-men neuer Parteien: morgen wird,nach den Diktaturjahren zum erstenMal wieder frei gewählt. „Alles Un-sinn“, meint der Taxifahrer, „damitändert sich nichts. Es kommen dochdie alten Genossen wieder dran. Nurunter anderer Flagge segeln siejetzt. Und wir werden sie wählen.Denn bessere sind nicht da...“

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    „Die Fahrt durchs Donau-Delta – dafürbraucht man einen ganzen Urlaub. Für alldie Kanäle, die Seen, zur Beobachtung derseltenen Wasservögel. Und zum Findenvon Zeltplätzen im sumpfigen Untergrund.Fischer wohnen dort nur noch wenige undverirren kann man sich leicht.“ Freunde,die wir nach der Donau-Paddelei in Buka-rest besuchen, sind skeptisch: „Aberschaut euch die Gegend doch zunächstmal vom Auto aus an...“Ein Gebiet, das, wie wir dann sehen, ebendoch besser vom Boot aus zu erkunden ist.Straßen nur am Rand der Region - Schilf, vielSchilf. Bauern hatten es geschnitten und zumTrocknen aufgestellt.

    Deren Pferde- und Eselwagen halten an, wennwir ihnen begegnen – so, als ob Fahrzeuge wiedas unsere sich nur selten in ihre Gegend ver-irren. Sehr arme Leute, Offensichtlich habensie nichts von den ihnen oft versprochenenSegnungen der sozialistischen Zeit gehabt.Und vielleicht denken sie jetzt mit ein wenigVerbitterung darüber nach, warum es den Leu-ten im Auto so gut geht und ihnen nicht. Zurecht: Womit und wodurch haben wir alles dasverdient, was uns mit Reisen wie dieser gebo-ten wird?Von den mehr als 4.000 qkm des rumänischenDeltagebietes sind etwa 1.000 qkm reine, of-fene Wasserflächen. Ein viel größerer Teilwird von Wasserpflanzen sowie durch riesigeschwimmende Schilfinseln bedeckt. Nur 680qkm lassen sich als fester Boden bezeichnen,

    Im Donau-Delta

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    der zu bewirtschaften und zubebauen ist. Wovon die wenigendort sesshaften Menschen le-ben? Sie fischen und sie schnei-den das Schilf. Aus dem gewinntman Zellulose, Papier und eineReihe von Nebenprodukten wieBestandteile für Dünger, Gly-cerin, Äthylen und anderes.Pläne der alten Regierung desGenossen Diktators, einen Teildes Deltas trocken zu legen, umes landwirtschaftlich zu nutzen,stießen weltweit auf Wider-stand: Es drohte die Vernich-tung eines der ursprünglichstenNaturgebiete Europas - Schlupfwinkel für sel-tene Wasservögel und Biotop für zahllose vomAussterben bedrohte Pflanzen.

    Nun, das Delta wird bleiben,für Flora und Fauna. Undfür die Menschen: Weiter-hin ein Anziehungspunkt fürTouristen, auch für solchewie uns in kleinen Booten.Mit deren Geld ja auch eini-ges anzufangen ist.

    Und dann sind wir, so wie auch die Donau,am Schwarzen Meer. Der Fluss nach einerlangen Reise durch sechs europäische Län-der und zuletzt noch an der Grenze zuRussland entlang. Nicht auf seinem ganzenWeg haben wir ihn begleiten können. Aberirgendwann waren wir mal an seiner Quelleund jetzt dort, wo sein Lauf endet. Vielgesehen und erlebt unterwegs. Mit und inunserem Faltboot, das nun wieder ver-packt im Auto liegt. Ob es, so wie wir,

    schon von einer nächsten Reise träumt?