Edgar Hilsenrath

32
Edgar Hilsenrath Zusammengestellt von : Stumpf Enikő, Kanyó Ferenc und D. Szabó Mirjam

description

Edgar Hilsenrath. Zusammengestellt von : Stumpf Enikő, Kanyó Ferenc und D. Szabó Mirjam. Geschichtlicher, autobiographischer Hintergrund Im Sommer 1938 schickt der Vater seine Familie ins Ausland (Siret, Bukowina). Einige Monate später → Reichskristallnacht in Deutschland. - PowerPoint PPT Presentation

Transcript of Edgar Hilsenrath

Page 1: Edgar Hilsenrath

Edgar Hilsenrath

Zusammengestellt von : Stumpf Enikő, Kanyó Ferenc und D. Szabó Mirjam

Page 2: Edgar Hilsenrath

Geschichtlicher, autobiographischer Hintergrund

- Im Sommer 1938 schickt der Vater seine Familie ins Ausland (Siret, Bukowina).

- Einige Monate später → Reichskristallnacht in Deutschland.

- In Rumänien kam eine faschistische Regierung an die Macht.

- Erste Judengesetze traten in Kraft → Pogrome fanden statt.

- Rußlandinvasion, rumänische Truppen kämpfen an der Seite der Deutschen → Vertrag von Tiraspol (1941 August, „Transnistria).

- 1941 Oktober → Juden wurden in Transnistria gebracht (Antonescu).

Page 3: Edgar Hilsenrath

- 14. Oktober → Hilsenrath wurde abtransportiert.

- Er wurde ins jüdische Ghetto Moghilev-Podolsk gebracht.

- Im Ghetto herrschen Hunger, Typhus, Fleckfieber und Cholera.

- Bis April 1944 starben 40.000 Menschen.

- 1944 März → die Russen „befreiten” Transnistria.

- Danach kam Palästina, 1947 Frankreich, 1951 USA

- 1966 wurde Nacht veröffentlicht

.

Page 4: Edgar Hilsenrath

Nacht

- Hilsenrath erscheint als Chronist.- Schauplatz ist Prokow.- Kein gezielter Mord, sondern Hungertod.

• „Komisch, dabei ist es so still draußen. Die Polizei kümmert sich nicht mehr um uns. Manchmal kommt’s mir vor, als hätten die Behörden das Nachtasyl vergessen.”„Sie haben uns nicht vergessen.”„Dann…warum?”„Sie wollen, daß wir hier friedlich verrecken.”„Ich glaube, du hast Recht.”

- Hunger und sehr schlechte hygienischen Verhältnisse → Seuchen.

- Kampf ums Überleben.

Page 5: Edgar Hilsenrath

- Ghettoeigene Polizei = „Treiber”.

• „Erinnerst du dich noch an die Zeit, als die Razzien ausschließlich von ukrainischer Miliz und rumänischen Soldaten durchgeführt wurden?”„Klar. Damals war ich schon hier.”„Also du auch? Unter den allerersten, was?”„Ja.”Sigi strich sich nachdenklich mit den dünnen Händen über den rasierten Schädel. „Wär hätte wohl damals gedacht, dass wir ’ne jüdische Polizei in Prokow kriegen würden?”„Kein Mensch.”„Das stimmt. Kein Mensch hätte damals an so was verrücktes gedacht.”Ranek nickte gleichgültig.„Und doch”, fuhr Sigi redselig fort, „ist es gar nicht mal so verrückt. Die Behörden sind nämlich nicht auf den Kopf gefallen, und die Idee mit der jüdischen Polizei ist nicht so ohne. Es klappt in anderen Gettos, die unter deutscher Aufsicht sind. Warum soll es nicht hier klappen? Die Rumänen haben viel von den deutschen gelernt. Sie wissen, daß die Gründung der jüdischen Polizei den Razzien, wie man so sagt ’nen Schein von Legalität gibt. Verstehst du doch, was? Wenn Juden Jagd auf Juden machen, dann muß es schon richtig sein. Wozu braucht ihr uns dazu? Ihr könnt euren Saustall selbst reinigen.”„Die jüdische Polizei macht’s nicht allein”, sagte Ranek jetzt. „Es gehen immer noch ein Paar Rumänen und Ukrainer mit.”„Vorläufig. Aber das wird aufhören, sobald die jüdische Polizei beweisen wird, daß sie’s allein schaffen kann.”

