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Dreyfus Der Verbannte der Teufelsinsel Von Albin Werzner

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Dreyfus Der Verbannte der Teufelsinsel

Von Albin Werzner

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[U1]

DREYFUS DER VERBANNTE DER TEUFELSINSEL

ODER: ZOLA VOR DEN GESCHWORENEN

Sensationsstück in 5 Akten von Albin Werzner*

[U2]

{Bonesky 34}

Angefangen zu Schreiben Sonntag

den 6 November [1898] in Herold.

{Dreyfus}

{Bitte Buch sauber halten.}

* Albin Werzner: Dreyfus Der Verbannte der Teufelsinsel. Oder: Zola vor den Geschworenen. Sensa-tionsstück in 5 Akten Theaterwissenschaftliche Sammlung der Universität zu Köln / Schloss Wahn, Sign. 157. Handschrift. Format: 17,6 x 21,1 cm; hart gebunden. Transliteration: Meral Kico und Beatrix Müller-Kampel. Orthographie und Interpunktion wurden im Haupttext beibehalten, im Nebentext (Regieanweisungen) der leichteren Lesbarkeit und Verständlich-keit halber vereinheitlicht und vervollständigt. Mit Makron (Balken) markierte Gemination wird mit »[mm]« aufgelöst. Vom Schreiber nachträglich eingefügte Zeichen, Wörter und Satzteile sind zwischen »{ }« gesetzt. Durchgestrichener Text wurde so übernommen. © Mit freundlicher Genehmigung der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität zu Köln / Schloss Wahn.

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[1]

Erster Akt. – die Verhaftung.

PERSONNEN.

Alphons Dreyfus, Capitain im Kriegministerium.

Lucie, dessen Frau.

Eine Dame in Trauer.

Ein Offizier.

Ein Unteroffizier.

Lisette, Kammerjungfer.

Jean. Kasper, Diener bei Dreyfus.

Soldaten.

Zweiter Akt. – Der Abschied. Major Picquart.

Dreyfus.

Lucie.

Edgar beider Sohn 10 Jahr alt.

Zola, Schriftsteller.

Ein Unteroffizier.

zwei Soldaten.

Dritter Akt. – Esterhazy vor dem Kriegsgericht.

Esterhazy vor den Kriegsgericht.

Lucie, Dreyfus, Zolla, Lisette, Jean.

Vierter Akt: Zolla vor den Geschworenen. [2]

Präsident Delgorgun.

Vorsitzender des Kriegsgerichts.

General Staatsanwalt v. Cassel.

General Pellieux.

Oberst Picquart.

Major Esterhazy.

Emilie Zola.

Labori, sein Vertheidiger.

Lucie.

Dreyfus.

Medame de Boulancy.

Die Geschworenen.

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Fünfter Akt. – Auf der Teufelsinsel. Dreyfus.

Sergeant Kastellin.

Unteroffizier Menieur, seine Wärter.

Der erste Akt spielt im Oktober 1894, der 2te, 3te und 4te Akt spielt im Februar 1898 in Paris, der fünfte Akt auf der Teufelsinsel.

[3]

ERSTER AKT. DIE VERHAFTUNG

Eleganten Zimmer. LISETTE trit ein.

LISETTE. Schon 11 Uhr und immer noch läßt sich die gnädige Frau nicht sehen, sonst ist sie

schon um 9 Uhr wach und sieht, das alles in Ordnung ist, heute ist das ganze Haus wie

ausgestorben. Der gnädige Herr im Dienst und die gnädige Frau scheinen noch zu

schlafen. Die vornehmen Leute haben es doch gut, besonders die gnädige Frau. Der Herr

Hauptmann trägt sie auf den Händen und thut, was er ihr von den Augen absehen kann,

sie verdient es aber auch, eine solche Madam habe ich noch nicht gehabt. Da hört man

kein [4]

böses Wort. Sie scheint aber auch ihren Mann über alles zu lieben. Das findet mann bei

den vornehmen Herrschaften selten. Bei meiner vorigen Herschaft wars gerade das

Gegenteil, die sachen sich oft ganze Tage nicht, aber hier ist es, als ob sie noch in

Flitterwochen lebten. Ach! Wer doch auch erst so weit wär! – Jean der Diener des gnädigen

Herrn, schneidet mir allerdings gewaltig die Cour, ob er es aber auch ehrlich meint, das ist

die Frage, er ist ein zu großer Windbeutel. Nun, wir müssens abwarten, ists nicht der, ists

ein Anderer. Es eilt ja nicht, ich bin jung und kann warten.

KASPAR JEAN. Diener tritein Guten Morgen Lisettchen, so fleißig? [5]

LISSETE. Schon? Ich dächte, es wäre Zeit. – Heute schläft ja alles hier im Hause wie todt, das

ist doch sonst nicht der fall. Auf sie sind wohl erst aus den Federn gekrochen, da ich Sie

den ganzen Morgen noch nicht gesehen habe.

JEAN KASPAR. Oho, ich bin schon seit 6 Uhr auf den Beinen weil der Herr schon um 8 Uhr

in der den Dienst mußte.

LISETTE. Aber wo bleibt denn heute die gnädige Frau? Das ist man doch gar nicht gewöhnt,

daß sie so lange schläft?

JEAN KASPAR. Die gnädige Frau? Sie hat schon um [6]

9 Uhr mit dem kleinen Edgar das Haus verlassen.

LISETTE. Die gnädige Frau ist ausgegangen? Sie hat mich doch gar nicht zu sich gerufen,

JEAN KASPAR. Sie nahm hier mit dem Herr Hauptmann gemeinsam das Frühstück ein, dann

mußte ich ihr einen Wagen besorgen. Der Herr ritt fort und die gnädige Frau fuhr mit

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Edgar auch fort, wohin hat sie nicht gesagt. Da hab ich nun schnell einen kleinen Cognac

zu mir genommen, und mit meinen Freund ein wenig geplaudert.

[7]

LISETTE. Nun, so klein kann der Cognac doch wohl nicht gewesen sein, denn wenn man

von 9 bis 11 Uhr dazu braucht so kann das schon ein recht anständiger Cognac gewurden

sein, Ubrigens weiß ich i[mm]er noch nicht, weshalb die gnädige Frau so früh das Haus

verlassen hat.

JEAN KASPAR Ja, ich weiß es eben so wenig, vermuthlich ist sie zu ihren Eltern gefahren,

weil sie den Kleinen mitgenommen hat.

LISETTE. Das ist merkwürdig.

JEAN KASPAR. Allerdings. Soll ich Ihnen etwas sagen Lisette, [8]

LISETTE. Nun. Was hat es denn?

KASPAR. Ich glaube, es ist hier im Hause nicht alles in Ordnung.

LISETTE. Wieso denn?

KASPAR. Ich habe schon einige Tage bemerkt. das der gnädige Herr sehr schlechter Laune

ist, aber gestern Abend war es ganz aus, als ich ihn um Urlaub bat. Dann mußte ich die

gnädige Frau herüber bitten, – und zu mir sagte er, er sei für Niemand zu sprechen, wer es

auch sei, das war die ganze rede. [9]

LISETTE. Das ist aber wunderbar.

KASPAR. Es mochte wohl eine Stunde vergangen sein, als er eine Flasche Wein bestelle, dann

sagte er mir, ich könne auch ausgehen, solte ihn aber heute früh 6 Uhr wecken, als ich ihn

aber wecken wollte, saß er schon am Schreibtisch,

LISETTE. Das ist allerdings merkwürdig, aber ich weiß nicht warum wir uns den Kopf

darüber zerbrechen.

KASPAR. Das meine ich auch, lassen Sie uns lieber von unserer Liebe sprechen.

LISETTE. Von unsere Liebe? Das ich nicht wüßte, [10]

KASPAR. Na, ich denke wir.

LISETTE. Wir? Davon weiß ich ja gar nichts,

KASPAR. Lisettchen, verstellen Sie sich doch nicht. Sie wissen recht gut, daß ich Sie Liebe,

ich habe es Ihnen ja auch schon gesagt,

LISETTE. Ja, gesagt haben Sie es, aber ich glaube Ihnen nicht.

KASPAR. Und warum nicht.

LISETTE. Weil sie sich sonst mehr um mich kümmern würden, und nicht jede freie Stunde in

der Kneipe säßen [11]

und mit den Kellnerinnen charmirten.

KASPAR. Das ist nur auswendig! Inwendig, ich meine in meinen Herzen lebt nur Ihr Bild.

LISETTE. Nicht so dichte ran! Sie machen ja doch nur Unsinn!

KASPAR. Freilich ist’s ein Unsinn, die ganze Liebe ist Unsinn, wenn man nicht wieder geliebt

wird.

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LISETTE. Wer sagt Ihnen denn das?

KASPAR. Also wirklich, Sie sind mir gut, Sie lieben mich auch? [12]

LISETTE. Das habe ich nicht gesagt. Aber gut sein könnte ich Ihnen schon, wenn sie nicht

ein so großer Windbeutel wären,

KASPAR. Das ist auch nur auswendig. Glauben Sie mir, wenn Sie erst meine Frau sind, werde

ich der solideste Ehemann von der Welt,

LISETTE. Wir wollen’s abwarten,

KASPAR. Da bekomme ich jetzt wohl auch keinen Kuß, Lisettchen?

LISETTE. Warum nicht gar, so weit sind wir noch nicht, [13]

KASPAR. Aber wir werden so weit kommen

LISETTE. Ach was, so schnell geht das nicht

Es klingelt.

es klingelt, öffnen Sie doch!

KASPAR. Immer wird man in der besten Arbeit gestört. Ab

LISETTE. Es ist doch ein prächtiger Mensch! Seine kleinen Fehler werde ich ihm schon noch

abgewöhnen.

LUCIE trit ein. Elegant gekleidet.

LUCIE. Hat Niemand nach mir gefragt, während ich abwesend war.

LISETTE. Nein, gnädige Frau. [14]

LUCIE. Es ist gut, du kannst gehen!

LISETTE. Gnädige Frau sehen so erregt aus, befinden sie sich unwohl!

LUCIE. Ich danke dir, mein Kind, es ist nichts, ein wenig Kopfschmerz, ich habe die Nacht

schlecht geschlafen.

LISETTE ab.

Auch mein Vater konnte mir nicht rathend an die Hand gehen, wie ich meinen armen

Alphons beistehen und helfen kann. Täglich kommen anonyme Briefe, Warnungen,

Drohungen, ja so gar Verdächtigungen. Das Alles habe ich bisher still für mich getragen,

weil ich [15]

den guten nicht noch mit meinen Sorgen belästigen wollte. Ich weiß nicht, was ich denken

soll. Mein Mann sollte verschwinden, man trachte ihn zu verderben, andere beschuldigen

ihn, sich in geheime Verbindungen eingelassen zu haben, ja man droht ihm sogar, wie er

mir gestern Abend selbst gestand, mit dem Tod! – Mein guter Alphons, das ehrlichste

Herz von der Welt, es ist undenkbar. – Er dem die Ehre über alles geht? – Ich kann mir

denken, wie er leiden mag. Trug er es doch bis gestern Abend allein, daß nichts von all den

Dingen an mein Ohr gelange,

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als man ihm aber das schimpfliche. anerbieten machte zu fliehen, da glaubte er nicht länger

schweigen zu dürfen, weil er auch für meine Sicherheit fürchtete; daß ich von all den

Intriguen nichts wissen wollte, Aber was auch ko[mm]en mag, ich halte treu zu ihm in

guten, wie in bösen Stunden, nur unseren Knaben habe ich bei meinen Vater gelassen, da

wir selbst hier im Hause nicht mehr sicher sind. Ich weiß nicht, wer ihn verderben will,

aber es muß ein Todfeind sein, dem er im Wege steht, – Aber noch gibt es gerechtigkeit in

Frankreich, noch werden [17]

sich Freunde finden, die uns beistehen und die Pläne unserer Feinde zu Schande machen.

KASPAR. tritt ein Gnädige Frau, es ist eine Dame im Vorzimmer, die Sie zu sprechen

wünscht.

LUCIE. Wer ist es? Hat sie ihren Namen nicht genannt?

KASPAR. Nein, gnädige Frau, den wolte sie nur Ihnen sagen.

LUCIE. Wie sieht sie aus?

KASPAR. Sie scheint in Trauer zu sein.

LUCIE. [18]

Gewiß eine Bittende, lassen Sie sie ein.

KASPAR. Wie sie befehlen. Ab.

LUCIE. Ich bin selbst so unglücklich, daß ich gern Noth lindern mögte wo ich irgend kann.

Die DAME tritt ein verschleiert mit Brief.

DÁME. Verzeihen sie gnädige Frau, wen ich störe.

