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Dramaturgie der Gewalt: Die Räuber Um Schillers erstes Stück hat sich schnell eine ganze Mythologie gebildet, in welcher die wirklichen Umstände seiner Entstehung und ihre Ausschmückung, Legenden und Tatsachen, Fakten und Fiktionen, buntgemischt auftreten. Ihren Rahmen gibt immer (...) das Dasein des studentischen Zöglings in der Stuttgarter Karlsschule ab, welche, als Militärakademie gegründet gemeinhin als eine Art Zuchthaus beschrieben wird, die dem nach Freiheit dürstenden Genie nur Reglement und Beschränkung auferlegte. Dazu passte dann besonders gut, dass die Handlung der Räuber wirklich voller Ausbruchsphantasien steckt und also direkt mit den Existenzbedingungen ihres Autors beknüpft scheint. Inzwischen hat sich ein sehr viel gerechteres Bild von der Hohen Karlsschule zumindest in der Forschung durchgesetzt. BILDUNG Wenn auf der einen Seite steifes Zeremoniell und militärische Umgangsformen den Alltag bestimmten (...) wurde das Bildungsprogramm doch weitgehend von Lehrern bestimmt, die der Aufklärung verpflichtet waren. Methoden und Ziele ihrer Erziehung haben sie selber wiederholt dargestellt, ein Gemisch aus Humanismus und Aufklärung durchzieht die Reden und Schulprogramme. Ehrgeiz, Leistung und Nützlichkeit waren die herrschenden Prinzipien, ausgerichtet auf die praktische Berufsausbildung und soziale Integration, darauf, wie des der Herzog selber formulierte, „den Menschen für das Ganze brauchbar zu machen.“ Doch blieb auch eine andere, der ersten geradezu oft entgegengesetzte Tendenz spürbar und gewann durch die Neuhumanismus noch an Boden: die möglichst vielseitige Ausbildung in den Wissenschaften und Künsten, die zentrale Stellung der Philosophie, die Lehre der antiken Sprachen, die Lektüre der alten Schriftsteller. (...) Trotz aller Empörung über die ihm vorenthaltende Freiheit war sich Schiller auch der Anregungen bewusst, die ihm der Unterricht vermittelt hatte, aus Shakespeare war er von seinem Lehrer Abel hingewiesen worden, dem der darüber hinaus die Vermittlung der wichtigsten popularphilosophischen Ideen der Zeit verdankte und wohl auch der Auffassung vom Dichter als schöpferischen Genie bei ihm erstmals begegnete, dem „Nebenbuhler der schaffenden Gottheit“, die Abel es in einer Rede über das Genie 1776 formuliert hatte. Größe der Leidenschaften, Enthusiasmus, Verachtung jeder Kleingeisterei – das waren Stichworte, die Schiller begeistert aufnahm und die uns auch ein Bild von dem Geistes- und Gemütszustand andeuten, der unter der Oberfläche militärischer Zucht und Ordnung unter den Schülern durchaus verbreitet war. (...) REBELLISCHES STÜCK Schiller Jugendstück (...) ist gegen eine (Väter-)Welt gerichtet, die, voller Mauern und Schranken gesellschaftlicher, politischer und kultureller Verfassung, jeder auf Freiheit und Selbstverwirklichung gerichteten Initiative des bürgerlichen Menschen schier unüberwindliche Schwierigkeiten in den Weg stellte. Die Räuber sind also ganz sicher ein rebellisches Stück voll vorrevolutionärer Impulse, in dem es gärt und brodelt, und das (...) die Unzufriedenheit der jungen Generation bürgerlicher Intellektueller mit ihren Lebensbedingungen inmitten einer feudal-absolutistisch bestimmten Umwelt zum Ausdruck brachte. Zum metaphorischen, gleichnishaften

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Dramaturgie der Gewalt: Die Räuber Um Schillers erstes Stück hat sich schnell eine ganze Mythologie gebildet, in welcher die wirklichen Umstände seiner Entstehung und ihre Ausschmückung, Legenden und Tatsachen, Fakten und Fiktionen, buntgemischt auftreten. Ihren Rahmen gibt immer (...) das Dasein des studentischen Zöglings in der Stuttgarter Karlsschule ab, welche, als Militärakademie gegründet gemeinhin als eine Art Zuchthaus beschrieben wird, die dem nach Freiheit dürstenden Genie nur Reglement und Beschränkung auferlegte. Dazu passte dann besonders gut, dass die Handlung der Räuber wirklich voller Ausbruchsphantasien steckt und also direkt mit den Existenzbedingungen ihres Autors beknüpft scheint. Inzwischen hat sich ein sehr viel gerechteres Bild von der Hohen Karlsschule zumindest in der Forschung durchgesetzt. BILDUNG

