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Akademie-Journal 2/2001

Editorial

Landessprachen wiedas Englische in denUSA oder Austra-lien, Amtssprachenwie vormals dasRussische in derSowjetunion wirkenstabilisierend inner-halb eines Staaten-verbandes. Mehr-sprachige Sprachna-tionen wie Kanadaund Belgien belegendies im Umkehr-schluß. Die europäi-

sche Integration wird auf allen Gebieten der Poli-tik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur durchdie Verschiedenheit der Landessprachen er-schwert. Die Vielfalt der Sprachen und Kulturenrepräsentiert aber zugleich das Wesen und denReichtum Europas. Dem notwendigen Verein-heitlichungszwang in einem grenzfreien Europastellt sich deshalb ein wachsendes Bedürfnisnach nationaler und regionaler Identität entge-gen, die sich wesentlich in den Sprachen manife-stiert. Um ein breiteres Bewußtsein dafür zuwecken, hat die Europäische Union das „Euro-päische Jahr der Sprachen 2001“ (EJS) ausgeru-fen. Dessen Hintergründe und Ziele beschreibtBrigitte Jostes, die das EJS in Deutschland wis-senschaftlich begleitet. Die aktuelle Frage nachder Zukunft der Sprachen und den Bildungs-aspekten des Sprachenlernens will das Akade-mie-Journal mit dem ThemenschwerpunktSprachen in Europaergänzen.Manfred Fuhrmannbeleuchtet die historischeBedeutung des Lateinischen und Griechischenund deren Einfluß auf das europäische Bildungs-system.Harald Weinrichklärt die mittelalterli-che Herkunft des Begriffs lingua franca auf. Erzeigt, wie die neue lingua franca, die nicht Eng-lisch, sondern eine auf diesem basierende primi-tive Verkehrssprache ist, Einzug in die deutscheUmgangssprache gefunden hat.Jürgen Trabantwirbt um deutsches Verständnis für die französi-sche Sprachpolitik und den ihr zugrundeliegen-den Versuch, die Kultur ihrer Sprache zu entwik-keln, zu erhalten und zu fördern. Von der Spra-che der Nationen zu den Sprachen von Minder-heiten wendetMax Pfisterseinen Blick. Minder-heitssprachen finden in Europa unterschiedlicheAkzeptanz und Förderung. Selbst innerhalb einesLandes, wie in Italien, sind Minderheitssprachenunterschiedlich privilegiert. Auch die Schweiz ist

kein Musterland mehrsprachigen Zusammenle-bens. Einen desillusionierenden Blick hinter diealpenländischen Kulissen wirftPeter Wunderli,der auch zeigt, daß sich Sprachverhalten undSprachentwicklung unter dem Druck wirtschaft-licher Verhältnisse ändern. Damit verweist erschon aufPeter Nelde, der die gesamteuropäi-sche Perspektive aufnimmt, die Notwendigkeitindividueller Mehrsprachigkeit aus wirtschaftli-chen Zwängen herleitet und das Phänomen derEinsprachigkeit als individuelles wie kollektivesHindernis in einem künftigen Europa beschreibt.Die Belange einer deutschen SprachminderheitschildertHeinz Schuster-Sewcin seiner Binnen-ansicht des Sorbischen. Detaillierten Einblick indie Vorgehensweise der Sprachforscher gibtnoch einmalWolfgang Schmidmit seiner Unter-suchung der alteuropäischen Hydronomie. DemRat G.W. Leibniz folgend, hat er besonders dieFlußnamen untersucht, da sie gewöhnlich die äl-testen Sprachdokumente darstellen und dadurchRückschlüsse erlauben auf die frühen BewohnerEuropas und deren Sprachen.Die Akademien sind Träger zahlreicher For-schungsprojekte, die sich intensiv mit der deut-schen wie mit modernen und alten fremden Spra-chen beschäftigen. In zahlreichen Veranstaltun-gen und Symposien haben sich die Akademienmit Sprachfragen beschäftigt, nicht zuletzt mitden Aspekten der Wissenschaftssprache und dereuropäischen Vielsprachigkeit. Die Beiträge vonTrabant, PfisterundNeldegreifen thematisch zu-rück auf zwei Veranstaltungen in der ReiheGei-steswissenschaft im Dialog1997 zu „Sprache –Nation – Europa“ und 1999 zu „English only?“.Die Forschungsarbeiten vonPfisterund Schmidbasieren auf laufenden oder bereits abgeschlos-senen Langzeitprojekten des Akademienpro-gramms. Auch der Beitrag vonHeinz Bechertüber die Heiligen Schriften des Buddhismus gehtauf ein Akademieprojekt zurück. Es ergänzt denThemenschwerpunktZentralasien des Heftes2/2000 – vielleicht ein neuer Anlaß, es wiederzur Hand zu nehmen.Der wissenschaftliche Beirat und die Redaktiongratulieren an dieser Stelle dem Herausgeberdes Akademie-Journals, Herrn Professor Dr.Gerhard Thews, ganz herzlich zu seinem 75. Ge-burtstag, den er im Juli gefeiert hat.

Dr. Katharina WeisrockRedaktion Akademie-Journal

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Bekanntlich lachen die Dänen im EuropäischenParlament als letzte, weil sie warten müssen, bis einWitz über die Relaisverdolmetschung auch in ihrerSprache angekommen ist (FAZ, 14.3.2001). DieDeutschen streiten derweil mit den Franzosen, weilimmer mehr Witze auch bei ihnen nur verspätet an-kommen; Bretonen und Sorben haben im Parlamentgar nichts zu lachen, und die Engländer und Irenhalten sich vornehm abwartend aus der Witzdebatteraus, die mit der Osterweiterung der EU eine ganzneue Dimension bekommen wird.Wer nicht mitlachen kann, fühlt sich ausgeschlos-sen; das gilt auch für die Welt außerhalb politischerGremien. Im Weißbuch der Europäischen Kommis-sion von 1996 wird unter dem TitelLehren und Ler-nen – Auf dem Weg zur kognitiven GesellschaftdasProblem der gesellschaftlichen Spaltung in Wissen-de und Unwissende im Kontext von Informations-gesellschaft und globalisierter Wirtschaft aufge-nommen. Ein Weg zur Abwendung dieser Spaltungist das lebensbegleitende Erlernen von Fremdspra-chen: Jeder Unionsbürger soll neben seiner Mutter-sprache zwei Fremdsprachen beherrschen, so dasZiel. Denn sprachliches Wissen ist nicht nur einMittel für den Zugang zu sonst verschlossenemWissen, sondern auch ein Wissen an sich, das deninterkulturellen Horizont erweitert.Die Beschlüsse von Europarat und EuropäischerUnion, in denen das Jahr 2001 zum EuropäischenJahr der Sprachen (EJS) erklärt wird, knüpfen andie Empfehlungen an: Zu den Zielen des EJS gehörtdie Vertiefung des Bewußtseins vom Reichtum dersprachlichen Vielfalt wie auch von den Vorteilen,die mit Sprachkenntnissen verbunden sind. Insbe-sondere Menschen, die bislang kaum Möglichkei-ten hatten, Fremdsprachen zu lernen, sollen in die-sem Jahr durch breite Informationskampagnen fürdas Sprachenlernen gewonnen werden.Die Schwerpunkte informationspolitischer Maß-nahmen liegen auf der Verbreitung der Instrumentedes Europarats zur Förderung des Sprachenlernens:Erstens derGemeinsame Europäische Referenzrah-men für Sprachen, der durch die Beschreibung vonsprachlichen Kompetenzniveaus die Übergängezwischen den Bereichen des Bildungssystem wieauch die Mobilität in Europa erleichtert, und zwei-tens dasEuropäische Portfolio der Sprachen, mitdem individuelle Sprachkompetenzen und Erwerbs-

verläufe dokumentiert werden und die Eigenverant-wortlichkeit der Lernenden befördert wird.Das bunte Logo des EJS soll die Freude suggerie-ren, die mit dem Sprachenlernen verbunden ist. Nunist das Jahr 2001 aber nicht zum Jubeljahr der Spra-chenfreude geworden, sondern zu einem Jahr derheftigen Dispute über die Zukunft der Sprachen unddes Sprachenlernens. Und damit hat es vermutlicheinen viel größeren Beitrag geleistet als es ein ein-jähriger Jubel hätte tun können.Die Diskussionen beginnen bei den gerade genann-ten Instrumenten, die nicht durchweg auf Zustim-mung stoßen, sie setzen sich fort bei der Frage, mitwelchen Sprachen die Brüsseler Formel „Mutter-sprache plus zwei“ konkret gefüllt werden soll, wasdie beste Sprachenfolge ist, welche sprachlichenKompetenzen überhaupt erworben werden sollenund welche Rolle die Sprachen in einem neu zu ver-handelnden Bildungskanon spielen werden. Über-ragt werden diese Debatten von den generellen Fra-gen nach den Einflüssen des Englischen auf die an-deren Sprachen sowie nach der Zukunft der Spra-chenvielfalt bei gleichzeitiger Ausweitung des Eng-lischen alsLingua franca.Zurück zum Europäischen Parlament: Die sprachli-che Realität dort zeigt nicht nur die Probleme derinstitutionellen Vielsprachigkeit auf, sie kann auchals eine Miniatur der europäischen Sprachensitua-tion angesehen werden: Im Hinblick auf die indivi-duelle Mehrsprachigkeit lassen sich die Anforde-rungen an die Dolmetscher auf den Unionsbürgerummünzen: Muttersprache plus Kompetenzen inEnglisch plus weitere Sprache, vorrangig die einesNachbarlandes. Hinsichtlich der gesellschaftlichenVielsprachigkeit greift für Regional- und Minder-heitensprachen die Europäische Charta von 1992.Deutsche und Franzosen müssen sich auf langeSicht vermutlich mit den Sprachverhältnissen und-gewohnheiten der zuletzt lachenden Dänen ver-traut machen, die einen Erfahrungsvorsprung imUmgang mit dominierenden großen Sprachen ha-ben. Wirklich traurig sieht es aber im anglophonenEuropa aus: Dort werden Fremdsprachenkenntnisseimmer seltener.

Brigitte JostesWissenschaftliche Begleitung des EJS im Auftragdes BMBF

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Die alten Sprachen, Europas geistiges Fundament

Manfred Fuhrmann

Die Asterix-Hefte fanden in West- und Mitteleuropa dankbare Abnehmer, während ihnenin den USA eine nennenswerte Resonanz versagt blieb. Ihr Stoff war offenbar zu ‘europä-isch’. Die Comic-Serie spielt im Römischen Reich, näherhin im soeben von Caesar er-oberten Gallien. Und sie strotzt von Zeitbezügen. Sie nimmt geradezu alles aufs Korn,was den heutigen Europäer beglückt oder bedrängt: den Tourismus, den Verkehr, denSport, die Wirtschaft, die Kunst. Das Verständnis der Pointen setzt einige Kenntnisse vor-aus. Die besorgte für das renitente gallische Dorf und sein antikes Ambiente der Latein-unterricht und für die satirisch-ironischen Anspielungen auf Zeitgeschichtliches das eige-ne Erleben der Leser.

Europa ist noch immer tief in der Antike verwur-zelt. Seine Kultur hat sich bis zum 18. Jahrhun-dert, bis zum Beginn der technisch-industriellenRevolution, auf den vorgebahnten Wegen dergriechisch-römischen Kultur und der christlichenReligion entwickelt. Die Prägung bleibt beste-hen, auch wenn das Bewußtsein davon schwin-det. Die Europäer sprechen ziemlich viel ‘Latein’und auch ein wenig ‘Griechisch’, die romani-schen Völker bereits durch den größten Teil ihres‘eigenen’ Vokabulars und alle durch zahlloseLehn- und Fremdwörter.Das Deutsche hat drei oder vier Latein-Invasio-nen erlebt. Die erste Welle, in der Römerzeit,brachte mit dem Handel das ‘Kaufen’ (caupona-ri) und mit dem Steinbau die ‘Mauer’ (murus),den ‘Ziegel’ (tegula) und manches andere. Mitder zweiten Welle, mit der Christianisierung imfrühen Mittelalter, gelangte neben Lateinischemwie ‘Tafel’ (tabula) und ‘Zins’ (census) auchGriechisches nach Deutschland. Als Beispieleseien die ‘Kirche’ (kyriake) oder das ‘Almosen’(eleemosyne) genannt. Auf die dritte Welle, inhumanistischer Zeit, geht eine Fülle von Fremd-wörtern (‘Kur’, ‘Kolleg’, ‘Testament’, ‘Hypo-thek’) zurück, und im 19. Jahrhundert kam derBrauch auf, griechische und lateinische Stämmezur Herstellung technischer Neologismen zu ver-wenden (‘Automobil’, ‘Photographie’).Die Europäer benutzten und benutzen die altenSprachen nicht nur im bisher gemeinten einge-schränkten Sinn als Vorratshäuser für Wörter; siehaben sie auch regelrecht erlernt und mündlich wieschriftlich davon Gebrauch gemacht. Die spätanti-ke, sowohl staatliche als auch kirchliche Trennungin West- und Ostrom blieb hierbei maßgeblich:Die römisch-katholische Sphäre verwendete fürLiturgie, Verwaltung und Wissenschaft das Latei-nische; im Einflußbereich von Byzanz übernah-men das Griechische und das hiernach eingerichte-te Altkirchenslawisch diese Funktionen.Der europäische Bilinguismus, das Nebeneinanderdes einen Lateins und der vielen Volkssprachen,geht auf die Kirche und vor allem auf die Refor-

Abb. 1Eine mittelalterlicheSchulszene, aus derManesse-Lieder-handschrift inHeidelberg (frühes14. Jahrhundert).Der größere Lehrerlinks unterrichtetzwei junge Kloster-insassen, die in ei-nem Buch lesen. DerMönch in der rech-ten Bildhälfte belehrtzwei arme Externeohne Buch. (CodexManesse – Die Mi-niaturen der großenHeidelberger Lieder-handschrift,Frankfurt/M. 1988,Tafel 96)

men Karls des Großen zurück. Das Lateinischehatte damals, nach dem Untergang Westroms undseines Schulwesens, begonnen, sich aufzulösenund in den verschiedenen Gebieten auseinanderzu-streben: in Italien zum Italienischen, in Gallienzum Französischen usw. Es gelang Karl, der fürseine Vielvölkermonarchie eines zuverlässigenallgemeinen Verständigungsmittels bedurfte, dasLatein der Spätantike, der Kirchenväterzeit, nebenden sich entwickelnden romanischen Idiomendurchzusetzen und hiermit jenen Zustand herzu-stellen, der in ganz West- und Mitteleuropa, Polenund Ungarn eingeschlossen, bis zum 17. und 18.Jahrhundert geherrscht hat: Latein, von den Ange-hörigen der führenden Schichten, insbesondere desKlerus, gründlich erlernt, wurde nicht nur – wie im17. und 18. Jahrhundert das Französische und jetztdas Amerikanische – für die Verständigung unterverschiedenen Völkern verwendet, sondern auch

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für große Teile des gesamten Schriftwesens, fürdie Gesetzgebung und Verwaltung, für die Wis-senschaft und Literatur.Latein war mehr als tausend Jahre lang kontinu-ierlich Europas wichtigstes Schulfach. Man lern-te stets nur in direkter Methode, ohne Rekurs aufdie Muttersprache: vom ABC bis zur Anferti-gung von Reden, Aufsätzen und Gedichten. Dergesamte Unterricht fand also auf Lateinisch statt,und auch in den Pausen durfte von den Schülernnichts anderes gesprochen werden. Die Lehran-stalten waren bis zur Reformation im wesentli-chen kirchlich; zu den auf die Karolingerzeit zu-rückgehenden Kloster- und Domschulen gesell-ten sich vom hohen Mittelalter an die „Artisten“-Fakultäten der Universitäten (benannt nach denArtes liberales, den „Freien Künsten“, wie zumalder Grammatik). Der Protestantismus entvölkertedie Klöster, so daß es an Lehrern fehlte. Ein Auf-ruf Luthers sorgte für Ersatz: Die Städte richtetensog. Lateinschulen ein. Mit der letzten Phase derLatein-Hegemonie, mit dem neuhumanistischenGymnasium, trat überall der Staat mit vereinheit-lichenden Reglements auf den Plan.Latein war bis zum 18. Jahrhundert zwar einkünstlich erlerntes, aber kein totes Idiom. Eswurde souverän für alle nur denkbaren Inhalteverwendet. Die Scholastik entwickelte die tradi-tionelle Kirchenvätersprache zu einem Instru-ment von höchster Abstraktion und Präzision.Der Humanismus wiederum vollzog eine teils ra-dikale, teils gemilderte Rückwendung zur anti-ken Ausdrucksweise, wie sie insbesondere vonCicero ausgebildet war. Aus diesen Bestrebun-gen ging die neulateinische Literatur hervor,durch die sich Europa zum letzten Male alssprachliche Einheit manifestierte.Mit der Aufklärung und der Säkularisierung allerLebensbereiche, mit dem Vordringen des Natio-nalstaatgedankens und der Nationalsprachenschlug dem Lateinischen als gemeineuropäischemVerständigungsmittel der Gelehrten die Stunde.Als letzte Bastion fiel die Wissenschaft, so daßdie Lateinschule ihren wichtigsten Zweck einbüß-te. Die aktive Beherrschung der Sprache, die ihrden Namen gegeben hatte, war nicht mehr gefragt.Das neuhumanistische Gymnasium Wilhelm vonHumboldts machte aus dieser Not eine Tugend:Latein, der praktischen Zwecke überhoben, diente

von jetzt an als Instrument der formalen Bildung,zur Vermittlung von Einsichten in Sprache undLiteratur überhaupt.Das Griechische, von Byzanz im fernen Süd-osten lebendig erhalten, hat zweimal den Lehr-plan ganz Europas bereichert: in humanistischerZeit (15. und 16. Jahrhundert) sowie während derPeriode des Philhellenismus (Goethezeit und 19.Jahrhundert). Seine Geltung als zweitwichtigstesSchulfach hebt sich vom Goldgrund der Latein-Kontinuität als Charakteristikum der Epochenkultureller Blüte ab. Man erlernte es jedoch inder Regel nur, um griechische Texte lesen undverstehen zu können. Aktive Kompetenz wurdenicht erstrebt.Den Humanisten der frühen Neuzeit kam es daraufan, in allen Künsten und Wissenschaften den Zu-stand wiederherzustellen, den die Antike erreichthatte. Man studierte daher nicht nur die Dichtungund Philosophie der Griechen, sondern auch ihreFachliteratur, die Werke der Mathematiker, Asto-nomen, Ärzte usw.. Der Humanismus hat hier-durch erheblich zum wissenschaftlichen und zivi-lisatorischen Fortschritt seiner Zeit beigetragen.Im 17. Jahrhundert war von der Beschäftigung mitdem Griechischen wenig mehr übrig geblieben alsdie Lektüre des Neuen Testaments. Dieser Zustandänderte sich jedoch mit dem Aufkommen der phil-hellenischen Bewegung. Im Bereich der Wissen-schaften konnte man jetzt allerdings von den altenGriechen kaum noch etwas lernen. Das Interessean ihnen verengte sich daher auf die schönen Kün-ste, die Dichtung und die Philosophie. Zumal inDeutschland bewunderte man – hierin den Weima-rer Klassikern folgend – ihr Menschentum, ihreangebliche Fähigkeit zur harmonischen Entfaltungaller Kräfte. So führte die zweite Periode des Grie-chen-Enthusiasmus zu einer pädagogischen Insti-tution: Das neuhumanistische Gymnasium, einedeutsche Erfindung, die in ganz Europa Eindruckmachte, suchte durch den altsprachlichen Unter-richt die antike Kultur als Paradigma für ein men-schenwürdiges Dasein hinzustellen.Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurden die altenSprachen, besonders das Griechische, überall inEuropa weithin aus dem Schulunterricht ver-drängt. Die klassizistische Gesinnung und zumaldas Ideal der Allgemeinbildung verloren an Anzie-hungskraft, und so rückten Formen des Gymnasi-ums, die den modernen Sprachen oder den Natur-wissenschaften den Vorrang einräumten, an dieStelle der humanistischen Tradition. Nach demZweiten Weltkrieg wurde der altsprachliche Un-terricht in den vom Kommunismus beherrschtenLändern bis auf geringe Reste beseitigt. Im übri-gen Europa nahm der Prozeß der Einengung einenvon den jeweiligen politischen Verhältnisses we-nig abhängigen Verlauf. Er zeitigte das Ergebnis,daß das Griechische jetzt nur noch von einer ver-schwindend kleinen Minderheit der Gymnasiastenerlernt wird. Beim Lateinischen beläuft sich der

Abb. 2Die Lateinschule zuKirchheim unterTeck (erbaut um1540). (Schriften-reihe des Stadt-archivs Kirchheimunter Teck 6, 1987,Umschlagbild)

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Abb. 3Das GymnasiumLeopoldinum zuDetmold (erbaut1907). (Postkarte:Foto Werner, Lage,Lippe)