LUCIE. Mit wem habe ich die Ehre.

DÁME. Gestatten sie, daß ich ihnen meinen Namen verschweige.

LUCIE. Und womit kann ich dienen? [19]

Bitte wollen Sie Platz nehmen,

DÁME. Ich danke! Ich weiß nicht, wie ich beginnen soll – doch bitte sagen Sie mir, gnädige

Frau, es stört uns doch Niemand?

LUCIE. Sie sehen, Madam, wir sind allein.

DÁME. Ich habe Ihnen eine Mittheilung zu machen, die nur für Ihr Ohr bestimmt ist, bitte

meine Vorsicht nicht falsch zu deuten.

LUCIE. Nun bitte sprechen sie. Wir sind allein.

DÁME. Ich bin die Wittwe eines Offiziers [20]

und war wie sie, gnädige Frau, glücklich in der Liebe meines Gatten, doch unser glück war

nur von kurzer Dauer, mein Mann hatte das Unglück, einen seiner Vorgesetzten zu

mißfallen, weil der selbe glaubte mein Mann würde ihn durch seine Kenntniße überflügeln

und so bereitete er ihm alle möglichen dienstlichen Unannehmlichkeiten. suchte ihn zu

schaden, wo er nur konnte. Mein Mann konnte trotz aller Bemühungen, die Quelle nicht

ausfindig machen, der diese Ränke und Bosheiten entsprangen, da öffnete

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[21]

man ihm eines Tages die Augen, es kam zu einem heftigen Wortwechsel und schließlich

zum Duell, in dem mein Mann den Gegner leicht verwundete, aber damit hatte er die

Sache nur verschlimmert, man begnügte sich nun nicht mehr mit kleinen Mitteln, nein,

man klagte ihn schließlich des Verrates an, Mein Gatte, im Bewußtsein seiner Unschuld

verschmähte die Mittel und drang selbst auf eine Untersuchung, aber ehe die selbe richtig

begonnen hatte, fand man den Unglücklichen mit zerschmetterten Schädel.

LUCIE. O, mein Gott! [22]

DÁME. Man sprengte aus, mein Gatte habe sich selbst getödtet, um der Untersuchung zu

entgehen, aber der ärztliche Leichenbefund ergab auf das Bestimmtesten, daß er von

zweiter Hand erschossen war.

LUCIE. Das ist ja empörend, haben Sie dann keine Schritte unterno[mm]en um die Sache

aufzuklären?

DÁME.. Ich that alles, was in meinen Kräften stand, aber vergebens, uberall fand ich Mittleid.

man versprach mir auch Untersuchung der Angelegenheit. Die selbe ist [23]

aber im sande verlaufen, und dabei ist es bis heute geblieben.

LUCIE. Das ist unglaublich, – aber Madame, was kann ich dabei thun?

DÁME. Ich habe Ihnen das Alles erzählt, weil ich weiß, daß Ihrem Gatten ein gleiches

Schicksal droht.

LUCIE. Was sagen Sie!

DÁME. Die Wahrheit, ich war gestern Zeuge einer Unterredung zweier Offiziere, ohne daß

es dieselben ahnten, Man sucht Ihren Gatten zu verderben wie denn meinen, ja ich habe [24]

die Überzeugung, daß der Anschlag bis zur Vollendung gediehen ist und die Verhaftung

Ihres Gatten bevorsteht.

LUCIE. Das ist undenkbar, Wohl hat man durch anonyme {Briefe} mich auf die Gefahr

aufmerksam gemacht, aber ich habe die Sache von der Hand gewiesen, weil ich ihr keinen

Glauben beimaß.

DÁME. Ebenso thöricht haben auch wir gehandelt, o, ich habe es schon tausendmal bereut.

LUCIE. Ich kann es nicht glauben! [25]

Das es so ist.

DÁME. Ich kann Ihnen diesen Zweifel nicht verargen. Sie kennen mich nicht und ich kann

ihnen meinen Namen auch nicht nennen denn es steht für mich zu viel auf dem Spiel aber

meinen Beweiß kann ich Ihnen geben, hier dies Papier. Einer der Offiziere muß es

verloren haben. Ich fand es am Ort und Stelle der Unterredung.

LUCIE ließt es. Die Angelegenheit mit Dreyfus ist dem Abschluß nahe. Der Kriegsminister

zögert nur noch ihn verhaften zu lassen, weil er glaubt, [26]

Dreyfus würde sich durch die Flucht der Verhaftung entziehen, heute noch glaube ich die

Verhaftung durchsetzen zu können, thun sie nun auch des Ihrige, daß uns der Vogel nicht

entschlüpfen kann , nein das ist schändlich.

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DÁME. Die Ähnlichkeit unseres Schicksals bewog mich, obgleich ich Ihnen fremd, zu dem

Schritt, denn ich eben unternommen, und ich kann nur den wohlgemeinten Rath

hinzufügen, bewegen Sie Ihren Gatten, sich zu retten, wen es noch Zeit ist. Und nun bitte

ich mich empfehlen zu dürfen, [27]

LUCIE. Wie soll ich Ihnen danken, gnädige Frau.

DÁME. Es bedarf keines Dankes, mein schönster Lohn würde sein, wenn es ihrem Gatten

gelänge zu fliehen, oder den Anschlag seiner Feinde zu vernichten, Leben sie wohl, und

mag Gott Ihnen mehr Gnade schenken als mir.

Ab. LUCIE alleine.

LUCIE. Leben Sie wohl, aber mein Gott was soll ich beginnen? Wo finde ich meinen Gatten?

Wie soll ich ihm diese Kunde zustellen – wenn es nicht gar schon zu spät ist heda Jean.

{Ab Brief anmachen.} KASPAR tritt ein.

[28]

KASPAR. Gnädige Frau sie befehlen?

LUCIE. Wissen sie nicht wo mein Gatte heute zum Dienst befohlen ist.

KASPAR. Nein, gnädige Frau.

LUCIE. Hat er Ihnen auch sonst nichts befohlen.

KASPAR. Nein, gnädige Frau.

LUCIE. Bestellen sie mir einen Wagen, aber schnell.

KASPAR. Zu befehl gnädige Frau. Ab.

LUCIE. Die Angst raubt mir die Sinne. Wenn ich zu meinen Vater [29]

führe, vielleicht könnte der rathen, aber was kann währendem hier alles geschehen? O,

Herr Gott, steh du mir bei in meiner Noth, laß mich nicht verzweifeln, und hilf meinen

Gatten, daß er seinen Feinden nicht er liege.

LISETTE. tritt ein, Befehlen Sie etwas gnädige Frau,

LUCIE. Wenn mein Gatten ko[mm]t, so sagst du ihm, ich wäre bei meinen Vater, er möge

ohne Verzug mir nachkommen, die größte Eile wäre nöthig, hörst du?

KASPAR trit ein.

KASPAR. Der Wagen ist vorgefahren, [30]

auch ist der gnädige Herr gleich in den hoch geritten.

LUCIE. Dann kannst du den Wagen wieder abbestellen sagt meinen Gatten daß ich ihn

sofort hier erwarte.

LISETTEN. KASPAR ab.

LISETTE, KASPAR. wie sie befehlen.

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LUCIE. O Gott ich danke dir, du hast mich erhört! Vielleicht ist doch noch Rettung möglich.

Wenn ich mir die rechten Worte finde, ihn zu bewegen, daß er flieht, aber ich glaube, es

wird mir schwer gelingen.

DREYFUS trit ein in Uniform.

DREYFUS. Da bin ich, Lucie. Aber was ist dir? In welcher Aufregung bist du? [31]

LUCIE. Gott sei dank daß ich dich wieder habe!

DREYFUS. Beruhige dich nur, mein Herz, du brauchst nichts fürchten, wenn mich auch

feindselige Menschen verläumden, Ich habe mir nichts vorzuwerfen, und scheue eine

Untersuchung nicht, denn die selbe muss mein vollständige Schuldlosigkeit beweisen es

thut mir leid, daß ich dir gestern in einem Anfall von Schwäche die Sache mitgetheilt habe.

LUCIE. Das ist es nicht. Nicht Befürchtungen hege ich mehr, nein ich [32]

habe die Gewißheit, daß man dich verderben will, und darum flehe ich dich an, fliehe so

lange es noch Zeit ist. Hier lies, und dann sage mir, ob du noch zögern kannst, meine Bitte

zu erfüllen .

DREYFUS ließt. Wie bist du zu diesen Brief gekommen?

LUCIE. Eine Dame hat ihn mir gebracht, die mir mittheilte, daß sie das Gespräch zweier

Offiziere mit angehört, die sich gegen dich verschworen, wobei sie jeden fals den Brief

verloren haben., [33]

DREYFUS Und diesen Märchen glaubst du?

LUCIE. Gewiß, die Frau log nicht.

DREYFUS. Dich hat eine Abentheuerin getäuscht, die irgend einen selbst süchtigen Zweck

verfolgt.

LUCIE. Nein, ich schwöre dir, die Frau log nicht, das war der Ton der List und Verstellung

nicht.

DREYFUS. Nun gut, angenommen, ich schenkte dem Allen Glauben, meinst du, ich werde

auch nur den kleinsten Schritt thun, mich einer Untersuchung zu entziehen? [34]

LUCIE. Ich flehe dich an, ni[mm] es nicht so leicht, deine Freiheit, ja vielleicht dein Leben

steht auf dem Spiel.

DREYFUS. Mein theueres Herz, du bist in einer krankhaften Erregung. Und wen ich nun

deinen Rathe folgte und das Land verließe, was wäre denn dadurch gebessert? Meine ganze

Zukunft wäre vernichtet. Was habe ich zu fürchten? Noch giebt es Recht und

Gerechtigkeit und diese Intriguen müssen aufgedeckt werden, den es ist nur der Neid, weil

ich ihm im Avance- [35]

ment übersprang. Bis {jetzt} tappe ich im Dunkeln, aber seit heute Morgen kenne ich den

Biedermann, und Glaube mir, so wahr ich lebe, ich werde diesen Buben züchtigen, wie er

es verdient.

LUCIE. Und wenn er dich im Zweikampf tödtet, was wird aus mir – aus deinem Kinde?

DREYFUS. Lucie, du bist das Weib eines Soldaten, die Ehre steht über Weib und Kind! –

Aber fürchte nichts, mir sagt eine innere Stimme, ich werde siegreich

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[36]

das Feld behaupten.

LUCIE. Wenn ich dich so sprechen höre, so manhaft, so edel, dann hebt sich mein Mut. Ich

kann und darf dir dann nicht Unrecht geben, aber mit Zittern und Zagen sehe ich der

Zukunft entgegen. Wenn es dann sein muß, kämpfe für deine Ehre, du wirst mich bis zum

letzten Athemzug an deiner Seite finden.

DREYFUS. So ist es recht, mein muthiges Weib! Ich werde heute noch die Untersuchung

gegen mich selbst beantragen, was auch [37]

kommen mag, wir wollen es getrost erwarten.

Stimmen von außen. Halt. Ein OFFIZIER tritt ein.

OFFIZIER. Herr Hauptmann Dreyfus, Sie sind mein Gefangener!

DREYFUS. Auf wessen Befehl?

OFFIZIER. Auf Befehl des Kriegsministers, hier ist der schriftliche Haftsbefehl, ich bitte

jeden Widerstand aufzugeben, es wäre nutzlos, denn ich habe die strengste Ordre.

DREYFUS. Und der Grund meiner Verhaftung

OFFIZIER. [38]

Der steht im Haftbefehl.

Zeigt ihm den Brief. DREYFUS ließt.

DREYFUS. Als Vaterlandsverräther und Spion!

LUCIE. Das ist unmöglich!

DREYFUS. O, diese Schmach! Es ist empörend!

OFFIZIER. Gnädige Frau, es thut mir leid, aber meine Pflicht –

DREYFUS. Thun sie Ihre Pflicht, aber protestire gegen diesen Gewaltstreich! Leb wohl mein

Weib, sei mutig, und trage das Unvermeidliche mit Geduld. [39]

OFFIZIER. Ich muß sie noch bitten, gnädige Frau, dieses Zimmer zu verlassen, da ich den

Befehl habe, hier einen Posten stehen zu lassen, bis sämmtliche Papiere in den Händen der

vorgesetzten Behörde sind, die sofort die nötigen Schritte einleiten wird.

DREYFUSS Leb’ nochmals wohl, ich schwöre dir beim Leben unseres Kindes, daß ich

unschuldig bin an dem mir zur Last gelegten Verbrechen.

