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Edgar Allan Poe Unheimliche und phantastische Geschichten Band 1 1832–1838 Aus dem Amerikanischen von Wolf Durian, Gisela Etzel, Marie Ewers, Emmy Keller und Karl Lerbs Anaconda

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Edgar Allan

PoeUnheimliche und phantastische Geschichten

Band 1

1832–1838

Aus dem Amerikanischen von Wolf Durian, Gisela Etzel, Marie Ewers, Emmy Keller und Karl Lerbs

Anaconda

Poe Erzählungen Bd1_Layout 1 02.03.2018 14:46 Seite 3

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2018 Anaconda Verlag GmbH, KölnAlle Rechte vorbehalten.Umschlagmotive: Old label design for Whiskey, Shutterstock/Roberto Castillo. – Cat, black silhouette, Shutterstock/janistaUmschlaggestaltung: www.katjaholst.deSatz und Layout: www.paque.dePrinted in Czech Republic 2018ISBN [email protected]

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Inhalt

7 Metzengerstein20 Der Duc de l’Omelette26 Eine Geschichte aus Jerusalem32 Der verlorene Atem52 Bon-Bon77 Das Manuskript in der Flasche93 Das Stelldichein

110 Berenice123 Morella132 Der Löwe140 Das unvergleichliche Abenteuer

eines gewissen Hans Pfaall207 König Pest224 Schatten228 Vier Tiere in einem240 Die denkwürdigen Erlebnisse

des Artur Gordon Pym467 Eine Fopperei481 Schweigen486 Ligeia510 Wie man einen Blackwood-Artikel schreibt527 Ein furchtbares Erlebnis

542 Quellenverzeichnis

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Metzengerstein

Pestis eram vivus – moriens tua mors ero.Martin Luther

Schrecken und Verhängnis stampfen dahin durch alleJahrhunderte. Warum also die Zeit angeben, in der sichdas ereignete, was ich euch jetzt berichten will? Magdie Angabe genügen, dass es damals war, als man im In-nern Ungarns fest, wenn auch nur im Geheimen, derLehre von der Seelenwanderung anhing. Von der Lehreselbst, das heißt davon, ob sie möglich oder unmöglichsei, will ich nicht reden. Ich behaupte indes, dass unsereUngläubigkeit zum großen Teil demselben Quell ent-springt, von dem La Bruyère unser Unglück herleitet: ilvient de ne pouvoir être seuls.*

Doch im Aberglauben der Ungarn gab es Dinge,die nahe an Abgeschmacktheit grenzten. Sie, die Un-garn, wichen in ihren Anschauungen weit ab von de-nen ihrer östlichen Vorbilder. So sagten zum Beispieljene: »die Seele« – ich zitiere hier die Worte eines ge-wissenhaften und gelehrten Parisers – »ne demeurequ’une seule fois dans un corps sensible. Ainsi – un

* Mercier tritt in »L’an deux mille quatre cent quarante« ernstlich für dieLehre von der Seelenwanderung ein, und I. d’Israeli sagt: »Kein Systemist so klar und widerstrebt so wenig dem Verstand.« Auch von ColonelEthan Allen, dem »Sohn der Grünen Berge«, heißt es, dass er ein erns-ter Anhänger der Lehre von der Seelenwanderung gewesen sei.

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cheval, un chien, un homme même, n’est que la res-semblance illusoire de ces êtres.«

Die Familien Berlifitzing und Metzengerstein lagenseit Jahrhunderten in Zwist. Nie noch sah man zweiso erlauchte Häuser in so erbitterter und tödlicherFeindschaft. Sie mochte in den Worten einer uraltenProphezeiung begründet sein, die also lautete: Einstolzer Name soll in Schrecken untergehen, wenn, wieder Reiter über sein Ross, die Sterblichkeit von Met-zengerstein triumphieren wird über die Unsterblich-keit von Berlifitzing.

