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Im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung, Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen und der Amadeu-Antonio-Stiftung hg. von Johannes Lichdi im Februar 2016. DEMOKRATIE Darf die NPD wegen Taten parteiloser Neonazis verboten werden? Erkundungen zu rassistischen Akteuren in ostdeutschen Regionen und den Folgen eines NPD-Verbots E-PAPER

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Im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung, Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen und der Amadeu-Antonio-Stiftung hg. von Johannes Lichdi im Februar 2016.

DEMOKRATIE

Darf die NPD wegen Taten parteiloser Neonazis verboten werden?

Erkundungen zu rassistischen Akteuren in ostdeutschen Regionen und den Folgen eines NPD-Verbots

E-PAPER

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Darf die NPD wegen Taten parteiloser Neonazis verboten werden?

Erkundungen zu rassistischen Akteuren in ostdeutschen Regionen und den Folgen eines NPD-Verbots

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„Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. ...“

„Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen ..., sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.“

Art. 21 Abs. 1 Satz 1 und 2 und Abs. 2 Satz 1 und 2 des Grundgesetzes von 1949

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Inhaltsverzeichnis

Johannes Lichdi: Zur Einführung 5

Horst Meier: Parteiverbote und „Streitbare Demokratie“ - Einige Thesen 11

Johannes Lichdi: Die rechtliche Bedeutung von Handlungen der NPD

und ihrer Anhänger im Verbotsverfahren 17

Dierk Borstel: Thesen zur Entwicklung der demokratischen Kultur und

des Rechtsextremismus in Ostvorpommern 35

Sebastian Striegel: Zur Verantwortung der NPD für die rassistische

Mobilisierung in Tröglitz 43

Michael Nattke: Die Krawalle in Heidenau, Freital und Dresden 53

Matthias Quent: Verschleierung, Radikalisierung und neue Unübersichtlich-

keiten: Gefährliche Implikationen und Folgen des NPD-Verbotsverfahrens 77

Autoren 95

Impressum 99

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Zur Einführung 7/ 100

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JOHANNES LICHDI

Zur Einführung

Anfang März 2016 verhandelt das Bundesverfassungsgericht zunächst für drei Tage über

den Verbotsantrag des Bundesrats gegen die NPD. Karlsruhe wird 60 Jahre nach dem

KPD-Verbot Grundfragen zum demokratischen Selbstverständnis der Bundesrepublik zu

beantworten haben. Umfasst die Freiheit des Grundgesetzes auch die Freiheit gegen das

Grundgesetz zu sein? Die populäre Formel „Keine Freiheit den Feinden der Freiheit“

verneint diese Frage in Bausch und Bogen. Aber sollten Parteien tatsächlich wie zu

Zeiten des Kalten Krieges bei Strafe ihres Verbots verpflichtet werden, jederzeit für die

„freiheitliche demokratische Grundordnung“ einzutreten?

Was auf den ersten Blick selbstverständlich erscheint, beschneidet doch massiv politische

Freiheit. Diese Beschneidung trifft nicht nur „Extremisten“, sondern legt auch die Axt

an die individuellen Grundrechte wie das Persönlichkeitsrecht, die Meinungsfreiheit, die

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Parteien haben einen schlechten Ruf, aber eine

Partei ist nichts anderes, als ein Verein, in dem ich mich mit anderen zusammenschließe,

um an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Parteienfreiheit ist die

Verlängerung unserer grundrechtlich geschützten persönlichen Freiheit ins Politische.

Ein Staat, der dieser Freiheit mit einer erzwungenen Werteloyalität zum Grundgesetz

die Spitze abbricht, wird auch vor anderen Grundrechten nicht haltmachen.

Das Bundesverfassungsgericht könnte die NPD auf der Grundlage seiner Rechtspre-

chung der 1950er Jahre durchaus verbieten. Es würde dann aber in Konflikt mit der

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geraten. Daher

meinen die meisten Beobachter, das Bundesverfassungsgericht werde die juristischen

Anforderungen an ein Parteiverbot „weiterentwickeln“ und die „Hürden“ höher legen.

Wird also das Gericht am ideologischen Staatsschutz festhalten, nach dem bereits die

Verfolgung „verfassungswidriger Ziele“ genügt, oder werden die Verfassungsrichte-

rinnen und -richter darüberhinaus ein irgendwie gefährliches Verhalten fordern? Die

Antragsschrift des Bundesrats behauptet, die NPD sei die „Basis“ eines rechtsextremis-

tischen Netzwerks und folgert daraus, dass ihr die Taten parteiungebundener Neonazis

zugerechnet werden müssten.

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Diese Fragen wurden am 28. Oktober 2015 auf Einladung der Amadeu-Antonio-Stiftung,

des Bildungswerks weiterdenken - Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen und der Hein-

rich-Böll-Stiftung in Berlin mit Expertinnen und Experten diskutiert.1 Die Beiträge

dieses Bandes erkunden die Argumentationslinien des Verbotsantrags aus verfassungs-

rechtlicher, sozialwissenschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Sicht. Die Thesen von

Horst Meier umreißen die verfassungsrechtliche Debattenlage, skizzieren eine restrik-

tive Auslegung des Parteiverbotsartikels des Art. 21 Abs. 2 GG und plädieren für eine

rechtsstaatliche Bändigung des ideologischen Staatsschutzes, der es um die Abwehr

konkreter Gefahren geht. Johannes Lichdi befasst sich mit dem verfassungsrechtlichen

Begriff des „Verhaltens“ der Partei-“Anhänger“ im Verbotstatbestand. Gegen den

Verbotsantrag des Bundesrats plädiert er für eine Auslegung, die Handlungen Dritter nur

dann als „Anhänger“-Verhalten zurechnet, wenn sie auch wirklich auf rational nachprüf-

bare Weise von der Partei „bestimmt“ wurden.

Die Beiträge von Dierk Borstel, Sebastian Striegel, Michael Nattke und Matthias Quent

überprüfen die These von der „Basis“-Funktion der NPD für verschiedene ostdeutsche

Regionen und Ereignisse. Dierk Borstel beschreibt für Ostvorpommern extrem rechte

Familientraditionen, den Zusammenbruch der Landwirtschaft, die mangelnde positive

Demokratieerfahrung und das Fehlen einer positiven regionalen Entwicklungspers-

pektive. Diese sind, so seine Analyse, die Hauptursachen der lokalen Verankerung von

Rechtsextremisten, die sich aus allein taktischen Gründen in der NPD organisieren.

Die Befürworter eines NPD-Verbots führen insbesondere die Ereignisse von Tröglitz

(Sachsen-Anhalt) und Heidenau (Sachsen) als Beleg für die Notwendigkeit eines Ver-

bots an. Sebastian Striegel beschreibt die Entwicklung der NPD in Sachsen-Anhalt

und im Burgenlandkreis. Die Partei - so seine These - sei gar nicht in der Lage, eine

Basisfunktion in einem rechtsextremistischen Netzwerk einzunehmen. Der aufsehener-

regende Rücktritt des Ortsbürgermeisters von Tröglitz sei eher auf das Versagen der

Versammlungsbehörden und die mangelnde Unterstützung vor Ort zurückzuführen, als

auf konkrete Bedrohungen durch die NPD.

Michael Nattke behandelt vor dem Hintergrund der Entwicklung der rechtsextremis-

tischen Szene die Entstehung, den Verlauf und die Folgen der Krawalle des Sommers

2015 in Dresden, Freital und Heidenau. Obwohl die NPD im örtlichen und zeitlichen

Umfeld als Anmelderin von Versammlungen aufgetreten sei, gebe es keine Belege für

eine Steuerung der Krawalle durch die NPD. Vielmehr könnten die Gewalttäter mit ei-

1 Siehe den Stream der öffentlichen Diskussion mit Dr. Horst Meier, Michael Nattke und Innenmi-nister Holger Stahlknecht (Sachsen-Anhalt) unter der Moderation von Sebastian Striegel, MdL, https://www.boell.de/de/2015/11/03/kann-und-soll-die-npd-verboten-werden .

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niger Wahrscheinlichkeit bei parteiungebundenen gewalttätigen Rechtsextremisten aus

dem Umfeld von Dynamo Dresden vermutet werden.

Wieso führte eigentlich die Selbstaufdeckung der Terrorbande des „Nationalsozialisti-

schen Untergrunds NSU“ zur Einleitung des NPD-Verbotsverfahrens, wenn nicht einmal

die Antragsteller eine Verbindung der NPD mit den Morden, Sprengstoffanschlägen und

Raubüberfällen behaupten? Matthias Quent stellt vor dem Hintergrund eigener empi-

rischer Forschungen in Thüringen eine Sehnsucht fest, die verstörende Erfahrung einer

rechtsextremistischen Partei zu verdrängen. Er kritisiert dies als unzulässigen Versuch

einer Auflösung der „demokratischen Ambivalenz“. Der Verbotsantrag wolle eigentlich

die sozialen und gesellschaftlichen Ursachen des Rechtsextremismus verdecken. Im

Übrigen sei ein Verbot auch nutzlos; die rechtsextremistischen Strömungen suchten sich

als innovative soziale Bewegung stets neue Organisationsformen. Ein NPD-Verbot würde

die Bewegung daher nicht schwächen, sondern nur unübersichtlicher und militanter

machen.

Die Beiträge dieses Bandes zeichnen sich durch einen komplexen und erfahrungsgesät-

tigten Analyseansatz aus. Sie beziehen historische und sozio-ökonomische Ansätze ein,

beleuchten auch das Verhalten staatlicher Behörden und örtlicher Amtsträger und klären

beispielhaft Einzelereignisse auf. Dabei tritt insbesondere die entscheidende Rolle der

Träger des staatlichen Gewaltmonopols und politischer Akteure vor Ort ans Licht. Am

Ende entscheiden sie, und nicht Aktionen der Neonazis oder der NPD, ob lokal eine

rassistische und extrem rechte Hegemonie entstehen kann. Es bleibt zu hoffen, dass das

Bundesverfassungsgericht dieser Komplexität in seiner Beweisaufnahme zum Begriff

des „Anhängerverhaltens“ gerecht wird.

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HORST MEIER

Parteiverbote und „Streitbare Demokratie“ – Einige Thesen1

1.

Im Umgang mit dem Parteiverbot hatte die deutsche Politik bislang keine glückliche

Hand. Nüchtern betrachtet wurde Art. 21 II GG nicht gebraucht. Indes verführt sein

Aus gren zungs potenzial zu symbolischer Verbotspolitik, wo es doch gilt, gegenüber Anti-

demo kraten demokratische Prinzipien hochzu hal ten. Von daher stellt das Partei verbot

ein Problem dar, anstatt eine Lösung zu bieten.

2.

Im Anfang war die Parteienfreiheit; wer vom Verbot spricht, darf darüber nicht schwei-

gen.

3.

Jeder Eingriff in die Freiheit „unerträglicher“ Opposition verzer rt den politischen

Wett bewerb zugunsten der Mehrheitsparteien. Ein Verbot lässt sich nur recht fertigen,

wenn und soweit es zur Verteidigung der Demokratie notwendig ist.

4.

In der Weimarer Republik konnte eine Partei, deren „Zweck den Strafgesetzen

zuwiderläuft“, aufgelöst werden (§ 2 Abs.1 des Vereinsgesetzes von 1908). Art. 21

Abs. 2 des Grundgesetzes bietet die Möglichkeit, Parteien bereits wegen ihrer politi-

schen „Ziele“ zu verbieten. Die Verbotsurteile gegen SRP (1952) und KPD (1956)

waren ein seitig auf verfassungs widrige Propaganda (d.h. den Inhalt von Politik) bezo-

gen. Beide hatten mit einer Gefahrenlage nichts zu tun.

1 Die hier nachgedruckten Thesen erschienen zuerst in Meier, Staatstheater, S. 344-347. Ich habe sie auf verschie denen Veranstaltungen zur Diskussion gestellt: Deutsche Hochschule der Po li zei, Müns-ter-Hiltrup, Führungskräftekolleg Polizei & Verfassungs schutz (11. Dezember 2013); Universität Kassel im Rahmen der Ringvorlesung „Neo nazis“ (12. Dezember 2012) und Juristische Gesellschaft zu Kassel (11. April 2012).

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5.

Eine restriktive Inter preta tion ist notwendig und möglich; ihre wichtigste Aufgabe be-

steht darin, die zweite, bislang ausgeblendete Verbots alternative einzubeziehen : das

illegale, gewalt tätige „Verhalten“ der Partei anhänger (d.h. die Form von Politik). Auf

diese Weise kann das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der „aktiv kämpferischen,

aggres siven Haltung“, das im KPD-Urteil praktisch folgen los blieb, die ihm zugedachte

limitierende Funktion bekommen (Einsatz illegaler Mittel).

6.

Die Instrumente der „streitbaren“ Demo kratie laufen darauf hinaus, die Legalität

politisch unerwünschten Handelns nachträglich zu entwerten: unter Berufung auf die

Legitimität einer „Grund ordnung“. Diese deutsche Streitbarkeit ist ein Problem, das bis

heute mit einer Errun genschaft verwechselt wird.

7.

Die herrschende Lehre von der „streitbaren Demokratie“ unterscheidet nicht zwi schen

anstößigen Meinungen und wirklichen Gefahren. Sie stellt einseitig auf Präven tion und

„Gefahrenvorsorge“ ab. Indem sie verfassungs„feindliches“ „Gedanken gut“ ächtet, ist

sie im Kern illiberal.

8.

Eine konzeptionelle Wende ist fällig: aus ideologischem „Verfassungs schutz“ muss ge-

fahrenbezogener Republik schutz werden.

9.

Das Gewalt kriterium ist der Dreh- und Angelpunkt einer ratio nalen Strategie für die

Verteidigung der Demokratie: Es koppelt den Eingriff in die Parteien freiheit an konkrete

Gefahren – und markiert mit dem Rechtsbruch zugleich eine politisch neutrale Grenze.

10.

Eine praxisorientierte Verfassungsreform sollte klarstellen, dass Art. 21 Abs. 2 als

ein heit licher Verbotstatbestand anzusehen ist: Nur solche Parteien sind „verfas-

sungs widrig“, die nach ihren „Zielen“ und dem „Verhalten“ ihrer Anhänger die

Grund ordnung dieses Staates gefährden. Die Sanktionierung legaler Agitation und Pro-

paganda wäre demnach ausgeschlossen (Schutz der Meinungsfreiheit).

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11.

Das Verhältnis von Parteipolitik und Inlandsgeheimdienst ist reform bedürftig. Eine

dauer hafte Beobachtung und Infiltration mit nachrichtendienstlichen Mitteln verletzt die

Parteien freiheit. Es sollte daher zeitlich begrenzt werden: auf die Prüfphase unmittel-

bar vor einem eventuellen Verbotsantrag.

12.

Die heutige NPD ist konstitutionell unfähig, die „freiheit liche demokra tische Grund-

ordnung“ dieses Staates zu „beeinträchtigen“ oder gar zu „beseitigen“. Soweit sie

„darauf ausgeht“, handelt es sich um einen untauglichen Versuch. Ihre Gefähr lichkeit

wird kolportiert, entbehrt aber der tatsächlichen Grundlage. Es ist kein Zufall, dass

der zweite Verbotsantrag des Bundesrats sich vor allem auf einige Hundert Zitate

stützt (303 „Belege“). Ihre Anleihen bei der Naziideologie (These von der „Wesens-

verwandtschaft“) machen die NPD – ganz im Gegensatz zur SRP – keines wegs zur

Nachfolge organisation der NSDAP.

13.

Sonderrecht gegen neonazistische Parteien kennt das Grundgesetz ebenso wenig wie

gegen neonazistische Mei nun gen. Mit der Kritik am Wunsiedelbeschluss des Verfas-

sungsgerichts (Erster Senat) bleibt festzuhalten: Die Garantien der Verfassung gel ten

unter schiedslos und unverkürzt für alle politischen Richtungen – ohne Gesin nungs -

abschlag.

14.

Die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ des Grundgesetzes von 1949 ist ein

Sammelbegriff aus dem Kalten Krieg - für das, „was wir von ‚früher‘ und von ‚drüben‘

als politische Ordnung unbedingt nicht wollen“ (Günter Dürig). Wer heute lieber eine

andere, eine antinazistische „Grundordnung“ haben möchte, muss die öffentliche Debat-

te über eine entspre chende Verfassungsände rung führen.

15.

Dass man nicht mit Kanonen auf Spatzen schießt, gilt auch für die Anwendung von

Art. 21 II GG. Maßstäbe von Verhältnismäßigkeit sind auch und gerade bei der Aus-

schaltung „verfassungswidriger“ Parteien anzulegen. Nur so ist fallbezogen eine

„prakti sche Konkordanz“ von Freiheits garantie und Verbotsmöglichkeit herzustellen.

Der Rechtsstaat kennt keine Eingriffe ohne Maß.

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16.

Gegen eine Partei, die keine militanten und klan destinen Strukturen aufweist, die

bundes weit an der Fünf prozenthürde schei tert und die sich an die Spiel regeln des

Meinungskampfes hält (das heißt, sich allgemein erlaubter Mittel bedient) – gegen eine

solche Partei kommt ein Verbot nicht in Be tracht. Eine Maßnahme, die offen kundig

nicht erforderlich ist, kann nicht ver hält nis mäßig sein.

17.

Jedes deutsche Parteiverbot muss sich an den Standards messen lassen, die der

Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entwickelt hat: Ein Verbot ist nur dann

gerechtfertigt, wenn die betreffende Partei eine konkrete Gefahr für die Demo kratie

darstellt (Militanz oder Wahlerfolge).

18.

Im „Normalbetrieb“ gibt es gegen antidemokratische Parteien, mögen sie noch so pro-

vozierend auftreten, nur eine system gerechte Waffe: den freien politischen Wettbewerb

und den Stimmzettel. Das wiederkehrende Urteil der Wähler ist ver nichtender als eines

von Richtern jemals sein könnte.

P.S.: Noch so eine „Lehre“ aus der Geschichte

Die Deutschen, die ihre Freiheit an das Hitlerregime einst weggaben oder verloren und

später (aus verständlichen Gründen) nicht imstan de waren, sie aus eigener Kraft zu-

rückzuerobern, müssen lernen, die geschenkte Freiheit zu vertei digen: mehr De mo kratie wagen. Dass sich auch Radikale, „Extremisten“, Fanatiker und andere Wut bürger auf

Grundrechte be rufen kön nen, gehört zum Wesen und Wert der De mo kratie.

Dem Generalvorbehalt der deutschen „inneren“ Sicherheit sei gesagt: Die Demo kratie

ist eine Verfassung der Freiheit; sie lebt mit, ja von den Risiken, die sie ent bindet.

Deshalb ist ein gewisses Betriebs risiko auch kein Zufall, sondern system bedingt. Eine

Verfassung „ist nun einmal keine politische Lebens versicherung“ (Horst Ehmke). Nur

wer das „Rest risiko“ der Freiheit nicht scheut, nur wer ihren Preis zahlt, verdient sie.

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Literaturhinweise

Horst Meier, geb. 1954, Autor & Jurist (vgl. www.horst-meier-autor.de):

Als die Demokratie streiten lernte. Zur Argumentationsstruktur des KPD-Verbotsurteils von 1956. In: Kritische Justiz 1987, S. 460ff.

Parteiverbote und demokratische Republik. Zur Interpretation und Kritik von Art. 21 II GG. Baden-Baden: Nomos 1993.

„Ob eine konkrete Gefahr besteht, ist belanglos“. Kritik der Verbotsanträge gegen die NPD. In: Leviathan 4/2001, S. 439–468; Auszüge in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 21. Oktober 2001 (unter dem Titel Ein Sack voll widerlicher Zitate).

Protestfreie Zonen? Variationen über Bürgerrechte und Politik.

Berlin: BWV 2012.

Wozu eigentlich noch Verfassungsschutz? In: Merkur 777 (Februar 2014).

Verbot der NPD – ein deutsches Staatstheater in zwei Akten. Analysen und Kritik 2001-2014 (mit Gastbeiträgen u.a. von Hans Magnus Enzensberger, Eckhard Jesse, Wolfgang Kraushaar, Claus Leggewie, Johannes Lichdi und Volker Neumann) sowie Fotos, Anhang und einem Gespräch mit Bernhard Schlink: Mit Rechts leben. Berliner Wissenschafts-Verlag 2015.

Die „verfassungswidrige“ Partei als Ernstfall der Demokratie. Kritik des abermaligen Verbotsan-trags gegen die NPD sowie Skizze für eine restriktive Interpretation. In: Staatstheater 2015, S. 129-198.

„Streitbare“ oder liberale Demokratie? Wie man in Deutschland und den USA mit „nichtgewalttä-tigen Extremisten“ umgeht. In: Recht & Politik 4/2015.

Claus Leggewie & Horst Meier:

Republik schutz. Maßstäbe für die Verteidigung der Demokratie. Reinbek: Rowohlt 1995.

Verbot der NPD oder Mit Rechtsradikalen leben? (Hrsg.) Frankfurt: Suhrkamp 2002.

Nach dem Verfassungsschutz. Plädoyer für eine neue Sicher heits architektur der Berliner Republik. Berlin: Archiv der Jugendkulturen 2012.

Vom Betriebsrisiko der Demokratie. Versuch, die deutsche Extremismus debatte vom Kopf auf die Füße zu stellen. In: Eckhard Jesse (Hrsg.), Wie gefährlich ist Extremismus? Sonderband der Zeitschrift für Politikwissenschaft 2015, S. 163-196.

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JOHANNES LICHDI

Die rechtliche Bedeutung von Handlungen der NPD und „ihrer Anhänger“ im Verbotsverfahren

Einleitung

Der Bundesrat begründet seinen Verbotsantrag mit verfassungswidrigen Zielen der

NPD. Auf Grundlage einer Materialsammlung der Ämter für „Verfassungsschutz“ legt

er das völkisch-rassistische und autoritäre Menschen- und Gesellschaftsbild der NPD

mit zahlreichen programmatischen Aussagen führender Parteigrößen dar.1 Dennoch ist

der Versuch der Antragsteller gewagt, dem Bundesverfassungsgericht im Jahre 2016

das Verbot einer Partei allein auf der Grundlage verfassungswidriger Fernziele anzu-

tragen. Das letzte Verbot einer Partei, nämlich 1956 der KPD, ist als Ausdruck eines

rein „ideologischen Staatsschutzes“ scharf kritisiert worden. Wenn schon Fernziele

einer Partei ohne Realisierungschance ein Parteiverbot begründen, werde „damit der

Boden einer rational begründbaren Gefahrenabwehr verlassen“.2 Daher ist mit dem

Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) der Partei die

Verursachung einer Gefahr nachzuweisen, die ein Verbot verhältnismäßig erscheinen

lässt. Karlsruhe dürfte zur Vermeidung eines Konflikts mit dem EGMR die Auslegung

des Verbotsartikels in diesem Sinne „fortentwickeln“.3 Die Antragsteller beharren

zwar auf dem Rechtsstandpunkt, ein Verbot müsse nicht verhältnismäßig sein, tragen

gleichwohl aber Argumente für eine tatsächliche Gefahr für die freiheitliche demokra-

tische Grundordnung vor: Die NPD sei die „organisatorische Basis“ eines Netzwerks

einer „rechtsextremistischen Raumordnungs bewegung“, die gemeinsam mit parteiun-

1 Leggewie / Meier, Frankfurter Rundschau vom 25.2.2013, abgedruckt in Meier, Staatstheater, S.118-121. Zur Kritik auch Lichdi, taz.de vom 29.1.2013. - Zu den - unterschätzten - verfahrens-rechtlichen Problemen Lichdi / Meier, taz.de vom 30.3.2015 und taz.de vom 18.12.2015 sowie Meier / Lichdi, taz.de vom 20.1.2016. - Jetzt Leggewie / Lichdi / Meier, RuP 2016, S.1ff.

2 Morlok, NJW 2001, 2931/2940, der der ausführlichen Begründung von Meier, Parteiverbote, folgt.

3 So die Ankündigung in der Einstellungsverfügung des ersten NPD-Verbotsverfahrens, Beschluss des BVerfG vom 18.3.2003, R.91. Dazu Morlok, ZRP 2013, S.69 ff. Emek / Meier, RuP 2013, S.74ff. Shirvani, JZ 2014, S.1074ff.

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gebundenen Rechtsextremisten auf Grundlage nationalrevolutionärer Ideologie eine

„Atmosphäre der Angst“ schaffe und das „demokratische Leben“ störe. Als dessen

Folge sei in Mecklenburg-Vorpommern eine „Akzeptanzsteigerung für die NPD vor Ort“

nachzuweisen.4 Im folgenden sollen Kernaussagen des Verbotsantrags am Maßstab des

tatsächlichen Verhaltens der NPD oder „ihrer Anhänger“ überprüft werden.5

I. „Verhalten“ gegen die „freiheitliche demokratische Grundordnung“

1. Objektive und illegale Handlungen

Gemäß Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG ist eine Partei verfassungswidrig und kann verboten

werden, wenn sie

„nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgeht, die freiheitliche, demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen.“

Der Begriff des „Verhaltens“ kann eine innere Haltung erfassen, meint aber im Kern

objektive Handlungen in der Außenwelt, die sich aufgrund ihrer Gleichgerichtetheit zu

einem allgemeinen Verhalten verfestigt haben. Der Parlamentarische Rat als Verfas-

sungsgeber hätte kaum den Begriff des „Verhaltens“ neben dem der „Ziele“ verwendet,

wenn er damit nicht etwas über die Ziele Hinausreichendes hätte zum Ausdruck bringen

wollen. Daher ist „Verhalten“ so zu verstehen, dass konkrete Handlungen gefordert

sind. So werden mit der ersten Alternative die programmatischen „Ziele“ einer Partei

bewertet und in der zweiten Alternative mit dem „Verhalten“ eine verallgemeinerte

Tendenz der Handlungen ihrer Mitglieder oder ihrer Anhänger betrachtet. Nun ist das

bloße Haben einer Meinung durch die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG geschützt.

Auf der Ebene einer Partei sind dies die „Ziele“. Der Wortlaut des Art. 21 Abs. 2 GG

erlaubt ein Verbot schon wegen „verfassungswidriger“ Ziele. Zur Abgrenzung spricht

daher einiges dafür, nur illegale Tätigkeiten unter den Begriff des Verhaltens zu fassen.6

Dagegen hat das Bundesverfassungsgericht im KPD-Verbotsurteil auch legales Verhalten

wie die Schulung der Mitglieder in der marxistisch-leninistischen Ideologie ausreichen

lassen.

4 Antragsschrift S. 75, 116ff., 223f. unter Berufung auf Borstel, Rechtsextremismus.

5 Zur Notwendigkeit und Möglichkeit einer restriktiven Interpretation des Verbotsartikels über das Merkmal des "Verhaltens" Meier, Demokratie als Ernstfall, S. 129ff.