Wenn auf der einen Seite steifes Zeremoniell und militärische Umgangsformen den Alltag bestimmten (...) wurde das Bildungsprogramm doch weitgehend von Lehrern bestimmt, die der Aufklärung verpflichtet waren. Methoden und Ziele ihrer Erziehung haben sie selber wiederholt dargestellt, ein Gemisch aus Humanismus und Aufklärung durchzieht die Reden und Schulprogramme. Ehrgeiz, Leistung und Nützlichkeit waren die herrschenden Prinzipien, ausgerichtet auf die praktische

Berufsausbildung und soziale Integration, darauf, wie des der Herzog selber formulierte, „den Menschen für das Ganze brauchbar zu machen.“ Doch blieb auch eine andere, der ersten geradezu oft entgegengesetzte Tendenz spürbar und gewann durch die Neuhumanismus noch an Boden: die möglichst vielseitige Ausbildung in den Wissenschaften und Künsten, die zentrale Stellung der Philosophie, die Lehre der antiken Sprachen, die Lektüre der alten Schriftsteller. (...) Trotz aller Empörung über die ihm vorenthaltende Freiheit war sich Schiller auch der Anregungen bewusst, die ihm der Unterricht vermittelt hatte, aus Shakespeare war er von seinem Lehrer Abel hingewiesen worden, dem der darüber hinaus die Vermittlung der wichtigsten popularphilosophischen Ideen der Zeit verdankte und wohl auch der Auffassung vom Dichter als schöpferischen Genie bei ihm erstmals begegnete, dem „Nebenbuhler der schaffenden Gottheit“, die Abel es in einer Rede über das Genie 1776 formuliert hatte. Größe der Leidenschaften, Enthusiasmus, Verachtung jeder Kleingeisterei – das waren Stichworte, die Schiller begeistert aufnahm und die uns auch ein Bild von dem Geistes- und Gemütszustand andeuten, der unter der Oberfläche militärischer Zucht und Ordnung unter den Schülern durchaus verbreitet war. (...) REBELLISCHES STÜCK Schiller Jugendstück (...) ist gegen eine (Väter-)Welt gerichtet, die, voller Mauern und Schranken gesellschaftlicher, politischer und kultureller Verfassung, jeder auf Freiheit und Selbstverwirklichung gerichteten Initiative des bürgerlichen Menschen schier unüberwindliche Schwierigkeiten in den Weg stellte. Die Räuber sind also ganz sicher ein rebellisches Stück voll vorrevolutionärer Impulse, in dem es gärt und brodelt, und das (...) die Unzufriedenheit der jungen Generation bürgerlicher Intellektueller mit ihren Lebensbedingungen inmitten einer feudal-absolutistisch bestimmten Umwelt zum Ausdruck brachte. Zum metaphorischen, gleichnishaften

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Ausdruck gewiss, der auch dazu geführt hat, dass das Stück heute oft allzu psychologisch als die dramatische Fabel eines Vater-Sohn-Konflikts gedeutet wird. DIE URAUFFÜHRUNG Und die Zeitgenossen haben es schon richtig verstanden, wenn nur etwas an den Berichten über die spektakuläre Mannheimer Uraufführung unter der Regie des Herrn von Dalberg stimmt (...) „Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, heisere Aufschreie im Zuschauerraum. Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, eine Ohnmacht nahe, zur Türe- Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung herbeibricht.“ EIN POLITISCHES STÜCK

