Dumm gelaufen

8/14/2019 Dumm gelaufen

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Dumm gelaufen2 szenische Denkanstöße zu den Ausbildungsdefiziten von

SchülernAutor: Hans-Georg KrausAlle Aufführungsrechte liegen beim Autor

Spielort: beliebigSpielzeit: ca.20 MinutenRollen:Lisa, 16-jährige SchülerinPauline, 16-jährige SchülerinJudith, 16-jährige Schülerin Alle drei Schülerinnen besuchen die selbe Klasse.Christine, Lisas MutterKerstin, Paulines MutterMonika, Judiths Mutter

1. Szene: Wir sind doch nicht blöd!

(Spielort beliebig. Lisa und Pauline sitzen irgendwo draußen herum, Sportbekleidung, ihreInliner sind am Boden abgestellt.)Lisa:(niedergeschlagen:) Es ist zum Kotzen! Ich hab heute schon wieder ´ne Absage gekriegt!Pauline:

Ich auch! Hab die Aufnahmeprüfung bei dieser Maschinenfirma total vergeigt. (wütend:)Dreisatz! Prozentrechnung! Zinsrechnung! Das kann doch eh keiner!Lisa:Doch, unsere Eltern! Ich verstehe das nicht: Die sind ein Jahr weniger zur Schule gegangenund stecken uns heute noch in den Sack. Nur Hauptschule! Aber die können den Scheiß!Pauline:Stimmt, ey! Die können Mathe und Kopfrechnen, Lesen und schreiben kaum Fehler.

(Judith kommt dazu und verfolgt das Gespräch.)

Judith:

(zu Lisa und Pauline:) Hi!Pauline:Hi, Judith!(Lisa hebt nur wortlos die Hand Richtung Judith.)Lisa:(zu Pauline:) Aber wir haben doch heute die besseren Lehrer, denk ich.Pauline:Besser? Mag ja sein. Aber dann müssten wir heute mehr können.Lisa:Aber die sind doch heute, ja, irgendwie viel engagierter?Pauline:Könnte ich mir auch vorstellen. Eigentlich kann man denen auch nichts vorwerfen. Trotzdemsteht fest, das wir das nicht richtig können, was wir eigentlich können sollten.



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Judith:(bestimmt, zu Lisa und Pauline:) Ich sag ja schon immer, in der Schule vertrödeln wir zu vielZeit!Pauline:(vorwurfsvoll:) Na, klar! Du als Streberin musst das ja sagen.Judith:(verärgert:) Streberin, ja? Wo hat denn die liebe Judith ihre Lehrstelle, na? Scheiße! Wieder ńen Test daneben gehauen! Man kommt sich ja schon vor wie der letzte Idiot! Verdammtnoch mal, wir sind doch nicht blöd!Lisa:Anscheinend aber doch. Du hörst es doch immer wieder in den Nachrichten: zu wenigMathekenntnisse, geringer Wortschatz, miserable Rechtschreibung, Allgemeinbildung gegennull!Pauline:(zu Lisa und Judith, ungeduldig:) Und warum können wir heute die notwendigsten Dingenicht richtig? Warum haben wir kaum noch Chancen, eine Ausbildung zu machen?Judith:Sag ich doch! Ganze Schuljahre vertrödelt mit irgendwelchem Scheiß, der zwar unheimlichgut klingt, aber wenig bringt. Glaub mir das!Lisa:Womit denn vertrödelt?Judith: Nur ein Beispiel: Weißt du noch im ersten und zweiten Schuljahr, wie die Frau Pleitingmorgens erst mal ihr ganzes Material hervorgekramt und aufgebaut hat?Pauline:(lachend:) ... und sich mit ihren Handpüppchen vor uns zum Affen gemacht hat?(lächerlich:) Hallo, liebe Kinder, ich bin Zahlix, der Mathedrachen!Judith:Das wär so ń Punkt. Die hat immer gemeint, wir wären so begeistert und hätten sie freudigangelächelt, und war so stolz, dass uns das so ń Spaß machte. Ausgelacht haben wir diedoch! Kindgemäß, hat sie unseren Eltern gesagt, und spielerisch! (aufgebracht:) Das solltekindgemäß sein! Als wenn wir als Kinder nur auf Püppchen, Comics, Monster undKuscheltiere konditioniert gewesen wären! Dass die sich nicht selbst noch so ń Hasenkostümim Unterricht angezogen hat!Pauline:Und ich war so froh, dass ich aus dem Kindergarten war und endlich reinklotzen und richtiglernen konnte wie mein großer Bruder. Ich war richtig lerngeil!