6 Meier, Parteiverbote, S.151ff., 163, 281ff.

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2. Die Wahlgrundsätze als Kern demokratischer Verfahrensprinzipien

Der Inhalt der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ (fdGO), das Schutzgut des

Parteiverbots, ist keineswegs so eindeutig, wie sein inflationärer rhetorischer Gebrauch

vermuten ließe. Nach dem Verbotsurteil des Bundesverfassungsgerichts gegen die nazis-

tische „Sozialistische Reichspartei SRP“ aus dem Jahre 1952 handle es sich um eine

„Ordnung, die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“7

Zweifellos bezeichnet die Formel prägende Elemente des Grundgesetzes; was aber die

„Essenz“ oder unaufgebbar „Wesentliche“ sein soll, bleibt gleichwohl offen. Mit dem

Düsseldorfer Parteienrechtler Martin Morlok ist die fdGO nicht als „Zusammenspiel

unverzichtbarer Verfassungsbestimmungen“ zu verstehen. Das Parteiverbot stelle auch

nicht die „existierende politisch-staatliche Ordnung“, sondern die „Offenheit und Frei-

heitlichkeit des politischen Prozesses als solchen“ sicher. Horst Meier bestimmt das

verbotene Verhalten der Anhänger prägnant als „organisierten und gezielten Bruch“ der

„rechtlichen Regeln des politischen Machterwerbs“. Eine „rationale Konkretisierung“

müsse den „funktionellen Gesichtspunkt des Erhalts der grundlegenden demokratischen

Verfahrensprinzipien in den Vordergrund“ rücken. „Essentiell“ seien der „unbehinderte

Meinungs- und Willensbildungsprozess des Volkes (Art. 5, 8, 9, 21 I GG), das Mehrheits-

prinzip, die Institutionalisierung demokratischer Mitbestimmung im Zusammenhang mit

der Rechtsstaatlichkeit zur Gewährleistung dessen und der Garantie rechtlicher Verbind-

lichkeit der demokratisch zustande gekommenen Ergebnisse.“8

Art. 20 Abs.2 GG bestimmt mit der Volksouveränität den Kern des Demokratieprinzips.

Danach geht „alle Staatsgewalt vom Volke aus“, welche es „in Wahlen und Abstimmun-

7 BVerfGE 2, 1ff. - SRP-Verbot.

8 Meier, Parteiverbote, S.282. Morlok, NJW 2001, S. 2931/2932f. Dreier - Morlok, Art. 21 R.146.

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gen“ ausübt.9 Das Bundesverfassungsgericht betont, dass die Willensbildung vom Volk

zum Staat erfolgen muss, nicht vom Staat zum Volk.10 Der Modus der demokratischen

Willensbildung vom Volk zum Staat ist die allgemeine, gleiche, freie und geheime Wahl

im Sinne des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG. „Wahlen vermögen demokratische Legitimation

nur zu verleihen, wenn sie frei sind“.11 Jede Ausübung von Staatsgewalt ist in unun-

terbrochener Form inhaltlich und personell auf Wahlen zurückzuführen (sogenannte

„Legitimationskette“). Die Wahlgrundsätze des Art. 38 GG sind somit „unabdingbare

Verfahren zur Konstituierung der demokratischen Willensbildung“ und unaufgebbarer

Kern des Demokratieprinzips sowie der Offenheit und Freiheit der politischen Willens-

bildung.12 Freiheit der Wahl bedeutet, „dass jeder Wahlberechtigte sein Wahlrecht frei,

d.h. ohne Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussung von außen ausüben“ kann. Sie

erstreckt sich auf die Zeit der Wahlvorbereitung und des Wahlkampfs.13

3. Der Vortrag des Bundesrats

3.1. Ziel der Schaffung demokratiefreier Inseln

Die Antragsschrift begründet einen Angriff der NPD auf die freiheitliche demokratische

Grundordnung mit deren Absicht, lokale „Inseln“ zu schaffen, in denen die Gleichheit

und Freiheit der Wahl nicht mehr gelten soll. Gemeint sind die sogenannten „national

befreiten Zonen“. Aus dem Demokratieprinzip folge das Prinzip eines „territorial lü-

ckenlosen Schutzes des demokratischen Lebens“.14 Nach Art. 20 Abs.2 in Verbindung

mit Art. 79 Abs.3 GG seien politische Aktivitäten verboten,

„die darauf ausgehen, die unabänderliche Garantie demokratischer Gleichheit für bestimmte Gebiete faktisch einzuschränken, um im Ergebnis für ausgewählte kommunale und regionale Untergliederungen des demokratischen Rechtsstaates die tatsächlichen Bedingungen der Möglichkeit gleicher politischer Selbstbestimmung in Frage zu stellen. Die normativ-personale Garantie demokratischer Gleichheit hat insoweit auch eine faktisch-territoriale Seite. Nur wenn sich die Angehörigen des

9 Grundlegend Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S.289ff.

10 BVerfGE 44, 125/139 - Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. BVerfG, Urteil vom 19.12.2000, R.100 - Zeugen Jehovas - juris.

11 BVerfG, Beschluss vom 2.7.2013, R.12 - Europawahl 2009 - juris.

12 BVerfGE 99, 1/13. BVerfGE 123, 39, R.108. BVerfGE 124, 1 R.94ff. BVerfG, Beschluss vom 2.7.2013, R.12 - juris.

13 BVerfGE 7, 63/69. BVerfGE 15, 165/166. BVerfGE 20, 56/97ff. BVerfGE 44, 125/139. BVerfGE 66, 369/380. BVerfGE 124, R.95.

14 Antragsschrift S. 116ff.

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Legitimationssubjekts in allen Teilen des Staates sicher fühlen, an der politischen Willensbildung frei teilnehmen zu können, kann der Legitimationsprozess dem Standard demokratischer Gleichheit genügen.“

Eine „Verzerrung auf lokaler Ebene“ beeinträchtige auch das gesamtdeutsche Ergebnis.

Die Antragsschrift resümiert also:

„Jede politische Zielsetzung, die der flächendeckenden Garantie einer offenen politischen Auseinandersetzung entgegentritt, indem sie das Ziel formuliert, territoriale Einheiten in der Bundesrepublik nach politischen oder anderen Kriterien zu homogenisieren, verstößt damit im Ergebnis gegen den unabänderlichen Kern des Demokratieprinzips und erfüllt entsprechend die inhaltlichen Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 GG.“

3.2. Gesinnungs- oder Änderungsverbot?

Der Antrag folgert daraus ein inhaltliches Verbot, als Partei etwas anderes politisch zu

vertreten. Er beruft sich auf Art. 79 Abs. 3 GG, wonach das Demokratieprinzip nicht

geändert werden kann (sogenannte „Ewigkeitsgarantie“).15 Nach seinem Wortlaut

verbietet Art. 79 Abs. 3 GG aber nur, dass ein Antrag auf Verfassungsänderung für die

geschützten Normen wirksam verabschiedet werden kann. Man mag darin schon ein

Verbot sehen, überhaupt einen entsprechenden Antrag zu stellen. Es bleibt aber be-

gründungsbedürftig, wieso Parteien eine Änderung von vornherein auch nicht vertreten

dürfen sollen. Die Antragsteller verlegen eine Regel über zulässige Verfassungsänderun-

gen im Bundestag - also aus dem „Bereich organisierter Staatlichkeit“ - weit vor in den

gesellschaftlichen Bereich, in dem sich Personen als Partei zur gemeinsamen Vertretung

bestimmter Meinungen organisieren. Eine derartige Vorverlegung ist keineswegs selbst-

verständlich. Das Bundesverfassungsgericht hat im Wunsiedel-Urteil von 2009 klar die

Zulässigkeit und den grundrechtlichen Schutz auch für Ansichten betont, die dem Grund-

gesetz widersprechen:

„Die Bürger sind dabei rechtlich auch nicht gehalten, die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen persönlich zu teilen. Das Grundgesetz baut zwar auf der Erwartung auf, dass die Bürger die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und verwirklichen, erzwingt die Werteloyalität aber nicht. Geschützt sind damit von Art. 5 Abs. 1 GG auch Meinungen, die auf eine grundlegende Änderung der politischen Ordnung zielen, unabhängig davon, ob und wie weit sie im Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung durchsetzbar sind. ... Dementsprechend fällt selbst

15 Kritisch zu Art. 79 Abs. 3 GG und seiner weiten Auslegung H. Dreier, JZ 1994, S.741/750: "Art. 79 Abs.3 schützt zu vieles zu intensiv".

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die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts als radikale Infragestellung der geltenden Ordnung nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG heraus.“ – „Insbesondere kennt das Grundgesetz kein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip, das ein Verbot der Verbreitung rechtsradikalen oder auch nationalsozialistischen Gedankenguts schon in Bezug auf die geistige Wirkung seines Inhalts erlaubte. Ein solches Grundprinzip ergibt sich insbesondere weder aus Art. 79 Abs. 3 GG noch aus Art. 139 GG ... .“16

3.3. Wertungswidersprüche zwischen Parteiverbot, Wahlwiederholung und

Nötigungsstrafbarkeit

Dem Bundesrat ist zuzustimmen, wenn er den „offenen politischen Prozeß des Demo-

kratieprinzips“, also die Regeln demokratischer Wahl und Repräsentation im Sinne

des Art. 20 Abs. 2 GG und die Wahlgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG, für den

Kern der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ hält. Selbstverständlich muss

die politische Willensbildung im Vorfeld und in Wahlen frei von nötigendem sozialem,

wirtschaftlichem oder politischen Druck sein. Die Antragsschrift verwendet aber mit

dem „demokratischen Leben“ einen Begriff, der in der Verfassungsrechtslehre nicht als

Element des Demokratieprinzips definiert ist. Er amalgamiert das Leitbild der „demo-

kratischen Kultur“ der Initiativen gegen Rechtsextremismus mit dem Grundsatz der

Volksouveränität nach Art. 20 Abs. 2 GG, ohne sich Rechenschaft über die Probleme

dieser hybriden Begriffsbildung aus Sozial- und Rechtswissenschaften abzulegen. Der

Bundesrat bezieht sich aber der Sache nach auf Art. 20 Abs 2 GG und die Wahlgrundsät-

ze des Art. 38 Abs.1 Satz 1 GG, ohne allerdings ein verfassungswidriges Verhalten der

NPD ausdrücklich an dieser Vorschrift zu prüfen.

a) Substantiierung zum Nachweis der Ziele oder des Verhaltens?

Die Antragsschrift verzichtet auf jeden Vortrag für eine Verantwortlichkeit der NPD

für eine Wahlbehinderung (§ 107 StGB), Wahlfälschung (§ 107a), der Fälschung von

Wahlunterlagen (§ 107b StGB) oder der Verletzung des Wahlgeheimnisses (§ 107c

StGB). Sie trägt auch nicht vor, dass bestimmte Personen unter Druck gesetzt worden

seien, NPD zu wählen (Wählernötigung nach § 108 StGB), dass Wähler getäuscht (§

108a StGB) oder bestochen (§ 108b StGB) worden seien. Als Verhalten gegen die frei-

heitlich-demokratische Grundordnung werden Fälle einer Einschüchterung politischer

Gegner und die Hetze gegen Flüchtlinge bezeichnet. Was der Bundesrat dazu aufführt,

liest sich wie ein Literaturbericht aus dem Sammelband von Hubertus Buchstein und

16 BVerfG, Urteil vom 4.11.2009, R.49, 50, 67 - Wunsiedel - juris.

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Gudrun Heinrich oder dem journalistischen Bericht von Andrea Röpke.17 Aus der verfas-

sungsrechtlichen Sicht der Antragsteller mag eine konkrete Substantiierung im Sinne

des Wahlstrafrechts oder der Wahlgrundsätze auch nicht erforderlich sein, da bereits

allein die Absicht der Schaffung vom „demokratischen Leben“ befreiter „Inseln“ für

ein Verbot ausreichen soll. Dann steht und fällt das Verbotsverfahren aber mit der grund-

sätzlichen Weichenstellung, ob das Bundesverfassungsgericht irgendeine reale Gefahr

verlangt. Sollte dies der Fall sein, wird das Gericht sich anders als die Antragsschrift mit

tatsächlichen Eingriffen in die „Freiheit der Wahl“ im Sinne des Art. 38 Abs. 1 Satz 1

GG auseinandersetzen müssen.

b) Reichweite der Wahlgrundsätze

Das Bundesverfassungsgericht hat die Reichweite der allgemeinen Wahlgrundsätze

bisher entlang der Wahlanfechtung nach § 49 BWahlG und der Wählernötigung nach §

108 StGB ausgelegt.18 Beide Tatbestände verlangen eine ursächliche Auswirkung auf

das Wahlergebnis sowie keine „hinreichende Möglichkeit zur Abwehr (des Wahlfeh-

lers oder der Nötigung) zum Beispiel mit Hilfe der Gerichte oder der Polizei“.19 In der

Literatur findet sich die Formel, dass die Grenzen legitimer Einflussnahme der Parteien

auf die Wählerinnen und Wähler erst überschritten würden, „wenn sich die Beein-

flussung als ernstliche und unausweichliche, die freie Wahlentscheidung berührende

Handlungsanweisung erweist“.20 Die Absicht allein, die Wahlfreiheit zu beeinträchtigen,

oder ein untauglicher Versuch reichen also nicht.21 Diese Grundsätze müssen auch für

die Beurteilung gelten, ob eine Partei die Wahlgrundsätze des Art. 38 GG und damit

einen Kernbestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verletzt. Denn

es wäre ein glatter Wertungswiderspruch, eine Partei wegen Störungen zu verbieten,

die nicht einmal zur Wiederholung einer Wahl führen. Die gemeinsame ratio besteht

darin, dass die untaugliche oder eine nicht für das Wahlergebnis ursächliche Störung der

freien Wahl die Repräsentation des Volkswillens im gewählten Parlament gerade nicht

verzerrt. Dies ist übrigens auch der eigentliche Grund, warum ein Verbot von Parteien

17 Buchstein / Heinrich, Rechtsextremismus. Röpke, Gefährlich verankert. Dazu kritisch Lichdi, ZEIT-online.de, 4.7.2015.

18 BVerfGE 66, 369ff, R.32. "Unter welchen Voraussetzungen ein derartiger Druck unzulässig ist, ist im Tatbestand des § 108 StGB verfassungsgemäß näher umschrieben." - Achterberg/Schulte, Art.38 R.128. Kritisch Meyer, § 46 R.25, Fußnote 92.

19 BVerfGE 66, 369ff, R.32. BVerfGE 124, 1ff., R.84.

20 Achterberg/Schulte, Art.38 R.127.

21 BVerfGE 66, 369ff, R.32. "Ist das im Einzelfall eingesetzte Mittel aber objektiv untauglich, den Wähler zu dem angesonnenen Verhalten zu nötigen, liegt eine Verletzung von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG und damit ein Wahlfehler nicht vor."

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unverhältnismäßig wäre, die wie die NPD nicht im Bundestag vertreten sind.22 Daher

erscheint auch der kurze Schluss der Antragsteller von einer „Störung des demokrati-

schen Lebens“ in wenigen Gegenden Mecklenburg-Vorpommerns auf eine Verletzung

der demokratischen Legitimation in ganz Deutschland abwegig.

II. Straftaten von Vorstandsmitgliedern der NPD gegen die fdGO

1. Maßstabsbildung

Die Antragsschrift bemüht sich ergänzend, der NPD Straftaten gegen das Schutzgut der

fdGO nachzuweisen. Für den „NPD-Ordnungsdienst“ werden für das Jahr 2013 zwei

„gewalttätige Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten“ aufgeführt.23 Die An-

tragsteller verfehlen aber die Substantiierungsanforderungen, die dem BVerfG erst eine

präventive Rechtskontrolle mit Hilfe einer strengen Beweisführung ermöglichen.24 Sollte

ein erheblicher Anteil von NPD-Vorständen oder einflussreicher Mitglieder straffällig

geworden sein, könnte dies zwar auf ein rechtswidriges und gewaltförmiges Vorgehen

der Gesamtpartei gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung hinweisen. Die

bloße Mitgliedschaft einzelner Täter in der Partei reicht dafür aber nicht aus.25 Zudem

können nicht alle Straftaten ohne weiteres als Handlungen gegen die fdGO gewertet

werden. In erster Linie kommen Straftaten des Titels „Gefährdung des demokratischen

Rechtstaats“ (§§ 84 - 91a StGB), „Straftaten gegen Verfassungsorgane sowie bei Wah-

len und Abstimmungen ...“ (§§ 105 - 108e StGB) oder die Volksverhetzung nach § 130

StGB in Betracht. Im Kern kommt es darauf an, dass die Straftaten in der Vorstellung

der Täter und der Partei gerade ein Mittel zur Beseitigung der freiheitlich-demokrati-

schen Grundordnung sind.

22 Meier, Ernstfall der Demokratie, S.129/175f.

23 Schriftsatz des Bundesrats vom 27.8.2015, S.42f.

24 BVerfG, Beschluss vom 18.3.2003, R.91 - juris.

25 Morlok, NJW 2001, S.2931/2940. Hufen, ZRP 2012, S.202/204.

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2. Anteil straffälliger Mitglieder in den Vorständen der NPD

Stattdessen erschöpft sich die Antragsschrift in allgemeinen Ausführungen zur An-

zahl der Straftäter in den Vorständen der NPD in Bund und Ländern.26 Inwiefern die

Straftaten in der Vorstellung der Täter dazu dienten, die freiheitlich-demokratische

Grundordnung zu beseitigen, führt der Antrag nicht aus und ist schon deshalb un-

substantiiert. Er begnügt sich mit der Mitteilung einer anonymisierten Statistik des

Bundeskriminalamtes, nach der ein Viertel der Vorstandsmitglieder der NPD rechtskräf-

tig verurteilt sei, davon ein „immer noch beachtlicher Teil“ wegen Gewalt kriminalität.27

Doch zeigt sich bei näherer Analyse, dass ein signifikanter Anteil von Gewalttätern nicht

nachgewiesen ist. Die Angaben schließen Vorstände von Nebenorganisationen wie die

„Jungen Nationaldemokraten“ ein und reichen „bis in die 90er Jahre“ zurück.28 So sind

von 176 erfassten Personen in etwa 20 Jahren 12 Personen rechtskräftig wegen Kör-

perverletzungsdelikten verurteilt worden. Das sind etwa 7%. Zu Freiheitsstrafen ohne

Bewährung wurden lediglich 1,7% der Vorstandsmitglieder verurteilt, das heißt zwei bis

drei Personen. Das BVerfG hat inzwischen mitgeteilt, dass die anonymisierte Statistik

„nicht verwertbar“ sei. Die NPD ist zwar bereit, Straf- und Gewalttäter zu integrieren,

der Nachweis kriminellen Verhaltens der NPD als organisationsspezifische Eigenart

gelingt so aber nicht.

26 Ausführlicher Lichdi, Sächsische Szenen, S.204/207f.

27 Antragsschrift, S. 89f., 225f.

28 Bundeskriminalamt, Statistische Auswertung, S. 3, 8.

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III. Die NPD als „Basis eines rechtsextremistischen Netzwerks“?

Die Antragsteller bemühen sich, der NPD Handlungen von parteilosen Rechtsextremis-

ten als „Verhalten ihrer Anhänger“ zuzurechnen. Allerdings geht der Bundesrat weder

von einem zutreffenden verfassungsrechtlichen Begriff des „Anhängers“ aus, noch trägt

er Sachverhalte vor, die eine Zurechnung an die NPD erlauben. Am Rande sei vermerkt:

Obwohl die Selbstaufdeckung des NSU im Jahre 2011 Anlass für die Einleitung des er-

neuten Verbotsverfahrens war, bezichtigt die Antragsschrift die NPD nicht, für die Taten

des NSU die Verantwortung zu tragen.29

1. Der Begriff des „Anhängers“

1.1. Kriterien des Bundesverfassungsgerichts und der Literatur

Das Bundesverfassungsgericht hat 1952 im SRP-Urteil den Begriff des „Anhängers“

erstens im Lichte der Parteiziele, die sich im Verhalten der Anhänger „spiegeln“,

zweitens aus der Sicht des Anhängers, der sich für die Partei „einsetzen“ muss und

schließlich aus der Sicht der Partei definiert, die dieses Verhalten in einer Weise

„bestimmen“ muss, dass sie „die Verantwortung dafür trägt“.30 Denn die Annahme

einer „pauschalen Verantwortung der Partei für alle ihre Anhänger wäre abwegig und

rechtsstaatswidrig“.31 Stimmen in der Literatur fordern eine „nachhaltige Beziehung“,

entscheiden soll der „Grad der Einflussnahme“ der Partei. Dabei soll schon die bloße

Billigung der Taten Dritter, etwa durch die zuständigen Parteiorgane, genügen.32 Strittig

ist, ob die bloße Duldung eines Anhängerverhaltens genügt.33 Eine ideologische Über-

einstimmung zwischen Partei und Anhängern soll aber ebenso wenig genügen, wie die

gemeinsame Teilnahme an Demonstrationen oder vereinzelte Straftaten.34

29 Lichdi, Sächsische Szenen, S.204/206ff. Zur Deutung dieses Umstands Quent, Gefährliche Implika-tionen, in diesem Band.

30 BVerfGE 2, 1/21 - SRP.

31 Von Mangoldt / Klein / Starck - Streinz, Art.21, R.236. Ebenso Hufen, ZRP 2012, S.202/204.

32 Sichert, DÖV 2001, S.675f. Dreier - Morlok, Art.21, R.150. Kumpf, DVBl 12, 1344/1346. Hufen, ZRP 2012, 202/204f.

33 Dagegen Meier, Parteiverbote, S.283. Dafür Burkiczak / Dollinger / Schorkopf - Dollinger, § 46 R.9, "solange sich die Partei davon nicht klar und deutlich distanziert."

34 Morlok, NJW 2001, 2931/2940. Hufen, ZRP 2012, 202/204.

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1.2. Organisationsgefahr

Unter Berücksichtigung des Zwecks des Verbotstatbestands kann der Begriff des

„Anhängers“ weiter eingegrenzt werden. Das Parteiverbot sei nämlich ein „Organisati-

onsverbot“, das der spezifischen Gefahr dauerhafter politischer Vereinigungen begegnen

solle, aber kein „Gedankenverbot“.35 Die Zurechnung des Anhängerverhaltens soll

der Partei den formalen Einwand abschneiden, ihr könne das Verhalten einer Person

nicht zugerechnet werden, weil es nicht Parteimitglied sei. Denn eine Partei sei „in

besonderer Weise für das Verhalten ihrer Anhänger verantwortlich, weil sie erst den or-

ganisatorischen Rahmen für dieses Verhalten schafft.“36 Eine Zurechnung setzte danach

voraus, dass sich das Verhalten des „Anhängers“ im Rahmen der durch die Parteiorga-

nisation geschaffenen Gefahr bewegt. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes hatten

1949 das Bild einer straff hierarchisch organisierten Partei wie die NSDAP oder KPD

vor Augen. Die spezifische Organisationsgefahr einer Partei wird man daher in einer

quasi-militärischen Geschlossenheit, dem unbedingten Einsatzwillen ihrer Mitglieder und

Anhänger erkennen, die einen gleichzeitigen und überörtlichen Angriff auf die freiheitli-

che demokratische Grundordnung erlauben.

2. Wer ist „Anhänger“ einer Partei?

2.1. „Einsetzen“ für die Partei

Aus der Perspektive des Anhängers dürften als „Einsetzen“ für die Partei objektive und

willentliche Unterstützungshandlungen über einen gewissen Zeitraum hinweg zu for-

dern sein. „Einzelfälle“ oder „Entgleisungen“ dürfen nicht zugerechnet werden.37 Die

Handlungen der „Anhänger“ müssen gerade von der Absicht getragen sein, die Ziele der

Partei umzusetzen („Spiegelung“). Daher können Handlungen von Personen, die andere

Ziele als die Partei verfolgen, ebensowenig zugerechnet werden wie Handlungen, die

zwar auf gleicher ideologischer Grundlage erfolgen, aber nach dem Willen der Handeln-

den, nicht der Unterstützung der Partei dienen.

2.2. „Bestimmen“ durch die Partei

Das Merkmal der „Bestimmung“ behandelt die für eine Zurechnung an die Partei erfor-

derliche Art und Weise der Einwirkungen der Partei auf ihre „Anhänger“. Der Wortlaut

35 Maunz / Dürig - Klein, Art. 21 R.488.

36 Burkiczak / Dollinger / Schorkopf - Dollinger, § 46 R.9.

37 BVerfGE 5, 85/143 - KPD.

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legt ein objektives Element der Steuerung nahe. Vergleichbare Zurechnungsprobleme

stellen sich für die Handlung einer Person, die für die Tat einer anderen Person straf-

rechtlich belangt werden soll. Bei der Anstiftung nach § 26 Strafgesetzbuch (StGB) ist

eine die Tat verursachende kommunikative Einwirkung auf den Haupttäter nachzuwei-

sen. Beim Tatbestand der „Öffentlichen Aufforderung zu Straftaten“ nach § 111 StGB

ist die Frage zu beantworten, wie intensiv jemand auf eine unbestimmte Anzahl Dritter

einwirken muss, um eine Zurechnung von deren Taten zu begründen. Die Situation ist

mit der einer Partei vergleichbar, die sich mit ihren Meinungsäußerungen an die all-

gemeine Öffentlichkeit wendet und für das Verhalten Dritter verantwortlich gemacht

werden soll, die diese Ansichten in die Tat umsetzen. Eine „Aufforderung“ ist eine

Willenskundgabe gegenüber Dritten, eine beliebige andere Person solle „unmittelbar“

eine Straftat begehen. Der Auffordernde muss eine „gesteigerte Verantwortlichkeit“ für

die Fassung des Tatentschlusses haben. Die „Aufforderung“ muss an die Angesprochenen

appellieren, die Tat tatsächlich zu begehen, sie muss über eine bloße Billigung oder Be-

fürwortung hinausreichen. Gleichwohl erscheint der Anwendungsbereich des § 111 StGB

immer noch „bedenklich weit“ und in seiner praktischen Anwendung von politischen

Erwägungen gesteuert.38 Auch der Gesichtspunkt der Organisationsgefahr spricht dage-

gen, Dritte zu Anhängern zu erklären, die zwar vergleichbare politische Ziele wie die

Partei verfolgen, aber sich selbst zur Tat entschließen, ohne dass die Partei zumindest in

appellativer Form zu einem bestimmten Delikt aufgefordert hat. Es ist schwer vorstell-

bar, dass das Bundesverfassungsgericht im Rahmen eines Parteiverbots noch über den

weiten Begriff der „Aufforderung“ im Sinne des § 111 StGB hinausgehen könnte, ohne

Mindestanforderungen einer rationalen objektiven Zurechnung zu verfehlen.

3. Fehlender Nachweis der Anhängereigenschaft der Gewalttäter

Der Vortrag des Bundesrats ist schillernd und widersprüchlich: Einerseits soll die Ver-

antwortlichkeit der NPD als „Netzwerkbasis“ rechtlich der Hilfeleistung im Sinne der

Beihilfe im strafrechtlichen Sinne entsprechen. Eine stringente Nachweisführung wird

aber noch nicht einmal versucht. Andererseits soll bereits eine zeitlich-örtliche Nähe

sowie gemeinsame ideologische Überzeugungen eine Zurechnung der Taten Dritter

begründen.39 Dies verfehlt sowohl das Kriterium des „Einsetzens“ der Anhänger für die

Partei als auch das der „Bestimmung“ der Anhänger durch die Partei.

38 Münchener Kommentar - Bosch, § 111 R.4 und 6ff.

39 Antragsschrift S.106f. Schriftsatz vom 27.8.2015, S,12f.

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3.1. Zum Verhältnis des bewegungsförmigen zum parteigebunden

Rechtsextremismus

Der Bundesrat führt Aufrufe zur Gründung von „Bürgerwehren“ auf, aber keine Straf-

taten.40 Der einzige Sachvortrag, der in die Nähe einer strafbaren Aufforderung reicht,

betrifft Veröffentlichungen der NPD, doch „mal bei örtlichen Bürgerbüros vorbeizu-

schauen“. Zwar hätten sich darauf die Anschläge auf Wahlkreisbüros demokratischer

Parteien gehäuft, der Bundesrat berichtet aber weder von Verurteilungen noch über-

haupt von Ermittlungsverfahren nach § 111 StGB.41 Der Gutachter des Bundesrats, der

Politikwissenschaftler Dierk Borstel, zeichnet für das Verhältnis zwischen den etwa 400

parteigebundenen und den ungefähr 550 ungebundenen Neonazis für Mecklenburg-Vor-

pommern keineswegs das Bild einer „Bestimmung“ oder parteiförmigen Steuerung

der Personen des subkulturell geprägten „bewegungsförmigen“ Rechtsextremismus.