Ein politische Stück sind die Räuber schon deswegen, weil Schiller in ihm ein Kernproblem der bürgerlichen Widerstands im feudalabsolutistischen Staat behandelt: Motivation und Mechanismus der politischen Tat sind so eng mit privaten und egoistischen Zwecken verknüpft, dass sie scheitern muss und der Täter selber nur zu der Einsicht in die Notwendigkeit des Scheiterns geführt werden kann. (...) Als drittes Motiv und eigentlich handlungsinitiierend kommt Karl Moors private Enttäuschung hinzu. Als Opfer einer undurchschauten Intrige des Bruders fühlt er sich als verstoßener Sohn (...) , sein Rachebedürfnis ist geweckt, und er schließt sich der zuvor von Spiegelberg gegründeten Räuberbande als deren Hauptmann an. Erst die familiäre Katastrophe lässt ihn seine Handlungshemmung überwinden. Sie bedeutet für ihn

eine so fundamentale Erschütterung, dass damit sein sowieso nicht sehr gefestigtes Vertrauen in das soziale Kollektiv nachhaltig erschüttert wird. (...) DIE GEWALT Den Ton der Gewalt hört man derart gleich von der ersten Szene an, und dieses Thema ist es auch vorzüglich, wodurch das Stück, obwohl gewiss ein dramatischer

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Wildwuchs ohnegleichen, gerade in historischen und politischen Krisenzeiten seine Aktualität in herausragenden Inszenierungen unter Beweis stellen konnte. (...)

Entstehung, Anwachsen und Entladung von Gewalt, davon handelt das Stück in der Hauptsache. Gewalt, verursacht durch die hilflose Leichtgläubigkeit des alten Moor; durch den Glauben, benachteiligt zu sein, bei seinen Söhnen; durch ihre Studien- und Lebensmisere bei den Bandenmitgliedern. Nur oberflächlich, durch ihre wechselnde Drapierung, unterscheiden sich die Erscheinungsweisen der Gewalt. Die Franz Moors, des intellektuellen Schreibtischtäters und intimen Kenners aller psychologischen Propagandamechanismen, von der seines Bruders Karl, der sich zum Rächer einer beleidigten Menschheit ernannt hat, weil er selber beleidigt wurde, sich als politischer Messias vorkommt und um des einen Lieblingsräubers eine ganze Stadt vernichtet wie Sodom und Gomorrha – beide agieren ihre Hilflosigkeit mit Hilfe destruktiver Größenphantasien aus, deren Wahrheit in der kruden Gewalt Hermann und der Räuberbande erscheint. Kosinsky schließlich findet sich dazu aus politischer Ohnmacht im engeren Sinne, und im Spiegel seiner Lebensgeschichte erscheint die Deformation der Motive aller anderen mit um so grausamerer Deutlichkeit. (...) Der eigentliche Sinn der Räuber, so hatte es Schillers Freund von Hoven gesehen, bestehe darin, „Darzustellen, wie das Schicksal zu Erreichung guter Zwecke auch auf den schlimmsten Wegen führe“ – ein Schicksal freilich, das auch in diese, Erstlings des jungen Schiller schon in der eigenen Brust des Helden wohnte. Die Heterogonie der von Karl verfolgten Zwecke, die Entstehung neuer, ganz entgegengesetzter Zwecke aus anderen, vorhergehenden, die ihnen substantiell widerspreche: darin liegt (um den Schillerschen Ausdruck zu benutzen) das punctum saliens, der Angelpunkt der inneren wie der äußeren dramatischen Handlung. Das ist eine paradoxe Konsequenz. Denn der ursprüngliche Zweck bleibt wirksam, aber in Verfolgung seiner Absicht entstehen andere Zwecke, die sich sogar gegen den ursprünglichen und auch noch weiter wirkenden richten, ihn desavouieren und verkehren. Karl Moor erkennt diese Dialektik, und damit beginnt in ihm der Prozess