Gewiss, die Worte an sich hatten wenig oder gar kei-nen Sinn. Doch unbedeutendere Ursachen haben –und dies vor nicht allzu langer Zeit – geradeso schwer-wiegende Folgen gehabt. Übrigens hatten die beidenbenachbarten Familien lange Zeit darin gewetteifert,ihren Einfluss auf die Regierungsgeschäfte geltend zumachen. Ferner sind Nachbarn selten Freunde, und dieBewohner des Schlosses Berlifitzing konnten von ihrenhohen Säulengängen bis in die Fenster der Burg Met-zengerstein sehen. Und überdies hatte sich die mehr alslehnsherrliche Pracht der Metzengerstein in einer Artund Weise geäußert, dass sie den leicht erregbaren Stolzder weniger ahnenreichen und weniger begütertenBerlifitzings verletzen musste. Was Wunder also, dass je-ne Prophezeiung, so dumm sie auch klingen mochte,eine Feindschaft zwischen den zwei Familien zuwegebrachte, die ohnedies durch erbliche Belastung zu Streitund Eifersucht veranlagt waren. Die Prophezeiungschien, wenn sie irgendetwas besagte, so jedenfalls einenendgültigen Triumph des bereits jetzt mächtigerenHauses anzukünden und wurde darum mit umso bitte-

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rerem Hass von der schwächeren und weniger einfluss-reichen Partei im Gedächtnis behalten.

Wilhelm Graf Berlifitzing war, obgleich von hoherAbkunft, zur Zeit dieser Erzählung ein kraftloser undkindischer Greis. Er hatte weiter nichts Bemerkens-wertes an sich als eine übertriebene und hartnäckigeAbneigung gegen die Familie seines Nebenbuhlersund eine so leidenschaftliche Liebe für Pferde undJagd, dass weder seine körperliche Schwäche nochsein hohes Alter oder sein Schwachsinn ihn davon ab-halten konnten, täglich an den Gefahren des Jagdver-gnügens teilzunehmen.

Friedrich Baron Metzengerstein dagegen war nochnicht einmal mündig. Sein Vater, der Minister gewesen,starb in jungen Jahren. Seine Mutter, Baronin Marie,war ihm bald ins Grab gefolgt. Friedrich war damalsachtzehn Jahre alt. In einer Stadt sind achtzehn Jahrekeine lange Zeitspanne; in einer Wildnis aber, in derköstlichen Einsamkeit dieses alten Stammsitzes, hat je-der Pendelschwung weit tiefere Bedeutung.

Zufolge besonderer Bestimmungen des Hausgesetzestrat der Baron bei Ableben seines Vaters sogleich dieHerrschaft über die ausgedehnten Besitzungen an. Sel-ten wohl hatte ein ungarischer Edelmann solch herrli-che Güter besessen. Zahllose Schlösser waren sein. Dasbedeutendste an Pracht und Ausdehnung war SchlossMetzengerstein. Die Grenzlinie seines Gebietes warniemals sicher festgestellt, aber allein der große Parkhatte einen Umfang von fünfzig Meilen.

Als der so jugendliche Herr, dessen Charakter allge-mein bekannt war, in den unbeschränkten Besitz desriesigen Vermögens kam, war man sich über sein künf-

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Edgar Allan

PoeUnheimliche und phantastische Geschichten

Band 2

1839–1843

Aus dem Amerikanischen von Wolf Durian, Gisela Etzel, Marie Ewers, Emmy Keller und Karl Lerbs

Anaconda

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Inhalt

7 Der Teufel im Glockenstuhl20 Der Mann, der aufgerieben worden war36 Der Untergang des Hauses Usher67 William Wilson99 Das Gespräch zwischen Eiros und Charmion

109 Warum der kleine Franzose die Handin der Schlinge trägt

117 Das Tagebuch des Julius Rodman228 Der Geschäftsmann244 Der Mann der Menge258 Der Doppelmord in der Rue Morgue320 Hinab in den Maelström348 Die Insel der Fee357 Das Zwiegespräch zwischen Monos und Una374 Eleonora384 Verwette niemals dem Teufel deinen Kopf400 Drei Sonntage in einer Woche411 Das ovale Porträt419 Die Maske des Roten Todes429 Das Geheimnis der Marie Rogêt506 Wassergrube und Pendel531 Das schwatzende Herz