Anteil noch auf ein Drittel oder Viertel. Hierbeibeschränkt sich das Ausmaß des Unterrichts oftauf eine elementare Einführung in die Sprache, diezum Verständnis schwierigerer Texte nicht aus-reicht.Die Erlernung des Lateinischen hat bis zum 18.Jahrhundert auch praktischen Zwecken gedient.Insbesondere war sie Voraussetzung für jede Artvon Universitätsstudium. Darüber hinaus aber er-schlossen die alten Sprachen den Zugang zuSinngehalten, zu Werten oder Idealen, die vorge-geben waren, die sich aus der jeweiligen Realitätnicht ableiten ließen. Die europäische Kulturspiegelte von Anfang an und noch heute ihrendoppelten Ursprung: Sie ist einerseits aus einerprofanen Wurzel hervorgegangen, aus der grie-chisch-römischen Kultur, und andererseits auseiner sakralen, der christlichen Religion. BeideKomponenten waren in fest umrissenen, über-schaubaren Inbegriffen von Texten durch dasNadelöhr der antikeuropäischen Überlieferung,das 7. Jahrhundert, ins Mittelalter gelangt, undzwar sowohl im griechischen Osten als auch imlateinischen Westen. Für den christlichen Inbe-griff, für die in Bezug auf den Glauben maßgeb-lichen Schriften hatte sich schon in der Spätanti-ke der Ausdruck ‘Kanon’, „Richtschnur“, einge-bürgert. Ins Corpus der bewahrungswürdigen an-tiken Werke wiederum war alles aufgenommenworden, was sich während der römischen Kaiser-zeit als grundlegend bewährt hatte, sei es für denallgemeinbildenden, den grammatisch-rhetori-schen, sei es für den fachlichen Unterricht.Der Lehrplan der europäischen Schule beruhteseit der Karolingerzeit auf diesen beiden Kompo-nenten, diesen Kanones, wie man sie auch nennenkann. Der christliche Kanon enthielt neben der Bi-bel vor allem Bibelkommentare sowie Schriften,die für die Liturgie benötigt wurden. Der weltli-che Kanon wiederum setzte sich vornehmlich ausden Werken der klassischen Autoren zusammensowie aus Lehrbüchern der Artes liberales, mit derGrammatik und der Rhetorik an der Spitze. Diesebeiden Kanones waren grundverschieden, abernicht unverträglich, solange sich der weltliche Ka-non mit einer dienenden Rolle gegenüber der Re-ligion begnügte, und so wurden sie gemeinsamtradiert, die Artes als Vorstufe der Theologie undunabdingbare Voraussetzung für das Verständnisder Bibel. Erst mit der Aufklärung, als die Theolo-gie entthront und von der Philosophie als obersterInstanz des Wissens und Urteilens abgelöst wur-de, gerieten die beiden altüberkommenen Kano-nes derart zueinander in Widerspruch, daß derweltliche, der humanistische Kanon den christli-chen ausschloß.Das Gymnasium des 19. Jahrhunderts zog hierausdie Konsequenzen. Es stimmte darin mit der Schu-le des ‘alten’ Humanismus überein, daß sein Lehr-plan beiden antiken Sprachen ein hohes Stunden-deputat zubilligte; es unterschied sich jedoch darin

von ihr, daß es sich rigoros auf die ‘heidnische’,die vorchristliche Literatur der Griechen und Rö-mer beschränkte. Da es jetzt auch im Falle des La-teinischen auf die aktive Beherrschung, insbeson-dere auf das Sprechenkönnen, nicht mehr ankam,wurde die Lektüre der großen Autoren von Homerbis Demosthenes und von Cicero bis Tacitus zumHauptinhalt der gymnasialen Bildung. Die altenSprachen repräsentierten somit nur noch die klas-sischen Epochen der beiden antiken Literaturenund nicht mehr, wie zuvor, die gesamte zwischender Antike und der jeweiligen Gegenwart vermit-telnde Tradition.Dieser Verzicht wurde indes weithin dadurchkompensiert, daß die alten Sprachen nur Teil ei-nes größeren Ganzen waren, und zwar sowohl imFächerplan des Gymnasiums als auch im Kos-mos der bürgerlichen Allgemeinbildung. DemKlassizismus der Philhellenen hielten die Ro-mantik und der Historismus die Waage, und sospielten die Griechen und Römer im Denken des19. Jahrhunderts zwar eine wichtige, aber keines-wegs die einzige Rolle. Bildung ermöglichteTeilhabe an der gesamten europäischen Kultur,an allen ihren Epochen – wenn nicht in direkterBetroffenheit, dann immerhin aus verstehenderDistanz, wobei insbesondere die religiöse Über-lieferung ästhetisch vermittelt wurde.Europa sei, wurde zu Beginn behauptet, noch im-mer tief in der Antike verwurzelt. Denn es ist imwesentlichen das, was das Christentum und diedurch die humanistische Rezeption der grie-chisch-römischen Kultur freigesetzten Energienaus ihm gemacht haben. Die Beschäftigung mitden alten Sprachen hat dafür gesorgt, daß mansich dessen bewußt blieb. Seit dem Untergangdes Bürgertums im Zeitalter der Weltkriege gibtes keine Großgruppe, keine Schicht mehr, die alsGanzes den Zugang zu den Ursprüngen Europasoffenhält und hieraus ihre Mythen und Bilder, ih-re Chiffren und Begriffe schöpft. Auch der Um-gang mit den alten Sprachen ist, wie vieles ande-re in unserem individualistischen Zeitalter, zurSache der persönlichen Anstrengung geworden.

Anschrift des Verfassers:Prof. Dr. Manfred FuhrmannAuf dem Stein 4088662 Überlingen/Bodensee

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Deutsch in Linguafrancaland1

Harald Weinrich

Schauplatz Byzanz. Es ist die Zeit der Kreuzzüge. Konstantinopel ist bereits von denKreuzrittern erobert (1204). Die Leute aus dem Westen, viele Franzosen darunter, diesich nun in byzantinischen und levantinischen Gefilden umtreiben, werden vulgärgrie-chischPhrángoi„Franken“ genannt. Die Sprache, in der sie mit den Einheimischen ihreGeschäfte abwickeln, heißt Phrangisch „Sprache der Franken“. Das ist ein abenteuerli-ches Sprachgemisch, in dem von der Grammatik nur eine Schwundstufe übriggebliebenist. Doch ist in diesem Sprachgebilde auf romanischer Grundlage viel West-Östliches zu-sammengeweht. Um sich im Alltag schlecht und recht zu verständigen, reicht es.Später mischen sich auch die Venezianer in das rege Geschäftsleben des östlichen Mittel-meerraums. Sie nennen das Phrangische, an dem sie sich selber mit kräftigen Beigabenbeteiligen, in ihrer Sprachelingua franca.Nun bedeutet dieser Ausdruck soviel wie„Sprache der Westler“. Molière und Goldoni machen sich in ihren Komödien über dasmediterrane Kauderwelsch derlingua francalustig.Man sieht dem Adjektivfrancain diesem Kontext deutlich an, daß es mit „frank und frei“nichts zu tun hat. Eine innere Verwandtschaft verbindet jedoch dielingua francades Mit-telmeerraums mit den späteren Pidgin- und Kreolsprachen auf englischer, französischer,spanischer und portugiesischer Grundlage, wie sie sich im Zeitalter der kolonialen Besitz-nahmen weltweit herausgebildet haben. Man kann sagen, daß die mediterranelinguafranca die früheste historisch bezeugte Pidginsprache darstellt, wozu auch die wahr-scheinliche Herkunft des Wortes Pidgin aus englischbusinesspaßt. So kann also schonfür die lingua francagelten, was die amerikanischen Sprachwissenschaftler Henry undRenée Kahane als Definition dieses ganzen Sprachphänomens vorgeschlagen haben:„a prestige language reduced to a mini-structure – for colonials.“2

Wo liegt heute Byzanz? Wo werden in unsererZeit Sprachprobleme in spätbyzantinischer Ma-nier gelöst? Der historische Schauplatz hat sichverschoben. Was im Altertum und Mittelalter derMittelmeerraum war, ist heute der ganze Erdball,auf dem durch Welthandel und Weltverkehr,Weltkriege und Welteroberungen, Weltwirtschaftund Weltwissenschaft und schließlich durch einemediale Weltvernetzung eine planetarische Zivili-sation entstanden ist, in der, wie man sagt, aufsneue einelingua francagebraucht wird, ein Welt-Pidgin wiederum nach westlicher Art, diesmal al-lerdings auf angelsächsischer statt auf romani-scher Sprachbasis. Auf diese neuelingua francarichten sich die Hoffnungen aller derjenigen, dieimmer schon in der Sprachenvielfalt, statt eineskulturellen Reichtums, ein lästiges Weltübel gese-hen haben. Und am lautesten ertönt der Ruf nacheiner solchenlingua francabei den Deutschen, dieihr Land gar nicht schnell genug zu einem erst-klassigen Linguafrancaland von spätbyzantini-scher Güte umzuwandeln bestrebt sind.Was sagen die Franken dazu? Die Franzosen ha-ben im Jahre 1992 ihre Verfassung durch den la-pidaren Satz ergänzt: „Die Sprache der Republikist das Französische(La langue de la Républiqueest le français)“. Aus diesem Verfassungsartikelhaben sie 1994 eine Reihe von Gesetzesvor-

schriften abgeleitet, die den Zweck verfolgen,der französischen Sprache ihren historischenRang als europäischer Kultursprache zu erhalten.In ähnlicher Weise, jedoch mit mehr Augenmaßals richterlicher Gewalt, wenden auch die Italie-ner, Spanier und Portugiesen große Anstrengun-gen auf, den kulturellen Standard ihrer Spracheninstitutionell zu festigen. Und schließlich habenauch die Polen im Jahre 1999 ein bemerkenswer-tes „Gesetz über die polnische Sprache“ geschaf-fen, in dessen Präambel es unter anderem heißt:– daß die polnische Sprache eine elementare

Grundlage der nationalen Identität und ein na-tionales Kulturgut darstellt;

– daß es notwendig ist, die nationale Identität imProzeß der Globalisierung zu schützen;

– daß die polnische Kultur am Aufbau eines ge-meinsamen und kulturell vielfältigen Europasmitwirkt und dabei zu ihrer eigenen Erhaltungund Entwicklung auf das Patronat der polni-schen Sprache angewiesen ist.

Daraus folgt für den Gesetzgeber, „daß derSchutz der polnischen Sprache Pflicht aller öf-fentlichen Organe und Institutionen der RepublikPolen sowie Verpflichtung ihrer Bürger ist“.Glückliches Polen, das dafür sorgt, daß seineSprache im eigenen Land und in Europa beachtetund geachtet wird!

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Und Deutschland? In der Bundesrepublik Deutsch-land steht von der Sprache nichts in der Verfas-sung. Wir haben auch keine Sprachgesetze. Washaben wir? Wir haben dielingua francaund dieKultusministerkonferenz, die man sich gut auchin Byzanz vorstellen könnte. Denn die Kultusmi-nister und andere Instanzen, die hierzulande fürdie Kulturpolitik verantwortlich sind, tun nichtsdagegen und manches dafür, daß in Deutschlandeine gesichtsloselingua franca implementiertwird, von der behauptet wird, sie sei Englisch.Davon kann keine Rede sein. Englisch ist einewunderbare Sprache. Ich selber spreche, lese undschreibe sie gern. Eine reiche Literatur und bunteMedienvielfalt belohnt mich für die Mühen eineslangjährigen Sprachenlernens. Wer immer diesenuancenreiche und modulationsfähige Kultur-sprache loben will, wird mich an seiner Seite fin-den. Auch ist dieser Sprache neidlos die Vor-rangstellung zu gönnen, die ihr im Prozeß derGlobalisierung zugefallen ist. Es ist gut, daß esauf diesem Planeten eine Sprache gibt, die unbe-stritten die erste Wahl ist, wenn ein Reisender inRio oder Tokio ein Hotelzimmer zu bestellen hat.Und wenn demnächst ein Heilmittel gegen Aidsoder Alzheimer gefunden werden sollte, so ist eszweifellos hilfreich, daß solche Forschungser-gebnisse möglichst schnell und ganz ohne Fragein englischer Sprache veröffentlicht werden.Französisch oder Polnisch oder Deutsch wärenfür diesen Zweck nicht zu empfehlen.Aber Englisch als Erkennungsmelodie derglobalplayersin Linguafrancaland – das ist eine andereSache. Die englische Sprache wird von ihremStandard herunterbuchstabiert und kleingeredet,wenn sie als Alibi-Idiom dazu herhalten muß, ei-ne Nation von ihrem Geschichtsgewicht freizu-machen und ihren Angehörigen das unbesorgteGefühl zu geben, nun könne wieder „frank undfrei“ durch die Welt spaziert werden, ohne daßirgendwer irgendwo durch irgendwas auffällt.Englisch also, zur Reduktionsstufe einerlinguafrancaheruntergemodelt, mit Minimalstrukturenund Billigvokabeln: das ist keine Sprache fürfreie Bürger, sondern – ich zitiere noch einmalKahane – ein Pidgin„for colonials“, woran sichauch dann nichts ändert, wenn ein Land – nichtFrankreich, nicht Polen – eine muntere Selbst-pidginierung betreibt.Englisch also ja,lingua francanein. Diese Unter-scheidung ist von besonderer Relevanz für dendeutschen Sprachraum. Es geht ja die Rede, dasEnglische sei für uns Deutsche eine idealelinguafranca,weil es unserer Sprache so nahe stehe undfolglich so mühelos zu erlernen sei. Das ist eineTäuschung. Gutes Englisch ist für Deutsche un-gefähr so leicht und so schwer erlernbar wie jedeandere Kultursprache. Wird nun das oberflächen-ähnliche Englisch auf unseren Schulen als ersteund oft auch als einzige Fremdsprache angebo-ten, so kommt es bei Kindern und Jugendlichen

leicht zu einem vorzeitigen Stillstand desSprachinteresses, zu einer „Fossilisierung“, wiedie Linguisten sagen. Sobald nämlichkids undyoungstermit glatter Zungechattenund down-loadenkönnen (das sind alles Duden-Wörter!),kann ihnen nicht verborgen bleiben, daß sieschon mit ihrer Schrumpfsprache voll im Visierder Werbung sind. Sie sind in Linguafrancalandangekommen.Eine zweite, für die Sprachkultur unseres Landesebenso folgenreiche Nebenwirkung betrifft dasErlernen anderer Fremdsprachen. Wenn Kindernach dem Willen der fortschrittlichsten Kultus-minister schon im Vorschulalter und dann vieleJahre lang nichts als Englisch lernen sollen unddabei an wohlfeile Anwendungserfolge im All-tag gewöhnt werden, dann sind sie (wie auch ihreEltern) später nicht mehr zu motivieren, nochFranzösisch oder Spanisch oder Latein zu lernen.Das nämlich sind Sprachen, die am Anfang ver-gleichsweise schwer erscheinen, weil in ihrenStrukturen von Grund auf Fremdheiten verarbei-tet werden müssen. Wer daher Englisch nur fürden Gebrauch alslingua francalernt, bleibt halb-monoglott. Er ist dann als Deutscher aus demHaus seiner Sprache nur mit den Fußspitzen her-ausgetreten und hat noch keine wirkliche Gele-genheit gehabt, seine Primärvorstellungen vonder Welt zu relativieren. Englisch alsofor kidsund dann keine andere Fremdsprache mehr imAngebot unserer Schulen, das ist eine kontrapro-duktive Pädagogik für zukünftige Bürger Euro-pas und Weltbürger.Deshalb ist zu fordern, daß allen Lernwilligendie Gelegenheit geboten wird, schon auf derSchule zwei Fremdsprachen zu erwerben, vondenen eine, aber bitte nicht die erste, Englisch ist.Welches dann die erste Fremdsprache des Curri-culums sein sollte, kann hier eine offene Fragebleiben. Allerhand historische oder regionale Ge-sichtspunkte mögen dabei den Ausschlag geben,sofern nur gesichert ist, daß die gesteuerte Erst-begegnung mit einer Fremdsprache elementareErfahrungen mit Andersheit und Fremdheit mög-lich macht. Allemal muß die erste Fremdsprache,sie sei X oder Y, und in der Folge auch die zwei-te Fremdsprache, Englisch, prioritär als Kultur-sprache vermittelt werden, das heißt, als Kultur-gut, das selber Kulturgüter transportiert. Natür-lich ist das ein anspruchsvolles Programm. Abergerade in Zeiten schwacher Nachfrage ist es klugund richtig, die Ansprüche zu erhöhen, anstatt siezu senken. Das Profil muß erkennbar bleiben.Mit Billigangeboten war kulturelles Interessenoch nie zu erzeugen.Kulturpolitik, Sprachpolitik, Fremdsprachenpoli-tik, das kostet natürlich etwas. Wenn Deutsche inihrem Leben Französisch oder AusländerDeutsch als Fremdsprache lernen, so ist das zumNulltarif nicht zu haben, weder in Geld- noch inZeitwährung gerechnet. Das sind jedoch Ausga-

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ben, die langfristig nicht ökonomisch, sondernnur ökologisch zu berechnen sind. In einer Welt,die in fliegender Hast von einem Informations-stand zum anderen hetzt, ist – futurologisch gese-hen – am meisten Verlaß auf Sprachkenntnisse,die sich nur in biologischen Rhythmen verän-dern. Wer also in Sprachen investiert, hat auf so-lide Werte gesetzt.Sprachen repräsentierenNachhaltigkeit schlechthin.Nun die deutsche Sprache, zunächst im sprachli-chen Inland betrachtet. Deutsch ist – jetzt könnensich alle Byzantiner die Ohren zuhalten – einüber Jahrhunderte von intensiver Sprachkulturgeformtes Werkzeug des Geistes, das nicht nurim alltäglichen Gebrauch, sondern auch als Spra-che der institutionalisierten Öffentlichkeit, alsLiteratursprache, als Mediensprache und alsFachsprache der Wissenschaft und Technik nie-manden im Stich läßt, der gutes Deutsch spre-chen oder schreiben will. Mit diesen Eigenschaf-ten darf die deutsche Sprache als ein schätzens-wertes Kulturgut gelten, das Schutz und Scho-nung, Pflege und Förderung verdient.Daran mangelt es allerdings in Linguafrancaland.Wenn nämlich in diesem Land gerade die Mei-nungs- und Marktführer als erste vor derlinguafranca als vermeintlicher Machtsprache in dieKnie gehen, so daß in ihrem SprachverkehrDeutsch nur noch den niederen Chargen gestattetist, dann wird die deutsche Sprache mit einerMinderwertsteuer belegt, an der die ganzeSprachgemeinschaft zu tragen hat. Die peinli-chen Folgen springen schon in jeder Einkaufs-straße ins Auge. Ich spreche jetzt nicht vonFremdwörtern. Dieser Begriff ist obsolet, seit-dem in einer schrumpfenden Welt alle Sprachenin beträchtlicher Menge Internationalismen auf-nehmen, so daß Taxi, Ticket, Telefon besseredeutsche Wörter sind als Mietwagen, Fahraus-weis und Fernsprecher. Ich rede aber erst rechtnicht mehr – mit Adorno – voller Hochachtungvon den „Wörtern aus der Fremde“, jenen Kul-turboten aus dem Ausland, die früher einmal inder deutschen Provinz dringend benötigt waren.3

Auch diese Art Fremdwörterlob ist obsolet. Zureden ist, wenigstens einen Moment lang, vonden massenhaft uns aufgenötigten Konsumwör-tern aus überquellendenLingua-franca-Bestän-den, die zwar in ihrer Mehrheit – ganz anders, alsAdorno es sich 1959 vorgestellt hatte – nach kur-zem Gebrauch verramscht werden, dann abernoch lange als Wortmüll herumliegen, ohne daßan ihre Entsorgung gedacht wird. Wenn also bei-spielsweise ein großes Wirtschaftsunternehmender Kommunikationsbranche, das mit seinenBörsengängen protzt, fast seine ganze Produkt-palette in lingua francaanbietet und für dieseProdukte dann unverständliche Gebrauchsanwei-sungen in Pidgin pur mitliefert, dann ist das garnicht mehr so lustig, wie in dieser Spaßgesell-schaft oft behauptet wird.

