Edition2019·2 Suizidalität-eine Herausforderungfüralle

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ich · du · wir Ein Magazin für psychiatrisch Tätige www.angehoerige.ch Edition 2019 · 2 Suizidalität - eine Herausforderung für alle

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ich · du · wirEin Magazin für psychiatrisch Tätige

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Edition 2019 · 2Suizidalität - eine

Herausforderung für alle

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Liebe Leserin, lieber Leser

Die vierte Ausgabe des Magazins «ich·du·wir» stellt dasThema Suizid / Suizidalität in den Mittelpunkt. Flankiertwird das Engagement des Netzwerk AngehörigenarbeitPsychiatrie zu diesem Thema in dieser Zeitschrift vomProjekt «Suizidprävention bei Klinikaustritten» sowieder Fachtagung im November in Winterthur, welchedas Thema aufgreift.

Mit Suizid wird zwar oft eine persönliche Entscheidungin Verbindung gebracht – Suizid und Suizidalität betrifftjedoch alle. Dabei geht es meist weniger um die ratio-nale Entscheidung gegen das Leben als um die zuneh-mend eingeengte Wahrnehmung von Betroffenendurch die selbstzerstörenden Kräfte. An dieser Stellesetzt sowohl dieses Magazin als auch die Fachtagungim November an – an der herausfordernden Schnitt-stelle aller Beteiligten im Umgang mit dem PhänomenSuizidalität.

Gegenwärtig werden mit der Lancierung der neuenBroschüre «Suizidprävention bei Klinikaustritten» Fach-leute für diese verletzliche Phase von Betroffenen sen-sibilisiert. Hier wird das Thema auch für Angehörigevon besonderer Bedeutung. Ein Folgeprojekt widmetsich dem Fokus der Angehörigen, die psychischerkrankte Personen mit erhöhtem Suizidrisiko be-treuen. Lesen Sie hierzu zum aktuellen Stand und wei-teren Schritten des Projekts sowie eine Essenz der Mas-terarbeit von Ursula Bregenzer.

Herzlich grüsst Sie

Thomas LampertVizepräsident NAP

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FOKUSNutzen wir die Chancen!

Sensibilisierung und vernetztesHandeln kann Suizide verhindern

Von Mariann Ring

Suizidale Handlungen kommen in der Schweiz in allenAltersgruppen, bei Männern und Frauen sowie inallen sozioökonomischen Schichten vor. Suizidalitätkann also jede und jeden treffen. Je besser die Profes-sionellen, die Angehörigen und das soziale Unterstüt-zungsnetzwerk für die Anzeichen und Wirkungsme-chanismen von Suizidalität sensibilisiert sind und inKrisen zur Verfügung stehen, desto öfter werden wirSuizide verhindern können.

Rund 1000 Suizide pro Jahr, das heisst etwa zwei bisdrei Personen suizidieren sich pro Tag in der Schweiz.Sie liegt damit knapp über dem weltweiten Durch-schnitt, bewegt sich jedoch im europäischen Vergleichum den Mittelwert herum (Bundesamt für Statistik,2014). Bei Suizidversuchen geht man nach Schätzungenschweizweit von 15‘000 - 25‘000 Versuchen jährlich ausund davon, dass knapp 10 % der Bevölkerung einenoder mehrere Suizidversuche im Leben unternimmt(Bundesamt für Gesundheit, 2015). Die Dunkelziffer isthoch: Eine grosse Zahl der Suizidversuche wird nichterkannt oder nicht gemeldet und bleibt somit unbe-handelt.

Suizidales Verhalten ist keine Krankheit, sondern eineHandlung. Psychiatrische Erkrankungen, insbesondereDepressionen und Suchterkrankungen, sind aber einwesentlicher Risikofaktor für Suizidversuche. Einegroße Rolle spielen in diesem Zusammenhang auchderen psychische und sozialen Auswirkungen: Patien-ten erleben sich und ihre Umwelt während einerdepressiven Episode meist sehr negativ, leiden oftunter Scham und Schuldgefühlen, ziehen sich sozialzurück und teilen sich ihrem Umfeld weniger mit. Auchindividuelle Faktoren, die durch die persönlicheLebensgeschichte geprägt sind, stehen im Zusammen-hang mit Suizidalität. Frühe traumatische Erlebnissewie zum Beispiel emotionale Vernachlässigung, Verlust-erlebnisse, körperlicher und/oder sexueller Missbrauchsowie auch lang andauernde Belastungen und kritischeLebensereignisse, wie etwa Verwitwung, Scheidung,Beziehungsprobleme, Arbeitsplatzverlust oder -unsi-cherheit, Pensionierung und weitere können die psychi-sche Stabilität eines Menschen aus dem Gleichgewichtbringen und schwerwiegende emotionale (suizidale)Krisen auslösen. Weitere Risikofaktoren sind Schlafstö-rungen und schwere körperliche Erkrankungen mitgeringer Heilungsaussicht, die oft mit starken Schmer-zen oder physischen Einschränkungen einhergehen.

Suizidversuchen gehen häufig Suizidgedanken in ver-schiedener Intensität voraus und unterscheiden sich

von Mensch zu Mensch. Suizidgedanken treten rechthäufig auf, wenn ein Mensch in einer sehr belastendenSituation steckt oder einen Schicksalsschlag erlebt hat.Sie sind sozusagen eine normale Begleiterscheinungund die Betroffenen können sich innerlich von ihrenSuizidgedanken distanzieren und etwas entgegenset-zen. Gelingt es der Person jedoch nicht, die Krise zuüberwinden und den seelischen Schmerz zu reduzie-ren, kann sie in eine existenzielle Krise geraten. In einerakuten suizidalen Krise können die Suizidgedanken eineEigendynamik entwickeln. Der Betroffene befindet sichin einem psychischen Ausnahmezustand - seine eigeneWahrnehmung ist stark eingeengt in einer Art Trance,in einem sogenannten dissoziativen Zustand. Der Suiziderscheint als einziger Ausweg und Lösung, um demunerträglichen schmerzlichen Zustand ein Ende zu set-zen - sterben an sich wollen die allerwenigsten.

Doch was können wir konkret tun? Es fehlt den Men-schen in suizidalen Krisen oft die Kraft und der Mut, mitPersonen in Kontakt zu treten, die sie unterstützen kön-nen. Die Angst vor Ablehnung und dass sie ihr Gegen-über überfordern könnten, sind häufig weitere Gründe,dass sie nicht von sich aus um Hilfe bitten. Es ist daheran uns, in Kontakt zu treten, wenn wir uns Sorgen umjemanden machen. Experten sind sich zudem einig,dass die Angst davor, dass das Gespräch über Suizid beieinem gefährdeten Menschen eine Suizidhandlung aus-lösen könnte, unbegründet ist. Viel gefährlicher ist es,wenn ein Mensch in der Krise niemanden hat, mit demer offen über seine momentane Situation reden kann,wenn er sich zurückzieht und sich isoliert. Darüberreden können bringt meist Entlastung, Hoffnung undneue Perspektiven, die sich öffnen.