Page 6: Edgar Hilsenrath

- Prokow ist ein fiktiver Ort.

„ Prokow am Dnjestr ist ein symbolisches

Ghetto; es ist auf keiner Landkarte zu finden.

Seine Ruinen können überall stehen und seine

Menschen überall leben, wo das Rad der

Geschichte um Jahrtausende zurückgedreht

wird.”

Page 7: Edgar Hilsenrath

- Für Ihn war Schreiben eine Therapie:

„Schreiben war für mich immer Therapie. Ich litt an Depressionen.

Mit zwölf aus der Schule raus, die Welt, die während des Krieges für

uns still stand ..., da konnten die meisten den Anschluß nicht mehr

finden. Mit zwanzig hatte ich sehr viele Identitätskrisen. Das lag an

der unterbrochenen Entwicklung. Ich war wie aus der Bahn geworfen,

wußte nicht was ich machen sollte, wußte nicht, wozu ich überhaupt

da war. Das Schreiben hat viel gelöst. Nach den ersten neun bis zwölf

Seiten von "Nacht" war ich wie befreit. Ich hatte mein Ziel gefunden.

Ab da hatte ich keine Depressionen mehr.”

Page 8: Edgar Hilsenrath

Die Geschichte des Buchs

a) Der Dornenweg des Buchs– 1964 der Roman erscheint im Helmut Kindler Verlag

– Im Verlag gibt es eine heftige Opposition gegen das Buch. Ein jüdischer Mitarbeiter, der das KZ Auschwitz überlebt hat, sieht in dem Text eine Verunglimpfung der jüdischen Opfer

– Kindler beschließt zwar den Vertrag zu erfüllen, also das Buch in einer kleinen Auflage zu veröffentlichen, aber es weder auf der Buchmesse zu präsentieren, noch nennenswert dafür zu werben

– Das Buch erscheint und verschwindet – durch Ausverkauf der kleinen, ersten Auflage – nach wenigen Monaten vom Buchmarkt.

– 1250 Stücke ausgegeben

– 791 Exemplare wurden seinerzeit verkauft

Page 9: Edgar Hilsenrath

– Mai 1965 geht Hilsenrath nach Deutschland, um sein Buch durch Präsenz und persönliches Bemühen zu fördern. Der Verlag verheimlicht ihm die Entscheidung gegen den Roman.

– Im selben Jahr lehnt der Verlag eine Zweitauflage ab, da man "die falsche Reaktion des deutschen Publikums fürchte„

– 1966 veröffentlicht der New Yorker Verlag Doubleday &Company den Roman unter dem Titel "Night" (in Übersetzung von Michael Roloff)

– die amerikanische Ausgabe ist inzwischen bei 500000 Stück angelangt

– Juli 1967 wird Hilsenrath vom Cheflektor des Doubleday–Verlages gefragt, ob er einen zweiten Roman für Doubleday schreiben wolle

– So schreibt er den Roman "Der jüdische Friseur".

Page 10: Edgar Hilsenrath

– Er wird 1971 in New York unter dem Titel "The Nazi & the Barber" veröffentlicht.

