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Dr. Roger Brändli Einführung ins Privatrecht Assessment-Stufe Übung 2 OR Allgemeiner Teil (Vertragsentstehung und Willensmängel) Dr. iur. Roger Brändli Rechtsanwalt und Urkundsperson Lehrbeauftragter für Privatrecht an der Universität St. Gallen Mailadresse: [email protected] Unterlagen: www.jurius.ch Telefon: 055 451 20 00

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Dr. Roger Brändli

Einführung ins Privatrecht

Assessment-StufeÜbung 2

OR Allgemeiner Teil(Vertragsentstehung und Willensmängel)

Dr. iur. Roger BrändliRechtsanwalt und UrkundspersonLehrbeauftragter für Privatrecht an der Universität St. Gallen

Mailadresse: [email protected] Unterlagen: www.jurius.ch Telefon: 055 451 20 00

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Repetition 1. Übungsstunde

Civil law / common law

Stufenordnung der Rechtsanwendung

Beweislastregel (Art. 8 ZGB)

natürliche und juristische Personen

Entstehungsgründe für Obligationen

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Einführungsfall 8 (Entstehung einer Obligation II)

Dem Angestellten A wird versehentlich währendeinigen Monaten ein zu hoher Lohn ausbezahlt.Nun will die Gesellschaft X das zuviel Bezahltezurück. Muss A zurückzahlen und wenn ja, auswelchem Rechtsgrund?

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Lösung Einführungsfall 8

Juristische Grundlagen:- Nach Art. 62 OR ist eine ungerechtfertigte Bereicherung

zurückzuerstatten (Einschränkung nach Art. 64 OR)- Voraussetzung ist die Bereicherung aus dem Vermögen

eines anderen (hier der Gesellschaft), und die ungerechtfertigte Erlangung des Vermögensvorteiles (kein Anspruch)

Obwohl zwischen den Parteien ein Vertrags-verhältnis besteht, erfolgt die Rückforderungnicht auf Grund des Vertrages, sondern aufGrund der ungerechtfertigten Bereicherung.Es kann nicht ohne weiteres Gutgläubigkeitdes Arbeitnehmers angenommen werden.

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Unterrichtsziel

Die Studierenden wissen

- nach den Übungen, wie ein Vertrag gültig geschlossen wird

- kennen die Rechtsfolgen von Mängeln beim Vertragsabschluss

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Wer will

Was

Von Wem

Woraus

In der Regel: Geschädigter

In der Regel: Schadenersatz

In der Regel: vom Schädigenden

Falllösungsschema

Vertrag

Gesetz

• unerlaubte Handlung (Art. 41 ff. OR)

• ungerechtfertigte Bereicherung (Art. 62 ff. OR)

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Vertragsentstehung

Prüfungsschritte:

1. Sind Parteien handlungsfähig?

2. Austausch übereinstimmender Willenserklärungen?

3. Formmangel?

4. Inhaltsmangel?

5. Willensmangel?

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Handlungsfähigkeit bei natürlichen Personen

UrteilsfähigkeitUrteilsfähigkeit MündigkeitMündigkeitArt. 16 ZGB Art. 14 ZGB

Urteilsfähigkeit = Fähigkeit, vernunftgemäss zu handeln

Relativität der Urteilsfähigkeit Bezogen auf jeweilige Person/Handlung

Ausnahmen: Art. 18 und 19 ZGB

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Austausch übereinstimmender Willenserklärungen

Willenserklärung

Wille Erklärung

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Umfang des Konsens (Übereinstimmung)

Vertragspunkte

objektiv wesentlichabsolut notwendigerMindestinhalt des Vertrages (Geschäftskern)

objektiv unwesentlich

subjektiv wesentlichconditio sine qua nondes Vertragsabschlussesfür eine oder beide Parteien

subjektiv unwesentlich

Notwendiger Mindestgehalt für die Entstehung eines Vertrages

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Austausch übereinstimmender Willenserklärungen

Antrag

befristet(Art. 3 OR)

unbefristet

unterAbwesenden(Art. 5 OR)

unterAnwesenden(Art. 4 OR)

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Fall 1

Handlungsfähigkeit?

Austausch übereinstimmender Willenserklärungen?

B ist verpflichtet, A die Stereo-Anlage für Fr. 1‘900.– zu überlassen, wenn A den Antrag nach der Rückkehr vom Geschäft C noch hat annehmen können, d.h. wenn A auch im Zeitpunkt der Rückkehr des A noch an seinen Antrag (5% Rabatt) gebunden gewesen ist;

Antrag unter Anwesenden ist gegeben nach Art. 4 Abs. 1 OR ist B im Zeitpunkt der Rückkehr des A nicht mehr an seinen Antrag gebunden gewesen A hat den Antrag nicht mehr annehmen können es ist kein Vertrag zustandegekommen;

Ergebnis: A ist nicht verpflichtet; es steht im aber frei, das Angebot des A, die Stereo-Anlage für Fr. 1‘900.– zu kaufen, anzunehmen.

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Fall 2

• A muss leisten, wenn ein Vertrag zustandegekommen ist;

• A hat sein Angebot befristet Art. 3 OR ist anwendbar;

• Wie sich aus Art. 3 Abs. 2 OR ergibt, setzt das Zustandekommen des Vertrages bei einem befristeten Angebot voraus, dass die Annahmeerklärung vor Ablauf der Annahmefrist beim Antragssteller eintrifft;

• Die Annahme von B ist verspätet bei A eingetroffen; A hat sie aber rechtzeitig abgesandt ist Art. 5 Abs. 3 OR analog anwendbar?