Die Erfahrung zeigt aber auch, dass suizidale Menschenganz vieles von dem, was in ihrem Kopf vorgeht für sichbehalten. Für viele sind Suizidgedanken etwas ganzGeheimes, Privates, im Sinne einer Option, die mansich nicht nehmen lassen möchte. Es ist daher wichtigzu wissen, dass ein Mensch in der Krise seine Gedanken

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«Suizidales Verhalten ist keine Krankheit, sonderneine Handlung.»

«Die Angst vor Ablehnung und dass sie ihr Gegen-über überfordern könnten, sind häufig weitereGründe, dass suizidale Menschen nicht von sich ausum Hilfe bitten.»

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an Suizid meist nicht einem anderen Menschen zuliebeaufgeben wird, sondern erst dann, wenn er selber wie-der lebenswerte Ziele in seinem Leben sieht.

Wenn man Menschen, die einen Suizidversuch über-lebt haben, fragt, was für sie vor ihrem Suizidversuchhilfreich gewesen wäre, berichteten sie: «Wir hättenjemanden gebraucht, der zuhört, uns reden lässt undnicht Angst vor einem Gespräch über Suizidalität hat“.Wertefrei zuhören, sich für die persönliche Geschichtedes Betroffenen interessieren und Anteil nehmen hilftenorm.

Probleme können wir für andere Personen nicht lösen.Wir können sie aber darin aktiv unterstützen, ihre suizi-dale Krise zu bewältigen und gemeinsam Wege aus derKrise zu finden. In Beziehung zu bleiben ist enorm wich-tig für Menschen in Krisen. Es ist daher hilfreich, wennweitere Vertrauenspersonen, Angehörige und Fachper-sonen (Psychiater*in, Psycholog*in, Arzt*in, Pflegefach-personen) einbezogen werden.

Bei Verdacht auf eine Depression oder eine andere psy-chiatrische Erkrankung kann lebensrettend sein, wenneine Fachperson (Psychiater*in, Psycholog*in, Arzt*in)beigezogen wird, damit eine adäquate - oft längerfris-tige - psychotherapeutische und medikamentöseBehandlung zeitnah eingeleitet werden kann.

Je besser jeder seine eigenen Grenzen kennt und res-pektiert und sich im Umgang mit diesem anspruchsvol-len Thema selber Sorge trägt, desto besser kann er zurerfolgreichen und nachhaltigen Bewältigung der Suizi-dalität des Betroffenen beitragen.

Alle können mithelfen, dass das Thema Suizidalität inder Gesellschaft und im eigenen Umfeld nicht noch län-ger tabuisiert wird. Durch den offenen Austausch kön-nen falsche Vorstellungen und Annahmen korrigiertund weitere Möglichkeiten zur Unterstützung für Men-schen in suizidalen Krisen implementiert werden. Nut-zen wir unsere Chancen!

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Hilfe bei Suizidgedanken

Haben Sie Suizidgedanken oder kennen Sie jeman-den, der Unterstützung benötigt?

Kontaktieren Sie bitte die Dargebotene Hand,Telefon 143

Weitere Informationen finden Sie auf:www.reden-kann-retten.chwww.suizidpraevention-zh.chwww.feelok.chwww.ipsilon.chwww.fssz.ch

Adressen für Menschen, die jemand durch Suizidverloren haben: www.trauernetz.ch

«In Beziehung zu bleiben ist enorm wichtig für Men-schen in Krisen.»

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FOKUS«Auf Eiern balancieren – Was

Angehörige von suizidalen Men-schen nach deren Klinikaustritt

erleben»

Von Ursula Bregenzer

Die Rolle der Angehörigen wird sehr unterschiedlicherlebt: Einerseits werden Angehörige als eine sehr zen-trale und wichtige Ressource für Patientinnen und Pati-enten wahrgenommen und somit als wichtige Partnerin der systemischen Arbeit. Andererseits werden Ange-hörige als Zusatzbelastung oder von den Fachpersonenin der klinischen Praxis gar als verursachende Krisen-auslöser gesehen. Dieses Kontinuum zeigt, dass denAngehörigen somit die verschiedensten Rollen von unsBehandlungspersonen zugesprochen werden.

Wir wissen aus der Forschung, dass das Suizidrisikonach einem Klinikaustritt innerhalb der ersten Wochendeutlich erhöht ist (Prävention und Gesundheitsförde-rung Kanton Zürich; Hoffmann-Richter, Känzig, Frei &Finzen, 2002; Qin, 2005; Teismann & Dorrmann, 2015;von Greyerz & Keller-Guglielmetti, 2005; Wassermannet al. 2012). Um solche Suizide zu verhindern, finan-ziert der Kanton Zürich im Rahmen seines Suizidpräven-tionsprogrammes entsprechende Unterstützungsmass-nahmen. Diese sollen sicherstellen, dass Betroffene inder kritischen Übergangsphase nach stationärer Be-handlung besser betreut werden.

Aus der Suizidforschung wissen wir ebenfalls, wie wich-tig Schutzfaktoren und Ressourcen in Bezug auf suizi-dale Krisen bei Betroffenen sind. Gesunde Beziehungenwirken nicht nur während der Behandlung (Michel,2006), sondern sie erhöhen generell die Resilienz undwirken somit als Schutzfaktor (WHO, 2014). Die WHOführt aus, dass „das engste Umfeld eines Menschen –Partner, Familienmitglieder, Peers, Freunde und wich-tige andere Personen – [ ] den meisten Einfluss [hat]und [ ] in Krisenzeiten unterstützend wirken [kann].“Und weiter schreibt sie: „Freunde und Familie könneneine wichtige Quelle sozialer, emotionaler und finanzi-eller Unterstützung sein und die Auswirkungen exter-ner Stressoren abpuffern.“ Für uns klinisch Tätige ist esselbstverständlich, dass Angehörige für die Betroffenenzur Verfügung stehen. Sie haben aus unserer Sicht einemoralische Verantwortung dafür. Wir würden das dochschliesslich auch tun – würden wir das?

Nicht selten höre ich in Fachgesprächen, an Rapporten,Fortbildungen etc., dass eine gesunde Abgrenzungwichtig ist.Doch, wie sieht dies bei Angehörigen aus? Könnenauch Angehörige sich wirklich abgrenzen, wenn dieKrise akut ist, die Situation aus ‚dem Ruder zu laufen‘droht und das Suizidrisiko extrem hoch ist? Wem kön-

nen sie die Verantwortung übergeben und wann kön-nen sie sich erholen?Es ist naheliegend, dass Angehörige dies nicht können.Insbesondere wenn sie mit den Betroffenen, deren sui-zidale Krise nach dem Klinikaufenthalt noch nicht voll-ends ‚auskuriert‘ ist, im selben Haushalt leben.

Es wurde bereits beforscht, was ein Suizid bei den hin-terbliebenen Angehörigen auslösen kann. Was jedochAngehörige erleben, wenn sie mit Betroffenen in dieservulnerablen Überbrückungszeit im selben Haushaltleben, konnte ich in der Fachliteratur bisher nicht nach-lesen.