540 Quellenverzeichnis

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Der Teufel im Glockenstuhl

Was hat die Uhr geschlagen?Alte Redensart

Der schönste Ort von der Welt ist – oder vielmehrwar –, wie jedermann weiß, der holländische Burg-flecken Vondervotteimittis. Da er aber etwas abseitsvon der Heerstraße liegt, so haben vielleicht nurwenige meiner Leser ihm je einen Besuch abgestat-tet. Um dieser Letzteren willen ist es also wohl ge-rechtfertigt, wenn ich das Städtchen ein wenig be-schreibe; und dies ist umso nötiger, als ich in derHoffnung, die allgemeine Teilnahme dorthin zu len-ken, hier einen Bericht der unheilvollen Ereignissegeben will, die sich unlängst dort zutrugen. Wermich kennt, wird nicht daran zweifeln, dass ichmich dieser freiwillig übernommenen Pflicht nachbestem Wissen und Gewissen erledigen werde – mitall der kühlen Unparteilichkeit und Sachlichkeit,wie sie dem zukommt, der auf den Titel eines Ge-schichtsschreibers Anspruch erhebt.

Durch das Studium von Münzen, Handschriftenund Inschriften bin ich in der Lage, feststellen zukönnen, dass der Ort Vondervotteimittis seit seinerGründung stets so ausgesehen hat wie heutzutagenoch. Den Zeitpunkt jener Gründung aber kannich leider nur mit eben der unklaren Klarheit ange-

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ben, wie sie zuweilen von Mathematikern bei ge-wissen algebraischen Formeln angewendet wird. Ichkann also sagen, in Anbetracht des hohen Alters die-ses Ortes dürfte das Datum seiner Gründung ohneZweifel so weit zurückliegen, wie es zu berechnenuns überhaupt möglich ist.

Was nun die Frage nach der Herkunft des Na-mens Vondervotteimittis anlangt, so bekenne ich,dass auch dies sich von mir nicht mit Sicherheitfeststellen ließ. Unter einer Unzahl verschiedenerMeinungen über diesen heiklen Punkt – spitzfin-digen und gelehrten oder auch dem Gegenteil vonbeiden – konnte ich nichts wirklich Überzeugen-des herausfinden. Vielleicht wäre der Ansicht vonGrogswigg – die fast mit jener von Kroutaplenteyübereinstimmt – unter Vorbehalt beizustimmen.Sie lautet: »Vondervotteimittis – Vonder, lies Don-der – Votteimittis, quasi und Bleitziz – Bleitziz, ver-altet für Blitzen.« Tatsächlich findet diese Ableitungeinigermaßen ihre Unterstützung durch gewisseelektrische Entladungen auf der Spitze des Rat-hausturmes. Ich muss jedoch in einer so wichtigenFrage die Verantwortung ablehnen und verweiseden Leser auf die »Oratiunculae de Rebus Praete-ritis« von Dundergutz; siehe auch Blunderbuzzard»De Derivationibus«, pag. 27-5010, Folio, gotischeAusgabe, rote und schwarze Schrift, Schlagwort,keine Zahlen – das auch Randbemerkungen vonder Hand von Stuffundpuff mit Kommentaren vonGrundundguzzel enthält.

Ungeachtet der Unklarheit, in der wir bezüglichdes Zeitpunktes seiner Gründung und der Ablei-

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tung feines Namens sind, so kann, wie ich schonvorher sagte, kein Zweifel sein, dass Vondervottei-mittis immer so ausgesehen hat wie heutigen Tages.Der älteste Mann im Ort weiß von keiner – auchnicht der geringsten – Veränderung des Ortes, undin der Tat: Schon der Gedanke an eine solche Mög-lichkeit ist eine Entweihung. Der Burgflecken liegtin einem kreisrunden Tal von etwa einer Viertelmei-le Umfang, das von sanften Hügeln umgeben ist, diezu überschreiten die Bevölkerung nie gewagt hat.Sie begründet das damit, dass nach ihrer Meinungauf der anderen Seite überhaupt gar nichts mehr sei.