Lisa:Aber mir hat das früher immer Spaß gemacht mit den Puppen und den ganzen Spielen undLernkästen und so.Judith:(entnervt:) Spaß! Spaß! Klar, den haben wir auch gehabt. Aber als wir alles konnten, habenwir ja immer weiter rumgehampelt, bis die letzten, die zu Hause nie mit ihren Eltern geübthatten, auch mal was zustande brachten. Die haben nämlich auch den ganzen Ladenaufgehalten! Wie lange hat das denn immer gedauert, bis wir das Gefühl hatten, alles richtiggut und sicher zu können?Pauline:Und dann diese Verarschung mit diesen ständigen Spielen! Das ist doch Betrug, einem immer

nur Spielchen vorzusetzen, aber immer mit dem Hintergedanken, dass wir was dabei lernensollten.



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Pauline:(zu beiden:) So sehe ich das eigentlich auch, aber ich bin ja keine Schulministerin!Judith: Ne, wir auch nicht! Wir sind eher Schulgeschädigte, die mit jungen, dynamischen undmodernen Lehrern weniger können als unsere Eltern mit strengen und faulen. Ist doch schon

komisch!Lisa:Ja, aber in unserer jetzigen Schule war das doch anders?Judith:(genüsslich grinsend:) Ja? Wirklich?Pauline:(zu Lisa:) Also, wenn ich denke, was wir vom 5. bis zum 10. alles an unnötigem Scheißgemacht haben ...! (einlenkend:) Klar, das hat auch oft Spaß gemacht und war auchinteressant ...Judith:(aufgebracht:) Aber wie viel Zeit haben wir verplempert für Dinge, die uns so viel gar nichtgebracht haben! Oder wegen zwei Arschlöchern in der Klasse, die nur alles kaputt gemachthaben!

(Lisa wird plötzlich ganz still und nachdenklich, schaut in Gedanken versunken in die Luftund beginnt wortlos, an den Fingern aufzuzählen. Pauline und Judith schauen sie lange wiegebannt an.)

Lisa:(so plötzlich, dass Pauline und Judith etwas zusammenfahren:) Stimmt! ... Wenn ich alleindenke: Ich hab ja selbst gern Sport gemacht, aber 3 Wochenstunden Sport bei 4 StundenMathe, das passt ja irgendwie nicht recht zusammen. Danach hätten unsere Eltern mal bei der Landesregierung in Düsseldorf fragen müssen!Pauline:Ey, wisst ihr was, hört auf damit, sonst krieg ich so ´n Hals!Judith:Den hab ich schon lange! ... (regt sich wieder auf:) Da müssen wir uns in den Medien einenvorlabern lassen, dass wir nichts können, und die geringste Schuld liegt bei uns. Wer machtdenn Bildungspolitik, wer bildet denn unsere Lehrer aus, wer sagt denn unseren Eltern oder sagt es ihnen nicht, was für unsere Zukunft wichtig ist, wer hat denn versucht, uns zuerziehen? Na? Das waren doch alles Erwachsene, die ja einiges hätten besser wissen sollen!Pauline:

Heute scheint es ja für manche Schulen wichtiger zu sein, mit irgendwelchem Quark in der Zeitung zu stehen, als ihre Schüler so gründlich auszubilden, dass sie eine Berufsausbildungschaffen können.Lisa:Irgendwie hab ich ja jetzt das Gefühl, dass spätestens nach der Pisa-Studie unsere Bildungs-Gurus und unsere Eltern einen Tritt in den Arsch haben müssten.Judith:(einlenkend:) Nun lass mal, wir haben uns aber auch einiges selbst versaut.

(Pauline schaut auf ihre Uhr und reagiert etwas erschrocken und hektisch.)

Pauline:(zu Lisa und Judith:) Ihr könnt ja jetzt noch weiter reden. Ich gehe jetzt zu Kai.