LUCIE. Und ich schwöre dir, daß ich nicht ruhen noch rasten will, ehens [40]

mir nicht gelingt die Intriguen aufzudecken und den Schändlichen zu entlarven, dessen

Opfer wir sind, Gott gebe dir Kraft, geliebter Mann, das Unvermeidliche mit Würden zu

tragen,

DREYFUS. Nun mein Herr, thun sie Ihre Pflicht, ich stehe zu Ihren Diensten, Ich gebe

meinen Person in Ihre Hand, meine Ehre kann mir niemand rauben, wenn sie mir auch

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jetzt Bubenhände besudeln, so wird doch der Tag kommen wo ich wieder frei das Haupt

erheben darf treu der Losung: „Mit Gott für Vaterland

[41]

und Ehre“.

Der Vorhang fällt schnell.

ZWEITER AKT. DER ABSCHIED

Kerker.

DREYFUS blaß. Degradiert! Beschimpft! – Entehrt – ausgestoßen aus der menschlichen

Gesellschaft! Und ich lebe noch. Kann noch leben? O, Herz warum stehst du nicht still?

Warum ist mir die Wohltat des Wahnsinns versagt? Hundertmal [42]

schon hätte ich das fie berhaft brennende Haupt an die sen Kerker Mauern zerschmettert,

wenn nicht die Hoffnung in mir lebte daß meine Unschuld doch an den Tag kommen

muß. Und ich meinen Sohn wenigstens den unbefleckten Namen verhalten kann. Und

wofür Alles? Warum diese Qualen? Ich weis es nicht! Wie klammerte ich mich an den

Gedanken an, daß das Kriegsgericht mich frei sprechen müsse, denn man konnte keinen

Beweis für meine Schuld erbringen, bis eines Tages der falsche Brief meinen Richtern

vorgelegt wurde, Meine Hand- [43]

schrift war gefälscht, vergebens berief ich mich auf Schriftsachverständige, sie erklärten

den Brief für echt, entweder waren sie bestochen, oder sie waren unfähig, ein Urteil

abzugeben. Jetzt wußte ich das mein Schicksal besiegelt war, daß man mich verderben

wollte. Schließlich hoffte ich noch milde Richter zu finden – vergebens. Man ließ mich die

volle Strenge des Gesetzes fühlen für ein Verbrechen, daß ich nicht begangen, O, welche

Qual liegt in dem Bewusstsein unschuldig verurtheilt zu sein. Der entsetzliche Tag kam, an

dem man mich [44]

unter Trommelwirbel, angethan mit allen Zeigen meiner Charge vor die versammelte

Mannschaft meines Regimentes führte, an dem ich mich im Kreise alter Kameraden nur

noch als ein Geächteter sah. Wohl bemerkte ich in manchem Auge Theilnahme, ich sah

aber auch die Schadenfreude im Gesicht jenes Elenden dem ich all das zu verdanken hatte.

Als man mir Ehreketten von der Schulder riß, den Degen zerbrochen vor die Füße warf.

Da konnte ich nur noch lallen: „ Ich bin unschuldig!“ Trommelwirbel erstickte meine

Worte und willen [45]

los ließ ich alles mit mir geschehen. Ach was habe ich gelitten! Und doch ab es noch ein

Herz, das ebenso litt, das Herz meines armen Weibes, das in Verzweiflung mit Gott

haderte, als es die entsetzliche Kunde vernahm. Wie habe ich gebeten, mir eine Kurze

Unterredung mit ihr zu gestatten. Auch diese Wohlthat ward mir versagt. Nicht in Ihr

treues Auge durfte ich blicken, und Trost finden durch einige theilnehmende Worte aus

Ihren Munde. Ist sie doch auser Einem wer mag der Edle sein, der seine Stimme für mich

gab,

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[46]

das einzige Wesen auf dieser Welt, das nicht an meine Schuld Glaubt! O, Lucie! Schließe

ihn stets in dein Gebet! Selbst meine Familie beginnt zu zweifeln! Vorbei – alles vorbei!

Hier habe ich noch ihren letzten Brief das einzige Heiligthum was ich besitze. Harre aus

und baue auf mich, “ sind die letzten Worte, die sie schrieb. – Ja ich will ausharren, ich will

meinen Feinden den Triumph meines Selbstmordes nicht gönnen. So lange ich athme

müssen sie in Furcht und bange leben, daß ihre Schurkerei entdeckt wird, und meine

Unschuld an den Tag kommt. [47]

PIRQUART tritt ein.

MAJOR. Strafgefangener Dreyfus.

DREYFUS. Hier bin ich.

MAJOR. Ich habe ihnen eine Mittheilung zu machen, eine Verfügung der Regierung bekannt

zu geben.

DREYFUS. zu Befehl.

MAJOR. Sie wissen, daß sie zur Deportation nach den Strafkolonien verurteilt sind. In 24

Stunden soll ihre Überführung erfolgen.

DREYFUS. O, mein Gott! [48]

MAJOR f. sich. Der Armste. Wie schwer wird mir doch hier die Pflicht. Laut. Ich habe Ihnen

noch auszurichten, daß sie allein auf der Teufelsinsel interniert werden, und nichts, als was

Sie auf dem Leibe tragen, mitnehmen dürfen.

DREYFUS. Also lebendig begraben!

MAJOR. Haben sie nun noch einen Wunsch, so sprechen Sie ihn aus, wenn es in meiner

Macht steht, denselben zu gewähren, so nehmen Sie die Versicherung, daß es geschieht. [49]

DREYFUS. Ich danke Ihnen, Herr Major, wäre es nicht möglich, einige Worte mit ihnen zu

sprechen?

MAJOR. Es ist zwar gegen die Vorschrift, doch es sei – ich übernehme die Verantwortung,

sprechen sie.

DREYFUS. Ich danke Ihnen, jetzt weiß ich auch, welcher edle Menschenfreund es war, dessen

einzige Stimme zu meinen Gunsten Lautete, während alle anderen mich verurtheilten.

MAJOR. Darüber dürfen wir nicht sprechen, [50]

das dürfte Ihnen wohl bekannt sein.

DREYFUS. Ich weiß es und dennoch bitte ich Sie, wenn Sie etwas erfahren was mir nutzen

könnte, theilen Sie es meinen Weibe mit, da Sie an mich selbst schwerlich Mitteilungen

gelangen lassen können, und nehmen Sie auf mein Ehrenwort – verzeihen Sie, ich vergaß –

daß ich keine Ehre mehr habe, nehmen Sie die nochmalige Versicherung, daß ich an dem

mir zur Last gelegten Verbrechen so unschuldig bin, wie die liebe Sonne.

MAJOR. Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen

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[51]

nichts darauf erwiedere, brechen wir ab, und theilen Sie mir alle etwaigen Wünsche mit.

DREYFUS. Nur einen Wunsch habe ich, ich würde mein Weib und mein Kind noch einmal

sehen und umarmen, ehe ich scheide, bin ich doch ein Sterbender, nein ich bin mehr als

das – ich werde lebendig begraben, – und da ich sonst nichts mit mir nehmen darf, so

würden Sie mich unendlich glücklich machen, wenn ich das kleine Bild meiner Familie mit

mir nehmen dürfte, das auf meinen Schreibtisch steht.

MAJOR. [52]

Auch das ist nicht gestattet. Es heißt ausdrücklich – nichts ist dem Gefangenen zu

belassen, wie die Kleider, die er auf dem Leibe trägt – Doch ich will ihre Gattin

Anweißung geben, daß sie es Ihnen mitbringt, es ist ja kein Luxusgegenstand.

DREYFUS. So werde ich also meine Lucie noch einmal sehen – und meinen Knaben.

MAJOR. Ich habe diese Bitte vorausgesehen und Ihre Gemahlin verständigen lassen, Sobald

sie kommt, werde ich sie zu ihnen führen.

DREYFUS. [53]

Ich danke ihnen, Herr Major, sie geben mir durch Ihre edle Handlungsweise das Vertrauen

zur Menschheit wieder. Mag der Herr dort oben Ihnen diese Wohltat vergelten.

MAJOR. Sonst haben Sie nichts auf dem Herzen?

DREYFUS. Nein, Herr Major, ich habe abgeschloßen mit Gott und allen Menschen.

MAJOR. So lasse ich Sie dann, mag der Allgütige Sie in seinen Schutz nehmen. Tragen Sie den

Kopf oben, blicken Sie dem Schicksal fest ins Auge und vertrauen Sie Ihren Freunden, [54]

Wes ich zur Milderung Ihrer Lage beitragen kann, soll geschehen und sollte der Tag der

Freiheit für sie kommen, so glauben sie mir, daß ich mich herzlich darüber freuen würde.

Ab. Pause.

DREYFUS allein. So ist denn das Schauspiel zu Ende, und der Vorhang kann fallen, über eine

Comödie, wie sie die Welt noch nicht erlebt. – und ich will hoffen, auch nie wieder erleben

wird. Glück und Feinden meiner Familie in Trümmer, versunken das Dasein eines

Menschen in ewige Nacht infolge eines Bubenstreichs, aber ich gebe die Hoffnung [55]

nicht auf. Daß mein Name doch eines Tages wieder hell erstrahlen wird, gereinigt von aller

Schmag die ihm anhaftet, denn ich habe noch Freunde. Wenn die selben auch jetzt zu

schwach sind, gegen die Übermacht meiner Feinde anzukämpfen, so ändern sich doch die

Zeiten, und wenn auch mein Leib in Staub zerfallen ist, kann doch mein Sohn im Besitz

eines ehrlichen Namen stolz das Haupt erheben, Trotz dem er Jude ist. Sind wir ächte

Kinder eines Vaters, lebt nicht auch in unserer Brust das Gefühl für Ehre und Pflicht.

Wehe jenen, [56]

die durch Unverstand, Neid und Unduldsamkeit die Bewegung herauf beschwören, als

deren Opfer auch ich falle, hat doch schon der große Dulder auf dem Kaiserthron

Deutschlands diese Bewegung als eine Schmach unseres Jahrhunderts bezeichnet! Man

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ko[mm]t, – sollte es meine Lucie sein. O, wie schlägt mein Herz ihr entgegen. Doch nein,

es sind Männer Stimmen.

ZOLA und MAJOR treten ein.

MAJOR. Hier finden Sie den Gefangenen Dreyfus, ich kann Ihnen aber nur eine Unterredung

von zehn Minuten [57]

gestatten und auch nur in meiner Gegenwart.

ZOLA. Ich danke Ihnen, Herr Major, würde Ihnen aber noch dankbarer sein, wenn Sie mir

die Unterredung ohne Zeugen gestatten würden. Nicht, daß ich Dinge mit dem Herrn zu

besprechen hätte, die Sie nicht hören dürften, aber ich möchte nicht, daß sie Herr Major in

die Lage versetzt würden, gegen Ihre vorgesetzten Behörde zeugen zu müssen. Ich strebe

darnach, Thatsachen hierbei zu schaffen, die eine Refision dieses Processes ermöglichen,

da ich von der Schuld des [58]

Herrn Dreyfus lange nicht so überzeugt bin, wie sein Richter.

MAJOR. Nun wohl, da ich der selben Meinung bin, wie ich Ihnen offen bekenne, will ich

Ihren Wunsch unter der Bedingung erfüllen, daß Sie mir Ihr Ehrenwort geben, Herr Zola,,

daß Sie dem Gefangenen weder Mittel zur Flucht, noch Waffen oder Gift verschaffen, und

diese Unterredung nur zur Information über gewisse dunklen Punkte des Processes dienen

soll.

ZOLA. Gut, Herr Major, ich gebe Ihnen [59]

mein Ehrenwort,

MAJOR. So lasse ich sie allein, nützen sie die Zeit {aus} 10 Minuten sind bald vorüber. Ab.

ZOLA. Mein Name ist Zola, Ich bin Schriftsteller, mein Herr, Sie kennen mich jedenfalls den

Namen nach und werden fragen, was mich, ein Ihnen gänzlich fremder Mensch, zu dieser

Einmischung in Ihre Angelegenheiten berechtigt,

DREYFUS. Wohl ist mir Ihr Name bekannt, und welchen gebildeten Menschen wäre er es

nicht. Aber ich glaube [60]

Ort und Zeit ist schlecht für Complimente geeignet. Also bitte, mit was kann ich dienen!

ZOLA. Ich habe den Verlauf Ihres Processes mit inniger Theilnahme verfolgt und bin mit

vielen hunderten {der} Überzeugung, daß Ihnen in allen Punkten Unrecht geschehen ist.

DREYFUS. Ich danke Ihnen für diese Theilnahme, aber kann die Bethätigung der selben an

meinen traurigen Geschick was andern?