Im Gegenteil, die NPD habe „kaum Erfolgschancen ohne die Unterstützung des be-

wegungsförmigen Rechtsextremismus“; für die NPD dagegen sei „die Kooperation

existentiell.“42

3.2. Die Beispiele Tröglitz und Heidenau

Weitere Zurechnungsversuche verlieren sich im Nebel von Unterstellungen. Der

Bundesrat betont die Verantwortung der NPD für den Rücktritt des Tröglitzer Orts-

bürgermeisters. Dagegen weist Sebastian Striegel auf den mangelnden Schutz des

Wohnhauses durch die Versammlungsbehörde und die fehlende Unterstützung der Ein-

wohnerinnen und Einwohner hin.43 Die Prozessvertreter des Bundesrats behaupten auch

die Verantwortlichkeit der NPD für die dreitägigen Krawalle Ende August 2015 im

sächsischen Heidenau. Tatsächlich begannen die Landfriedensbrüche drei Stunden nach

dem Ende einer NPD-Demonstration. Michael Nattke arbeitet heraus, dass die Krawalle

von Nazihools verübt wurden, ohne dass eine Steuerung durch die NPD erkennbar oder

wahrscheinlich wäre.44 Die Versuche, diese Vorgänge der NPD zuzurechnen, gründen

allein auf gemeinsamen völkisch-rassistischen Vorstellungen von einer deutscher Volks-

gemeinschaft. Daraus kann aber weder eine „Bestimmung“ eines Anhängerverhaltens

noch die Absicht der Gewalttäter erschlossen werden, gerade die NPD zu unterstützen.

40 Schriftsatz vom 27.8.2015, S.37 - 41, der von einer (der einzigen?) "Patrouille" einer solchen Bürgerwehr in Güstrow berichtet, bei der die Polizei aber sofort vor Ort war und die Personalien feststellte.

41 Schriftsatz vom 27.8.2015, S.47-50.

42 Borstel, Rechtsextremismus, S.22. Ebenso Borstel, Ostvorpommern, in diesem Band.

43 Schriftsatz vom 27.8.2015, S.68ff. Dazu Striegel, Tröglitz, in diesem Band.

44 Schriftsatz vom 27.8.2015, S.121ff. Dazu Nattke, Krawalle, in diesem Band

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Eine Zurechnung bleibt eine unzulässige Unterstellung, solange der NPD keine kon-

kreten Hilfeleistungen oder Apelle an die unmittelbar handelnden Täter nachgewiesen

werden können.

4. Zurechnung an Pegida und AfD?

So bleiben die Versuche, die Bedrohungen, Gewalttaten und Krawalle der NPD zuzu-

rechnen, bloßen Wahrscheinlichkeitserwägungen verhaftet. Deshalb erscheint auch

die Gegenprobe erlaubt: Wie wahrscheinlich wäre eigentlich die Annahme, die Serie

fremdenfeindlicher Straftaten und Gewalt würde enden, wenn die NPD verboten wäre?

Nach Einschätzung des Bundeskriminalamts gibt es keine konkreten Hinweise für eine

Lenkung der 2015 springflutartig gestiegenen Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte

durch rechtsextremistische Parteien, auch nicht durch die NPD.45 Und weitergehend

wäre zu fragen, ob die Übergriffe nicht mit vergleichbarer Wahrscheinlichkeit anderen

politischen Gruppen zugerechnet werden können? Im Großraum Dresden könnte mit

besserem Recht die pegida-Bewegung verantwortlich gemacht werden, die dort ihren

ersten und einzigen Schwerpunkt hat. Sachsen ist bundesweit eindeutiger Schwerpunkt

der Gewalt gegen Flüchtlinge.46 Hier fanden 2015 mit 64 von 222 (Januar bis Novem-

ber) über ein Drittel aller Gewalttaten statt (Brandanschläge, Sachbeschädigungen,

Körperverletzungen).47 Eine Verantwortlichkeit von pegida erscheint wahrscheinlicher

als der NPD. Ein NPD-Verbot würde weder eine Beendigung der Hetze und Angriffe ge-

gen Flüchtlinge erwarten lassen, noch gar die rechtsextremistische Bewegung insgesamt

schwächen. Diese sucht sich als innovative soziale Bewegung bereits heute bei pegida

und AfD, bei „Die Rechte“ und „Der III. Weg“ neue organisatorische Formen.48

45 Kampf / Mascolo, tagessschau.de, 21.10.2015.

46 Asylbewerberunterkünfte: Zahl der Anschläge 2015 mehr als vervierfacht, Spiegel-online.de, 14.1.2016.

47 Es brennt in Deutschland, ZEIT-online.de vom 3.12.2015.

48 Quent, Gefährliche Implikationen, in diesem Band.

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IV. Staatsversagen

Der Vortrag des Bundesrats in der Antragsschrift vom Dezember 2013 und im Schrift-

satz von Ende August 2015 leidet an rechtlichen und tatsächlichen Mängeln. Der

Nachweis verfassungswidrigen Verhaltens misslingt. Die Antragsteller können sich

nicht recht entscheiden, ob sie ein Verbot ganz auf verfassungswidrige Ziele der NPD

stützen oder doch auch ein verfassungswidriges Verhalten nachweisen wollen. Sie

beklagen eine „Einschüchterung“ politischer Gegner, eine Einschränkung „demokra-

tischen Lebens“ sowie daraus resultierend eine „Akzeptanzsteigerung der NPD“ in

manchen lokalen Räumen, ohne allerdings die entscheidende verfassungsrechtliche

Norm des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG überhaupt ins Auge zu fassen. Sie wären sonst auf

die einschränkende Auslegung des Bundesverfassungsgerichts gestoßen; jedenfalls muss

der Bundesrat seinen Vortrag daran messen lassen. Dies hätte ihn unweigerlich auf

die maßgebliche Bedeutung der Handlungen oder Unterlassungen staatlicher Ermitt-

lungsbehörden und lokaler Amtsträger verwiesen. Diese bleibt in den Schriftsätzen des

Bundesrats vollkommen im Dunkeln, obwohl sie für die Entstehung einer rassistischen

Hegemonie in lokalen Nahräumen mindestens ebenso wichtig sind, wie die Aktionen

einer neonationalsozialistischen Szene.49 Sie verweisen auf die hohe Bedeutung eines

Staatsversagens für die Etablierung rassistischer Gewalt. Obwohl sich Dierk Borstel in

seinem Gutachten bemüht, die soziokulturellen Voraussetzungen in Mecklenburg-Vor-

pommern herauszuarbeiten, bleibt der Vortrag des Bundesrats einem eindimensionalen

Ursache-Wirkung-Schema verhaftet, dass der Komplexität sozialer Entwicklungen nicht

gerecht wird. Polizei und Staatsanwaltschaft prägen durch ihr Zurückweichen oder

Zugreifen, ihre Ermittlungserfolge oder -ausfälle, wesentlich die Erfolgsbedingungen

rechtsextremistischer Gewalttaten.50 Es ist zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht

dieser Komplexität in seiner Beurteilung des zweiten Verbotskriteriums in Art. 21 Abs.2

GG, nämlich des „Verhaltens“ der Partei und ihrer „Anhänger“, gerecht wird.

49 Exemplarisch für Mügeln in Sachsen nach dem versuchten Progrom vom August 2007 Schellen-berg. Mügeln, S.92ff.

50 Siehe dazu jeweils aus genauer Ortskenntnis die Ausführungen von Borstel, Striegel, Nattke und Quent, alle in diesem Band.

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DIERK BORSTEL

Thesen zur Entwicklung der demokratischen Kultur und des Rechtsextremismus in Ostvorpommern

Der Zuzug von bekannten Rechtsextremisten in den Nordosten der Republik hält un-

verändert an. Die Attraktivität der Region für den gut organisierten Teil der deutschen

Rechtsextremisten ist ungebrochen und doch zeigen sich hier auch in jüngster Zeit

wieder neue Wandlungen. Diese lassen sich jedoch nur verstehen, wenn die vorherige

Entwicklung und der gesellschaftliche Kontext der Region betrachtet werden. Dieser

Text versucht in Thesen zentrale gesellschaftliche Rahmungen und Entwicklungsstufen

des Rechtsextremismus zu skizzieren und so einen analytischen Beitrag zur Demokratie-

stärkung in der Auseinandersetzung mit der Herausforderung von rechtsaußen zu leisten.

1. Ostvorpommern ist historisch eine Region ohne positive Demokratietraditionen

Eine Einschätzung des Grades der Gefährdung durch den modernen Rechtsextremismus

lässt sich immer nur in der Interaktion mit den demokratischen Akteuren, Strukturen

und Kulturen vornehmen. Ostvorpommern ist bis heute eine vom Autoritarismus der

Vergangenheit der Gutshöfe und LPGs tief geprägte Gesellschaft. Demokratie als Ge-

sellschaftsform oder Lebensweise kann nicht auf familiäre oder andere Vorbilder aus der

Region zurückgreifen. Sie musste nach 1989 neu entdeckt und probiert werden. Mehr-

heitlich wurde das neue System als Idee mit vielen Träumen willkommen geheißen. Die

real existierende Demokratie war dann jedoch schnell eine Enttäuschung und wird in

weiten Teilen der Gesellschaft vor allem mit den Folgen der früher sehr hohen Arbeitslo-

sigkeit verbunden.

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2. Die größte Revolution war die Befreiung des Dorfes von der Landwirtschaft

Die Revolution in der Revolution spielte sich 1989 in den landwirtschaftlich geprägten

Dörfern ab. Jahrhundertelang drehte sich das dörfliche Leben alleine um die Landwirt-

schaft. Mit dem Wegzug vieler Großgrundbesitzer und der Bodenreform in den fünfziger

Jahren wandelten sich diese Dörfer erstmals. Wohn- und Arbeitsort fielen auseinander.

Das Bewusstsein vieler Landarbeiter orientierte sich nicht mehr am Bauernhof sondern

an modernen Arbeitern im Betrieb – mit Schichtzeiten, freien Wochenenden und Über-

stunden. Trotzdem fand der Großteil des sozialen und kulturellen Lebens weiterhin in

den Gemeinschaftsräumen der LPGs statt. Hier traf man sich zum Bier, Kartenspielen,

Reden und Feiern. Die LPG war zumeist auch der größte Arbeitgeber.

Damit war nach 1989/90 in den meisten Dörfern Schluss. Aus den meisten LPGs wurden

hochmoderne Agrarfabriken, entrissen den lokalen Wirtschaftskreisläufen und am Welt-

markt orientiert. In vielen Dörfern blieben von etwa 500 Arbeitsplätzen nur noch 7 oder

8 übrig. Diese Dörfer mussten sich sozial, ökonomisch und kulturell völlig neu erfinden.

Der Bezug zur Landwirtschaft war weg und neue Formen und Orte des Zusammenlebens

mussten erst geschaffen und erprobt werden. Dies schuf Freiräume und Ängste, die die

rechtsextreme Szene bis heute dankbar nutzt. Diese Revolution in der Revolution blieb

in der Wissenschaft und Praxis der Demokratieentwicklung weitgehend unthematisiert.

3. Die rechtsextremen Traditionen sind noch unerforscht

Die Kampagne „Opa war in Ordnung“ begleitete die bekannte Ausstellung zu den

Verbrechen der Wehrmacht. Unter diesem Motto mobilisierten bundesweit Rechtsextre-

misten zu zahlreichen Kundgebungen und Demonstrationen. Erfunden wurde der Slogan

wohl nicht zufällig in Ostvorpommern. Es gibt im Rechtsextremismus zahlreiche Hin-

weise auf mehrgenerationelle Familienzusammenhänge, Hinweise auf Strukturen und

Traditionen. Eine systematische Aufarbeitung steht aber noch aus. Dies ist bedauerlich,

könnten sich hier doch wichtige Hinweise zur Tradierung des Rechtsextremismus noch

verbergen, die zur Erklärung des heutigen Rechtsextremismus hilfreich wären.

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4. Der ostvorpommersche Rechtsextremismus hat eine tiefe regionale Verankerung

Die Startphase des ostvorpommerschen Rechtsextremismus mit seinen Konzerten in

Klein Bünzow wurde schon oft beschrieben und muss hier nicht wiederholt werden. Be-

tont werden soll nur der Aspekt der tiefen regionalen Verankerung der hiesigen Szene.

Es sind zunächst keine Zuzügler wie in Mecklenburg sondern Kinder der Region. Der

Zuzug setzt hier erst später ein und muss sich den regionalen Gepflogenheiten unterord-

nen, um dann eine eigene Rolle zu übernehmen. Dies erleichtert die Kommunikation mit

anderen Menschen über den eigenen ideologischen Dunstkreis hinweg sehr. Man kennt

sich von Kindesbeinen an und Politik wird im ländlichen Raum oft ausgeklammert, um

mögliche Konflikte mit Nachbarn zu verhindern. Hinzu kommt: hier zählt, wer sich um

andere im Dorf kümmert. Das nutzen die Rechtsextremisten. Sie bringen sich ein, ohne

politisches Label, als Dorfbewohner und dennoch ist auch ein solches Engagement poli-

tisch und die Basis einer kulturellen Verankerung als Voraussetzung politischer Erfolge.

5. Die rechtsextremen Strukturen befinden sich im Wandel

Die Basis des modernen Rechtsextremismus in Ostvorpommern ist bis heute das alte

Kameradschaftsnetzwerk mit gelebter Kommunikation, zwei Jahrzehnten gemeinsamer

Arbeit und Kooperation und z. T. tiefer Verankerung in der Gesellschaft. Abgesehen von

wenigen Zuzüglern z. B. in Anklam kaperten diese Kameradschaften zwischenzeitlich die

NPD als zusätzliche Tätigkeitsfläche mit finanzieller Honorierung. Dieser parlamentari-

sche Flügel war aber von Beginn an ein Spiel- und kein Standbein der örtlichen Szene.

Seit zwei, drei Jahren geht der Wandel vor Ort wieder weiter. Auf politische Mäntelchen

und Parteiembleme wird zunehmend wieder verzichtet, subkulturelle Zuschreibungs-

möglichkeiten verkleinert und so die Andockungsmöglichkeit an die gesellschaftliche

Mitte deutlich vergrößert. Der Rechtsextremismus wird dabei schwerer erkennbar und

ist doch präsent und arbeitet weiter an seiner kommunalen Verankerung.

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6. Die rechtsextreme Mobilisierungskraft zeigt sich in Zeiten des Konflikts

In Zeiten gesellschaftlicher Konflikte zeigt sich die rechtsextreme Mobilisierungskraft

deutlich. Dann verschwimmen die Grenzen politischer Milieus und die Andockung an

die Mitte der Gesellschaft wird offensichtlich. Erstmals zeigte sich dieses Phänomen

im Jahr 2004 anlässlich der Sozialreformen unter der Kanzlerschaft Schröder. Wegen

der Regierungspolitik in Mecklenburg-Vorpommern fiel die Linke als Protestpartei aus.

Lediglich Rechtsextremisten boten mit einer Demonstration in Anklam eine Möglichkeit

der kritischen Artikulation. Starteten zunächst ca. 100 Rechtsextremisten, schlossen

sich dieser Demonstration im Verlauf ca. 400 Bürgerinnen und Bürger der Stadt an. Dies

geschah größtenteils im vollen Bewusstseins des politischen Charakters der Veranstalter

und mündete in der Aussage eines mitlaufenden Bewohners, dass braun eben zu bunt

dazugehöre. Ähnliches – wenn auch noch mit ca. 350 Teilnehmerinnen und Teilnehmern

– wiederholte sich jüngst in Anklam mit einer Demonstration, die sich gegen den mög-

lichen Zuzug von Flüchtlingen in die Region richtete. Auf Usedom schlossen sich über

Nacht über tausend Bürger einer offen flüchtlingsfeindlichen Facebookgruppe an, deren

Beiträge denen der offen rechtsextremer Gruppen in Stil und Inhalt sehr ähnlich sind.

7. Die demokratische Zivilgesellschaft hat Flagge gezeigt

Jahrelang schlummerte die vorpommersche Zivilgesellschaft und zeigte sich eher in

kulturellen und kommunikativen Nischen denn als geballte Macht auf der Straße. Klei-

nere Versuche der Mobilisierung mit der Ausnahme Wolgast lösten sich oft schnell

wieder auf. Groß war bei den Beteiligten die eigene Unsicherheit, aber auch die Angst

vor Gewalt sowie die Folgen für das soziale Umfeld in einem Raum, in der es kaum eine

Familie ohne rechtsextreme Kontakte gibt. Die professionellen Ansätze der Demokra-

tieentwicklung reagierten darauf unterschiedlich. Grob lassen sich aufsuchende (z. B.

früher der Demokratieladen) und nachfrageorientierte Angebote (z. B. Regionalzentrum

für demokratische Kultur) unterscheiden. Als wichtig erwies sich ein jahrelanger kom-

munikativer Netzwerkaufbau jenseits der Öffentlichkeit, der auch von Privatpersonen

betrieben wurde, in dem Ängste thematisiert, Lageanalysen beschrieben und mögliche

Handlungsansätze erklärt wurden. Aus diesem Netzwerk erwuchs schließlich ein hand-

lungsfähiger Verein als eine Basis für ein späteres Bündnis aus Zivilgesellschaft und

einigen Behörden, denen es in Pasewalk schließlich gelang, über eintausend Menschen

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gegen Rechtsextremismus auf die Straße zu bringen. Für Ostvorpommern sind das eine

unerhört große Zahl und eine Manifestation der Zivilgesellschaft, die noch vor wenigen

Jahren niemand vermutet hätte. Jetzt geht es darum, dieses Netzwerk zu erhalten und in

den Mühen des Alltags strategisch neu aufzustellen.

8. Die Kontextbedingungen sind durch die offiziellen Zahlen nicht hinreichend beschrieben

Den Arbeitslosenzahlen nach hat sich die sozio-ökonomische Situation in Ostvorpommern

stetig verbessert. Dieser Schein trügt jedoch. Statt eines Aufschwungs erfolgte nur eine

Anpassung an die Realitäten. Mit dem vor Ort völlig selbstverständlichen Wegzug der

jungen Besserqualifizierten gehen heute mögliche Arbeitslose von morgen. Die Genera-

tion der Wendeverlierer ist derweil im Rentenalter und fällt so aus der Statistik. Andere

melden sich schon lange nicht mehr im Amt, da sie jenseits der Grundsicherung keine

Leistungen mehr erwarten können. Der demographische Wandel schönt somit die Sta-

tistik in zweierlei Richtung. Die Alterung der Gesellschaft verschiebt das Problem der

Armut in die Rente und die Ausdünnung der Gesellschaft verhindert Arbeitslosigkeit.

Viele Dörfer in Vorpommern sterben still, weil die Lauten wegziehen oder resigniert

haben und die Leisen sich anpassen oder sterben. Andere Dörfer kämpfen um ihre Exis-

tenz. Ihre Chancen hängen vom Erfindungsreichtum und Engagement ihrer Bürger ab.

Auf den Staat verlässt sich vor Ort kaum noch jemand.

9. Ein politischer Wille zur Stabilisierung der Region ist nicht erkennbar

Ostvorpommern ist weder in der Bundes- noch in der Landespolitik ein politisch be-

deutender Faktor. Zu schwach sind die hiesigen demokratischen Akteure wie z. B. die

örtlichen Parteien, um ernsthaften Einfluss zu erringen. Dies gilt mit einer Ausnahme:

der NPD. Während die demokratischen Parteien stark altern, zeigt sich in der NPD die

Generation der zwanzig- bis dreißigjährigen meinungsstark. Sie verfügt über eine regio-

nale Verankerung, die für SPD und Grüne im ländlichen Raum unerreichbar scheint. Sie

verfügt über ein festes Wählerreservoir, was jedoch nicht stark genug ist, um ohne weite-

re Unterstützung auf Landesebene die 5%-Hürde zu überspringen. Durch den fehlenden

Einfluss auf Landes- und Bundesebene sowie die weiten Entfernungen im Lande und

die zahlreichen und schwer lösbaren Probleme vor Ort lässt sich kaum ein relevanter

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politischer Einfluss finden, der ernsthaft an einer Stabilisierung der Region interessiert

scheint. Zwar gibt es kleinere demokratiefördernde Projekte, sie erscheinen jedoch an-

gesichts der massiven Herausforderungen eher als ein Tropfen auf den heißen Stein.

10. Es fehlt ein positiver Zukunftsentwurf für die Region

Rechtsextremisten nähren sich von Konflikten, Desintegrations- und Zerfallserschei-

nungen, um ihre Vision einer grundsätzlichen Alternative zum bestehenden System

formulieren zu können und attraktiv erscheinen zu lassen. Die Demokratie enthält eben-

falls eine Idee für das Zusammenleben, z.B. in der Formulierung der Menschenrechte,

in dem Versprechen auf einen sozialen Rechtsstaat und seine Koppelung an Optionen der

Beteiligung und der Gestaltung der eigenen Lebensumstände durch die Bürger. Demo-

kratie im Westdeutschland der Nachkriegszeit war außerdem noch ein Versprechen auf

eine ökonomisch bessere Zukunft. An eine Idee einer solchen besseren Zukunft für die

Menschen in der Region mangelt es. Die Demokratieerfahrungen schwanken zwischen

Skepsis, Abneigung und Abwendung. An eine bessere Zukunft glaubt kaum noch jemand.

Eine Demokratie ohne Zukunftsidee verkommt jedoch schnell zur Fassade, ist wenig

attraktiv und anfällig für den inneren Zufall, auf den die Rechtsextremisten hoffen und

warten.

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Zur Verantwortung der NPD für die rassistische Mobilisierung in Tröglitz 43/ 100

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SEBASTIAN STRIEGEL

Zur Verantwortung der NPD für die rassistische Mobilisierung in Tröglitz

Einleitung

Nachdem in der Nacht von Karfreitag auf Ostersamstag 2015 in Tröglitz (Burgen-

landkreis, Sachsen-Anhalt) im Dreiländereck zwischen Sachsen und Thüringen ein als

Flüchtlingsunterkunft vorgesehenes bewohntes Mehrfamilienhaus in Flammen aufging,

flammte auch binnen weniger Stunden die Debatte um das seit Ende 2012 vom Bundes-

rat betriebene zweite NPD-Verbotsverfahren wieder auf. Charlotte Knobloch forderte,

das Verbot nun beschleunigt voranzutreiben;1 Hajo Funke meinte, mit den Ereignissen

von Tröglitz seien die Erfolgsaussichten gestiegen.2 Der sachsen-anhaltische Ministerprä-

sident Reiner Haseloff (CDU) zeigte sich in seiner Regierungserklärung zum Tröglitzer

Brandanschlag von der Notwendigkeit eines NPD-Verbots „mehr denn je überzeugt.“

Die NPD sei in allen Bundesländern „Scharnier, Organisationsnetz und legaler Arm

einer rechtsextremistischen politischen Bewegung.“ Sie wolle die „Kontrolle über den

öffentlichen Raum ergreifen“ sowie „eine Atmosphäre der Angst erzeugen“, um demo-

kratisches Handeln einzuschränken.3 Politisch lässt sich ein solcher Bogen mit einiger

Triftigkeit spannen. Kann aber mit den Ereignissen von Tröglitz auch juristisch der

Nachweis für die Voraussetzungen eines NPD-Verbots geführt werden? Beinträchtigen

die NPD und ihre Anhänger in aggressiv-kämpferischer Weise die freiheitliche demokra-

tische Grundordnung? Und bewirkt sie nach den Kriterien des Europäischen Gerichtshofs

für Menschenrechte auch eine Gefahr für das demokratische System, vor der ein Verbot

verhältnismäßig wäre?

1 Remme, Neue Diskussion über NPD-Verbot, Deutschlandfunk, 5. April 2015.

2 Kern, NPD-Verbot rückt näher, 9. Dezember 2015, Deutsche Welle.

3 Haseloff, Regierungserklärung vom 23. April 2016.

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1. Vorgeschichte

Der Brandanschlag von Tröglitz war ohne Zweifel ein Fanal. Er folgte einer gut drei-

monatigen Mobilisierung von Neonazis und Rassisten, die von einem Kreistagsmitglied

der NPD angeführt wöchentlich gegen die Unterbringung von Geflüchteten in Tröglitz

demonstrierten: „Gegen Überfremdung der Heimat“, sollte es laut dem Mitinitiator und

Anmelder Steffen Thiel (NPD) gehen.4 Die so genannten „Spaziergänge“ begannen

zum Jahresbeginn 2015, nachdem der Burgenlandkreis die Planungen für eine dezen-

trale Unterbringung von Geflüchteten in den Orten des Kreises bekannt gegeben hatte.

Auch in Tröglitz sollten rund 50 Menschen in anzumietendem Wohnraum untergebracht

werden - wohlgemerkt 50 Geflüchtete in einem Ort von knapp 2 800 Einwohner*innen.

Die abendlichen Protest-Spaziergänge waren sicher von den „Lichtelläufen“ in Schnee-

berg5 und den montäglichen Demonstrationen der *gida-Bewegungen insbesondere in

Dresden und Leipzig inspiriert. In Tröglitz nahmen an elf Spaziergängen zwischen 50

und maximal 150 Menschen teil, darunter mehrheitlich Anwohner des Ortes, regionale

NPD-Mitglieder und Sympathisanten sowie Neonazis und Angehörige rechter Kamerad-

schaften aus den benachbarten sächsischen und thüringischen Landkreisen.

Die Demonstrationen zogen kaum überregionale Aufmerksamkeit auf sich, ihre Wirkung

blieb auf den Nahraum von Tröglitz beschränkt. Dies änderte sich am 5. März 2015 mit

dem Rücktritt des ehrenamtlichen Ortsbürgermeisters von Tröglitz, Markus Nierth (par-

teilos). Nierth gab seinen Rückzug bekannt, weil der nächste rassistische Spaziergang

am 8. März direkt zum Haus seiner Familie führen sollte. Diese Einschüchterungs- und

Drohgebärde gegen seine Familie wollte der Bürgermeister nicht hinnehmen. Am 15.

März fand der letzte rassistische Spaziergang statt, nachdem der Kreistag wenige Tage

zuvor die Unterbringung von noch rund 40 Geflüchteten in einem Mehrfamilienhaus

in Tröglitz beschlossen hatte. Das NPD-Kreistagsmitglied Hans Püschel trug ebenfalls

zur Radikalisierung des Protests bei. Die Versammlungsbehörde begründete das Verbot

seiner geplanten Rede auf dem Spaziergang am 15. März 2015 mit drohenden Strafta-

ten.6 Püschel ließ seinen Beitrag daraufhin vor Ort verlesen. Am 31. März informierte

der Landrat die Einwohner*innen des Ortes zu den Details der Unterbringung, wobei es

tumultartigen Szenen kam.7

4 Ries u.a., Tröglitz.

5 Begrich, Von Hoyerswerda nach Heidenau, Blätter für deutsche und internationale Politik, 10/2015, S. 9.

6 http://www.hans-pueschel.info/politik/abschlusskundgebung-troeglitz.html

7 Der Fall Tröglitz – eine Chronik, http://www.mdr.de/sachsen-anhalt/halle/chronologie-troeglitz100.html

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Zur Verantwortung der NPD für die rassistische Mobilisierung in Tröglitz 45/ 100

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In der Nacht vom 3. auf den 4. April 2015 brennt das zur Unterbringung vorgesehene

Mehrfamilienhaus in der Ernst-Thälmann-Straße nach einer Brandstiftung aus. Eine

noch im Haus lebende Familie kann sich – von Nachbarn gewarnt – rechtzeitig retten. Es

entsteht ein Sachschaden von mehreren hunderttausend Euro. Bis heute ist trotz einer

laut Landeskriminalamt „guten Spurenlage“, trotz der Aussetzung einer Belohnung

von 20 000 Euro und trotz vieler Hinweise keiner der Täter ermittelt. Ein im Oktober

festgenommener junger Mann wurde aus der Untersuchungshaft entlassen, weil sich der

Tatverdacht gegen ihn nicht erhärten ließ.