Berührende Interviewgespräche im Rahmen meinerForschung zu dieser Fragestellung eröffneten mir ver-trauensvolle Einblicke in das Erleben von Angehörigenin der Übergangsphase nach einer stationären Behand-lung.Es zeigte sich, dass Angehörige auf emotionaler, physi-scher und sozialer Ebene Belastungen erleben und diesihre eigene Befindlichkeit und Lebensgestaltung starkbeeinflusst. In der folgenden Zusammenfassung sindfünf Phänomene beschrieben, die sich aus der Analyseder Interviews ergeben haben:

Einschränkung in der eigenen Befindlichkeit:Die Angst vor einem erneuten Suizidversuch ist sehrzentral im Erleben der Angehörigen in dieser Zeit – dieSorge ist allgegenwärtig. Das Familienleben verändertsich dadurch teilweise elementar, aufgrund der ständi-gen Präsenz und Aufmerksamkeit erleben die Angehö-rigen ihre Eigenständigkeit als stark eingeschränkt. Dieerlebten Gefühle, die einer Achterbahn gleichen, wer-den zu einer Herausforderung. All das hat diverse Aus-wirkungen auch auf die eigene Gesundheit.

Verunsicherung:Das teilweise stark veränderte Verhalten der suizidalenMenschen vor, während und nach dem Klinikaufenthaltist für die im selben Haushalt lebenden Angehörigenirritierend. Sie können es nicht einordnen, fühlen sichdadurch überfordert. Gleichzeitig ist es omnipräsent.Diese Verunsicherung hat Auswirkungen auf die Verhal-tensweisen aller Beteiligten.

Hilfe benötigen:Zeitweise fühlen sich Angehörige überfordert, sie kön-nen die Situation nicht einschätzen, haben viele offeneFragen zum „richtigen Umgang“. Sie wünschen sichmehr Wissen und Unterstützung. Sich durch die Fach-personen nicht einbezogen und aufgeklärt fühlen, istbelastend. Angehörige ziehen sich teilweise auch ausScham aus dem sozialen Leben zurück.

Geben:Die Angehörigen erzählen, wie sie im Alltag enorm vielkompensieren, wie sie helfen und unterstützen wollen.Teilweise bringt sie das selbst in Nöte und häufig ineine Ambivalenz, da sie ebenfalls ihren Verpflichtungennachkommen müssen.

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«Das Suizidrisiko nach einem Klinikaustritt ist inner-halb der ersten Wochen deutlich erhöht.»

«Eine gesunde Abgrenzung ist wichtig, aber fürAngehörige oft nicht möglich. Insbesondere wennsie mit den Betroffenen, die sich in einer poststatio-nären suizidalen Krise befinden, im gleichen Haus-halt leben.»

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Eigene Ressourcen:Sich selbst Sorge zu tragen, ist bei vielen Angehörigenein über Jahre dauernder Lernprozess. Hierbei erlebensie Vertrauenspersonen und den Aspekt, ‚die eigeneHoffnung nicht zu verlieren‘, als sehr hilfreich. Strate-gien bezüglich dem Umgang mit der Situation zu entwi-ckeln und aktiv Entlastungen zu kreieren und zu nutzenhaben sich ebenfalls bewährt.

Ein wesentlicher Faktor beim Analyseprozess dieserStudie war die Erkenntnis, dass die fünf Phänomene ineiner Wechselwirkung zueinanderstehen. Alle Inter-viewpartnerinnen und Interviewpartner eint, dass siein der poststationären Phase eine grosse Verantwor-tung übernommen haben.

Abgeleitete Empfehlungen aus der ForschungEin gezielt verbessertes Entlassungsmanagement, wel-ches die poststationäre Zeit mitberücksichtigt, und derkonkrete Einbezug von Angehörigen sind hilfreich, umBelastungsfaktoren zu reduzieren und um Informati-onsdefizite bei Angehörigen abzubauen. Konkret arbei-tet der Therapieansatz des „offenen Dialoges“ (Seikkula& Alakare, 2006) mit der konsequenten Involvierungdes sozialen Netzwerkes.Aufgrund des hohen Verantwortungsgefühls bei Ange-hörigen kann es zu Rollenkonfusionen kommen, wassich mittels Coaching und Schulung beheben lässt. Wei-ter ist der Umgang mit der gesellschaftlichen Stigmati-sierung von psychisch kranken Menschen und derenAngehörigen ein zentraler Aspekt, der dringend ange-gangen werden sollte.

«Die Gesundheit der Angehörigen hat Einfluss aufdie poststationäre Suizidprävention.»

FazitDiese Forschung im Rahmen meiner Masterthesis zurErlangung des Masters in Nursing Science unterstreicht,wie wichtig es für die Gesundheit der Angehörigen ist,dass sie in die Behandlung einbezogen und ihre Bedürf-nisse durch uns Fachpersonen erfüllt werden. So kön-nen wir Fachpersonen einen gezielten gesundheitsför-derlichen Beitrag im Sinne der Prävention bei denAngehörigen leisten. Dass das BAG aktuell im Rahmendes „Förderprogrammes «Entlastungsangebote fürbetreuende Angehörige» 2017–2020“ die Bedürfnissevon Angehörigen suizidaler Menschen identifiziert(ECOPLAN AG) und daher die Ergebnisse meiner For-schung nutzt, freut mich sehr und stimmt zuversicht-lich.Und, last but noch least, wenn Angehörige gestärktsind und mehr Wissen haben, können sie gemeinsammit den suizidalen Menschen den vulnerablen Über-gangsprozess nach der Entlassung nach Hause erfolg-reicher gestalten und wiederum suizidpräventiv wirken.

Quellenverzeichnis:

ECOPLAN AG. Projekte Gesundheit und Alter. Angehörige,die psychisch erkrankte Personen mit erhöhtem Suizidrisikobetreuen. Retrieved September 05, 2019, from https://www.ecoplan.ch/de/projekte

Hoffmann-Richter, U., Känzig, S., Frei, A., & Finzen, A. (2002).Suizid nach stationärer psychiatrischer Behandlung. PsychiatrPrax, 29(01), 22-24.

Michel K., (2006). Neues zur Therapie der Suizidalität, Aktu-elle Trends in der Psychiatrie. Retrieved from am 20.08.2009von http://www.sprechstundem21.unibe.ch/ATiP_Michel.pdf

Prävention und Gesundheitsförderung Kanton Zürich. Suizid-prävention: Nachsorge nach Suizidversuch. Retrieved August29, 2019, from https://www.gesundheitsfoerderung-zh.ch/themen/suizidpraevention/projekte/nachsorge-nach-suizid-versuch

Qin, P. (2005). Suicide Risk in Relation to Psychiatric Hospita-lization. Evidence Based on Longitudinal Registers. Arch GenPsychiatry, 62(4), 427-432.

Saxena, S., Krug, E., & Chestnov, O. C. a. g. (2014). Preventingsuicide: A global imperative (pp. 92). Luxenburg: WHO -World Health Organization.

Seikkula, Altonen, Alakare et. al. (2006). “Five-year expe-rience of first-episode nonaffectivepsychosis in open dialogue approach: Treatment principles,follow-up outcomes, and two casestudies.” Psychotherapy Research, 16(2): 214-228.

Teismann, T., & Dorrmann, W. (2015). Suizidgefahr? Ein Rat-geber für Betroffenen und Angehöirge Hogrefe Verlag.

von Greyerz, S., & Keller-Guglielmetti, E. (2005). Suizid undSuizidprävention in der Schweiz-Bericht in Erfüllung des Pos-tulates Widmer Bundesamt für Gesundheit, Direktionsbe-reich Gesundheitspolitik Retrieved from http://www.bag.ad-min.ch/gespol/d/index.htm.