ZOLA. Vielleicht doch! Wenn auch nicht sofort, dann später! Haben Sie [61]

Vertrauen zu mir. Ich bin durch aus nicht willens, Ihr Schicksal zu einem Roman .zu

verwenden, wie Sie anzunehmen scheinen, nein, ich halte es für meine Pflicht, in Ihr

dunkles Verhängnis Licht zu bringen, und die Personen, die an Ihren Sturze gearbeitet

haben, zu entlarven. Sagen Sie mir vor allen Dingen, ist es war, daß man sie auf ein

Schriftstück hin verurtheilt hat, das den Beweis geliefert haben soll, daß Sie einer

auswärtigen Macht gewisse Militärische Geheimnisse verrathen hätten, die nur Sie gekannt

hätten? Die nur Sie gekannt haben konnten?

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[62]

DREYFUS. Man hat bei meiner Verhaftung meinen Schreibtisch versiegelt, in meiner

{Wohnung} Haussuchung gehalten, und alle Papiere beschlagnahmt hat aber nichts

entdeckt, was auch nur einen Schein von Beweis für die Anklage gebracht hätte, erst als

alle Mittel erschöpft waren, brachte man das Bordereau zum Vorschein, das Ganze ist wie

gesagt, eine Fälschung.

ZOLA. Haben den die Sachverständigen die Schrift nicht als Ihrige anerkannt?

DREYFUS. Gewiß. Aber was will das sagen bei der ausgesprochenen Absicht [63]

mich verderben zu wollen. Es ist ja auch ein im unding mir eine solche Naivität zu

zutrauen, ein solches Schriftstück, wenn ich je ins Besitz desselben gewesen wär, im

Schreibtisch auf zu bewahren, statt es zu vernichten.

ZOLA. Das ist auch meine Meinung. Warum hat ihr Vertheidiger aber nicht dagegen

protestiert, daß Sie auf ein so unsicheres Beweisstück hin verurtheilt werden konnten.

DREYFUS. Mein Vertheidiger konnte nicht, protestiren, denn er hatte das schreiben ebenso

wenig gesehen wie ich.

ZOLA. [64]

Das ist aber die größte Ungesetzlichkeit, die je vorgekommen ist.

DREYFUS. Es ist nicht die einzige, die mir zugefügt worden ist. Allerdings die schlimmste.

Man wollte mich eben schuldig finden, und da war jedes Mittel recht.

ZOLA. Das ist ja ein Justizmord!

DREYFUS. Es ist mehr als das. Hätte man mich erschossen, so wäre die Tragödie zu Ende

gewesen. Aber man begräbt mich lebendig auf einer öden Insel, auf der ich im Brande der

Sonne nach und nach zu grunde gehen muß [65]

in unsägliche Qual, man raubt meinen armen Weibe den Trost, eine Todten beweinen zu

können. Nachdem man mir jeden Rest von Ehre genommen hat, begräbt man auch die

Zukunft meines Sohnes und verschließt ihm jede Laufbahn er mußte denn seinen

Vaterlande den Rücken kehren. Mann vernichtet nicht nur mich nein, auch meine ganze

Familie.

ZOLA. Wahr! nur zu wahr! Aber Glauben Sie mir, daß ich Hab und gut, ja selbst Freiheit und

Leben daran setze, und nicht ruhen will, bis ich die Gemeinheit entlarvt, und Ihrer

gerechte {Sache} zum Siege verholfen habe.

[66]

DREYFUS. Wie soll ich Ihnen danken, mein Herr. Die Worte fehlen mir, – blicken Sie mir ins

Auge. Wollen Sie aber Ihrer Großmuth die Krone aufsetzen, so nehmen Sie sich meines

unglücklichen Weibes meines verlassenen Kindes an!

ZOLA. Das verspreche ich Ihnen, Herr Hauptmann!

DREYFUS. Hauptmann? : Der Hauptmann Dreyfus ist Tod. Sein Degen zerbrochen.

ZOLA. Aber der Hauptmann Dreyfus wird wieder auferstehen, und der Degen führen, seinen

Feinden zum Trotz!

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[67]

MAJOR tritein.

MAJOR. Herr Zola, die Zeit ist um, die ich Ihnen gewähren konnte, und ich muß Sie bitten

diesen Ort zu verlassen.

ZOLA. Ich bin zu Ende, Leben Sie wohl Herr Dreyfus, bauen Sie auf Gott und Ihre Freunde!

Auf Wiedersehen, auf frohes Wiedersehen zu besserer Zeit in der Sonne der Freiheit, im

Glanze unserer Ehre.

Mit MAJOR ab. DREYFUS allein.

DREYFUS. Auf Wiedersehen –––? Ich glaube für mich giebt es kein Wiedersehen mehr, aber

wie es auch sei, ich nehme doch die Zuversicht, daß meiner Lucie treue Freunde zur Seite

stehen, [68]

und so kann ich beruhigter meinen grausamen Schicksal entgegen gehen, weiß ich doch

Weib und Kind in sicherer Obhut.

MAJOR tritt ein.

MAJOR. Gefangener Dreyfus, eine Dame wünscht euch zu sprechen. 10 Min= sind erlaubt.

Ab. LUCIE und sein Sohn EDGAR treten ein. DREYFUS geht auf sie zu.

DREYFUS. Lucie, mein Herz, Edgar, mein Sohn!

LUCIE. Mein armer Alphons – so müssen wir und wieder sehen!?

EDGAR. Papa, mein guter Papa!

DREYFUS. [69]

Meine Lieben! Hört mich an, Lucie, Weine nicht! Die Zeit ist kurz, und nun höre das

Vermächtnis eines Sterbenden!

LUCIE. Sprich nicht so, ich habe die feste Zuversicht, daß unsere Trennung nur eine kurze ist

und wir uns bald im wieder gewonnenen Glück im Sonnenschein meiner Ehre wieder

sehen werden.

DREYFUS. Das steht in Gottes Hand. – Ich fürchte, für uns giebt es kein Glück mehr auf

der Welt, das ist für uns begraben, für immer. Doch laß uns von der Zukunft sprechen.

Wirst du es ertragen können dieses Leben, [70]

an einen Ehrlosen gekettet zu sein, an einen Verbrecher, den die menschliche Gesellschaft

ausgestoßen, geächtet, gebrandmarkt hat, dessen Schande auch auf dein schuldloses Haupt

fällt. Das Gesetz giebt dir das Recht, dich von mir zu trennen und den schmach bedekten

Namen von dir zu werfen – und ich könte dir es nicht verdenken, wenn du es thätest.

LUCIE. Daß ist dein Ernst nicht, diese Worte kommen nicht aus deinen Herzen. Hab ich

nicht gelobt in gutem wie in bösen Stunden dein Geschick zu theilen! Ein Märtyrer [71]

bist du, aber kein ehrloser, kein Verbrecher, wenn ich dein Weib an dir zweifeln könnte,

verdiente ich nicht, geboren zu sein, dein bin ich im Leben wie im Tode, wie du mein bist

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für Zeit und Ewigkeit. Liegt unser Glück auch jetzt in Trümmern – reißt uns auch des

Schicksals reiche Hand von einander, aus meinen Herzen wird dich nichts reißen, wie ich

weiß, daß ich stets in deinem Leben werde.

DREYFUS. O, habe Dank, innigen heißen Dank für deine treue Liebe. Wie sich nun auch

mein ferneres Dasein gestalten möge, ich gehe gefast der dunklen

[72]

Zukunft entgegen, weiß ich doch, daß hier Herzen für mich schlagen, und unsere Liebe

wird allen Haß und alle Bosheit überdauern.

EDGAR. Auch ich mein lieber Papa, will alle Tage zum lieben Gott beten, daß er dich uns

bald wiedergeben möge.

DREYFUS. Mein Edgar! Der Allgütige nehme dich in seinen Schutz. Sei deiner Mutter

gehorsam, halte auf Ehre und ein reines Gewissen, damit du den jetzt in den Staub

getretenen Namen deines Vaters wieder zu Ehren bringst und mit frohem Bewusstsein

deinen Feinden [73]

dereinst beweisen kannst, daß auch in der Brust des Juden ein Herz für alles Gute und

Edle schlägt! Nun laßt uns Abschied nehmen; ob für diese oder jene Welt, das stelle ich

dem Allmächtigen anheim. Denket meiner, wie meine Gedanken euch stets suchen und auf

allen Wegen begleiten werden.

LUCIE weint. So lebe wohl, und da ich dir nicht folgen darf, wie ich so gerne mögte, so

{nimm mein} einen einzigen Andenken, das ich dir geben darf, mein Bild und das deines

Sohnes. Unser Geist wird dich stets umschweben und unsere Gebete werden zum Thron

des [74]

Allmächtigen dringen, daß er dir Muth und Kraft geben möge, dein unverdientes schweres

Geschick mit Würde zu tragen.

EDGAR. Auch, ich mein Vater, will dir beim Scheiden das einzige geben, was ich darf, es ist

eine Locke meines Haares, Ich gelobe dir, deine Lehren treu zu befolgen und ein

gehorsamer Sohn zu sein. Ich will den Namen, den du mir gegeben, treu bewahren und ihn

nie durch eine schlechte That beflecken.

Stimme von außen.

STIMME. Es wird Zeit. Trent euch.

DREYFUS. [75]

So lebt wohl, habt Dank für eure Liebe Lebt Wohl, auf wieder sehen, hier oder dort! –

LUCIE. Auf Wiedersehen, mein Alphons. Der Herr sei mit dir auf allen deinen Wegen.

{Knien.}

EDGAR. Vater, mein Vater, behalte uns lieb.

Umarmung Flame.

DREYFUS kniet. Lebt alle wohl.

Während dessen fällt der Vorhang.

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DRITTER AKT

Esterhazy vor dem Kriegsgericht – Zimmer bei Frau Frau Dreyfus – LUCIE in Trauerkleider.

[76]

LUCIE. Wie langsam doch die Stunden schleichen, wenn man mit Ungeduld etwas erwartet.

nein nein! Mit Sehnsucht, mit Bangen! Stehe ich doch abermals vor einen Wendepunkt

meines Lebens und in wenigen Stunden muß es sich entscheiden, ob mir noch ein Glück

erblühen soll, oder ob ich dieses traurige Dasein schleppen muß bis die Lebensuhr

abgelaufen. Was habe ich in den drei Jahren alles erlebt, seitdem mein unglücklicher Gatte

auf der einsamen Teufelsinsel schmachtet. Wie habe ich gekämpft und gerungen, um

immer neue Beweise für seine Unschuld zu [77]

sammeln, Mit welcher Treue mit welcher Aufopferung hat mir der edle Menschenfreund

Zola zur Seite gestanden, bis es uns endlich gelungen ist, im Verein mit dem ritterlichen

Picquart, der Stellung und Ansehen auf das Spiel gesetzt – die Beweise in die Hand zu

bekommen, daß Esterhazy der Urheber des Complottes und der Schreiber jenes

Schriftstückes ist, das dem Kriegsgericht am 23 Dezember 1894 vorgelesen, das zur

Verurteilung meines armen Mannes geführt hat. Der direkten Anklage zola’s ists gelungen,

den Kriegsminister zu zwingen, Esterhazy vor ein zweites Kriegsgericht zu stellen, das

heute der [78]

Spruch fällt und damit auch über das Geschick meines Gatten entscheidet. Wenn ein

Funke Gerechtigkeit zu finden ist, so müssen die Verhandlungen zur Verurteilung

Esterhazy’s führen, denn die beigebrachten Urkunden, vor allen die Briefe, die der Schurke

geschrieben, beweisen zur genüge, daß Esterhazy der Verfasser jenes Schriftstückes ist.

Mein armer Alphons wüßtest du, wie nahe die Entscheidung ist, daß wenige Stunden dir

die Freiheit wiedergeben müssen. Wenn aber die Bosheit abermals siegt, wenn Esterhazy

freigesprochen wird, dann bleibt [79]

mir keine Hoffnung mehr, dann bleibt mir nur noch die freudige Pflicht, dein Loos. zu

theilen, und mich auf dem einsamen Felsen der Teufelsinsel mit dir begraben zu lassen.

LISETTE tritt ein.

LISETTE. Gnädige Frau verzeihen, wenn ich störe, ich wollte nur fragen, ob ich den Kaffee

bringen soll,

LUCIE. Nein, Lisette, ich kann nichts genießen, mir ist die Kehle wie zugeschnürt.

LISETTE. Aber gnädige Frau haben den ganzen tag noch nichts genossen, Sie machen sich zu

krank.

LUCIE. Wüßtest du wie betrübt der Mensch ist,

[80]

wenn die Seele leidet, du würdest mich nicht so quälen.

LISETTE. Bedenken sie doch, gnädige Frau, was aus dem armen Edgar werden soll, wenn sie

schließlich auch noch krank werden,

LUCIE. Sei unbesorgt, ich habe schon mehr ertragen, als dies, und bin nicht erlegen.