Das Tal selbst ist ganz eben und durchweg mitKacheln gepflastert; an seinem Rand hin zieht sicheine Reihe von sechzig kleinen Häusern. Diese,die mit dem Rücken an die Hügel lehnen, blickenalle nach dem Mittelpunkt der Ebene, der von je-der Haustür genau sechzig Meter entfernt ist. JedesHaus hat einen kleinen Garten vor sich, mit einemkreisrunden Fußweg, einer Sonnenuhr und vier-undzwanzig Kohlköpfen. Die Bauten selbst sindeinander so völlig gleich, dass man keinen vom an-deren unterscheiden kann. Infolge ihres hohen Al-ters haben sie einen etwas seltsamen Baustil, deraber darum nicht weniger malerisch ist. Sie sindaus kleinen, roten, schwarzumrandeten Ziegelnaufgebaut, sodass die Mauern wie ein Schachbrettaussehen. Die Häuser tragen ihre Giebel nachvorn, und über der Dachtraufe und dem Haupttorsind Kranzleisten – fast so mächtig wie das ganzeübrige Haus. Die Fenster sind schmal und tief mitwinzig kleinen Scheiben und viel Holzverscha-

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Edgar Allan

PoeUnheimliche und phantastische Geschichten

Band 3

1843–1849

Aus dem Amerikanischen von Wolf Durian, Gisela Etzel, Marie Ewers, Emmy Keller und Karl Lerbs

Anaconda

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Inhalt

7 Der Goldkäfer

61 Die schwarze Katze

76 Über den Schwindel als Wissenschaft

92 Die Brille

128 Eine Erzählung aus den Ragged Mountains

144 Der Lügenballon

164 Lebendig begraben

184 Eine mesmeristische Offenbarung

200 Die längliche Kiste

217 Der Engel des Sonderbaren

232 »Du bist der Mann«

253 Des wohlachtbaren Mr Thingum Bob,früheren Herausgeber der »Blechschmiede«,literarischer Werdegang

286 Der entwendete Brief

314 Die 1002. Nacht der Scheherazade

342 Unterredung mit einer Mumie

365 Die Schöpferkraft der Worte

372 Der Teufel der Verkehrtheit

381 Das System des Dr. Teer und Prof. Feder

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407 Die Tatsachen im Fall Waldemar

421 Die Sphinx

428 Das Fass Amontillado

438 Der Herrschaftssitz Arnheim

461 Mellonta Tauta

484 Hopp-Frosch

498 Von Kempelen und seine Entdeckung

509 Der ver-x-te Artikel

519 Landors Landhaus

538 Quellenverzeichnis

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Der Goldkäfer

Holla, holla! Der Bursche tanzt wie toll!Es hat ihn die Tarantula gebissen.All in the Wrong

Vor vielen Jahren stand ich in nahen Beziehungen zueinem Herrn William Legrand. Er entstammte einer al-ten Hugenottenfamilie und war einst wohlhabend ge-wesen; durch allerlei Unglücksfälle aber war sein Ver-mögen zusammengeschmolzen, sodass er nur noch dasNötigste hatte. Um Demütigungen auszuweichen, ver-ließ er New Orleans, die Heimat seiner Väter, und ließsich auf Sullivans Insel nahe bei Charleston in Süd-Ca-rolina nieder.

Diese Insel ist recht merkwürdig. Sie besteht fastganz aus Seesand und ist etwa drei Meilen lang. IhreBreite beträgt nirgends mehr als eine Viertelmeile. VomFestland ist sie durch einen schmalen Meeresarm ge-trennt, der sich durch eine Wildnis von Schilf undSchlamm mühsam seinen Weg sucht und ein Lieblings-aufenthalt des Marschhuhns ist. Die Vegetation ist, wiesich denken lässt, spärlich und zwerghaft. Größere Bäu-me gibt es nicht; doch findet sich am Westende, da, woFort Moultrie steht, die stachlige Zwergpalme. Auch ei-nige Holzhäuser stehen hier, Sommerwohnungen vonCharlestoner Bürgern, die dem Staub und dem Fieberzu entfliehen trachten. Der ganze übrige Teil der Insel,

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mit Ausnahme des harten weißen Strandes, ist dicht be-wuchert von der wohlriechenden Myrte, die bei engli-schen Gärtnern sehr gesucht ist. Der einzelne Straucherreicht hier oft eine Höhe von fünfzehn bis zwanzigFuß und bildet ein undurchdringliches Buschwerk, dasdie Luft in weitem Umkreis mit Wohlgerüchen tränkt.