Soll also der Staat, wie es in Frankreich ge-schieht, mit rechtlichen Schritten gegen die Hau-fen und Halden von Konsum- und Ramschwör-tern vorgehen? Ich bin nicht dieser Ansicht undhabe das auch seit 1994 bei vielen Anlässen öf-fentlich gesagt und geschrieben.4 In Fragen derSprachkultur sollten wir weiterhin, ohne zu resi-gnieren, auf die Kräfte von Instinkt und Ge-schmack vertrauen und für die gewichtigerenFragen des Sprachgebrauchs an eine Verantwor-tungsethik appellieren, von der nur zu hoffen ist,daß sie auch in den Dienstzimmern der oberenEtagen nicht plötzlich aussetzt.Auf einen Sonderfall der Sprachethik ist aller-dings mit einigem Nachdruck hinzuweisen.Wenn bei der Novellierung des Hochschulrah-mengesetzes von 1998 für deutsche Universitä-ten Bachelor- und Master-Studiengänge ange-priesen werden, obwohl die Ausdrücke Bacca-laureus und Magister in Goethes „Faust“ gut be-zeugt sind, – und wenn einige dieser Universitä-ten, deren Namen ich beschämt verschweigenmöchte, für ihre Professoren und StudentenSchoolsund Departmentseinrichten, um sich inihrer Anpassungsgier möglichst perfekt alslin-gua-franca-tauglich darzustellen, dann werdennicht nur Instinkts- und Geschmacksgrenzenüberschritten, sondern es wird Charakter verwei-gert. Es ist, als wenn diese Institutionen aus eige-nem Antrieb Warnplakate anbringen würden:„Achtung – Linguafrancaland – rückgratfreieZone“. Ebenso wie also dem französischenSprachgesetz zu widersprechen ist, wenn es denöffentlichen Gebrauch französischer Vokabelnvor Gericht einklagbar machen will, so muß erstrecht mit den Formulierungen des polnischenSprachgesetzes Einspruch dagegen erhoben wer-den, daß deutsche Universitätsangehörige mitRechtsverordnungen zur Pidginierung ihrerSprache gezwungen werden sollen.In diesem Zusammenhang möchte ich mir eineBemerkung speziell an die Adresse der Wirt-schaft gestatten. Verschiedene Wirtschaftsunter-nehmen mit klingendem Namen, jedoch multina-tional fusioniert und mit Firmensitz irgendwo inByzanz, haben es in den letzten Jahren für richtigerachtet, Englisch als Konzernsprache einzufüh-ren. Ich will das an dieser Stelle weder kommen-tieren noch kritisieren. Nur auf einen Aspekt die-ser Entscheidung möchte ich aufmerksam ma-chen. Wenn es dazu kommt, daß sich ganzeWirtschaftszweige aus der deutschen Wirt-schaftssprache verabschieden, dann entstehtnicht nur bei den Mitarbeitern, sondern darüberhinaus in einem weiten sozialen Umfeld dieserUnternehmen ein sprachökologisches Umwelt-problem mit Risiken und Nebenwirkungen, de-ren Ausmaß für die deutsche Sprache gar nichtabschätzbar ist oder jedenfalls bis heute nicht ab-geschätzt worden ist. Und es verrät schon einegehörige Portion Chuzpe, wenn zur gleichen Zeit

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ein neues Schulfach „Wirtschaft“ gefordert undeinem solchen Fach rücksichtslos die sprachlicheGrundlage in der Bevölkerung entzogen wird.Ein zweites Wort möchte ich an die Adresse mei-ner Kolleginnen und Kollegen aus jenen Wissen-schaftsbereichen richten, in denen es üblich ist,daß die „Spitzenforschung“, wie die stolze Berg-steigermetapher lautet, unter sich nur englischkommuniziert. Wenn das auf internationalen Kon-gressen und in den Publikationsorganen der Origi-nalforschung geschieht, sind gegen diese Anglo-phonie keine grundsätzlichen Einwände vorzu-bringen. Unstrittig gehört die freie Wahl der Publi-kationssprache zur grundgesetzlich garantiertenFreiheit der wissenschaftlichen Forschung. Im ein-zelnen wäre jedoch zu diesem vielschichtigen The-ma manches zu sagen, was nicht unbedingt zu sol-chen flotten Sprüchen wie„Broken English spo-ken“ oder „Good science means bad English“paßt. Denn man wird ja beispielsweise der Fragenicht ausweichen können, ob etwa auch der poli-tisch-moralische Diskurs zum „verbotenen Wis-sen“ (Nietzsche) in den Grenzbereichen der biolo-gischen und medizinischen Forschung nur inlin-gua francageführt werden soll. Solche und ähnli-che Überlegungen habe ich schon bei manchen an-deren Gelegenheiten vorgetragen, immer mit derBehinderung allerdings, daß es für eine so wichti-ge Sache, wie es die Wissenschaftssprache ist, nir-gendwo in Linguafrancaland eine eigene For-schungsstelle und nicht einmal einen Lehrstuhlgibt. Daher will ich mich hier auch mit einer einzi-gen Bemerkung begnügen. Sie besagt, daß Wis-senschaftler, die in diesem Land tätig sind und ausrespektablen oder diskutablen Gründen ihre For-schungsergebnisse in englischer Sprache publizie-ren, deshalb noch längst nicht aus ihrer Mitverant-wortung für die deutsche Sprachkultur entlassensind. Denn gutes Deutsch ist nicht ein frommerWunsch, sondern eine Bringschuld der Wissen-schaft, auch in Linguafrancaland.Zum Abschluß noch ein paar Worte zur deutschenSprache, von außen gesehen. In vielen Ländern derErde, aber auch im Inland, wird Deutsch alsFremdsprache gelehrt und gelernt. Die Motivatio-nen dieses Spracherwerbs sind unterschiedlich. Siereichen von der touristischen Neugierde über nütz-liche Wirtschaftskontakte bis zu literarischen oderwissenschaftlichen Interessen an der deutschenSprache und an den Kulturgütern, die mit ihr zu er-schließen sind. Kein Zweifel, daß diese Deutsch-lernenden unsere ersten und wichtigsten Partnerund oft auch unsere besten Freunde in der Weltsind. Es ist daher ein Zeichen kluger und weitsich-tiger Kulturpolitik, mit den Instrumentarien derGoethe-Institute, der DAAD-Lektorate und derdeutschen Auslandsschulen, um hier nur einigeMittlerorganisationen herauszuheben, das vielge-staltige Interesse an der deutschen Sprache nachKräften zu stützen. Das eben ist das deutlichsteMarkenzeichen unserer eigenen Sprachkultur.

Daraus folgt gleichzeitig, daß Deutsch als Fremd-sprache, aus Steuermitteln subventioniert, nichtnach Art einerlingua francamit Minimalstruktu-ren und Wegwerfvokabeln zu vermitteln ist, son-dern als eine wohlgeformte Sprache, die sich ihreskulturellen Mehrwerts sicher ist und auch weiß,was sie ihrer Geschichte schuldet. Nicht alsoDeutsch um jeden Preis, Deutsch leicht gemacht,Deutsch trivial und banal, Biedermanns Billig-Deutsch, sondern – wie soll ich es anders nennen?– Deutsch für Köpfe.Ist das ein realistisches Programm? Nun, ich habean der Universität München vierzehn Jahre langdas Institut für Deutsch als Fremdsprache geleitet,an dem ständig an die tausend ausländische Stu-denten aus etwa dreißig verschiedenen Ländernstudierten. Ich weiß daher ziemlich genau, was insprachlichen Dingen geht und was nicht geht. Vorallen Dingen weiß ich, wie hoch die Erwartungensind, mit denen diese Ausländer in das Land Goe-thes, Nietzsches und Max Webers kommen undwie intensiv sie sich die Kultur unseres Landes an-eignen wollen. Es ist eine beständige Freude, mitdiesen Ausländern zu arbeiten. In vielen Fällengeht es nämlich schon lange nicht mehr darum, obwir den Lernwilligen aus anderen Kulturen einbißchen Alltagsdeutsch beibringen. Oft muß dieFrage umgekehrt lauten, ob wir uns nicht balddeutsche Sprachkultur von Italienern, Griechen,Türken und Indern zurückholen müssen. In dieserSicht werden wir auch durch die zahlreichen Auto-ren fremder Muttersprache bestätigt, die seit Jahr-zehnten großartige Beiträge zur Literatur in deut-scher Sprache leisten, wie es durch die jährlichenPreisträger des Adelbert-von-Chamisso-Preiseseindrucksvoll dokumentiert wird. Nur sorge ichmich, was diese Menschen aus anderen Ländernsagen werden, wenn man sie nach der Rückkehr inihre Heimatländer fragt: Nun, wie war denn dasLeben in Deutschland? Und wenn sie dann ant-worten müssen: Deutschland? Wo liegt das denn?Wir waren in Linguafrancaland.

Anmerkungen

Anschrift des Verfassers:Prof. Dr. Harald WeinrichCollège de FranceChaire de Langues et Littératures Romanes11, Place Marcelin BerthelotF-75231 Paris Cédex 05

1 Vortrag anläßlich des Forums „Passé und mega-out? Zur Zukunft

der deutschen Sprache im Zeitalter von Globalisierung und Multi-

media“, Bonn, 17. November 20002 Henry and Renée Kahane:Lingua Franca: The Story of a Term.

Romance Philology 30 (1976) S. 25-41, hier S. 41.3 Theodor W. Adorno: Wörter aus der Fremde (1959). In Th. W.A.:

Noten zur Literatur II. Frankfurt: Suhrkamp 1961. S. 110-130.4 Harald Weinrich: Ein Gesetz für die Sprache? (1995). In H.W.:

Sprache – das heißt Sprachen. Tübingen: Gunter Narr 2001.

S. 310-314.

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Französische Sprachpolitik –ein Modell für Deutschland?

Jürgen Trabant

An die aktuelle Sprachpolitik in Frankreich die Frage zu stellen, ob sie ein Modell fürDeutschland sein kann, scheint von vornherein absurd angesichts der Tatsache, daß überdiese nur das denkbar Nachteiligste zu hören war und ist. Über das Sprachgesetz von1994 ist in der deutschen Presse ausführlich und durchweg ablehnend berichtet worden.Das nach dem damaligen Kultusminister Jacques Toubon benannte Gesetz, so war zu le-sen, verbiete den Franzosen die Verwendung englischer Wörter und drohe bei Zuwider-handeln mit saftigen Strafen. Das soll ein Modell für Deutschland sein? Die deutschePresse ist im Vollbewußtsein ihres Kosmopolitismus über das eigenartige, selbstbezoge-ne Frankreich hergezogen. Insbesondere hat natürlich ein deutsches Nachrichtenmagazindie Franzosen erbarmungslos eines lächerlichen Sprachchauvinismus geziehen. Kurzum,man hat sich hierzulande köstlich darüber amüsiert, daß Frankreich wie ein sprach- undkulturpolitischer Don Quijote gegen die englischen Wörter kämpft, und man hat fein lä-chelnd die klugen deutschen Köpfe geschüttelt.

Nun aber gewinnt das Thema – Jahre nach derloiToubon– ganz offensichtlich auch in Deutsch-land an politischem Interesse. Wenn allerdingsausgerechnet der Berliner Polizei-Senator gegendie amerikanischen Wörter vorgeht und auslän-dische Wörter statt Verbrecher jagt, so erzeugtdies schon bei seinem Senatskollegen von derKultur feinsinnigen Spott und die erwartbarenAbwehrreflexe bei der weltläufigen Presse. Den-noch hat immerhin auch der Bundespräsidentkürzlich größere Umsicht bei der Verwendungvon Amerikanismen angemahnt, wie übrigensschon vor vielen Jahren sein Vorgänger Heine-mann. Das aktuelle Interesse der Politik und derÖffentlichkeit an dem Thema lenkt daher durch-aus noch einmal den Blick nach Frankreich, dasauf dem Gebiet der Sprachpolitik einige Erfah-rungen hat. Frankreich kennt nämlich seit 450Jahren eine staatliche Sorge um das Französi-sche, deren wichtigste Etappen durch die folgen-den fünf Ereignisse gekennzeichnet sind.

Etappen französischer Sprachpolitik

1539: Die Ordonnance von Villers-Cotterêts von1539 ist die erste Staats-Aktion bezüglich desFranzösischen. Dieser königliche Erlaß be-stimmt, daß statt des Lateinischen, das immerwieder Anlaß zu Mißverständnissen gibt, dieVolkssprache bzw. „le langage maternel fran-çais“ in der Verwaltung und in den Gerichtsaktenzu verwenden sei. Die von Franz I. erlasseneVerfügung befördert damit das Vordringen desFranzösischen in eine Diskurswelt, die bis dahinvom Lateinischen besetzt war. Dieser staatlicheVorstoß steht im Zusammenhang mit der allge-meinen europäischen Bewegung zugunsten der

Volkssprachen und gegen das Latein. Das Fran-zösische erobert sich, wie andere Volkssprachenauch, im 16. Jahrhundert zunehmend weitere„höhere“ Diskurswelten, nämlich die Wissen-schaften, ja sogar die Theologie – ich verweiseauf Calvin – und schließlich auch die Philoso-phie.1635: Hundert Jahre später war das Französischeschon in alle schriftlichen und mündlichen Dis-kurswelten vorgedrungen, die eine Sprache abzu-decken in der Lage ist. Im Rahmen der umfas-senden politischen, gesellschaftlichen und kultu-rellen Gestaltung des absolutistischen Staates,der Versaillifizierung Frankreichs, wurde ganzentschieden an einem Menschentyp gearbeitet,dem sog. „honnête homme“, dem Höfling, des-sen Sprache ebenso gestylt werden mußte wieseine Kleidung, seine Tischmanieren, seine Ge-bärden und andere Kulturtechniken. Das höfi-sche Styling der Sprache ist die Aufgabe derAcadémie française, die eine aristokratische undzentralfranzösische Sprachnorm festlegt und pro-pagiert. Es geht um die Reinheit, die Vornehm-heit und die Eleganz der Sprache, umpureté, no-blesseund élégance.1789: Als anderthalb Jahrhunderte später die De-mokratie in Frankreich etabliert wird, sprichtzwar die europäische Aristokratie das reine, no-ble und elegante Französisch, das französischeVolk aber nicht oder nur zu einem geringen Teil.Zum Leidwesen der Revolutionäre war nur einDrittel des Volkes des Französischen mächtig,nur ein Sechstel konnte es auch schreiben, dieCitoyens der Republik sprachen mehrheitlich an-dere Sprachen oder Dialekte. Der neue Souveränwar also gleichsam sprachlos. Da mußte etwasunternommen werden. Die revolutionäre Politik

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faßt die sprachliche Vereinheitlichung der Repu-blik ins Auge: Die Verwendung anderer Spra-chen in staatlichen Akten wird verboten (womitdie bürgerliche Revolution die königliche Politikvon Villers-Cotterêts fortsetzt). Vor allem wirdeine Schulpolitik konzipiert, damit die FranzosenFranzösisch lesen und schreiben und schließlichauch sprechen lernen. Allerdings ging dies nichtso schnell, wie es die Revolutionäre hofften. Erstim ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ist der Pro-zeß der Erlernung des Französischen durch dieFranzosen abgeschlossen, 150 Jahre nach derFranzösischen Revolution. In dem Moment aber,in dem die Franzosen endlich die Sprache derRepublik gelernt hatten, beginnt auch sogleichdas, was in Frankreich die „Krise“ des Französi-schen genannt wird, der Rückgang der Weltgel-tung des Französischen zugunsten des Engli-schen und das Eindringen englischer Wörter insFranzösische.1975: Die sog.loi Bas-Lauriol, ein Gesetz gegendie Verwendung englischer Wörter in bestimmten„öffentlichen“ Texten, ist die staatliche Reaktionauf jenen zweiten Aspekt der Krise des Französi-schen. Nach dem 2. Weltkrieg gab es nach Mei-nung einflußreicher Publizisten eine massiveAmerikanisierung des Französischen, eine Inva-sion englischer Wörter, die 1964 Etiemble zu derpolemischen Frage veranlaßte: „Parlez-vous fran-glais?“. Durch diese Polemik aufgerüttelt, entfalte-te der Staat Aktivitäten zur Zurückdrängung vonAnglizismen. In den Ministerien wurden Termino-logiekommissionen eingesetzt, die seit den sechzi-ger Jahren Tausende von Ersatzvorschlägen fürenglische Wörter gemacht haben, welche heute eindickes Buch füllen, dasDictionnaire des termes of-ficiels (1994). Die Redefelder, auf denen die ame-rikanischen Wörter ins Französische eindringen,sind natürlich diejenigen, auf denen amerikanischeKultur und Technik weltweit erfolgreich operiert,also z.B. der Bereich der neuen Medien, der Nu-kleartechnik, des Tourismus, des Handels. DieloiBas-Lauriolversteht sich, wie man der Erläute-rung ihrer Begründung entnehmen kann, aus-drücklich als Maßnahme gegen diedégradationund contamination, die Verderbnis und Verseu-chung des Französischen durch das Englische, so-wie als Maßnahme zum Schutz der Verbraucherund Arbeitnehmer.1994: In dieser Reihe staatlicher Eingriffe zu-gunsten des Französischen seit dem 16. Jahrhun-dert steht schließlich als bislang letzte Etappe dieloi Toubon.Der Gesetzesvorschlag war zunächstgedacht als eine Intensivierung und Fortsetzungdes Gesetzes Bas-Lauriol. Die Maßnahmen desGesetzes von 1975 gegen die Amerikanismenwollten nämlich nicht so recht greifen, so daß dasGesetz nachgebessert und die Sanktionen ver-schärft werden sollten. Darüber hinaus aber –und das ist neu gegenüber 1975 – sieht das neueGesetz eine Reihe von Maßnahmen vor, die sich

nicht auf englische Wörter und ihre französi-schen Ersetzungen beziehen, sondern die aufdieVerdrängung des Französischen aus bestimmtenRedesituationenreagieren. Dieses zweite Ziel istschließlich ganz entschieden in den Vordergrundgetreten. Im Gesetzgebungsvorgang ist nämlichfolgendes geschehen: Dieloi Toubonwollte dasVerbot der Anglizismen in Arbeitsverträgen, inder Werbung, in öffentlichen Inschriften usw. er-neuern und verwies in diesem Zusammenhangauf die „offiziellen Termini“, die die staatlichenInstanzen erarbeitet hatten. Aber genau diese Be-stimmung hat der von der Opposition angerufeneVerfassungsrat aufgehoben. Er hat zwar generellbestätigt, daß in den genannten Texten „franzö-sisch“ geschrieben werden müsse. Was aber„Französisch“ sei, das – so die weise Erkenntnisdes Verfassungsrates – dürfe der Staat nicht vor-schreiben. Eine solche Vorschrift sei gegen diefreie Entfaltung der Persönlichkeit und die freieMeinungsäußerung. Aus Verfassungsgründendarf der Staat den Bürgern also nicht verordnen,was Französisch ist, das entscheiden die Bürger,d.h. die Sprecher des Französischen selbst.

Abb. 1Frankreich pflegtseine Sprache seit350 Jahren.

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Durch die Zurückweisung des staatlich verordne-ten Sprachpurismus ist nun das zweite – undwichtigere – Motiv der Gesetzesinitiative deutli-cher geworden. Denn vorrangig ist gar nicht derKampf gegen die Anglizismen, wichtiger sindMaßnahmen gegen die Okkupierung von höhe-ren Diskursuniversen durch das Englische. Dieloi Toubon ist damit jetzt im wesentlichen einGesetz, das auf das oben genannte erste Momentder „Krise“ des Französischen, d.h. auf die Tat-sache reagiert, daß in der Wissenschaft, im Ge-schäftsverkehr, auf Kongressen zunehmend nurnoch Englisch verwendet wird. Es wendet sichgegen die exklusive Besetzung der wichtigstenDiskurswelten durch das Englische und damitauch gegen das Herausbrechen ganzer Sprach-Register – nicht nur einzelner Wörter – aus derGesamtarchitektur des Französischen.Das Gesetz macht in diesem Bereich nun folgen-de – eigentlich geradezu rührende – Vorschrif-ten: Auf Kongressen in Frankreich darf auchfranzösisch gesprochen werden. Wohlgemerkt:es wird niemand gezwungen, französisch zusprechen, wohl aber gibt es ein Recht aufs Fran-zösische, eindroit au français: Wenn jemandfranzösisch sprechen möchte, darf er das. Desweiteren wird bestimmt, daß fremdsprachige Pu-blikationen, die öffentlich gefördert werden, miteinem französischen Resümee zu versehen sind.Und drittens wird das Französische als Unter-richtssprache in französischen Erziehungsein-richtungen vorgeschrieben.

Worum es geht: Frankophonieund patrimoine

Dies sind ganz offensichtlich keine unbilligengesetzlichen Bestimmungen. Aber natürlich kannman sich auch angesichts dieser moderaten Maß-nahmen noch fragen, warum sich der Staat dennüberhaupt um diese sprachlichen Dinge küm-mert. Warum läßt Frankreich nicht einfach derEntwicklung ihren Lauf, so wie wir in Deutsch-land dieser Entwicklung ihren Lauf lassen, ja siesogar noch tatkräftig befördern, weil wir soschön Englisch gelernt haben, weil wir so herr-lich kosmopolitisch sind und weil uns dann dochauch die Masters of the Universe verstehen kön-nen? Da wir überdies keine besonders guten Er-fahrungen mit „deutschen“ Korrekturen desWeltgeistes gemacht haben, würden wir cool,wie wir nun einmal sind, den Franzosen raten,wie dies eine deutsche Zeitung getan hat: „Re-stez cool!“Doch die Franzosen blieben nicht cool ange-sichts der sprachlichen Vereinheitlichung desGlobus und der Etablierung der Universalspra-che Englisch. Sicher sind sie nicht cool, weil, wieman ihnen immer wieder vorhält, nicht das Fran-zösische die triumphal siegende Welt-Spracheist. Und außerdem: mit welchem Recht können

gerade die Franzosen gegen diese gewaltlose,sanfte, freiwillige sprachliche Uniformierung desGlobus protestieren, wo doch der französischeStaat seit der Revolution den nichtfranzösischenSprachgemeinschaften auf seinem Territoriumseine Sprache durchaus mit einiger Brutalitätaufgezwungen hat. Es entbehrt in der Tat nichteiner gewissen historischen Ironie, wenn geradeder französische Staat sich zum Anwalt sprachli-cher Vielfalt macht. Dies sei zugestanden undschwächt in der Tat die Autorität des SprechersFrankreich. Dennoch schwächt dies nicht densachlichen Kern des Protestes, wie er in der Ge-setzesbegründung deutlich artikuliert wird. Esgeht Frankreich – jenseits der traditionellen kul-turellen Konkurrenz mit dem Englischen – vorallem um zwei Probleme:Erstens ist mit der Sprachfrage das eminent poli-tische Problem der sog.Frankophonieverknüpft.Die frankophonen Staaten, also vor allem dieafrikanischen Staaten des ehemaligen Kolonial-reiches, stehen mit Frankreich und untereinanderdurch eine „frankophone“ Zweisprachigkeit inenger politischer Verbindung, die durch das Vor-dringen des Englischen tödlich bedroht ist. In derFrankophonie herrscht, vereinfacht gesagt, eineDiglossie, mit dem Französischen als Spracheder „hohen“ Diskurswelten – Wissenschaft, Kul-tur, Administration, Wirtschaft – und den jewei-ligen autochthonen Sprachen für den Alltagsge-brauch. Wenn nun aber die Franzosen selbst inden genannten „höheren“ Feldern der Rede eng-lisch sprechen und schreiben, dann trifft dies insHerz der Frankophonie. Warum sollten denn dieEliten der frankophonen Länder gerade in denBereichen französisch sprechen, wo die Franzo-sen selbst englisch sprechen? Die auf jener Di-glossie aufruhende besondere Beziehung zuFrankreich und das besondere Zugehörigkeitsge-fühl würden ihrer sprachlichen Grundlage be-raubt und damit würde sehr wahrscheinlich baldauch der politische und ökonomische Zusam-menhalt von innen her ausgehöhlt. Der Einbruchder englischen Sprache in französische Sprach-räume hat also erhebliche politische Konsequen-zen.Das zweite in der Gesetzesbegründung angeführ-te Motiv für die Verteidigung des Territoriumsdes Französischen ist die staatliche Obhut despatrimoine, d.h. die Pflege und die Sorge um daskulturelle Erbe, zu dem die französische Sprachegezählt wird. Nicht von ungefähr wird bei die-sem Motiv dieAcadémie françaiseals Hüterinder Sprache aufgerufen. Der moderne Gesetzge-ber bekräftigt damit die jahrhundertealte staatli-che Pflege der Sprache, nunmehr im modernenRahmen seiner Verantwortung für das KulturgutFrankreichs. Zu diesem gehören übrigens jetztoffiziell auch die nichtfranzösischen Regional-sprachen. Während die konservative Regierungnoch zögerte, hat die Regierung Jospin daher

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auch die europäische Charta für die sprachlichenMinderheiten unterschrieben (was ihr dann aller-dings vom Verfassungsrat wieder untersagt wur-de). Im Zusammenhang mit der Berufung auf dieinnere Vielfalt despatrimoinesteht schließlichdie Beteuerung einer Öffnung Frankreichs fürfremde Sprachen und Kulturen und die Anrufungder union européenne.