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LISETTE. Weine arme gnädige Frau, vielleicht ist die Zeit der Trauer bald vorüber, wo der

gnädige Herr zurückkehrt.

LUCIE. Also glaubt man endlich, daß mein [81]

armer Gatte unschuldig ist!

LISETTE. Jean erzählte mir heute Morgen, daß ein ehemaliger Unteroffizier gestern Abend

im Restaurant nebenan geäußert habe, wenn er nur reden dürfe, er könne beweisen, daß

Esterhazy und ein anderer Offizier sich verschworen hätten, dem gnädigen Herrn zu

erschießen, wenn ihn das Kriegsgericht freigesprochen hätte.

LUCIE. Und wer ist der andere Offizier.

LISETTE. Das hat der Man eben nicht gesagt, er sei damals als Ordennanz bei Esterhazy

gewesen und habe im Vorzimmer alles gehört. [82]

LUCIE. Wo ist Jean –? er muß mir diesen Man herbeischaffen, koste es was es wolle.

LISETTE. Er ist ausgegangen, muß aber gleich wieder kommen,

LUCIE. Schicke mir ihn, sobald er kommt.

LISETTE. Gewiß gnädige Frau, das werd ich thun. Ab.

LUCIE. Es ist kaum zu glauben, daß menschliche Bosheit so weit gehen kann. Und warum

das Alles? Wem stand mein armer Alphons im Wege, daß man ihn beseitigen wollte? ich

finde keine Antwort auf all die Fragen. [83]

KASPAR tritt ein.

KASPAR. Die gnädige Frau hat befohlen.

LUCIE. Sagen Sie mir, Jean, was ist wahr an der Erzählung, daß man meinen Mann habe

ermorden wollen

KASPAR. Es ist so, wie Ihnen Lisette erzählt hat.

LUCIE. Und wissen Sie nicht, wer der Mann war, der den Ausspruch that?

KASPAR. Leider nein! Es entstand sofort Streit und Tumult, da ein Theil der Gäste für und

ein anderer gegen den gnädigen Herrn Pärthei nahm, der Mann aber entfernte sich schnell. [84]

LUCIE. Hat er den Namen des andern Offiziers nicht genannt?

KASPAR. Nein gnädige Frau, er sagte nur, daß derselbe kurze Zeit nach dem nach Algier

versetzt worden sei und da selbst im Duell erschossen wurde.

LUCIE. Warum hat sich der Mann nicht als Zeuge gemeldet? Wir hatten doch für Jeden, der

etwas Günstiges auszusagen wußte, große Belohnung ausgesetzt.

KASPAR. Er sei im Ausland gewesen sagte er, und habe später erst in den Zeitungen davon

gelesen. [85]

LUCIE. Gehen Sie zu dem Wirt des Lokals und erkundigen Sie sich bei ihm nach dem Mann.

KASPAR. Zu Befehl, gnädige Frau.

LUCIE. Vielleicht weiß auch einer der Gäste etwas Näheres. Eilen Sie und thun Sie, was in

Ihren Kräften steht. Ich brauche Ihnen wohl nicht erst zu sagen, wie wichtig die Sache ist.

KASPAR. Ich werde thun, was ich kann, gnädige Frau. Ab

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LUCIE. Es ist 6 Uhr und immer noch keine Nachricht von Zola er wollte sofort kommen, so

wie er Kenntnis von Spruche des [86]

Kriegsgericht hat. Trügt mich die letzte Hoffnung, dann ist allerdings keine Rettung mehr.

LISETTE trit ein.

LISETTE. Gnädige Frau, es ist ein Dienstman unten, der einen Brief an Sie hat.

LUCIE. Warum hast du dir den Brief nicht geben lassen.

LISETTE. Er sagte, er dürfe ihn nur der gnädigen Frau geben.

LUCIE. Nun so führe ihn herein.

LISETTE. Auch das will er nicht, gnädige Frau möchten sich nur hinunterbemühen. [87]

LUCIE. Das sieht verdächtig aus!

LISETTE. Mir kommt es auch so vor. Soll ich nicht lieber den Man abweisen?

LUCIE. Ich weiß selbst nicht, was ich thun soll. Ist der Portier unten?

LISETTE. Ja, gnädige Frau,

LUCIE. So ist wohl von Gefahr keine rede, vielleicht ist es eine Nachricht von Herrn Zola.

Lisette Gnädige Frau, wir haben in letzter Zeit so viel erlebt, daß man nicht vorsichtig

genug sein kann. [88]

LUCIE. Sei unbesorgt. Du weißt daß mich so leicht nichts mehr schrecken kann..

Ab. LISETTE allein.

LISETTE. Die arme gnädige Frau thut mir so leit, seit dem Unglück was sie betroffen, ist alles

anders geworden. Früher wurde das Haus von Besuchern nicht leer, und jetzt läßt sich kein

Mensch mehr sehen, das alte Spruchwort hat recht. Freunde in der Not, gehen tausend auf

ein Loth. Wie mag es aber dem armen Herrn erst gehen? Der hat keine Seele, der er sein

Leid klagen kann. Ja selbst seine Wärter dürfen kein Wort mit ihm sprechen. Es muß ent- [89]

setzlich sein. Er soll in den drei Jahren ganz grau ge worden sein. Schreiben darf sie ihm

auch nur alle Monate einmal. Und auch er darf nur einen Brief monatlich Schreiben, der

aber nur in Abschrift in die Hände der gnädige Frau kommt, und man weiß deshalb nie,

was wahr oder was erlogen ist. Ach, Jean, da sind Sie ja schon wieder?

KASPAR. Ja leider, mein Weg war vergebens, wie ich es voraus gesehen habe.

LISETTE. So haben Sie nichts über den Mann erfahren können,

[90]

KASPAR. Nicht das Geringste. Der Wirth kannte ihn eben so wenig, wie ich. Er wollte sich

aber bei seinen Gästen nach ihm erkundigen.

LISETTE. Vielleicht war es auch nur ein Schwätzer, der sich die Sache ersonnen hat.

KASPAR. Das glaube ich weniger, dazu war er mir mit den Verhältnissen zu sehr vertraut.

LISETTE. Es geht aber auch alles schlief.

KASPAR. Da haben Sie Recht. Und wenn die heutige Verhandlung auch schlächt

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[91]

ausfällt, so ist unsern armen Herrn nicht mehr zu helfen.

LISETTE. Das verhüte Gott!

KASPAR. Ich wünschte auch schon unsertwegen, das sich die Unschuld des gnädigen Herrn

herausstellte. Dann könnten wir heiraten, weil sie die gnädige Frau nicht früher verlassen

wollten.

LISETTE. Wäre es den nicht der schwärzeste Undank, wenn ich jetzt gehen wollte? Jetzt, wo

die gnädige Frau von aller Welt verlassen ist.

KASPAR. Sie haben Recht, aber wir können [92]

doch nicht unser ganzes Leben hier im Dienst bleiben!

LISETTE. Kommt Zeit, kommt Rhat. Was geht uns denn ab? Wir haben eine leichte Dienst

und gute Behandlung wir sind noch jung und könne[n] es abwarten.

KASPAR. Das sagten sie schon vor drei Jahren. Dabei können wir alt und grau werden.

LISETTE. Hoffentlich kommt es nicht dahin.

KASPAR. Es wäre jetzt eine schöne Gelegenheit. Ich könnte das Restaurant neben an

pachten. Einige hundert Francs habe ich mir gespart. [93]

Sie haben auch etwas beiseite gelegt, wir könnten in ein paar Jahren gemachte Leute sein.

LISETTE. Wenn sie nicht länger warten wollen, so müssen sie sich nach einer andren

umsehn, die es eben so eilig hat wie sie

KASPAR. Das ist ja ein erst Freundlicher Vorschlag! Lisette,

LISETTE. Ja wohl, an einen Vorsatz ändert / das nichts

KASPAR. Da scheint Ihre Liebe nicht sehr stark zu sein,

LISETTE. Ich will ihn einen Vorschlag machen. [94]

Jean, wir warten noch ein halbes Jahr, wen es sich bis dorthin mit dem gnädigen Herrn

nicht ändert, dan zieht die gnädige Frau zu ihren Eltern, Auf jeden fall braucht sie mich

dan nicht mehr. Und dann kann das heirathen los gehen.

KASPAR. Nun meinetwegen, aber Sie müssen mir etwas versprechen,

LISETTE. / Nun.

KASPAR. Daß ich bis dahin jeden Tag einen Kuss bekomme.

LISETTE. Von wem denn?

KASPAR. [95]

Von wem? Nun von Ihnen!

LISETTE. Warum nicht gar. Das wäre 182 und ein halber in dem halben Jahr.

KASPAR. Machen wir die 200 voll. Ich gebe Sie Ihnen später wieder sogar mit 6 Procent

Zinsen.

LISETTE. Wenn Sie mir das versprechen. Ab.

KASPAR. Kleine Hexe! Aber ein Staatsmädel ist sie doch!

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ZOLA tritein.

ZOLA. Wo ist die gnädige Frau?

KASPAR. Vermuthlich in Ihrem Zimmer, [96]

ZOLA. Melden sie ihr, daß ich hier bin und bitten Sie sie hierher.

KASPAR. Zu Befehl. Ab.

ZOLA. Arme Frau! Fast scheue ich mich, ihr unter die Augen zu treten, da auch dieser letzte

Rettungsanker gerissen ist. Wie wird sie diese neue Hiobspost aufnehmen! Besser Sie

erfährt das Unabwendbare durch mich. Ich kann sie wenigstens vorbereiten und trösten.

LUCIE tritein.

LUCIE. Da sind sie ja mein Freund! – Doch ihr aussehen verspricht [97]

wenig Gutes,

ZOLA. Sie haben recht, gnädige Frau, ich kann Ihnen leider nichts gutes berichten.

LUCIE. O, mein Gott!

ZOLA. Fassen Sie sich uns bauen Sie auf ihre Freunde.

LUCIE. Sprechen Sie! Sagen Sie mir alles!

ZOLA. Das Kriegsgericht hat Esterhazy von allen, ihm durch unsere Anklage zur Last

geklagten Vergehen freigesprochen.

LUCIE. Und damit ist das Loos meines [98]

unglücklichen Gatten entschieden. Aber wie ist das bei dem erdrückenden Beweismaterial,

das wir beigebracht, nur möglich?

ZOLA. Wie es möglich war, ist auch mir ein Räthsel, aber Licht wird in der Sache wohl

schwerlich kommen, denn man hat unter Ausschluß der Öffentlichkeit und bei

verschlossenen Thüren verhandelt. Ja nicht ein mal Berichterstatter der Zeitungen wurden

zugelassen, ein Beweiß mehr, das man das Licht scheut.

LUCIE. Und das nennt man Gerechtigkeit in Frankreich! [99]

ZOLA. Gerechtigkeit! – Die Gerechtigkeit ist ausgestorben bei uns, das Ehrgefühl ist schlafen

gegangen und Lug und Trug erheben frech das Haupt.

LUCIE. So ist alles vorüber. Ich habe mich an diesen Hoffnungs anker geklammert mit allen

Fasern meiner Seele. Könnte ich wenigstens meinen unglücklichen Gatten sein

unverdientes Schicksal tragen helfen, aber selbst das verweigert man mir!

ZOLA. Geben Sie die Hoffnung nicht auf, noch gibt es ein Mittel, allerdings [100]

ein Gewaltmittel, aber ich verspreche mir wenigstens in direkten Erfolg.

LUCIE. Ich wüßte nicht, was wir noch für Mittel anwenden könnten,

ZOLA. Hören Sie mich an, ich {werde} das Kriegsgericht, das heute über Esterhazy urtheilte,

beschuldigen, den selben wissentlich freigesprochenzu haben, und eine Stellung vor ein

Schwurgericht fordern, hier haben wir es mit bürgerlichen Geschworenen zu thun, die

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unbefangen an die Sache herantreten können – geschützt {gestützt} auf unser

Beweismaterial

[101]

muß mir die Anklage gelingen und werde ich meine Freisprechung erzielen.

LUCIE. Was soll das aber uns nutzen?

ZOLA. Werde ich freigesprochen, so ist ein Revision Ihres Processes unvermeidlich und eine

Freisprechung, Ihres Gatten dann eben falls zu erwarten. Nur müßen wir aber alle hebel in

Bewegung setzen, um noch mehr Beweise beizubringen.

LUCIE. Ich könnte Ihnen jetzt schon damit dienen.

ZOLA. Bitte sprechen Sie. [102]

LUCIE. Mein Diener sagte nur heute, daß gestern Abend ein ehemaliger Unteroffizier im

Restaurant ge äußert habe, daß er gehört wie Esterhazy und ein anderer Offizier sich

verschworen hätten, meinen Gatten zu tödten falls er damals freigesprochen worden wäre.