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Judith:(entgeistert:) Kai?Lisa:(erstaunt:) Wie? Kai?Pauline:

(zu beiden:) Ja, der hat mir versprochen, mit mir die Prozent- und Zinsrechnung zu üben. Der ist da drin total fit.Judith:Kai? Der war doch nur in der Hauptschule?Pauline:Stimmt! Der hatte aber einen Mathe-Lehrer, der ´s drauf hat. Die mussten da richtig arbeiten.(schulterzuckend, Arme ausbreitend und freudig lächelnd:) Entscheidend ist halt immer, wasam Ende dabei rauskommt, nicht?Lisa:Du, können wir da nicht einfach mit?Pauline:

(verlegen und unsicher:) Weiß auch nicht. (strahlt plötzlich:) Weißt du was, ich schreib ihmeinfach ´ne SMS!

(Pauline holt ihr Handy heraus und beginnt, eine SMS einzutippen. Licht aus!)

2. Szene: Holzwege und falsche Pferde(Spielort beliebig, irgendwo auf der Straße. Die Bühnenbeleuchtung geht an, Kerstin stehtschon auf der Bühne. Neben sich hat sie Einkaufstaschen abgestellt. Sie telefoniert geradeüber Handy mit ihrer Tochter Pauline.)

Kerstin:Und das soll ich jetzt in der Mittagspause mal ganz schnell einfach so entscheiden?---Pauline, du bist gerade mal 16!---Die anderen interessieren mich nicht.---Es geht doch gar nicht ums Geld. Das weißt du ganz genau. Das hat noch nie eine Rollegespielt.---Man kann doch auch in der Nähe irgendwo hin. Es muss doch nicht gerade Köln sein!---Du spinnst ja! Nichts los! Mein Gott, es ist Sommer! Da ist überall was los. Da sindSchützenfeste, Dorffeste, Grillfeten, Jugend-Discos.---Aha, spießig! Alle Veranstaltungen, wo normale Leute hingehen, sind also spießig!---(Monika kommt, ein Fahrrad schiebend, vorbei, will vorbeigehen, grüßt Kerstin durch einangedeutetes Winken. Kerstin deutet beim Telefonieren Monika durch ein Handzeichen an,dass sie mal warten möchte.)

(weiter ins Telefon:) Du, da reden wir heute Abend mal drüber. Jetzt kann und will ich dasnicht entscheiden.



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Projekte, AGs, Workshops, Fahrten, Events.Kerstin:Vielleicht machen die einfach zu viel, und die wichtigen Sachen, die die Kinder am Endewirklich brauchen, kommen zu kurz?Monika:

Den Verdacht habe ich mittlerweile auch. Manchmal denke ich, dass der Weg schon das Zielist.Christine:Ich verstehe einfach nicht, dass wir diese Dinge früher alle verstanden, gekonnt und gewussthaben, mit einfachsten Mitteln und wenig Lehrmaterial, nur mit unseren Büchern, Heften undvor allem mit unserem Lehrer.Monika:(aufbrausend:) Hör auf mit unserem Lehrer! Also, wie leicht dem die Hand ausrutschte, ...Kerstin:(unterbricht Monika:) ... Das war natürlich nicht in Ordnung. Aber der hat uns viel beigebracht. Da können wir im Nachhinein nicht meckern.Monika:(nachdenklich:) Stimmt eigentlich. Und warum geht das heute nicht mehr? Die haben dochalles in den Schulen, Computer, Lernsoftware, Fachräume, Kursräume, Schülervertretung,Materialien, tolle Bücher ...Christine:(unterbricht Monika:) ... und viel zu wenig Lehrer!Kerstin:Meinst du?Christine:(beginnt sich aufzuregen:) Was passiert denn, wenn Kinder neu in die Klasse kommen, diekein Wort Deutsch sprechen? (ironisch:) Guck mal, Lehrer! Das ist die Larissa aus Kirgisien,das ist der Goran aus dem Kosovo, das ist die Arzu aus Anatolien. So, Lehrer, kümmere dichdrum! Lehrer, mach mal! Irgendwie kriegst du das doch hin, oder etwa nicht? (wird lauter:)Und keinen müden Euro und keine freie Lehrerstunde, um diesen Kindern erst einmal diedeutsche Sprache näher zu bringen! Das ist der Skandal!Kerstin:Aber es werden doch jedes Jahr mehrere Hundert Lehrer eingestellt?Monika:Ich weiß aber genau, dass das nur ein Bruchteil von denen ist, die durch Pensionierung oder Tod ausscheiden.Christine:

