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Düsing Aufhebung der Tradition im dialektischen Denken

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Düsing Aufhebung der Tradition im dialektischen Denken

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HEGELFORUM

herausgegeben von

ANNEMARIE GETHMANN-SIEFERT MICHAEL QUANTE

ELISABETH WEISSER-LOHMANN

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Klaus Düsing

Aufhebung der Tradition im dialektischen Denken

Untersuchungen zu Hegels Logik, Ethik und

Ästhetik

Wilhelm Fink

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© 2012 Wilhelm Fink Verlag, München (Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn)

Internet: www.fink.de

Lektorat und Druckvorlage: Dora Tsatoura Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München

Printed in Germany Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn

E-Book ISBN 978-3-846666 7-5210-4 ISBN der Printausgabe 978-3-7705-5210-8

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INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT ..................................................................................... 7

I. LOGIK UND DIALEKTIK

1. Identität und Widerspruch. Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte der Dialektik Hegels ................................. 11

2. Hegels Dialektik. Der dreifache Bruch mit dem traditionellen Denken ......................................................... 43

3. Syllogistik und Dialektik in Hegels spekulativer Logik .................. 55 4. Dialektikmodelle. Platons Sophistes

sowie Hegels und Heideggers Umdeutungen ................................... 77 5. Antinomie und Dialektik. Endlichkeit und Unendlichkeit

in Hegels Auseinandersetzung mit Kants Antinomienlehre ............. 93

II. METAPHYSIK UND SUBJEKTIVITÄTSTHEORIE

1. Phänomenologie und spekulative Logik. Untersuchungen zum „absoluten Wissen“ in Hegels Phänomenologie ...................... 115

2. Ontologie bei Aristoteles und Hegel ................................................ 131 3. Subjektivität in der klassischen deutschen Philosophie

von Kant bis Hegel. Ein programmatischer Überblick .................... 159 4. Naturteleologie und Metaphysik bei Kant und Hegel ...................... 183 5. Kategorien als Bestimmungen des Absoluten? Untersuchungen

zu Hegels spekulativer Ontologie und Theologie ............................ 201

III. PRAKTISCHE PHILOSOPHIE

1. Politische Ethik bei Plato und Hegel ................................................ 221 2. Die Bestimmungen des freien Willens

und die Freiheit des Begriffs bei Hegel ............................................ 265

IV. ÄSTHETIK

1. Ästhetischer Platonismus bei Hölderlin und Hegel .......................... 281

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INHALTSVERZEICHNIS 6

2. Ästhetische Einbildungskraft und intuitiver Verstand. Kants Lehre und Hegels spekulativ-idealistische Umdeutung ......... 297

3. Griechische Tragödie und klassische Kunst in Hegels Ästhetik ...... 333

VERZEICHNIS DER QUELLEN ......................................................... 347

NAMENVERZEICHNIS ..................................................................... 349

SACHVERZEICHNIS ........................................................................ 352

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VORWORT

Angesichts gegenwärtig sich intensivierender Geschichtsvergessenheit droht der Verlust bedeutender Kulturgüter. Dazu gehören auch die klassisch gewor-denen philosophischen Theorien der Tradition. Tiere leben allein oder in Ru-deln wesentlich ohne kulturelle Tradition; seit Jahrtausenden fängt hier jedes Individuum weitgehend wieder von vorn an. Menschliche Kulturentwicklung kommt immer durch ein Wechselspiel von Tradition und Innovation zustande; und beide, Tradition sowohl wie Innovation, beruhen prinzipiell auf geistig-selbstbewußter Tätigkeit. – Ein paradigmatisches Beispiel für fruchtbare Kombination von Tradition und Innovation bietet Hegels dialektisches Den-ken. Dies sei hier an seiner Logik, die grundlegend zugleich Ontologie und Metaphysik ist, an seiner Ethik sowie an seiner Ästhetik gezeigt. „Aufhebung der Tradition“ im Titel bedeutet im bekannten dreifachen Hegelschen Sinne: bestimmte Negation, Bewahrung und Erhebung auf eine höhere Stufe. Dies ist Hegels Anspruch, der durch sein dialektisches Denken eingelöst werden soll. Sein Denken sei hier aufgenommen, interpretiert, aber zugleich auch kritisch – mit noch weiterzuführenden Ansätzen zur Innovation – betrachtet.

Der vorliegende Band enthält nur gelegentlich geringfügig veränderte Auf-sätze von 1981 bis 2010 in einer Anordnung nach Hegelschem Systemdenken. Meine zugrundeliegende Konzeption ist nicht immer gleich geblieben. Die früheren Aufsätze sind stärker interpretierend; die späteren bieten darüber hin-aus typologische und systematische Durchblicke. Sie sind in ganz verschiede-nen Publikationsorganen erschienen; von drei bisher nur fremdsprachig veröf-fentlichten Aufsätzen erscheint hier erstmals die deutsche Originalfassung (s. II,1; II,3; III,2); ein deutschsprachiger Aufsatz erschien nur in einem italieni-schen Jahrbuch (I,1).

Mein aufrichtiger und herzlicher Dank gilt den Herausgeber(inne)n des Hegel-Forums, die diese Aufsatzsammlung angeregt haben, Frau Annemarie Gethmann-Siefert, Frau Elisabeth Weisser-Lohmann und Herrn Michael Quante. Es sei mir erlaubt, die große Hilfe insbesondere von Frau Gethmann-Siefert, aber auch von Frau Weisser-Lohmann und für die Gestaltung des Drucks von Frau Dora Tsatoura (FernUniversität Hagen) hervorzuheben. Ohne diese wirkungsvolle Unterstützung wäre der Band wohl kaum zustande gekom-men. – Ferner bedanke ich mich für freundliche Wiederabdruckserlaubnis, insbesondere bei Félix Duque, Madrid, für die Erlaubnis, die deutsche Origi-nalfassung von Phänomenologie und Logik (II,1) hier zu veröffentlichen. – Für Rat und Tat gilt mein besonderer Dank meiner Frau Edith Düsing.

Köln, im Januar 2011

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I. LOGIK UND DIALEKTIK

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Identität und Widerspruch Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte der Dialektik Hegels

Identität und Widerspruch sind seit alters her leitende Termini logischer Axi-omatik. Ein Problem können sie darstellen, wenn sie zugleich als grundlegen-de Begriffe einer Ontologie verstanden werden, die eine wahre Erkenntnis des Seienden selbst ermöglichen sollen; denn dann erhebt sich die Frage, ob dem Seienden als solchen und von sich her Identität oder aber Widersprüchlichkeit oder schließlich sogar beides zukommt. Schon Plato hatte als eine oberste Gat-tung das mit sich Identische (ôášôüí) aufgestellt, jedoch immer in Gemein-schaft mit anderen obersten Gattungen wie z.B. dem Verschiedenen (èÜôåñïí); er wendet sich von der Struktur der Mehrfältigkeit des Logos her gegen Par-menides’ Lehre, daß das Sein nur Eines, d.h. nur in sich gleich und identisch sei. Ebenso aber formuliert er als erster eine Version des Satzes vom zu ver-meidenden Widerspruch;1 kein wahres Wissen besitzt, wer über dasselbe in derselben Beziehung und in demselben Sinne Entgegengesetztes, d.h. Wider-sprechendes behauptet. Heraklit hatte versucht, Widersprechendes als seiend zu denken, was nach Plato unmöglich ist. Auch Aristoteles wendet sich insbe-sondere gegen Heraklit bei seiner klassisch gewordenen Formulierung des Satzes vom zu vermeidenden Widerspruch: Dasselbe kann demselben in der gleichen Hinsicht unmöglich zugleich zukommen und nicht zukommen.2 Dies gilt nach Aristoteles für das Seiende als solches, zu dessen Erforschung jener Grundsatz als der sicherste aufgestellt wird. Er ist also ein Grundsatz der On-tologie, von der Aristoteles selbst in dieser Frage die reine Logik nicht ab-trennt. Eine solche Abtrennung erfolgt erst später. Sie wird dann von Kant prinzipiell vollzogen und begründet im Verhältnis der selbständig zu entfal-tenden reinen oder formalen Logik zur Transzendentalphilosophie, die an die Stelle der alten Ontologie tritt. Der Satz vom Widerspruch gilt als allgemeines, rein logisches Prinzip für alle Urteile unabhängig von ihrer Beziehung auf Seiendes. Dennoch ist auch er für Kant in gewisser Weise Wahrheitskriterium; was sich widerspricht, kann weder sein noch erkannt werden; die Nichtwider-sprüchlichkeit ist zugleich positives Kriterium der Wahrheit eines analytischen Urteils. Die Möglichkeit der Wahrheit synthetischer Urteile kann allerdings nur durch die transzendentale Deduktion der Kategorien innerhalb der Trans-zendentalphilosophie erwiesen werden, die selbst die Regeln der formalen Lo-gik voraussetzt. Hegel dagegen integriert innerhalb seiner spekulativen Logik diese formale Logik unter Veränderung einiger ihrer Lehren wieder in eine Ontologie und Ontotheologie, und zwar aufgrund der Konzeption eines neuar-

1 Vgl. Plato: Sophistes 230b, vgl. auch 263d, schon Resp. 436b; zur Wendung gegen Heraklit

vgl. Symposion 187a-b, auch Sophistes 242d-e (nach der Stephanus-Ausgabe). 2 Vgl. Aristoteles: Metaphysik. 1005b, 17-25 (nach der Bekker-Ausgabe).

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IDENTITÄT UND WIDERSPRUCH 12

tigen spekulativ-dialektischen Denkens. Hiermit stellt sich erneut die Frage, ob Identität und bzw. oder Widerspruch grundlegende, wahre Bestimmungen des Seienden selbst und als solchen sind. Hegel gelangt insbesondere mit dem Gedanken der positiven ontologischen Bedeutung des Widerspruchs zu einer anderen ontologischen Theorie als etwa Plato oder Aristoteles und in seinem eigenen Verständnis zu einer partiellen Restitution der Heraklitischen Lehre, über deren ursprüngliche ontologische Einfachheit er jedoch durch die Entfal-tung des ganzen Reichtums der ontologischen Bestimmungen hinausgeht.