Die Serie von Brandstiftungen bewohnter und unbewohnter Unterkünfte für Geflüchtete

geht seit Tröglitz ungebremst weiter. Vorläufig wurden im Jahr 2015 laut Bundes-

kriminalamt 1005 Angriffe gegen bereits bezogene oder in Vorbereitung befindliche

Unterkünfte gezählt, davon allein 76 vollendete und elf versuchte Brandstiftungen.8

901 Straftaten seien von Personen aus dem rechten Spektrum begangen worden.9

Weil viele Delikte von den Ländern noch nicht gemeldet und erst mit Verspätung in die

Statistik eingepflegt werden, dürften die abschließenden Zahlen noch einmal deutlich

ansteigen. Obwohl ein rechtes Tatmotiv als wahrscheinlich gelten muss, ist der Bran-

danschlag von Tröglitz bis heute nicht in die statistische Erfassung politisch rechts

motivierter Gewalttaten eingeflossen. Die sachsen-anhaltische Landesregierung hat bis

November 2015 eine Nachmeldung unterlassen,10 obwohl sie einen Versicherungsbetrug

oder eine Begehung durch Linksextremisten ausschließt.

2. Zum Zustand der NPD in Sachsen-Anhalt

Eine wesentliche Argumentationslinie des Bundesrats für ein Verbot der NPD besteht in

der These, dass die NPD die „organisatorische Basis“ eines rechtsextremistischen Netz-

werks sei, dass insbesondere parteiungebundene Kräfte als „Anhänger“ einbinde. Für

Sachsen-Anhalt ist zu fragen, ob die NPD zu einer „Raumordnungsstrategie“ überhaupt

in der Lage ist, wie sie Dierk Borstel für Mecklenburg-Vorpommern vorgetragen hat.11

8 Heißler, Julian, Deutlich mehr Anschläge auf Asylbewerberheime, https://www.tagesschau.de/inland/anschlaege-asylunterkuenfte-bka-101.html

9 von Osten /Koch, Angriffe auf Flüchtlingsheime verfünffacht, http://www.tagesschau.de/inland/an-griffe-fluechtlingsunterkuenfte-103.html

10 Von der Polizei registrierte Gewaltstraftaten im Phänomenbereich „Politisch motivierte Krimina-lität - rechts“ in den Monaten April bis November 2015 (Landtag Sachsen-Anhalt, Drucksache Nr. 6/4158, 6/4272, 6/4313, 6/4376, 6/4548, 6/4570, 6/4702 und 6/4708).

11 Borstel, Rechtsextremismus.

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Zudem wird zu prüfen sein, ob die Ereignisse von Tröglitz Teil einer solchen Raumord-

nungsstrategie der NPD sind. Ein abschließender Blick gilt der Frage, ob die NPD eine

(Mit-)Verantwortung für den Brandanschlag in Tröglitz anzulasten ist.

Anders als in Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern konnten die NPD – oder die

alternierend antretende DVU12 – in Sachsen-Anhalt nie auf eine stabile Wählerbasis

bauen. Der DVU gelang 1998 einmalig mit 12,9 Prozent der Einzug in den Landtag.

Die NPD gelangte nur bei den Landtagswahlen 2011 mit 4,6 Prozent in die Nähe der

Fünf-Prozent-Hürde.13 Mit 46 000 Zweitstimmen verpasste sie den Einzug in den Land-

tag um rund 4 000 Stimmen. Seitdem befindet sie sich im Niedergang und ist spätestens

seit 2013 kein strategischer Bestandteil einer extrem rechten Bewegung mehr. Das

Scheitern der NPD dürfte durch das Bekanntwerden von E-Mails und Foreneinträ-

gen mitverursacht worden sein, in denen der Landesvorsitzende und Spitzenkandidat

Matthias Heyder unter dem Pseudonym „Junker Jörg“ zur Vergewaltigung linker Politi-

kerinnen aufgerufen und Bombenbauanleitungen veröffentlicht haben soll. Ermittlungen

gegen ihn wurden zwar 2012 eingestellt, dennoch war er im Oktober 2011 aus der

Partei ausgeschlossen worden.14 In der Folge verlor die Partei ihre Anker in der freien

Kameradschaftsszene. Die „Jungen Nationaldemokraten“, die zuvor jugendkulturelle

Neonazis eingebunden hatten, schlossen ihre Stützpunkte im Land und stellten ihre Akti-

vitäten nahezu vollständig ein.

Die Kommunalwahlen im Jahr 2014 brachten der NPD keine Konsolidierung. Die Partei

verfügt heute in Sachsen-Anhalt nur noch über neun Kreistagsmandate und zwei Manda-

te in kreisfreien Städten.15 Mit Ausnahme der dreiköpfigen Fraktion im Burgenlandkreis

entfalten die Mandatsträger kaum eine Wirkung. Dies gilt für den gesamten Landes-

verband mit seinen zehn Kreisverbänden.16 Die Gründung der Partei „Die Rechte“, die

vor allem das Kameradschaftsspektrum aktionistisch einbindet, haben die NPD im Jahr

2015 weiter marginalisiert. Zudem erwuchs ihr mit dem Aufkommen der „Alternati-

ve für Deutschland (AfD)“ über Sachsen-Anhalt hinaus eine erfolgreichere politische

Konkurrenz im Kampf um jene Wähler*innen, „die zwar eine hohe Zustimmung zu

rechten Politikinhalten aufweisen, jedoch klare Distanz zur gesellschaftlich weitgehend

12 NPD und DVU traten in Sachsen-Anhalt im Rahmen des so genannten „Deutschland-Paktes“ zwi-schen 2005 und 2009 auf der Landesebene nicht konkurrierend gegeneinander an.

13 Alle Wahlergebnisse über http://www.stala.sachsen-anhalt.de/wahlen/index.html.

14 https://de.wikipedia.org/wiki/Matthias_Heyder

15 http://www.stala.sachsen-anhalt.de/wahlen/kw14/fms/fms2153.html und http://www.volksstimme.de/lokal/stendal/20160212/rechte-sind-raus-kreistag-jetzt-ohne-npd-mitglied

16 Ministerium für Inneres und Sport Sachsen-Anhalt, Verfassungsschutzbericht 2014, Magdeburg 2015, S. 78.

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tabuisierten NS-Nostalgie der NPD halten.“17 Bei den Wahlen am 13. März 2016 ist

ein Einzug der aktuell unter 250 Mitglieder starken und von internen Machtkämpfen

erschütterten Partei in den Landtag von Sachsen-Anhalt nicht zu erwarten.18 Die NPD

wirkt kraftlos und erscheint als Rentnerpartei. Ihre Landesliste wird von einem weit-

gehend unbekannten Pensionär angeführt, dessen Qualität die NPD mit den Worten

veranschaulicht, er sei „vor der Wende Vorsitzender eines Kaninchenvereins“ gewesen.19

Die anhaltenden Misserfolge auf Landesebene sollten jedoch nicht den Blick verstellen,

dass die NPD in Sachsen-Anhalt regional durchaus über gewachsene Strukturen verfü-

gen kann. Dies gilt etwa für den Harz, wo die Partei zwischen 2007 und 2011 mit zwei

Mandaten in Fraktionsstärke im Kreistag saß. Zudem bestand ein aktiver Stützpunkt der

„Jungen Nationaldemokraten“, der aus einer gewalttätigen Kameradschaft, der „Wer-

nigeroder Aktionsfront“, hervorgegangen war. Matthias Heyder und Michael Schäfer,

von 2007 bis 2012 amtierende Bundesvorsitzende der JN, stammten aus der Region.

Seit der Landtagswahl 2011 ist die NPD im Harz jedoch in die Bedeutungslosigkeit

gerutscht.

3. Die rassistischen Spaziergänge als Teil einer extrem rechten Raumordnungsstrategie?

a) Verankerung der NPD im Burgenlandkreis

Während die NPD im Harz versuchte, nach dem „Drei-Säulen-Konzept“ zu handeln,

dominiert im Burgenlandkreis, der zweiten und heute einzigen Schwerpunktregion

der Partei, eine deutlich biederere Ausformung der Partei. Aus dem Burgenlandkreis

stammte etwa Andreas Karl, Landesvorsitzender bis 2007. Karl – nach eigenen Angaben

Anhänger der so genannten „Reichsbürger“– sitzt seit 2004 im Kreistag des Burgen-

landkreises. Auch wenn der NPD der Brückenschlag zu extrem rechten Kameradschaften

und Aktionsgruppen nur eingeschränkt gelingt und im Burgenlandkreis nie ein Stütz-

punkt der Jungen Nationaldemokraten bestand, bestehen in der Region Tendenzen für

eine lokale Verankerung. So liegen die Wahlergebnisse der NPD im Burgenlandkreis mit

17 Begrich, Scherbengericht bei der NPD, Newsletter des Miteinander e.V., Ausgabe 41, S. 18.

18 Hahnel, Rassistische Mobilisierung, Miteinander Thema, Ausgabe 9/2015, S. 5-6.

19 Peter Walde, http://www.npd-sachsen-anhalt.de/images/slide/ltw/lp1.jpg.

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um die 5 Prozent regelmäßig über dem Landesdurchschnitt.20 Daran haben die Kreis-

tagsabgeordneten einen maßgeblichen Anteil. Die Partei ist seit 2004/2005 mit zwei,

seit 2007 mit drei Mitgliedern in Fraktionsstärke im Kommunalparlament vertreten. Sie

verfügen über ein Mindestmaß an örtlicher Akzeptanz oder Reputation. Aktuell sind dies

der aus der SPD zur NPD gewechselte ehemalige Bürgermeister von Krauschwitz, Hans

Püschel, als Fraktionsvorsitzender, der aus Zeitz stammende Steffen Thiel sowie der

ehemalige Bezirksschornsteinfegermeister und Fußballtrainer, Lutz Battke.21

Zwar fallen die Mandatsträger der NPD im Kreistag in der Regel nur durch Untätigkeit

auf, bisweilen gelingen ihnen jedoch spektakuläre Mobilisierungserfolge. Von einer er-

folgreichen Raumordnungsstrategie wie sie Dierk Borstel für Mecklenburg-Vorpommern

beschreibt, ist die Partei jedoch weit entfernt. Ihr fehlt es an Aktionsfähigkeit wie eine

dauerhaft tragfähige Vernetzung in die extrem rechte Kameradschaftsstrukturen.

b) Die Rolle des NPD-Aktivisten Thiel

Erfolg hat die NPD im Burgenlandkreis in den letzten Monaten insbesondere dort, wo

Kreisverwaltung und Kreistag ihr Konzept einer dezentralen Unterbringung von Ge-

flüchteten in allen Gemeinden des Landkreises durchsetzen wollten oder das Land die

Erstaufnahme von Geflüchteten plante. In Tröglitz und Kretzschau führte dies zu wo-

chenlangen rassistischen Mobilisierungen, die von örtlichen NPD-Kadern angeführt, mit

organisiert und durch die Partei mal mehr, mal weniger öffentlich unterstützt wurden.

Sowohl in Tröglitz als auch in Kretzschau nahm NPD-Kreistagsmitglied Steffen Thiel

die entscheidende Rolle ein. Obwohl er behauptet, er habe sich dem Kreis aus insgesamt

sieben Organisatoren lediglich als Anmelder angeboten, unterstreicht sein Agieren vor

Ort seine Bedeutung:22 Thiel führte die Spaziergänge an, Thiel knüpfte die Kontakte zu

den Medien und wirkte als Sprachrohr der Protestierenden, Thiel trug die Proteste in

den Kreistag. Um nicht auf den ersten Blick als NPD-Kader erkannt zu werden, verzich-

tete er auf Partei-Insignien, Fahnen und NPD-Material. Seine Botschaft als geistiger

Brandstifter wurde dennoch verstanden. Er beförderte durch seine Auftritte bei den

Spaziergängen jene Atmosphäre, die eine Brandstiftung erst möglich machte. Welche

radikalisierende Wirkung er ausübte, lässt sich auf dem Facebook-Profil des der Brand-

20 Kreistagswahl 2004/2005: 5,1 Prozent, Kreistagswahl 2007: 4,7 Prozent, Kreistagswahl 2014: 4,7 Prozent, Landtagswahl 2006: 5,3 Prozent (DVU), Landtagswahl 2011: 7,0 Prozent. Alle Wahler-gebnisse über http://www.stala.sachsen-anhalt.de/wahlen/index.html.

21 Ratsinformationssystem Burgenlandkreis, http://www.ratsinfo-online.de/blk-bi/fr020.asp?FRLFDNR=14&altoption=

22 Ries, Tröglitz. MDR exakt vom 22. April 2015.

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Zur Verantwortung der NPD für die rassistische Mobilisierung in Tröglitz 49/ 100

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stiftung verdächtigen, kurzzeitig inhaftierten, jungen Mannes erahnen23. Er hatte sich

dort mit Steffen Thiel „befreundet“, wiederholt an den Spaziergängen teilgenommen,

unmittelbar nach dem ersten Spaziergang seine Sympathie für die NPD erklärt und eine

auch der Polizei auffallende digitale Obsession für brennende Häuser entwickelt.24

c) Ausführungen des Bundesrats zu Tröglitz

Eine direkte Verbindung zwischen NPD-Aktivitäten in Tröglitz und dem Brandanschlag

kann dagegen bisher nicht gezogen werden, weil keine Täter dingfest gemacht und

verurteilt wurden. Eine Beteiligung an dem Brandanschlag ist der NPD aktuell nicht

nachzuweisen. Es ist bis zum heutigen Tage juristisch auch kein Beweis zu erbringen,

dass ein oder mehrere Anhänger der NPD am Brandanschlag beteiligt waren. Der

Anschlag taucht auch nicht im Schriftsatz des Bundesrats vom 27. August 2015 auf. Da-

gegen führt er den Rücktritt des Tröglitzer Ortsbürgermeisters Markus Nierth als Beleg

für die Schaffung einer „Atmosphäre der Angst“ durch die NPD auf. Die NPD habe

„Einfluss auf die Anti-Asyl-Bürgerproteste“ genommen, dies habe „zu der Entscheidung

des Ortsbürgermeisters“ geführt, zurückzutreten. So sei es der NPD gelungen, „den sich

seit Anfang 2015 formierenden Widerstand gegen die Unterbringung von Asylbewerbern

zu forcieren, maßgeblich auf die Protestformen Einfluss zu nehmen und eine emotiona-

lisierte Angstatmosphäre im Ort zu fördern.“ Der Bundesrat führt weiterhin aus, dass

das „Privat- und Familienleben“ des Ortsbürgermeisters „unmittelbar betroffen war“,

weil auch vor seinem Privathaus Demonstrationen durchgeführt wurden. Zu strafbaren

Handlungen oder zur Einleitung von Strafermittlungsverfahren macht der Schriftsatz

hingegen keine Ausführungen.

d) Richtigstellungen

Die Behauptung, die Demonstrationen hätten am Privathaus der Familie Nierth vorbei-

geführt, ist missverständlich. Zwar war eine solche Demonstration vom Anmelder Thiel

für den 8. März 2015 geplant, sie wurde aber nach dem Rücktritt von Markus Nierth

abgesagt. Seitdem hat das Innenministerium des Landes Sachsen-Anhalt gegenüber den

Versammlungsbehörden klargestellt, dass im Einzelfall eine Abwägung stattzufinden

habe, ob durch Versammlungen etwa vor Privathäusern ein unzulässiger „psychischer

Druck“ auf insbesondere ehrenamtlich tätige Amts- und Mandatsträger ausgeübt werde.

In diesem Falle könne und müsse die Versammlung entsprechend beauflagt, beschränkt

23 Gemeinsame Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Halle und des Landeskriminalamtes Sachsen-Anhalt (LKA) – Haftbefehl im Zusammenhang mit Brandanschlag auf die geplante Asylbe-werberunterkunft in Tröglitz am 04. April 2015 erlassen, vom 9. Oktober 2015.

24 Facebook-Profil des Verdächtigen. Screenshot vom 9. Oktober 2015.

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oder verboten werden.25 Der Rücktritt von Markus Nierth scheint im Nachhinein we-

niger mit den Handlungen des NPD-Kaders Steffen Thiel, als mit dem Unwillen und

der Unfähigkeit der zuständigen Versammlungsbehörde des Burgenlandkreises begrün-

det, einen angemessenen Ausgleich der Grundrechte der Familie von Nierth und des

Versammlungsrechts der extrem rechten Demonstrierenden in Tröglitz zu finden. Ins-

besondere die fehlende Kommunikation der Versammlungsbehörde und deren Unwille,

seine Familie zu schützen, brachten für Markus Nierth das Fass zum Überlaufen. Nierth

fühlte sich mit seiner Familie isoliert und von den örtlichen Eliten und lokal Verant-

wortlichen nicht unterstützt. So tauchte beispielsweise der für Tröglitz verantwortliche

hauptamtliche Bürgermeister der Gemeinde Elsteraue mit Beginn der Debatte um eine

Unterbringung von Geflüchteten und der rassistischen Proteste vollständig aus der Öf-

fentlichkeit ab. Er überließ den Fall seinem ehrenamtlichen Ortsbürgermeister, der sich

am Ende mangels Rückendeckung zum Rücktritt gezwungen sah.26

4. Die Bedeutung für das NPD-Verbotsverfahren

Die von der NPD veranstalteten Demonstrationen mobilisierten mit einem gewissen

Widerhall in der örtlichen Bevölkerung. Straftatbestände wurden von der NPD jedoch

soweit erkennbar nicht verwirklicht. Es scheint deshalb zweifelhaft, ob der Rücktritt des

Bürgermeisters der NPD zuzurechnen und als Resultat einer lokalen Dominanz- und

Raumordnungsstrategie der NPD beschrieben werden kann. Die beabsichtigte De-

monstration vor dem Haus der Familie Nierth war weder illegal, noch gewaltförmig.

Sie kann wohl kaum als gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet

verstanden werden. Die Absicht der Demonstrierenden war zunächst nur, den Protest an

die Repräsentanten der lokalen Demokratie, hier den (für die Flüchtlingsunterbringung

unzuständigen) Ortsbürgermeister heranzutragen. Dass dies am privaten Wohnort ge-

schehen sollte, hätte von der Versammlungsbehörde unter Ausgleich der Grundrechte der

Betroffenen vermieden werden können. In der Gesamtschau betrachtet, ist auch das vom

Bundesrat zur Begründung des NPD-Verbots herangezogene Beispiel Tröglitz weniger

Ausdruck der Stärke oder einer erfolgreichen Raumordnungsstrategie der NPD. Der Fall

Tröglitz zeigt vielmehr, dass dem Rechtsstaat deutlich mildere Mittel als Parteiverbote

zur Verfügung stehen, um gegen die Bedrohungen der Demokratie anzugehen. Diese

25 Ministerium des Innern, Handlungsempfehlungen, Erlass vom 12. März 2015.

26 Meisner, Saat der rechten Brandstifter, http://www.tagesspiegel.de/politik/ex-buergermeister-von-troeglitz-die-saat-der-rechten-brandstif-ter-ist-aufgegangen/12790314.html

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Mittel etwa im Versammlungsrecht zur Anwendung zu bringen, erscheint das Gebot

der Stunde, bevor weiter über ein Parteiverbot mit zweifelhaftem Effekt nachgedacht

werden sollte. Noch wichtiger bleibt aber, sich mit denjenigen zu solidarisieren, die vor

Ort die Demokratie stärken und Menschenrechte verteidigen. Nicht die Stärke der NPD,

sondern die Schwäche einer lokalen Zivilgesellschaft hat die rassistische Mobilisierung

von Tröglitz möglich gemacht. Gegen geistige Brandstifter und ihren Anhang hilft kein

NPD-Verbot.

LiteraturDavid Begrich, Nach den Landtagswahlen: Scherbengericht bei der NPD, in: Newsletter des

Miteinander e.V., Ausgabe 41, S. 18.

David Begrich, »Wir sind das Pack«: Von Hoyerswerda nach Heidenau, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 10/2015.

Dierk Borstel, Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern unter besonderer Berücksichtigung der NPD. Gutachten im Rahmen des Antrags auf ein Verbot der NPD, 2013.

Torsten Hahnel, Rassistische Mobilisierung in Sachsen-Anhalt. Eine Bilanz der Arbeitsstelle Rechts-extremismus, in: Miteinander Thema, Ausgabe 9/2015, S. 5-6.

Reiner Haseloff, „Zukunft gibt es nur gemeinsam – Hilfe geben, Verantwortung wahrnehmen, Menschlichkeit bewahren“, Regierungserklärung vom 23. April 2015, Landtag von Sachsen-An-halt, Plenarprotokoll 6/88, S. 7255.

Vera Kern, NPD-Verbot rückt näher, 9. Dezember 2015, einsehbar unter http://www.dw.com/de/npd-verbot-r%C3%BCckt-n%C3%A4her/a-18902546.

Demian von Osten, Demian / Jan Koch, Angriffe auf Flüchtlingsheime verfünffacht, http://www.tagesschau.de/inland/angriffe-fluechtlingsunterkuenfte-103.html

Matthias Meisner, „Die Saat der rechten Brandstifter ist aufgegangen“, http://www.tagesspiegel.de/politik/ex-buergermeister-von-troeglitz-die-saat-der-rechten-brandstif-ter-ist-aufgegangen/12790314.html

Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt, Handlungsempfehlungen zu Beschränkungen einer Versammlung bei der Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeits-recht – Schutz ehrenamtlich Tätiger, Erlass vom 12. März 2015.

Klaus Remme, Neue Diskussion über NPD-Verbot nach Brandanschlag, Deutschlandfunk, 5. April 2015, http://www.deutschlandfunk.de/troeglitz-neue-diskussion-ueber-npd-verbot-nach.1783.de.html

Tanja Ries u.a., Angst – Trotz – Tröglitz, Sendung von MDR exakt vom 22. April 2015.

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Die Krawalle in Heidenau, Freital und Dresden 53/ 100

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MICHAEL NATTKE

Die Krawalle in Heidenau, Freital und Dresden1

Einleitung

Wenn das Bundesverfassungsgericht im Laufe des Jahres 2016 über ein Verbot der Na-

tionaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) entscheidet, dann werden die Namen

dreier Städte in Sachsen fallen: Heidenau, Freital und Dresden. Die räumliche Distanz

dieser Orte beträgt jeweils weniger als 20 km. Heidenau und Freital sind zwei Städte im

südlichen Speckgürtel Dresdens, infrastrukturell hervorragend an die Landeshauptstadt

angeschlossen, aber im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge gelegen. Geogra-

phisch können alle drei Städte als eine Einheit angesehen werden.

Die Region ist in den letzten 20 Jahren zweifellos eine der absoluten Schwerpunkt-

regionen der organisierten Neonazi-Szene in der Bundesrepublik. Die wichtigsten

Kader sind inzwischen seit mehr als zwei Jahrzehnten aktiv. In der Landeshauptstadt

Dresden fanden seit der Jahrtausendwende die wichtigsten Großevents der deutschen

Neonazi-Szene statt. Erinnert sei hierbei an die Aufmärsche zum Jahrestag der Bom-

bardierung der Stadt am 13. Februar, an Pressefeste der Deutschen Stimme, den

JN-Sachsentag, den „Tag der deutschen Zukunft“ oder wiederkehrende Aufzüge zum

17. Juni. Mit ihren zahlreichen Aktionen, der Präsenz im öffentlichen Raum, einer jahre-

langen Einflussnahme auf öffentliche Diskurse und ihrem Mobilisierungspotenzial, kann

die NPD auch als eine von vielen Wegbereitern des Erfolgs der völkisch-rassistischen

Dresdner Pegida-Demonstrationen bezeichnet werden.

Mit der hohen Qualität an Strukturen der Neonazi-Szene in Dresden und der Sächsi-

schen Schweiz geht eine seit Jahren andauernde hohe Quantität der rechtsmotivierten

Gewalt einher.2 Neben Übergriffen auf einzelne Personen gab es in den letzten Jahren

1 Der vorliegende Text entstand durch Unterstützung des Antifa Recherche Team Dresden (ART) und anderen Menschen, die sich mit Hilfe ehrenamtlichen Engagements für eine Gesellschaft einsetzen, in der Neonazis keine Möglichkeiten finden, sich zu etablieren und ihre Gesinnung zu verbreiten. Ihnen gilt mein herzlicher Dank.

2 Vgl. Jahresstatistiken der Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt der RAA Sachsen e.V.

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eine Reihe von Brandanschlägen und Angriffen auf Unterkünfte von Asylsuchenden sowie

Objekte, die durch die Neonazi-Szene als ‚links‘ oder ‚nicht-rechts‘ wahrgenommen

wurden. Seit Beginn der Pegida-Demonstrationen Ende 2014 und 2015 hat die Anzahl

rechtsmotivierter Übergriffe noch einmal deutlich zugenommen.3 Traurige Höhepunkte

der rassistischen rechtsmotivierten Gewalt waren zweifellos die Vorfälle vor den Ge-

flüchtetenunterkünften in Freital, Dresden-Friedrichstadt und Heidenau. Die These, dass

die Gewalt mit dem hohen Organisationsgrad der lokalen Neonazi-Szene zu erklären

wäre, erscheint plausibel.

Im vorliegenden Beitrag soll untersucht werden, welche Rolle die NPD bei den Aus-

schreitungen von Freital, Dresden-Friedrichstadt und Heidenau spielte. Trifft es zu,

wenn der Bundesrat als Antragsteller des NPD-Verbots diese Vorfälle als Gründe für ein

NPD-Verbot in das Verfahren vor dem BVerfG einführt? Fanden Straftaten mit Kenntnis

oder Billigung der Parteistrukturen statt? Hat die NPD die Gewalt gesteuert? Und hätte

ein Verbot der NPD die Ausschreitungen gar verhindern können?

1. Eine Person – dreimal verboten

Zuvor sollen aber die Folgen eines Verbots extrem rechter Organisationen für die Struk-

turen der Szene am Beispiel einer Person exemplarisch beschrieben werden. Der Fall

mag ein individueller sein, zeigt aber, wie sich Verbote konkret bei wichtigen Führungs-

personen der Szene auswirken, wenn sie so umgesetzt werden, wie bisher in Sachsen.

a) Wiking-Jugend

Thomas S., 1974 in Königstein in der Sächsischen Schweiz geboren, ist in der Region

aufgewachsen. Er machte eine Ausbildung zum Erzieher und war rund fünf Jahre in

sozialen Einrichtungen in der Sächsischen Schweiz tätig. Bereits seit Beginn der 1990er

Jahre war er in der regionalen Neonazi-Szene aktiv. Die Wiking Jugend (WJ) war

seine erste wichtige Station. Ziel der WJ war die Schulung junger Menschen, im Rah-

men ihrer gesellschaftlichen Laufbahn Einfluss im Sinne der neonazistischen Ideologie

auszuüben. Besonderen Wert legte die WJ auf die nationalsozialistische Erziehung ab

der frühen Kindheit bis hinein ins junge Erwachsenenalter. Die WJ führte in der Säch-

sischen Schweiz eine ganze Reihe von Wehrsportübungen und einzelne Experimente

mit Sprengkörpern durch. Laut Auskunft des Antifaschistischen Infoblatt (AIB) soll S.

in der ersten Hälfte der 1990er Jahre für den Aufbau der WJ im südlichen Sachsen

3 Vgl. Pressemitteilung der RAA Sachsen vom 24.02.2015: Demnach stieg die rechte Gewalt in Dresden im Jahr 2014 um 89 % an und ein Großteil der Straftaten wurde in den letzten drei Monaten des Jahres verübt, nachdem Pegida begann zu demonstrieren. Die Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt der RAA Sachsen e.V. vermuten einen Zusammenhang.