Mitten in diesem Myrtendickicht, nicht weit von dereinsamen Ostküste der Insel, hatte Legrand sich einekleine Hütte gezimmert, die er damals bewohnte, alsich ihn rein zufällig kennen lernte. Wir wurden bald zuFreunden, denn der Einsiedler gewann mir Achtungund Interesse ab. Ich fand in ihm einen gebildetenMann von hervorragenden Geistesgaben, nur war ersehr menschenscheu und abwechselnd krankhaften An-fällen von Begeisterung und von Schwermut unter-worfen. Er hatte viele Bücher bei sich, von denen eraber selten Gebrauch machte. Sein Hauptvergnügenwar Fischen und Jagen; doch schlenderte er auch gernam Strand entlang, um Muscheln zu suchen, oderdurchforschte das Myrtendickicht nach seltenen Insek-ten. Von letzteren besaß er eine Sammlung, um dieselbst ein Swammerdam ihn beneidet hätte. Bei seinenWanderungen begleitete ihn in der Regel ein alter Ne-ger namens Jupiter, der von der Familie seines Herrn,als diese noch wohlhabend gewesen, die Freiheit erhal-ten hatte, aber weder durch Drohungen noch Verspre-chungen zu bestimmen gewesen war, die Fürsorge fürseinen jungen »Massa Will« aufzugeben. Es ist nicht un-wahrscheinlich, dass die Verwandten Legrands dem Ne-ger diese Halsstarrigkeit eingegeben hatten, weil es ih-nen gut schien, den exzentrisch veranlagten jungenMann behütet und überwacht zu sehen.

8 Der Goldkäfer

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Sullivans Insel liegt auf einem Breitengrad, auf demein strenger Winter selten ist und man nur ausnahms-weise einmal eines wärmenden Feuers bedarf. MitteOktober 18.. aber hatten wir einen sehr frostigen Tag.Gegen Sonnenuntergang bahnte ich mir meinen Wegdurchs immergrüne Buschwerk zur Hütte meinesFreundes, den ich seit Wochen nicht besucht hatte. Ichwohnte damals in Charleston, das neun Meilen von derInsel entfernt liegt, und die Reiseverbindungen warenjenerzeit nicht so bequem wie heutzutage. Als ich dieHütte erreicht hatte, klopfte ich wie gewöhnlich an,und als ich keine Antwort bekam, nahm ich denSchlüssel aus dem mir bekannten Versteck, schloss aufund trat ein. Im Kamin brannte ein kräftiges Feuer – ei-ne mir keineswegs unwillkommene Überraschung. Ichwarf den Überzieher ab, rückte mir einen Lehnstuhl andie knisternden Scheite und erwartete geduldig dieHeimkehr meiner Wirte.

Sie kamen bald nach Dunkelwerden und begrüßtenmich herzlich. Jupiter grinste von einem Ohr bis zumandern, während er sich anschickte, uns ein paarMarschhühner zum Abendessen zu bereiten. Legrandhatte einen seiner Begeisterungsanfälle – ich kann esnicht anders nennen. Er hatte eine unbekannte zwei-schalige Molluske gefunden, die eine neue Gattung bil-dete, und mehr noch: Er hatte mit Jupiters Hilfe einenKäfer eingefangen, den er für etwas ganz Neues hielt,worüber er aber noch am andern Morgen meine Mei-nung hören wollte.

»Und warum nicht schon heute?«, fragte ich undwärmte meine Hände über der Flamme; in meinem In-nern wünschte ich alle Käfer der Welt zum Teufel.

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