Dieses Verständnis des Widerspruchs in seiner ontologischen Bedeutung und die Konzeption der Immanenz dieses Widerspruchs in der ebenfalls onto-logisch verstandenen absoluten Identität sind nun zentral für Hegels spekulati-ve Dialektik. Das reine spekulative Denken, das als solches nach Hegel das Seiende erkennt, verstößt gegen den logischen Satz vom zu vermeidenden Widerspruch, um den Widerspruch als grundlegende Bestimmung des Seien-den selbst denken zu können. Formallogische Kritiker, die nur diesen Verstoß rügen, gehen an Hegels spekulativ-ontologischer Begründung vorbei. Diese findet sich am ausführlichsten in der Wesenslogik, in der auf der Grundlage des Wesens als Reflexion die Reflexionsbestimmungen von der Identität bis zum Widerspruch und zum Grund als der höheren Bestimmung der absoluten Identität in notwendigem Zusammenhang entwickelt werden. Diese Reflexi-onsbestimmungen erweisen sich bei Hegel zugleich als Kennzeichnungen we-sentlicher methodischer Stadien im dialektischen Fortgang überhaupt. Die Ar-gumentation Hege1s, die in der Wissenschaft der Logik von der Identität zum Widerspruch und Grund führt, ist zwar die detaillierteste und am meisten aus-gebildete über diese Frage; dennoch bleibt sie teilweise dunkel und mit Schwierigkeiten behaftet, so daß in ihr die zugrundeliegende metaphysische Konzeption und Motivation nicht immer klar erkennbar ist. Diese erschließt sich jedoch einer entwicklungsgeschichtlichen Betrachtung, die bei den Ju-gendschriften beginnt und bis zur Wissenschaft der Logik geht. Eine solche Betrachtung kann zeigen, was Hegel zum Hinausgehen über die traditionelle Logik und zur Begründung einer neuen Ontologie und Ontotheologie im rei-nen Denken veranlaßt, die zudem noch manchen Wandlungen unterworfen ist, bevor sie ihre klassische Gestalt in Hegels spekulativer Logik erhält.

So sei in entwicklungsgeschichtlicher Abfolge zunächst Hegels erste Ein-grenzung und zugleich Überschreitung der traditionellen Verstandeslogik und speziell des Satzes vom Widerspruch in den Frankfurter Schriften auf ihre me-taphysischen Gründe hin untersucht. Dann sei innerhalb der ersten Konzeption von absoluter Metaphysik das Verhältnis von Identität und Widerspruch in der Differenz-Schrift und in der frühen Logik und Metaphysik (1801/02) sowie die Verwandlung der klassischen logischen Axiome im späteren Jenaer System-entwurf von 1804/05 erörtert. Besonders bei diesem Systementwurf ist zu klä-ren, warum Hegel jene Grundsätze nicht schon in der Logik, sondern erst in der von ihr getrennten und auf sie folgenden Metaphysik expliziert und wie daraufhin das metaphysische, spekulative Denken von ihm bestimmt wird.

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1. LEBEN IN DEN JUGENDSCHRIFTEN 13

Schließlich gilt es, die Entstehung der Wesenslogik und speziell der Lehre von den Reflexionsbestimmungen anhand von Nürnberger propädeutischen Logi-ken zu skizzieren, um dann vor dem Hintergrund der aufgewiesenen metaphy-sischen Einsichten und Wandlungen Hegels die Entwicklung der Reflexions-bestimmungen des Wesens und deren Bedeutung für die spekulative Ontologie sowie für die Phasenabfolge der dialektischen Methode und des dialektischen Denkens anhand der Wissenschaft der Logik in einzelnen ausgewählten Ar-gumentationsschritten Hegels darzulegen.

1. Verstandeswiderspruch und Einheit des Lebens in Hegels Jugendschriften

Die ersten Motive, über den Satz vom Widerspruch als ein Prinzip der Ver-standeslogik hinauszugehen, finden sich schon in Hegels Frankfurter Schriften. Solche Motive sind ihm gemeinsam mit den Frankfurter und Homburger Freunden; insbesondere folgt er Anregungen Hölderlins. Zuvor war Hegel mit einigen Modifikationen Kantianer; durch Schellings Frühschriften und den Briefwechsel mit Schelling wird er zum ersten Mal ernsthaft mit dem Spino-zismus, nämlich mit Schellings Spinozismus des Ich konfrontiert. Im Frank-furter Freundeskreis adaptiert er dann bald Hölderlins Entwurf einer panthei-stischen Metaphysik des Einen und des Schönen, die zugleich ein ästhetischer Platonismus ist.3 Hölderlin legt in dem Fragment über Urteil und Sein4 dar, daß das Urteil als Ur-teilung, als Trennung insbesondere der Bestimmungen des Subjekts und Objekts voneinander schon gegenseitige Beziehung und damit ein zugrundeliegendes Ganzes und Eines voraussetze. Dies erweist sich, wie Hölderlin gegen Fichtes Theorie des Ich sagt, insbesondere für das Selbstbe-wußtsein. Da dieses in seinem Fürsichsein und in der Vorstellung seiner selbst in Subjekt und Objekt geteilt ist, kann es nicht höchstes Prinzip sein; ihm kommt nach Hölderlin allenfalls Identität zu, d.h. Einheit des Ich mit sich in schon unterschiedenen vorausgesetzten Bestimmungen. Aber es ist nicht ur-

3 Zu den philosophischen Gemeinsamkeiten Hölderlins und Hegels vgl. vor allem J. Hoffmei-

ster: Hölderlin und Hegel. Tübingen 1931; A. Peperzak: Le jeune Hegel et la vision morale du monde. Den Haag 21969, 192 f, 215 f; O. Pöggeler: „Hölderlin, Hegel und das älteste Sy-stemprogramm“. In: Das älteste Systemprogramm. Hrsg. von R. Bubner (= Hegel-Studien. Beiheft 9 [1973], 211-259); D. Henrich: „Hegel und Hölderlin“. In ders.: Hegel im Kontext. Frankfurt a.M. 1971, 9-40; vom Verf.: „Ästhetischer Platonismus bei Hölderlin und Hegel“. In: Homburg v.d..H. in der deutschen Geistesgeschichte. Hrsg. von Chr. Jamme und O. Pög-geler. Stuttgart 1981, 101-117 (s. vorl. Band IV, 1); Chr. Jamme: „Ein ungelehrtes Buch. Die philosophische Gemeinschaft zwischen Hölderlin und Hegel in Frankfurt 1797-1800“. In: Hegel-Studien. Beiheft 23 (1983), bes. 150-197, 317-348.

4 Vgl. F. Hölderlin: Sämtliche Werke. Hrsg. von F. Beissner. Stuttgart 1961. Bd. 4/1, 216 f. Auf die fundamentale, prinzipientheoretische Bedeutung dieses Fragments, in dem sich bereits Hölderlins Vereinigungsphilosophie ankündigt, macht aufmerksam D. Henrich: „Hölderlin über Urteil und Sein“. In: Hölderlin-Jahrbuch 14 (1965/66), 73-96.

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IDENTITÄT UND WIDERSPRUCH 14

sprüngliche, in sich einfache Einheit. Diese denkt Hölderlin als dem Selbst-bewußtsein und überhaupt allen Trennungen und Gegensätzen überlegenes Sein und Leben, das zugleich für alles dies der Urgrund ist. Das Eine und Ganze als wahres Sein aber ist Schönheit, wenn es als in sich einige Harmonie in der Mannigfaltigkeit und in den Unterschieden des Wirklichen aufleuchtet.

Sinclair, der ebenfalls zu dem Freundeskreis gehört, ist von diesem Ansatz in seiner Fichte-Kritik bestimmt.5 Auch für ihn kann die Reflexion des endli-chen Ich, die Unterscheidungen und Trennungen verhaftet bleibt, nicht selb-ständiges Prinzip sein; ihr vorzuordnen ist als höchstes Prinzip das einfache, voraussetzungslose Sein. Ebenso schließt Hegel sich dann in Frankfurt dieser Grundposition an. Sie bildet für ihn das Fundament für seine konkreteren Un-tersuchungen über die Religion, mit denen er damals vornehmlich befaßt ist; diese Position wird von ihm in der Abfolge seiner Frankfurter Entwürfe je-doch auch eigenständig weiterentwickelt.

Die Unterscheidung und Trennung endlicher Bestimmungen interpretiert Hegel von Kant her als Antinomie.6 Hierbei handelt es sich für ihn also um ei-ne Entgegensetzung, allerdings nicht von Sätzen, sondern von Begriffen. Sol-che Entgegensetzung ist im endlichen Bewußtsein und für dessen Reflexion unvermeidlich, ähnlich wie bei Kant die Antinomien für die Vernunft unaus-weichlich sind; Hegel hält sie allerdings anders als Kant für nicht auflösbar. Die Entgegensetzung oder Antinomie endlicher Bestimmungen ist in Hegels Auffassung als entgegensetzende Beziehung freilich selbst nur möglich und nur erkennbar, wenn ihr Vereinigung schon zugrunde liegt. Diese Vereinigung kann als der Seins- und Erkenntnisgrund der Antinomie und ihrer entgegenge-setzten Bestandteile angesehen werden. Wie Hölderlin denkt Hegel sie als das Sein. Solches Sein als Vereinigung ist für Hegel die Grundlage aller Religion; bewußtseinsimmanent vorgestellt wird es in einem Glauben. Glauben und nicht Denken ist hier für Hegel die angemessene Weise des Fürwahrhaltens. Das Sein geht jedoch in dieser Bewußtseinsimmanenz nicht auf, sondern ist unabhängig davon, liegt an sich allem Bewußtsein und dessen Gegensätzen der Reflexion voraus.

Die Präsenz des Seins oder der Vereinigung im Bewußtsein und dessen Ge-gensätzen ist in gewisser Weise paradox. Das endliche Bewußtsein denkt in seinem Verstand oder in seiner Reflexion nur endliche Bestimmungen, die in ihrer Bedeutung begrenzt sind; so ist ihnen das, was sie nicht sind, jeweils entgegenzusetzen. Diese Hinzufügung des jeweiligen Gegenteils nennt Hegel „Vervollständigung“.7 Aber das endliche Bewußtsein oder die Reflexion ge-langt für sich nicht über diese Sphäre der Entgegensetzung hinaus. Soll das 5 Zu Sinclairs früher Philosophie vgl. H. Hegel: Isaak von Sinclair zwischen Fichte, Hölderlin

und Hegel. Frankfurt a.M. 1971, bes. 120-170, auch 47-58. 6 Vgl. G.W.F. Hegel: Theologische Jugendschriften. Hrsg. von H. Nohl. Tübingen 1907 (ND

Frankfurt a.M. 1966), 382 f. 7 Vgl. a.a.O. 348 ff; vgl. ebenso die Differenz-Schrift in Hegel: Gesammelte Werke. Bd. 4.