Wasserman, D., Rihmer, Z., Rujescu, D., Sarchiapone, M.,Sokolowski , M., Titelman, D., . . . Carli, V. (2012). The Euro-pean Psychiatric Association (EPA) guidance on suicide treat-ment

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FOKUSDer Nationale Aktionsplan

Suizidprävention

Von Esther Walter und Rebecca Jaks

Bund und Kantone haben zusammen mit der StiftungGesundheitsförderung Schweiz und vielen weiterenAkteuren den Nationalen Aktionsplan Suizidpräventionerarbeitet, der 2016 verabschiedet wurde(www.bag.admin.ch/suizidpraevention). Der Aktions-plan will einen Beitrag zur Reduzierung von suizidalenHandlungen während – oft vorübergehenden – Belas-tungskrisen oder psychischen Erkrankungen leisten.Der Aktionsplan Suizidprävention umfasst zehn Ziele.Jedem Ziel sind Schlüsselmassnahmen zugeordnet, diewesentlich zur Zielerreichung beitragen. Insgesamt sindim Aktionsplan 19 Schlüsselmassnahmen beschrieben.

Suizidprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Auf-gabe. Der Aktionsplan liefert den Akteuren einengemeinsamen Orientierungs- und Handlungsrahmen.Oft kann auf bereits vorhandene, bewährte Praxisbei-spiele zurückgegriffen werden. Als Umsetzung von Ziel10 werden unter www.bag.admin.ch/suizidprae-vention-beispiele Praxisbeispiele aus der Schweiz veröf-fentlicht (auch das Netzwerk Angehörigenarbeit Psychi-atrie NAP). Die Online-Plattform ermöglicht denAkteuren im Bereich Suizidprävention, Synergien zunutzen. Sie macht sichtbar, in welchen Regionen, inwelchen Settings, für welche Zielgruppen usw. Projekteumgesetzt werden.

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) unterstützt dieAkteure bei der Umsetzung des Aktionsplans Suizidprä-vention durch Vernetzungs- und Koordinationsarbeitsowie durch das Erarbeiten von Wissensgrundlagen.

Projekt «Suizidprävention während und nach Klinik-aufenthalten»

Patientinnen und Patienten während eines Psychiatrie-aufenthalts sowie unmittelbar nach Austritt haben einhohes Suizidrisiko. Im Rahmen der Umsetzung des Akti-onsplans Suizidprävention hat das Bundesamt fürGesundheit (BAG) zusammen mit der SchweizerischenKonferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnenund -direktoren (GDK) 2018 das Projekt «Suizidpräven-tion während und nach Psychiatrieaufenthalt» initiiert

Das BAG und die GDK wollen mit dem Projekt den Wis-sensaustausch unter Fachpersonen der psychiatrischenVersorgung fördern. Das Projekt ist Ziel 5 des Aktions-plans zugeordnet: «Suizidgefährdete Menschen undMenschen nach Suizidversuchen sollen bedarfsgerecht,zeitnah und spezifisch betreut und behandelt werden».Das Netzwerk Angehörigenarbeit Psychiatrie NAP ver-trat im Projekt die Seite der Angehörigen und Vertrau-enspersonen.

Im Rahmen des Projektes «Suizidprävention währendund nach Suizidprävention» sind bisher folgende Pro-dukte entstanden (zu beziehen unter www.bag.ad-min.ch/suizidpraevention > Suizidprävention in der psy-chiatrischen Versorgung):

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Die 10 Ziele des Aktionsplans

1. Persönliche und soziale Ressourcen stärken2. Über Suizidalität informieren und sensibilisie-

ren3. Hilfe anbieten, die schnell und einfach zugäng-

lich ist4. Suizidalität frühzeitig erkennen und frühzeitig

intervenieren5. Suizidale Menschen auf ihrem Genesungsweg

wirksam unterstützen6. Suizidale Handlungen durch einen erschwerten

Zugang zu tödlichen Mitteln und Methodenerschweren

7. Hinterbliebene und beruflich Involvierte unter-stützen

8. Suizidpräventive Medienberichterstattung undsui zidpräventive Nutzung digitaler Kommuni-kationsmittel fördern

9. Monitoring und Forschung fördern10. Beispiele guter Praxis aus der Schweiz und aus

dem Ausland verbreiten

Mitwirkende Organisationen

- Bundesamt für Gesundheit BAG- Föderation Schweizer Psychologinnen und Psycho-logen FSP

- Netzwerk Angehörigenarbeit Psychiatrie NAP- Schweizerische Gesellschaft für Kinder- undJugendpsychiatrie und –psychotherapie SGKJPP

- Schweizerische Gesellschaft für Psychiatrie undPsychotherapie SGPP Schweizerische Konferenzder kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und-direktoren GDK

- Schweizerische Stiftung Pro Mente Sana PMS- Schweizerische Vereinigung Psychiatrische Chefärz-tinnen und Chefärzte SVPC

- Swiss Mental Healthcare, Vereinigung der Psychiat-rischen Kliniken und Dienste Schweiz SMHC

- Vereinigung Direktorinnen und Direktoren der Psy-chiatrischen Kliniken und Dienste Schweiz VDPS

- Verein Pflegekader Psychiatrie Schweiz VPPS

Eine Literaturrecherche zu Suiziden und Suizidver-suchen während und nach Psychiatrieaufenthalt,die den internationalen Wissensstand zusammen-fasst. Folgende Aspekte wurden näher Untersucht:Herausforderungen in der psychiatrischen Arbeitim Zusammenhang mit Suiziden bzw. Suizidversu-chen während und nach Psychiatrieaufenthalt;Ursachen und Risikofaktoren; Einschätzung desSuizidrisikos, Präventionsmassnahmen sowie ethi-sche Aspekte.Eine Ist-Analyse zu bestehenden Konzepten undLeitlinien im Umgang mit Suizidalität bei den Mit-

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Angehörige suizidgefährdeter Patientinnen und Pati-enten

Eine der sieben für Gesundheitsfachpersonen formu-lierten Empfehlungen der «Suizidprävention bei Klinik-austritten» lautet:

Im Auftrag des BAG untersucht nun ECOPLAN im Rah-men des Förderprogramms «betreuende Angehörige»die Rolle der Angehörigen (Möglichkeiten und Grenzen)von suizidgefährdeten Personen präziser, insbesondereim Zusammenhang mit der Zeit während und kurz nacheinem Psychiatrieaufenthalt,. Das BAG will mit diesemForschungsprojekt einen Beitrag leisten, um Angehö-rige im erwerbsfähigen Alter, in dieser äusserst belas-tenden Situation zu entlasten. Der Schlussbericht wirdim Frühjahr 2020 vorliegen.

Das Projekt geht den Fragen nach, welche Bedürfnissebetreuende Angehörige von suizidalen Menschen imstationären-ambulanten Übergang haben und welcheKompetenzen und Rahmenbedingungen Fachpersonender psychiatrischen Versorgung brauchen, um Angehö-rige gut zu unterstützen. Das NAP wurde bereits bei derErarbeitung der Fragestellung mit einbezogen.