„Germanophonie“ und kulturelles Erbe

Vielleicht erscheint nach diese Präzisierungen zuden Traditionen und Motivationen der neuerenfranzösischen Sprachpolitik die Frage nicht mehrganz so absurd, ob sie angesichts der parallelenErscheinungen im deutschen Sprachraum einModell für den deutschen Nachbar sein kann.Die französischen Erfahrungen sind erheblichdifferenzierter, als es der oberflächliche ersteBlick wahrgenommen hatte. Es geht schon längstnicht mehr nur um die englischen Wörter. DieProbleme von Frankophonie undpatrimoine, zei-gen, daß andere Aspekte wichtiger gewordensind, die wir nun kurz auf unsere eigene Situationbeziehen wollen.Zunächst zur Frankophonie: Es gibt keine „Ger-manophonie“. Wir haben keinen Verbund vonStaaten, die politisch durch eine Diglossie„Deutsch / autochthone Sprache“ an Deutschlandgebunden wären wie die frankophonen Staatenan Frankreich. Insofern gibt es auf den erstenBlick auch keine politischen Probleme durch dasWegfallen des Deutschen aus den höheren Dis-kurswelten, wenn die Deutschen auf englischWissenschaft betreiben oder wirtschaften. Stattdeutsch reden wir dann mit den wissenschaftli-chen und wirtschaftlichen Partnern eben eng-lisch. No problem! Aber so ist es ja nicht. Natür-lich haben wir das Frankophonie-Problem, ja wirsind schon längst in jener schmerzvollen politi-schen Lage, die Frankreich erst noch befürchtet:Es ist längst deutlich geworden, daß die Studen-ten aus Ländern, die traditionellerweise mit demdeutschen Sprachraum verbunden waren, aus-bleiben, daß junge Wissenschaftler das Flugzeugvon Budapest direkt nach London und in dieUSA nehmen und gar nicht mehr daran denken,in Frankfurt auch nur zwischenzulanden. Dasliegt sicher nicht nur an der Ausländerfeindlich-keit in Deutschland und an der vermeintlichschlechten Qualität der deutschen Wissenschaft,es liegt auch an der Sprache – ja es liegt vor al-lem an der Sprache. Die Sprache von Wissen-schaft, Technik und business ist Englisch. Wozualso die Mühsal der Erlernung des Deutschen aufsich nehmen und wozu in ein deutschsprachigesLand gehen statt direkt in die Länder, wo dieSprache von Wissenschaft, Technik und businessauch noch im alltäglichen Leben gesprochenwird? Daß die Eliten der Welt sich zunehmendausschließlich in Amerika aus- und weiterbilden,

ist durchaus ein ernsthaftes politisches Problemauch für unser Land, auf das uns die französischeSprachpolitik aufmerksam macht – vor allemauch auf die Möglichkeit, etwas dagegen zu tun.Zum zweiten Punkt, zur Berufung auf das kultu-relle Erbe, daspatrimoine. Daß Wissenschaft,Philosophie, Theologie seit Jahrhunderten nichtmehr auf Lateinisch, sondern in den National-sprachen betrieben wurden, ist eine im 16. Jahr-hundert einsetzende europäische Entwicklunggewesen. Es war zugleich Ergebnis einer demo-kratischen Emanzipation, sofern sich das städti-sche Bürgertum diese dem (lateinischen) Klerusvorbehaltenen Diskursuniversen eroberte. DieVerwendung der Volksprache brachte nicht nureine kommunikative Erleichterung. Die Integra-tion des wissenschaftlichen Denkens und Spre-chens ins Medium der Muttersprache bereicherteund verfeinerte auch die Nationalsprachen. Vorallem aber bereicherten die Nationalsprachenumgekehrt auch das wissenschaftliche und philo-sophische Denken. Wir brauchen nur an solchewahrlich in der deutschen Sprache denkendenPhilosophen wie Hegel oder Heidegger zu erin-nern. Wenn jetzt nur noch auf englisch Philoso-phie und Wissenschaft betrieben wird, dann bre-chen Formen des Denkens und des Sprechensweg, die zurecht als kulturelle Errungenschaftenbetrachtet werden, alspatrimoine. Um das zuverstehen, darf man allerdings die Sprachen nichtnur als – im Grunde gleichgültige – Kommunika-tions-Instrumente ansehen, sondern muß schondie Humboldtsche Einsicht teilen, daß die ver-schiedenen Sprachen der Welt „Weltansichten“sind, kostbare historisch-individuelle Gefäße desMiteinander-Denkens. Wenn die Franzosen hierWiderstand leisten, so ist dies daher kein dum-mer, national eitler Kampf, über den wir modernkosmopolitisch lächeln könnten, sondern eineGeste zur Verteidigung eines europäischen Er-bes, die unsere Solidarität verdient. Wenn aberausgerechnet der Hüter des deutschenpatrimoi-ne, der Kultur-Staatsminister, der auch noch einPhilosoph ist, gleichsam triumphierend den Toddes Deutschen in den Wissenschaften feststellt,ohne der Verblichenen auch nur eine Träne nach-zuweinen, dann wissen wir, daß dieser Kampf inDeutschland verloren ist. Aber diecauses per-duessind ja oft die schlechtesten nicht.

Heimatrecht für fremde Wörter

Auf die Gefahr hin, mich als den letzten reaktio-nären Sprachpuristen zuouten (natürlich liebeich die fremden Wörter, ich bin ja ein Deut-scher), möchte ich schließlich doch noch dasThema der englischen Wörter ansprechen. So-fern der Purismus einfach nur ein Kampf gegendie fremden Wörter ist, weil sie fremd sind, ister, wie selbst der französische Minister sagte, ein„falscher Kampf“. Es ist des weiteren zu bezwei-

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feln, ob ministerielle Terminologiekommissio-nen à la française, staatliche Sanktionsandrohun-gen oder Berliner Verwaltungsvorschriften dazuangetan sind, den Deutschen die Liebe zu denfremden Wörtern auszutreiben. Die französi-schen Erfahrungen haben gezeigt, daß dies keinguter Weg ist. Weder haben die Franzosen diestaatlichen Ersatzvorschläge in größerem Maßeangenommen (einige allerdings schon!), nochsind die Vorschläge selbst immer besonders ge-glückt, d.h. besser verständlich. Außerdem gibtes, wie Harald Weinrich festgestellt hat, gar nichtso viele englische Wörter im Französischen, undsie tangieren, wie Hagège gezeigt hat, kaum dieStruktur des Französischen.Aber vielleicht ist dies im Deutschen gerade an-ders? Komparativ würde ich die Behauptung wa-gen, daß keine Sprachgemeinschaft in Europasich in einem solchen „Modernisierungsfieber“befindet wie die deutsche. Die Deutschen zeigenals echte Parvenus so gern, wie schön sie eng-lisch können. Sie sind so stolz auf jedes echteenglische th und r mitten in der deutschen Rede.Das schon längst in der Aussprache als [bebi]eingedeutscheBabybekommt jetzt sogar von derZDF-Sprecherin den Original-Diphthong [ej]wieder zurückerstattet: [bejbi], damit wir ja auchmerken, daß sie englisch kann. Dieter E. Zimmerhat die strukturellen Probleme skizziert, die die-ses massive Eindringen des Englischen ins Deut-schen aufwirft, wenn man die englischen Wörternicht radikaler adaptiert, als dies bisher ge-schieht. Was spricht eigentlich dagegen, das lä-cherliche englische r sausen zu lassen unddeutsch auszusprechen? Warum soll man nichtdas oben verwendete Verb, das ja schon ganz derdeutschen Morphologie angepaßt ist,autenschreiben, oderbrowsen brausen? Darüber hin-aus gibt es erhebliche morphologische Fragen:Ganz abgesehen davon, daß ich beim Verbemai-lenz.B. e bzw.ai schreibe und [i] bzw. [ej] spre-che (letzteres ein Diphthong, den es im Deut-schen nicht gibt), stellt sich nämlich die Frage,wie ich das Verb strukturell behandeln soll: Habeich geemailt oder habe ich egemailt, emaileichodermaileich e? Im letzteren Fall hätten wir einneues trennbares Präfix:e (Aussprache: [i]).Zimmer weist auch auf Schwierigkeiten beimGenus und Numerus der Sustantive hin. Im Deut-schen also wirft der massive Druck des amerika-nischen Adstrats so gravierende strukturelle Pro-bleme auf, daß man sich zu deren Lösung eineausgedehntere Diskussion in der Sprachgemein-schaft wünschen würde. Man sollte jedenfallsnicht von vornherein jede Sprachpflege als alt-modisch und reaktionär (d.h. tendentiell naziver-dächtig) verwerfen in einem linguistischen Libe-ralismus, der zwar sympathisch, aber ebensoideologisch ist wie der linguistische Staats-Inter-ventionismus. Andere (naziseits unverdächtige)Sprachgemeinschaften haben bedenkenswerte

Vorschläge gemacht, wie die fremden Wörter zuintegrieren sind und wie damit gleichzeitig diehergebrachte Sprachstruktur zu schonen ist. Esgeht also nicht um das Verbot fremder Wörter,sondern im Gegenteil gerade darum, ihnen einordentliches Heimatrecht bei uns zu geben. Auchhier gibt uns die französische Sprachpolitik keineLösungen vor, sie weist uns aber auf Problemehin, die auch wir haben und die wir zumindestdiskutieren sollten, statt sie unter hochmütigenHinweisen auf vermeintlich abgefahrene Zügeals gelöst zu deklarieren.

Umwelt: Wald und Sprache

Abschließend etwas fürs Stammbuch einer Um-welt-Partei: Offensichtlich nehmen die Franzo-sen ihre Sprache als ein zentrales Stück Umweltwahr, dem sie seit Jahrhunderten eine ganz be-sondere Sorge und Pflege angedeihen lassen. Sieinteressieren sich traditionellerweise weniger fürden Wald, der den Deutschen so sehr am Herzenliegt. Aber sie haben in dieser ökologischen Hin-sicht in den letzten Jahren viel von ihren roman-tischen Nachbarn gelernt. Das Pendant zum(deutschen) Wald ist im nationalen Mythen-System Frankreichs ganz offensichtlich die(französische) Sprache. Daß Sprache Umwelt ist,die gefährdet ist und zerstört werden kann unddie daher geschützt werden muß, damit die Men-schen besser leben, diese ökologische Einsichtkönnte nun Deutschland von Frankreich lernen.

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Anschrift des Verfassers:Prof. Dr. Jürgen TrabantFreie Universität BerlinInstitut für Romanische PhilologieHabelschwerdter Allee 414195 Berlin

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Destruktion eines Mythos: Die viersprachige Schweiz

Peter Wunderli

Das Bild, das man sich im Ausland über die sprachlichen Verhältnisse in der Schweizmacht, ist oft fern jeder Realität bzw. kolportiert eine Legende, die – entspräche sie derWirklichkeit – jedem Schweizer ein verklärtes Lächeln auf das Gesicht zaubern müßte:Ich meine die Mär, jeder Schweizer wachse dreisprachig (oder doch zumindest zweispra-chig) auf. Selbst bei den wenig «Aufgeklärten», die um die prinzipielle Einsprachigkeitder Schweizer wissen, findet sich oft die Meinung, der fremdsprachliche Unterricht inden Landessprachen setze doch so früh ein und werde so intensiv betrieben, daß am Endeder Schulzeit jeder Schweizerde factoeben doch zwei-, wenn nicht gar dreisprachig sei.1

Es ist sicher richtig, daß man sich in der Schweiz bisher recht intensiv um den Fremdspra-chenunterricht in mindestens einer, wenn nicht gar von zwei der übrigen Landessprachenbemüht hat, aber bei weitem nicht so intensiv, um eine wirkliche Zwei- oder Mehrspra-chigkeit zu erreichen. Der Fremdsprachenunterricht setzt in der Regel erst nach dem vier-ten, z.T. sogar erst nach dem sechsten Schuljahr ein, und die Stundendotation ist auchnicht so groß, daß man bis zum Ende der Pflichtschulzeit wirklich solide und dauerhafteErgebnisse erwarten könnte. Dazu kommt noch, daß erhebliche Unterschiede zwischenden Schultypen bestehen und von einer wirklich guten «Fremdsprachenversorgung» nurin den Gymnasien die Rede sein kann.

Die Probleme

Damit sind aber noch lange nicht alle Problemeeiner mehrsprachigen Schweiz benannt. Einmalist darauf hinzuweisen, daß es in der Schweiznicht nur die drei «großen» LandessprachenDeutsch, Französisch und Italienisch gibt, die al-le ein sprachlich und kulturell mächtiges «Hin-terland» jenseits der Grenze haben2, sondernauch das Rätoromanische (Bündnerromanische),dem eine solche Stütze fehlt3: eine Kleinsprache,die noch von ca. 50 000 Sprechern gesprochenwird, und die in fünf regionale Idiome mit je ei-ner eigenen Schriftsprache zerfällt (Surselvisch,Sutselvisch, Surmeirisch, Oberengadinisch [Pu-ter], Unterengadinisch [Vallader]).4

Gerade als Klein- und Kleinstsprache bedarf dasRätoromanische aber besonderer Betreuung undPflege, denn aus soziolinguistischer Sicht hat eseine außerordentlich wichtige, v.a. identifikatori-sche Funktion.Meistens wird die Schweiz wegen ihres Sprach-friedens (etwa im Gegensatz zu Belgien, Oberita-lien usw.) gelobt und als vorbildlich hingestellt.Dabei wird übersehen, daß es gegenwärtig zwi-schen den einzelnen Sprachgruppen in derSchweiz ganz erhebliche Probleme sozialer undsoziolinguistischer Natur gibt, und daß sich dieseProbleme z.T. auch innerhalb der einzelnenSprachgruppen fortsetzen, so daß schon von ei-ner fast krisenhaften Situation gesprochen wor-den ist.5 Unübersehbar ist, daß sich die romani-schen Sprachgruppen (Rätoromanisch, Italie-nisch, Französisch) durch die Übermacht des

Deutschen (in unterschiedlicher Weise) bedrängtund bedroht fühlen. Innerhalb des deutschspra-chigen (alemannischen) Raumes gibt es massiveAuseinandersetzungen zwischen den Vertreterndes Dialekts und den Förderern der Hochsprache.Und im rätoromanischen Gebiet hat sich zu denseit langem erstarrten Fronten zwischen den Ver-tretern der einzelnen Varietäten seit 1982 eineneue Front gesellt: diejenige der neuen (artifi-ziellen) DachspracheRumantsch grischun, diezwar von den Intellektuellen meist begrüßt undakzeptiert wird, in der breiten Bevölkerung aberauf wenig Sympathie stößt und deren Benutzungmeist als Verrat an den bodenständigen rätoro-manischen Traditionen und am historisch ge-wachsenen Kulturgut gesehen wird.Die schweizerische Mehrsprachigkeit ist in ho-hem Maße problemträchtig, und unter einer nachaußen doch recht friedlichen Oberfläche verbirgtsich ein brodelnder Vulkan, der jederzeit ausbre-chen kann. Um dies zu erkennen, genügt eigent-lich ein Blick auf die Presse (im weitesten Sin-ne). Signifikant ist schon, daß auf den 1982 vonR. Schläpfer herausgegebenen SammelbandDieviersprachige Schweiznoch im gleichen Jahr dersich polemisch davon absetzende BandDie 2½-sprachige Schweizvon H.R. Dörig und Chr. Rei-chenau folgte: Der schon fast zum Mythos ge-ronnenen Sicht einer Schweiz, in der vier unter-schiedliche Sprachgruppen weitgehend in Har-monie und fruchtbarem Austausch zusammenle-ben, wird das Bild einer bedrohten Vielsprachig-

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keit gegenübergestellt und die Gefahr des Ab-sterbens einzelner Sprach- und Kulturkomponen-ten verdeutlicht. Diese Gefahr besteht weiterhin,ja sie hat sich noch erheblich verschärft, wie derBeitrag «Die sprachliche Situation in der Süd-schweiz» von Ottavio Lurati in der zweiten Auf-lage von Die viersprachige Schweiz(2000)zeigt.6

Politische Maßnahmen

Die vorerst von Fachleuten geführte Diskussionum die schweizerische Mehrsprachigkeit fanddann auch in der Politik ihren Niederschlag:1985/86 wurde im Nationalrat und in der Stän-dekammer eine Motion7 des Nationalrates M.Bundi entgegengenommen und zustimmendverabschiedet, die eine Revision des Sprachen-artikels (§ 116) der Bundesverfassung zum Zielhatte und dazu dienen sollte, den bedrohten Tei-len der schweizerischen Viersprachigkeit mehrSchutz und Förderung zu sichern. Der im An-schluß daran von der Regierung in Auftrag ge-gebene Expertenbericht wurde von einer Ar-beitsgruppe unter der Leitung von P. Saladin er-stellt und im September der Öffentlichkeit vor-gestellt.8 Diese umfassende Dokumentation hatder Diskussion eine neue Dynamik verliehenund letztlich dazu geführt, daß am 10. März1996 eine Neufassung des Sprachenartikels vonVolk und Ständen verabschiedet wurde, die v.a.den Interessen der beiden schwächsten Kompo-nenten der schweizerischen Viersprachigkeit,des Rätoromanischen und Italienischen, Rech-nung trägt.Damit ist zumindest ein großer Fortschritt hin-sichtlich der gesamtschweizerischen Bewußtma-chung der Sprachenproblematik erzielt – von denProblemen ist damit aber keines gelöst.

Rätoromanisch

Besonders brisant ist die Situation des Rätoroma-nischen, das ohne Zweifel in seiner Existenz be-droht ist. Diese Krise ist in erster Linie durch diebegrenzte geographische Ausdehnung und diegeringe Sprecherzahl begründet. Das Bündnerro-manische wird heute nur noch in einem Teil desKantons Graubünden gesprochen.9 Erschwerendkommt hinzu, daß das bündnerromanische Ge-biet heute nicht mehr wirklich zusammenhän-gend ist, sondern in mehrere durch deutsche Kei-le voneinander getrennte Teilgebiete zerfällt. –Mit der Kleinräumigkeit korreliert die geringeSprecherzahl. Nur 22 % der Bündner Bevölke-rung konnte 1980 noch als romanischsprachigangesehen werden. Und von den insgesamt rund50.000 Rätoromanen in der Schweiz lebten nurca. 30.000 im Kanton Graubünden, während derRest in einem anderssprachigen Umfeld domizi-liert und damit einem hohen Assimilationsdruck

ausgesetzt war und ist. – Schließlich muß aucherwähnt werden, daß Graubünden (v.a. der roma-nischsprachige Teil) ein wirtschaftlich schwa-ches Gebiet ist. Dies hat eine sehr starke Abhän-gigkeit von der dominierenden deutschenSchweiz zur Folge, was sich auch im sprachli-chen Bereich auswirkt: Wirtschaftssprache istdas Deutsche, kaum anders sind die Verhältnisseim Verwaltungsbereich.

Italienisch

Verglichen mit dem Rätoromanischen scheintdie Position des Italienischen in der Schweiz ge-radezu glänzend zu sein; im Vergleich zum Fran-zösischen und Deutschen zeigt es dagegen eineReihe von konstitutiven Schwächen. Das Italie-nische umfaßt im wesentlichen die südlich derAlpen gelegenen Gebiete der Schweiz – einen re-lativ kleinen Teil des Landes also, entsprechendgering ist auch die Zahl der italienischsprachigennative speakers: 1980 waren es landesweit 4,5 %;zählt man die aus Italien stammenden Gast- undSaisonarbeiter dazu, kommt man auf 9,8 % derWohnbevölkerung. – Zu dieser numerischenSchwäche kommt ein topographisches Defizit:Puschlav und Bergell sind vom restlichen italie-nischsprachigen Gebiet der Schweiz abgetrennt,und auch dieses ist stark zerklüftet und durchschwierige Verkehrsverbindungen belastet. –Wirtschaftlich war die italienischsprachigeSchweiz ursprünglich nach Süden orientiert,doch hat in den letzten 150 Jahren eine Umorien-tierung nach der deutschen Schweiz hin stattge-funden, die schließlich zu einer weitgehendenAbhängigkeit geführt hat. Dies hat auch sprachli-che Konsequenzen: Zwar ist das Italienische inder Südschweiz nicht direkt bedroht, denn dasstützende Hinterland Italien ist wirtschaftlichund kulturell zu mächtig. Aber der ständige in-tensive Kontakt mit dem Deutschen bzw.Schweizerdeutschen bringt mit sich, daß sich im-mer mehr Germanismen in das Regionalitalie-nisch der Südschweiz einschleichen und es inseiner Eigenart bedrohen. Diese Entwicklung isteng mit der Tatsache verknüpft, daß die Stellungdes Italienischen im gesamtschweizerischenRahmen schwach ist: Es handelt sich um die mitAbstand kleinste der drei Amtssprachen, diezwar auf Bundesebene eine gewisse (einge-schränkte) Rolle spielt, im interkantonalen Be-reich aber weitgehend bedeutungslos ist.Natürlich wäre es wünschenswert, diese Situa-tion zugunsten des Italienischen zu korrigieren,was aber eine verstärkte Hinwendung derdeutschsprachigen (und auch französischsprachi-gen) Schweiz zum Italienischen zur Vorausset-zung hätte. Angesichts der Entwicklung nördlichder Alpen10 ist dies vollkommen illusorisch.Vielmehr droht der italienischsprachigenSchweiz eine «Germanisierung» und im An-

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schluß an diese auch eine «Anglisierung» nachdem nördlichen Muster.11

Französisch

Deutlich anders ist die Problemlage in der fran-zösischsprachigen Schweiz (Romandie). DasFranzösische ist hier weder quantitativ noch qua-litativ akut gefährdet. Zwar sind die eigentlichenDialekte der Romandie (von wenigen abgelege-nen Berggemeinden abgesehen) seit Jahrzehntentot; an ihre Stelle ist als gesprochene Sprache ei-ne Art Regionalfranzösisch getreten – eine Situa-tion also, die sich kaum von derjenigen in Frank-reich unterscheidet. Gestützt wird das Französi-sche in der Schweiz in praktisch allen Bereichendurch die Anlehnung an das mächtige französi-sche Hinterland und die Frankophonie-Bewe-gung, die versucht, möglichst viel von der einsti-gen Weltgeltung des Französischen zu retten unddamit eine angloamerikanische Hegemonie zuverhindern. Trotz dieser objektiv positiven Situa-tion herrscht in der französischsprachigenSchweiz so etwas wie Krisenstimmung. Dies be-ruht einmal darauf, daß das Französische sowohlgebietsmäßig als auch, was die Zahl der Sprecherangeht, deutlich hinter dem Deutschen zurück-liegt (Verhältnis ca. 2:7), und daß auch wirt-schaftlich das Übergewicht der deutschsprachi-gen Schweiz geradezu erdrückend ist. Hinzukommt eine nach wie vor starke Wanderbewe-gung aus der deutschen Schweiz in die Roman-die, wobei die zuziehenden Deutschschweizer oftüber eher schlechte Französischkenntnisse verfü-

gen und auch wenig assimilationsfreudig sind.Ein weiteres Problem stellt – sicher auf den er-sten Blick überraschend – die mangelnde (undzunehmend mangelnde) Kompetenz derDeutschschweizer hinsichtlich der deutschenSchriftsprache dar. Sie beherrschen sie im allge-meinen schlecht, und sie wissen das auch. Des-halb bleiben sie im Verkehr mit den Romands(und auch den Italienischsprachigen) bei ihremDialekt und versuchen schon gar nicht, Hoch-deutsch zu sprechen. Dies stellt aber die Roma-nischsprachigen vor unüberwindliche Probleme;mit der deutschen Einheitssprache könnten sie javielleicht noch klar kommen – aber mit der bun-ten Vielfalt der alemannischen Dialekte? Es gibtdeshalb eine deutliche Tendenz, das Englischeals eine Art innerschweizerischelingua francazuverwenden. Und bei sprachpflegerischen Organi-sationen in der Westschweiz (v.a. in Genf) läßtdie Situation separatistische Ideen aufkommen,die (scheinbar) eine radikale Lösung aller Pro-bleme versprechen.