ZOLA. Und wie heißt der Mann?

LUCIE. Da liegst es eben, mein Diener hat unter laßen die Persönlichkeit fast zu stellen. Ich

habe ihn nun zum Wirt des Lokals geschickt, er ist aber unverrichteter Sache wieder [103]

zurückgekehrt.

ZOLA. Das ist sehr zu beklagen. Dies wäre ein Zeuge gewesen, wie wir ihm nicht besser

hätten wünschen können.

LUCIE. Das meine ich auch

ZOLA. Vielleicht gelingt es mir, ihn ausfindig zu machen, ich werde mich zu diesen Zwecke

mit dem Wirth in Verbindung setzen.

LUCIE. Auch habe {ich} von Madam de. Boulancy einen Brief erhalten, sie Schreibt mir Das

ich Sie heute Abend besuchen soll.

ZOLA. [104]

Werden Sie hingehen gnädige Frau?

LUCIE. Selbstverständlich!

ZOLA. Darf ich Sie begleiten?

Rufe hinter der Scene. „Es lebe die Armee, es lebe Esterhazy/“. KASPAR tritein.

ZOLA u LUCIE. Was ist das? Was ist das für ein Lärm?

KASPAR. Es ist ein großer Volkshaufe vor der Thür versamelt. Man ruft: Es lebe die Armee!

Es lebe Esterhazy!

LUCIE. Das ist das Werk unserer Feinde. Sie sehen, wohin Sie Ihre Freundschaft für uns

führt. Man bedroht Sie

[105]

sogar, und sie sind Ihres Lebens nicht mehr sicher. Jean schließen Sie die Laden, und

bleiben Sie mit dem Portier auf Ihrem Posten.

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ZOLA. Fürchten Sie nichts, gnädige Frau. Das sind unreife Burschen, die auf Commando

schreien und lärmen, Bestochene Creaturen, die für einige Sous zu allen bereit sind, und

morgen eben so, hoch Zola! “rufen würden, wenn man Sie dafür bezahlt,

LUCIE. O, Frankreich, schönes Vaterland, wie bist du entwürdigt!

ZOLA. Sie haben Recht, gnädige Frau! [106]

Wo ist unsere größe geblieben?! Trauernd steht der wahre Patriot am Sarge der

Gerechtigkeit, und möchte weinend sein Haupt verhüllen, weil unser schönes Vaterland

zum Hohn und Spott anderer Nationen herabsinken konnte, aber es kommt die Zeit, wo

diese Söldlinge, die Recht und Gerechtigkeit mit Füßen treten, hinweg gefegt werden

durch den Gesunden Sinn unseres Volkes. Treue und Glauben wird wieder herrschen,

Recht und Gerechtigkeit werden regieren, und Justizverbrechen wie die ungerechten

Verurtheilung Ihres Gatten [107]

Werden zu den Unmöglichkeiten gehören, bis dahin aber wollen wir feststehen im

Glauben an eine bessere Zeit

Lärm von außen.

Ja, tobt und lärmt nur, mich werdet Ihr nicht kleinmüthig und verzagt sehen. Und müsste

ich Gut und Blut einsetzen, ich weiche und wanke nicht! Hier stehe ich, hier falle ich!

Wenn jene Männer die Euch gedungen, auch jetzt Sieger bleiben – die Nachwelt wird sie

richten, wie der größte Theil der Mitwelt schon jetzt ihre Thaten verdammt. O, Frankreich,

schönes Vaterland erhebe dich aus diesem Pfuhl der Sittenlosigkeit und du wirst dich

wieder wie einst mit Stolz

{Flamme.}

[108]

nennen können! Das erste Land der Erde! Mir aber Herr, gieb Kraft und Muth, den

Kampf siegreich zu Ende zu führen – den Kampf für Sitte, Ehre und Recht!!

Der Vorhang fällt. Ende des dritten Aktes

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VIERTER AKT. ZOLA VOR DEN GESCHWORENEN

Im Hintergrund sitzt der Gerichtshof.

Vorne der Angeklagte ZOLA mit seinen Vertheidiger DELGORGUN, CASSEL, LABORI, PICQUARD, ESTERHAZY, LUCIE.

PRÄSIDENT. Ich eröffne die heutige Sitzung,

[109]

erkläre aber vorher daß ich keinerlei Fragen der Vertheidigung zu lassen werde, welche die

Landesvertheidigung oder sonstige Staatsgeheimnisse berühren,

LABORI VERTHEIDIGER ZOLAS. Das in den Fragestellungen die Landesvertheidung berührt

werde, ist eine Behauptung, die ich nur als Schlechten Scherz bezeichnen kann.

CASSEL. Die Landesvertheidigung ein schlechter Scherz?

LABORI. energisch Ich gestatte Niemanden, auch dem Herrn Generalstaatsanwalt nicht,

meinen Patriotismus zu bezweifeln. [110]

Der Beweis, daß Esterhazy der Urheber jenes geheimen Schriftstückes ist, auf grund

dessen Dreyfus verurtheilt würde, ist so schlagend, daß es keines Wortes mehr über diese

Angelegenheit bedarf.

PRÄSIDENT. Das ist lediglich Ihre Sache.

LABORI. Wie können wir das, wenn uns die Beweisführung abgeschnitten wird, Ich

beantrage nochmals, das Original desselben herbei schaffen zu lassen.

CASSEL. Auf diese Forderung habe ich {mich} in dem schriftlich nieder [111]

gelegten Schlußantrag geäußert, und muß bei meinen Auslassungen beharren.

PRÄSIDENT. Der Gerichtshof hat beschlossen, alle Beweisanträge abzulehnen, die auf

Herbeischaffung des Original abzielen, und ich sehe keine Nothwendigkeit, von diesen

Beschluß abzuweichen.

ZOLA. So wird also der Mann, der ungerechterweise beschuldigt ist, dort bleiben infolge

eines Gesetzes, das eigens für ihn gemacht ist!

PRÄSIDENT. Kennen Sie das Gesetz, Herr Zola? [112]

ZOLA.

Nein, ich kenne es nicht, und will es nicht kennen, Ich verlange einfach behandelt zu

werden, wie jeder Mörder oder Dieb, der hier steht. Diese haben immerhin das Recht sich

zu vertheidigen. Mir aber wirft man die Fenster ein, man verhöhnt und beleidigt mich auf

der Straße, ja es wird hier geduldet, Ich will Beweise stellen und man lehnt meine Zeugen

ab, das sind Zustände, die einer gebildete Nation unwürdig sind, wenn man sieht, wie hier

Recht und Gerechtigkeit gehandhabt werden.

PRÄSIDENT [113]

Ich muss derartige Äußerungen mit Entschiedenheit zurückweisen. Sie gehen über Grenze,

also, ich betone nochmals, daß ich keine Frage zulassen werde, die eine Revison des

Dreyfus Processes herbeiführen könnte.

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LABORI. Wollen Sie uns sagen, Herr Oberst was Sie über die Wichtigkeit der im Original

bezeichneten Schriftstücke denken?

PICQUARD. Es fragt sich für mich, ob Esterhazy die Kenntnisse der im Original

angegebenen Dinge haben konnte, aber nicht. [114]

PRÄSIDENT. Das ist eben die Frage, um die es sich handelt/

PICQUARD. Nun denn, so muss ich sagen, daß er allerdings im Besitz dieser militairischen

Geheimnisse sein konnte. Esterhazy hat sich zweimal noch den Feuerwerksschulen und

ein drittens mal nach dem Lager von Châlons und zwar auf seine Kosten begeben, was

wollte er dort? Er fragte mich einmal, ob ich Kenntnisse von der Mobilisation der Artillerie

habe, Was wollte er? Nachrichten einziehen? – Ich sage nicht, daß er das Schriftstück

verfast hat, – ich sage, daß er wohl [115]

imstande war, es verfassen zu können, Er war Major, und hatte einen Sekretäir zur

Verfügung, der stets allerlei Schriftstücke abschreiben mußte. Ich hegte die Hoffnung, daß

ich in dem Original etwas finden würde, was mir beweise daß Esterhazy nicht der Urheber

desselben sei, als ich die Bemerkung fand: Ich reiße jetzt zu den Manövern ab.“ Ich fragte

mich, wie es möglich sei, daß ein Major im Frühjahr zu den [116]

Manövern reise. Ich verschaffe mir nun den Rapport des 74. Regiments vom Jahre 1894,

und fand in der That eingetragen, daß Esterhazy an den Manövern teilgenommen, damit

war der letzte Zweifel an der Schuld Esterhazy für mich geschwunden. Ich habe auch als

Beisitzer des Kriegsgerichts, welches über Dreyfus zu urtheilen hatte, für die

Freisprechung des Dreyfus gestimmt, und kurze Zeit darauf nach Algier kommandirt, Nun

überlasse ich den Herren Geschworenen aus dem Gesagten ihre Schlüsse zu ziehen.

PRÄSIDENT. Ich mache den Zeuigen darauf aufmerksam, daß er den Geschworenen keine

Belehrung zu ertheilen hat.

PICQUARD. Ich muß aber doch die Wahrheit [117]

sagen. Man hat mich wegen meiner Haltung in dieser Angelegenheit gemaßregelt und mich

zur Disposition gestellt. Ich werde mich aber als Ehrenmann nicht abhalten lassen, der der

Überzeugung Ausdruck. zu geben, daß Dreyfus unschuldig ist.

LABORI. Ich habe noch die Frage an den Zeugen zu richten, on ihm der Inhalt der Briefe

bekannt ist, die Esterhazi an Frau de Boulancy geschrieben.

PRÄSIDENT. Ich untersage dem Zeugen, diese Frage zu beantworten.

PICQUARD. Dan hätte man mich lieber nicht vorladen sollen, [118]

PRÄSIDENT. Tretten Sie zurück, Herr Oberst – Lassen Sie die nächsten Zeugen kommen.

PICQUARD ab.

LABORI. Dann bitte ich zunächst Madam Dreyfus zu vernehmen,

PRÄSIDENT. Also Madam Dreyfus,

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LUCIE trit vor.

LABORI. Sie sollen mir sagen Madame, was Sie von den Deputirten Janres gehört haben,

LUCIE. Desselben sagte mir, General Gonse wollen kein Licht in die Sache [119]

kommen lassen, trotz dem er, wie alle Welt überzeugt sei, daß kein anderer wie Esterhazy

den Brief geschrieben habe, der mit den Worten „die Canaille“ Dreyfus beginnt,

LABORI. Verkehrte Esterhazi kameradschaftlich mit Ihren Gatten?

LUCIE. Nicht besonders. Der Verkehr beschränkte sich auf die Höflichkeitsform. Ja, ich

habe sogar Grund anzunehmen daß Esterhazi meinem Mann feindlich gesinnt war weil er

ihn im Avancement überflügelt hatte. Ja mein Mann deutete kurz vor seiner Verhaftung an, [120]

das Esterhazi etwas gegen ihn im Schilde führe.

LABORI. Warum haben Sie das bei der Verhaftung gegen Esterhazi nicht angegeben?

LUCIE. Man wies meinen Aussagen als nicht zur Sache gehörig. Ab.

LABORI. Ich mache die Herrn Geschworenen auf diese Bekundung besonders aufmerksam.

Sie ersehen aus diesen Worten, wie bei uns Freisprechungen erzielt werden, und wie mit

allen Mitteln gearbeitet wird, die Wahrheit zu verdunkeln. [121]

PRÄSIDENT. Ich muß mit Entschiedenheit derartige Äußerungen zurückweisen und würde

im Wiederholungsfalle eine Disiiplinarstrafe gegen die Vertheidigung beantragen.

LABORI. Ich werde mir mein Recht, fragen zu stellen, die zur Aufklärung der Sache dient,

nicht beschränken lassen, und behalte mir weitere Anträge vor.

PRÄSIDENT. Alle derartigen Fragen sind unnütz und dienen nur dazu, die Verhandlung in die

Länge zu ziehen, ich werde daher keine derselben mehr zulassen. [122]

LABORI. Ich werde diese Fragen stellen, und wenn wir ein Jahr hier verhandeln müßten.

PRÄSIDENT. So wird es jedes mal geschehen, wenn Sie nicht zur Sache gehörige Fragen

stellen.

LABORI. Es ist das erst mal, daß von einem Gerichtshof ein derartiges verfahren beliebt wird

und ich protestiere gegen dasselbe mit aller mir zu Gebote stehenden Energie.

PRÄSIDENT. Protestieren Sie, soviel Sie wollen, es bleibt dabei.