Hrsg. von H. Buchner und O. Pöggeler. Hamburg 1968, bes. 17.

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1. LEBEN IN DEN JUGENDSCHRIFTEN 15

Sein als Vereinigung, das sich zugleich als göttliches Leben erweist, im endli-chen Bewußtsein irgendwie vorgestellt werden, so ist es für das Bewußtsein ein Widerspruch; ihm nämlich gilt „jedes über Göttliches in Form der Reflexi-on Ausgedrückte“ als „widersinnig“; der „Verstand, der es aufnimmt und dem es Widerspruch ist“, wird dadurch „zerrüttet“.8 Denn Sein und Leben sind un-endlich und durch verständige endliche Bestimmungen nicht zu erfassen. Ver-sucht der Verstand es dennoch, indem er etwa über die Einseitigkeit einer fi-xierten Bestimmung für Endliches durch Vervollständigung um ihr Gegenteil hinausgeht, so denkt er entgegengesetzte, einander ausschließende endliche Bestimmungen als Prädikate des Unendlichen und damit einen Widerspruch. Gemäß dem Satz vom zu vermeidenden Widerspruch ist dieser Gedanke zwar ungültig und nichtig; doch ist er zugleich unausweichlich, wenn das Unendli-che, nämlich das Sein und das Leben im Bewußtsein und dessen Gegensätzen präsent sein soll. Der Satz vom Widerspruch wird hierbei in seinem Geltungs-bereich auf Aussagen des Verstandes beschränkt: „Was im Reich des Toten Widerspruch ist, ist es nicht im Reich des Lebens“.9 Das „Reich des Toten“ ist das Reich der fixierten, unlebendigen, endlichen Verstandesbestimmungen. Der Satz vom Widerspruch gilt damit ontologisch nicht mehr universal; im Reich des Lebens gibt es Seiendes, das der Verstand nur in Widersprüchen zu denken vermag, das aber in eigentlicher Weise, wie Hegel im Verlaufe seiner Frankfurter Zeit dann mit Hölderlin annimmt, in „Begeisterung“ oder auch im „Gefühl“ oder aber „mystisch“ in höherer, nichtsinnlicher, also intellektueller Anschauung zu erfassen ist.10 In solcher Anschauung ist der Mensch, der sich in ihr nicht als einzelnes Bewußtsein erhält, ein „Lichtgefühl“. Mit dieser vage neuplatonisch-mystischen Auffassung, die nicht auf spezifische Vorbilder re-kurriert, geht Hegel ebenso wie Hölderlin über die Position der Reflexion des Bewußtseins und seiner Entgegensetzungen hinaus. Hölderlin und Hegel sup-ponieren hierbei als Grundlage jener Entgegensetzungen ein ursprünglich Ei-nes und Ganzes, das das Prinzip für ihren neuspinozistischen Pantheismus des Lebens und auch für jene Auffassung vom mystischen Anschauen ist. Das Motiv für die Einschränkung der Gültigkeit des Satzes vom Widerspruch auf Verstandesbestimmungen, wie insbesondere Hegel sie faktisch vornimmt, liegt also in diesem metaphysischen Ansatz des Einen und des Allebens.

Diese Konzeption gehört zur Vorgeschichte der Dialektik Hegels. Das Ver-hältnis von Antinomie und Vereinigung, von Einigkeit in den Getrennten, wie Hegel es, wiederum in Aufnahme von Anregungen Hölderlins, in verschie-denartigen Zusammenhängen beschreibt, ist selbst keineswegs schon Dialek-

8 Theologische Jugendschriften, a.a.O. 306. 9 A.a.O. 308 f. 10 Vgl. a.a.O. 305 f, 303, 379, 308, zum folgenden 316. Mit solcher positiven adäquaten Erfas-

sung des Seins und Lebens geht Hegel über seine frühere Auffassung (in Glauben und Sein) hinaus, es sei nur im „Glauben“ vorstellbar.

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IDENTITÄT UND WIDERSPRUCH 16

tik.11 Denn die Einheit der entgegengesetzten Bestimmungen kann selbst nicht gedacht, sondern nur gefühlt oder enthusiastisch angeschaut werden; damit läßt sich auch kein methodischer Sinn des Verhältnisses jener Einheit zu den entgegengesetzten Gliedern begrifflich bestimmen.

Das Prinzip der Einheit oder des einfachen Seins und Lebens als Funda-ment aller Gegensätze des Endlichen nimmt Hegel aber nicht lediglich von Hölderlin auf, sondern entwickelt es in den späteren Frankfurter Entwürfen auch selbständig weiter. Das Eine ist für Hegel zugleich das wahrhaft Unend-liche. Gemäß dem Begriff der wahren Unendlichkeit, den Hegel schon hier konzipiert, darf dieses Eine das Endliche und dessen Gegensätze nicht außer sich haben, weil es dann selbst etwas Endliches, anderem nur Entgegengesetz-tes wäre; es muß die endlichen Bestimmungen und ihre Antinomien vielmehr in sich enthalten, d.h. zugleich, es muß in ihnen als belebendes Prinzip, als ei-ne die Fixiertheit des Endlichen ebenso wiederaufhebende Macht gegenwärtig sein. Entgegensetzung und Beziehung von endlichen Bestimmungen müssen dabei selbst verbunden werden, und solche Verbindung muß mit der Nichtver-bindung erneut eine Verbindung eingehen usf., so daß insgesamt das unendli-che Eine als Leben alles Endliche und dessen Verhältnisse in sich faßt und durchwaltet.12 Dieses Eine ist in ontologischer Hinsicht nicht einfaches Insich-sein, wie es Spinozas Substanz zukommt, sondern in sich einiger, hervorbrin-gender und belebender Grund, aus dem alles Endliche und dessen Relationen hervorgehen und in dem sie doch verbleiben. Hegel knüpft hiermit also nicht einfach an Spinozas Substanzbegriff an. Dies wird auch daran sichtbar, daß für Hegel dieses göttliche Leben in seinem produktiven Durchwirken und Beleben alles Mannigfaltigen als solches und im ganzen – und nicht nur als Attribut – zugleich Geist ist. Die Einheit als Prinzip wird somit inhaltlich und strukturell wesentlich differenziert. Von der späteren Konzeption des Absoluten als Iden-tität der Identität und der Nichtidentität, wie Hegel sie von der Differenz-Schrift an formuliert, trennt ihn noch die Auffassung, daß dieses Eine als Le-ben und auch als Geist nicht durch Denken erkennbar ist, weil das Denken nach der Konzeption Hegels in den Frankfurter Entwürfen immer nur endliche Bestimmungen aufzustellen und durchzugehen vermag. Wahrhaft erfaßt wird es nur in der Religion als der Vereinigung von Gefühl bzw. von Anschauung und Reflexion.

11 Gegen diese oft vorgetragene Ansicht, in der Einheit der Entgegengesetzten oder in der davon

bestimmten Struktur der Liebe habe Hegel zum ersten Mal seine Dialektik konzipiert, sei er-laubt zu verweisen auf das Werk des Verfs.: „Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik“. In: Hegel-Studien. Beiheft 15 3(1995), 43 f, 50 ff.

12 So ist Leben „die Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung“ von weiteren Rela-la, vgl. Theologische Jugendschriften, a.a.O. 348; vgl. zum Verständnis dieser Passage und dieses Begriffs M. Baum: „Zur Vorgeschichte des Hegelschen Unendlichkeitsbegriffs“. In: Hegel-Studien 11 (1976), 106 f. Zum systematischen Kontext dieses Gedankens in Hegels Sy-stemfragment vgl. L. Lugarini: Hegel dal mondo storico alla filosofia. Roma 1973, 64 ff.

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2. DIALEKTIK IN HEGELS JENAER SCHRIFTEN 17

Bleibt das Denken sich selbst überlassen, so kann es das ganze Reich der endlichen Bestimmungen durchgehen und diese in Gegensatzverhältnissen an-ordnen. Darin besteht nach diesem Ansatz Hegels die Aufgabe der von der Re-ligion unterschiedenen Philosophie. Sie weist in allem Endlichen und dessen Gegensätzen nur Endlichkeit und damit Unvollendetheit auf, so wie der philo-sophische Zweifler bei Hölderlin im Endlichen nur Mangel findet, weil ihm die „mangellose Schönheit“ vorschwebt. In ähnlicher Weise setzt der Philo-soph für Hegel die erfüllte Unendlichkeit als eigentliche Wahrheit voraus, die er durch Denken jedoch nicht erreichen kann, deren Erfassung vielmehr der Religion vorbehalten bleibt. Diese Bestimmung der Philosophie bildet eine Präfiguration der Konzeption der Logik in der frühen Jenaer Zeit als eines „wissenschaftlichen Skeptizismus“. In dieser Philosophie und in jener Logik kann das Unendliche und das Eine Sein und Leben nur als Widerspruch endli-cher Bestimmungen untereinander gedacht werden, wodurch sich das Denken des Endlichen in seinem Anspruch auf selbständige Gültigkeit aufhebt. Da dem Unendlichen aber die endlichen Bestimmungen und deren Verhältnisse immanent sind, ist in ihm auch auf solches sich aufhebende Denken als Prä-senz des Unendlichen im endlichen Bewußtsein keinesfalls zu verzichten.

2. Widerspruch und absolute Identität. Entstehung und Entwicklung der Dialektik in Hegels Jenaer Schriften

1. Vom Beginn der Jenaer Zeit an (seit 1801) konzipiert Hegel Philosophie als absolute Metaphysik, d.h. als vollständige vernünftige Erkenntnis des Absolu-ten in systematischer Wissenschaft, was er in seinen Frankfurter Fragmenten noch für unmöglich gehalten hatte;13 systematische und zugleich rechtfertigen-de Einleitung in diese Metaphysik und in ihr spekulatives Wissen ist für Hegel in seinem frühen Jenaer Ansatz die Logik, die die Aufgaben der Philosophie übernimmt, wie Hegel sie in Frankfurt bestimmte. In dieser Logik werden die reinen Bestimmungen in systematischem Zusammenhang entwickelt, die der Reflexion oder dem endlichen Denken des Verstandes als solchen immanent sind. Am Ende der Logik sieht die Reflexion ein, daß sie im Denken dieser endlichen, nach Hegel jeweils gegensätzlichen Bestimmungen selbst grundle-gend dem Widerspruch unterliegt; da sie den Satz vom zu vermeidenden Wi-derspruch beachtet, wird ihr mit dieser Einsicht die Ungültigkeit und Nichtig-keit ihrer eigenen Bestimmungen evident. Dennoch ist Erkenntnis des Absolu-ten nach Hegel möglich; hierzu bedarf es eines höheren Vorstellungsvermö-gens, als die Reflexion es ist, nämlich der intellektuellen Anschauung. In ihr, für sich genommen, wäre das Absolute jedoch nur unbewußt gegenwärtig. Die

13 Zu den Gründen dieses Wandels in Hegels Denkentwicklung sei der Verweis erlaubt auf die

Darlegung des Verfs. in: „Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik“ (s. Anm. 11), 70 ff. Zum folgenden vgl. 93-108.