Deutsch und Alemannisch

Nochmals anders sind die Probleme in der deut-schen Schweiz; dabei muß es zuerst einmal über-raschen, daß man hier überhaupt von Problemenspricht, denn es handelt sich mit 73,5 % (1980)um die mit Abstand stärkste Sprachgruppe. DasHauptproblem der Deutschschweizer ist ihr ge-störtes Verhältnis zum «Hochdeutschen». Gera-de dieser Punkt ist es (neben der ökologisch-hei-matverbundenen Grundwelle), der in den

Abb. 1Sprachen in derSchweiz und imangrenzenden Aus-land (nachSaladin1989: 29)

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schweizerischen Medien12 seit den 80er Jahrenzu einer sich stetig verstärkenden Mundartwellegeführt hat. Die rückläufige Präsenz der Hoch-sprache in den Medien hat aber unweigerlich ei-nen Rückgang der entsprechenden (oralen) Kom-petenz in anderen Bereichen zur Folge: ein wah-rer Teufelskreis.Das Problem der Deutschschweizer ist in ersterLinie ein Diglossieproblem, ein Problem derAusgrenzung der Anwendungsbereiche vonSchriftsprache (Hochsprache) und Dialekt. Dazukommt, daß die gesteigerte Mobilität der Bevöl-kerung eine Ablösung der Dialektvarianten vonihren lokalen und regionalen Stammräumen undv.a. eine zunehmende Nivellierung der dialekta-len Eigenheiten zur Folge hat. Diese Entwick-lung könnte angesichts der stetigen Schwächungder hochsprachlichen Kompetenz (theoretisch)durchaus in einer Art «Hollandisierung» enden.Es gibt aber noch eine weitere, ganz andere Ge-fahr: Die «Dialektwelle» (v.a. in der deutsch-und italienischsprachigen Schweiz) und die ab-nehmende Kompetenz in der Hochsprache gehteinher mit einem starken Rückgang der Beherr-schung der anderen Landessprachen; auch derUnterricht in diesen ist deutlich rückläufig. Dieshat mit ökonomischen Gründen, mit Gewichts-verschiebungen in den Lehrplänen usw. zu tun,ist aber in hohem Maße auch dadurch bedingt,

daß man nicht mehr richtig einsieht, wozu z.B.ein Romand oder ein Tessiner die deutscheHochsprache lernen sollte, wenn die Deutsch-schweizer sowieso nur Dialekt sprechen.

Englisch als „lingua franca“?

Und überhaupt: Wozu soll man derart schwierigeKommunikationsinstrumente lernen, wenn ihreinternationale Bedeutung ohnehin rapide schwin-det und man auf dieser Ebene doch alles mitEnglisch (oder diesem gräßlichen Pidgin, dasman für Englisch hält)13 erledigen kann? Ein paarganz Schlaue vertreten offen die Auffassung,man solle das Englische doch gleich auch zur in-nerschweizerischenlingua francazwischen denverschiedenen Sprachgruppen machen – das seieinfacher, weniger aufwendig und v.a. billigerals das Erlernen der anderen Landessprachen.14

Und diese Gefahr hat inzwischen bereits institu-tionelle Züge gewonnen: Im Kanton Zürich ist2000 eine Verordnung in Kraft getreten, die dasEnglische zur obligatorischen ersten Fremdspra-che macht und es dadurch gegenüber jeder mög-lichen zweiten Landessprache massiv privile-giert. Wenige Monate später hat der KantonGraubünden (!) ein ähnliches Gesetz verabschie-det. Die Empörung hierüber ist nicht nur in derfranzösisch- und italienischsprachigen Schweizgewaltig, sondern auch in der übrigen deutsch-sprachigen Schweiz.

Die traurige Wirklichkeit

Viersprachige Schweiz? Alle Schweizer zumin-dest zwei-, viele sogar dreisprachig?15 Mitnich-ten. Von einer viersprachigen Schweiz kann mitSicherheit nicht mehr gesprochen werden, undselbst die zweieinhalbsprachige Schweiz ist heu-te fast schon ein Wunschtraum; Realität wirddemnächst die zweisprachige Schweiz (Deutsch/Französisch) sein.16Was die Kompetenz des Ein-zelnen angeht, so sieht das Bild düster aus: Siehtman von der Romandie ab, wo es so gut wie kei-ne Dialekte mehr gibt, ist die Beherrschung derStandard- oder Hochsprache eher dürftig, dieje-nige der anderen Landessprachen in zunehmen-dem Maße rückläufig. Die Schweiz steuert aufeinen Zustand zu, wo neben dem angestammtenDialekt (oder einer entsprechenden Regional-sprache) nur noch das Englische steht. Dies istvielleicht etwas überspitzt formuliert, entsprichtaber dem Ziel gewisser Politiker. Wenn ihre Vor-stellungen Wirklichkeit werden, dann ist auchdie traurige Zukunftsvision von Friedrich Dür-renmatt eingetroffen:«Ich glaube, daß ... der Schweizer in Gefahrsteht, [das] Experiment Schweiz zu verspielen.Denn die Stärke der Schweiz, ihre Chance be-stand in der Übersichtlichkeit, im Zusammen-spiel ganz verschiedener Sprachen, eigentlich in

Abb. 2Das Rätoromanischeund seine Verbrei-tung (nachLiver2000: 212)

Abb. 3Die bündnerromani-schen Schriftspra-chen (nachArquint2000: 242)

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dem, was wir immer an der Schweiz lobten. Aberich sehe immer mehr, daß wir dieses Experimentnur scheinbar verwirklicht haben, daß dieWelschschweizer und die Deutschschweizer,aber auch die Tessiner, gar nicht zusammenle-ben, sondern nebeneinander leben.«17

Anschrift des Verfassers:Prof. Dr. Peter WunderliRomanistik IVHeinrich-Heine-Universität DüsseldorfUniversitätsstr. 140225 Düsseldorf

Anmerkungen

1 Dabei wird meist übersehen, daß die deutsche Schrift- oder Hoch-

sprache in der Regel für den («deutschsprachigen») Schweizer be-

reits die erste Fremdsprache ist. Vgl. dazuWunderli 2000.2 Vgl. Abb. 1.3 Zwar gibt es «Rätoromanisch» nicht nur in der Schweiz, sondern

auch in Italien: das Ladinische in den Dolomiten (Dolomitenladi-

nisch) und das Friulanische (wobei allerdings der Status des letzte-

ren bzw. seine Zugehörigkeit zum Rätoromanischen umstritten ist).

Aber es handelt sich auch hierbei um Klein- bzw. Kleinstsprachen,

die überdies heute nicht mehr direkt an den bündnerromanischen

Sprachraum angrenzen. Vgl. hierzu Abb. 2.4 Vgl. Abb. 3.5 Vgl.. z.B. Billigmeier 1979.6 Vgl. v.a. das Schlußkapitel «Zukunftsperspektiven » (p. 209s.).7 Schweizerisch für einen schriftlichen Antrag in einem Parlament8 Vgl. Saladin 1989.9 In den anderen Teilen dominiert entweder das Deutsche (Aleman-

nische) oder das Italienische.10 Vgl. hierzu unten zum Status des Englischen in der deutsch- und

französischsprachigen Schweiz.11 Vgl. hierzu auchLurati 2000:209s..12 Auszunehmen sind dabei im Prinzip nur die Printmedien und auch

die nicht vollständig.13 Vgl. hierzu auchEngler 2000.14 Vgl. auchLurati 2000:210. – Gegen das Englische alslingua fran-

ca bzw. Weltpidgin cf.Weinrich 2001 und Gellner 1989.15 Dies natürlich immer bezogen auf die Landessprachen (und unter

Ausschluß des Englischen und anderer Fremdsprachen).16 Vgl. auchLurati 2000:209s.17 F. Dürrenmatt im Sonntagsblick, 21.12.1980; zit. nachPedretti

2000:273.

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Nationale Sprachkultur undsprachliche Minderheiten in Italien

Max Pfister

Italien ist neben Frankreich ein Musterbeispiel für eine Nation, deren Sprachkultur imBewußtsein des muttersprachlichen Sprechers einen hohen Stellenwert einnimmt. Dietheoretische Auseinandersetzung mit der Sprache beginnt schon bei Dante, der sich in„De Vulgari eloquentia“ mit dem volgare illustre beschäftigt. Im 16. Jahrhundert, nachdem Aufkommen und der raschen Verbreitung des gedruckten Wortes, wird eine lebhafteDiskussion, die „Questione della lingua“, geführt, in der die Traditionalisten (Bembo)den florentinischen Modernisten (Machiavelli) gegenüberstehen. Entschieden wird derDisput im Sinne von Bembo und der Accademici della Crusca1, die eine Orientierung ander Sprache der Tre corone (Dante, Petrarca, Boccaccio) befürworten. Noch im 19. Jahr-hundert bemüht sich Alessandro Manzoni, seine erste Version der Promessi Sposi (1827)in der endgültigen Fassung von 1840 der florentinischen Sprache anzupassen. Auch im20. Jahrhundert haben sich Dichter wie Pasolini und moderne Philologen wiederholt mitdem Problem der Standardsprache und mit der Sprachnorm auseinandergesetzt.

Sprachrubriken in Tageszeitungen sind heutenicht nur in Frankreich üblich, auch in Italienwerden Sprachprobleme in den verschiedenenMassenmedien diskutiert. Dies wird in einemvereinten Europa wohl auch in Zukunft ein-drücklich die Sensibilisierung einer Sprachge-meinschaft für Probleme mit der eigenen Identi-tät und Kultur anzeigen. Starkes Interesse an dereigenen Muttersprache hat aber auch eine Kehr-seite: die Behandlung sprachlicher Minderheitenim eigenen Lande. Diese Problematik ist in Ita-lien von Bedeutung und findet in der Innenpoli-tik bestimmter Regionen Berücksichtigung, aberes handelt sich nicht um eine existentielle Frage,wie dies z. B. leider im ehemaligen Jugoslawiender Fall ist. In Italien gibt es zwölf verschiedenenicht-italienische Sprachgruppen, die sechs ver-schiedenen Sprachfamilien angehören und insge-samt etwa 2,8 Millionen Personen umfassen (et-wa 5% der Bevölkerung).Persönlich hatte ich mich 1970 mit diesem Pro-blem zu befassen, als es darum ging, ob ich Min-derheitensprachen wie das Sardische, das Friauli-sche oder das Dolomitenladinische in mein vonBund und Ländern gefördertes EtymologischesWörterbuch des Italienischen (LEI) aufnehmensollte oder nicht.2 Das Lessico Etimologico Italia-no ist ein Grundlagenwörterbuch, das systematischdie italienische Schriftsprache und die italieni-schen Dialekte mitberücksichtigt und den Wort-schatz Italiens in den gesamtromanischen Zusam-menhang stellt. Ausgehend vom Etymon wird ver-sucht, die Sprachgeschichte jedes einzelnen Wor-tes darzustellen unter Berücksichtigung sprach-geographischer und soziokultureller Zusammen-hänge. Bisher sind sieben Bände (A-B) erschienen.Max Leopold Wagner hatte die Etymologien des

Sardischen bereits auf vorbildliche Art untersucht(„Dizionario etimologico sardo“); Giovan BattistaPellegrini leistete Ähnliches für das Friaulische(„Dizionario etimologico storico friulano“), daherfiel es mir leicht, beide Sprachgebiete auszuschlie-ßen. Schwieriger war eine Entscheidung für die ro-manische Sprache im Bereich der Sellagruppe, inden Provinzen Bozen und Trient sowie im Nordender Provinz Belluno (ladino atesino e cadorino).Dahinter stand die Grundsatzfrage: Ist das Dolo-mitenladinische – wie das Friaulische, Bündnerro-manische oder Sardische – eine eigene Sprache?Ich habe mich in diesem Fall anders entschiedenund es – im Gegensatz zum Friaulischen und Sar-dischen – ins LEI aufgenommen. Einige Sprecherdes Dolomitenladinischen sind mit dieser Ent-scheidung nicht einverstanden. Als Abgrenzungzwischen Sprache und Dialekt fordern sie andereKriterien als sprachliche, historische, religionsge-schichtliche und literarische Parameter, z. B. dasladinische Sprach-und Kulturbewußtsein: dieSelbsteinschätzung der Bewohner.Das ladinische Selbstbewußtsein ist im letztenJahrzehnt gestiegen. Besonders in der ProvinzBozen haben äußere Rahmenbedingungen eingünstiges Klima für die Erhaltung einer Minder-heitensprache geschaffen. Daß Kinder das au-tochthone Idiom als Erstsprache erlernen, istheute in allen Tälern wieder häufiger, als diesnoch vor zwanzig Jahren der Fall war. Es ist of-fensichtlich, daß der Wille vorhanden ist, Ladi-nisch zu sprechen, zu lesen, im Rundfunk undFernsehen zu rezipieren und ihm einen höherenStellenwert in der Gesellschaft zu verschaffen.Das Kriterium der Selbsteinschätzung ist sichervon Bedeutung; sie ist freilich durch materiellePrivilegien beeinflußbar.

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In Italien existieren sprachliche Minoritäten un-terschiedlicher Größe, deren Schutz mangels ei-nes allgemeinen Gesetzes sehr verschieden ist.3

Die Streuminderheiten in Süditalien (Albaner,Frankoprovenzalen, Griechen) sowie vergleich-bare friaulische, deutsche, slowenische Sprach-gemeinschaften im Nordosten und frankoproven-zalische Minoritäten im Nordwesten existierenseit dem Hoch- und Spätmittelalter auf der Apen-ninhalbinsel. Diese Situation änderte sich nachdem Ersten Weltkrieg durch die Einverleibungvon Südtirol und dem Trentino und von Friaul-Julisch-Venezien, die beträchtliche geschlosseneSprachgruppen enthielten. Als Folge dieser Er-eignisse kam erstmalig die Forderung nach Min-derheitenschutz auf, da diese Gruppen einen aus-ländischen Bezugsstaat hatten und als Volks-gruppen ihre Identität geschützt sehen wollten.Das Spezifische in Italien ist die unterschiedlicheregionale Regelung dieser Minderheitenproble-me. Ein Viertel der 20 Regionen besitzt einenSonderstatus und ist wenigstens teilweise privile-giert. Von den beiden Regionen mit Sonderstatus– Aostatal und Sardinien, beide sprechen eine ro-manische, aber nicht italienische Sprache – istdie frankoprovenzalische Sprachgruppe im Ao-statal anerkannt und geschützt, während die Sar-den juristisch keine Anerkennung gefunden ha-ben. Auch den zahlreichen Streuminderheiten inSüditalien fehlt bisher die rechtliche Anerken-nung. Bereits 1974 hat Sergio Salvi dies zum An-laß genommen für sein im Ton überspitztes Buch„Le lingue tagliate“ – ‘die abgeschnittenen Zun-gen’ –, wo er den sog. „genocidio bianco“ (wei-ßen Völkermord) von 2,5 Millionen Italienernanprangert, die in postkolonialen Verhältnissenleben müssen. Ein eigenes umfassendes Schutz-system mit einem hohen Grad an Autonomie ha-ben bisher nur die deutschsprachigen Südtirolerund die Ladiner dieser Region erhalten, ver-gleichbar mit der Stellung der Katalanen, der Ga-licier und der Basken in Spanien.Gemäß der italienischen Verfassung müssen wirzwischen dem sog. negativen Schutz der Minder-heiten nach Artikel 3, dem Verbot der Diskrimi-nierung, und dem positiven Schutz nach Artikel 6unterscheiden, d. h. einer besonderen Gesetzge-bung zugunsten der Minderheiten. PositiveSchutzbestimmungen sprachlicher Art gibt es fürdas Deutsche in Südtirol, für das Ladinische inSüdtirol und neuerdings im Trentino, für das Slo-wenische und das Friaulische in Friaul-Julisch-Ve-nezien. Für Südtirol beruhen diese Bestimmungenauf internationalen Verpflichtungen zum Schutzsprachlicher Minderheiten, z. B. auf dem Gruber-De Gaspari-Abkommen von 1948 für die deutscheMinderheit und auf dem Vertrag von London überTriest von 1954 für die slowenische Minderheit inder italienischen Zone von Triest.Diese historisch bedingte, aber ungerechte unter-schiedliche Behandlung hat zu privilegierten,

Abb. 1Verbreitungsgebietdes ladino atesino,aus: Reinhart Olt inder FAZ vom2.7.1987

Abb. 2Verbreitungsgebietladino atesino undladino cadorino

weniger privilegierten und unterprivilegiertensprachlichen und kulturellen Minoritäten geführt.Nehmen wir die romanische Minderheit, welchedas sog. Dolomitenladinische spricht, und die inSüdtirol 4 % der Bevölkerung ausmacht. Schonbei dem Begriff beginnen die Schwierigkeiten.Das gepünktelte Gebiet auf Karte 1 umfaßt dassog. ladino atesino. Dieses wird in den vier Do-lomitentälern um die Sellagruppe herum gespro-chen: Grödnertal (Val Gardena), Gadertal (ValBadia), Buchenstein (Livinallongo) und Fassatal(Valle di Fassa). Auf Karte 1 ist auch das Am-pezzanische im gepünktelten Gebiet eingeschlos-sen, das sprachlich zumladino cadorinogehört,zusammen mit Gebieten am Oberlauf des Piave,dem Comelico (II auf Karte 2); dies sind Gebiete,welche heute zur Provinz Belluno gehören. Trotzeindeutiger Fakten wird von Politikern, Journali-sten und vereinzelten SprachwissenschaftlernCortina d’Ampezzo immer wieder vomladino

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cadorinoabgetrennt und zumladino atesinoge-rechnet, weil es vor 1919 politisch zu Südtirolgehörte. Auf Karte 2 müßte das deutschsprachigeSappada aus dem umpünktelten Gebiet ausge-schlossen werden.Ein anderes Problem sind die auf Karte 3 einge-zeichneten Übergangsgebiete, die sporadischsenkrecht schraffierten Zonen westlich von Bo-zen und Trient, die ebenfalls zentralladinischeSprachmerkmale aufweisen, z. B. in Nonsberg(Val di Non) und Sulzberg (Val di Sole). Als ich– von rein sprachlichen Kriterien ausgehend – ineiner Buchbesprechung die ketzerische Fragestellte, ob denn die Einwohner dieser Zonennicht vielleicht auch als Ladiner angesehen wer-den sollten und den Minderheitenschutz bean-spruchen könnten, wurde mir unwirsch empfoh-len, ich sollte mich auf die Beschreibung sprach-licher Fakten beschränken und auf sprachpoliti-sche Anspielungen verzichten.Die heutige unterschiedliche Privilegierung gehtauf die historische Trennungslinie vor 1919 zu-rück. Es ist unbestreitbar, daß die faschistischeRegierung nach dem Prinzipdivide et imperaverfahren ist und das, was sprachlich und kultu-rell zusammengehörte, auseinandergerissen hat(Karte 4). Die Folgen dieser nach Flußsystemenerfolgten Aufteilung wirken bis heute nach. Eindurch Volksbefragung festgestelltes kulturellesund sprachliches Selbstbewußtsein einer Gegendist mit Skepsis zu betrachten. Selbsteinschätzungist eine vage, durch Massenmedien und Politikbeeinflußbare Größe. „Das Selbstbewußtsein derLadiner bestätigte sich bei der Volkszählung von1981. In der Provinz Bozen erklärten sich 90Prozent der Gadertaler und Grödner als Ladiner.Das sind 17.700 Personen; insgesamt gibt es35.000 Ladiner) und entspricht einer Zunahmevon 14 Prozent seit der Zählung von 1971.“4