LABORI {zu Lucie}. Haben Sie sonst etwas zur Sache ge- [123]

hörendes auszusagen Madam

LUCIE. Nur noch das Eine, daß ein ehemaliger Unteroffizier der als Ordonanz bei Major

Esterhazi war, meinem Diener erzählt hat, daß Esterhazi meinen Mann habe erschießen

wollen, wenn er damals freigesprochen worden wäre.

PRÄSIDENT. Und wer war dieser Unteroffizier?

LUCIE. Der Mann ist leider nicht aufzufinden.

PRÄSIDENT. Also ein neues Märchen!

LABORI. Ist Ihnen Frau de Boulancy bekannt?

LUCIE. Ja, aber erst seit kurzer Zeit

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[124]

LABORI. That Ihr Gatte Frau de Boulancy gekannt?

LUCIE. Nein

LABORI. Ich danke Ihnen Madam, ich habe keine Frage mehr zu stellen.

PRÄSIDENT. Sie sind entlassen Madame

LUCIE ab.

Herr General Pelleiux

Derselbe tritein.

Sie sollen hier bekunden Herr General, was Sie über die in dem geheimen Schriftstücke

enthaltenen Angaben über militairischen Geheimnisse denken. Es steht Ihnen jedoch das

Recht zu, die Aussagen zu verweigern, falls Dinge zur Sprache kommen, die geheim zu

halten,

[125]

Sie dienstlich verpflichtet sind.

PELLIEUX. Ich bin einmal vorgeladen so will auch ohne Rückhalt sprechen. Ich erkläre

hiermit, daß nur ein im Kriegsministerium angestellter Artillerieoffizier die in dem

geheimen Schriftstück enthalten Thatsachen kennen kann. Man hat meine Offiziere

beschuldigt, einen Unschuldig verurtheilt und einen Schuldigen freigesprochen zu haben,

Ich kann eine solche Infamie nicht fassen und erkläre, daß es ein Verbrechen ist, der

Armee das Vertrauen, das sie zu ihren Führern hat, zu nehmen, aber Zola wird eine neue

Schlacht gewonnen haben und seinen Sieg vor einem Europa [126]

genießen, von dessen Karte Frankreich gestrichen ist. Wir wären glücklicher gewesen,

wenn das Kriegsgericht Dreyfus freigesprochen hätte, denn das hätte bewiesen, daß es

keine Verräther in der Armee gab, während wir jetzt trauern müssen, daß es einen

gegebenen hat.

ZOLA. Man bezweifelt meinen Patriotismus? Die Armee ist Fleisch von unserm Fleisch und

Blut von unserm Blut! Wer sollte sie als nicht lieben! Beleidigung und Drohungen

berühren mich nicht! Wir wollen die Wahrheit und werden sie haben was man auch thun

möge sie [127]

zu verschleiern. Auf dem Wege den wir ein geschlagen, werden wir ausharren, komme was

da wolle.

LABORI. Auch ich habe auf die Aussagen des Zeugen etwas zu erwidern.

PRÄSIDENT. Sie werden das Wort nicht erhalten. Bringen sie Anträge ein.

LABORI. Vorher habe ich noch zu dem Geschworenen zu sprechen, Sie haben soeben nicht

eine Zeugenaussage, Sie haben eine Anklagerede gehört. Pelleiux hat hier für den

Generalstab plaidirt, ohne unterbrochen zu werden, aber wir die wir angeklagt sind, [128]

haben nicht das Recht uns zu vertheidigen und Beweise zu führen. Am Tage des Kampfes

wird mein Blut ebensoviel Werth sein, wie das Ihre, General – Wenn ich weniger

Heldenworte habe als Sie, so wird mein Muth gewiß nicht geringener sein, als der Ihre

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PRÄSIDENT. Begründen Sie Ihre Anträge. Haben Sie noch etwas auszusagen Herr General

PELLEIUX. Nein!

PRÄSIDENT. So sind Sie entlassen.

PELLEIUX Ab.

Und nun Labori lassen sie uns zu Ende kommen

LABORI. Und wenn wir ein Jahr verhandeln müßten, die Wahrheit muß ans Licht! [129]

PRÄSIDENT. Herr Major Esterhazi! Ich ersuche die Zeugen, sich kurz zu fassen und den Fall

Dreyfus nicht zu berühren. Ebenfalls stelle ich das Ersuchen an die Vertheidigung, sich

streng in den Grenzen des Sachlichen zu halten

ESTERHAZI tritein.

Herr Major, man hat gesagt, daß Sie der Urheber des bewußten Bordere [Bordereau] aus

sind. Was haben Sie darauf zu erwidern?!

ESTERHAZI. Meine Herrn Geschworenen! Ohne den Schatten eines Beweises hat der elende

Mathieu Dreyfus mich des Verbrechens angeklagt, das sein Bruder begangen. Von

Meinesgleichen bin ich gerichtet und freigesprochen worden. [130]

Ich bin bereit auf alle Fragen zu antworten, die Sie mir stellen werden, Was die Leute da

angeht Auf Zola Zeichen Denen antworte ich nicht.

PRÄSIDENT. Wie verhält sich mit den Briefen, die Sie an Frau von Boulancy geschrieben?

ESTERHAZI. Das ist eine Privatangelegenheit, und ich bitte darüber schweigen zu dürfen.

LABORI. Seit wann haben Sie Kenntniß von dem 20 Millimenter Verschluß? Ich bitte dem

Zeugen diese Frage vor zu legen, Herr Präsident.

PRÄSIDENT. Wollen sie darauf antworten Herr Major? [131]

ESTERHAZI. Nein, das kann ich nicht, daß ist Dienstgeheimnis.

LABORI. Das ist recht bezeichnend. Wenn man sich nicht hinter dem Privatgeheimniß

verschagen kann, dann muß das Dienstgeheimnis herhalten.

ESTERHAZI. Darauf habe keine Antwort.

PRÄSIDENT. Wollen Sie uns sagen, was Sie von dem geheimen Schriftstück denken, welches

damals das Urtheil bestimmt haben soll.

ESTERHAZI. Man will Licht! Nun denn, man habe es! Zur Zeit der Interpellation Castellins

hatte man im Kriegsministerium den absoluten Beweis von der Schuld [132]

des Hauptmann Dreyfus, diesen Beweis habe ich gesehen, damals ging uns ein Papier zu,

das folgendes besagte: Sprechen Sie niemals von den Beziehungen, die wir zu diesem

Juden hatten!“ Dies Papier war eine geschickte Unterstellung, um den Anschein zu

erwecken, daß partheisch gehandelt würde. Man hat von einem, dem Kriegsgericht

heimlich zu gesteckten Schriftstück gesprochen, aber den Beweis hat man nicht erbracht.

Mehr zu sagen, verbietet mir meine Stellung.

PRÄSIDENT. Hat die Vertheidigung noch Fragen an den Zeugen zu richten?

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LABORI. [133]

Ich werde meine Fragen erst stellen, wenn der Gerichtshof über meine Anträge Beschluß

gefaßt hat,

PRÄSIDENT. Stellen Sie Ihre Fragen sofort, oder Sie werden sie überhaupt nicht mehr stellen.

LABORI. Ich habe in diesem Augenblick nichts mehr zu sagen, aber ich erhebe ein spruch

gegen diese Haltung.

PRÄSIDENT. Herr Major, Sie sind entlassen.

ESTERHAZI ab.

PRÄSIDENT. Auf der Zeugenliste steht noch Frau von Boulancy. Lassen Sie sie kommen.

FRAU VON BOULANCY tritein.

PRÄSIDENT. Haben Sie Briefe in Händen gehabt, [134]

welche Esterhazi Ihnen geschrieben hat?

F. V. BOULANCY. Ja, ich habe gewisse Briefe in Händen.

PRÄSIDENT. Haben Sie von Esterhazi Telegramme erhalten.

F. V. BOULANCY. Ich habe zwei Telegramme erhalten.

PRÄSIDENT. Enthielten diese Telegramme Drohungen?

F. V. BOULANCY. Sie enthielten keine Drohungen, sie waren nur in den dringendsten

Ausdrücken abgefaßt und ersuchten mich die Briefe zurückzugeben, die ich in den Jahren

1891 und 1894 von Esterhazi erhalten hatte.

PRÄSIDENT. [135]

Sind diese Briefe für Esterhaszi kompromittirend?

F. V. BOULANCY. Sie enthalten in Bezug auf die Armee und Frankreich Äußerungen die von

gewisser Wichtigkeit sind.

PRÄSIDENT. Warum haben Sie Esterhazi die Briefe nicht zurückgegeben?

FRAU VON BOULANCY. Weil ich sie in meinen Händen behalten wollte um zu beweisen, daß

nicht Dreyfus, sondern Esterhazi dieselben geschrieben hat.

PRÄSIDENT. Ist Esterhazi letzter Zeit bei Ihnenn gewesen?

F. V. BOULANCY. Er ist 3 oder 4 mal gekommen um mir die Briefe abzufordern, [136]

PRÄSIDENT. Hat die Vertheidigung noch Fragen an die Zeugen zu richten?

LABORI. Ist in einem Briefe die Stelle enthalten: General Saussier ist ein Clown bei uns, die

deutschen würden ihn nicht in den Cirkus stellen,

F. V. BOULANCY. Ich glaube, – bestimmt weiß ich es nicht, ohne die Briefe nachzulesen,

LABORI. Enthält nicht ein anderer Brief die Stelle: Wenn die Preußen nach Lyon kämen, so

könnten sie ihre Gewehre wegwerfen und brauchten nur die Ladestärke zu behalten, um

die

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[137]

Franzosen vor sich herzutreiben,

F. V. BOULANCY. Ich glaube – ja

LABORI. Das genügt mir, und ich verzichte auf weitern Beweißanträge!

PRÄSIDENT. Sie sind entlassen, gnädige Frau! Ich bitte alß den Herrn General Staatsanwalt,

die Anklage zu formulieren, und seine Anträge zu stellen, die keine Zeugen mehr zu

vernehmen sind.

{CAASEL.} STAATSANWALT Mein Herrn Geschworenen. Ein Mann der Verfasser mehrerer

Romane ist, die seinen Namen bekannt gemacht haben, hat in einer Zeitung einen Artikel

[138]

mit der Überschrift. „Ich klage an!“ veröffentlicht, und hat sich nicht gescheut, die

erstaunliche Beschuldigung in die Welt zu schleudern! Ein Kriegsgericht habe auf Befehl

einen Schuldigen freigesprochen. Wir weisen diese Infamie, die Sie Herr Zola uns ins

Gesicht schleudern zurück. Meine Herren Geschworenen den großen Phrasen, die nur zu

oft den Mangel an Beweisen verdecken, welch eine Lage ist hier Generälen und Offizieren

durch einen schamlosen Beleidiger bereitet wurden! Man hat durch dieses unwürdige

Vorgehen eine Gesetzes verletzung, die Revision des Dreyfus Processes [139]

angestrebt, die zu machen nicht unseres Amtes ist. Nach allen Aussagen der Generäle und

Offiziere ist meine persönliche Ansicht, daß Esterhazi sich die Kenntnis der im Borderau

erwähnten Thatsachen nicht hat verschaffen können, und dasselbe also auf nicht von ihm

herrühren kann. Mit dem Tod der Seele hat der Kriegsminister sich entschlossen, einen des

Verrathes beschuldigten Offizier vor Gericht zustellen die in voller Unabhängigkeit ihr

Urtheil über ihren Kameraden gesprochen haben, der Angeklagte Zola hat die Auswahl der

Offiziere des Kriegsgericht bemängelt. Ich kann ihr ganzes Vorgehen Herr Zola [140]

nur ein schlechtes nennen, das im stande ist eine Revolution herbeizuführen. Wie Sie es

versucht haben, Herr Zola, wie Sie behaupten und für welche Behauptung Sie auch nicht

die geringfügigsten Spur eines Beweises haben herbeischaffen können. Die höchste Strafe,

mit der ehrlose Beleidigung belegt werden kann, beantrage ich, Meine Herrn,

Geschworenen, wir erwarten Ihren Wahrspruch mit Vertrauen. Das ganze Land sieht auf

Sie, und erwartet von Ihnen, daß Sie den Angeklagten die volle Strenge des Gesetzes

fühlen lassen, wie er es verdient.

Setzt sich. [141]

ZOLA. Ich lege Verwahrungen ein gegen die, den Herren Geschworenen zu gewiesene

Aufgabe, die nationale Ehre zu retten, und mich zu verurtheilen. Ich habe niemals die

Armee beschimpft, wie man sagt, ich habe vielmehr einen Alarmruf ausgestoßen und über

lasse es der Geschichte meine Handlungsweise zu beleuchten. Diejenigen entwürdigen

Frankreich, die den Ruf: „Es lebe die Armee!“ mit den Ruf: Nieder mit den Juden! Die es

wagen: Es lebe Esterhazi, nach den Briefen, die er geschrieben hat. Ich stehe hier, weil ich

hier stehen will: um vor Ihnen zu erscheinen.