Die Studie basiert auf einem qualitativen und partizipa-tiven Design mit verschiedenen Gruppendiskussionen.In einer ersten Phase werden die Bedürfnisse der Ange-

hörigen bei Klinikaustitten eruiert. Die Konzeption desLeitfadens der Gruppendiskussion stützt sich auf vor-handene Vorarbeiten und Telefongespräche mit Exper-tinnen und Experten. Die identifizierten Bedürfnissewerden zu einem späteren Zeitpunkt mit Fachpersonender psychiatrischen Versorgung besprochen und ihrenKompetenzen sowie ihren beruflichen Rahmenbedin-gungen gegenübergesetzt. Aus dieser Gegenüberstel-lung werden in der dritten Studienphase Empfehlungenund Umsetzungsvorschläge für die Gesundheitsversor-gung erarbeitet, welche sowohl durch stellvertretendeAngehörige als auch durch Fachpersonen der Psychiat-rie gemeinsam besprochen und validiert werden. DieExpertise des NAP fliesst in die Gruppendiskussionenein.

Um kulturelle Unterschieden nachgehen zu können,werden die Gruppendiskussionen in der Deutsch-schweiz und im Tessin (in Zusammenarbeit mit demGesundheits- und Sozialdepartement) umgesetzt.

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gliedern von SwissMental Healthcare SMHC, demDachverband der psychiatrischen Kliniken in derSchweiz. Die Umfrage zeigt, dass viele psychiatri-sche Kliniken in jüngster Zeit Konzepte und Leitli-nien im Umgang mit Suizidalität erarbeitet haben.Die Wirkung dieser Arbeiten auf die Suizidpräven-tion während eines stationären Aufenthalts gilt eszu beobachten.Empfehlungen der Suizidprävention bei Klinikaus-tritten für Gesundheitsfachpersonen: Die Empfeh-lungen sollen dazu beitragen, dass Patientinnenund Patienten den stationär-ambulanten Über-gang als verzahnten Behandlungspfad erleben und«sicher» in ihrem individuellen Alltag ankommen.Sie richten sich in erster Linie an Leitungsgremienund Führungskräfte in psychiatrischen Klinikensowie an Fachpersonen, die Patientinnen und Pati-enten nach einem Psychiatrieauf-enthalt weiterbe-handeln und -betreuen.

Angehörige oder Vertrauenspersonen beimstationär-ambulanten Übergang einbeziehen

Angehörige oder von den Patientinnen und Patien-ten definierte Vertrauenspersonen sind einzubezie-hen. Bei Minderjährigen ist die Verantwortlichkeitder Sorgeberechtigten besonders zu berücksichtigen.Stimmt die Patientin / der Patient dem Einbezug derAngehörigen nicht zu, sind sie auf entsprechendeAngebote hinzuweisen (z.B. Angehörigenberatungs-stellen NAP). Angehörige zu befähigen und zu bera-ten, ist ein zentraler Aspekt der Suizidprävention.Gleichzeitig ist an ihre Entlastung zu denken.

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BUCHPapa hat sich erschossen

Saskia Jungnikl

Von Edith Scherer

„Im Juli 2008 stehe ich in einem Coffeeshop, in derHand einen Becher mit einem doppelten Espresso undeinem Schuss Milch.Mein Handy läutet.Meine Mama ruft an.Papa ist tot. Er hat sich erschossen.“

Auf unglaublich offene und doch einfühlsame Weiseschreibt Saskia Jungnikl über den Suizid ihres Vaters.Schon auf den ersten Seiten des Buches lernt man eineFamilie aus dem Burgerland kennen – vielleicht keineDurchschnittsfamilie. Beziehungen, der Umgang mitei-nander und die einzelnen Familienmitglieder werdenalle so präzise beschrieben, dass man fast mit dabeisitzt, im Hof, in den Werkräumen des Vaters, in derKüche.

Es ist eine liebenswürdige Familie, die wir kennen ler-nen, eine Familie, die einen wertschätzenden Umgangpflegt, eine Familie, die Beziehung lebt, eine Familie,die zusammenhält und offen über den Tod des Vatersmiteinander spricht. Der Bruder Till spielt dabei eineganz wichtige Rolle. Er ist nach einem ärztlichen Kunst-fehler geistig behindert und das Zentrum der Familie.Mit seiner Art, durch dieses Leben zu gehen, prägt erdie Familie und den Zusammenhalt in der Familie. Tillstirbt mit sechsundzwanzig Jahren an einem epilepti-schen Anfall, der Vater war mit ihm alleine zu Hause.Und immer wieder stellt Saskia Jungnikl die Frage, obihr Vater am Tod von Till zerbrochen ist. Er erschiesstsich in der Nacht, in der Till 30 Jahre alt gewordenwäre.Saskia Jungnikl hat auf diese Frage keine Antwort; undauch auf viele andere Fragen nicht. Das ist sehr wohltu-end. Denn es gibt auf die Fragen, die der Suizid einesgeliebten Menschen hinterlässt, keine Antworten.

Saskia Jungnikl ist Journalistin. Ihre Sprache ist klar,ohne Zwischentöne, schonungslos. Sie beschreibt ihrenVater exakt und ungeschönt, sie lässt uns teilhaben anihrer Beziehung und an ihrem Schmerz, „der Suizid teiltmein Leben in ein Vorher und ein Nachher.“

Das Buch beeindruckt mich von Anfang an und ich habekaum jemals etwas Vergleichbares gelesen, das ein soschwieriges Thema dermassen unsentimental, offenund berührend beschreibt.

Die verschiedenen Kapitel springen zwar chronologischhin und her, doch man bleibt problemlos dran, es gibtkeine Verwirrung, keine Unklarheiten, die Schauplätzesind überschaubar. Vielleicht sind es gerade diese ganzunterschiedlichen Sequenzen: Grün, Gewitter, Musik,Lustiges, Banales.. die dem Buch die Schwere nehmen.Zwischendurch gibt es Aufzeichnungen des Vaters zulesen, was mir persönlich sehr gut gefällt.

Die Kapitel „Warum“ und „Suizid“ beschreiben sehrintensiv die Angehörigenrolle der Autorin. Was passiertmit dem Umfeld, mit denen, die bleiben und warum„zwingt“ ihr Vater Saskia mit seiner Entscheidung,

immer wieder in dieser Balance von Wut und Trauer zuverharren?„Der Suizid hat alles in mir erschüttert, was ich bisdahin zu wissen glaubte. Das Bild, das ich von mirhatte, das Vertrauen in meine Fähigkeiten: Alles istweg!“

Unter dem Stichwort „Schuld“ schreibt Saskia Jungnikl:„… ja ich glaube, dass viele die Schuld am Tod meinesVaters tragen. Ich auch. Aber es ist eine vernachlässig-bare Schuld. Es ist die Schuld eines jeden Augenblicksin einem langen Leben, in dem immer auch etwasanderes hätte sein können.Insofern nein, ich glaube, es gibt hier keine Schuld.Mein Vater hat entschieden zu sterben, und ich werdedas respektieren.“

Saskia Jungnikl fällt in ein tiefes, dunkles Loch in demes keinen Lichtstrahl mehr gibt. Lange. Sehr lange. IhreBeziehung geht in die Brüche. Sie ist voll von Schmerz,unfähig zu handeln, sie dämmert dahin. Und dann istda Renate, die Freundin, die irgendwann die Nasegestrichen voll hat und irgendwann Saskia Jungnikl„den Kopf wäscht“. „Ihre Rede hinterlässt Eindruck“.Dieses Thema, diese Offenheit macht Mut. Und es kannAngehörigen helfen, in einem bescheidenen Rahmenzu handeln.