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Die Krawalle in Heidenau, Freital und Dresden 55/ 100

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verantwortlich gewesen sein.4 Im Jahr 1994 wurde die WJ wegen ihrer engen “Wesens-

verwandtschaft” mit der Hitler-Jugend und dem Bund Deutscher Mädel verboten.

b) Skinheads Sächsische Schweiz und Blood & Honour

Nach dem Verbot der WJ war Thomas S. an der Gründung der Kameradschaft “Skin-

heads Sächsische Schweiz” (SSS) beteiligt. S. wurde schnell zu einem der führenden

Köpfe der SSS. Ziel der Kameradschaft war es, eine Region durchzusetzen, die frei von

Ausländern und Linken ist. Zahlreiche gewalttätige Übergriffe und Propagandadelikte

gehen auf ihr Konto. Die SSS hatte bis zu 120 Mitglieder und ein Umfeld von mehr als

100 weiteren Neonazis aus der Region.

S. gründete die Rechtsrock-Band „14 Nothelfer“, die 1997 einen Nachwuchs-Contest

der auflagenstärksten Zeitung der Region, der „Sächsischen Zeitung“, und der Spar-

kasse Pirna-Sebnitz gewann. Die Band spielte später auch auf einschlägigen Konzerten

des “Blood & Honour”-Netzwerkes (B&H). Dieses hatte sich zum Ziel gesetzt, natio-

nalsozialistische Ideen zu verbreiten und entsprechende Bands und deren Auftritte zu

koordinieren. Darüber hinaus ist heute bekannt, dass B&H das aktive Unterstützerum-

feld des rechten Terrornetzwerkes „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) stellte.5

Im September 2000 wurde die deutsche Sektion des B&H-Netzwerkes verboten. Eine

Reihe von Ermittlungsverfahren wegen Fortführung einer verbotenen Vereinigung lassen

darauf schließen, dass die Organisation trotzdem weitergeführt wurde. Die Band von S.

ist auch nach dem Verbot weiter aufgetreten, u.a. an Konzertstandorten in Tschechien.

Sie wurde unabhängig vom B&H-Verbot vor wenigen Jahren aufgelöst.

Der Sächsische Innenminister verbot die SSS im April 2001 als kriminelle Vereinigung;

S. wurde 2003 als einer der Hauptangeklagten zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

c) JN und NPD

Etwa zur gleichen Zeit wurde S. Mitglied der NPD und Leiter des neuen JN-Stütz-

punktes Sächsische Schweiz. In einem zweiten Prozess wegen Fortführung einer

verbotenen kriminellen Vereinigung wurde S. im Jahr 2006 zu einer mehrmonatigen

Haftstrafe verurteilt. Nach seiner Haftentlassung wurde er technischer Mitarbeiter der

sächsischen NPD-Landtagsfraktion. Inzwischen ist er Kreisverbandsvorsitzender der

Partei sowie Mitglied im Landesvorstand.

4 Antifaschistisches Infoblatt: Die Wiking-Jugend. Spotlights aus einem verbotenen Verein. AIB 50 / 1. 2000.

5 Vgl. u.a. http://www.nsu-watch.info/tag/blood-honour/

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d) Haus Montag

In den letzten Jahren hat S. gemeinsam mit dem Neonazi Marcus G. das „Haus Mon-

tag“ als neonazistischen Treff in Pirna aufgebaut. Das Haus, welches sich in Besitz eines

norwegischen Neonazis befindet, gilt als einer der wichtigsten Dreh-und Angelpunkte

der regionalen rechten Szene und funktioniert inzwischen relativ unabhängig von der

NPD. Auf der Facebook-Seite des Hauses werden Nachrichten und Bilder des Ku-Klux-

Klan, der griechischen Neonazis der Goldenen Morgenröte, der italienischen Faschisten

Casa Pound, Aufrufe von Pegida, der Identitären, der JN, rechter Burschenschaften,

der Verschwörungstheoretiker von Anonymous Deutschland und anderer extrem rechter

Zusammenschlüsse gepostet und geteilt. Vor und nach neonazistischen Aktivitäten in der

Region wurde eine erhöhte Frequentierung der Räumlichkeiten beobachtet.6

e) Langfristig wirkungslose Verbote

Thomas S. ist nur eines von vielen Beispielen, welche Konsequenzen die Verbote von

Organisationen auf einzelne Führungspersonen der Neonazi-Szene haben. Die extrem

rechte Szene kann als eine Bewegung verstanden werden, die ähnlich einer lernenden Organisation7 funktioniert. Werden Organisationen verboten, kann die Szene und einzel-

ne Personen kurzzeitig gestoppt werden. Eine langfristige und endgültige Eindämmung

neonazistischer Bestrebungen kann es durch Verbote in einem demokratischen Verfas-

sungsstaat nicht geben. Politische Akteure haben in einem demokratischen Rechtstaat

die Möglichkeit, sich in neuen Organisationen zu finden, und das ist gut so. Eine be-

stimmte politische Organisation kann verboten werden, wenn ausreichende Gründe

vorliegen, aber nicht die Menschen, die diese Organisationen mit Leben und Inhalten

gefüllt haben. Sie werden ihre neuen Organisationen in der Regel so aufbauen, dass die

Verbotsgründe sich nicht wiederholen. Verbote sind daher allenfalls kurzfristig geeignete

Mittel, auf lange Sicht haben sie sehr geringen Einfluss auf die neonazistische Szene,

wie das Beispiel Thomas S. zeigt.

2. Die NPD als Sammelbecken

Nach den Verboten der Wiking Jugend (WJ) im Jahr 1994, dem Verbot der deutschen

Sektion des Netzwerkes Blood & Honour im Jahr 2000 und dem Verbot der Kamerad-

schaft Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) im Jahr 2001 wurde die NPD das größte

6 Kulturbüro Sachsen e.V.: Sachsen rechts unten 2015. S. 9 ff.

7 Quent, in diesem Band.

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Sammelbecken für Personen, die diesen Strukturen angehört hatten. Der regionale

Stützpunkt ihrer Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) war jahrelang

nahezu identisch mit dem ehemaligen Mitgliederverzeichnis der SSS.8 Der Einzug der

NPD in den Landtag im Jahr 2004 verschaffte darüber hinaus Schutz durch die Im-

munität von Abgeordneten, die der SSS nahe standen. Computer und Technik der SSS

wurden im Abgeordnetenbüro des 2006 tödlich verunglückten NPD-Landtagsabgeord-

neten Uwe Leichsenring aus Königstein gelagert, um sie vor Behörden zu schützen.9

Der NPD gelang in der Sächsischen Schweiz der Aufbau einer der bundesweit wohl

bedeutsamsten Kreisverbände der Partei. In zahlreichen Gemeinden des Landkreises

erhält die NPD seit mehr als 10 Jahren regelmäßig zweistellige Wahlergebnisse. Auch

nach dem Verlust ihres Landtagsmandates 2014 ist sie mit einer fünfköpfigen Fraktion

im Kreistag vertreten und sitzt in vielen Gemeinderäten. Mitglieder des Kreisvorstan-

des der NPD betreiben in Pirna mit dem sogenannten „Haus Montag“, einen wichtigen

Neonazi-Treffpunkt.10

3. Der Fall Freital

3.1. Überblick über rechte Strukturen im Ort

Freital ist eine Stadt mit knapp 40.000 Einwohnern, die an Dresden grenzt. Bereits seit

1994 bestand ein sehr aktiver Regionalverband der “Republikaner” (REP), der haupt-

sächlich durch Kerstin Lorenz und Dirk Abraham getragen wurde. Bis in die jüngste

Vergangenheit werden Vorwürfe gegen die Freitaler Verwaltungsspitze laut, die keine

klare Abgrenzung gegen extrem rechte Gruppierungen vornähme; mit den REP sollen

sogar gemeinsame Gesprächskontakte bestanden haben.11 Ein gutes Klima für rassis-

tische Positionen in Freital dürfte durch diese Normalisierung rassistischer Positionen

gefördert worden sein. 2004 verzichtete Kerstin Lorenz als Landesvorsitzende der REP

auf den Antritt ihres Verbandes bei den Landtagswahlen und machte so den Weg für

8 Antifa Recherche Team Dresden (ART): The same procedure as every time. SSS und NPD in der Sächsischen Schweiz. In: ART Dresden (2007). Review: Ein Monatsrückblick des ART Dresden. März/April 2007.

9 Anne Longrich / Michael Bergmann: Ein Jahr NPD im Sächsischen Landtag. In: Dash Dossier #16. 2006. S. 8-10.

10 Antifaschistisches Infoblatt: Mehr Schein als Sein. Casa Pound Phantasien in Pirna. AIB 101 / 4.2013.

11 Der damalige Freitaler Oberbürgermeister Klaus Mättig sagte 2004 gegenüber der Sächsischen Zeitung, dass die REP in Freital „keinen Ärger machen“. Zudem fanden Veranstaltungen, wie z.B. am Volkstrauertag statt, bei denen Mättig gemeinsam mit Vertretern der REP Kränze niederlegte.

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den Einzug der NPD in den sächsischen Landtag frei. Abraham ist einige Zeit später

ebenfalls der NPD beigetreten. Lorenz erlag während einer Rede auf einer NPD-De-

monstration in Dresden im Jahr 2005 einem Hirnschlag. Seit einigen Jahren ist nun Dirk

Abraham das Gesicht der Neonazi-Partei in Freital. Seit den letzten Kommunalwahlen

2014 verfügt die NPD über zwei Sitze im Stadtrat. Ebenso existiert eine AfD-Fraktion,

die sich bereits vor den letzten Kommunalwahlen aus ehemaligen CDU-Abgeordneten

gründete. Medienberichten zufolge soll einer der Beschuldigten im Verfahren gegen die

rechtsterroristische Vereinigung „Old School Society“ in den letzten Jahren in Freital

gelebt haben. Als ein wichtiger Treffpunkt der rechten Szene in Freital galt 2015 die

Timba-Loungebar in der Dresdner Straße.

3.2. Gewalttaten im Jahr 2015

Zur Jahreswende 2014 / 15 wurde der Öffentlichkeit bekannt, dass im ehemaligen

„Hotel Leonardo“ in Freital eine Unterkunft für Geflüchtete eingerichtet werden sol-

le. In Folge dessen kam es zur Gründung der Initiative „Freital wehrt sich – Nein zum

Hotelheim“. Die Hauptfigur dieser Initiative wurde Rene Seyfried, der zuvor in ext-

rem rechten Zusammenhängen nicht öffentlich aufgetreten war. Nach eigener Aussage

ist Seyfried und sein soziales Umfeld durch die Dresdner Pegida-Demonstrationen ab

Oktober 2014 politisiert worden. Bei ersten Demonstrationen, die Seyfried und seine

Initiative in Freital anmeldeten, nahmen im März 2015 bis zu 1.500 Asylgegner_innen

teil. Zu dieser Zeit mobilisierte Pegida im nahegelegenen Dresden fast wöchentlich

fünfstellige Teilnehmerzahlen. Bereits beim ersten Aufmarsch versuchte eine Gruppe

von ca. 130 Asylgegner_innen im Anschluss an die Demonstration in aggressiver Weise

zur Asylunterkunft zu gelangen, wurde aber von der Polizei aufgehalten. Eine geplante

Dialogveranstaltung eines CDU-Bundestagsabgeordneten zum Thema Asyl in Sachsen

musste wegen massiver Sicherheitsbedenken der Polizei abgesagt werden. Der Frei-

tag wurde fortan der Demonstrationstag in Freital, um gegen die Unterbringung von

Geflüchteten im Ort zu demonstrieren. Nach den anfänglichen 1.500 und einer Demons-

tration von 1.000 Asylgegner_innen, pegelte sich die Zahl der Teilnehmer_innen bei

wöchentlich rund 300 Menschen ein. In den Monaten April und Mai 2015 sind die Pro-

teste etwas abgeklungen, so dass nur noch bis zu 100 Menschen zu den Kundgebungen

gegen die Asylunterkunft erschienen.

Im Frühjahr 2015 gründete sich in Freital eine rechte Bürgerwehr. Seit März 2015 stieg

auch die Anzahl rechter Gewalttaten in Freital merklich an. Insgesamt kam es 2015 zu

mehr als 30 rechten Gewaltstraftaten. Beispiele sind der Versuch, einen Molotov-Cock-

tail auf die Geflüchtetenunterkunft zu werfen, mehrere schwere Körperverletzungen,

Angriffe mit Pyrotechnik auf die Asylunterkunft, ein Sprengstoffanschlag auf das Auto

eines Asylbefürworters und Stadtrats der Linken sowie der Angriff eines Asylgegners,

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der mit einer Axt in das Heim für Geflüchtete rannte, dort aber vom Sicherheitsperso-

nal überwältigt werden konnte. Nachdem im Juni 2015 bekannt geworden war, dass

weitere 200 Asylsuchende in dem ehemaligen „Hotel Leonardo“ untergebracht werden

und das Hotel auch als Außenstelle einer Erstaufnahmeeinrichtung genutzt werden

solle, erhielten die rassistischen Proteste eine neue Dynamik. Über mehrere Tage hin-

weg versammelten sich täglich bis zu 200 Asylgegner_innen in unmittelbarer Nähe des

ehemaligen „Hotel Leonardo“ und grölten rassistische Parolen. Polizei und politisch

Verantwortliche griffen anfangs nicht ein. Asylsuchende berichteten über Beleidigun-

gen, Einschüchterungen und Angriffe. Erst nach der Intervention antifaschistischer

und antirassistischer Gruppen kam es zu einem sichtbaren Handeln der staatlichen

Ordnungsbehörden. Das anschließende Eingreifen der Polizei und die Einrichtung und

Durchsetzung von Kontrollbereichen, sorgten dafür, dass die rassistischen Zusammenrot-

tungen in direkter Nähe zu der Asylunterkunft nachließen.

Am 31. Juli versuchten Freitaler und Dresdner Neonazis gemeinsam mit rechten Hoo-

ligans und Neonazis aus Thüringen, eine antifaschistische Demonstration in Freital

anzugreifen. In dem Mob der Angreifer befanden sich auch der verurteilte rechte Ge-

walttäter Christian L. aus Dresden sowie Nick F. und Tom M., die später auch bei rechten

Ausschreitungen in Dresden-Friedrichstadt und Heidenau wieder auftauchen. Interes-

Bild 1: Freitaler Neonazis, die auch bei der wöchentlichen Demo der Bürgerinitiative „Freital wehrt sich – Nein zum Hotelheim“ anwesend waren, greifen die Antifa-Demo in Freital am 31. Juli 2015 an . (Foto: Christian Ditsch, alle Rechte vorbehalten)

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sant ist ebenso, dass Jens L., der dem engeren Umfeld der Pegida-Organisator_innen

zuzuordnen ist, sich an diesem Tag zeitweilig in der Gruppe der gewalttätigen Neonazis

bewegte.

3.3. Verantwortliche der Demonstrationen und Gewalttaten

An den Demonstrationen der Initiative „Freital wehrt sich – Nein zum Hotelheim“ nahm

Dirk Abraham, die wichtigste Figur der regionalen NPD-Strukturen, regelmäßig teil.

Ebenso war er auf den Bürgerversammlungen zum Thema Asyl anzutreffen. Abraham

und Mitglieder der örtlichen NPD gehörten nach derzeitigem Wissensstand jedoch nicht

zum Organisationsteam rund um Rene Seyfried. Darüber hinaus war es der NPD nicht

möglich, eigene wahrnehmbare Akzente im Ort zu setzen.

Die Organisator_innen der Freitaler Anti-Asyl-Proteste kommen hauptsächlich aus

dem Pegida-Umfeld. Das Thema Asyl ist 2015 das Top-Thema unter der Freitaler Be-

völkerung gewesen, hat Menschen mobilisiert und für zahlreiche Demonstrationen,

Veranstaltungen und Diskussionen gesorgt. Angeheizt wurden diese Debatten immer

wieder durch die asylfeindlichen Demonstrationen und die rassistische Belagerung

der Unterkunft. Neben dem bereits genannten Rene Seyfried waren Katja K., Jens L.,

Rene D., Nicos Ch. und die Familie T. immer wieder vor der Unterkunft in prominenten

Rollen zu sehen. Sie standen am Fronttransparent der Asylgegner_innen, heizten die

Sprechchöre an, hielten Reden und standen als Anmelder_innen oder Ordner_innen zur

Verfügung. Über Pegida haben sich diese Zusammenhänge vermutlich überhaupt erst

kennengelernt. In der NPD waren sie nach derzeitigem Kenntnisstand bisher nicht aktiv.

Diejenigen, die in Freital bisher die massive Gewalt gegen Geflüchtete und Asylbefür-

worter_innen durchgeführt haben, stammen nach derzeitigem Kenntnisstand ebenfalls

nicht aus der NPD und sind nur sehr schwer ihrer Anhängerschaft zuzuzählen.

Das Operative Abwehrzentrum der sächsischen Polizei führt Ermittlungen gegen sechs

Männer und eine Frau im Alter zwischen 18 und 36 Jahren in Freital durch. Bei einer

Razzia Anfang November 2015 wurden in deren Wohnungen illegale Cobra-12-Spreng-

körper, Kugelbomben sowie Schwarzpulver gefunden. Außerdem stellte die Polizei

Vermummungsgegenstände, Computer und Datenträger, eine Hakenkreuzflagge sowie

weitere nationalsozialistische Devotionalien sicher. Drei Tatverdächtige wurden ver-

haftet. Die Gruppe soll für eine ganze Reihe von Straftaten in Freital und Umgebung

verantwortlich sein, hat die Freitaler Bürgerwehr in Teilen repräsentiert und ist eher als

sozialer Zusammenhang ohne Parteianbindung zu beschreiben. Der mutmaßliche Haupt-

täter Timo Schulz ist ein bekannter Neonazi, der in den vergangenen Jahren bereits

in Hamburg durch seine aktive Mitgliedschaft in gewalttätigen, parteiunabhängigen

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neonazistischen Gruppen aufgefallen war.12 Er und mindestens ein weiterer Mittäter

arbeiteten als Busfahrer für den Regionalverkehr Dresden in Freital. Andere Tatver-

dächtige, die im Laufe des Jahres ermittelt werden konnten, kommen zum Teil aus lose

strukturierten rechten Cliquen in Freital, sind bisher aber nicht als aktive NPD-Anhän-

ger_innen aufgefallen. Der Großteil der Täter_innen lässt sich als sozial-desintegrierte

Neonazis aus Freital und rechte Hooligans des Fußballvereins Dynamo Dresden be-

schreiben.

3.4. Verhalten des OB und der Polizei

Der Oberbürgermeister stellte sich zu keiner Zeit klar auf die Seite der Asylbefür-

worter. Die Rathausspitze kritisierte öffentlich die Einrichtung der Asylunterkunft,

weil das Landratsamt die Stadt vor vollendete Tatsachen gestellt habe. Der derzeitige

Oberbürgermeister Uwe Rumberg (CDU) äußerte sich im Wahlkampf mit den Worten:

„Menschen, die politischer Verfolgung und Bürgerkrieg entfliehen, bieten wir Schutz. Im

Gegenzug erwarten wir, dass sie sich bei uns an Regeln und Gesetz halten. Vom Freistaat

fordere ich die konsequente Rückführung der ausreisepflichtigen Asylbewerber in ihre

Herkunftsländer, vom Bund bessere Möglichkeiten der Kriminalitätsbekämpfung.“ Seine

Worte wurden von vielen Menschen als Unterstützung der Asylgegner_innen verstanden.

Das Konzept der Polizei in Freital bestand in erster Linie in einer Deeskalationstrate-

gie. Das bedeutet: Die städtischen Ordnungsbehörden und die Polizeibeamten verhielten

sich gegenüber den Asylfeind_innen über viele Wochen hinweg sehr vorsichtig und

griffen erst ein, nachdem Straftaten begangen worden waren. Strenge Auflagen für die

asylfeindlichen Demonstrationen, Kontrollen verdächtiger Menschen im Umfeld der

Unterkunft oder ein schnelles Eingreifen beim Verdacht rassistischer Hetze oder dem

Verwenden verfassungsfeindlicher Kennzeichen waren nicht erkennbar. Ein Beispiel: Am

Dienstag, den 23. Juni 2015, sammelten sich vor der Asylunterkunft ca. 60 Asylgegner_

innen, u.a. für einen kurzen Zeitraum auch Pegida-Gründer Lutz Bachmann. Die Polizei

war anfangs mit nur vier Beamten vor Ort. Vor dem Heim sammelten sich im Laufe des

Abends bis zu 40 Menschen, die die Unterkunft vor den Rassist_innen schützen wollte.

Die Polizei und das Ordnungsamt waren jetzt mit zwölf Beamten im Einsatz. Obwohl

von Seiten der Asylgegner_innen im Laufe des Abends mindestens zwei Steine und ein

Nebeltopf in Richtung der Unterkunft geworfen wurde, schritten die Ordnungsbehörden

nicht ein. Ebenso wurde keine Anmeldung für die rassistische Zusammenrottung vor der

Unterkunft veranlasst. Gegenüber den anwesenden Antifaschist_innen begründeten die

Ordnungsbehörden diese Unterlassungen mit ihrem Deeskalationsziel. Im Nachhinein

12 Laut Angaben im Internet bewegte sich Timo Schulz in Hamburg im engen Umfeld der neonazisti-schen Gruppe „Weiße Wölfe Terrorcrew“.

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muss diese Strategie aus zivilgesellschaftlicher Sicht als gescheitert gelten. Die rassisti-

schen Proteste wurden befeuert, weil die staatlichen Behörden den Eindruck erweckten,

es wäre eine legitime Form demokratischer Willensbekundung sich vor Unterkünften von

Geflüchteten zu treffen, diese einzuschüchtern, zu beleidigen und teilweise anzugreifen.

Stattdessen entstand der Eindruck, dass die Polizei nur dann in ausreichender Zahl vor

der Unterkunft für Sicherheit und Ordnung sorgte, wenn es Mobilisierungen von Anti-

fa-Gruppen nach Freital gab.

4. Der Fall der Zeltstadt Dresden

4.1. Überblick über extrem rechte Strukturen

a) NPD

Im Vergleich der deutschen Großstädte besteht in Dresden nach wie vor eine der bes-

ten Strukturen der neonazistischen NPD. Die Partei ist seit 2004 im Stadtrat und war

von 2004 bis 2014 im sächsischen Landtag vertreten. In den letzten drei Jahren ist die

Partei jedoch regelrecht erodiert und befand sich 2015 in einem kläglichen Zustand.

Zahlreiche ehemalige Abgeordnete, Mitarbeiter und langjährige Kader waren in unter-

schiedliche Skandale verwickelt oder haben aus anderen Gründen die Stadt verlassen.13

Der Kreisverbandschef und Stadtrat Jens Baur ist seit 2015 Landesvorsitzender der

NPD. Auf den Veranstaltungen und Demonstrationen der NPD in Dresden sind seit

einigen Jahren die immer gleichen Kameraden zu sehen. Das Mobilisierungspotenzial

der Partei lag 2014 / 15 bei maximal 70-80 Menschen. Mit Unterstützung sympathisie-

render freier Kräfte und rechter Hooligans schaffte es die NPD in den letzten Jahren

maximal 200 Menschen auf die Straße zu bringen. In den letzten Wochen vor Veröf-

fentlichung dieses Beitrages war wieder eine Erhöhung der Aktivitäten der NPD zu

beobachten.

b) Parteiunabhängige Neonazis und Pegida

Neben der NPD existiert in Dresden eine aktive Szene von parteiunabhängigen Neona-

zis, die sich in unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen organisieren. Der Großteil

dieser Szene ist im Dresdner Süden und Südosten, insbesondere in den Stadtteilen

13 Erinnert sei an die Rücktritte des ehemaligen Bundesvorsitzenden und Vorsitzenden der sächsischen Landtagsfraktion, Holger Apfel, wegen angeblicher sexuelle Übergriffe im Jahr 2013, und des sächsischen Landesvorsitzenden Holger Szymanski wegen angeblicher Schwulen-Pornos auf seinem Computer im Jahr 2015.

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Prohlis, Reick und Laubegast zu finden. Innerhalb der breiten Anhängerschaft des Fuß-

ballvereins Dynamo Dresden existiert eine Gruppe rechter Hooligans, deren Kern aus

ca. 50 Personen besteht und die zu besonderen Anlässen mehr als 100 gewaltbereite

Neonazis mobilisieren können. Seit Herbst 2014 spielt zudem die völkisch-rassistische

Demonstrationsbewegung Pegida um ihre Führungsfiguren Lutz Bachmann und Siegfried

Däbritz eine bedeutende Rolle. Bei Pegida bestehen große Schnittmengen zu rechten

Hooligans. Personen aus dem neonazistischen Spektrum zählen aber nicht zum engen

Kreis des Organisationsteam, waren aber stets als Teilnehmer_innen bei den Pegida-De-

monstrationen vertreten. Es besteht eine hohe Schnittmenge zwischen Teilnehmern der

extrem rechten HOGESA-Aufmärsche14 und dem Anhang von Pegida. Hooligans, die

zum überwiegenden Teil der rechten Szene in der Region zuzuordnen sind, stellten von

Beginn an die Ordnerdienste auf den Pegida-Demonstrationen. Über diese Strukturen

14 HOGESA bedeutet „Hooligans gegen Salafisten“.

Bild 2: Aus der Kundgebung der NPD vor der Zeltstadt in Dresden am 24. Juli 2015 lösen sich Neonazis heraus, die versuchen, die Gegendemonstrant_innen anzugreifen. Der gleiche Personenkeis war später maß-geblich an den neonazistischen Krawallen in Heidenau am 22. August 2015 beteiligt. (Foto: and, alle Rechte vorbehalten)

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hinaus gibt es in Dresden eine AfD-Fraktion in Stadtrat und Landtag sowie kleinere

neu-rechte Gruppen wie die Aaachen-Dresdner Burschenschaft Cheruscia.

4.2. Gewalttaten rund um die Zeltstadt

In Dresden gab es im Laufe des Jahres 2015 eine ganze Reihe rechts motivierter Über-

griffe, darunter zahlreiche Körperverletzungen, mehrere Brandanschläge sowie Attacken

mit Pyro-Technik, Buttersäure oder Steinen gegen nicht-rechte oder Menschen, die

nicht-deutsch sind oder als nicht-deutsch wahrgenommen wurden. Der Schwerpunkt liegt

im vorliegenden Beitrag auf den Ereignissen während und kurz nach Einrichtung einer

Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete auf der Hamburger Straße in Dresden-Fried-

richstadt im Juli 2015.

Das Deutsche Rote Kreuz errichtete ab dem 22. Juli 2015 auf einer Brachfläche ein

Zeltlager als vorübergehende Unterkunft für Flüchtlinge. Bereits am 22. und 23.07.

wurden DRK-Mitarbeiter beim Aufbau der Zelte von Neonazis beleidigt, bedrängt und

teilweise angegriffen. Für den 24.07. rief der örtliche NPD-Kreisverband zu einer Kund-

gebung unter dem Motto „Nein zur Asylbewerber-Zeltstadt“ auf. Etwa 180 Personen

haben an der angezeigten Kundgebung vor der Erstaufnahmeeinrichtung teilgenommen.