– 1975 zieht Hilsenrath nach Berlin wo er heute noch lebt.– 1977 Im Literarischen Verlag Helmut Braun publiziert Hilsenrath sein

Buch "Der Nazi & und der Friseur"– Inerhalb weniger Monate ist der Autor in Deutschland berühmt.– 1978 erscheint eine Neuauflage des Romans "Nacht" mit einer

Startauflage von 50000

Page 11: Edgar Hilsenrath

b) Fiktion oder Dokumentation?– Der Roman ist kein autobiographischer Roman - „ich bin nicht

Ranek”– Hat aber autobiographische Züge, wie die meisten Romane von

Hilsenrath– Viele sagen, der Roman sei ein Dokumentationsroman und viele

sagen, der sei es nicht

„Denn es handelt sich bei dieser Gigantomachie des Entsetzens […]in jeder Hinsicht um ein Kunstwerk, nicht um eine Dokumentation. Und es ist das Erstaunliche an diesem Buch, daß es trotz der romanhaften Handlung alle Fakten eines Dokumentarberichts von nie gekannter

Furchtbarkeit und Endgültigkeit vorweist. Dem Autor ist es gelungen, diese beweiskräftigen Fakten, das sogenannte epische Material, von den realen Gegebenheiten zu lösen und zur Dichtung zu erheben.”

/Peter Jokostra/

Page 12: Edgar Hilsenrath

– es fehlen genaue Fakten, Zahlen und Daten

– viel zu subjektiv

– aus der Sichtweise einzelner Personen bzw. Ranek beschränkt

– fiktiver Tatsachenroman

c) Warum ist dieses Buch anders als andere?– Vor Hilsenraths Roman Nacht geht es in der Holocaustliteratur immer

um das deutsche Lager

– Über das rumänische Ghetto schreibt er als erster

– Das Buch bricht mit den Konventionen die die Juden als „edlen Opfern” betrachten

Page 13: Edgar Hilsenrath

Der Roman

„Der Mensch wird dem Menschen zum Wolf, wenn

man ihn bedroht.”

Page 14: Edgar Hilsenrath

• Das Buch verfolgt den Überlebenskampf der

Hauptfigur Ranek im Prokower Ghetto ungefähr

ein Jahr lang

• 4 Teile

• Zeit hat nur eine sekundäre Bedeutung

• Sprache: wie eine Dokumentation, er berichtet

nur

Page 15: Edgar Hilsenrath

Das Leben im Ghetto• Die Nacht = Hetzjagd auf Menschen

Verschleppung

Als Obdachloser erschossen werden

Pure Angst

Angst vor Razzien

Schreiende Opfer

Begegnung mit dem Tod

• Es gibt drei Schichten in der Gesellschaft:die Obdachlosen,

die ein Zuhause haben,

Die auch hier gut Leben

Page 16: Edgar Hilsenrath

Zimmer des Schusters

„Er blickte sich jetzt im Zimmer um. Sein Staunen kannte keine Grenzen. Keine Schlafpritsche, sondern ein breites Bett, ein gutes Bett, ein richtiges Bett. Ein dicker Teppich auf dem Fußboden. Ein runder Tisch… und Stühle, die vier Beine hatten. Ein Altmodischer Klubsessel. Eine Kommode mit drehbarem Spiegel. Ein zierlicher Nachttisch, auf dem eine Blumenvase stand… Also, so etwas gab es noch?”

Blums Wohnung

„Blum wohnte schön. Es war ein sauberes Quartier, in dem höchstens zehn bis fünfzehn Leute wohnten. Am Fenster hingen Gardinen, und auf dem Fensterbrett stand ein großer Blumentopf. (…) Blum war ein beleibter Mann mit (…) einem fetten, gelben, mürrischen Gesicht.”

die Kleider des Dicken

„Der geht aber gut angezogen: [ins Bordell] die Seidenkrawatte, das feine Hemd, der feine Anzug – Klasse, was? Und hast du seine Schuhe gesehen? Lackschuhe, jawohl mein Junge, echte Lackschuhe.”

Page 17: Edgar Hilsenrath

• Man versucht aus allem einen Nutzen zu ziehen „Das Geschäft wurde immer besser. Scharenweise kamen die Leute aus

den Massenquartieren zu ihm geströmt, um sich die Haare scheren zu lassen, solange sie lebten, natürlich, dachte er schmunzelnd, und wenn sie starben, dann wanderten ihre Schuhe, Kleider und Goldzähne in seinen Laden. Und dann kamen die Händler… meistens erst gegen Abend… um diese Zeit.”