Saskia Jungnikl hat ein sehr wichtiges, gutes und beein-druckendes Buch geschrieben. Danke. Ich bin über-zeugt davon, dass es für viele Angehörige, für Men-schen in ähnlichen Situationen gerade durch seineklare und schonungslose Sprache hilfreich ist.Mich hat das Buch auch als Fachperson sehr berührtund ich nehme viele Aussagen mit in meine täglicheArbeit mit den Angehörigen von Menschen in psychi-schen Krisen.

„Ich kann mir jedes Gefühl gestatten, Wut, Trauer,Frust, Verzweiflung, aber ich werde nie ausser Fragestellen, dass mein Vater das Recht hatte, sein Leben zubeenden“.

„Ist gut, Papa.“

Jungnikl, S.: Papa hat sich erschossen. 2014, Fischer Paper-back. ISBN 9783596030729

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SCHEINWERFERAngebote für Angehörige im

Zusammenhang mit Suizidalitätund Suizid

In der Schweiz gibt es verschiedene Angebote und Hil-fen, welche bei Suizidalität und Suizid zur Verfügungstehen. Meist richten sich die Hilfen nicht ausschliess-lich an Angehörige, sondern auch an Betroffene in Not.

Lesen sie auf den folgenden Seiten, welche Vereine undOrganisationen Anlaufstellen für Hilfesuchende sind.Im Internet oder über die Homepage von SelbsthilfeSchweiz (www.selbsthilfeschweiz.ch) finden Sie hierzunoch weitere Unterstützungsangebote.

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IPSILONInitiative zur Prävention von Suizid in der Schweiz

Der Verein IPSILON hat national die führende Rolle in der Suizidprävention. Er unterstützt, koordiniert und ver-netzt die Institutionen, Organisationen, Gruppierungen und operationellen Programme im Bereich Suizidprä-vention. Schwerpunkte sind:

• Informationsaufbereitung und Dokumentation• Aufklärungsarbeit in Politik und Öffentlichkeit• Vermittlung von Konzepten und Programmen für die Suizidprä- und -postvention• Aus-, Weiter- und Fortbildung• Entwicklung der Forschung

Ein Anliegen von IPSILON ist die Qualitätsverbesserung in der Betreuung und Beratung von Suizidhinterbliebenen.

Konkrete Projekte können in Kooperation mit Mitgliedorganisationen kostenbewusst realisiert werden. Ein Bei-spiel aus der Praxis ist das gemeinsame Engagement mit dem Verein trauernetz. Der Verein bezweckt:

• den Betrieb und die Qualitätssicherung der Vernetzungsplattform www.trauernetz.ch• die Sensibilisierung und Kompetenzvermittlung zum Thema Suizid-Nachsorge im Fachumfeld• die Förderung geführter Selbsthilfegruppen «nebelmeer» und den Aufbau eines Qualitätszirkels für die Lei-tenden

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NebelmeerPerspektive nach dem Suizid eines Elternteils

Für Jugendliche von Suizidenten gibt es kaum Hilfsangebote. Sie bleiben oft sich selbst überlassen, weil sich dieBetreuer eher um den zurückbleibenden Elternteil kümmern. Dieser überträgt seinen Kindern manchmal Aufga-ben, denen sie nicht gewachsen sind (andere Wohnung suchen, Hausräumung, «Partnerersatz»). Deshalbbegann IPSILON-Vorstandsmitglied Jörg Weisshaupt im Frühjahr 2004 in Zürich mit einer Gruppe junger Betrof-fener, mit dem Nebelmeer. Der Name wurde von einer Jugendlichen vorgeschlagen und alle fanden sofortGefallen daran. Ihr Gefühlschaos seit dem Verlust lässt sich damit treffend beschreiben.

In der geführten Selbsthilfegruppe Nebelmeer werden Gespräche unter ähnlich betroffenen jungen Menschenmöglich, haben Fragen Platz, auf welche man kaum Antworten findet. Aber man findet Verständnis und Ach-tung vor einander, und man findet auch die Selbstachtung wieder, wie eine betroffene junge Frau es in einemVideo auf der Homepage von Nebelmeer ausdrückt.

Nachsorge für Hinterbliebene nach Suizid bedeutet, die Hinterbliebenen durch den Trauerprozess zu begleitenund die Prävention für die Nachkommen eines Suizidenten. Ein Suizid ist für die Hinterbliebenen ein einschnei-dendes Lebensereignis, das besonders schwer zu bewältigen ist.

Hinterbliebene nach Suizid sind gefährdet, eine komplexe Trauerreaktion zu entwickeln, die lange anhält, was zupsychischen Krankheiten oder sogar zu eigenen Suizidgedanken führen kann. Dieses erhöhte Suizidrisiko kanndurch eine adäquate Unterstützung erheblich gesenkt werden. Die nebelmeer-Gruppe unterscheidet sich voneiner klassischen Selbsthilfegruppe durch die Leitung einer Fachperson, um die vorprogrammierte Überforde-rung einer jugendlichen Leitung zu vermeiden.

Bild: Jörg Weisshaupt

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Wanderausstellung «Suizid — und dann?»Was ein Suizid bei Hinterbliebenen, ihrem

Umfeld und Helfenden auslösen kann

Die Wanderausstellung «Suizid – und dann?» dient dem Zweck, die Bevölke-rung über Suizidalität und die möglichen Folgen für Hinterbliebene, ihrUmfeld und Helfende zu informieren. Der Verein trauernetz unterstützt dielokalen Veranstalter bei der Planung eines Rahmenprogramms (z.B. Vortrag,Workshop, Filmvorführung mit Podium, firmeninterne Schulung etc.) rundum die Ausstellung.

Die Wanderausstellung informiert über Suizidalität und die möglichen Folgenfür Hinterbliebene. Sie richtet sich an die breite Bevölkerung wie auch anFachpersonen und beruflich Involvierte, die in ihrem Alltag mit Suizid kon-frontiert sind. Im Rahmen des zweijährigen Aktionsplans Suizidpräventiondes Bundes hat das Bundesamt für Gesundheit BAG die Konzeption und Pro-duktion dieser Ausstellung sowohl finanziell wie auch fachlich unterstützt.

Gemeinden, Schulen, Organisationen, Vereine und Unternehmen, die zumThema Suizid sensibilisieren möchten, können die mobile Ausstellung leih-weise beim Verein Trauernetz beziehen.

Die Ausstellung besteht aus 4 Modulen mit insgesamt 19 Rollups, die alsGesamtpaket oder modular geliehen werden können. Die Wanderausstel-lung «Suizid – und dann?» enthält unter anderem Texte von Hinterbliebenenaus dem Buch «Darüber reden – Perspektiven nach Suizid», das im VerlagJohannes Petri erschienen ist.Die Ausleihe (über www.trauernetz.ch) ist kos-tenfrei – für den Transport muss der Veranstalter aufkommen.