Diesen standen auf der gegenüberliegenden Seite der Straße ca. 250 Gegendemonst-

rant_innen vor der Einfahrt zur Erstaufnahmeeinrichtung gegenüber. Die Polizei war

an diesem Tag mit einer Hundertschaft im Einsatz. Die asylfeindliche Demonstration

und die Gegendemonstration wurden durch ca. 25 Polizisten getrennt, die zwischen den

beiden Lagern auf der Straße standen. Nach dem offiziellem Abschluss der NPD-Kund-

gebung flogen Böller und Flaschen auf die Gegendemo. Dutzende Neonazis versuchten

über die Straße zu gelangen und auf die Gegendemonstrant_innen loszugehen. Die

Polizei hatte große Mühe die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Erst nach einigen

Minuten entspannte sich die Situation wieder. Mindestens drei Gegendemonstrant_innen

wurden verletzt und mussten im Krankenhaus mit Platzwunden und Prellungen behan-

delt werden. An den darauffolgenden Tagen wurden im Umfeld des Zeltlagers immer

wieder Neonazi-Gruppen gesichtet. Darüber hinaus kam es zu mindestens drei Über-

griffen von Neonazis auf Helfer_innen des Zeltlagers, die sich auf dem Nachhauseweg

befanden. Im Laufe des Augusts 2015 beruhigte sich die Situation rund um das Zeltlager,

da in zahlreichen anderen Orten in Dresden und im Umland neue Asylunterkünfte einge-

richtet wurden, die Anlass für rassistische Proteste und Übergriffe boten.

4.3. Zur Rolle der NPD

Die Kundgebung am 24. Juli 2015 in deren Anschluss es zu Gewalttaten kam, war von

einem NPD-Kader angemeldet worden und wurde als Veranstaltung der Partei bewor-

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ben und wahrgenommen. An führenden NPD-Mitgliedern waren zugegen Landeschef

Jens Baur, das Mitglied des Kreisvorstandes Rene Despang, Landesvorstand Arne Schim-

mer, der Leipziger Stadtrat Enrico Böhm, die Stadträtin Petra Müller aus Radebeul

und mindestens fünf weitere bekannte Mitglieder. Ebenfalls vor Ort anwesend waren

wichtige Angehörige der parteiunabhängigen Neonazi-Szene, wie etwa Maik Müller,

langjähriger Anmelder von Neonazi-Aufmärschen der lokalen Kräfte zum 13. Februar

in Dresden, Sebastian R., langjähriger Aktivist der Freien Kräfte Dresden oder Christian

L., mehrfach verurteilter rechter Gewaltstraftäter. Eine große Gruppe junger Männer

waren den rechten Hooligan-Gruppierungen, z. B. „Faust des Ostens“ und ihrem Umfeld

zuzurechnen. Namentlich bekannt sind u.a. Lucas F., Tom M., Nick F. und Oliver Sch.

Diese Gruppen standen getrennt neben dem Pulk der NPD-Mitglieder auf der rech-

ten Kundgebung. Aus ihrer Mitte gingen verbale Provokationen und auch die Gewalt

gegen die Gegendemonstrant_innen aus. Währenddessen standen die NPD-Mitglieder

unbeteiligt in unmittelbarer Nähe der Aktionen. Es wurde kein Versuch unternommen,

die Angriffe zu unterbinden. Die Gruppen von Neonazis, die sich in den darauffolgen-

den Tagen im Umfeld des Zeltlagers bewegten und von denen vermutlich die weiteren

Gewaltstraftaten ausgingen, waren letztgenannten Zusammenhängen zuzurechnen.

Identifiziert wurden in den darauffolgenden Tagen u. a. Christian L. und der rechte Ge-

waltstraftäter Marco E. aus Dresden.

Die Gewalt am 24.07.2015 geschah im direkten Anschluss an eine angemeldete

NPD-Kundgebung am gleichen Ort. Die NPD-Mitglieder waren an diesen Taten nicht

direkt beteiligt, haben aber auch nicht den Versuch unternommen, diese zu unterbinden.

Landeschef Jens Baur stellte die Ereignisse im Nachgang als eine Falschdarstellung der

Medien dar, sprach von „bedauernswerten Vorfälle(n)“ und behauptete in einer Presse-

mitteilung: „Nach Beendigung der Kundgebung begannen zuerst Teilnehmer der linken

Kundgebung Wurfgeschosse wie Flaschen und Steine auf die Teilnehmer der NPD-Kund-

gebung zu werfen“. Eine Distanzierung der NPD von den Gewalttaten fand nicht statt.

Trotzdem ist festzuhalten, dass die koordinierte rechte Gewalt nach der Kundgebung

und in den Tagen nach der Kundgebung nach derzeitigem Kenntnisstand nicht von der

NPD geplant oder gesteuert wurde. Die Personen, die die Gewalt bereits ab dem 22.07.

ausgeübt haben und deren Taten schließlich am 24.07. in einem öffentlichen Gewaltaus-

bruch ihren vorläufigen Höhepunkt erreichten, sind nicht in der NPD organisiert und

lassen sich von dieser nicht steuern.

4.4. Verhalten des Ordnungsamts und der Polizei

Aus zivilgesellschaftlicher Sicht hätte eine andere Einsatzstrategie der Ordnungsbe-

hörden die Eskalation und damit auch die Verletzung von Menschen vor Ort verhindern

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können. Die Dresdner Ordnungsbehörde hat die rassistische Kundgebung direkt und in

unmittelbarer Nähe der Erstaufnahmeeinrichtung zugelassen. Die Polizei hat die extrem

rechten Kundgebungsteilnehmer_innen nicht vorher kontrolliert und war mit nur we-

nigen Einsatzkräften vor Ort. Sie verfolgte eine Deeskalationsstrategie gegenüber den

rechten Kundgebungsteilnehmer_innen, dass heißt Provokationen wurden durch die Po-

lizei ignoriert. Die Einsatzkräfte standen mit dem Rücken zur Neonazi-Kundgebung. In

der aufgeheizten Situation hat die Polizei erst sehr spät reagiert und die Helme wurden

erst aufgesetzt, nachdem erste Gegenstände geflogen sind. Die einzige Verhaftung des

Tages traf einen Gegendemonstranten. Die Polizei hat nach den Ausschreitungen noch

nicht einmal die Personalien der anwesenden Neonazis festgestellt.

5. Der Fall Heidenau

5.1. Überblick über rechte Strukturen im Ort

Heidenau ist eine Kleinstadt mit rund 16.000 Einwohner_innen zwischen Dresden und

Pirna. Der Ort ist in der Vergangenheit mehrfach durch Neonazi-Aktivitäten aufgefal-

len. So war in den 1990er Jahren eine Gruppe namens „Sturmtrupp Heidenau“ aktiv,

die u.a. eine Asylunterkunft angegriffen hat. Außerdem fanden in Heidenau in der Ver-

gangenheit Neonazi-Konzerte statt. Die NPD hat in dem Ort seit mittlerweile mehr als

10 Jahren eine stabile Wählerschaft von deutlich mehr als 5 Prozent. In Heidenau ist

Stadtrat Rico Rentzsch, bis November 2015 Mitglied der NPD, ein Hauptakteur der

organisierten neonazistischen Szene. Das erste Mal fiel Rentzsch im Jahr 2008 auf, als

er zusammen mit anderen Neonazis eine Gruppe linker Jugendlicher angegriffen und

den Hitler-Gruß gezeigt haben soll. Der damals 21jährige wurde dafür 2009 vor dem

Amtsgericht wegen versuchter Körperverletzung und dem Verwenden verfassungsfeind-

licher Symbole angeklagt und zu einem Antiaggressionstraining verurteilt. In Heidenau

hat Rentzsch 2014/15 mindestens vier rassistische Kundgebungen angemeldet. Dar-

über hinaus kooperierte er im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge eng mit

NPD-Kreisverbandschef Sattelberg bei Demonstrationen unter der Überschrift „Nein

zum Heim“. Eine wichtige Rolle in der örtlichen Jugendkultur hat der Fußballverein

Dynamo Dresden, Heidenau kann auf eine ganze Reihe von Fangruppierungen, darunter

auch rechte Hooligan-Gruppen, verweisen.

5.2. Gewalttaten 2015

Anfang 2015 gründete sich die Facebook-Gruppe „Heidenau hört zu“ (HHZ), die

vermutlich vom näheren Umfeld von Rico Rentzsch betrieben wird und zu seinen

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Demonstrationen mobilisierte. Andere rassistische Gruppen waren darüber hinaus

„Heidenau Asylfrei“ und „Heidenau zeigt wie`s geht“. Alle diese Gruppen orientier-

ten sich zu Beginn am Dresdner Pegida-Beispiel, positionierten sich aber sehr schnell

neonazistisch. In der zweiten Augusthälfte 2015 kam es in Heidenau zu mehrtägigen

Ausschreitungen vor einer Unterkunft für Geflüchtete. Die NPD veranstaltete am Mitt-

woch, den 19. August, eine asylfeindliche Kundgebung mit etwa 300 und am folgenden

Donnerstag eine weitere mit rund 600 Teilnehmer_innen. Zwar hetzten die Teilnehmer

rassistisch gegen Asylsuchende, beide Kundgebungen blieben aber friedlich.

Am Freitag, den 21. 8. 2015, nahmen etwas mehr als 1.000 Menschen teil. Die Demons-

tration führte auch direkt zum Haus des Bürgermeisters von Heidenau, der auf Grund

seiner klaren Haltung für eine menschenwürdige Behandlung der Flüchtlinge bereits

mehrfach von Neonazis bedroht worden war. Die Stimmung auf der Demonstration war

aufgeheizt, dabei soll indirekt zu Blockaden gegen die Unterbringung von Asylsuchen-

den in einem ehemaligen Praktiker-Baumarkt in Heidenau aufgerufen worden sein.

Auf der Demonstration sollen Handzettel verteilt worden sein, die zu Aktionen nach der

Demonstration aufriefen. Ob diese Handzettel von der NPD kamen oder diese von einer

Verteilung Kenntnis hatte, ist ungeklärt. Die Verteilung von Handzetteln auf Demonstra-

Bild 3: Neonazistische Krawalle in Heidenau am 22. August 2015 – das Geschehen wird flankiert von schau- lustigen Neonazis. (Foto: Christian Ditsch, alle Rechte vorbehalten)

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tionen stellt weder eine Straftat dar, noch ist dies auf Demonstrationen ungewöhnlich.

Etwa um 19.30 Uhr bendete die NPD die Demonstration.

Ab 20.15 Uhr kam es in einiger Entfernung vor der Asylunterkunft zu einer kleineren

Sitzdemonstration von ca. 30-40 Menschen auf der Straße. Allmählich sammelten sich

dort bis zu 600 Menschen. Die Polizei verhielt sich zu Beginn zurückhaltend. Erst als

sie gegen 22:00 Uhr versuchte, die Blockade sowie die unangemeldeten Ansammlungen

aufzulösen, wurde sie aus der Menge heraus massiv mit Flaschen, Pyro-Technik und Böl-

lern beworfen. Es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und

den rechten Demonstranten. Neonazis versuchten mit Baustellenmaterial Blockaden auf

der Straße zu errichten und bewarfen die Polizei. Ab 2.00 Uhr nachts konnten Busse mit

Geflüchteten unter Polizeischutz in die Unterkunft einfahren. Laut Angaben des Säch-

sischen Innenministeriums waren 136 Polizist_innen im Einsatz, von denen 36 bei dem

Einsatz verletzt worden seien. Es wurden keine Personalien der rechten Störer_innen

aufgenommen und keine Personen verhaftet.

In sozialen Netzwerken im Internet kündigten Neonazis und rechte Hooligans an, dass

sie sich am Samstag, den 22. 8., erneut vor dem ehemaligen Praktiker-Baumarkt in

Heidenau sammeln wollen. Um die Unterkunft mit den Geflüchteten vor Angriffen zu

schützen, mobilisierten auch linke Gruppen nach Heidenau. Ab dem späten Nachmittag

hielten etwa 200 antifaschistische Demonstrant_innen direkt vor der Unterkunft, dem

ehemaligen Praktiker-Baumarkt, eine friedliche Kundgebung gegen Neonazis und für

die Verteidigung des Grundrechts auf Asyl ab. In der Nähe standen einzelne Gruppen

von Schaulustigen. Am Nachmittag waren auch Domenik K. und Katja K., die beide der

organisierten Neonazi-Szene zuzuordnen sind, vor Ort. Katja K. fragte die Schaulusti-

gen, ob Interesse an einer Kundgebungs-Anmeldung bestehe und bot sich als Anmelderin

an. Domenik K. telefonierte zu dieser Zeit. Am frühen Abend trafen am Heidenauer

Bahnhof ca. 30 bekannte rechte Hooligans aus Dresden ein. Ab 21 Uhr führte eine

weitere Mobilisierung, die über soziale Medien in Fußballkreisen verbreitet wurde, zu

einer verstärkten Anreise des entsprechenden Klientels. Im Laufe des Abends waren in

der Stadt etwa 250 bis 300 Neonazis und Hooligans in mehreren Gruppen unterwegs.

Sie konnten sich ungehindert in der Stadt bewegen, während die Antifa-Kundgebung von

der Polizei umstellt wurde. Zu einer größeren Ansammlung von Hooligans kam es auf

den der Unterkunft gegenüberliegenden Parkplätzen des “Real”-Kaufhauses und eines

“Roller”-Warenhauses. Laut Angabe des Sächsischen Innenministeriums waren an die-

sem Abend in Heidenau trotz der Ereignisse am Vorabend lediglich 170 Polizist_innen

im Einsatz. Mehrere organisierte Gruppen rechter Hooligans oder Neonazis versuchten

am späten Abend in die Nähe der Erstaufnahmeeinrichtung und der antifaschistischen

Demonstrant_innen zu gelangen. Dabei kam es ab 22.30 Uhr zu massiven, gut organi-

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sierten Angriffen auf die Polizei, die mit Pyro-Technik, Böllern, Flaschen und Steinen

beworfen wurde. Dabei wurden drei Polizist_innen nach Angaben des Innenministeriums

verletzt. Der Angriff wurde von den Beamt_innen abgewehrt und die Angreifer_innen

zerstreut. Jedoch bekam die Polizei die Situation in Heidenau erst im Laufe der Nacht

wieder vollständig unter Kontrolle. Die Antifa-Kundgebung wurde währenddessen von

der Polizei zügig zum Bahnhof gebracht und in einen Zug Richtung Dresden gesetzt.

Insgesamt wurden in der zweiten Krawallnacht laut Innenministerium 65 Platzverweise

erteilt und 23 Identitätsfeststellungen in „beiden Lagern“ vorgenommen.

Die wiederholten Ausschreitungen zogen eine überregionale Berichterstattung in

Deutschland und in der internationalen Presse nach sich. Am Sonntag, den 23. 8.,

besuchte der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) die Erstaufnahmeein-

richtung und kündigte zusammen mit seinem umstrittenen Innenminister Markus Ulbig

(CDU) ein hartes Vorgehen an. So sollte ein polizeilicher Kontrollbereich eingerichtet

werden. Am späten Nachmittag versammelten sich ca. 200 Antifaschist_innen direkt

vor der Asylunterkunft, um gegen Rassismus zu demonstrieren. Etwa genauso viele

Neonazis waren nach Schätzungen in der Stadt unterwegs. Die Polizei war mit einer

ausreichenden Anzahl von Einsatzkräften vor Ort und führte umfangreiche Kontrollen

durch. Dabei wurden laut Angaben des Innenministers 130 Platzverweise erteilt und

Bild 4: Bahnhofsgebäude in Heidenau-Süd im Sommer 2015 (Foto: Elias Gerling)

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140 Identitätsfeststellungen in „beiden Lagern“ durchgeführt. Auffälligerweise waren

die herbeigeschafften Wasserwerfer trotz der Ereignisse der Vortage auf die antifaschis-

tische Demonstration gerichtet.

In den darauffolgenden Tagen besuchten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und

der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel die Stadt. Die sächsischen Sicherheitsbehörden

verhängten Demonstrationsverbote und Kontrollzonen. Für das Wochenende nach den

Ausschreitungen sollte aufgrund eines angeblichen polizeilichen Notstands ein voll-

ständiges Demonstrationsverbot in Heidenau gelten, das allerdings zu Recht von den

Gerichten aufgehoben wurde. Ein antirassistisches Willkommensfest konnte ebenso

stattfinden, wie eine sogenannte Anwohner-Kundgebung am Bahnhof. Anmelder war der

durch seine Pegida-Zählungen bekannt gewordene Jens L., zu sehen waren auch Nicos

Ch., Katja K., Rene D. und die Familie T., die alle schon in Freital aktiv waren. Jens L.,

Katja K. und Rene D. sind bei Pegida-Demonstrationen in Dresden in der Vergangenheit

wiederholt als Ordner aufgetaucht. Nicos Ch. war Redner bei Pegida und auf zahlreichen

anderen asylfeindlichen Kundgebungen und Demonstrationen im Großraum Dresden.

Sie haben beste Verbindungen zum Kreis des Organisationsteams. Die Lage in Heide-

nau beruhigte sich nach dem staatlichen Eingreifen in den Tagen danach wieder. In den

darauffolgenden Wochen gab es seitens der Neonazis Versuche ähnliche Blockaden und

Angriffe nach dem Vorbild von Heidenau u.a. in Freiberg, Weinböhla, Dresden-Übigau,

Dresden-Laubegast und Chemnitz-Einsiedel durchzuführen. Diese Aktionen waren aus

Sicht der Neonazis unterschiedlich erfolgreich.

5.3. Zur Rolle der NPD

Rico Rentzsch, der damalige NPD-Stadtrat von Heidenau, meldete in der Woche vor

den Ausschreitungen mehrere rassistische Kundgebungen und eine Demonstration in

Heidenau an, die sich gegen die Eröffnung der Erstaufnahmeeinrichtung im ehemaligen

Praktiker-Baumarkt in Heidenau richteten. Auf den Kundgebungen und der Demonstra-

tion wurde in rassistischer Weise gegen Geflüchtete in Heidenau gehetzt, die Stimmung

war teilweise aufgeladen. Trotzdem blieb es auf den Veranstaltungen selbst friedlich.

An den Kundgebungen nahmen zu etwa gleichen Teilen organisierte Neonazis aus der

Sächsischen Schweiz und Dresden sowie rassistische Heidenauer Bürger_innen, ohne

klare politische Organisationsanbindung teil. Bei der Demonstration am 21.08.2015 wa-

ren mindestens 350 organisierte Neonazis unter den rund 1.000 Teilnehmer_innen. Die

NPD-Demonstration endete um 19.30 Uhr. Die Personen, die sich am 21.08. ab 20.15

Uhr an ersten Blockaden und ab 22.00 Uhr an den massiven Ausschreitungen beteiligten,

hatten auch an der Versammlung der NPD teilgenommen. Im Nachgang lässt sich schwer

rekonstruieren, ob die regionale NPD die gewalttätigen Ausschreitungen wünschte oder

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in Kauf nahm oder ob Neonazi-Strukturen außerhalb der NPD diese Demonstration für

ihre Zwecke nutzten, ohne die regionalen NPD-Strukturen davon im Vorfeld in Kenntnis

zu setzen. Die Protagonist_innen der gewalttätigen Ausschreitungen am 21. 8. stammten

jedenfalls aus der Region und waren in der Vergangenheit bereits als Hooligans von Dy-

namo Dresden in Erscheinung getreten. Unter ihnen befanden sich u.a. Nick F., Lucas F.

und Oliver Sch. aus Dresden, die bereits bei den Auseinandersetzungen in Dresden-Fried-

richstadt eine aktive Rolle eingenommen hatten. Ebenfalls beteiligt waren die Dresdner

Domenik K. und Sebastian F., die ebenfalls in Zusammenhang mit Hooligan-Aktivitäten

in der Vergangenheit aufgefallen waren. Die NPD hatte an den Mobilisierungen und

Ausschreitungen spätestens ab dem 22. August keinen erkennbaren Anteil. Noch am

Abend des 22. 8. wurde über Facebook-Accounts ehemaliger Mitglieder der rechten

Gruppierung „Faust des Ostens“ dazu aufgerufen, dass man sich am nächsten Abend

wieder „treffen“ wolle. Die Mobilisierung für den zweiten Abend erfolgte nicht über die

NPD, sondern über die sozialen und freundschaftlichen Netzwerke organisierter rechter

Hooligans und Neonazis aus Dresden und der Sächsischen Schweiz-Osterzgebirge. Betei-

ligt an den Ausschreitungen waren vor allem gut organisierte rechte Strukturen aus der

gesamten Dresdner Region und dem Umland.

Die ersten gewalttätigen Ausschreitungen am Abend des 21. August 2015 in Heidenau

fanden tatsächlich im Anschluss an eine NPD-Demonstration statt. Die NPD war im

Ort in den Tagen und Monaten vor der Eskalation eine tragende Kraft in der aggressi-

ven rassistischen Stimmungsmache gegen die Unterbringung von Geflüchteten. Wenn

es im Antrag des Bundesrates zum Verbot der NPD also heißt, dass die Partei für eine

aggressive, rassistische Stimmung verantwortlich zu machen ist, die letztlich auf der

lokalen Ebene zur Gefährdung des friedlichen, demokratischen Zusammenlebens von

Menschen führt, dann kann der Fall Heidenau durchaus als Beispiel vorgetragen werden.

Zu fragen wäre dann aber auch, ob die Verantwortlichkeit für die Eskalation am 21. /

22. 8. einem regionalen NPD-Stadtrat und seinem Umfeld oder der gesamten Partei als

solches zugeschrieben werden kann. Der Anmelder der besagten NPD-Demonstration

hat der Partei inzwischen, ob nun aus taktischen Erwägungen im NPD-Verbotsverfahren

oder aus anderen Gründen, den Rücken gekehrt. Formal hat sich die Partei außerdem in

direkter zeitlicher Nähe zu den Vorfällen Ende August 2015 von der Gewalt in Heidenau

distanziert. Die Ausführenden waren jedenfalls keine NPD-Mitglieder, es bestehen auch

keine Anhaltspunkte für eine Lenkung durch die Partei. Ein Verbot der NPD würde die

rechten Gewalttäter_innen von Heidenau weder persönlich betreffen, noch würde es

etwas an deren Organisationsgrad oder hohen Aktionsfähigkeit ändern.

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5.4. Zur Rolle staatlicher Behörden

In der Tat waren exakt dieselben Neonazis und Hooligans aktiv, die auch im Juli an der

Zeltstadt Dresden-Friedrichstadt ungehindert und ohne Konsequenzen Gewalt ausübten.

Es besteht daher Anlass zur Frage, ob nicht ein konsequentes Eingreifen der Polizei mit

der dazugehörigen Strafverfolgung die Ausschreitungen von Heidenau hätten verhindern

können. Erstaunlicherweise behaupteten der umstrittene Sächsische Innenminister Mar-

kus Ulbig (CDU) wie sein scharf kritisierter Verfassungsschutzchef Gordian Meyer-Plath

(CDU) nach den Vorfällen von Heidenau, sie wären von der Aggressivität der Neona-

zi-Gewalt überrascht gewesen. Daher ist zu fragen, ob die politisch Verantwortlichen

im Bundesland Sachsen vor der massiven Zunahme rechter Gewalt in Freital und Dres-

den-Friedrichstadt die Augen verschlossen haben und warum sie keine Konsequenzen

für das staatliche Handeln gegen Neonazis gezogen haben. Merkwürdig erscheint auch

die Prioritätensetzung bei den Einsatzplanungen der sächsischen Polizei: Während bei

jedem beliebigen Fußballspiel hunderte Beamte im Einsatz sind, oder am Rande einer

linken Demonstration mit 260 Teilnehmer_innen in Dresden am 17.06.2015 insgesamt

735 Polizist_innen das Demonstrationsgeschehen überwachten, waren auch nach den

Heidenauer Ausschreitungen am 21. August 2015 und öffentlich zugänglichen Aufru-

fen im Internet am Folgetag nur 170 Polizeibeamte im Einsatz. Merkwürdig erscheint

auch, wieso am ersten Abend der Ausschreitungen keine und am zweiten Abend nur

23 Identitätsfeststellungen vorgenommen wurden. Es entsteht der Eindruck, dass die

Polizeiführung in Sachsen dem Schutz von Geflüchteten und dem konsequenten Durch-

greifen gegen Neonazis keine ausreichende Priorität beimisst. Aus zivilgesellschaftlicher

Perspektive geht es nicht darum, mehr Polizist_innen zu fordern, sondern anhand rea-

listischer Gefahreneinschätzungen auf eine angemessene Einsatzplanung zu bestehen.

Es ist jedenfalls ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat, dass auch 6 Monate nach den

Ausschreitungen noch kein einziger Täter von Heidenau wegen seiner Taten verurteilt

worden ist.

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6. ZusammenfassungIm NPD-Verbotsverfahren werden die Fälle Freital, Dresden-Friedrichstadt und Hei-

denau als Beispiele für ein aggressiv-kämpferisches Verhalten der Partei angeführt,

das ein Verbot rechtfertige. Dagegen lässt sich feststellen, dass die NPD im Fall Freital

keine und in den Fällen Dresden-Friedrichstadt und Heidenau allenfalls wegen ihrer

im zeitlichen und örtlichen Umfeld abgehaltenen Versammlungen, die aber friedlich

verliefen, eine geringe Verantwortung für rassistische Ausschreitungen und Gewalt

vorzuwerfen wären. Die Gesellschaft hat es aber mit gezielter, rassistischer Gewalt

zu tun, die von organisierten Neonazi-und Hooligan-Netzwerken ausgeübt wird. Diese

sind überwiegend nicht in Parteien oder Kameradschaften organisiert, sondern beste-

hen als soziale und freundschaftliche Netzwerke, die leicht mobilisierbar und in sich

stark geschlossen sind. Neben den politischen Aktivitäten kennen und begegnen sich

ihre Mitglieder bei Fußballspielen, gemeinsamen Diskotheken- oder Kneipenbesuchen

oder auf Pegida-Demonstrationen. Durch eine Partei wie die NPD lassen sie sich nicht

steuern. Vielmehr ist zu vermuten, dass die Gewaltausbrüche erst durch die breite me-

diale und gesellschaftiche Präsenz der völkisch-rassistischen Pegida-Bewegung und der

Nein-zum-Heim-Gruppen auf Facebook befeuert werden. Wenn die entsprechenden Per-

sonenzusammenhänge zu den mehr als 185.000 Facebook-Followern von Pegida zählen,

darüber hinaus anderen rassistischen sozialen Netzwerken und Gruppen angehören und

ihre Freund_innen ähnliche Meinungen vertreten, dann werden die eigenen Standpunk-

te immer wieder aufs Neue geteilt und gelikt. Die Neonazis fühlen sich als Teil einer

gesellschaftlichen Mehrheit, die den Volkswillen nun in die Tat umsetzt. Wer glaubt, die

gesellschaftliche Mehrheit hinter sich zu haben, dem fällt es leichter seinen politischen

Einstellungen auch Taten folgen zu lassen.

Die Vorstellung, diese Entwicklungen mit einem NPD-Verbot umzukehren, entspricht

nicht den derzeitigen Entwicklungen und Kräfteverhältnissen innnerhalb der rassisti-

schen Massenbewegung des Jahres 2015. Der Organisationskreis von Pegida lehnt die

NPD mit der Begründung ab, sie sei vom Verfassungsschutz gesteuert. Die Personen um

Nicos Ch., Katja K., Jens L., Rene D. und die Familie T. haben auf die asylfeindlichen

Proteste einen höheren Einfluss als die NPD. Der NPD blieb vielerorts politisch nur

wenig Raum, da oft bereits andere den rassistischen Protest organisierten. Sie war zwar

mit Mitgliedern und Sympathisanten anwesend, aber oft nicht die bestimmende Kraft.