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IDENTITÄT UND WIDERSPRUCH 18

Reflexion behält für das Erkennen des Absoluten nach Hegel daher eine not-wendige, wenn auch untergeordnete Bedeutung. Das Absolute kann nur gewußt und wissenschaftlich entfaltet werden im Bewußtsein und unter Berücksichtigung der Reflexionsformen des Bewußtseins. Solche Bewußtseinsimmanenz des Absoluten aber vermag sich in den endlichen Reflexionsbestimmungen ledig-lich als Widerspruch auszudrücken.

Bei diesem Begriff der Reflexion als des endlichen Verstandesdenkens, das in der Logik seine eigenen endlichen Bestimmungen von fixierter Bedeutung erfaßt, steht für Hegel Fichtes Begriff des endlichen Ich im Hintergrund; He-gel interpretiert es – seinem Ansatz gemäß – zum logischen Ich als Prinzip der reinen endlichen Reflexionsbestimmungen um. Er setzt hiermit zugleich die Fichte-Kritik der Frankfurter Freunde und seine eigene frühere Fichte-Kritik fort. Fichtes ausgeführte Philosophie gilt ihm nur als Theorie der endlichen Reflexion, nicht als Theorie der Spekulation oder der wahren vernünftigen Er-kenntnis.14 Die Reflexion – oder jenes endliche Fichtesche Ich, auf das der Grundsatz: „Ich bin Ich“ sich bezieht – ist am Ende der Logik für Hegel we-sentlich bestimmt durch den Widerspruch, der nach seiner Theorie dem Ich oder der Reflexion immanent ist; dieser Widerspruch aber beruht auf dem Seins- und Erkenntnisgrund der absoluten Identität. Widerspruch und voraus-gesetzte absolute Identität kennzeichnen also die Reflexion, und zwar sowohl an der Nahtstelle des Übergangs von der Logik in die Metaphysik als auch in-nerhalb der Philosophie des Absoluten, wo sie „philosophische Reflexion“ oder „Instrument des Philosophierens“15 ist. Diese systematische und Fichte gegenüber kritische Konzeption der Reflexion entwickelt Hegel später weiter in seiner Lehre von den Grundsätzen des Erkennens und schließlich von den Reflexionsbestimmungen des Wesens. Ebenso wird bereits in dieser Konzep-tion gegen den Satz vom Widerspruch verstoßen, was Hegel später in seiner Dialektik beibehält. Hegel erklärt in einer seiner Habilitationsthesen von 1801 ausdrücklich: „Contradictio est regula veri, non contradictio falsi“; denn das Absolute kann im Bewußtsein und dessen Bestimmungen, wie Hege1 in der Differenz-Schrift betont, nur so gegenwärtig werden, „daß die rein formale Er-scheinung des Absoluten der Widerspruch ist“. Hiermit ist jeweils der logische Widerspruch gemeint, wie auch aus dem Skeptizismus-Aufsatz klar hervor-geht:

Der sogenannte Satz des Widerspruchs ist daher so wenig auch nur von formeller Wahrheit für die Vernunft, daß im Gegenteil jeder Vernunftsatz

14 Während Hegel in der Differenz-Schrift noch einen spekulativen Sinn in Fichtes Prinzip des

absoluten Ich sieht, den er von der systematischen Ausführung durch die bloße Reflexion un-terscheidet, ist Fichtes Philosophie für ihn in Glauben und Wissen von Anfang an Reflexions-philosophie. Vgl. dazu und allgemein zu Hegels Fichte-Kritik vom Verf.: „Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik“, a.a.O. 120 ff.

15 Hegel: Gesammelte Werke 4, a.a.O. 22, 27 sowie 16 ff. Vgl. hierzu L. Lugarini: Hegel dal mondo storico alla filosofia (s. Anm. 12), bes. 84·96.

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2. DIALEKTIK IN HEGELS JENAER SCHRIFTEN 19

in Rücksicht auf die Begriffe einen Verstoß gegen denselben enthalten muß.16

Hegel hat hierbei offenbar die formallogische Bedeutung des Satzes vom Wi-derspruch als eines negativen Grundsatzes für alle Urteile vor Augen, wie er sie aus Kants Kritik der reinen Vernunft entnehmen konnte.17 Nur endliche Begriffe, die sich auf endliche Sachverhalte beziehen, dürfen in der Urteils-verknüpfung einander nicht widersprechen wie etwa in Kants Beispiel: „Kein ungelehrter Mensch ist gelehrt“. Soll das Absolute dagegen im Bewußtsein präsent sein, so müssen sich die Bestimmungen, die es zu erfassen suchen, in ihrer Endlichkeit aufheben, indem sie logisch in Urteilsverknüpfungen Wider-spruchsverhältnisse bilden und damit ihren Anspruch auf selbständige Gültig-keit einbüßen. Jede spekulative Wahrheit enthält notwendig einen solchen Widerspruch endlicher Bestimmungen der Reflexion. Hegel verlangt also – entgegen vielfach geäußerter Meinung seit dem 19. Jahrhundert bis heute – das Begehen nicht nur eines ontologischen, sondern zugleich des logischen Widerspruchs,18 und zwar aus spekulativ-metaphysischen Gründen.

Der Widerspruch, in dem das Absolute negativ ausgedrückt wird, kann für Hegel auch zwischen grundlegenden Sätzen bestehen wie A = A und A = B qua Non-A; die absolute Identität werde darin sichtbar, daß man trotz dieses Widerspruchs aus dem einen den jeweils entgegengesetzten Satz gewinnen könne. Diese Operation gelingt freilich nur, wenn die absolute Identität, die den Widerspruch in sich enthält, hierbei schon vorausgesetzt wird.19 16 Das erste Zitat findet sich in K. Rosenkranz: Hegels Leben. Berlin 1844, 156, die beiden an-

deren Zitate in Hegel: Gesammelte Werke 4, a.a.O. 27 und 208. 17 Vgl. Kritik der reinen Vernunft. B 190, im folgenden B 192. E. Berti zeigt für den späteren

Hegel auf, daß dieser sich gegen den Satz vom Widerspruch nicht in Aristoteles’, sondern in Kants Fassung richtet; vgl. E. Berti: „Ist Hegels Kritik am Satz vom Widerspruch gegen Ari-stoteles gerichtet?“ In: Philosophisches Jahrbuch 88 (1981), 371-377. Vgl. bereits ders.: “La contraddizione in Aristotele, Kant, Hegel e Marx”. In: La contraddizione. A cura di E. Berti etc. Roma 1977, bes. 16-21.

18 Vgl. auch: „Jede echte Philosophie“ hat die „negative Seite“, daß sie „den Satz des Wider-spruchs ewig aufhebt“ (Gesammelte Werke 4, 209). Die Interpreten, die bei Hegel keinen Verstoß gegen den Satz vom Widerspruch sehen, suchen Hegel vor der formallogischen Kri-tik, wie sie prominent zuerst Trendelenburg äußerte, in Schutz zu nehmen, so schon K. Ro-senkranz: Wissenschaft der logischen Idee. T. 1: Metaphysik. Königsberg 1858, 300 ff; vgl. zur Darstellung solcher Interpretationen mitsamt seiner eigenen A. Sarlemijn: Hegelsche Dia-lektik. Berlin 1971, 8l ff, auch 95 ff; kürzlich wurde diese These erneut vertreten von M. Wolff: Der Begriff des Widerspruchs. Eine Studie zur Dialektik Kants und Hegels. König-stein 1981.

19 Vgl. Hegel: Gesammelte Werke 4, a.a.O. 25 f. Für die nähere Ausführung darf verwiesen werden auf die Darlegung des Verfs. in: „Das Problem der Subjektivität“ (s. Anm. 11), 95 f, 98 f. Zur im folgenden erwähnten These über die frühe Dialektik vgl. bes. 101 ff. Zu ähnli-chen Ergebnissen wie der Verfasser in seinen näheren Ausführungen kommt R. Lauth: „He-gels spekulative Position in seiner Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie im Lichte der Wissenschaftslehre“. In: Kant-Studien 72 (1981), bes. 476 f. Ein anderes Ergebnis stellt sich bei z.T. ähnlichen Argumenten ein für B. Tuschling: „Widersprü-che im transzendentalen Idealismus“. In: Probleme der „Kritik der reinen Vernunft“. Hrsg. von B. Tuschling. Berlin und New York 1984, bes. 288 ff, 303 ff.

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IDENTITÄT UND WIDERSPRUCH 20

Der rein negativ bleibende Aufweis, daß unter den endlichen Bestimmun-gen der Widerspruch herrscht, wird nach Hegel vom Skeptizismus erbracht; so ist die frühe Logik mit ihren Antinomien der reinen Bestimmungen der Refle-xion ein „wissenschaftlicher Skeptizismus“.20 Als ihre Methode kann eine frü-he, noch rein negativ bleibende Form von Dialektik eruiert werden. Sie besteht in der systematischen Aufstellung entgegengesetzter Reflexionsbestimmungen und läßt den grundlegenden Widerspruch erkennen, dem diese Bestimmungen und überhaupt die Reflexion unterliegen, aus dem selbst jedoch noch kein po-sitives Resultat hervorgeht.