143

Tel 143 - Die Dargebotene Hand ist rund um die Uhr da für Menschen, dieein helfendes und unterstützendes Gespräch benötigen. Tel 143 ist eine Not-rufnummer nicht nur für Menschen in massiven Krisen, sondern auch fürMänner und Frauen jeden Alters mit mehr oder weniger grossen Alltagspro-blemen. Das Schweizer Sorgentelefon bietet Anrufenden völlige Anonymität.

Bei Tel 143 sind alle Menschen willkommen, unabhängig von Religion, Her-kunft und Kultur. Die Dargebotene Hand hat eine offene und tolerante Hal-tung. Tel 143 erteilt nicht einfach Ratschläge, sondern aktives Zuhören undempathisches Dasein stehen im Zentrum. Das Schweizer Sorgentelefon fürErwachsene kann aber - falls erwünscht - Impulse geben, um Wege ausschwierigen Lebenssituationen zu finden. Schliesslich empfehlen wir Anru-fenden nach Wunsch auch geeignete Hilfsangebote. Noch anonymer kannDie Dargebotene Hand übrigens schriftlich per Mail- oder Chat-Kontakterreicht werden - also auf insgesamt drei Kanälen.

Unterstützung leistet Die Dargebotene Hand von zwölf Regionalstellen aus,in den drei wichtigesten Landessprachen. Das Angebot rund um die Uhr istmöglich dank dem Engagement von über 600 gut ausgebildeten ehrenamtli-chen Frauen und Männer. Dank der Regionalisierung sind die Freiwilligentrotz der Anonymität möglichst nahe bei den Anrufenden und kennen beiBedarf die regionalen Beratungs- und Hilfsangebote.

147

147 unterstützt junge Menschen, wenn sie kleine oder grosse Sorgen, Prob-leme oder Fragen haben.Auf der Website www.147.ch befinden sich Texte und Videos zu Themen, dieJugendliche beschäftigen sowie Antworten auf Fragen, mit denen Jugendli-che an uns gelangt sind.

Das Beratungsangebot per Telefon, Chat, SMS oder E-Mail ist kostenlos undvertraulich.Bild: Jörg Weisshaupt

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Programm

9.00 Uhr Eintreffen, Willkommenskaffee

9.30 Uhr Janine Gassner«Musikalischer Auftakt»

9.40 Uhr Sibylle Glauser, lic.phil., Präsidentin NAPBruno Dolci, Direktor Pflege, Fachdienste und Informatik ipwChantal Galladé, ehemalige Nationalrätin, Präsidentin Kreisschulpflege Stadt-Töss«Begrüssung»

10.00 Uhr Dr. med. Stephan KupferschmidChefarzt Psychiatrie für Jugendliche und junge Erwachsene ipw«Gemeinsam einen Weg finden – suizidale Verhaltensweisen bei Kindern und Jugendlichen verstehen»

«Musikalisches Zwischenspiel»

11.00 Uhr Dr. phil. Mariann RingOberpsychologin, Stationsleiterin und Leitung ASSIP Clienia Schlössli AG«Gemeinsam einen Weg finden – suizidale Verhaltensweisen bei Erwachsenen und im fortschreitendenAlter verstehen»

12.00 Uhr Mittagspause

13.30 Uhr «Musikalischer Auftakt»

13.40 Uhr Rebecca Jaks, M.A. Health SciencesBundesamt für Gesundheit BAG; Sektion Nationale Gesundheitspolitik«Nationaler Aktionsplan Suizidprävention»

13.55 Uhr Ursula Bregenzer, MSc in Pflege ZFHPflegefachleiterin ADP / Beauftragte Suizidprävention & -nachsorge ipw«Auf Eiern balancieren – Was Angehörige nach Klinikaustritt von suizidalen Menschen erleben»

14.30 Uhr Ueli Nef, lic.iur. RechtsanwaltLeiter Rechtsdienst Gesundheitsdepartement Kanton St.Gallen«Suizidalität: Was sagt eigentlich das Recht dazu?»

«Musikalisches Zwischenspiel»

15.00 Uhr Podiumsdiskussion

15.50 Uhr Schlussworte und Verabschiedung

FACHTAGUNG«Suizidalität – eine

Herausforderung für alle»

Am Freitag 22. November 2019 findet in der KlinikSchlosstal in Winterthur die Fachtagung des Netz-werk Angehörigenarbeit Psychiatrie in Kooperationmit der Integrierten Psychiatrie Winterthur – Zür-cher Unterland statt.

Die Fachtagung setzt sich mit dem Phänomen Suizi-dalität an der anspruchsvollen Schnittstelle allerBeteiligten auseinander und greift insbesondereAspekte in der Zusammenarbeit mit Angehörigenauf.

Ihre Anmeldung nehmen wir gerne über die Home-page des Netzwerk Angehörigenarbeit Psychiatrie,www.angehoerige.ch entgegen.Die Refrate stehen nach der Fachtagung ebenfallsauf der Homepage online zur Verfügung.

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Wie wurde in Ihrer Familie damit umgegangen?

Das ist jetzt so eine persönliche Frage, auf die ich nichttiefer eingehen möchte. Es tut nichts zur Sache undhilft nicht, die Situation anderer Betroffenen zu verbes-sern.

«Angehörige und Umfeld haben ein schlechtesGewissen, Schuldgefühle und stellen sich die Frage,ob sie es hätten verhindern können.»

Was hat Ihnen geholfen, was war schwierig oder hät-ten Sie sich anders gewünscht?

Das war im Jahre 1984. Zu dieser Zeit hat man glaubeich allgemein nicht über Suizid gesprochen. Das gesell-schaftliche Tabu war noch viel grösser als heute. Wasschwierig war, ist sicher, als Kind einen Elternteil zuverlieren. Dass es ein Suizid war, machte es zusätzlichschwierig. Dies aus mehreren Gründen. Als Kind denkstDu – oder bei mir war das jedenfalls so – dass es DeineSchuld ist. Dass Du es hättest verhindern können. Ichhabe jahrelang mit niemandem darüber sprechen kön-nen. Das machte für mich gleichzeitig das wirklicheBegreifen, dass das alles tatsächlich so geschehen ist,schwierig. Ich bin jahrelang am Morgen aufgewachtund habe gemeint, ich hätte alles nur geträumt. Weiterist bei einem Suizid schwierig, dass die Menschen imUmfeld nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen.Angehörige und Umfeld haben ein schlechtes Gewis-sen, Schuldgefühle und stellen sich die Frage, ob sie eshätten verhindern können. Sie sind also auch belastetmit ihren Gefühlen und der Verarbeitung. Und dannhaben wohl die meisten Menschen Angst, etwas Fal-sches zu sagen. Also sagen sie lieber nichts.

Was ich mir anders gewünscht hätte? Ich möchte es lie-ber so beantworten. Wenn Sie jemandem im Umfeldhaben, der einen Angehörigen durch Suizid verlorenhat: Sprechen Sie ihn/sie darauf an. Geben Sie dieGelegenheit, dass diese Person darüber reden kann,wenn sie möchte. Als ich erwachsen war und gelernthatte, darüber zu reden, gab es eigentlich nur etwas,das ich überhaupt nicht ertrug und das ist bis heute so

ANGEHÖRIGEZwischen Engagement und

Abgrenzung

Chantal Galladé, ehemalige Nationalrätin und aktuellePräsidentin der Kreisschulpflege Stadt-Töss Winter-thur hat im Alter von elf Jahren ihren Vater durch Sui-zid verloren. Während ihrer politischen Laufbahn hatsie sich stark für eine Verringerung der Verfügbarkeitvon Schusswaffen engagiert. Dieses von persönlichemHintergrund geprägte Engagement forderte jedochauch eine klare Abgrenzung, in der Öffentlichkeit überPrivates zu sprechen. Das Netzwerk Angehörigenar-beit Psychiatrie sprach mit der zweifachen Mutterüber dieses Thema.