Diese Angaben sind aufschlußreich. Es scheint,als ob die Zahl der aktiven Sprecher abnimmt,daß aber die Zahl derer, die sich selbst als Ladi-ner einstufen, zunimmt. Kramer (1981) schätztvermutlich die Lage realistisch ein, wenn er fest-stellt, daß der effektive Rückgang der Verwen-

Abb. 3Die drei (Haupt-)Varietäten des Räto-romanischen(nach Billigmeier1983: 41)

dung des Ladinischen als Umgangssprache vonniemandem bestritten wird, und wenn erschreibt: „Ob sich allerdings in diesen steigendenZahlen mehr ausdrückt als steigendes Selbstbe-wußtsein, ist sehr die Frage: Auf der Straße in St.Ulrich ist Ladinisch sicher nicht die Sprache, dieman am häufigsten hört, und lokale Politiker ha-ben genügend Schwierigkeiten, sich – meist an-läßlich bevorstehender Wahlen – in passablemLadinisch auszudrücken. Die Funktionäre derLadinerverbände und andere ’Berufsladiner ’ so-wie eine gewisse Minoritätenmode haben es al-lerdings geschafft, den Rückgang der ladinischenSprache durch eine Steigerung des ’ladinischenBewußtseins’ zu vernebeln. Eine zahlenmäßigäußerst kleine Gruppe von Intellektuellen jubelteine vermeintliche ladinische Schriftsprachehoch, während die Basis zum Deutschen oderzum Italienischen übergeht, ohne ihr ’ladinischesBewußtsein’ deswegen aufzugeben – das ist dieRealität im letzten Viertel unseres Jahrhunderts.“Sprachliche Fakten und sprachpolitische Gege-benheiten klaffen also auseinander. Zum Ver-ständnis der heutigen Situation muß man die Ent-wicklung seit 1945 kennen: 1948 wurde das Gru-ber-De Gaspari -Abkommen geschlossen, das dieMinderheitenrechte der Deutsch-Südtiroler re-gelt. Rom übernahm die Garantien auch für dieLadiner imstatuto speciale regionale, Artikel 87:„Ladinischunterricht wird in den Grundschulenin jenen Orten garantiert, wo es gesprochen wird.Provinzen und Gemeinden müssen Ortsnamen,Kultur und Volkstradition der ladinischen Bevöl-kerung respektieren.“ 1969 wurde ein erweiterterSonderstatus für Südtirol, das sog.Pacchetto(Paket), vom römischen Parlament verabschie-det. Das Resultat dieses Gesetzes: Die Ladiner inder Provinz Bozen sind als eine der drei Volks-gruppen anerkannt und erhalten eine systemati-sche Unterstützung. Dazu ein Leserbrief aus derFAZ vom 15.4.1991: „Auch verlief die Entwick-lung in den letzten siebzig Jahren in den einzel-nen ladinischen Tälern extrem unterschiedlich.Grödner- und Gaderladinisch sind durch die Be-stimmungen in der autonomen Provinz Bozen(Südtirol) als gut geschützt anzusehen; Fassala-dinisch durch die Lage in der Provinz Trient, diesich auch autonom nennt, einigermaßen. Als ge-fährdet ist die ladinische Sprache im Buchensteinund vor allem im Ampezzo anzusehen; im Bu-chenstein durch den Übergang der Jugend vomLadinischen zum Italienischen, im Ampezzodurch die starke italienische Zuwanderung. Bu-chenstein und Ampezzo gehören zur ProvinzBelluno in der Region Venetien.“Fazit: Grödner- und Gaderladinisch privilegiert,Fassaladinisch gut geschützt (halb privilegiert),Buchenstein, Comelico unterprivilegiert. Die ge-setzliche Regelung wurde nur in der Provinz Bo-zen verwirklicht. „Die Provinz Trient verweiger-te die eingeklagten Rechte (bis ins Jahr 1999), in

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der Provinz Belluno standen sie gar nicht zurDiskussion. Das führte zu mehreren Eingabender Fassaner, die sich gegen die Deladinisierungwehrten, und gipfelte im Buchenstein in einemspektakulären Höhepunkt 1973, als der Gemein-derat von La Plié die Loslösung von der ProvinzBelluno und den Anschluß an die Provinz Bozenforderte“ (Born 1992,17).Die Fassaner konnten erst 1977 die Schaffungdes ’ladinischen Bezirks Fassa-Moena’ durchset-zen. Inzwischen hat auch Trient den Minderhei-tenschutz gesetzlich geregelt (La Usc di Ladins,12.6.1999). Die Situation der Ladiner in der Pro-vinz Trient nähert sich damit der in der ProvinzBozen an, aber völlig gleichartig ist sie noch lan-ge nicht (z.B.: Möglichkeit von Ladinischschul-stunden in Trient, Pflicht in Bozen).Die unterschiedliche Behandlung der Ladiner jenach Provinzzugehörigkeit hat dazu geführt, daßdas ursprüngliche Ziel des friedlichen Nebenein-anders der verschiedenen Volksgruppen (Deut-sche, Italiener, Ladiner) nicht im gewünschtenMaße erreicht werden konnte. Wenn man nun dieoptimistisch stimmenden Abstimmungszahlender Ladiner analysiert, so muß man leider fest-stellen, daß die Zunahme von 14 % seit der Zäh-lung von 1971 mit Vorsicht aufzunehmen ist.1972 trat nämlich die wichtigste Bestimmungdes Pakets, der sog. Proporz, in Kraft; d. h. alleöffentlichen Stellen müssen seither nach demVerhältnis der drei Sprachgruppen Deutsch, Ita-lienisch und Ladinisch vergeben werden. Die La-diner der Provinz Bozen konnten jetzt 4,2 % oder239 der staatlichen Stellen beanspruchen. Diesemateriellen Hintergründe stimmen nachdenklichund lassen bezweifeln, ob die Frage der Sprach-gruppenzugehörigkeit nur entschieden werdenkann mit einem Kreuz auf dem Fragebogen: akti-ve ladinische Sprachbeherrschung, ja oder nein?Oder ob nicht vielmehr ein Test zur Überprüfungder aktiven ladinischen Sprachbeherrschungdurchgeführt werden müßte.Die materiellen Anreize für die Ladiner desGrödner- und des Gadertals erklären die Bemü-hungen der Fassaner, innerhalb ihrer ProvinzTrient Rechte zu erhalten, die mit denen der La-diner in Südtirol vergleichbar sind. Wenn wirrein sprachliche Fakten berücksichtigen, z. B. dieErhaltung des -sals Pluralform (l’uréya– l’urey-es) oder die Palatalisierung des CA- (CASA >céza/ CAPUT > céf), so können wir von ca.65.000 Zentralladinern sprechen. Ca. 40.000wohnen in der Provinz Belluno und sind unter-privilegiert (Pellegrini, Saggi Ladini, 132); ca.28.000 sind Dolomitenladiner, davon ca. 7.000Fassaner, halbprivilegiert, ca. 9.000 Gadertalerund 8.000 Grödner, privilegiert, ca. 4.000 außer-halb der Ladinia (vgl. auch Videsott, 175). Denca. 65.000 Zentralladinern stehen ca. 700.000halbprivilegierte Friulaner gegenüber. Die un-gleiche Behandlung der Ladiner je nachdem, ob

sie zur Provinz Bozen, Trentino oder Belluno ge-hören, schafft Zwietracht und Neid, sogar zwi-schen Gadertalern und Grödnern, bedingt durchden Verteilungskampf um Gelder oder durch be-rufliche Perspektiven. Quotenregelungen undethnischer Opportunismus oder finanzielle Bes-serstellung der Provinz Bozen scheinen das Ge-meinschaftsgefühl der ladinischen Talschaftenzu gefährden. Auf die Frage der Enquête vonBorn (Born 1992, 243): „Besteht eine Rivalitätzwischen den einzelnen Tälern? Wenn ja, war-um? Wie äußert es sich?“ lautet eine symptoma-tische Antwort: „Ja und nein. Die Ladiner in derProvinz Bozen sind bessergestellt und erachtensich als die besseren Ladiner und betrachten diein den anderen Provinzen (Trentino und Belluno)lebenden Ladiner mit einer gewissen Zwiespäl-tigkeit.“ Diese Besserstellung äußert sich z. B. ineiner indennità di trasferta, einer Aufwandsent-schädigung für jene Ladiner der Provinz Bozen,die regelmäßig außerhalb ihres ladinischenSprachraumes arbeiten (Belardi 1993, 266).Man kann sich aber fragen: Weshalb soll jemandim Grödnertal anders behandelt werden als einer,der die gleiche Sprache spricht, der gleichen ladi-nischen Kultur angehört, aber 10 km südlich, öst-lich oder nördlich der Sellagruppe wohnt undrein zufällig nicht in der Provinz Bozen lebt, son-dern zu Trient oder Belluno gehört? Dies sindAuswirkungen der bewußten Spaltung des ladi-nischen Sprach- und Kulturraumes unter Musso-lini. Diese Diskriminierungen scheinen heute un-gerecht. Weshalb muß es privilegierte Minder-heiten geben (Aostatal, Südtirol), halbprivile-gierte Minderheiten (Sarden, Trentiner Ladiner,Friulaner) und unterprivilegierte Minderheiten(Walser im Piemont, Zimber aus den Sette undTredici Comuni, Provinz Verona, deutschspra-chige Bewohner von Bladen/Sappada (ProvinzBelluno), von den Griechen und Albanern inSüditalien zu schweigen? Auch diesen Halb-undUnterprivilegierten wurde ein Minderheiten-schutz in der italienischen Verfassung von 1947ausdrücklich zugestanden, unabhängig von eth-nischen, sprachlichen oder religiösen Unterschie-

Abb. 4Diözesangliederung

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den. „Man kann davon ausgehen, daß diese Ga-rantien nur auf dem Papier bestehen, da den‘Halbprivilegierten’ und den ‘Unterprivilegier-ten’ das Recht auf freie Verwendung der Mutter-sprache nicht gewährt wird.“5 Ich würde sagen,dieses Recht wird zwar „gewährt“; es reicht abernicht aus, damit die Minderheitensprache auchgesprochen wird. Es braucht staatlich abgesi-cherte Schutzmaßnahmen, wie dies in der Pro-vinz Bozen heute dank der geschichtlichen Ent-wicklung gehandhabt wird.Zusammenfassend kann man festhalten: Südtirolmit seinem Zusammenleben zwischen den dreiVolksgruppen kann heute ein relativ entspanntesund positives Beispiel einer pluriethnischen undplurikulturellen Gesellschaft geben. Die Mehr-sprachigkeit des Landes ist gesetzlich verankertund auch in der Praxis immer stärker und kon-kreter realisiert: Südtirol dürfte heute das Landmit dem vergleichsweise höchsten Prozentsatzan tatsächlich zweisprachigen (Ladiner: dreispra-chigen) Menschen sein.Man kann wahrscheinlich zu recht sagen, daß diesprachlichen Minderheiten in Südtirol den wei-testgehenden Schutz in der Welt genießen. DieFolge ist, daß man nach einer Studie der Wirt-schaftzeitung „Il sole 24 ore“ feststellen kann,daß von den 95 italienischen Provinzen Südtiroldie „höchste Lebensqualität und mit 1,9% dieniedrigste Arbeitslosenquote von ganz Italienhat.“ Immerhin stellt diese Untersuchung auchfest, daß Südtirol für jeden seiner Bürger vomStaat eine Geldsumme erhält, die jene, die z.B.ein Neapolitaner bekommt, um das Zwanzigfa-che übersteigt.6

Es bleibt zu hoffen, daß es gelingen wird, dieheute noch bestehenden Ungerechtigkeiten zwi-schen privilegierten, halbprivilegierten und un-terprivilegierten Sprachminoritäten abzubauen.Wenn von Staats wegen sprachliche und kultu-relle Minderheiten unterstützt und gefördert wer-den, muß das Gleichheitsprinzip gelten, und Be-nachteiligungen müssen ausgeschlossen sein.Nur eine geeinte Kultur- und Sprachgemein-schaft ohne Rivalitäten von Talschaft zu Tal-schaft ist imstande, eine überregionale schrift-sprachliche Norm zu akzeptieren und gleichzei-tig eine gesprochene, traditionell gewachseneDialektvariante in ungebrochener Sprachloyalitätzu verwenden und gegebenenfalls gegen äußereWiderstände erfolgreich zu verteidigen.7

Anmerkungen

1 Die Accademia della Crusca mit ihrem 1612 veröffentlichten Vo-

cabolario hatte Vorbildcharakter sowohl für die Académie françai-

se als auch für die Real Academia Española.2 Selbstverständlich haben das Albanische, das Deutsche, das Kata-

lanische (Alghero), das Griechische (Süditalien) oder das Franko-

provenzalische (Aostatal) in einem italienischen Wörterbuch nichts

zu suchen. Schwieriger war die Entscheidung bzgl. des Korsischen,

das letztlich aufgenommen wurde, da Korsika erst seit 1768 zu

Frankreich gehört.3 Für die statistischen und juristischen Angaben beziehe ich mich auf

die Studie von Karin Gellers-Frahm, „Die rechtliche Stellung der

Minderheiten in Italien“ im Sammelband „Das Minderheitenrecht

europäischer Staaten“, 1994, S. 192.4 Reinhard Olt (FAZ 1987).5 Joachim Born, S. 28.6 Grigiolli S. 339; Heiss: „Grundlage eines hochdotieren Landes-

haushalts“7 Die Angaben für das Friaul und für Sardinien beruhen auf dem

Stand von 1998. Meinem Freund Johannes Kramer (Trier) danke

ich für die aktualisierenden Angaben für Südtirol.

Literatur

Belardi, Walter: La questione del „Ladino Dolomitico“, Bolzano

1993.

Born, Joachim: Untersuchungen zur Mehrsprachigkeit in den ladini-

schen Dolomitentälern. Ergebnisse einer soziolinguistischen Befra-

gung, Wilhelmsfeld 1992.

L’Europa multiculturale. Das multikulturelle Europa. Akten der

XXIV. internationalen Tagung deutsch-italienischer Studien (Meran,

11.-13. Mai 1998), Meran 1998.

Gellers-Frahm, Karin: Die rechtliche Stellung der Minderheiten in Ita-

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Grigiolli, Stephan: Sprachliche Minderheiten in Italien, insbesondere

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Heiß, Hans: Gelungene Pazifizierung? Die Stadt Bozen/Bolzano im

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1919-1999, in: Grenzkultur – Mischkultur? hrsg. von R. Marti, Saar-

brücken 2000, 209-241.

Kramer, Johannes: Deutsch und Italienisch in Südtirol, Heidelberg

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Peterlini, Oskar: Der ethnische Proporz in Südtirol (mit allen einschlä-

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Pfister, Max: Sprachwissenschaftliche Ergänzungen zum Beitrag von

Hans Heiss, in: Grenzkultur - Mischkultur? hrsg. von R. Marti, Saar-

brücken 2000, 243-246.

Salvi, Sergio: Le lingue tagliate. Storia delle minoranze linguistiche in

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Videsott, Paul: Ladin Dolomitan. Die dolomitenladinischen Idiome

auf dem Weg zu einer gemeinsamen Schriftsprache, in: Der Schlern

72 (1998), 169-187.

Zappe, Manuela: Das ethnische Zusammenleben in Südtirol, Frankfurt

a.M. 1996.

Anschrift des Verfassers:Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Max PfisterUniversität des SaarlandesFachrichtung 4.2 RomanistikGebäude 1166123 Saarbrücken

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Eine neue Sprachpolitik für Europa?1

Peter Hans Nelde

Das Experiment der Europäischen Union, elf Amtssprachen anzuerkennen und einzuset-zen, ist in der Geschichte der Menschheit einmalig. Kein Land und keine Ländergemein-schaft hat sich bisher für ein solch explizites Mehrsprachigkeitsmodell ausgesprochen,auch nicht das weitausgedehnte Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Im Prozeßder europäischen Integration kommt nach der politischen Sprache auch der Frage nachdem Prestige der nationalen Wissenschafts-, Wirtschafts- und Kultursprachen Bedeutungzu. Das Europa der Zukunft wird nicht einsprachig sein. Die Herausbildung dieser „Neu-en Mehrsprachigkeit“ vollzieht sich im Spannungsfeld der politischen Machtverlagerun-gen innerhalb der Europäischen Union, der zunehmenden Liberalisierung der Wirt-schaftsbeziehungen, der Folgen von Internationalisierung und Globalisierung einerseitsund dem individuellen und nationalen Bedürfnis nach kultureller Identität andererseits.Mehrsprachigkeit wird für den mobilen Europäer zunehmend auch zur notwendigen Vor-aussetzung seiner wirtschaftlichen Existenz. Auch da, wo unterschiedliche Volksgruppennicht schon traditionell in einer staatlichen Einheit zusammenleben, wie in Belgien oderder Schweiz, entstehen durch wirtschaftlich bedingte Migrationsströme regional mehr-sprachige Sozialgemeinschaften, was besonders in den europäischen Großstädten sichtbarwird. Notwendig wird ein wachsendes Bewußtsein aller EU-Staaten über den Stellenwertihrer Sprachen auf der Makroebene (staatlicher und suprastaatlicher Bereich) wie der Mi-kroebene (regionale Sprachgemeinschaften, Minderheiten).Die Entwicklung einer neuen europäischen Sprachenpolitik, die politische und wirtschaft-liche Integration fördern und zugleich kulturelle Identitäten bewahren soll, wird geradeim Blick auf die geplante Aufnahme nord- und osteuropäischer Länder notwendig wer-den. Es soll hier gezeigt werden, welchen Beitrag dazu die Sprachwissenschaft mit ihrenArbeitsgebieten Soziolinguistik (linguistische Betrachtungsweise der gesellschaftlichenBedingungen von Sprache) und Kontaktlinguistik (transdisziplinäre Analyse der in denverschiedenen Regionen und Staaten existierenden Sprachsituationen mit dem ihnen ei-genen Konfliktpotential) liefern kann.

Sprachwissenschaft, Mehrsprachigkeitund Europäische Union

Sprachwissenschaft als Gesellschaftswissenschafthat sich stets als Spiegelbild der jeweiligen Gesell-schaftsform verstanden und ist und war damit un-terschiedlichsten Perspektiven und Modeerschei-nungen unterworfen. Am Beispiel des Deutschenals Minderheitssprache in Alt- und Neubelgien(den deutschen Ostkantonen Belgiens) läßt sichder Wechsel der Perspektive an den Forschungs-schwerpunkten des letzten halben Jahrhunderts ab-lesen. Dienten in den sechziger Jahre philologi-sche, etymologische und dialektologische Arbei-ten auch der Rechtfertigung nationalstaatlicherPrinzipien in einem mehrsprachigen Kontext, lie-ferten in den siebziger Jahren Interferenzforschungund Fehleranalysen Vergleiche mit dem „Mutter-land“. In den achtziger Jahren entstanden erste so-ziolinguistische Arbeiten zur Bedeutung sozialerSchichtung für den Sprachgebrauch, die die Inte-grationsprobleme von Migranten einschlossen. Inden neunziger Jahren entdeckte man die aufblü-

henden grenzübergreifenden Euregios als For-schungsobjekt unter dem Aspekt des Sprachkon-takts. Neuerdings entwickelt sich eine ökolingui-stische Perspektive, die sich mit den sprachlich-kulturellen Folgen von Raumplanung, Verstädte-rung und Internationalisierung des Transportwe-sens befaßt.Inzwischen gibt es länderübergreifende Themen inder Sozio- und Kontaktlinguistik, die als skandina-vische (Spracherwerb, Gebärdensprache), medi-terrane (Minderheiten, Standardisierung) oder alsBenelux- (Sprach- und Bildungspolitik) Themen-blöcke bezeichnet werden könnten.Die Bedeutung der Mehrsprachigkeit nimmt starkzu, dafür dürfte die grundsätzliche Entscheidungder Europäer, im Rahmen ihres Zusammenschlus-ses in einer Union für die sprachliche und kulturel-le Vielfalt ihrer jeweiligen Länder zuständig zubleiben, verantwortlich sein. In den fünfzehn Län-dern der EU dienen elf Amtssprachen zugleich alsArbeitssprachen. Zur offiziellen Verständigungsind heute 110 (11x10) Sprachkombinationen zu-gelassen. Im Blick auf die geplante Erweiterung

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der EU und der damit verbundenen Aufstockungdes amtlichen Sprachenarsenals werden die mögli-chen Sprachkombinationen auf über 200 ansteigen– ein Unding, das an Pieter Bruegels Turmbau zuBabel (Abb. 1) erinnert, da noch kein Dolmet-schergebäude existiert, das mit der entsprechendenZahl von Dolmetscherkabinen ausgerüstet ist. ZurZeit kümmern sich fast 4.000 Übersetzer und Dol-metscher in Brüssel und Luxemburg um die euro-päischen Kommunikationskanäle.Die Europäische Kommission hat erst in denletzten zehn Jahren die Bedeutung von Mehr-sprachigkeit für ein gutes Funktionieren derUnion erkannt, entsprechende Mittel bereitge-stellt und sich von der strukturbedingten Asym-metrie der Mehrsprachigkeit (Abb. 2) nicht ab-schrecken lassen, um ein eigenes – inzwischenwieder in Auflösung befindliches – „Ministeri-um“ (in Brüssel als Generaldirektion XXII) zugründen, das auch für die kleineren Sprachenverantwortlich zeichnet. Damit hat die EU derTatsache Rechnung getragen, daß sprachlicheKonflikte aufs engste interdependentiell mit so-zioökonomischen Konflikten verknüpft sind.Daß der einsprachige Europäer in einer so viel-sprachigen Struktur kaum zukunftsfähig ist, dürf-te bei der noch zunehmenden Zahl der Sprach-kontakte einsichtig sein.Angesichts einer rasch fortschreitenden wirt-schaftlichen Integration der EU und einer sichdeutlich bemerkbar machenden Beschränkungder Befugnisse der Nationalstaaten heben sichUnterschiede in Europa in einem schleichendenAngleichungsprozeß auf, der über Handel, Wirt-schaft, Medien, Informationstechnologie undKultur stattfindet, dabei bemüht ist, die national-staatlichen Unterschiede und Gegensätze zu inte-grieren und zu assimilieren. Diese abnehmendeDiversität zwischen den Einzelstaaten bewirkteine Annäherung in fast allen Bereichen des eu-

ropäischen Zusammenlebens, kaum jedoch imSprach-, Kultur- und Bildungsbereich. Mit zu-nehmender Integration und abnehmender natio-nalstaatlicher Abschottung wird die sprachlich-kulturelle Vielfalt als eines der wenigen verblei-benden Unterscheidungskriterien innerhalb Ge-samteuropas Bestand haben.Unter diesen Voraussetzungen wird schließlich diesprachlich-kulturelle Eigenart der Mitgliedsländerals wichtigstes Identitätsmerkmal zukünftiger Eu-ropäer an Bedeutung gewinnen. Der Stellenwertvon Sprachen in Europa wird zunehmen, Mehr-sprachigkeit ein wesentliches Kennzeichen desEuropäers werden. Es werden neue Herausforde-rungen auf dem Gebiet der Mehrsprachigkeitsfor-schung und Kontaktlinguistik, insbesondere derSprachplanung und Sprachpolitik erwachsen.Diese Bereiche haben sich als Teil einer Kontakt-linguistik (in den fünfziger und sechziger Jahren),als Teil der gerade aufkommenden Sprachsoziolo-gie und Soziolinguistik entwickelt, als die ehema-ligen Kolonialreiche kollabierten und junge, auf-steigende Nationen – vor allem außerhalb Europas– über eine zu etablierende Staats- und Standard-sprache versuchten, ihre neu entdeckte Identität aneine Nationalsprache zu binden. Von einer euro-päischen Sprachplanung kann man indes vor Endedes 20. Jahrhunderts kaum sprechen. Die beste-hende inhaltliche Heterogenität ist an eine termi-nologische Asymmetrie gebunden: Während dasEnglische drei sich ergänzende Begriffe unter-scheidet (language planning, language policy,language politics), ähnlich wie das Niederländi-sche (taalplanning, taalbeleid, taalpolitiek) nebenanderen europäischen Sprachen, kennt das Deut-sche nur Sprachplanung und Sprachpolitik, wobeipolicy in Politik enthalten ist; das Französische,das – wie im Deutschen – zwar planification lin-guistique neben politique linguistique kennt unddiese Termini ursprünglich in einem zentralisti-schen Sinne verwandte, bedient sich heute desEinheitsterminus l’ aménagement linguistique, dernicht nur die älteren Begriffe miteinschließt, son-dern auch im Sinne eines „sprachlichen Haushalts“bei den jüngsten Entwicklungen einer Ökolinguis-tik Anschluß sucht und damit wohl der modernsteder europäischen Termini ist.Unter Berücksichtigung dieser nationalstaatli-chen Besonderheiten bemühen sich Sprachpla-ner, die jeweilige nationale Sprachpolitik zu eu-ropäisieren, was im Falle Österreichs undDeutschlands in erster Linie eine Frage der Bil-dungspolitik ist, da von dieser der nationaleFremdsprachenunterricht – auch in diesen Län-dern weiterhin Hauptbestandteil der nationalenSprachpolitik – bestimmt wird.