Die positive Seite der Philosophie, in die die negative einleitet, enthält nach Hegel die absolute Identität, die von ihm in der Aufnahme Spinozas ontolo-gisch und ontotheologisch als die eine und einzige Substanz gedacht wird. Diese ist für ihn durch die causa sui charakterisiert; die causa sui aber konzi-piert er als absolute Identität der antinomischen Reflexionsbestimmungen der Ursache und der Wirkung. So bilden diese, auf eine und dieselbe Sache in ei-ner Aussage bezogen, einen Widerspruch, in dem sich ex negativo die Identität der absoluten Substanz im Bewußtsein zeigt. Eine Aufstellung solcher Wider-sprüche und damit Dialektik findet sich also auch in der Metaphysik und fer-ner überhaupt im System, freilich nicht als zureichende Methode, sondern als ein untergeordneter Bestandteil der Spekulation. Diese synthetisiert in sich die intellektuelle Anschauung als unmittelbares Gegenwärtighaben des Absoluten in absoluter Identität und die Reflexion mit ihren bewußtseinsimmanenten an-tinomischen Bestimmungen.

2. In der späteren Systemkonzeption von 1804/05 ist diese Dichotomie von intellektueller Anschauung und Reflexion als getrennter Erkenntnisbestandtei-le zugunsten eines neuartigen, einheitlichen, nicht nur endlich-formalen Den-kens aufgegeben. Die systematische Trennung der Logik von der Metaphysik behält Hegel jedoch in diesem Ansatz noch bei, obwohl er in die Logik grund-legende metaphysische Gehalte aufnimmt. Um so erstaunlicher ist zunächst, daß er Identität und Widerspruch, die er an die traditionellen logischen Grund-sätze zurückbindet, und überhaupt die logische Axiomatik nicht in der Logik, sondern erst am Anfang der Metaphysik erörtert. Dies Vorgehen Hegels und seine Gründe dafür machen aber zugleich einen weiteren Schritt auf dem We-ge zur späteren spekulativen Lehre von den Reflexionsbestimmungen des We-sens aus.

Am Ende der Logik innerhalb der Konzeption von 1804/05 erkennt das Er-kennen nach vollendetem Durchgang durch die ihm eigenen Bestimmungen sich selbst. Wieder steht für Hegel hierbei Fichtes Begriff des Ich im Hinter-grund. Die Tätigkeit dieses Erkennens nennt er auch „Reflexion“. Sie ist das Denken bestimmter Inhalte, das schließlich zum Denken seiner selbst wird.

20 Dieser Ausdruck findet sich bei Schelling, dürfte sich aber sehr wahrscheinlich auf Hegels

frühe Logik beziehen, vgl. F.W.J. Schelling: Sämtliche Werke. Hrsg. von K.F.A. Schelling. Stuttgart und Augsburg 1856-61. Bd. V, 269, zur Dialektik vgl. auch 267.

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2. DIALEKTIK IN HEGELS JENAER SCHRIFTEN 21

Obwohl zu den Inhalten nun metaphysische Bestimmungen wie die Unend-lichkeit gehören, ist dieses Denken noch nicht das vollkommene, unendliche Denken des Geistes; es muß dazu in der Metaphysik allererst entwickelt wer-den. In ihr erst kristallisiert sich vollständig das Wesen des neuartigen Den-kens heraus, in dem die früher getrennten Erkenntnisarten der Reflexion und der intellektuellen Anschauung ursprünglich eins sind.

Am Anfang der Metaphysik weiß sich das Erkennen als das Wahre oder als das Ansichseiende, und zwar zunächst in der Bestimmung der Einheit als der einfachen Gleichheit oder Identität. Sie wird in dem Satz A = A ausgedrückt. Wesentlich soll hierbei, wie Hegel erklärt, nur die Gleichheit sein, nicht der besondere Inhalt A. Von aller Verschiedenheit soll dabei abgesehen werden; weder wird hier A mit B gleichgesetzt, noch soll die unterschiedliche Stellung der beiden A im Satz: A = A irgendeine Bedeutung haben. Hegel weist aus-drücklich darauf hin, daß „die Sichselbstgleichheit [...] hier zu einem Satze geworden“ ist;21 auf andere Weise kann sie gar nicht explizit gedacht werden. Der Satz der Identität aber hat notwendigerweise Unterschied, ja Entgegenset-zung als „reinen Schein“ an sich; sie soll in jenem Satz nicht enthalten sein und ist doch in ihm als Satz unvermeidlich. In diesem Gedanken liegt der Keim zu Hegels späterem Begriff des Scheins des Wesens. Ferner ist die Iden-tität im Satz der Identität nach Hegel „in sich reflektiert“. Sie wird nicht als einfache, unmittelbare Identität vorgestellt; vielmehr setzt das Denken sie von dem, was sie nicht ist, von ihrem Anderen ab und kehrt zu ihr zurück als nun-mehr vermittelt gesetzter Identität, in deren konstanter Bedeutung zugleich die Beziehung auf ihr Anderes zu denken ist. Auch diese „Reflexion in sich“ ist im Satzcharakter der Identität enthalten, was Hegel ebenfalls später weiter ausbildet.

Im Satz der Identität ist für Hegel notwendigerweise Unterschied und Ge-gensatz mitgesetzt, weil in A = A nicht nur explizite Gleichheit oder Identität, sondern ebenso ein davon unterschiedener bestimmter Inhalt gedacht wird. Von solchem Inhalt ist prinzipiell nicht zu abstrahieren, da sonst der Satz als Satz unmöglich wird, ohne den das reine Denken als Erkennen sich nicht arti-kulieren könnte. Im Satz der Identität wird also nicht nur in sich reflektierte Identität, sondern auch einfache, nicht in sich reflektierte Bestimmtheit ge-dacht, die das Gegenteil jenes in sich reflektierten Begriffs darstellt; so ist nach Hegel in A = A zugleich der Widerspruch enthalten; in sich reflektierte Identität und einfache Bestimmtheit als ihr Gegenteil sind gleichermaßen Sinnbestandteile des Satzes der Identität; der Satz der Identität wird zu einem

21 G.W.F. Hegel: Gesammelte Werke. Bd. 7. Hrsg. von R.-P. Horstmann und J.H. Trede. Ham-

burg 1971, 131, vgl. ebd. auch im folgenden. Die Darlegung von 1dentität und Widerspruch ist hier klarer als in der Differenz-Schrift und nimmt deutlicher auf die traditionellen logi-schen Axiome Bezug, so daß auch Hegels Umdeutung spezifischer hervortritt. Vgl. zu Hegels Darlegung in der Differenz-Schrift und im Entwurf von 1804/05 F. Longato: “Note sul signi-ficato del ‘Principio d’identità o di contraddizione’ nella formazione del pensiero hegeliano. In: La contraddizione, a.a.O. bes. 128 ff.

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Satz des Widerspruchs.22 Der Widerspruch ist nach Hegel hier gerade nicht zu vermeiden, sondern notwendig zu denken.

Hegel verändert damit gravierend die Bedeutung der traditionellen logi-schen Grundsätze der Identität und des zu vermeidenden Widerspruchs. Er sucht zu zeigen, daß diese Grundsätze im reinen Denken und Erkennen nicht einfach nebeneinander stehen können, sondern daß der Satz der Identität in den des Widerspruchs übergeht und daß der Widerspruch dabei gerade un-vermeidlich ist. Innerhalb der formalen Logik und im formalen endlichen Denken ist beides nicht zu erweisen. Hegel setzt hierbei voraus, daß der Iden-tität die von ihr unterschiedene, einfache inhaltliche Bestimmtheit, ohne die sie nicht gedacht werden kann, wesentlich ist, was schon in der Differenz-Schrift angelegt war, ferner daß allgemein die Struktur der Reflexion in sich für logisch-metaphysische Bestimmungen gültig ist und schließlich, daß der Widerspruch – wie schon in der Habilitationsthese von 1801 formuliert – die Regel der Wahrheit ist. Das formale endliche Denken kann diesen Vorausset-zungen nicht gemäß sein: Es kann im Begriff der Identität nicht das gerade von ihr Unterschiedene als ihr wesentlich denken; es ist zur Bewegung und Struktur der Reflexion in sich letztlich nicht in der Lage, da es in einem in sich reflektierten Begriffsinhalt notwendig die Beziehung auf dessen Anderes und daraufhin – nach Hegel – das Enthaltensein jenes Anderen in dessen Bedeu-tung denken müßte, was zum Widerspruch führt; und schließlich gilt ihm der Widerspruch als etwas zu Vermeidendes und von der Identität Fernzuhalten-des. In dem neuartigen spekulativen Denken als Erkennen dagegen sind Iden-tität und Widerspruch auf die angegebene Art verbunden; Hegel faßt beide Bestimmungen sogar in Einem Grundsatz zusammen. In diesem Denken ist damit die vormalige Bedeutung der endlichen Reflexion als Denken entgegen-gesetzter Bestimmungen und des ihr selbst immanenten Widerspruchs mit der Bedeutung der intellektuellen Anschauung als Präsenz der absoluten Identität in der Vorstellung ursprünglich und in einem homogenen Ganzen vereinigt.23

Dieses spekulative, nicht formallogische Denken erkennt sich also auf eine erste Weise durch den Satz der Identität und des nicht zu vermeidenden Wi-derspruchs. Dieser Satz hat nicht formallogische, sondern metaphysische Be-deutung; das Erkennen erkennt sich darin selbst als das Ansichseiende; daher steht diese Umformung logischer Grundsätze am Beginn der „Metaphysik“. Das Erkennen ist hierbei in allgemeinem Sinne sowohl „Reflexion“ als den Gedankeninhalt bewegendes und entwickelndes Denken als auch „Reflexion in sich“ als Gedachtes, Erkanntes und damit als Ansichseiendes in der „Meta-physik“. Identität und Widerspruch sind deshalb nicht nur Gedankenbestim-mungen, sondern Bestimmungen des Seienden selbst; dieses ist in sich iden-

22 Vgl. die Überschrift: „Satz der Identitat oder des Widerspruchs“, in: Gesammelte Werke 7,

a.a.O. 130. 23 Vgl. dazu die Bestimmung am Ende dieser Logik, daß das Erkennen „absolute Reflexion“,

nicht mehr nur endliche Reflexion, und damit zugleich „Anschauung“ ist (in: a.a.O. 124).

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2. DIALEKTIK IN HEGELS JENAER SCHRIFTEN 23

tisch und ebenso widersprüchlich, da es prinzipiell von der Struktur des Er-kennens, ja sogar das Erkennen selbst ist.