• Hunger „… der Hunger ist wie ein Wurm; er nagt und nagt, und du spürst langsam

wie er dich von innen her auffrißt. Du möchtest ihn auskotzen und ihn zertreten, aber das geht nicht, Ranek. Du wirst den Wurm nicht los. Alles was du tun kannst, ist, ihn besänftigen, ihn beruhigen. Gib ihm etwas zu fressen. Dann ist er beschäftigt. Dann läßt er dich in Ruhe.”

„… aber als er jetzt die Suppe in greifbarer Nähe vor sich sah, da konnte er sich nicht mehr beherrschen. Er riß dem Kind die Schüssel aus den Händen. Und er fing mit Heißhunger zu essen an.”

Page 18: Edgar Hilsenrath

• Unterhaltung

„Der Polizist nickte gleichgültig. Er sagte: „Das ist mir hier zu langweilig;

komm wieder zurück, wir können noch ’ne Nummer schieben.”

(…)

Der Hure schoß das Blut vor Erregung ins Gesicht, (…) sie beugte sich so

weit wie möglich vor um besser sehen zu können; ihre Arme

schlenkerten nervös, die großen Brüste wippten. Die Leute feuerten Ranek

und den Jungen an, und die Hure stimmte mit ihnen ein.”

„Nachdem sie sich wortlos entfernt hatte, reihte Ranek sich hinter dem

Menschenhaufen an. Warum auch nicht? dachte er achselzuckend;

schließlich ist jedes Schauspiel gut, wenn es einen Zweck erfüllt - ablenkt,

damit man nicht mehr nachzudenken braucht.”

Page 19: Edgar Hilsenrath

„Vor einem Haustor spielte ein Kind. Es spielte mit dem aufgelösten,

weichen, welligen Haar einer Frauenleiche, die am Vormittag aus dem

Fenster geworfen worden war. Die Leiche war nicht geplatzt, denn es

war ein niedriges Fenster(…). Soeben beugte sich ein kahlköpfiger

Mann heraus und schüttete einen Eimer Wasser auf die Straße. Das

Kind (…) sprang lachend zur Seite und freute sich darüber, wie gut der

Mann am Fenster geziehlt hatte, denn die Leiche hatte sich (…)

umgedreht. (…) Es dachte: Ob sie wohl jetzt aufstehen wird? (…) Als

jedoch nichts geschah, hob das enttäuschte Kind einen platten Stein auf

und warf ihn ärgerlich auf den starren Körper.”

Page 20: Edgar Hilsenrath

• Der Tod ist zum alltäglichen geworden

Ranek sieht Fred (seinen Bruder) an, der bald stirbt

„Er hatte ihn kopfschüttelnd betrachtet und war dann zu dem Schluß

gekommen, daß es besser für ihn sei, wenn er nicht mehr lange litt. Fred

würde unter der Treppe sterben… so wie Levi. Man durfte das nicht zu

tragisch nehmen. Ein schmerzliches, aber unvermeidliches Ereignis war

besser, wenn es früher eintrat als später; man mußte sich eben nur an den

Gedanken gewöhnen und sich mit ihm abfinden.”

• Angst

Page 21: Edgar Hilsenrath

Resignation und Gleichgültigkeit

• Die Einwohner finden sich mit ihrer Situation ab, keine Fragen

… „Er packte sie an den Haaren und trommlte mit der einen freien Faust von hinten auf ihren Kopf, bis sie in die Knie ging; er stieß sie aufs Pflaster und trat mit seinen verbundenen Füßen in ihr Gesicht, immer wieder, immer wieder, ohne auf ihre dumpfen Hilferufe zu achten (…)

Die Frau und das Kind gingen weiter.

Das Kind drehte sich fortwährend neugierig um, aber die Frau zog es energisch mit sich fort.

„Warum hat er sie so geschlagen?” fragte das Kind ein wenig später seine Mutter.

„Sie hat was verbrochen”, sagte die Mutter.

„Sie hat doch bloß gegessen?” fragte das Kind.

„Das ist es eben”, sagte die Mutter.