Die Neue Mehrsprachigkeit

Um den Erfordernissen einer modernen europäi-schen Sprachplanung und Sprachpolitik gerecht

Abb. 1Pieter Bruegel, DerTurmbau zu Babel,1563

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Abb. 2Kleine Sprachge-meinschaften derMitgliedstaaten derEU, mit territorialerBasis, die Spracheund Gesellschaftverknüpft (nach derStudie Euromosaic,1996)

zu werden, ist eine Analyse der Faktoren sinn-voll, die die gegenwärtige Mehrsprachigkeitkennzeichnen. Ausgehend von den zahlreichenVeränderungen im Wirtschaftsleben der Mit-gliedsländer der EU seit der politischen Wendeim Jahre 1990 und der 1995 erfolgten Erweite-rung (Österreich, Schweden, Finnland) habensich auch Sprachplanung und Sprachpolitik mitden neuen Bedingungen des Sprachkontakts inEuropa auseinandersetzen müssen.Die jüngsten Entwicklungstendenzen der NeuenMehrsprachigkeit im Überblick:

InternationalisierungSicherlich trug eine immense Verordnungsflutaus Brüsseler Generaldirektionen zur Überwin-dung nationaler Eigenheiten und nationalerGrenzen in hohem Maße bei. Schlüsselbegriffewie „Schengen“ (freier Verkehr von Personenund Gütern), Fusionen und Zusammenschlüssealler Art machen deutlich, daß im Wirtschafts-und im Alltagsleben des Europäers nationalstaat-liche Grenzen nur noch eine symbolische Bedeu-tung haben.

Neoliberales WirtschaftssystemDas Prinzip der freien Marktwirtschaft hat sichnach nordamerikanischem Vorbild in der Euro-päischen Union weitgehend durchgesetzt, wo-durch wirtschaftliche, grenzübergreifende Fakto-ren an Bedeutung gewonnen und andere Fakto-ren nationalstaatlichen Ursprungs an Bedeutungverloren haben. Die neuen multikulturell undmehrsprachig – oft auch nur von der lingua fran-ca Englisch – beherrschten Märkte stellten imZuge der gegenseitigen Annäherung und wach-sender neoliberaler Tendenzen die Frage nachIdentität und Persönlichkeit wieder aufs neue. ImBereich der europäischen Wirtschaft ist inzwi-schen eine nationale Zuordnung selbst bei tradi-tionellen Großfirmen, einst der Stolz eines jedenLandes, hinfällig geworden. Werden nationaleFirmen zu Weltfirmen, ersetzen sie konsequentihr Markenzeichen „made in Germany“ durch„made by Siemens/Bosch“ etc.

GlokalisierungZu wenig berücksichtigt hat die Mehrsprachig-keitsforschung in den vergangenen Jahren einepolarisierende Gegenbewegung, die parallel mitder fortschreitenden Vereinigung Europas ent-stand, nämlich das Bedürfnis von Europäern un-terschiedlichster Herkunft, sich mit der eigenenRegion, der Stadt, den lokalen Gegebenheiten,der kulturellen Umwelt zu identifizieren. Ange-sichts dieses heute verstärkt auftretenden umge-bungsbestimmten Lebensgefühls kann ohne wei-teres von Glokalisierung (Globalisierung versusLokalisierung) gesprochen werden, um die neuin den Blick rückenden Multiidentitäten europäi-scher Bürger zu beschreiben.

Informationstechnologie und MedienDie Mehrsprachigkeitsforschung erkennt, daßdie Neuen Medien – vor allem die Telekommu-nikation – mit ihren Anwendungsfeldern der In-formationstechnologie die beobachteten Tenden-zen im Bereich der Internationalisierung undGlobalisierung noch verstärken. Als Konsequenzwerden Sprachminderheiten häufig erste Opferdieser Entwicklung. Da aber andererseits derEinsatz von Software mit ihren maßgeschneider-ten Anwendungsmöglichkeiten für kleineSprachgemeinschaften kostengünstig ausfällt, daaußer einigen Anpassungen und Übersetzungenwenig Aufwand erforderlich ist, sind in besonde-rem Maße periphere Minderheiten, denen bisherder sprachlich-kulturell-wirtschaftliche Zugangzu den dominanten Mehrheitsmärkten fehlte,auch Nutznießer moderner Technologien.So stützen sich in Wales und Irland die jüngstenRevitalisierungsversuche keltischer Sprachen be-sonders auf die Telekommunikation und dieNeuen Medien (Telematik). Sprachliche Wieder-belebungsversuche im Bereich der kleinen undmittleren Betriebe, bei der Arbeitsvermittlungund vor allem durch die Werbung setzen damitmodernste informationstechnologische Erkennt-nisse in die Praxis um. Internetforen, wie ein

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Beispiel in sardischer Sprache zeigt, können zum‘virtuellen Dorf’ werden und auch jene Sprach-angehörige in die Sprachpflege miteinbeziehen,die außerhalb der Region leben. Die Sprachmin-derheiten anderer Regionen werden solchen Bei-spielen vermutlich folgen.

BildungspolitikWenn Wirtschaftspolitik in der EuropäischenUnion als vereinendes Element betrachtet wird,jedoch im kulturellen Bereich die sprachlicheVielfalt gewollt ist, dann erscheint Sprachpolitikim Gegensatz zur sozioökonomischen Politik alstrennendes Element. Bei einer weiter fortschrei-tenden und somit voraussehbaren Einigung Eu-ropas unter völliger Aufgabe der Grenzfunktio-nen gewinnt die Sprachpolitik, die in den meistenLändern mit Staatssprachen als ein Teil der Bil-dungspolitik betrachtet werden darf, mit abneh-menden anderen Unterscheidungskriterien we-sentlich an Bedeutung. Wenn alle wirtschaftli-chen und politischen Systeme so miteinanderverknüpft sind, daß sie unter Brüsseler Ägide un-unterscheidbar ineinander übergehen, dann wer-den – unter Berücksichtigung der kulturellen Ei-genständigkeitskriterien der Mitgliedsländer –die Bildungssysteme miteinander konfrontiertwerden und bei der Identitätsfindung des zukünf-tigen Europäers eine Hauptrolle spielen.Man beobachtete bereits bei den Grenzanrainernder Beneluxstaaten das Verschwinden des frühe-ren Grenzbewußtseins, so daß sich heute jungeNiederländer von jungen Deutschen im Grenzge-biet nur durch ihre jeweilige Schulausbildungund die Unterrichtsinhalte unterscheiden. Diesfällt umso mehr ins Gewicht, wenn man berück-sichtigt, daß an der belgisch-niederländischenGrenze im Gegensatz zum deutsch-niederländi-schen Grenzgebiet zu beiden Seiten die gleicheSprache gesprochen wird, die Sprecher sich je-doch sofort aufgrund des unterschiedlichen Un-terrichtssystems als Niederländer bzw. Flamenzuordnen können. Versuche, die Bildungssyste-me anzugleichen, sind allerdings bisher nur zag-haft erfolgt.

Reduktion nationalstaatlicher MachtInnerhalb der Europäischen Union vollzieht sichein Machtverschiebungsprozeß, der wesentlicheBefugnisse der Nationalstaaten aufgrund wirt-schaftlicher Zwänge, die sich aus dem Einigungs-bestreben ergeben, aus den Regierungssitzen derMitgliedsländer nach Brüssel transferiert. Dieserzwar schleichende aber sich beschleunigende Pro-zeß betrifft zwar nur einen geringen Teil der natio-nalstaatlichen legislativen Macht, ergreift jedochdurch den interdependentiellen Charakter derWirtschaftsfaktoren und der seit Maastricht undAmsterdam zunehmenden Vereinheitlichungsten-denz sämtliche Lebensbereiche der Europäer. Da-bei stoßen diese Bemühungen um ein rechtlich-po-

litisch-ökonomisch vereintes Europa nur auf eineeinzige zuvor gemeinschaftlich aufgebaute Barrie-re: die von allen Mitgliedsstaaten gewollte sprach-lich-kulturelle Eigenheit der Nationalstaaten, wo-bei die jeweiligen Regierungen bemüht sind, ihresprachlich-kulturell konditionierten Domänen wiedas Bildungssystem einschließlich des Primär- undSekundarschulunterrichts in eigener Regie zu füh-ren. Einbrüche sind jedoch bereits im Universitäts-bereich (z. B. Gründung internationaler Universi-täten) zu verzeichnen, der sich aufgrund seiner in-ternationalen Verflechtung der Europäisierungnicht im gleichen Maße wie der Schulbereich ent-ziehen kann. Auch das nationale Kunst- und Lite-raturleben bildet infolge seiner sprachlich-kultu-rellen Zuordnung zu den jeweiligen Staatsspra-chen und Landeskulturen weiterhin ein relativ ab-geschottetes Rückzugsgebiet für die elf Amts- undArbeitssprachen der EU. Dieser bislang wenigkommentierte „freiwillige“ Machtverzicht liefertzum gegenwärtigen Zeitpunkt einen der möglichenErklärungsfaktoren für die zu beobachtende Zu-nahme der Bedeutung von nationalen Sprachen,die als retardierendes Moment die Illusion von derstaatlichen Eigenständigkeit der Mitgliedsländeraufrecht erhält und damit – zumindest für eine län-gere Periode zu Anfang des 21. Jahrhunderts – denÜbergang zu einem „vereinten Europa in der Viel-falt“ ermöglichen hilft.

SubsidiaritätsprinzipBis zur Mitte der neunziger Jahre gab es innerhalbder EU ein gewisses Gleichgewicht zwischen zweirecht unterschiedlichen Konzeptualisierungen na-tionalen Denkens: Während mediterrane Staaten –vor allem jedoch Frankreich – einem zentralisti-schen Prinzip anhingen, plädierten föderal struktu-rierte Staaten – wie Belgien oder Deutschland –für ein Subsidiaritätsprinzip mit deutlichen Folgenfür die Sprach- und Kulturpolitik der Mitgliedslän-der. Während bei Anwendung des zentralistischenPrinzips die Existenz einer nationalen Sprachge-setzgebung vorrangig auf dem hierarchischen Ver-waltungsweg von „oben“ nach „unten“ bestim-mend ist, verzichten nicht-zentralistisch regierteLänder häufig auf einen nationalen Kulturministerund auf eine für Sprache und Kultur zuständigeRegierungsebene und delegieren entsprechendegesetzliche Regelungen auf eine untere Ebene(Provinzen, Gemeinden, privatrechtliche Institu-tionen u.v.m.).Das starke politisch-wirtschaftliche Gewicht dernord- und mitteleuropäischen Staaten nach demBeitritt Schwedens, Finnlands und Österreichshat in jüngster Zeit die Subsidiaritätstendenzenin der EU – deutlich erkennbar am BeispielGroßbritanniens, das Schottland und Wales eige-ne politisch aktive Parlamente gewährte – erheb-lich verstärkt, was nicht ohne Folgen für die Ten-denzen in Sprachplanung und Sprachpolitik blei-ben dürfte.

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Allerdings zeichnen sich hier bereits Kompe-tenzkonflikte ab, die sich in Zukunft noch ver-stärken könnten: Während die Zuständigkeit fürautochthone Sprachgemeinschaften (die boden-ständigen oder indigenen Minderheiten) auchweiterhin bei den nationalstaatlichen Organenund ihren subsidiären Repräsentationen liegt,scheinen allochthone Gruppen (Migranten), fürdie oft mehr als eine Regierung bzw. mehr als ei-ne Nation politisch verantwortlich und damit zu-ständig ist, einer grenzübergreifenden, suprana-tionalen Konfliktlösung – falls man ihnen denndie freie Wahl ließe – den Vorzug zu geben, wo-mit neue Aufgaben auf die überstaatliche Brüsse-ler Behörde zukämen. Trotz dieser und einigeranderer grenzüberschreitender autochthoner oderallochthoner Sprach- und Kulturkonflikte mit so-zioökonomischem Hintergrund wird das sichwohl noch verstärkende Subsidiaritätsprinzip dieMitgliedsländer davor bewahren, daß brüsseler-seits radikal in die nationale Sprach- und Kultur-planung eingegriffen wird.

Folgerungen für eine europäischeSprachpolitik

Eine konsequente Sprachplanung und die Umset-zung ihrer Ergebnisse in eine europäische Sprach-politik erfordern die Akzeptanz der aktuellen Ent-wicklung der Mehrsprachigkeitsforschung in Eu-ropa und zugleich die Einbeziehung weltweiterTendenzen der rasch zunehmenden Mehrsprachig-keit besonders in den bevölkerungsreichen Regio-nen Asiens und Afrikas, wo Mehrsprachigkeitlängst nicht mehr als Ausnahmeregelung er-scheint, sondern zur Norm wird.Zudem zeigt die jüngste Entwicklung, daß inzwi-schen fast alle Minderheitssprecher Europas mehr-sprachig geworden sind und der Übergang zurMehrsprachigkeit nicht mehr automatisch das En-de einer autochthonen Minderheitssprache bedeu-ten muß. Mehrsprachigkeit wird häufig als wirt-schaftlicher und beruflicher Motor gesehen, derden Lebensstandard erhöht und Zugang zu neuenBerufsfeldern im grenzüberschreitenden Verkehr,im Kontakt mit internationalen Arbeitgebern undzu Unternehmen ermöglicht, die ihre Übersetzerund Dolmetscher mit Vorliebe aus mehrsprachigenLändern (Luxemburg, Belgien) und Sprachgrenz-gebieten (beispielsweise von der germanisch-ro-manischen Sprachgrenze) rekrutieren.Damit geben mehrsprachige Minderheitsspre-cher ihre ererbte Defensivattitüde auf, erkennendie Chancen der Mehrsprachigkeit im neuen eu-ropäischen Diskurs, der sie nicht mehr zwingt,ihre Identität zu leugnen und sich den Prestige-sprachen anzupassen. Der Einsprachige stößt da-gegen zunehmend auf Schwierigkeiten, seinewirtschaftlichen oder politischen Interessen in ei-nem mehrsprachigen Europa nachdrücklich ver-treten zu können.

Sprachverhalten und Spracherwerb korrespon-dieren mit dem freien Markt. Globalisierung undInternationalisierung fördern die Bereitschaftjunger Europäer, mehrere Sprachen zu erwerben,da sich deren Beherrschung nachweislich in hö-herem Einkommen auszahlt. In einem modernenUnternehmerprofil im europäischen Manage-ment zählen linguistische Kommunikationsfä-higkeiten zu den geforderten Schlüsselqualifika-tionen. Die Zukunft bietet demjenigen Beschäfti-gungsmöglichkeiten, der in den Sprachen derAusgangs- und Zielmärkte kommunizieren kann.Ein marktwirtschaftlich bestimmtes Mehrspra-chenmodell motiviert eine Mehrsprachigkeitdauerhafter als eine zentralistisch konzipierteSprachplanung, die trotz engem Einbezug derSprachwissenschaft und Politik als statisches unddamit wenig flexibles Instrument sich kaum demveränderlichen Sprachbedarf des europäischenSprachenmarktes anpassen kann und will.Für eine europäische Sprachpolitik könnten dieErfahrungen von Nutzen sein, die in den neunzi-ger Jahren im Bemühen um die Gleichberechti-gung und Chancengleichheit von kleinen Sprach-gemeinschaften gemacht wurden und teilweiserecht erfolgreich als Konzepte einer propädeuti-schen europäischen Sprachplanung dienten:1 Das Konzept derpositiven Diskriminierung,

das Minderheiten, weitgehend unabhängig vonihrer Sprecherzahl, gleiche Aufstiegsmöglich-keiten wie der dominanten Sprachgruppe gibt,um in das soziopolitische und das Wirtschafts-leben integriert zu werden. In der Praxis be-deutet dies für die staatlichen und regionalenBehörden, den sprachpolitischen Versuch zuunternehmen, die höheren Produktions- undMaterialkosten und speziell geschultes Ausbil-dungspersonal in den subdominanten und ko-dominanten Sprachen des eigenen Landes be-reitzustellen, damit jeder Minderheitssprecherseine Sprachenrechte im gleichen Maße genie-ßen kann, wie die bisher deutlich privilegiertenMehrheitssprecher.

2 Das aus dem Subsidiaritätsprinzip hervorgehen-deDezentralisierungskonzept, das in bisher zen-tralistischen Mitgliedsländern übernommen wer-den sollte, verdient aus sprachpolitischer Sichtbesondere Aufmerksamkeit. Es müßte geprüftwerden, inwieweit Entscheidungen im Sprach-und Kulturbereich auf untere demokratischeEbenen verlagert werden können, damit subdo-minante Sprachen und ihre Sprecher an Rechtssi-cherheit gewinnen und sich eine Sprachpolitikauf regionaler Ebene entfalten kann.

3 Dem sehr nahe steht einAusbildungskonzept,das es allen Bürgern ermöglicht, ihre Sprachein möglichst zahlreichen Kontexten zu ver-wenden, so daß sie – mit oder ohne Sprachge-setzgebung – in der Lage sind, Lösungen fürihre Sprach- und Kulturprobleme zu findenund sie in die Sprach- und Alltagspraxis umzu-

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setzen, auch ohne sich auf die staatliche Ver-waltung und Behörden zu berufen.

4 Ziel sollte ein Konzept derMehrsprachigkeits-förderungsein, die das Erlernen einer Spracheauf Kosten einer anderen oder den Erwerb ei-ner Sprache mit dem Zweck, andere Sprachenzu verdrängen oder zu diskreditieren, aus-schließt. Diese Förderung gilt in besonderemMaße für die öffentliche Verwaltung und dasgesamte Wirtschaftsleben und alle weiterenDomänen, deren Sprachverwendung das Pre-stige von Sprachen erhöhen würde.

Ein solcher Forderungskatalog dient als eine er-ste Anregung, die oft nur im Ansatz entwickeltennationalen Sprachplanungen und Sprachpolitikenzu europäisieren. Dabei soll allerdings vor demMißverständnis gewarnt werden, daß sich ausderartigen Vorüberlegungen ein allgemeingülti-ges Mehrsprachigkeitsmodell für die europäischeSprachplanung ableiten lasse. Der spezifischemultilinguale Kontext muß sich in der regionalenund überregionalen Sprachpolitik eines jedenEU-Mitgliedslandes widerspiegeln und – soweitwie möglich – paßgenau auf die jeweiligeSprachgemeinschaft zugeschnitten sein, um denrealen sozialen und ökonomischen Bedingungenzu entsprechen.Ein einziger Masterplan zur Lösung der Sprach-konflikte könnte nur scheitern. Es liegt in der po-litisch bestimmten Anerkennung der sprachlich-kulturellen Vielfalt Europas begründet, daß stattpauschaler und verallgemeinernder Konfliktlö-sungen nur fallweise determinierte, situativ undkontextuell angepaßte Sprachenpolitiken erfolg-reich sein können. Dies scheint die einzig mögli-che Perspektive zu sein, die die zwischen natio-nalstaatlicher Selbstbestimmung und fortschrei-tender wirtschaftlicher Integration entstandeneSpannung in der Sprach- und Kulturdomäne derEU-Staaten ansatzweise neutralisieren kann.Folgt man der abwartenden Haltung und den be-hutsam formulierten Vorschlägen der Kontakt-linguistik für eine sprachgrenzenübergreifendeSprachplanung und berücksichtigt man die zahl-reichen empirischen Projekte zu ihrer Umsetzungin multiperspektivische und multidisziplinäreSprachenpolitiken; wird sich ein vorsichtiger Op-timismus im Blick auf die sprachpolitische Zu-kunft Europas rechtfertigen lassen, daß sich in ei-nem mehrsprachigen Europa mit seinen regiona-len und nationalen Sprachen auch die vielfältigenkulturellen Identitäten erhalten könnten.