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der Ent-Täuschung, der Detektion, der ihn schließlich in Verzweiflung und Resignation treibt. (...) DIE BRÜDER Sie zeigen die Annährung der beiden Brüder, die Entdeckung ihrer Gemeinsamkeit auf vielen Ebenen, denen der hybriden Selbstüberhebung und des abgewehrten Schuldbewusstseins ebenso wie denjenigen der politischen Mittel und der skrupellosen Preisgabe der Nächsten, ob es sich um Familie oder Gefolgsleute handelt. Wie Franz an anderer Stelle, so erweist sich Karl zudem in dieser Szene [ 2. Akt 3. Szene] als eine Meister der Täuschung, der das ganze Kampfgeschehen selbst inszeniert hat und seine Mannschaft durch ein rhetorisch meisterhaftes Stück Propaganda zur Treue verpflichtet. Die dichotomische Entgegensetzung der beiden Brüder, die die Wirkungsgeschichte des Stückes bestimmt und auf Schillers Selbstinterpretation zurückgeht, wie also im Fortschritt der dramatischen Handlung als Ergebnis jener fatalen Heterogonie der Zwecke aufgehoben. (...) KARLS ALPTRAUM Der Gedankengang und die dramatische Entwicklung des Stückes ist am Ende dieses dritten Aktes ganz ausgeschöpft, alles, was noch folgt, ist der Weg in die Katastrophe, ist fünfter Akt und tragischer Vollzug. Im Schicksal Kosinskys erblickt Karl noch einmal seine eigene Geschichte wie in einem unbefleckten Spiegel, fühlt ganz irreale Hoffnungen in sich aufsteigen (wie wenn Amalia mich immer noch liebte, mein Vater mich gar nicht verstoßen hätte, ich in meine alten Rechte wiedereintreten könnte?) – doch der leichtsinnige Wunscherfüllungstraum des Tages wird beim Versuch seiner Realisierung zum Alptraum aus Nacht und Grauen (...) Aus: Gert Ueding: Friedrich Schiller, München 1990

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Schiller oder die Erfindung des deutschen Idealismus

Wann genau Schiller mit der Arbeit an dem Stück begonnen hat, wissen wir nicht (...) Die Anregung für die „Räuber“ empfing Schiller in jener ersten Phase seiner dramatischen Versuche.

SCHUBARTS VORLAGE

Es war das Jahr 1775 als der Freund Friedrich von Hoven ihn auf eine von Schubart mitgeteilte Anekdote im „Schwäbischen Magazin“ hinwies, Schubart erzählt sie mit der ausdrücklichen Absicht einem Roman- oder Theaterautor Anregung zu eben, denn, so schreibt er, es müsste endlich beweisen werden, dass sich auch in Deutschland Menschen finden lassen, „die ihre Leidenschaften haben und handeln; so gut als ein Franzose oder Brite“. Die Anekdote soll sich tatsächlich zugetragen haben: Ein Edelmann hat zwei Söhne von ungleichem Charakter. Wilhelm ist fromm, ehrgeizig, duckmäuserisch, berechnend und zeigt wenig Neigung in die Welt hinaus zu gehen. Carl im Gegenteil ist unbekümmert, enthusiastisch, neugierig und impulsiv. Er ist der Liebling seines Vaters. Während des Studiums ist Wein und Liebe seine bevorzugte Beschäftigung. Er spielt, macht Schulden, gerät in allerlei Händel und muss bei Nacht und Nebel die Akademie verlassen. Er sucht Zuflucht in der Armee Friedrich des Großen, wird in einer Schlacht verletzt. Im Lazarett kommt er zu Sinnen und beschließt, sein Leben zu ändern. Er schreibt einen zärtlichen Brief an den Vater, worin er Reue zeigt und Besserung verspricht. Der Bruder aber fängt den Brief ab, uns so bleibt Carl ohne Antwort. Er verdingt sich inkognito als Knecht auf dem väterlichen Landgut. Eines Tages beim Holzmachen wird er Zeuge eines Überfalls auf den Vater, den er durch mutiges Einschreiten rettet. Anschließend gibt er sich zu erkennen. Wie sich bald herausstellt, war es Wilhelm, der die Mörder gedungen hatte, um vorzeitig an das Erbe heranzukommen. Wilhelm wird vom Hof vertrieben, und Carl wird, als verlorener Sohn und Retter des Vaters, wieder in Ehren aufgenommen. Schubart beschließt die Erzählung mit einer Bemerkung, die sich der

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junge Schiller offenbar zu Herzen genommen hat: „Wann wird einmal der Philosoph auftreten, der sich in die Tiefe des menschlichen Herzens hinablässt, jede Handlung bis zur Empfängnis nachspürt, jeden Winkelzug bemerkt, und alsdann eine Geschichte des menschlichen Herzens schreibt, worin er das trügerische Inkarnat vom Antlitze des Heuchlers hinweg wischt, und gegen ihn die Rechte des offenen Herzens behauptet.“