Page 22: Edgar Hilsenrath

„… Ranek lag auf dem Trottoir. Stellen Sie sich das mal vor. Auf dem

Trottoir in der Puschkinskaja. Bei dem fürchterlichen Gedränge. Und die

Vorübergehenden sahen ihn nicht mal, denn die sehen so was nie. Wer

guckt denn hin, wenn irgendetwas auf der Straße liegt… ein Hund, eine

Katze oder ein Mensch? Er lag da, wie ein krankes Tier, das vom Verkehr

plattgetreten wird…”

• bedeutungslos, gleichgültig, es ist egal, geht niemanden

was an, vergessen, Achselzucken „Die Nachricht von Raneks Tod wurde von den Leuten des Nachtasyls mit

sturer Gleichgültigkeit aufgenommen. Seine näheren Bekannten zuckten die

Achseln; er war eben nur einer der vielen Fälle, die früher oder später von

der Bildfläche verschwanden, es war am besten, die Sache so schnell wie

möglich zu vergessen.”

Page 23: Edgar Hilsenrath

• Keine Klage, keine Flucht, keine Pläne für einen Aufstand

„Sekundenlang setzte sich ein wahnwitziger Gedanke in seinem Hirn fest,

um dann gleich wieder auszulöschen wie ein gefährlicher Funke Feuer,

über den man sofort kaltes Wasser gießt. Nein, dachte er, Flucht aus dem

Getto ist Wahnsinn. Es gibt nur eines: Abzuwarten bis der Krieg zu Ende

ist.

Er hatte den Gedanken an eine Rückkehr in die alte Heimat schon öfter

erwogen, aber immer wieder verworfen. Die Flucht war an sich nicht

schwierig. Die Wächter auf der Brücke waren leicht zu täuschen; man

brauchte ja nur nachts durch den Fluß zu schwimmen, und man war drüben

in Rumänien. Aber was dann? Wohin sollte man gehen? Ohne Papiere?

Und mit dem Stempel, der einem ins Gesicht geschrieben stand? Drüben

fiel man sofort auf, und wer erwischt wurde, der war verloren.”

Page 24: Edgar Hilsenrath

Figuren

• Resignation auch in den äußerlichen Zügen

sichtbar: Gesicht ohne Züge, leere

Augen, hohle Stimme, stummes

Gesicht, freudloses Lachen

• Namenlosigkeit (der Rote, der Dicke, die Alte,

die Bucklige, der Zigarettenjunge…)

• Ranek und Debora

Page 25: Edgar Hilsenrath

• Namenlosigkeit „Seine Blicke huschten weiter über den Fußboden. Die meisten Leute hier

unten sind ihm völlig unbekannt. Es sind die Namenlosen, die, die bloß Beine haben, Körper und Köpfe … aber keine Gesichter. Namenlos sind sie, wie die Straßen von Prokow. Man bemerkt sie nur, wenn man über sie stolpert, sie liegen einem im Weg.

Sie haben keine Gesichter, denkt er … sie haben keine Gesichter.”

• Ranek und Debora „Ranek hat Sie geliebt”, sagte die alte Frau jetzt nachdenklich. „Er hat das

nie zugegeben, aber ich habe es schon immer gewußt, Debora.” Sie versuchte zu lächeln, aber es gelang ihr nicht. „Ich hab’s gewußt”, sagte sie, „bloß hab’ich mir’s nie erklären können, weil er doch einer war, dessen Glauben man zerstört hatte, den Glauben an Gott, Debora, und den Glauben an die Menschen, einer, dem dann nichts mehr heilig war… und weil ich mir gesagt habe: So einer wie der ist gar nicht mehr fähig zu lieben. Aber Hofer hat eben doch recht gehabt.”

„Recht gehabt?” flüsterte Debora. „Was hat Hofer denn gesagt?”

„Nur die Toten können nicht mehr lieben… hat er gesagt.”

Page 26: Edgar Hilsenrath

Die Menschen

• Haben keine Gesichter, sehen nicht mehr wie Menschen

aus

„Die Frau, die heute operiert wurde ist nicht so arm”, wirft die Schwester ein.