Das neuartige spekulative Denken erkennt also sich selbst und damit das Seiende als Ansichseiendes im Horizont eines spezifischen Verhältnisses von Identität und Widerspruch. Der Satzcharakter seiner Selbstauslegung bedeutet, daß es jene Bestimmungen als „in sich reflektierte“ versteht. Doch zeigt sich in dem gekennzeichneten Übergehen der Identität in den Widerspruch noch nicht die Genese und der konstituierende Grund beider. Dies geschieht nach Hegel erst im Durchgang durch den Grundsatz der Ausschließung eines Drit-ten und mit Erreichung des Satzes des Grundes; auch hierbei deutet Hegel tra-ditionelle logische Grundsätze metaphysisch um.

Der Inhalt des Grundsatzes der Ausschließung eines Dritten ist nach Hegel das Viele. Hegel gewinnt es aus dem Verhältnis der Sichselbstgleichheit und der einfachen Bestimmtheit, die in jenem Satz der Identität und des nicht zu vermeidenden Widerspruchs gleichgeltend nebeneinander stehen und gleich-berechtigte Bestandteile ausmachen. Von dieser Art des gleichgeltenden oder gleichberechtigten Nebeneinanderstehens ist das Viele. Dem Vielen ist nun das Eine entgegengesetzt; aber dieses ist zugleich auf das Viele bezogen, so ist es „Eins der Vielen“. Damit teilt sich das Viele insgesamt ein in ein reines Mannigfaltiges, „ein Vieles, das ein Vieles ist“, und in ein Eines, das jedoch, auf das Mannigfaltige bezogen, selbst zum Vielen insgesamt gehört.24 Alles weitere, dem Vielen insgesamt Entgegengesetzte ist ausgeschlossen. Histori-scher Hintergrund dürfte für Hegel hier der zweite Teil von Platos Parmenides sein, und zwar genauer das Setzen des Einen und des Vielen in Beziehung auf-einander; auch dort gibt es außer ihnen kein grundlegendes Drittes. Doch die-ses Ausgeschlossene, so argumentiert Hegel nun unplatonisch, ist als das Ent-gegengesetzte zum gesamten Vielen wieder die Einheit; die Einheit aber oder das Eine, was Hegel hier als gleichbedeutend verwendet, ist doch einer der Bestandteile, in die das Viele insgesamt sich einteilt. Dessen „Ausschließen des Dritten hat also den Sinn, nicht daß noch Anderes außer ihm wäre; son-dern es ist kein Anderes außer ihm, es ist an ihm selbst alles Andere“; das Viele

24 Vgl. a.a.O. 133. Einheit und Vielheit werden hier nicht als einfache Bestimmungen wie am

Anfang der Logik, sondern als negativ aufeinander bezogene, in sich reflektierte Bestimmun-gen aufgefaßt. Aus solchen und ähnlichen Anspielungen (vgl. a.a.O. 129) kann man Grund-züge des verlorengegangenen Beginns dieses Systementwurfs von 1804/05 rekonstruieren. Dem Anfang der Logik müssen Erörterungen über die Erhebung des nichtphilosophischen Anschauens zerstreuter, gleichgültiger Vielheit zum philosophischen Denken von einfacher Einheit vorangegangen sein. Dies ist das erste eindeutige Zeugnis dafür, daß Hegel der Logik einleitende Untersuchungen vorausschickt, wie sie später sehr viel gehaltreicher und systema-tisch differenzierter die Phänomenologie ausführt (vgl. auch a.a.O. 345 ff). Die Einheit, die erreicht wird, ist der generelle Terminus für die dann zu entfaltenden logischen Einheiten, die Kategorien. Die Logik selbst begann, wie aus durchaus signifikanten Rückverweisen zu ent-nehmen ist, wohl bereits mit Sein und Nichts und deren Vereinigung in der qualitativen Be-stimmtheit (vgl. a.a.O. 5 f, 33 f, 112; vgl. ferner K. Rosenkranz: Hegels Leben, a.a.O. 183 f, 213).

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insgesamt ist daher „das Andere seiner selbst“,25 denn es ist zugleich die Ein-heit. Hegel nennt dies „Andere seiner selbst“ schärfer auch „das Gegenteil seiner selbst, [...] das, was sich selbst aufhebt“.26 Die Argumentationsfigur des Anderen seiner selbst tritt bei Hegel in diesen Jahren (ab 1803/04) zum ersten Mal auf; sie hat die Konzeption des spekulativen Denkens und die Aufhebung des Dualismus von Reflexion und intellektueller Anschauung zur Vorausset-zung. Hierbei wird etwas, z.B. das Viele insgesamt als identisch mit sich ge-dacht, aber eben darin in seiner Bedeutung als Gegenteil in sich selbst, d.h. als sich widersprechend verstanden. So ist das Viele „an sich selbst der Absolute Widerspruch oder die Unendlichkeit, [...] als eine unteilbare, sichselbstgleiche Einheit gesetzt“.27 Was sich in sich als vollständig widersprüchlich erweist, dessen Bestimmungen heben sich auf; die Bestimmungen als Begrenzungen des Sinnes von etwas sind endliche Bedeutungen; daher ist der „Absolute Wi-derspruch“ als Aufheben der Gültigkeit des Endlichen das Unendliche. Als solches erkennt das spekulative Denken und Erkennen also sich selbst in me-taphysischer Umdeutung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten; das als unendlich Erkannte ist zugleich das Ansichseiende.

Solche Unendlichkeit des Erkennens und Erkanntseins ist nun „sich-selbstgleiche Einheit“; sie wird nicht nur als ein in sich einheitlicher Begriff von inhaltlich paradoxer Bedeutung gedacht, sondern ist zugleich dasjenige, woraus Identität und Widerspruch als wechselseitig miteinander verknüpfte metaphysische Bestimmungen hervorgehen. Solche höhere Einheit, die nicht mehr nur ein Bestandteil des sich einteilenden Vielen ist, nennt Hegel „Grund“. Diese gründende Einheit ist zwar auch Widerspruch und Sich-Aufheben des Endlichen, darüber hinaus aber als die Negation desjenigen Ne-gativen, das das Endliche ist, das eigentliche Sein des Ansich, des Erkennens. Spinozas Gedanke, daß Endliches in gewisser Weise Negation ist und daß Un-endlichkeit als Negation jener Negation daher Affirmation bedeutet, steht hier offenbar im Hintergrund.28

Auch bei der Selbstbestimmung der Erkenntnis als Grund deutet Hegel ei-nen traditionellen logischen Satz, den Satz des Grundes, metaphysisch um. In 25 A.a.O. 133 (Schreibweise und Interpunktion modernisiert). Die verschiedenen Stufen der Ein-

heit als ein Bestandteil der Vielen bzw. als Entgegengesetztes zum Vielen insgesamt werden hierbei kontaminiert.

26 A.a.O. 134. Vgl. zur Bedeutung dieser Termini und zu den systematischen Voraussetzungen ihres Aufkommens in Hegels Jenaer Entwürfen D. Henrich: „Absoluter Geist und Logik des Endlichen“. In: Hegel in Jena (= Hegel-Studien. Beiheft 20). Bonn 1980, bes. 106 ff.

27 Ebd. Vgl. die logische Bestimmung der Unendlichkeit als „absoluter Widerspruch“ (a.a.O. 31), was Hegel hier voraussetzt. Der Widerspruch betrifft in der Metaphysik das Erkennen als Ansichseiendes insgesamt, nicht nur in sich einfache Kategorien wie an jener Stelle der Lo-gik.

28 Vgl. B. Spinoza: Ethika I. Propositio VIII. Scholium I. Vgl. auch Hegel: Gesammelte Werke 4, a.a.O. 324. Die Verbindung von Hegels Unendlichkeitsbegriff mit Spinozas Begriff des in-finitum actu und daher mit Spinozas Substanzmetaphysik legt dar L. Lugarini: „Substance et réflexion dans la Logique et Métaphysique hegelienne d'Iéna“. In: Hegel in Jena, a.a.O. 139-155, bes. 144 ff.

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dieser letzten in sich reflektierten Bestimmung der metaphysisch interpretier-ten logischen Axiomatik gelangt nach Hegel das Erkennen zu sich selbst. Das Erkennen als das „Ansich ist also nicht der erste noch der zweite Grundsatz, [...] sondern an sich sind sie der dritte“.29 Hegel zählt hierbei, wie dargelegt, die Formulierung von Identität und Widerspruch als Einen Grundsatz, so daß nach dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten der Satz des Grundes der dritte ist. In ihm sind die vorhergehenden Grundsätze als Bestimmungen des An-sichseienden vereinigt; ihnen kommt keine selbständige Bedeutung zu; sie gel-ten nur als integrierte Bestandteile des dritten Grundsatzes. Hegel wendet sich hiermit wohl wie in der Differenz-Schrift vor allem gegen Fichtes Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794/95 mit ihren voneinander getrenn-ten Grundsätzen als einer Mehrzahl von Prinzipien und erfüllt in seiner eige-nen Theorie die Forderung, daß in einem einheitlichen Argumentationsgang das Auseinanderhervorgehen der Grundsätze gezeigt werden muß. Sie müssen sich als untereinander zusammenhängende Momente einer prinzipiellen Ein-heit erweisen, die als Grund, als Pñ÷Þ zugleich hervorbringender Anfang jener Momente ist.

Dieser Argumentationsgang durch die metaphysisch verwandelten Grund-sätze hindurch enthält bereits entscheidende Elemente der späteren Explikati-on der Reflexionsbestimmungen des Wesens in der Wissenschaft der Logik. Doch fehlt im Entwurf von 1804/05 noch eine Wesenslogik. Ferner versteht sich in diesem Entwurf das in sich einheitliche, spekulative Denken noch als Überwindung des Dualismus von Reflexion und intellektueller Anschauung, ein Problem, das später für Hegel an Bedeutung verloren hat. Für das Hinaus-gehen über die traditionellen logischen Grundsätze zur metaphysischen Be-deutung der in ihnen enthaltenen wesentlichen Termini setzt Hegel hier frei-lich insgesamt den Sinn seiner Metaphysik voraus; das formallogische Denken jener traditionellen Axiomatik wird nicht immanent kritisiert, ja nicht einmal ernsthaft erörtert. In der Wissenschaft der Logik führt dann u.a. die Beachtung auch dieses Problems noch zu gewissen Veränderungen in der metaphysischen Argumentation.