Schiller übernimmt die Konstellation und die Charaktere der beiden Brüder, auch einige Handlungselemente, Carls Ausschweifungen an der Universität, seine Flucht, die Reue, die Rückkehr zum Vater, die Aufdeckung der Machenschaften des Bruders. An der Stelle der Anekdote aber, wo Wilhelm den Reuebrief seines Bruders unterschlägt und Carl, ohne eine Verzeihung des Vaters erhalten zu haben, brav sein Unterkommen als

Knecht sucht, genau an dieser Stelle lässt Schiller die Räuberkarriere seines Karl beginnt, Karl wird anders als der Carl aus der Anekdote zum Rächer des Menschengeschlechtes. Er kann die Mordtat des Bruders nicht verhindern und steigert sich hinein in einen Kampf für die „Rechte des offenen Herzens gegen eine ganze Welt von „Heuchlern“. Schiller gibt den Charakteren der Anekdote einen Zug ins Monumentale. Das gilt für den Bösewicht Franz ebenso wie für Karl. Gleichwohl, auch wenn es Monstren sind versucht Schiller, so wie Schubart es gefordert hatte, sich als „Philosoph“ in die „Tiefe des menschlichen Herzens“ hinabzulassen.

INHALTSANGABE

Das Stück beginnt mit der ersten Untat von Franz Moor. Der unterschlägt nicht nur den Brief des reuigen Karls, der wegen eines Duells und anderer studentischer Streiche aus der Akademie verstoßen wurde, sondern schiebt einen anderen gefälschten unter, worin die Untaten des Bruders noch verschlimmert werden. Der leichtgläubige Vater verflucht und enterbt den Sohn. Karl, durch diesen Schritt zur Verzweiflung gebracht, lässt sich von der üblen Gesellschaft, in die er geraten ist, zum Räuberhauptmann wählen, in welcher Funktion er seine Privaterbitterung gegen den unzärtlichen Vater in einen Unversalhass gegen das ganze Menschengeschlecht ausarten lässt. Inzwischen sucht Franz im Hause des Vaters die Herrschaft an sich zu reißen; er lanciert die Falschmeldung vom Tode des Bruders, versucht Amalia, die Braut des Bruders, in seine Gewalt zu bringen und lässt den vor Schreck, Verzweiflung und Reue in Ohnmacht gesunkenen Vater bei lebendigem Leibe

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begraben. Karls, seiner räuberischen Existenz überdrüssig und doch durch Treueschwüre an die Bande gebunden, zieht es zurück ins väterliche Haus, wo er inkognito auftaucht und mit den Verbrechen seines Bruders und der fortdauernden Liebe seiner Braut konfrontiert wird. Das Ende ist schrecklich. Franz begeht Selbstmord; der Vater, der in seinem Grab überlebt hat, stirbt vor Entsetzen, als Karl sich zu erkennen gibt; Amalia stirbt durch die Hand Karls, der keinen anderen Ausweg mehr sieht im Konflikt zwischen seiner Liebe für Amalia und der Treue zur Bande. Durch die Opferung Amalias befreit sich Karl von den Verpflichtungen gegenüber der Bande und gibt sich dann in die Hände der Justiz.

DIE SELBSTREZENSION

In der Selbstrezension von 1782, verfasst kurz nach der Uraufführung, kritisiert Schiller die mangelnde Wirklichkeitsnähe seiner Figuren. Sie seien nicht nach der Natur, sondern nach Lektüreeindrücken entworfen. Der Räuber Karl Moor wie auch der Bösewicht Franz Moor seinen in Shakespearescher Manier konzipiert, für Karl seien darüber hinaus Grundzüge dem Plutarch und Cervantes entlehnt worden, und was die Gestaltung der Amalia betrifft, so sei zu bemerken, dass der Autor zuviel Klopstock gelesen habe. Unter der Voraussetzung, dass der Verfasser die Menschen überhüpft hätte, seien aber die Charaktere schließlich doch ganz übereinstimmend mit sich selbst durchgeführt.

EXPERIMENTALANORDNUNG

Tatsächlich, die Menschen, wie sie üblicherweise und im Durchschnitt sind, werden überhüpft, um ein Experiment mit Extremen anstellen zu können. Das Stück ist eine solche Experimentalanordnung für extreme Charaktere, die monströs einseitig aber folgerichtig das Prinzip ihrer Existenz zur Entfaltung bringen bis hin zu Katastrophe und insofern tatsächlich übereinstimmend mit sich selbst bleiben.