Die Gewalt ging hingegen immer wieder von denselben Hooligan-Zusammenhängen aus.

Das Verhalten des Staates und seiner Behörden in Freital, Dresden-Friedrichstadt und

Heidenau ist aus zivilgesellschaftlicher Sicht zu kritisieren. Die Vermutung liegt nahe,

dass Sachsen bei der rassistisch motivierten Gewalt im bundesweiten Vergleich auch des-

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halb quantitativ und qualitativ eine Spitzenstellung einnimmt, weil die Gefahrenabwehr

und die Strafverfolgung große Schwachstellen aufweist. Dies dürfte mit der politischen

Grundeinstellung der Akteure in den Behörden zusammenhängen, die stark von der Ex-

tremismusideologie geprägt ist. Auseinandersetzungen rund um Asylunterkünfte werden

von staatlichen Akteuren in der Regel als rechts-links Konfrontationen interpretiert und

nicht als rassistische Angriffe von Demokratiefeinden gegen geflüchtete Menschen und

menschenrechtsorientierte Demokrat_innen.

Die NPD ist eine neonationalsozialistische Partei, die sich in diesem Punkt klar von

anderen Parteien unterscheidet. Wenn man zu der Einschätzung käme, dass die Partei

in absehbarer Zeit in der Lage wäre, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu

ändern, könnte ein Verbot diesen Entwicklungen Einhalt gebieten. Jedoch ist die NPD in

ihrer derzeitigen Verfasstheit auf einem Tiefpunkt angelangt, der ihre Vormachtstellung

in der neonationalsozialistischen Szene deutlich in Frage stellt. Außerhalb von Sachsen

und Mecklenburg-Vorpommern haben ihr bereits andere Neonazi-Organisationen, wie

z.B. die Partei “Die Rechte” oder “Der Dritte Weg” den Rang abgelaufen und stellen für

die Szene eine wichtigere Größe als die NPD dar.

Daher sollte in der NPD-Verbotsdebatte auch eine Aufwand-Nutzen-Analyse vorge-

nommen werden. Wenn es zu einem Verbot der Partei kommen sollte, dann muss dieses

durch Polizei und Justiz auch konsequent durchgesetzt werden. Angesichts der scheinba-

ren Überforderung der Ermittlungsbehörden in der derzeitigen Auseinandersetzung mit

dem Rechtsextremismus erscheint es schwer vorstellbar, dass diese in der Lage wären,

mehr als 5.000 ehemalige Parteimitglieder so im Auge zu behalten, dass einer Wie-

der- oder Weiterbetätigung mit entsprechender staatlicher Repression begegnet werden

kann. Ein halbherziges Verbot, dass diese Konsequenz nicht in die Überlegungen mit ein-

bezieht, ist hingegen nicht mehr als ein plakativer Akt und ein Ablenkungsmanöver von

der eigenen Konzeptlosigkeit in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus in

Deutschland. Selbst die glühendsten Befürworter_innen eines NPD-Verbots wissen, dass

die Weiterentwicklung der Demokratie eine Daueraufgabe ist, die sich den Gefährdun-

gen konzeptionell und dauerhaft stellen muss und die ein Verbot nicht ersetzen kann.

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Literatur

Antifa Recherche Team Dresden (ART), The same procedure as every time. SSS und NPD in der Sächsischen Schweiz., in: ART Dresden (2007). Review: Ein Monatsrückblick des ART Dresden. März / April 2007.

Antifaschistisches Infoblatt, Mehr Schein als Sein. Casa Pound Phantasien in Pirna, AIB 101 / 4.2013.

Antifaschistisches Infoblatt, Die Wiking-Jugend. Spotlights aus einem verbotenen Verein, AIB 50 / 1.2000.

Kulturbüro Sachsen e.V., Sachsen rechts unten, 2015, S. 9 ff.

Anne Longrich / Michael Bergmann: Ein Jahr NPD im Sächsischen Landtag. In: Dash Dossier #16. 2006. S. 8-10

RAA Sachsen e.V., Pressemitteilung der Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt der RAA Sachsen e.V. vom 24.02.2015, https://www.raa-sachsen.de/index.php/pressemitteilung/pressemitteilung-der-opferberatung-fu-er-betroffene-recht.html

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MATTHIAS QUENT

Verschleierung, Radikalisierung und neue Unübersichtlichkeiten: Gefährliche Implikationen und Folgen des NPD-Verbotsverfahren

Einführung

Wenige Tage nach dem öffentlichen Bekanntwerden der Morde an neun Menschen

aus Familien mit Migrationsgeschichte, dem Mord an einer Polizistin, von drei Bom-

benanschlägen mit Schwerverletzten und fünfzehn Raubüberfällen, die von einer

rechtsextremen Terrorbande verübt wurden, forderte der Deutsche Bundestag die

Regierung auf, „zu prüfen, ob sich aus den Ermittlungsergebnissen Konsequenzen für

ein NPD-Verbot ergeben“ (Meier 2015, S. 15). Die Ermittlungen sind bis heute nicht

abgeschlossen, insbesondere im Blick auf das Netzwerk der Terrorgruppe des „National-

sozialistischen Untergrunds“ (NSU). Dennoch wurden bereits repressive Konsequenzen

gezogen: So eröffnete das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2015 das Verbots-

verfahren gegen die NPD. Der NSU und mögliche Verquickungen zur NPD nehmen im

Antrag des Bundesrates nur eine marginale Rolle ein: Es gibt schlicht keinen Hinweis,

dass die NPD mit den Terrortaten etwas zu tun hätte. Weder die juristische oder die

politische und schon gar nicht die sozialwissenschaftliche Aufarbeitung des NSU können

als abgeschlossen gelten.

Dieser Beitrag geht diesen Fragen aus soziologischer Perspektive anhand differenzier-

ter Anschauungsbeispiele nach. Dabei greife ich auf eigene empirische Untersuchungen,

insbesondere zum „Rechtsextremismus in lokalen Kontexten“ (Quent und Schulz 2015)

und zur Radikalisierung des NSU (Quent 2015) zurück. Es wird gezeigt, dass zwar die

Analyse der inhaltlichen Ziele der NPD im Verbotsantrag der Länder im Wesentlichen

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zutrifft, die Motive des Verbotsverfahrens jedoch ebenso kritisch zu hinterfragen sind

wie die zu erwartenden Folgen eines Verbots für die rechtsextreme soziale Bewegung.1

1. NPD-Verbot als Ausweg aus der Dissonanzgesellschaft?

Als konkreter Beweis für die Verfassungswidrigkeit der NPD taugt der NSU-Komplex

objektiv nicht. Subjektiv in der Wahrnehmung vieler Menschen mag sich jedoch durch-

aus, wie Meier (2015, S. 36) schreibt, das Gefühl festgesetzt haben, „NPD und NSU

steckten irgendwie unter einer Decke“. Darüber hinaus verlangt die NSU-Mordserie

nach politischen Konsequenzen (ebd.). Da Beweise einer Kooperation zwischen NSU und

NPD fehlen, liegt der Verdacht nahe, dass der NSU als Vorwand dient, den schon lange

bestehende Wunsch nach einem Verbot der Partei zu rechtfertigen. Was steht dahinter?

a) Dissonanzerfahrungen gesellschaftlicher Akteure

Offenkundig besteht ein Widerspruch zwischen den offiziellen aufgeklärten demokrati-

schen Grundwerten und Menschenrechten einer offenen Gesellschaft auf der einen Seite

und der Programmatik, der Ideologie und dem Wirken der NPD auf der anderen Seite.

Es ist eine paradoxe Situation, dass einerseits Millionen Euro aus der Staatskasse in

Präventions- und Interventionsprojekte gegen Rechtsextremismus und zumindest mittel-

bar gegen die NPD fließen, andererseits aber die Agitation, Wahlwerbung, Logistik und

der Lebensunterhalt von rechtsextremen Abgeordneten und Mitarbeitern mit Steuergeld

finanziert wird. Wer sich mit Polizeibeamten, zuständigen Sachbearbeitern in lokalen

Verwaltungsbehörden, mit Bürgermeistern und “normalen Bürgern” über Rechtsextre-

mismus und die NPD unterhält, stößt häufig früher oder später auf ein schulterzuckendes

„Ist doch nicht verboten“. Eine Mitarbeiterin der Ordnungsbehörde einer Thüringer

Kleinstadt sagte in einem Interview:

1 Von sozialen Bewegungen wird gesprochen, wenn es sich (a) um ein über längere Zeit stabiles und gesellschaftspolitisch wirksames Netzwerk von Individuen, Gruppen, Netzwerken und Organisa-tionen handelt, das (b) über eine kollektive Identität (Ziele, Wertorientierungen, Deutungs- und Handlungsmuster, Abgrenzung gegenüber anderen Bewegungen usw.) verfügt und (c) den An-spruch auf die Umgestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse erhebt (Roth und Rucht 2008, S. 13). Dies ist beim Rechtsextremismus gegeben, insofern „Umgestaltung“ auch die Verhinderung von gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen (z.B. Einwanderung) oder die Rückkehr zu früheren Gesellschaftsformationen (z.B. Volksgemeinschaft) umfasst.

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„So lange wie die rechte Szene nicht verboten ist, ist sie legitim. Wird ja auch von Steuergeldern im Grunde mit unterstützt, die ganze Geschichte.“2

Auch Projekte und Organisationen, die präventiv oder intervenierend gegen Rechtsext-

remismus arbeiten, sehen sich mit diesem Widerspruch konfrontiert. Ein Mitarbeiter der

Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus äußerte sich auf die Frage, ob in bestimm-

ten Regionen eine Normalisierung der NPD zu beobachten sei, wie folgt:

„Also zur NPD – unglaublich schwer zu beantworten, was aber massiv auffällt, ist das Nachhallen des Verbotsversuches, gerade in der Verwaltung, und man bekommt massiv an Kopf geschmissen seitdem: Die NPD ist doch eine legale Partei, das hat das Bundesverfassungsgericht doch so beschieden, [obwohl] das nicht der Grund war, warum es gescheitert ist. Es ist erschreckend, wie oft das angeführt wird, um zu argumentieren, dass man sich mit der NPD nicht befassen muss, weil es ja eine normale Partei ist.“3

b) Widersprüchliche Gesellschaftsstrukturen

Die Zitate belegen beispielhaft: Die Legalität der NPD erschwert die formelle

Problematisierung des Rechtsextremismus. Demgegenüber ist die inhaltliche, wert-

basierte Auseinandersetzung mit der NPD und dem Rechtsextremismus – also die

Frage nach ihrer Legitimität – ungleich aufwendiger. Denn um die NPD inhaltlich zu

kritisieren, braucht es zum einen solide eigene Standpunkte. Zum anderen, das zeigt

die Einstellungsforschung, sind rechtsextreme Positionen keineswegs so marginal und

stehen nicht derart im sozialen Abseits, wie die behördliche Verwendung des Extremis-

musbegriffes glaubhaft machen will. Das bedeutet auch, dass eine inhaltliche Kritik des

Rechtsextremismus sich auch kritisch mit der empirischen Realität der gesellschaftli-

chen „Mitte“ und den Differenzen zu ihren offiziellen Ansprüchen auseinandersetzen

müsste.

Mentale Ambivalenzen, dass Individuen zugleich rechtsextreme und demokratische

Einstellungen hegen, sind Rommelspacher (2011) zufolge auch Ausdruck von „wider-

sprüchlichen Strukturen in der Gesellschaft“ (Rommelspacher 2011, S. 49). Einerseits

würden Menschen aus Einwandererfamilien und Geflüchtete rechtlich diskriminiert, an-

dererseits jedoch Gleichheit, soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte als Fundamente

dieser Gesellschaft gelten. Generell, so Rommelspacher (ebd.), bestehe eine „massive

Diskrepanz zwischen Gleichheitsansprüchen und Ungleichheitsverhältnissen“ (ebd.). Der

Rechtsextremismus setze an diesen Spannungen an und löse diese „einseitig in Richtung

2 Interview im Rahmen des Forschungsprojektes „Rechtsextremismus(-potenziale) in lokalen Kontex-ten“, Sommer 2012.

3 Interview mit Mitarbeitern einer Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus, Sommer 2012.

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Dominanzinteressen und Abschottungspolitik auf, nach dem Motto: ‚Wir zuerst‘“ (ebd.,

S. 50). Seine Verführungskraft liege darin, dass er „die Spannungen und Ambivalenzen

zwischen Egalitätsansprüchen und Eigeninteressen aufzulösen verspricht“ (ebd.). Damit

greife der Rechtsextremismus Fragen und zentrale Widersprüche auf, die strukturell in

der ‚Mitte‘ der Gesellschaft verankert seien (ebd.). Überspitzt gilt für die inhaltliche

Auseinandersetzung frei nach Horkheimer: Wer aber vom Rassismus nicht reden will,

sollte vom Rechtsextremismus und von der NPD schweigen.4

c) Die NPD als „verstörendes Phänomen“?

Die folgende Beobachtung der Prozessbevollmächtigten des Bundesrates, Möllers und

Waldhoff (2013), die sie im Antrag für das NPD-Verbot formuliert haben, ist also zu-

nächst zutreffend (über die verfassungsrechtliche Bedeutung dieser Feststellung als

Verbotsgrund müssen andere urteilen):

„Die unter dem Schutz des Parteienrechts stehende NPD erweist sich vielmehr als ein gut organisierter Knotenpunkt, der antidemokratische Tendenzen bündelt, formalisiert und verstärkt. Für Bürgerinnen und Bürger, für die Rechtstreue einen wesentlichen Wert darstellt, bildet die Legalität einer rechtsextremistischen Partei ein verstörendes, das Vertrauen in den Rechtsstaat beeinträchtigendes Phänomen. Die Legalität der NPD definiert einen symbolischen Ort des Zulässigen für die demokratische Auseinandersetzung, selbst dann, wenn die Partei im Einzelnen nicht rechtstreu handelt.

Der Antragsteller interpretiert das Handeln der NPD also nicht als unvermeidliche Folge einer bestimmten gesellschaftlichen Befindlichkeit, gegen die die Mittel des Rechts nichts ausrichten könnten. Vielmehr sieht er gerade in der Tatsache, dass sich das verfassungsfeindliche Handeln der Antragsgegnerin auf die Rechtsordnung berufen kann, einen wichtigen Faktor, der mitbestimmt, wie unsere Ordnung gerade von Bürgerinnen und Bürgern, die dieser Ordnung gegenüber skeptisch und distanziert bleiben, wahrgenommen wird. Dies gilt umso mehr angesichts der Tatsache, dass der vom Bundesrat gestellte Verbotsantrag in eine Vielzahl weiterer Maßnahmen eingebettet ist, die den Versuch unternehmen, das Problem politischer Radikalisierung mit anderen Mitteln anzugehen.“ (Möllers und Waldhoff 2013, S. 7)

Die bloße Existenz der NPD – so marginal sie parlamentarisch auch ist – irritiert also

das demokratische Selbstverständnis. Aber was für ein Verständnis ist das denn, welches

die Ambivalenzen und Widersprüche der modernen Demokratie nicht (mehr) auszu-

halten vermag? Ist die Motivation des Bundesrates unter demokratietheoretischen

4 Horkheimer schrieb 1939: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschis-mus schweigen.“

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Gesichtspunkten gerechtfertigt? Oder versteckt sich dahinter nicht ein autoritäres Ge-

sellschafts- und Staatsverständnis, das sich im Verbotsverfahren entlarvt?

Offenkundig besteht ein Bedürfnis nach Klarheit, Ordnung und Widerspruchsfreiheit ge-

gen die Unordnung des Demokratischen, welche die NPD symbolisiert. Die Ambivalenz

unterschiedlicher Grundwerte in der Demokratie sowie die Widersprüchlichkeit der offi-

ziellen Freiheits- und Gleichheitswerte und der Alltagswahrnehmung von Ungleichheit,

Ungleichwertigkeit, Menschenfeindlichkeit und rechter Gewalt führen permanent zu

Dissonanzsituationen. Nach Festingers Theorie kognitiver Dissonanz sind „die Dinge, die

eine Person über sich selbst, ihr Verhalten und ihre Umwelt weiß“, dann dissonant, wenn

„sich das Gegenteil des einen Elements aus dem anderen Element ergibt“ (zitiert in

Gurr 1970, S. 48). Für unseren Fall: Wer einerseits ernst nimmt, wenn die Bundeskanz-

lerin sagt: „In Deutschland ist kein Platz für Rechtsextremismus, Rassismus und Hass.

Wir sind ein vielfältiges Land. [...] Niemand darf sich anmaßen, andere zu verunglimp-

fen, herabzuwürdigen oder auszugrenzen.“ (Merkel 2014, S. 7f) und sich dann mit einer

staatlich subventionierten Neonazipartei konfrontiert sieht, macht eine Dissonanzerfah-

rung. Diese kann ihn veranlassen, seine Vorannahmen zu überprüfen: Lügt Merkel? Oder

ist die NPD gar nicht rassistisch und rechtsextrem? Oder hält die demokratische Gesell-

schaft ihre Versprechen am Ende gar nicht ein? Das Unbehagen darin, Ambivalenzen

auszuhalten, kann den Glauben in die Legitimität der herrschenden Ordnung unterminie-

ren und dadurch, wie Möllers und Waldhoff meinen, das Vertrauen der Bürgerschaft in

den Rechtsstaat stören.

d) Demokratie als widersprüchliche Ordnung

Doch moderne Demokratien sind per se ambivalent und widersprüchlich. Der Streit um

die Deutung, Bewertung und Moderation des Sozialen und des Politischen garantiert

ihre Anpassungs- und Integrationsfähigkeit. Dabei steht beispielsweise das Recht auf

Meinungs- und Versammlungsfreiheit potenziell stets im Konflikt mit der Unantastbar-

keit der Menschenwürde. Die derzeit bei rassistischen Protesten zu hörende Parole

„Wir wollen keine Asylantenschweine“ versus die Parole der Gegendemonstranten

„Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“ veranschaulichen das Dilemma. Kennzeichen

rechtsstaatlicher Demokratien ist es, dass Wertübereinstimmungen eben nicht durch ein

Vorgehen der Exekutive durchgesetzt werden.

Hierzulande spielt sich alles Politische im Spannungsfeld von Anspruch und Wirklich-

keit der aufklärerischen und humanistischen Grundwerte der Demokratie ab, weil

Gleichheit und Freiheit idealtypische Werte sind, die in der Alltagswelt selbst bei besten

Absichten immer wieder zusammenstoßen werden. Diesen Antagonismus auszuhalten

und auszutragen ist die basale Aufgabe aller gesellschaftlichen Akteure in modernen

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Demokratien – und der Grund dafür, dass es in solchen Gesellschaften keine dauerhafte

und allumfassende ‚Harmonie‘ geben kann und darf, denn diese würde die Auflösung frei-

heitlicher Ansprüche und somit das Ende des demokratischen Projektes bedeuten (Quent

2015, S. 82).

e) NPD-Verbot als Verschleierung demokratischer Ambivalenz

Das NPD-Verbotsverfahren jedoch zielt motivational darauf, die Ambivalenz, die von

NSU und NPD verkörpert wird, zu zerstören oder zumindest effektiver als bisher zu

verschleiern – ohne allerdings die Virulenz rassistischer Strukturen und Einstellungen in

der Gesellschaft zu beachten. Dissonanz und Ambivalenz sind für eine aufgeklärte und

beschleunigte Gesellschaft, in der ‚Wahrheiten‘ medial in Sekundenblöcken vermittelt

werden sollen, offenbar nur schwer zu ertragen. Ein NPD-Verbot würde die Ambiva-

lenz zwischen den offiziellen Werten der Gesellschaft und den im Alltag erfahrbaren

Verhältnissen, Orientierungen und Praktiken von Ungleichheit, Ungleichwertigkeit, Dis-

kriminierung und Abwertung nicht aufheben, aber im politischen Raum weniger sichtbar

werden lassen. Das erschwert in der Folge die zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung

mit dem Rechtsextremismus: Die NPD ist – von einigen lokalen Hegemoniegewinnen

abgesehen – weitgehend geächtet und isoliert. Sie ist Symbol für politische Dummheit

und Vulgarität, Unmenschlichkeit und für die latente Gefahr, die von rassistischen und

totalitären Ideologien ausgeht. Demokraten würde es gut anstehen, die Ambivalenz

offenzulegen, anzunehmen und sie als Ansatzpunkt für Kritik zu nutzen, anstatt Wider-

sprüche verschleiern und verbieten zu wollen. Das Verbotsmotiv des Bundesrates, dass

„die Legalität einer rechtsextremistischen Partei ein verstörendes, das Vertrauen in den

Rechtsstaat beeinträchtigendes Phänomen“ (Möllers und Waldhoff 2013, S. 7) sei, ist

eine den Diskurs einengende und nicht nachhaltige Pauschalisierung. Sie zielt darauf,

den Rechtsextremismus als Produkt sozialer Verhältnisse sowie Ausdruck ungelöster

Konflikte und Widersprüche in der Gesellschaft vollumfänglich als illegal, statt gesell-

schaftlich als illegitim zu charakterisieren.

f) Rechtsextremismus als Indiz gesellschaftlicher Konflikte

Möllers und Waldhoff schreiben beiläufig, die zu verbietenden „Phänomene“ seien

nicht „als bloßes Symptom tieferliegender sozialer Probleme [zu] deuten, an denen

durch ein Verbot der Antragsgegnerin nichts geändert werden könnte“ (ebd.). Die-

se schwerwiegende Behauptung widerspricht der Breite der sozialwissenschaftlichen

Forschungslandschaft. Soziologisch liegt ebenda die Krux: Das NPD-Verbotsverfahren

begünstigt, intendiert oder nicht, die Verschleierung tiefer liegender sozialstruktureller

Probleme, wie sie unter anderem der Rassismus indiziert. Tatsächlich vertritt ein Groß-

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teil der Rechtsextremismusforschung in Widerspruch zu den Antragsstellern die Ansicht,

dass Rechtsextremismus durchaus ein ‚Symptom tieferliegender sozialer Probleme‘ sei.

Auch Jaschke (1994) schreibt beispielsweise:

„Die Themen der extremen Rechten, vordergründig ‚Ausländer‘, Kriminalität, nationale Identität, sind, analytisch betrachtet, Versuche einer Antwort auf schwerwiegende Strukturprobleme. […] Fremdenfeindlichkeit verdeckt die legitimen Fragen nach der Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums und der Verteilung sozialer Lasten, sie stellt verkehrt herum Fragen nach Gemeinschaft und gesellschaftlicher Verantwortung. […] Solche ‚Verkehrungen’ werden freilich zugedeckt durch eingängige Perspektiven staatlicher Repression, die Parole ‚Nazis raus’ und eine symbolische Politik, die das Verschwinden von Symptomen (Wahlerfolge, Gewaltspiralen) mit der erfolgreichen Bekämpfung von Ursachen verwechselt.“5

Zuletzt haben Frindte et al. (2015) drei „Dominierende Theorie- und Forschungsansät-

ze“ (ebd., S. 35) der Forschung zur Erklärung rechtsextremer Tendenzen identifiziert,

die allesamt die Entstehung von Rechtsextremismus im Kern auf gesellschaftliche Ent-

wicklungen, Konflikte und Probleme zurückführen. Die Ursachen des Rechtsextremismus

sind also nicht in den rechtsextremen Politikangeboten zu sehen, wie der Verbotsantrag

suggeriert.

g) Mikroregionale Wahlergebnisanalyse

Dies indiziert auch die mikroregionale Analyse von Wahlergebnissen der NPD. Beispiels-

weise schnitt die NPD im Thüringer Landkreis Saalfeld-Rudolstadt bei Landtagswahlen

im Landesvergleich weit überdurchschnittlich ab, obwohl dort praktisch keine öffent-

lichen Aktivitäten der Partei festzustellen waren. 2009 erreichte die NPD dort 6,3

Prozent der Wählerstimmen, verfügte aber vor Ort nicht einmal über einen Verband mit

eigener Internetseite. In der nur wenige Kilometer entfernten Stadt Jena verzeichne-

te die NPD trotz jahrelanger öffentlicher Aktivitäten vor Ort mit nur 1,3 Prozent ihr

schlechtestes Ergebnis im Bundesland. Ursächlich für relative rechtsextreme Wahlerfol-

ge sind zuvorderst Elemente der politischen Kultur und der sozialen Struktur (vgl. Quent

und Schulz 2015). An solchen Gelegenheitsstrukturen ändert ein Verbot der NPD nichts.

Aber wenn die Partei nicht mehr gewählt werden kann, wird das rechtsextreme Poten-

zial weniger sichtbar, und es besteht die ernst zu nehmende Gefahr, dass Rechtsextreme

auf andere und unkonventionelle Partizipationsformen zurückgreifen. Insbesondere die

lokale Verankerung von rechtsextremen Deutungsweisen und Akteuren läuft in der Regel

5 Jaschke 1994, S. 181.

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nicht im Sinne einer organisierten Unterwanderung, sondern trägt Merkmale lokaler

Innovationsprozesse im Sinne einer Stabilisierungsfunktion insbesondere in abdriftenden

Regionen.

Im kleinen Thüringer Ort Schmiedefeld beispielsweise führte der Rückzug öffentlicher

Angebote im Ort, vor allem die Beendigung der AWO-Trägerschaft des örtlichen Ju-

gendtreffs, zu einem Leerraum, der erfolgreich von Rechtsextremen besetzt werden

konnte. Ein Szeneangehöriger betrieb die Einrichtung seit 2005 privat weiter und

entwickelte ihn zu einem Szenetreffpunkt mit Gastbetrieb, Partys, Versammlungen und

Rechtsrockkonzerten. Seitdem hat die rechte Szene im Ort enorm an Einfluss gewonnen.

Ohne vor Ort überhaupt in Erscheinung zu treten, konnte die NPD ihr Wahlergebnis bei

den Landtagswahlen 2009 bei leicht gestiegener Wahlbeteiligung innerhalb von fünf

Jahren von 2,7 Prozent auf 18,6 Prozent erhöhen (Quent 2014, S. 48). Organisierte

und jugendkulturelle Angebote von Rechtsextremen treten dabei als alltagskonformes

Engagement in Erscheinung, welches vor dem Hintergrund infrastruktureller Erosion im

ländlichen Raum dankend angenommen oder zumindest nicht problematisiert wird. Nicht

nur als mentale Reaktion auf individuelle Desintegration, sondern auch als politischer

Konter auf Wachstumsversagungen und zunehmende regionale Strukturdefizite können

sich Facetten des Rechtsextremismus lokal etablieren (ebd.). Gerade in seiner unter-

schiedlichen lokalen Virulenz indiziert der Rechtsextremismus soziale Ungleichheiten,

zum Beispiel zwischen Ost- und Westdeutschland (vgl. auch Quent 2012).

h) Delegitimation jeglicher Kritik

Die im Verbotsantrag mitschwingende Behauptung, der Rechtsextremismus sei eben

nicht zuvorderst ein Symptom gesellschaftlicher Probleme, entkoppelt das Besondere

vom Allgemeinen und die Erscheinung von ihren Ursachen. Einem solchen Gesellschafts-

verständnis wohnt das Potenzial inne, jede Form von Kritik zu delegitimieren, die den

Glauben an die Weltanschauung der „‚offiziellen‘ Ansichten der Herrschenden“ (Gramsci

nach Eagleton 2000, S. 139f.) „verstören“ könnte. Diese herrschaftlichen Beweggrün-

de sind aufgrund der Innovationsfähigkeit sozialer Bewegungen ohnehin zum Scheitern

verurteilt. Denn über Ersatz- und Ausweichstrukturen sowie kompensatorische Aktions-

formen verfügen die Rechtsextremen bereits heute. Mehr noch läuft ein Verbot der NPD

Gefahr, nicht nur die rechtspopulistische und in Teilen rechtsextreme AfD zu stärken,6

sondern auch die Radikalisierung militanter Rechtsextremer zu befördern und noch die

letzte Übersichtlichkeit im rechtsextremen Bewegungsspektrum über Bord zu werfen.