Deutlicher als in der frühen Jenaer Konzeption und auch als in der Entwick-lung der Reflexionsbestimmungen in der Wissenschaft der Logik ist im Ent-wurf von 1804/05 die Subjektivitätsstruktur des Erkennens hervorgehoben. Das Erkennen erkennt sich in jenen in sich reflektierten Bestimmungen selbst als das Ansichseiende. Es unterscheidet dies erkannte Ansich noch von sich selbst als Tätigkeit des Erkennens; das Ansich ist ihm der Erkenntnisgegen-stand als ein Getrenntes, als ein Anderssein; es identifiziert sich noch nicht damit. Die Identität beider ist nur „für uns“, wie Hegel hier unterscheidend hinzufügt.30 Erst im folgenden metaphysischen Entwicklungsgang wird sie

29 Hegel: Werke 7, a.a.O. 134. 30 Vgl. a.a.O. 136. Der Unterschied dessen, was „für uns“ ist, von dem, was für das Erkennen

ist, prägt zwar den Unterschied dessen, was „für uns“ ist, von dem, was jeweils für das Be-

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auch für das Erkennen selbst. Die vollendete Struktur des Denkens und Er-kennens seiner selbst aber wird erst in der höchsten Bestimmung der „Meta-physik der Subjektivität“ erreicht, in der des „absoluten Geistes“. Diese Kon-zeption ist subjektivitätstheoretisch eindeutig unterschieden von dem früheren Jenaer Entwurf zur Logik und Metaphysik; in diesem kam das Denken des Widerspruchs und die Selbsterkenntnis als Widerspruch der endlichen Refle-xion oder dem endlichen Ich zu, das dann aufgehoben wurde in der Vorstel-lung von absoluter Identität als Substanz. Ebenso ist diese Konzeption von der späteren Entfaltung der Reflexionsbestimmungen des Wesens in der Wissen-schaft der Logik unterschieden; denn diese erfüllen dort, wie sich zeigen wird, noch nicht die Struktur der denkenden Subjektivität oder logisch: des Begriffs.

In der Logik und Metaphysik von 1804/05 findet sich zugleich der Ansatz einer spekulativen, nicht mehr bloß negativ bleibenden Dialektik; aber dieser Ansatz kommt noch nicht demjenigen der Wissenschaft der Logik gleich. In-nerhalb der Logik von 1804/05 bestimmt Hegel die Unendlichkeit als „absolu-ten Widerspruch“ und als „absolut dialektisches Wesen“ von endlichen Be-stimmungen.31 Dialektik bedeutet also das Aufstellen und Begreifen von Wi-dersprüchen des Endlichen. Zugleich führt Hegel hier zum ersten Mal die doppelte Negation mit positivem Resultat als Bestandteil der Methode ein; die Unendlichkeit ist nicht nur Widerspruch des Endlichen, sondern ebenso An-derssein dieses Andersseins und damit als Rückkehr zu sich affirmatives Sein; die vergleichbare metaphysische Bestimmung der Unendlichkeit bei Spinoza wird hiermit ins Methodische übertragen. So folgt methodisch auf die Phase des Denkens des Widerspruchs die Restitution der Einheit als neuer und höhe-rer, den Widerspruch implizierender Realität. Damit hat Hegel die Konzeption der spekulativen Dialektik begründet. Obwohl die metaphysisch gedeuteten Bestimmungen der Identität und des Widerspruchs zur Charakterisierung die-

wußtsein ist, in der Phänomenologie vor, ist aber nicht spezifisch phänomenologisch. Er kommt in vergleichbarer Bedeutung auch in der Wissenschaft der Logik vor. In der Metaphy-sik von 1804/05 wird mit dem „Für uns“ in der Regel eine höherentwickelte Position spekula-tiven, begreifenden Wissens unterschieden von einer weniger entwickelten Position des ge-dachten und erkannten Inhalts, der für sich erst realisieren muß, was an sich oder „für uns“ schon begriffen ist. Historisch und auch systematisch entstammt diese Unterscheidung dem Unternehmen einer systematischen „Geschichte des Selbstbewußtseins“, in der das vollstän-dig entwickelte Subjekt das sich erst entwickelnde Selbstbewußtsein in der systematischen Genese eines mehrschichtigen Fürsichseins betrachtet.

31 Vgl. Hegel: Werke 7, a.a.O. 31, 33 und 29, zum folgenden vgl. 34. Vgl. zu Hegels Explikati-on der logischen Unendlichkeit die präzisen kommentierenden, freilich noch der früheren Da-tierung folgenden Erläuterungen von B.M. Lemaigre: „Hegel et le problème de l’infini d’a-près la logique d’Iéna“. In: Revue des sciences philosophiques et théologiques 49 (1965), 3-36. Vgl. auch – abweichend hiervon speziell hinsichtlich der Unendlichkeit des Quantums – G. Gérard: Critique et dialectique. L’itinéraire de Hegel à Iéna (1801-1805). Bruxelles 1982, 368-383. Hegels Begriff der Unendlichkeit als Widerspruch mit der Beziehung auf Spinozas Unendlichkeitsbegriff legt dar F. Chiereghin: Dialettica dell’assoluto e ontologia della sog-gettività in Hegel. Dall’ideale giovanile alla Fenomenologia dello spirito. Trento 1980, bes. 343-351. Vgl. auch vom Verf.: „Das Problem der Subjektivität“ (s. Anm. 11), 150 ff, 180 ff.

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2. DIALEKTIK IN HEGELS JENAER SCHRIFTEN 27

ser Dialektik erforderlich sind, ist hier in Hegels Augen die Entwicklung jener metaphysischen Grundsätze des Erkennens selbst nicht dialektisch. Denn für ihn ist die Dialektik wie zu Beginn seiner Jenaer Zeit im wesentlichen noch auf die Logik beschränkt, die von der Metaphysik getrennt ist; in der Meta-physik ist das dialektische Anderswerden der jeweiligen Inhalte zunächst auf-gehoben: „Das Erkennen ist als in die Metaphysik übergehend das Aufheben der Logik selbst als der Dialektik oder des Idealismus“.32 Auch die Logik als Dialektik und als Idealismus, den Hegel als formalen Idealismus, nämlich als Fichtesche Theorie des endlichen Subjekts und seiner reinen, ihm immanenten Bestimmungen versteht, ist zu Beginn der Metaphysik aufgehoben. Anderer-seits zeigt sich dann, daß die Dialektik im ganzen System durchzuführen ist, wozu sich im Entwurf von 1804/05 erste Andeutungen finden. In der Wissen-schaft der Logik schließlich, in der die Logik nicht mehr von der Metaphysik getrennt ist, und im späteren System wird die spekulative Dialektik ausdrück-lich universal durchgeführt.

In der Phänomenologie, Hegels letztem Werk in Jena, ist die spekulative Dialektik für die systematische Einleitung ebenso wie für die Logik, ja offen-sichtlich für das System insgesamt zumindest vorausgesetzt. Sie wird in der Phänomenologie freilich nicht eigens argumentativ entfaltet; dies ist vielmehr eine Aufgabe der Logik. In gelegentlichen Kennzeichnungen und Beschrei-bungen der Dialektik, wie sie sich allerdings in der Phänomenologie finden, verwendet Hegel Synonyma für Identität und Widerspruch. Die dialektische Bewegung von etwas überhaupt, die ein Ausgehen von sich, ein Sich-Anderswerden und eine Rückkehr zu sich bedeutet, vereinigt in sich für Hegel Sichselbstgleichheit und Negativität. Diese Bewegung ist, näher betrachtet, die Selbstbestimmung des tätigen Begriffs zu reiner denkender Selbstbeziehung; sie ist damit nicht Bewegung von etwas nur im allgemeinen, sondern spezi-fisch Bewegung des Begriffs. Der Begriff macht hierbei die logische Bedeu-tung der Subjektivität aus.33 Die dialektische Bewegung des Bestimmung-Gewinnens von etwas in seinem Begriff ist nach Hegels Konzeption daher letztlich nur einsehbar als methodischer Prozeß der Selbstbestimmung und Selbsterkenntnis des Subjekts. Das Ich darf somit, wie Hegel im Kapitel über das „absolute Wissen“ hervorhebt, nicht nur als mit sich identisch gedacht werden – wie in Fichtes erstem Grundsatz, zu dem die Entgegensetzung dann äußerlich hinzutreten muß; vielmehr muß es selbst zugleich absolute Negativi-tät, Anderssein zur Identität, d.h. Entgegensetzung in sich und Widerspruch

32 Hegel: Gesammelte Werke 7, a.a.O. 127. Die Konzeption der frühen Logik als eines formalen

Idealismus und eines wissenschaftlichen Skeptizismus wirkt in dieser Bestimmung der Logik als Dialektik und als Idealismus fort; ohne jenen früheren Hintergrund dürften diese Bestim-mungen kaum verständlich werden, auch wenn Hegel sie – nicht ganz konsequent – in seine neue andersartige Logik-Konzeption von 1804/05 zu integrieren sucht; etwas anders G. Gé-rard, a.a.O. 398 f, 332 ff.

33 Vgl. G.W.F. Hegel: Gesammelte Werke. Bd. 9. Hrsg. von W. Bonsiepen und R. Heede. Ham-burg 1980, 18, 42 ff, zum folgenden vgl. 430 f.

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IDENTITÄT UND WIDERSPRUCH 28

sein, allerdings in Vereinigung mit der Identität. Nur auf diese Weise kann das Ich oder besser: der Geist sich selbst denken. In welchem logischen Verhältnis freilich Identität und Widerspruch zur Dialektik und zur denkenden Selbstbe-ziehung stehen, ob sie etwa vorausgehende konstitutive Momente oder nach-folgende interpretierende Begriffe sind, läßt sich aus den Beschreibungen der Phänomenologie noch nicht eindeutig entnehmen.

3. Reflexionsbestimmungen des Wesens und dialektisches Denken in Hegels Nürnberger Logik

In der Nürnberger Zeit und speziell in der Wissenschaft der Logik wird von Hegel das Verhältnis von Identität und Widerspruch zur Dialektik geklärt;Identität und Widerspruch bilden konstitutive Bestandteile der spekulativen Dialektik. Sie werden als eigene logische Bestimmungen für sich expliziert und erweisen sich dann in der Darlegung der Methode als spezifische Momen-te der Dialektik.