NAP: Wie geht es Ihnen rund 35 Jahre nach dem SuizidIhres Vaters?

Chantal Galladé: Mir geht es gut. Ich habe zwei wun-derbare Kinder, Freundinnen und Freunde und eineArbeit, in der ich mithelfen kann, etwas für Kinder unddie Schule zu tun. Ich habe als Schulpräsidentin auchmit Krisen und Problemen zu tun. Diese umsichtiganzugehen und zu lösen, liegt mir mehr als repetitiveArbeiten. Ich entwickle in schwierigen Situationen eineStärke, das war für mein politisches Engagement vonVorteil und kommt mir bei meiner jetzigen Tätigkeitentgegen.

«Ich hatte überhaupt keine Lust, öffentlich über denSuizid meines Vaters zu sprechen. Gleichzeitigspürte ich, dass ich es tun muss und tun will.»

Was mögen Sie berichten, was Sie damals erlebthaben?

Eigentlich nichts. Ich betrachte mein persönlich Erleb-tes als privat und nicht von Interesse für die Öffentlich-keit. Der schwierigste Moment in meinen fast 22 Jah-ren Kantons- und Nationalrat war, als ich in der Debatteum die Lagerung der Armeewaffe zuhause nach vorneging und meine Rede mit dem Satz begann: „Ich war 11Jahre, als sich mein Vater mit der Armeewaffe dasLeben nahm.“ Ich hatte überhaupt keine Lust, so etwasöffentlich zu sagen. Gleichzeitig spürte ich, dass ich estun muss und tun will. Es war mir wichtig, diesen dop-pelten Tabubruch (Suizid und Lagerung der Armee-waffe) zu machen. Für die Sache und für die vielenBetroffenen. Damit sich etwas ändern und verbessernkann. Gleichzeitig hatte ich mir vorgenommen, nichtmehr als diese Information über mich und das persön-lich Erlebte preiszugeben. Das habe ich dann durchge-zogen, bei allen Anfragen, die gekommen sind und bisheute kommen. Ich spreche zur Sache. Es geht nichtum mich und ich stehe nur stellvertretend für viele, dieso etwas oder etwas Ähnliches erlebt haben. Danachund in den Folgejahren bekam ich hunderte vonZuschriften, in denen mir die Menschen von ihren per-sönlichen Erlebnissen berichteten. Meistens in Bezugauf die Armeewaffe. Das zeigte mir, dass es wichtigwar, den Tabubruch zu wagen.

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ich finde wichtig, dass das Thema Suizid enttabuisiertwird. Dass man sachlich darüber berichtet und dieMöglichkeiten zur Prävention und Unterstützung auf-zeigt. Filme oder Serien, welche Suizide verharmlosenoder in einem falschen Licht erscheinen lassen, findeich höchst problematisch – gerade für Jugendliche.

«Ich finde wichtig, dass man sachlich über Suizidberichtet und die Möglichkeiten zur Prävention undUnterstützung aufzeigt.»

Das Thema Suizid ist in den vergangengen Jahren aufpolitischer Agenda nach vorne gerückt – Was kannPolitik zum Thema beitragen?

Die Politik hat in der Prävention wie auch bei denunterstützenden Institutionen und Massnahmen nochMöglichkeiten. Gerade auch bei Kindern und Jugendli-chen finde ich, dass es noch bessere Begleitung gebenkönnte. In der Prävention habe ich jahrelang auf dieGefahr der Lagerung der Armewaffe zuhause hingewie-sen, welche uns zig Menschenleben jährlich kostet. DerZusammenhang zwischen Verfügbarkeit von Tötungs-instrumenten und Suiziden ist bekannt und es gibt ent-sprechende wissenschaftliche Abhandlungen dazu.Dasselbe gilt auch für Brückensicherungen oder grosseMedikamentenpackungen zum Beispiel.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft, wenn sie aneinen Menschen in einer suidzialen Krise in ihremUmfeld denken?

Dass diese Menschen die Unterstützung und Hilfebekommen, welche sie benötigen. Und dass ihre Ange-hörigen diese ebenfalls erhalten, wenn es notwendigist. Wir brauchen eine Enttabuisierung und gewisser-massen eine erhöhte gesellschaftliche Kompetenz inBezug und im Umgang mit dem Thema wie mit Betrof-fenen.

geblieben. Wenn jemand etwas im Stil sagt: Oje, das istja schlimm, was Du erlebt hast oder so ähnlich. Soetwas in Richtung Mitleid oder dass man arm ist, dasfinde ich unmöglich. Die meisten Menschen erlebenschliesslich schwierige Situationen in ihrem Leben. Manwill vielleicht mit jemandem darüber reden oder esmacht einem nichts mehr aus -aber auf Augenhöhe.

Aus heutiger Sicht, was hätten Sie von den Fachperso-nen damals gebraucht?

Ich kann das nicht so gut beurteilen, da es keine Fach-person gab. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht einmal,was ein Psychologe ist. Aus heutiger Sicht denke ich, esgeht jeder anders damit um, aber es ist wichtig, dassman die Möglichkeit hat, auf eine Fachperson zurück-zugreifen, wenn man sich das wünscht. Und vor allem,dass man überhaupt mit jemandem darüber redenkann, wenn man möchte.

Aus Ihrer Erfahrung: Was sind Gründe, warum eswichtig ist, mit Kindern und Erwachsenen über Suizidzu sprechen?

Es ist wichtig über Suizid zu sprechen, weil diesesThema immer noch ein Tabu ist und weil die Schweizeine sehr hohe Suizidrate hat. Dazu kommen vieleMenschen, die sich einmal in ihrem Leben in einer sui-zidalen Krise befinden oder einen Suizidversuchmachen. Davon betroffen sind auch Kinder und Jugend-liche. Auch sollte man vermehrt darüber reden, wieman sich verhalten soll und wohin man sich wendenkann, wenn man bei jemandem den Verdacht hat, erkönnte sich etwas antun. Es muss jedem und jeder indiesem Land klar sein: Er oder sie ist nicht allein. Es gibtganz viele Menschen, welche das auch haben odergehabt haben und man kann darüber reden und manbekommt Hilfe.

Suizid wird auch in den Medien berichtet. Was istIhnen wichtig, wie über Suizid korrekt berichtet wer-den soll?

Ich finde es wichtig, dass bei jedem Bericht über Suizidein Hinweis auf Hilfsmöglichkeiten gemacht wird. Und

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Impressum Herausgeber: Netzwerk Angehörigenarbeit Psychiatrie, Zürcherstrasse 30, 9500 WilRedaktion: Thomas Lampert; Titelbild: freepik.com; Auflage: 1000 Exemplare; Edition 2019-2

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