„Sie ist eine Ausnahme – sie und noch ein paar andere. Sie haben sogar

Seife zum Waschen.”

Die Schwester nickt.

„Was ich vorhin gemeint hab’… ist nicht die Überfüllung”, sagt sie dann

zögernd.

„Dann hab’ ich sie nicht richtig verstanden.”

„Ich meine… daß die Leute hier anders aussehen.”

„Wie anders sehen sie denn aus?”

„Nicht mehr wie Menschen”, sagt die Schwester.

Page 27: Edgar Hilsenrath

• Jeder ist allein, auf sich gestellt, keiner hilft, jeder lacht

„… Wenn Ranek fortblieb, würde sie

nachts nicht mehr ruhig schlafen

können, denn sie würden wie die

wilden Tiere herangekrochen

kommen. Sie verspürte plötzlich

eine unheimliche Angst, ohne

Schutz in dem dunklen Zimmer zu

schlafen. Hat er’s nicht gesagt? Hier

kümmert sich niemand um den

anderen! Kein Mensch, dachte sie.

Kein Mensch wird sich drum

scheren, wenn dir was zustößt …

Und die Leute glauben an nichts

mehr, sie haben vor nichts Respekt,

nichts ist ihnen mehr heilig. Sie

können nur noch hohnlachen.”

Page 28: Edgar Hilsenrath

• Haß gegenüber denen, denen es besser geht

„Ich hab’ mal eine gehabt, die auch so gut ernährt war, wie Sie”, sagt er jetzt

eindringlich, „wenigstens war sie das in der ersten Zeit, nachdem sie hier

ankam. Wenn eine Frau gut ernährt ist, dann kann ein Mann ganz verrückt

werden. Weil so was so selten ist. Ich meine, eine Frau, die noch kein

Skelett ist, die noch Fleisch auf sich hat.” Und wieder zittert seine Stimme

vor Haß: „Die noch wie ein Mensch aussieht. Nicht so wie ich. Nicht so, wie

die meisten von uns. Verstehen Sie das? So wie ein Mensch!”

Page 29: Edgar Hilsenrath

• Täglicher Kampf mit-und gegeneinander

„Um die Kleiderfetzen der Toten, soweit sie nicht völlig zerrissen waren, gab

es jedesmal Streit. Jeder glaubte, ein Anrecht darauf zu haben, und sobald

die Leute eines Toten gewahr wurden, stürzten sie sich wie eine Herde

wilder Tiere auf ihn. Hier, wie überall, schnitt nur der Schnellste und

Gewandeste gut ab und durfte sich mit den Kleidern davonmachen, um sie

in Brot umzusetzen.”

Page 30: Edgar Hilsenrath

• Das Verhalten der Menschen hat sich in der Not geändert, es gleicht keinem menschlichen mehr

„Debora ging stumm an dem Paar vorbei, das ineinander verkrampft sich

wie das Vieh auf der Erde wälzte. Ihre Kehle war ausgetrocknet, ihr ganzer

Körper schmerzte, als wäre er eine einzige, große, offene Wunde. Wie tief

war doch der Mensch gesunken! Wie sehr hatte man ihn erniedrigt! Sie

wollte zurückblicken, um Ranek ein letztes Mal zu sehen, aber sie konnte

jetzt nicht. Das Lachen des Roten schallte ihr heiser aus dem Hausflur

nach, und es kam ihr plötzlich vor, als stimme auch der Tote unter der

Treppe in dieses Gelächter ein.

Page 31: Edgar Hilsenrath

• Es gibt aber auch Menschen, die menschliches bewahrt haben:

Ranek – „Es kommt noch vor, … daß ich träume.”

Debora – Nächstenliebe, Sehnsucht nach dem Leben

Dr. Blum – obwohl ihn alle hassen, ist er der einzige, der bei einer

Abtreibung das menschliche zu bewahren versucht, jedoch ohne Erfolg.

Page 32: Edgar Hilsenrath

Danke für die Aufmerksamkeit!