1. In den Nürnberger propädeutischen Logiken treten Identität und Wider-spruch zum ersten Mal als Bestimmungen des Wesens auf. Diese Entwürfe enthalten erste Ansätze zu einer Wesenslogik und gehören somit zur Entste-hung und Entwicklung von Hegels späterer ausgebildeter Logik des Wesens, In der Phänomenologie werden die Termini des Wesens, des Wesentlichen oder der Wesenheit bereits vielfach zur Charakterisierung von Bewußtseinsge-stalten verwendet; es wird daraus aber noch nicht deutlich, ob sie als bestimm-te Kategorien ihren eigenen Ort in der Logik haben. Eine Wesenslogik und ei-ne Abfolge von Wesenskategorien findet sich dann in einer Logik für die Mit-telklasse von 1808/09, in einer Enzyklopädie für die Oberklasse von 1808/09 mit einigen Überarbeitungen, wobei der Teil über Wesenslogik, wie aus einer Schüler-Nachschrift hervorgeht, in diese beiden ersten Nürnberger Jahre He-gels gehört, und in einer Logik für die Mittelklasse von 1810/11. Auch das Fragment einer Hegelschen Logik über Mechanismus, Chemismus etc. und Erkennen, das wohl in den frühen Nürnberger Jahren entstand,34 läßt Rück-schlüsse auf eine eigene Wesenslogik zu, in der das Verhältnis von Wesen und Dasein bestimmt wurde, ein Verhältnis, das sich in Dingen konkretisiert. In der erwähnten Enzyklopädie für die Oberklasse folgt das Wesen auf die Un-

34 Pöggeler datiert dies Fragment auf 1809/10; vgl. Fragment aus einer Hegelschen Logik. Hrsg.

von O. Pöggeler. In: Hegel-Studien 2 (1963), bes. 58 f. Die Herausgeber dieses Fragments in-nerhalb der Kritischen Ausgabe plädieren eher für eine Datierung auf Hegels Bamberger Zeit (1807/08), vgl. Hegel: Gesammelte Werke. Bd. 12. Hrsg. von F. Hogemann und W. Jaeschke. Hamburg 1981, 331. Trotz neuer Argumente, die sie bringen, scheint mir wegen des ausge-bildeten Standes einer Wesenslogik und insbesondere der Schlußlogik sowie der Ausführung der verschiedenen Arten des Prozesses eine Datierung auf die frühen Nürnberger Jahre wahr-scheinlicher. Es bleibt die Frage offen, warum Hegel hier keine gesonderte Ideenlehre vor-sieht.

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3. REFLEXIONSBESTIMMUNGEN DES WESENS UND DIALEKTISCHES DENKEN 29

endlichkeit; diese und nicht – wie später – das Maß vereinigt dort Qualität und Quantität. Das Wesen hat an dieser Stelle subjektivitätstheoretische Konnota-tion als „Durchdringung der Selbstbestimmung und der gleichgültigen Be-stimmtheit“.35 Das Wesentliche hierin ist die Selbstbestimmung; durch sie ge-langt dasjenige, dem sie zukommt, in die „Freiheit des Daseins“. Das Wesen bringt seine eigene Bestimmtheit, die nach Hegel sein Dasein ausmacht, selbst hervor durch „Setzen“. Davon ist offenbar die Bedeutung des „Satzes“ herge-leitet, der der allgemeine Titel für die Wesensbestimmungen ist, zu denenIdentität und Widerspruch gehören.

Diese Wesensbestimmungen werden also explizit als Sätze formuliert, die zugleich Setzungen bedeuten. In der Logik für die Mittelklasse von 1808/09 schreibt Hegel den Ursprung dieser Sätze, die die klassische logisch-metaphysische Axiomatik umformulieren, der Urteilskraft36 zu, was er an an-derer Stelle nicht wiederholt; sie sind damit nur einzelne Sätze noch ohne die Vermittlungsstruktur der Vernunft, die in der Dialektik und der Beziehung von höherentwickelten Begriffsbestimmungen besteht. Formuliert werden sie als allgemeine ontologische Urteile über Dinge, wonach jedes Ding mit sich iden-tisch ist, nicht zugleich sein und nicht sein kann, von einem anderen Ding ver-schieden ist usf.; Ding hat hier die traditionelle allgemeine Bedeutung des Sei-enden überhaupt. In der Enzyklopädie für die Oberklasse expliziert Hegel die Wesensbestimmungen unter dem Titel „Satz“ z.T. in deutlicherer Orientierung an der klassischen Axiomatik, interpretiert diese Sätze dann aber ebenfalls on-tologisch als prinzipielle Aussagen über „Dinge“. Hierbei tritt freilich – wohl aus propädeutischen Gründen – in der Einzeldarlegung zurück, daß diese Sät-ze Setzungen als Tun des Wesens sind. Nur vom Satz des Grundes wird er-wähnt, daß er das Setzen selbst als eine Einheit entgegengesetzter Bestim-mungen ausdrücke. Die Darlegung der Wesensbestimmungen in der Logik für die Mittelklasse von 1810/11 ist schon mehr derjenigen in der Wissenschaft der Logik verwandt, obwohl auch hier Unterschiede bleiben. Das Dasein der Wesensbestimmungen ist danach nicht unmittelbar, sondern ist ein Gesetz- oder Vermitteltsein. Die Wesensbestimmungen als vermittelte und gedachte nennt Hegel hier „Reflexionen“;37 darin liegt, daß sie Inhalte der Reflexion als

35 Enzyklopädie für die Oberklasse, § 33 (diese Formulierung fehlt freilich in der Schüler-

Nachschrift); vgl. G.W.F. Hegel: Theorie-Werkausgabe. Hrsg. von E. Moldenhauer und K.M. Michel. Frankfurt a.M. 1970 f. Bd. 4, 17. Zum folgenden vgl. ebd. §§ 34 f. Der Begriff des Wesens in der Logik für die Mittelklasse (1810/11) ähnelt dagegen schon demjenigen in der Wissenschaft der Logik.

36 Vgl. §§ 20 ff/52 ff, Theorie-Werkausgabe, a.a.O. 89 f. Daß diese Sätze auch in diesem Ent-wurf Wesensbestimmungen sind, läßt sich nur erschließen. Grund wird nach Materie und Form ausdrücklich als Wesenkategorie genannt (vgl. § 11/43 und § 14/46, a.a.O. 88); dann müssen auch der Satz vom Grund und die ihm unmittelbar vorhergehenden und ihn ermögli-chenden Sätze Wesensbestimmungen sein; aus der Enzyklopädie für die Oberklasse (1808/ 09) läßt sich dies deutlicher entnehmen.

37 Logik für die Mittelklasse (1810/11), § 35, Theorie-Werkausgabe, a.a.O. 172. In der Logik für die Unterklasse (1809/10) treten Identität, Verschiedenheit, Entgegensetzung und Grund im

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des reinen Denkens und Erkennens sind; und darin liegt ferner, daß sie Be-stimmungen sind, die ihre konstante Bedeutung durch negative Beziehung auf Anderes erhalten. Formuliert werden die Wesensbestimmungen nach wie vor als Grundsätze in Anknüpfung an die klassische Axiomatik. Dies wird dann in der systematischen Entwicklung der Reflexionsbestimmungen innerhalb der Wissenschaft der Logik noch modifiziert. Ähnlich wie im Entwurf von 1804/05 ist für Hegel in dieser Logik für die Mittelklasse von 1810/11 der Satz des Wi-derspruchs nur die negative Formulierung des Satzes der Identität; er ist kein eigener Grundsatz und damit auch keine eigene Wesensbestimmung. Erst in der Wissenschaft der Logik, in der Hegel nur anmerkungsweise dieses Ver-hältnis der beiden Grundsätze noch einmal skizziert, legt er die bekannte Rei-henfolge der Wesensbestimmungen fest, nach der der Widerspruch auf Identi-tät und Unterschied mit dessen Differenzierung in Verschiedenheit und Ge-gensatz allererst folgt und in den Grund als höhere Einheit des Wesens zu-rückgeht. Das Verhältnis von Identität und Widerspruch beruht in der Wissen-schaft der Logik also auf einem neuen Argumentationsgang in der Entwick-lung der Wesensbestimmungen.

2. Die Explikation der Reflexionsbestimmungen des Wesens in der Wissen-schaft der Logik soll nun in ausgewählten Argumentationsschritten vor dem Hintergrund der gekennzeichneten Entwicklungsgeschichte Hegels betrachtet werden, aus der das logische und ontologische Problem deutlicher zu ersehen ist, das dieser Lehre zugrunde liegt. In der Reflexion und den Reflexionsbe-stimmungen wird nicht die entwickelte Struktur der Subjektivität und ihres Sich-Denkens selbst dargelegt; die Reflexionsbestimmungen sind vielmehr konstituierende, aber einfachere Momente des komplexeren, höherstufigen Relationengeflechts der denkenden Selbstbeziehung. Dasselbe gilt für das Verhältnis jener Wesensbestimmungen zur entwickelten spekulativen Dialek-tik. Reine Subjektivität und Dialektik können also zwar mit Hilfe von Reflexi-onsbestimmungen, insbesondere mit Hilfe von Identität und Widerspruch cha-rakterisiert werden; aber sie bleiben nicht darauf reduziert. Umgekehrt haben jene Reflexionsbestimmungen nicht als solche etwa schon Subjektivitätsbe-deutung, sondern nur durch ihre Einfügung in eine Theorie, die die reine Sub-jektivität aus solchen einfacheren vorausgehenden Momenten entwickelt.

Die Reflexionsbestimmungen setzen einen bestimmten Begriff von Refle-xion voraus. Das Wesen ist nach Hegel als „Scheinen seiner in sich selbst“ zugleich in sich negative „Selbstbewegung“.38 Das ihm Gegenüberstehende, das Sein, ist durch das Wesen nicht einfach zum Schein herabgesetzt; dies Ne-gierte gehört ihm vielmehr immanent und notwendig zu.39 Die Bewegung der

traditionellen Rahmen der Bestimmung kontradiktorischer und konträrer Begriffe innerhalb der Begriffslogik auf (vgl. §§ 20 ff, Theorie-Werkausgabe, a.a.O. 128 ff).

38 G.W.F. Hegel: Gesammelte Werke. Bd. 11. Hrsg. von F. Hogemann und W. Jaeschke. Ham-burg 1978, 249 (Wissenschaft der Logik. Hrsg. von G. Lasson. Leipzig 21934, II, 13).

39 Diese Bedeutung des Wesens ist weit entfernt von der traditionellen Bedeutung. Hegel knüpft aber in einem Zusatz zu § 112 der Enzyklopädie (3. Aufl.) daran an; das Wesen ist nicht etwas