6 In seinem Videoblog „FSN.tv“ hat der Rechtsextremist Patrick Schröder, der unter anderem der NPD nahesteht, dazu aufgerufen, sich für den Fall eines NPD-Verbotes mit der AfD zu „vernetzen“.

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2. Rechtsextremismus als innovationsfähige Bewegung

„Verbote zwingen uns Nationalsozialisten immer wieder nach neuen Wegen im Widerstandskampf zu suchen. Verfolgung und Strafen zwingen uns anonym und unerkannt zu agieren. Der nationalsozialistische Untergrund verkörpert die neue politische Kraft im Ringen um die Freiheit der deutschen Nation.“(NSU, 2001)

a) Zur Wirkung staatlicher Repression

Das Zitat aus einem frühen Brief der NSU-Terrorgruppe zeigt, wie die NSU-Terroristen

die eigene Situation im Untergrund deuteten. Sie inszenierten sich als verfolgte Wider-

standskämpfer, die durch „Verfolgung und Strafen“ in die Illegalität getrieben würden.

Dass „Verfolgung und Strafen“ nicht willkürlich, sondern als Reaktion auf erhebliche

Gewalt- und Straftaten erfolgten, ist für sie irrelevant, weil für sie alle Mittel legitim

sind, um das höhere Ziel der „Freiheit der deutschen Nation“ zu erreichen (Quent 2015,

S. 281). Staatliche Repression durch Strafverfolgung und Vereinigungsverbote infolge

der Eskalation der rechtsextremen Gewalt zu Beginn der 1990er Jahre sind für den

Radikalisierungsprozess des NSU nicht zu vernachlässigen (ausführlich in: ebd.). Entste-

hung und Terror des NSU eignen sich weder als Beleg einer mangelhaften Ausstattung

der Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste mit gesetzlichen Eingriffsrechten

oder finanziellen Mitteln noch als Nachweis für die Notwendigkeit eines Parteienver-

botes. Akten von Polizei, Verfassungsschutz und Gerichten belegen, dass die Behörden

die Rechtsextremen vor ihrem Untertauchen sehr genau im Blick hatten. Die späteren

NSU-Terroristen sahen sich durch die in ihrer Wahrnehmung allgegenwärtige Über-

wachung und Verfolgung durch den Staat in den Untergrund gezwungen. Es ist daran

zu erinnern, dass Böhnhardt zum Zeitpunkt des Untertauchens bereits rechtskräftig zu

einer Haftstrafe verurteilt war, die er jedoch nicht antreten musste. Ein promptes Um-

setzen der rechtsstaatlichen Mechanismen hätte die Entstehung des NSU bereits 1998

verhindern können. Trotz (oder wegen?) polizeilicher und gerichtlicher Strafverfolgung

und der zahlreichen V-Personen des Verfassungsschutzes im Umfeld des NSU wurde die

Mordserie nicht verhindert. Die von NSU-Aktivisten empfundene aber nicht konsequent

umgesetzte staatliche Repression rechtfertigte für sie überhaupt erst, alle Brücken in

ihr bisheriges Leben zu kappen und in den Untergrund zu gehen. In aller Deutlichkeit:

Eine konsequente Ausübung der Staats- und Strafgewalt hätte die Entstehung des NSU

verhindert, nicht aber ein Parteiverbot. Im Gegenteil demonstriert die Entstehungsge-

schichte und das ideologische Selbstbild der Terrorgruppe, wie staatliche Repression zu

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nicht intendierten Effekten der Radikalisierung und der Eskalation politischer Gewalt im

Untergrund führen kann („perverse effects“, vgl. einführend: Lindekilde 2014).

b) Rechtsextremismus als innovatorische Bewegung

Zu den innovatorischen Strategien des Rechtsextremismus gehören beispielsweise

„taktische Zivilisierung“ (Klärner 2008), räumliche Verlagerungen, Mimikry und Ra-

dikalisierung. Welche Optionen von Akteuren gewählt werden, die durch Verbote unter

Handlungsdruck stehen, hängt von deren individuellen und kollektiven Möglichkeiten und

sozialen Bindungen, dem Grad ihrer Radikalisierung und der Intensität ihrer Gruppen-

integration sowie der Verfügbarkeit von Ausweichorganisationen ab. Aktuelle Beispiele

wie die Transformation des verbotenen „Freien Netz Süd“ in die rechtsextremistische

Partei „Der Dritte Weg“ weisen auf Entwicklungsperspektiven für den Fall eines

NPD-Verbotes hin. Auch NPD-Funktionäre treten im Zeichen der Migrationskrise vie-

lerorts in Mimikry-Projekten nicht mit der Parteibezeichnung auf, sondern spekulieren,

mit gesellschaftlich anschlussfähigen Slogans wie „Bürgerinitiative Wir lieben Ort-XY“

oder „Z-Stadt gegen die Islamisierung des Abendlandes“ auf Zuspruch über die eigene

Bewegung hinaus.7

c) Keine Steuerung über Parteistrukturen

Viele Rechtsextreme insbesondere in den neuen Bundesländern und mit hoher Ge-

waltbereitschaft pflegen ein instrumentelles Verhältnis zu Parteien als Akteuren

konventioneller politischer Partizipation im Allgemeinen und zur NPD im Besonderen.

Nach der Vereinigung hatte die NPD massiv zu kämpfen, um subkulturell geprägte

Rechtsextreme in den neuen Ländern zu integrieren. Insbesondere für das Handeln

rechtsextremer Gewalttäter darf der Einfluss politischer Verbände generell nicht über-

schätzt werden. Waldmann schreibt (2011):

„Die Versuche neofaschistischer Verbände, rechtsradikale Gewaltgruppen politisch zu vereinnahmen und zu steuern, schlagen meistens fehl, da diese Gruppen ungebunden bleiben und sich keiner Disziplin unterwerfen wollen“ (ebd., Pos. 1928).

Hierarchien in der rechtsextremen Bewegung führen zumeist nicht dazu, dass Gewalt-

taten ‚von oben‘ angeordnet werden. Die allermeisten rechtsextremen Gewalttaten

finden spontan statt. Eine zentrale Steuerung der Bewegung ist nicht existent – das

macht sie so unberechenbar. Ein Herausdrängen der bundespolitisch marginalisierten

Rechtsextremen aus den formaldemokratischen Räumen konventioneller politischer

7 Siehe dazu auch die Beiträge von Sebastian Striegel und Michael Nattke in diesem Band.

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Partizipation wird aller Voraussicht nach dazu führen, dass sich weite Teile der rechts-

extremen Bewegung in Richtung unkonventioneller Partizipations- und Protestformen

sowie eines höheren Organisationsgrades bei der Ausübung politischer Gewalt ra-

dikalisieren, wie dies bereits in den 1990er Jahren nach dem Verbot zahlreicher

rechtsextremer Vereinigungen (bspw. FAP) zu beobachten war. Eine erhöhte mediale

Aufmerksamkeit ist ihnen dadurch sicher.

d) Die NPD als “Basis”?

Sinngemäß argumentieren Verfechter des Verbotsverfahrens, die NPD sei die “Basis”

des rechtsextremen Netzwerkes. Daran ist richtig, dass jede Bewegung stabilisierende

Anker braucht, nicht nur (sub-)kulturelle und ideologische, sondern auch logistische,

räumliche und materielle Ressourcen. Vertriebsstrukturen für Szeneartikel, Immobili-

en, Büros und Treffpunkte sind in der rechtsextremen Bewegung jedoch weitestgehend

dezentralisiert und privatisiert. Auch wenn Einrichtungen der NPD genutzt werden, ist

im Einzelfall keineswegs klar, ob die NPD Eigentümerin, Betreiberin oder Mieterin

ist. Ausnahmen sind die NPD-Zeitung „Deutsche Stimme“ und die „Bürgerbüros“ der

Abgeordneten der einzigen NPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern und das

Büro des Europaabgeordneten Udo Voigt. Das rechtsextreme Bewegungsnetzwerk ist

fluide und basiert nicht auf NPD-Parteistrukturen. Die Netzwerke und Arbeitsstrukturen

der Bewegung würden keineswegs wie ein Kartenhaus zusammenfallen, wenn die NPD

verboten würde.

Das Spektrum des systemfeindlichen Rechtsextremismus, dem die NPD etwa seit

der Mitte der 1990er Jahren zuzuordnen ist (vgl. Stöss 2010), adaptiert ideologi-

sche Versatzstücke unmittelbar aus dem Nationalsozialismus, wie beispielsweise die

„Anti-Volkstod-Kampagne“ zeigt (Quent 2014). Den Beweis der ideologischen We-

sensverwandtschaft von NPD und NSDAP erbringt der Verbotsantrag unter Verweis auf

ein Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte überzeugend. Etwa seit der Vereinigung

kursiert in der rechtsextremen Bewegung die Strategieschrift „Eine Bewegung in Waf-

fen“ (Westmar 1989). Das Dokument beschäftigt sich unter anderem mit dem Verhältnis

zwischen konventioneller und unkonventioneller Agitation: Die Verfasser geben vor, dass

die Grenze zwischen legalem und illegalem Kampf „fließend“ und „legaler und illega-

ler Arm der Bewegung des Öfteren personalmäßig identisch“ ist. Der Strategieschrift

folgend sind als „legaler Arm“ die rechten Parteien zu sehen:

„Und doch ist alles demokratische Gehabe nach außen nur Schein, nur eine taktische Maßnahme, die die weitere Nutzung umfassender legaler Propagandamittel ermöglicht. Wir erstreben keine parlamentarische Arbeit, um durch sie die ‚Meinungsvielfalt einer pluralistischen Gesellschaft‘ zu erweitern.“ (Ebd.)

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Im Weiteren verweist die Schrift auf eine Rede des nationalsozialistischen Propaganda-

ministers Joseph Goebbels, in der es heißt:

„Wir gehen in den Reichstag, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen. Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Brenndienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache.“ (Ebd.)

Dieser Strategie der Nationalsozialisten sollte durch das maßgebliche Konzept der

„wehrhaften Demokratie“ in der Bundesrepublik begegnet werden. Allerdings ist die

NPD weit davon entfernt, in den Bundestag einzuziehen, geschweige denn, diesen

„lahmlegen“ zu können: Bei den Bundestagswahlen 2013 erreichte die Partei gerade

einmal 1,3 Prozent der Stimmen.

Im Antrag zum Verbot der NPD nehmen deren „Verbindungen zur Neonazi-Szene“

(Möllers und Waldhoff 2013, S. 77ff), d.h. „[d]ie intensive [inhaltliche und personel-

le] Verflechtung mit der Neonazi-Szene, die Teil der Strategie der Partei als ‚rechte

Volksfront‘ ist“ (ebd.), eine bedeutsame Rolle ein. Zweifelsohne ist diese Einschätzung

inhaltlich zutreffend, mehr noch: Es ist erklärungsbedürftig, warum die NPD nicht als

Bestandteil der Neonazi-Szene gelten sollte. Belege für Mehrfachmitgliedschaften

rechtsextremer Akteure in informellen Gruppen und in der NPD existieren bundesweit in

hoher Zahl. Heinrich (2008, S. 36) beschreibt die NPD zutreffend als

„… eine funktionale Bewegungspartei, die inhaltlich mit der Bewegung durch die gemeinsame Zielsetzung und gemeinsame Praxis verbunden ist. Die Verbindung erfolgt durch personelle Überlappungen und Kooperationen wie gegenseitige Dienstleistungsangebote. Solange die NPD erfolgreich ist und Ressourcen zu verteilen hat, bleibt sie auch für die Bewegungsakteure attraktiv.“

Die Überschneidungen zwischen informellen Gruppen und der NPD bedeuten auch, dass

die informelle Option im Falle ausbleibender Erfolge konventioneller Parteipolitik oder

eines Verbotes der NPD stets greifbar ist. Minkenberg (2003, S. 32f.) schreibt, die Wir-

kungen von Repression auf rechtsextreme Gruppen seien uneindeutig: Allgemein sei zu

erwarten, dass Repression nicht unbedingt den Mobilisierungsgrad beeinträchtige, sich

jedoch auf das Handlungsrepertoire auswirke. Aufgrund der in rechtsextremen Milieus

bereits vorhandenen „ideologischen Verfestigung“ komme es bei staatlichem Druck zu

einer Verhärtung der Positionen (ebd., S. 35). Vor allem durch Verbote rechtsextremer

Parteien, so Minkenberg, würden folgende Wirkungen hervorgerufen: Radikalisierung

und wachsende Militanz im Bereich der Bewegungsorganisationen, damit einhergehen-

de Delegitimierung rechtsextremer Parteien und Positionen, die sich vor allem auf das

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Umfeld auswirken und beispielsweise Einstiegsprozesse verhindern könnten, des Wei-

teren würden Parteiverbote zu einer Aufwertung konkurrierender Rechtsparteien und

der Kameradschaften führen (Minkenberg 2003, S. 36). Häufige Vereinsverbote würden

demnach das Ziel der dauerhaften Schwächung verfehlen und stattdessen differenzierte

Organisationsbemühungen sowie Verhinderungs- oder Umgehungsstrategien provozie-

ren. Repressionswirkungen seien daher aus Sicht des Staates als „kontraproduktiv“ zu

bezeichnen (ebd., S. 37). Vor dem aktuellen Hintergrund einer bereits außerordentlich

ausdifferenzierten rechtsextremen Bewegung und den elektoralen Erfolgen bzw. Er-

folgsprognosen der AfD, gewinnen die kontraproduktiven Folgen an Bedeutung. Denn es

ist zu erwarten, dass Einstiegsprozesse nicht verhindert, sondern nur umgeleitet werden.

e) Die NPD als austauschbares Vehikel

In der Vergangenheit war die NPD für die rechtsextreme Bewegung selbst eine

Fluchtoption gegen staatliche Repression – nicht nur durch den Status als Partei, son-

dern auch als Ausweichorganisation für unter Verbotsdrohung stehende Gruppen.8 Als

beispielsweise das rechtsextreme Kameradschaftsnetzwerk „Thüringer Heimatschutz“,

in dem sich auch der NSU radikalisierte, Ende der 1990er Jahre erfuhr, dass die Behör-

den ein mögliches Verbot des Gruppenverbandes prüften, traten viele THS-Aktivisten in

die NPD ein, darunter auch der mutmaßliche NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben. Man

habe, so ein ehemaliger Rechtsextremer, „reagiert […] um diesem [Verbot] vorzugrei-

fen“ (Bericht des MAD über die Befragung des Tibor R., zitiert in: Quent 2015, S. 232).

Die Innovationsstrategien rechtsextremer Akteure wirken reziprok. Es ist von komplexen

Kausalitätsketten und wechselseitigen Interaktionsdynamiken nicht nur innerhalb unter-

schiedlicher Gruppen und Akteure der rechtsextremen Bewegung auszugehen, sondern

auch in der Auseinandersetzung mit zivilgesellschaftlichen und staatlichen Gegenmaß-

nahmen, zu denen das Verbot von Vereinigungen und Parteien zählt. Das instrumentelle

Verhältnis, das viele rechtsextremen Aktivisten der Form ihrer Organisierung entge-

genbringen, ist ein wechselseitiges: Nicht nur greift die NPD auf parteiungebundene

Rechtsextreme zurück, etwa zur Unterstützung bei Veranstaltungen und Wahlkämpfen.

Die NPD selbst ist ein austauschbares Vehikel der Machtbestrebungen rechtsextremer

Akteure.

Beispielhaft zeigt dies die Bewegungskarriere von Ralf Wohlleben: In der rechtsext-

remen Jugendszene Jenas, in der Wohlleben aufwuchs (ebenso wie Uwe Böhnhardt,

Uwe Mundlos und Beate Zschäpe), spielte die NPD in den 1990er Jahren kaum eine

8 Ebenso Michael Nattke in diesem Band für das Beispiel der Region Sächsische Schweiz - Osterzge-birge.

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Rolle. Als die Aktivisten ein Verbot ihres Kameradschaftsnetzwerkes fürchteten, traten

viele von ihnen in die NPD ein und übernahmen Schlüsselpositionen im Landesver-

band. Wohlleben wurde Pressesprecher sowie stellvertretender Landesvorsitzender und

blieb zugleich in nichtparteilichen Gruppen aktiv („Nationaler Widerstand Jena“, dann

„Freies Netz Jena“). Als sein Kreisverband vergleichsweise desaströse Wahlergebnisse

erzielte und es innerhalb des Landesverbandes zu Konflikten kam, verließ Wohlleben

2009 / 2010 die Partei und führte seine Aktivitäten umstandslos in den informellen

Strukturen weiter. Viele Aktivisten, Mitglieder und Funktionäre der NPD werden im Fall

eines Verbotes der Partei in ähnlicher Weise reagieren.

Ein Verbot der NPD mag die Rechtsextremen kurzzeitig irritieren und einige Randstän-

dige abschrecken. Doch längst bestehen beispielsweise mit der Partei „Der Dritte Weg“,

der Partei „Die Rechte“, der AfD, dem Netzwerk der „Identitären Bewegung“ und

anderen informellen Gruppen und Kameradschaften, Vereinen, sogenannten Bürgeriniti-

ativen und lokalen Protestbewegungen neue Agitations- und Organisationsplattformen, in

denen Kernbestandteile der Ideologie und Programmatik der NPD selbst im Falle eines

Verbotes fortgeführt werden. Die gesellschaftlichen Ursachen des Rechtsextremismus

bleiben davon unberührt.

3. NPD-Verbot – und dann?

Schlägt man der Hydra einen Kopf ab, werden neue nachwachsen. Diese dürften noch

militanter agieren. Je mehr Köpfe nachwachsen, desto mehr geht die Übersichtlichkeit

verloren. Dies müssen auch jene wissen, die für ein Verbot der NPD streiten. Wer sich

ernsthaft mit dem Thema beschäftigt, kann gar nicht übersehen, dass ein Verbot der

NPD das Problem des Rechtsextremismus nicht lösen wird – weil dies gar nicht lösbar

ist, sondern eine Daueraufgabe darstellt.

Der Versuch, die NPD zu verbieten, ist ein symbolischer Akt, der dazu beiträgt, die Ur-

sachen von Rassismus und Rechtsextremismus zu verschleiern. Der politische Versuch,

die Ambivalenz in der Demokratie durch ein NPD-Verbot zu unterdrücken, ist selbst

Ausdruck dieser Ambivalenz – und der Hilflosigkeit des Staates im Umgang mit dem

Rechtsextremismus und seinen sozialstrukturellen Ursachen. Der Staat bringt seine

Ohnmacht zum Ausdruck, die, wie Hannah Arendt (1995) schreibt, zur Gewalt verführt.

Repression und Gewalt durch den Staat kann – wenn sie als Unrecht gedeutet wird – zur

Eskalation von ‚Gegengewalt‘ führen.

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Ein Verbot der NPD trägt dazu bei, das Feld zu fragmentieren und die Identifizierung

und gesellschaftliche Ächtung der Feinde der Demokratie zu erschweren. Es gibt mit

Ausnahme einiger Menschen in ländlichen oder abdriftenden Regionen nur wenige, die

sich zur Partei bekennen können, ohne Widerspruch und die Abkehr eines Großteiles

ihres sozialen Umfeldes zu riskieren. Das kann sich ändern, wenn viele Menschen mit

den oft chiffrierten Bezeichnungen neuer Organisationen nichts mehr assoziieren kön-

nen. Die NPD, von der sich die große Mehrheit der Gesellschaft distanziert, ist trotz der

oben genannten Schwierigkeiten leichter zu isolieren als die AfD oder rechtsextreme

„Bürgerinitiativen“, Cliquen, Interessengemeinschaften, Kameradschaften und Un-

tergrundgruppen. Als Folge von Verbot und Neuorganisierung läuft die demokratische

Zivilgesellschaft Gefahr, sich in unendliche kleinteilige Diskussionen, Beweisführungen

und Auseinandersetzungen zu verstricken.

Auch das ohnehin schon große Gefahrenpotenzial eines neuen rechten Terrors – als klan-

destine Gewalt oder als Teilzeitterrorismus – wird zunehmen, wenn für Rechtsextreme

die Möglichkeiten konventioneller politischer Betätigung eingeschränkt sind: Dann droht

die weitere Radikalisierung einer ohnehin schon äußerst gefährlichen und gewalttätigen

Bewegung. Es ist kaum zu erwarten, dass die Verfassungsschutzbehörden, die jahrelang

das rechtsextreme NSU-Terrornetzwerk nicht mal dann entdeckt haben wollen, als einer

ihrer zuständigen Beamten bei einem Mord der Gruppe im Nebenraum saß,9 Politik und

Zivilgesellschaft eine Hilfe sind, die Folgen eines NPD-Verbotes zu überblicken. Gleich-

wohl werden Forderungen, die Nachrichtendienste mit weiteren Mitteln und Privilegien

auszustatten, nicht lange auf sich warten lassen: Die liberale Demokratie demontiert

sich selbst.

9 Als der NSU 2004 in einem Kassler Internetcafé den 21-jährigen Halit Yozgat ermordete, war der hessische Verfassungsschutzbeamte Andreas Temme anwesend. Er galt der Polizei als Hauptver-dächtiger. Die Rolle von Temme und des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex ist bis heute nicht aufgeklärt.

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Autoren

Prof. Dr. Dierk Borstel (http://www.dierk-borstel.de/index.html), Professor für praxis-

orientierte Politikwissenschaften an der Fachhochschule Dortmund, derzeit baut er die

“Arbeitsstelle Deradikalisierung und Demokratieentwicklung” an der FH Dortmund auf.

Er erstellte 2013 als Untergutachter im NPD-Parteiverbotsverfahren das Gutachten

“Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern unter besonderer Berücksichtigung

der NPD” und veröffentlichte zuletzt gemeinsam mit Elise Heinz und Claudia Luzar,

“Demokratieentwicklung in Ostvorpommern, MV-Wissenschaft, Münster 2016”.

Johannes Lichdi, Rechtsanwalt und Stadtrat in Dresden, von 2004 bis 2014 Landtags-

abgeordneter und innen- und rechtspolitischer Sprecher in der Fraktion Bündnis 90 / Die

Grünen im Sächsischen Landtag. Zu Fragen eines NPD-Verbots veröffentlichte er neben

Kommentaren in der Tagespresse “Sächsische Szenen - Wie das Versagen der Zustän-

digen die Demokratie gefährdet”, im von Horst Meier herausgegebenem Band “Verbot

der NPD - Ein deutsches Staatstheater, 2015, S. 206 - 217” sowie gemeinsam mit Claus

Leggewie und Horst Meier “Das abermalige Verbotsverfahren gegen die NPD: Vom

Antrag bis zum Eröffnungsbeschluss, Recht und Politik 2016. S.1-7”.

Dr. Horst Meier (www.horst-meier-autor.de), freier Autor und Jurist, promovierte 1993

mit der Schrift “Parteiverbote und demokratische Republik”, seitdem zahlreiche Veröf-

fentlichungen in Fachzeitschriften und Tagespresse zu Fragen des Parteiverbots und der

Meinungsfreiheit, zuletzt “Verbot der NPD – ein deutsches Staatstheater in zwei Akten.

Analysen und Kritik 2001-2014, 2015” sowie gemeinsam mit Claus Leggewie “Vom

Betriebsrisiko der Demokratie. Versuch, die deutsche Extremismusdebatte vom Kopf auf

die Füße zu stellen“. In: Eckhard Jesse (Hg.), Wie gefährlich ist Extremismus? Sonder-

band der Zeitschrift für Politikwissenschaft 2015, S. 163-196.

Michael Nattke, Fachreferent des Kulturbüros Sachsen e.V., beschäftigt sich seit 2002

intensiv mit Neonazismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit insbesondere in

Sachsen. 2013 bis 2015 war er Mitglied der bundesweiten Expertenkommission “Ideo-

logien der Ungleichwertigkeit” des Stiftungsverbundes der Heinrich-Böll-Stiftungen.

In den letzten Jahren veröffentlichte er mit Grit Hanneforth, “Von Rowdys und Bom-

benbauern: Zum Zusammenspiel von Extremismusansatz und autoritärer Ordnung in

ländlichen Regionen, 2014”, mit Susanne Feustel “Das Problem der Ettiketierung: Über

„bunte Vögel“, menschenrechtsorientierte Störer_innen, antifaschistische Demokraten

und ihr Potenzial, 2014”, zuvor “Wie Fuchs und Hase beginnen auszuhandeln – Interne

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Evaluation des Projektes Horizont 21 – Demokratie leben und lernen, 2012”, “Sächsi-

sche Realitäten. Organisierte Neonazis und ihr gesellschaftliches Umfeld, 2011” sowie

“Rechtsextreme Einstellungen von BerufsschülerInnen. Eine empirische Studie, 2009”.

Matthias Quent ist Soziologe mit den Schwerpunkten politische und öffentliche Sozio-

logie und arbeitet inbesondere zu Rechtsextremismus und Demokratie. Er ist Mitglied

des Kompetenzzentrum Rechtsextremismus der Friedrich-Schiller-Universität Jena und

promoviert mit einer Arbeit über “Rassismus, Radikalisierung, Rechtsterrorismus: Eine

soziologische Untersuchung der Genese des NSU als vigilantistische Gewaltgruppe”.

Zuletzt veröffentliche er mit Raj Kollmorgen “Zur Bedeutung von sozialen Innovati-

onsbeziehungen in der Entwicklung des Rechtsextremismus (Berliner Debatte Initial

25 (2014), S. 3–15) und “Der „Volkstod“ und die Übriggebliebenen. Rechtsradikale

Angebote und Machtgewinne in abdriftenden und dörflichen Regionen (Berliner De-

batte Initial (2014), S. 40–53)”. 2015 veröffentlichte er gemeinsam mit Peter Schulz,

“Rechtsextremismus in lokalen Kontexten: Vier vergleichende Fallstudien”.

Sebastian Striegel (http://sebastian-striegel.de/) ist seit 2011 Landtagsabgeordneter

und Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag

von Sachsen-Anhalt. Er hat als Politikwissenschaftler zuvor als regionaler Berater ge-

gen Rechtsextremismus bei Miteinander e.V. gearbeitet und war u.a. für das Gebiet des

Burgenlandkreises zuständig.

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Impressum 99/ 100

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Impressum

Herausgeberschaft: im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung, Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen und der Amadeu-Antonio-Stiftung von Johannes Lichdi

Redaktion und Lektorat: Johannes Lichdi

Layout: Antje Meichsner

Fotos: Antje Meichsner (S. 6, 10, 16, 34, 42, 52, 76, 94, 98) Christian Ditsch (S. 59, 67) and (S. 63) Elias Gerling (S. 69) Die Rechte an den Fotos bleiben den Autor_innen vorbehalten.

Erscheinungsort: www.weiterdenken.de, Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen, Schützengasse 18, 01067 Dresden

Erscheinungsdatum: Februar 2016

ISBN: 978-3-946541-06-6 (für dieses pdf)

Weitere E-Books zum Downloaden unter www.weiterdenken.de/de/publikationen0

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