Und wir werden in der Zeitung und im Fernsehen immer eingelullt, wie toll und erfolgreichdas Schulsystem in unserem Bundesland ist. Und Lehrer, die kannst du nun mal mit tausendComputern nicht ersetzen.Kerstin:Ich hab mal ausgerechnet: Zwanzig Computerplätze kosten ungefähr so viel wie ein Lehrer für ein halbes Jahr. Aber mit ein paar Computern kannst du in der Öffentlichkeit jahrelangEindruck schinden und die Eltern von den eigentlichen Missständen ablenken. So sieht dasaus!Monika:Ich meine ja auch, dass Computer und Internet im Unterricht ´ne ganz tolle Sache sind, weilman so an viele interessante Informationen kommt. Aber erziehen, erklären, aufmuntern,

trösten, beraten, anfeuern und kritisieren, das kann nur der Lehrer. Denn Computer sind jaeigentlich gefühllos und dumm.



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Kerstin:Und die paar Lehrer, die jedes Jahr eingestellt werden, das kommt mir so vor, als wenn du jedem Bürger ein 10-Cent-Stück in die Hand gibst und ihm sagst, er soll sich davon ein Bier trinken und den Rest für schlechte Zeiten zurücklegen.Christine:

Aber wenn das wirklich alles so ist, warum gehen dann die Eltern nicht auf die Barrikaden?Kerstin:Ja, das frage ich mich jetzt auch. Vermutlich weil sie die jahrelange Schönfärberei heute nochglauben.Monika:Vielleicht haben wir uns einfach zu sehr auf die Schule verlassen und Dinge von ihr erwartet,die sie schon lange nicht mehr leisten kann oder noch nie leisten konnte.Kerstin:Hört auf! Ich mache mir schon seit einiger Zeit die größten Vorwürfe, dass ich Judith nichtöfter gezeigt habe, wo ´s lang geht, vor allem als sie im 8. ihre faule Phase hatte und alleswichtiger war als Unterricht und Hausaufgaben. Aber man hatte ja auch zu wenig Zeit, weißtdu, durch Beruf, Sport und so weiter.Monika:Aber dafür gibt ´s ja zum Glück bald die Ganztagsbetreuung.Christine:Bist du verrückt! (zeigt Monika den Vogel) Auch noch nachmittags zusammengepfercht undden ganzen Tag mit den Chaoten aus der Klasse zusammen? Familienersatz à la DDR, die wir doch alle nicht mehr haben wollten? Betreut von unterbezahlten und schlecht ausgebildetenSchmalspur-Sozialarbeitern?Kerstin:Wie wollen die die überhaupt bezahlen, wenn die schon jetzt kein Geld für mehr Lehrer haben?Christine:Also, dafür hab ich meine Kinder nicht gekriegt, um sie morgens beim Staat abzugeben undabends überdreht abzuholen!Monika:Aber die Fachleute versprechen sich so viel davon.Kerstin:(sarkastisch:) Ja, gerade die! Die haben schon so oft aufs falsche Pferd gesetzt und uns heileWelt vorgemacht. Und gerade in diesem Punkt sollen sie den Stein der Weisen gefundenhaben? Ne, ihr beiden, ich glaub den Brüdern gar nichts mehr.Monika:

Das hört sich ja bald so an, als wenn wir Eltern ja auch etwas schuld wären und mehr tunmüssten?Kerstin:So ist es! Da tret´ ich mir zwar jetzt selbst vors Schienbein, aber wenn ich drüber nachdenke,wie das zur Zeit mit Pauline abgeht, muss ich zugeben, dass nur die Eltern was tun können – und müssen.Christine: Wir haben ´s also irgendwie verpennt? Wenn ich das alles jetzt so bedenke, dann könnte ja dieSchule, auch unter diesen Bedingungen, viel besser ausbilden, wenn wir Eltern besser erziehen, oder wie?Kerstin:

(macht eine schüttelnde Handbewegung, als wenn sie sich die Finger verbrannt hätte) Oh, oh!Das darfst du aber nicht überall laut sagen! Damit kannst du dir aber böse Leute machen!Obwohl du völlig Recht hast. (Licht aus! Vorhang!)

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