Karl Moor ist eine verirrte große Seele – ausgerüstet mit allen Gaben zum Fürtrefflichen und mit allen Gaben verloren, und Franz Moor ist der räsonierende Bösewicht, der seinen Verstand auf Unkosten seines Herzens verfeinert.

Der Räuber Karl ist Idealist, insofern er mit dem Enthusiasmus seines Herzens an eine gute, väterliche Weltordnung glaubt, und es bedarf nur einer einzigen narzisstischen Kränkung, um in ihm die Raserei einer Rache an der zerrütteten Weltordnung zu wecken.

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Franz ist Materialist, die Natur hat ihn schlecht behandelt, warum sollte er an ihre Güte glauben? Er fühlt sich in ein kaltes Universum geworfen, also wird er mit kaltem Verstand allein seinem Interesse folgen, das auf Herrschaft gerichtet ist: Ich will alles um mich her ausrotten, was mich einschränkt dass ich nicht Herr bin.

Der eine rächt sich an einer Welt von der er zuviel erwartet hat; der andere wütet in einer Welt, von der er nicht hält, und die ihn deshalb zu nichts verpflichtet. Zwei Extremisten: des entfesselten Idealismus der eine, des hemmungslosen Materialismus der andere. So sind die „Räuber“ die grandiose Kopfgeburt eines Mediziners, der mit philosophischen Ideen literarisch experimentiert. Die Räuber sind aber auch ein Stück mit dem der Autor sich und den anderen beweisen will, dass er beides vermag: Ideen in eine literarische Gestalt zu bannen und ein Publikum damit zu bezwingen. (...)

Die Literatur genießt das Privileg, den Extremismus des Menschenmöglichen vorführen zu dürfen, und Shakespeare wie auch Schiller machen reichlichen Gebrauch davon. (...)

AFFEKTERREGUNGSKUNST

Schiller gehörte nicht zu denen, die ein Werk schaffen, es der Öffentlichkeit übergeben und dann gelassen abwarten, was daraus wird. Er operierte stets an der Front der möglichen Wirkungen. Von dorther, vom Effekt, war seine Arbeit am Werk bestimmt. Schiller war kein Autor, der von innen kommt. er bewegte sich in der Gegenrichtung von außen nach innen. Wirkung war ihm alles, dem mussten sich Ausdrucksgehalt, Machart und Ideengehalt unterordnen. Der Grundsatz „hier stehe ich, ich kann nicht anders“ galt nicht für ihn. Er konnte anders, wenn es die größere Wirkung erheischte. Anfangs dachte er, man müsse, um die Wirkung zu erhöhen, mit der Tür ins Haus fallen; deshalb tritt Franz, was Schiller in der Selbstrezension später bemängelt, als fertiger Bösewicht auf, hier gibt es keine Entwicklung; Franz räsoniert über die Gründe seiner Bosheit, sie werden aber nicht vorgeführt. Bei Karl führt dieses mit der Tür ins Haus sogar zu einem Konstruktionsfehler. In seinem ersten Monolog zeigt er sich in äußerster Erregung, beschimpft das Kastratenjahrhundert, redet wie jemand, der bereits mit allem gebrochen hat, obwohl er doch soeben den Versöhnungsbrief an den Vater geschrieben hat und nun darauf wartet, als verlorener Sohn vom Vater in milder Liebe wieder aufgenommen zu werden. Auch wenn es nicht recht zusammenpassen will, so soll es doch eine polternde Wirkung tun. Das Drama ist für Schiller eine Affekterregungskunst, es kommt alles auf das virtuose Arrangement der Effekte an, das Theater – eine Maschine zur Herstellung großer Gefühle.

Aber hat Schiller seine „Räuber“ nicht auch, wie bereits angesprochen, als Experimentalanordnung für philosophische Ideen verstanden? Gewiss, aber wer experimentiert, beweist damit, dass er sich die Freiheit auch gegenüber den eigenen Ideen bewahrt, er probiert sie aus, spielt mit ihnen, testet ihre Wirkung. (...)

Aus: Rüdiger Safranski: Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus, München, Wien 2004