Ja.

Vertrag ist zustandegekommen, sofern A den B nicht unverzüglich über das verspätete Eintreffen der Annahmeerklärung orientiert hat;

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Fall 2 (Fortsetzung)

Aus Sachverhalt geht nicht hervor, dass A dem B Anzeige gemacht hat Vertrag ist zustandegekommen;

Ergebnis: A muss leisten;

Variante:Annahme und Antrag sind empfangsbedürftige Willenserklärungen Annahme des B ist unwirksam, wenn sein Antwortbrief bei der Post verlorengeht Vertrag ist nicht zustandegekommen A muss nicht leisten.

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Fall 3

A ist verpflichtet, B 20‘000 kg Heizöl zum Preis von Fr. 69.– je 100 kg zu liefern, wenn A im Zeitpunkt des Eintreffens der Annahmeerklärung von B noch an seine Offerte gebunden ist.

Ein per Telefax übermitteltes Angebot stellt einen Antrag unter Abwesenden dar; es findet demnach Art. 5 OR Anwendung.

Die Annahmefrist nach Art. 5 Abs. 1 OR setzt sich aus drei Abschnitten zusammen: Normalzeit der gewählten Übermittlungsart für die Offerte, angemessene Überlegungsfrist, Normalzeit der gewählten Übermittlungsart für die Antwort.

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Das Erfordernis der „ordnungsmässigen“ Absendung nach Art. 5 Abs. 1 OR verlangt, dass die Antwort mit einem Transportmittel spediert wird, dessen Schnelligkeit dem Transportmittel des Antrages entspricht; der Adressat der Offerte hat für seine Antwort ein an Schnelligkeit mindestens gleichwertiges Transportmittel einzusetzen.

Vorliegend hat B nach Eintreffen der per Telefax übermittelten Offerte zwei Tage überlegt und zugewartet, was im Heizölhandel zu lange ist. Die Antwort ist damit verspätet abgesandt worden. Zudem hat B auf eine per Telefax übermittelte Offerte hin seine Antwort lediglich mit gewöhnlicher Briefpost versandt.

Ergebnis: Annahmeerklärung von B ist verspätet; A hat die Antwort früher erwarten dürfen. Er ist an seine Offerte nicht mehr gebunden. A ist damit nicht zur Lieferung verpflichtet.

Fall 3 (Fortsetzung)

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Vertragsentstehung

Prüfungsschritte:

Sind Parteien handlungsfähig?

Austausch übereinstimmender Willenserklärungen?

Formvorschriften eingehalten?

Inhaltsmängel?

Willensmängel?

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Formmangel

Grundsatz: Art. 11 Abs. 1 OR

Formvorschriften: einfache Schriftlichkeit (z.B. Art. 165 OR; Art. 216 Abs. 3 OR)

qualifizierte Schriftlichkeit (z.B. Art. 493 Abs. 2 OR)

öffentliche Beurkundung (z.B. Art. 657 ZGB; Art. 216 Abs. 1 OR)

Art. 11 Abs. 2 OR (Form hat nicht Ordnungscharakter, sondern ist Gültigkeitserfordernis)

Umfang des Formzwangs?

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Inhaltsmangel

Grundsatz: Art. 19 Abs. 1 OR

Schranken der Inhaltsfreiheit (Art. 19/20 OR)

objektive anfängliche unddauernde Unmöglichkeit der Leistung

Zwingendes Recht

Gute Sitten

Persönlichkeitsrecht

„öffentliche Ordnung“

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Willensmängel

Übervorteilung offenbares Missverhältnis Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit Ausbeutung (Ausnützen) dieser Übervorteilungsmöglichkeit

Irrtum

Drohung Drohung Widerrechtlichkeit Begründete Furcht Kausalität

Täuschung Täuschungshandlung Täuschungsabsicht Irrtum beim Getäuschten Kausalität des Irrtum für Vertragsabschluss

Rechtsfolgen?

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Irrtum

Arten des Irrtums

Erklärungsirrtum Motivirrtum

unwesentlicherErklärungsirrtum

wesentlicherErklärungsirrtumArt. 24 Abs. 1 Ziff. 1-3 OR

wesentlicherMotivirrtum(Grundlagenirrtum)Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR

einfacherMotivirrtumArt. 24 Abs. 2 OR

Vertrag verbindlich Vertrag verbindlichVertrag anfechtbar (Art. 31 OR)

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Grundlagenirrtum = qualifizierter Motivirrtum

Voraussetzungen (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR):

subjektive Wesentlichkeit („conditio sine qua non“)

objektive Wesentlichkeit

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Erklärungsirrtum

„Das habe ich zwar so gesagt, aber nicht so gemeint.“

Erscheinungsformen:

Error in negotio (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 1 OR)K will ein Auto mieten, unterschreibt aber einen Leasingvertrag.

Error in corpore/Error in persona (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 2 OR)

Error in quantitate (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 3 OR)

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Fall 4

Konsensprüfung (Art. 1 ff. OR)

Irrtumsprüfung (Art. 23/24 OR)

Treu und Glauben-Prüfung (Art. 25 OR)

Fahrlässigkeitsprüfung (Art. 26 OR)

Billigkeitsprüfung (Art. 26 OR)

(vgl. Schema „Irrtumsprüfung“ auf jurius.ch)