[142]

Die Sie der Ausflus der Gerechtigkeit des Landes sein sollen Ihret wegen habe ich den

Alarmruf erhoben, habe ich die Wahrheit aus Licht bringen wollen. Vielleicht ohne Erfolg,

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aber hier stehe ich vor Ihnen und Ihre gerechtigkeit wird walten. Meine Herren, wenn Sie

mich bestrafen, werden Sie mir eine Ehre erweisen und dazu beitragen, mich zu erhöhen.

Sehen Sie mich an, meine Herren, bin ich denn ein Erkaufter oder ein Verräther? Ein freier

Schriftsteller bin ich, der auf seinen Platz zurückkehren wird. Nicht wegen einer Freiheit

bin ich in Sorge. Verurtheilen Sie mich. Es wird ein [143]

Fehler mehr sein. Wenn das Land voller Sorge ist. so liegt die Schuld an der Obersten

Gewald, die in der Hoffnung einige Schuldige zu retten hat verhindern wollen, an Ihnen

meine Herrn ist es, die Wahrheit zu erblicken, und Gerechtigkeit walten zu lassen. Die

Regierung die wie wir von der Unschuld Dreyfus überzeugt ist, vor der ganze Welt

schwöre ich, daß Dreyfus unschuldig ist, und es wird der Tag kommen, an dem Frankreich

mir dankbar sein wird, daß ich seine Ehre gerettet habe. Thun Sie, wie Sie müssen,

verurtheilen Sie mich, oder sprechen Sie mich frei, – bis zum letzten Athemzug werde ich

ausrufen: Dreyfus ist unschuldig. [144]

PRÄSIDENT. Der Herr Verteidiger hat das Wort.

LABORI. Nun, mein Herren, wir sind hier versammelt um der Wahrheit und des Rechtes

willen, ich frage Sie wie vielen Menschen giebt es noch in Frankreich, die an Dreyfus

Schuld Glauben? Herzlich wenige, denn die Komödie die man hier vor Ihnen auf führt, ist

inszenirt von Anfang bis zum Ende. Ja ich beweise Ihnen, daß wir die geistigen Elite

Frankreichs auf unserer Seite haben, der Generalstab hat wahre Keulenschläge gegen uns

zu führen gesucht, und so dargestelt, als sie das Vaterland in gefahr. [145]

Wenn es auch wirklich einige Unwürdige in der Armee giebt, so sind doch hunderte da, die

das Vertrauen des Vaterlandes im höchsten Maße be sitzen. Wenn man nicht wollte, daß

Licht in die dunklen Dreyfusaffaire kam, hätte man diesen Proceß gar nicht beginnen

sollen, denn die Taktik ist zu durchsichtig, daß dieser Proceß wie ein zweiter Stein auf den

Verurtheilten zurückfällt, der da unten auf der Teufelsinsel lebendig begraben ist. Die

Revolution die Zola begonnen hat, werden Sie, meine Herrn Geschworenen vollenden

indem Sie die Freisprechung vollziehen, die ich von Ihnen erbitte. – Als im Oktober 1894

Dreyfus verhaftet wurde, verbot man Frau Dreyfus unter [146]

Androhung schwerer Strafe für ihren Gatten, von dieser Verhaftung zu sprechen, Mehrere

Blätter brachten lügenhaften Artikel über die Schuld des Dreyfus, offenbare inszinirte

Machwerke, ja noch mehr, er wurde in den Verhören auf das Unerhörteste

eingeschüchtert, die Richter waren man bei Beginn der Verhandlung im Begriff. Dreyfus

freizusprechen, sie hätten es gethan, wenn man nicht gegen alles Recht ihren Urtheil eine

falsche Richtung gegeben hätte. Man hat auf ein Protokoll hingewisen, daß das Geständnis

des Dreyfus entfällt. Wenn ein solches Protokoll existirt, so ist es nachträglich [147]

angefertigt worden. Ich behaupte, daß Dreyfus niemals ein Geständnis abgelegt hat, noch

ablegen konte. Er hat aus seinen Verbannungsort die flehendesten Briefe an seine Frau

gerichtet, in denen er sie beschwört, nicht zu ruhen und zu rasten den Schuldigen

auszukundschaften Er schreibt in einen derselben wie den ich auswendig kann und –wie

folgt lautet. Wenn ich nicht die Hoffnung hätte, daß meine Unschuld doch an den Tag

kommen muß, ich hätte längst diesem elenden Dasein ein Ende gemacht. Aber mich hält

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die Hoffnung und das Vertrauen auf meine gerechte Sache aufrecht. Meine Herrn

Geschworenen das ist nicht die Sprache eines [148]

Verbrechers, der von aller Welt abgeschnitten ist, das ist die Sprache eines Unglücklichen,

und der Schuldige geht mit hocherhobenen Haupt in allen Ehren durch die Welt, das uns

nichts anderes hat mein Klient beweisen wollen, und ich behaupte, er hat es bewiesen –

Meine Herren Beweisen Sie durch ihr Urtheil, daß Sie nicht willens sind, dieselben

möglicherweise ebenso traurige Erfahrung machen zu lassen, wie die Familie Dreyfus, die,

obwohl sie in Trauer ist, dennoch der freudigen Hoffnung ist, bei ihnen Gerechtigkeit zu

finden. Wenn Sie etwas in Ihren Freispruch bestärken kann, so [149]

ist es die Haltung des Oberst Picquard, der Ruf und Stellung auf das Spiel gesetzt hat, um

der Wahrheit die Ehre zu geben, der Herr Oberst wird was auch kommen mag, nicht nur

rehabilitirt, nein erhöht aus diesem Proceß her vorgehen. Ich komme nun zum Schluß. und

erwarte von Ihrer Unpartheilichkeit die Freisprechung meines Clienten, wie der Herr

General Staatsanwalt, so rufe auch ich Ihnen zu. „Das ganze Land blickt auf Sie, ja noch

weiter gehe ich, ich rufe Ihnen zu.“ Nicht nur Frankreich, die ganze zivilisierte Welt blickt

auf Sie und erwartet wie ich – eine Freisprechung Zola’s.

Setzt sich. [150]

ZOLA. Wie soll ich ihnen danken, mein Freund für Ihre unendliche Mühe!

LABORI. Bitte sprechen Sie nicht von Dank, ich that nur meine Pflicht, und meine schönster

Lohn würde Ihr Freispruch sein.

ZOLA. Glauben Sie noch daran?

LABORI. Mein lieber Freund, wenn Sie mich als Juristen fragen, so muß ich „Ja“ sagen, denn

Ihre Verutheilung würde eine meine Gesetzverletzung sein. Fragen Sie mich aber als

unpartheiischer Zuhörer dieser Verhandlung, so muß [151]

ich leider mit: „Nein“ antworten. Also hoffen wir nicht zu viel.

PRÄSIDENT. Ich bitte Sie Herrn Geschworenen sich mit mir zur Berathung zurück zu ziehen.

Hintergrund geht zu.

ZOLA. Ich theile ganz und gar ihre Ansicht, ja ich glaube sogar fest und bestimmt an meiner

Verurtheilung.

LABORI. So wird uns dieselbe also auch nicht überraschen und in Erstaunen setzen, Zeichen

wir auch dann, wenn das Unerhörte eintreten solte, eine eiserne Stirn und heiterem Muth,

ZOLA. Mich soll nichts aus dem Gleich- [152]

gewicht bringen, im Gegentheil ich werde nach all den Einschüchterungen der

Geschworenen durch Pellieux, der Krieg, Revolution und Auflösung des Herres an die

Wand malte, überrascht sein, wenn ich freigesprochen werden solte,

LABORI. Jedenfalls melden wir dann Revision an.

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ZOLA. Wozu lieber Freund? Soll ich die Aufregung nochmals durchmachen. Soll ich mich

nochmals verspotten und verhöhnen lassen? Soll ich mich abermals der Muth des Pöbels

aussetzen der meinen Namen in den Koth tritt!

LABORI. [153]

Woher plötzlich dieser Kleinmuth! Einmal muß Ihnen doch Gerechtigkeit werden;

ZOLA. Gerechtigkeit in Frankreich! Es thut mir weh, daß ich es sagen muß, aber die

Gerechtigkeit scheint ausgestorben zu sein in diesem Lande.

LABORI. Sagen sie das nicht – sie kann wohl eine Zeit lang unterdrückt werden, aber endlich

wird und muß sie siegen, aber ich ziehe das Kleid, das ich trage noch heute aus!

ZOLA. Verzeihen Sie, mein Freund, ich wollte Sie nicht kränken. Ich weiß, daß Sie einer der

wenigen sind, [154]

die die Gerechtigkeit als obersten Grundsatz des Handelns auf die Fahne geschrieben.

Thun Sie, was Sie wollen, ich füge mich Ihren Anordnungen.

LABORI. In wenig Minuten wird sich Ihr Geschick entschieden haben. Seien Sie stark, was

auch kommen möge.

ZOLA. Ich werde es sein, das verspreche ich Ihnen.

Hintergrund geht auf Der Gerichtshof erscheint

PRÄSIDENT. Der Schriftsteller Emil Zola ist der verleumderischen Beleidigung angeklagt,

begangen durch den Artikel in der Auroe: „Ich klage an!“; in welchem dem Kriegs- [155]

gericht, das über den Major Esterhazi zu urtheilen hatte, vorgeworfen wird, auf Be fehl

einen Schuldigen freigesprochen zu haben, für diese Behauptung hat der Angeklagte den

Beweis nicht erbringen können und ist vom hiesigen Schwurgericht abgeurtheilt wurden.

Das Urtheil lautet: Im Namen des Gesetzes; der Schriftsteller Emil Zola ist wegen

verleumderischer Beleidigung vom Schwurgericht unter Versagung mildernder Um stände

zu einem Jahr Gefängnis, Dreittausend Francs Geldstrafe und Tragung sämmtlicher

Kosten dieses Processes einstimmig verurtheilt wurden, So geschehen für Recht und

Gesetz! [156]

Hat der Verurtheilte noch etwas zu erwidern?

ZOLA. Hoher Gerichtshof! Man hat in der Begründung des Urtheils hervorgehoben, daß ich

nicht imstande gewesen sei, meine Behauptungen zu beweisen! Der Beweis wäre geliefert

gewesen, wenn alle Zeugen, die ich vorgeschlagen habe, die Wahrheit hätten sagen dürfen.

Daran hat man sie aber gehindert und nur den Belasungszeugen gestattet, ausführlich zu

berichten. Ich will mich be scheiden, aber ich halte Alles aufrecht, was in meiner Schrift:

„Ich klage an!“ geschrieben steht und immer und ewig werde ich behaupten, daß [157]

Dreyfus unschuldig verutheilt und der wirklich Schuldige freigesprochen worden ist. Heute

haben Sie mich verurtheilt, meine Herrn! Schon jetzt wird dieses Urtheil Befremden

erregen, aber die Zeit ist nicht fern, wo dieses Befremden sich bis zur Unfaßbarkeit

gesteigert haben wird. Der Herr Staatsanwalt sagte, das ganze Land blicke auf Sie und

Page 36: Dreyfus Der Verbannte der Teufelsinsel Von Albin Werznerlithes.uni-graz.at/downloads/werzner_dreyfus.pdf · Transliteration: Meral Kico und Beatrix Müller-Kampel. Orthographie und

Albin Werzner: Dreyfus http://lithes.uni-graz.at/texte.html

erwarte meine Verurtheilung, und Sie haben die selbe ausgesprochen, denn Sie hatten die

Gewalt! Ich aber sage Ihnen, die ganze zivilisierten Welt wird Sie um die Anwendung, die

Sie von der Gewalt, die Ihnen zu eigen gegeben ist, gemacht haben, wahrlich nicht

beneiden, [158]

denken Sie nicht,, ich hätte Ihren Spruch gefürchtet! Ich habe ihn erwartet! Er ist für mich

das, was er für Sie nimmer werden kann – eine Ehre! Und wenn man auch gerufen hat:

„Nieder mit Zola! Nieder mit den Juden!“ Nimmer werde ich irre werden an dem

gesunden Kern unseres Volkes, nimmer Zweifeln an dem endlichen Sieg der Gerechtigkeit,

und aus vollem Herzen rufe ich: „es lebe unser schönes Vaterland!

DER VORHANG FÄLLT.

[159]

Vollendet Mittwoch den 9 November

in Thalheim Abends 7 Uhr.

von Emil Ficker {1898}