Anmerkung

1 Eine ausführlichere Darstellung der hier vorgestellten Überlegun-

gen erscheint im Böhlau Verlag (s. Literatur). Dort findet man auch

den kritischen Apparat, auf dessen Abdruck hier verzichtet wird.

Anschrift des Verfassers:Prof. Dr. Peter Hans NeldeKatholische Universität BrüsselForschungszentrum für MehrsprachigkeitVriheidslaan 171081 BrüsselBelgien

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Nachrichten aus den Akademien

Bayerische Akademie derWissenschaften

Gründung eines neurowissenschaftlichenZentrumsDie BAdW hat die Gründung einer neuen Kom-mission beschlossen, die sich mit dem rasant ent-wickelnden Gebiet der Neurowissenschaften be-schäftigen wird. Die Ergebnisse der Neurowis-senschaften dürften sowohl von fundamentalerBedeutung für den Menschen als auch von gro-ßer praktischer Bedeutung sein. Allerdings wirddie zu erwartende Entwicklung dieses Fachge-bietes in erheblichem Maße von der Kooperationunterschiedlicher Wissenschaftsbereiche abhän-gen, von der Informatik bis hin zu den Ingenieur-wissenschaften. Gerade dieser transdisziplinäreAspekt war es, der zur Gründung der Kommis-sion „Neurowissenschaft: Sensomotorik beiMensch und Maschine“ veranlaßt hat, zumal re-nommierte und führende Wissenschaftler aufdiesem Gebiet o. Mitglieder der Akademie sind.Durch die Gründung der Kommission werdenzwei wesentliche Aspekte angesprochen: Grund-lagenforschung einerseits und relevante Anwen-dungsbezüge andererseits. Die Einschränkungauf Sensomotorik bei Mensch und Maschineschien geboten, weil das Gebiet der Neurowis-senschaften zu umfangreich wäre, würde manFauna und Flora mit einschließen. Soweit erfor-derlich, sollen aber Ergebnisse aus dem Bereichder Neurophysiologie von Tieren und Pflanzenmit einbezogen werden, denn die sensomotori-sche Steuerung biologischer und technischer Sy-steme unterliegt eng verwandten Gesetzmäßig-keiten: biologische Prinzipien inspirieren techni-sche Konstruktionen; mathematisch-systemtheo-retische Modellbildungen sind essentiell zumVerständnis biologischer Funktionen. Prinzipienüber Millionen von Jahren erprobter biologischerSysteme können komplizierte technische Ent-wicklungen vereinfachen und neue Wege zurOptimierung der sensomotorischen Steuerungvon Robotern und Neuroprothesen aufzeigen.Hauptaufgabe der Kommission ist die Förderungder interdisziplinären Kooperation von Medizinund Technik, auch unter Einbeziehung von Wis-senschaftlern aus der Industrie. Dies wird vor al-lem durch die Veranstaltung von Workshops undSymposien erfolgen; ferner soll die Kommissionberatend tätig werden und ihre Ressourcen nichtnur im Münchner Raum sondern auch in Bayernoptimal einsetzen: Angestrebt wird die Bildungeines Forschungszentrums Neurowissenschaften:Sensomotorik bei Mensch und Maschine, wobeidie BAdW eine universitätsübergreifende Trä-gerschaft übernehmen könnte, wie sie dies bei-

spielsweise auch für das Leibniz-Rechenzentrumpraktiziert.

Wissenschaftliche Arbeitsgruppe gegründetAm 7. Mai 2001 trafen sich Vertreter beiderAkademie-Klassen unter Federführung von Prof.Dr. Horst Hagedorn, Würzburg, zum ersten Tref-fen des Wissenschaftlichen Komitees für Ge-birgsforschung der BAdW (WiKo Gebirge). An-laß für die Neukonstituierung war die Mitglied-schaft der BAdW im Internationalen Wissen-schaftlichen Komitee Alpenforschung. Dieses istmaßgeblich für die Durchführung des AlpenFo-rums, eines internationalen Treffens, das allezwei Jahre in einem der Alpenländer stattfindet,verantwortlich. Gegründet wurde diese Initiativevon den Schweizerischen Akademien unter Hin-zuziehung von Institutionen aus anderen Alpen-ländern. Um am AlpenForum alle Alpenländerteilhaben zu lassen und es innerhalb bereits be-stehender ’Alpenforschungseinrichtungen‘ zuverankern, wurde 1999 zwischen den Akademienund anderen wissenschaftlichen Institutionen derAlpenländer eine gemeinsame Vereinbarung ge-troffen, in der die Ziele des AlpenForums defi-niert wurden. Für die Organisation wurde das In-ternationale Wissenschaftliche Komitee Alpen-forschung gegründet, mit einer gemeinsamenGeschäftsstelle mit Sitz in Bern/Schweiz, diedurch finanzielle Beiträge aller Mitglieder finan-ziert wird.Ansprechpartner für weitere Informationen, auchzum Thema Gebirgsforschung, und Auskünfte beieventuell gewünschten eigenen Beiträgen erteilengerne Prof. Dr.Horst Hagedorn(E-Mail: [email protected], Telefon 0931-888 5545) und Eva Samuel-Eckerle(E-Mail:[email protected], Te-lefon 0931-888 5545). Über die weiteren Aktivitä-ten des WiKo Gebirge wird „Akademie Aktuell“informieren. Weitere Interessenten sind jedenfallsherzlich willkommen.

Monika Stoermer im Ruhestand – EvaRegenscheidt-Spies wird neue GeneralsekretärinFür viele ist die Bayerische Akademie der Wis-senschaften ohne sie gar nicht denkbar, gehörendie langjährige Syndika und GeneralsekretärinMonika Stoermerund die in der Münchner Resi-denz angesiedelte Gelehrtengesellschaft unwei-gerlich zusammen. Doch es hilft kein Ignorie-ren: Bereits seit dem ersten Juli dieses Jahresbefindet sichMonika Stoermerim Ruhestand –wenngleich sie sich noch bis einschließlich No-vember 2001 aufgrund einer sechsmonatigenStellensperre sozusagen selbst vertritt, bevordann die Geschäfte von ihrer NachfolgerinEva

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Regenscheidt-Spies(Leitende Regierungsdirek-torin an der Ludwig-Maximilians-UniversitätMünchen) zum 1. November 2001 übernommenwerden.Monika Stormerkam 1971 an die BayerischeAkademie der Wissenschaften. Hier fand sie diezentrale Wirkungsstätte ihres Lebens und führte30 Jahre lang sämtliche laufenden Geschäfte derGelehrtengesellschaft und außeruniversitärenForschungseinrichtung. In diesen 30 Jahren hatsie es nicht nur geschafft, für ein angenehmes,unkompliziertes und effizientes Arbeitsklimazwischen den Mitgliedern und den Mitarbeiternder Akademie zu sorgen; sie bewältigte auch ei-ne stetig wachsende und immer vielfältiger wer-dende Aufgabenpalette, betrieb die Modernisie-rung der Akademie sowie deren räumlichen Aus-bau und repräsentierte die Einrichtung neben denPräsidenten – von denen sie immerhin sechswährend ihrer Amtszeit unterstützte – nach au-ßen.

Hugo Beikircher neuer GeneralredaktorAls Nachfolger für den vorzeitig verstorbenenGeneralredaktor des an der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften beheimateten Thesau-rus linguae Latinae, Dr.Peter Flury, hat die In-ternationale Thesaurus-Kommission Dr.HugoBeikircherbestellt. Seit dem 16. Mai 2001 übtHugo Beikircherdieses Amt nun auch offiziellaus, nachdem er es seit Spätherbst vergangenenJahres bereits vertretend wahrgenommen hatte.Der aus Südtirol stammende und in Wien ausge-bildete Latinist gehört dem Unternehmen seit1967 an, zunächst als Mitarbeiter, seit 1971 alsRedaktor.

20. Band der Neuen Deutschen BiographieerschienenDer Wiesbadener Augenarzt Alexander Pagen-stecher, der die Operationsmethoden am Grauenund Grünen Star weiterentwickelt hat, eröffnetden Band. Der Münchner Patrizier und Bücher-sammler Jakob Püterich, dessen Hauptwerk, dersogenannte „Ehrenbrief“, sich seit drei Jahren imBesitz der Bayerischen Staatsbibliothek befindet,beschließt ihn: Pagenstecher und Püterich, diesebeiden Namen stehen gewiss nicht in der erstenReihe der deutschen historischen Erinnerung.Aber sie bezeichnen umso besser die typischeErfassungsbreite der Neuen Deutschen Biogra-phie (NDB), von der nun der 20. Band vorgelegtwerden konnte. Als Herausgeber des bekanntenhistorischbiographischen Lexikons der Persön-lichkeiten und Familien aus dem deutschenSprach- und Kulturraum fungiert die HistorischeKommission bei der Bayerischen Akademie derWissenschaften, bei welcher auch die Redaktionangesiedelt ist.Das vollständige Inhaltsverzeichnis von Band 20der Neuen Deutschen Biographie sowie zum Teil

das ihn erschließende Personenregister könnenauch im Internet abgefragt werden unter:www.ndb.badw-muenchen.de/ndb_20inhalt.htm.

Wie viele Werke hat Orlando di Lasso eigentlichgeschrieben?Ein Verzeichnis gibt AufschlussOrlando di Lasso (1530/32-1594) war der bedeu-tendste Komponist der zweiten Hälfte des 16.Jahrhunderts. Er war der Hofkapellmeister derbayerischen Herzöge Albrecht V. und WilhelmV., ab 1557 in München. Dank seines Wirkenswurde die Residenzstadt der Wittelsbacher erst-mals zu einem Zentrum des europäischen Musik-lebens. Doch trotz – oder vielleicht gerade we-gen? – seines bedeutenden Schaffens wußte manbisher nicht so genau, wie viele Werke er dennnun eigentlich geschrieben hat. Dieser Unklar-heit hat die Musikhistorische Kommission derBAdW nun abgeholfen und ein dreibändigesLasso-Werkverzeichnis erstellt.

Fiction & ScienceInternationale FrühjahrsbuchwocheWas früher Fiktion und bloßer Wunschtraummenschlicher Phantasie war, ist heute zum gutenTeil Realität und Bestandteil des Alltags gewor-den. Den Forschern und Tüftlern sei Dank. Undwas noch nicht ist, kann ja noch werden – dieNaturwissenschaftler arbeiten jedenfalls daran.Damit verbunden ist, daß die Natur- und Tech-nikwissenschaften das Leben und Fühlen derMenschen immer stärker dominieren - ja, daß ih-nen sogar von immer mehr Menschen alleinigeDeutungshoheit zuerkannt wird. Das Kulturrefe-rat der Stadt München und das MedienforumMünchen e.V. nahmen diesen Sachverhalt zumAnlaß, einmal genauer hinzuschauen und zu fra-gen, wie Naturwissenschaft und Technik unserWelt- und Menschenbild prägen und inwiefernsich das in der Literatur widerspiegelt. Ergebnisdieses Hinterfragens war die 12. InternationaleFrühjahrsbuchwoche, die den Titel „Fiction &Science“ trug und maßgeblich vonEva Schusterorganisiert wurde. Neben 30 Autorinnen und Au-toren beteiligte sich auch die BAdW daran.Sie tat dies in Form von zwei Veranstaltungen,deren eine von Prof. Dr.Christian Hünemördervon der Universität Hamburg und von Dr.Nor-bert H. Ottaus der Kommission für Deutsche Li-teratur des Mittelalters der Akademie bestrittenwurde. Gemeinsam zeigten sie frühe Formen po-pularisierender Wissenschaft auf und veran-schaulichten, daß sich „science“ und „fiction“niemals so eng berührt haben wie in der antikenund mittelalterlichen Vorstellungswelt der Men-schen.Um das Verhältnis von naturwissenschaftlicher,speziell medizinischer Forschung und deren Nie-derschlag in der Literatur ging es auch am zwei-

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ten Veranstaltungsabend im Rahmen der Interna-tionalen Frühjahrsbuchwoche. Konkret stand dieThematik „Literatur, Krankheit, Medizin“ imMittelpunkt, die diskutiert wurde von demMünchner Literaturwissenschaftler und AutorProf. Dr. Walter Müller-Seidel, der MünchnerÄrztin und Autorin von Gedichten mit medizini-scher Thematik, Dr. Dr.Gabriele Stotz-Ingen-lath, dem Marburger Literaturwissenschaftlerund Autor Prof. Dr. Thomas Anzsowie demStuttgarter Literaturwissenschaftler und AutorProf. Dr. Horst Thomé. Zunächst untereinanderund danach mit dem Publikum zeigten sie Ge-meinsamkeiten und Differenzen des Themas auf.Die Ausführungen machten deutlich, daß derMedizin vor dem Hintergrund des Wissens umKrankheiten körperlicher wie vielfältiger Verlet-zungen seelischer Art v.a. in der Literatur des 20.Jahrhunderts eine entscheidende Rolle zukommt.Das war nicht immer so:Walter Müller-Seidelwies darauf hin, daß sich Philosophie, Literatur-kritik und Psychiatrie sehr lange der Thematisie-rung von „unvollkommenen“ Menschen, dienicht dem Idealbild entsprachen, in schöner Lite-ratur widersetzt haben - sie ihnen quasi einen„ästhetischen Widerstand“ entgegensetzten.

Schelling-Buchpräsentationim Deutschen MuseumFriedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775 –1854) publizierte zwischen 1797 und 1799 dreiumfangreiche Bände, in denen er eine Philoso-phie der Natur formulierte. Ein direktes philoso-phisches Vorbild für dieses Projekt fehlt; die Na-turphilosophie sollte eine auf das erkennendeSubjekt zentrierte Philosophie, wie sie Fichte imAnschluss an Kant vorgelegt hatte, ergänzen.Dies war nur möglich, indem Schelling die kon-kreten Resultate der Naturforschung aufnahmund eine allgemeine philosophische Theorie for-mulierte, durch die die einzelnen Naturphänome-ne und ihre Gesetzlichkeiten verständlich werdensollten. Er bezog sich dabei vor allem auf damalsinnovative Gebiete wie die Chemie, auf Bereicheder Physik (Elektrizität und Magnetismus, Wär-melehre, Lichttheorie, Gravitationstheorie) unddie Physiologie. Seine Naturphilosophie inte-grierte jedoch nicht nur naturwissenschaftlichesWissen der damaligen Zeit; sie übernahm aucheine wesentliche Funktion für die Herausbildungder modernen Naturwissenschaften, indem siedas Verhältnis von Philosophie und einzelnenWissenschaften neu bestimmte.Die Kommission zur Herausgabe der Schriftenvon Schelling an der Bayerischen Akademie derWissenschaften hat soeben die historischkritischbearbeiteten Texte vorgelegt (Bände I,5 bis I,7),in denen Schelling diese Naturphilosophie erst-mals ausführlich und systematisch darstellte: die„Ideen zu einer Philosophie der Natur“ (1797),„Von der Weltseele, eine Hypothese der höheren

Physik“ (1798) und den „Ersten Entwurf einesSystems der Naturphilosophie“ (1799). UmSchellings Bezugnahme auf die Wissenschaftenseiner Zeit zu dokumentieren, werden die Textejeweils durch umfangreiche erklärende Anmer-kungen erschlossen; der wissenschaftshistorischeHintergrund ist in Form eines Wissenschaftshi-storischen Berichts in einem eigenen Ergän-zungsband dargestellt – können doch ohne dieZusammenarbeit von Philosophen und Wissen-schaftshistorikern weder die Philosophie nochdie Wissenschaften der Zeit um 1800 adäquatverstanden werden.

Der kälteste Punkt in MünchenWalther-Meissner-Institut am High-Tech-TagBayernsIm März dieses Jahres fand an den Forschungs-einrichtungen Münchens ein High-Tech-Tagstatt, ein Tag der offenen Tür, an dem die in Gar-ching angesiedelten Forschungsinstitute und da-mit auch das dortige Walther-Meissner-Institut(WMI) der BAdW teilnahmen. Der Besuch amWMI war, wohl auch auf Grund der Bekanntma-chungen in der Presse, ausgezeichnet.Eine ganze Reihe von altbewährten und neuenExperimenten wurde den Interessenten von denMitarbeitern des Instituts gezeigt. Zudem konntesich das Publikum in stündlich wiederholtenVorträgen über das Lebenswerk des Instituts-gründers, Walther Meißner, sowie über die Ge-schichte und die gegenwärtigen Arbeitsgebietedes WMI informieren. Ein Höhepunkt der Vor-führungen war die für den High-Tech-Tag neuaufgebaute Modell-Autorennbahn, die etwa dieGröße einer Modelleisenbahn hatte. Ähnlich wiebei der geplanten Magnetschwebebahn Transra-pid glitt hier auf einer ovalen Modell-Magnet-spur ein Fahrzeug, das aber keinen Elektroma-gneten, sondern einen mit flüssigem Stickstoff(Temperatur: -196 °C) gekühlten supraleitendenMagneten enthielt. Die sich abstoßenden Felderder Magnetstrecke und des Supraleiters sorgtenfür ein reibungsfreies Gleiten des Fahrzeugs.Neu vorbereitet wurde für den High-Tech-Tag einferngesteuerter Helium-Ballon mit Propeller-An-trieb, ein Modellversuch für den Transport-Zeppe-lin „Cargolifter“, mit dem sich besonders die jün-geren Besucher gerne selbst als Piloten versuchten.

Dilemmata des WohlfahrtsstaatesNachdem sichMarkus Schwoererdem Kernspin,Friedrich G. Barth sensorischen Systemen undArnold Eschden deutschen Pilgern im Mittelaltergewidmet hatten, thematisierteHans Zacherin demletzten „Montagsvortrag“ der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften während des vergangenenWinterhalbjahres die Dilemmata des Wohlfahrts-staates. Auch er traf dabei auf einen großen Zuhö-rerkreis, der dank eines Fernsehmitschnitts des Bil-dungskanals „alpha“ noch etwas größer wurde.

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Der frühere Präsident der Max-Planck-Gesell-schaftHans Zacher– wie alle anderen Referen-ten der Montagsvorträge Mitglied der BAdW –ging in seinen Ausführungen auf die seit densiebziger Jahren immer wieder neu dargestellteKrise des Wohlfahrtsstaates ein. Für die Feststel-lung einer solchen Krise gibt es – so Zacher –viele „Vordergründe“: von den „Grenzen desWachstums“, die seinerzeit in den siebziger Jah-ren erstmals sichtbar geworden seien, bis hin zurGlobalisierung, die heute die Diskussion be-herrscht.

Die Montagsvorträge Winter 2001/25. November 2001: Gunter Wenz: „Der Kultur-protestant – Adolf von Harnack als Christen-tumstheoretiker und Kontroverstheologe“, ;3. Dezember 2001: Rudolf Kippenhahn: „Hat esden Urknall wirklich gegeben?“,14. Januar 2002: Gottfried Sachs: „Der neueWeg ins All: Zukünftige Raumtransportsyste-me“;4. Februar 2002: Otto Kresten: „Biblisches Ge-schehen und Byzantinische Kunst“.Alle Vorträge beginnen um 19.00 Uhr im Plenar-saal der BAdW, Marstallplatz 8 in der MünchnerResidenz.

Neues aus dem Historischen KollegDie Einrichtung ging zum Beginn des Kollegjah-res 2000/2001 über auf die Stiftung zur Förde-rung der Historischen Kommission bei der Baye-rischen Akademie der Wissenschaften und desHistorischen Kollegs. Die Grundfinanzierung er-bringt der Freistaat Bayern, die Forschungs- undFörderstipendien werden bereit gestellt durch dieFritz Thyssen Stiftung, den DaimlerChryslerFonds, den Stifterverband für die Deutsche Wis-senschaft und ein Förderunternehmen des Stifter-verbandes.Für das Kollegjahr 2001/2002 hat das Kuratori-um des Historischen Kollegs unter dem Vorsitzvon Prof. Dr.Lothar Gall (Frankfurt a. M.) For-schungsstipendien vergeben an Prof. Dr.HelmutAltrichter (Erlangen) für das Vorhaben „Russ-land 1989. Die Erosion eines Systems, der Zer-fall einer Weltmacht, das Ende einer Epoche“,Prof. Dr. Marie-Luise Recker(Frankfurt a. M.)für das Vorhaben „Parlamentarismus in der Bun-desrepublik Deutschland 1949-1969“, und anProf. Dr. Jürgen Trabant(FU Berlin) für dasVorhaben „Mithridates im Paradies: Geschichtedes europäischen Sprachdenkens“. Das Förder-stipendium des Historischen Kollegs wird Dr.Andreas Rödder(Stuttgart) für das Vorhaben„Die Bundesrepublik Deutschland 1969-1990.(Grundriss der Geschichte)“ zuteil.Alle Stipendiaten erhalten durch das Kolleg dieMöglichkeit, frei von anderen Verpflichtungeninnerhalb eines Jahres eine größere wissenschaft-liche Arbeit („Opus magnum“) abzuschließen.

Berlin-Brandenburgische Akademie derWissenschaften

Veranstaltungen zum Leibniztag der AkademieIm ersten Jahr nach dem 300jährigen Akademie-jubiläum hat sich die Akademie mit einem ge-wandelten Programm ihres jährlichen Festaktes,dem Leibniztag, an die interessierte Öffentlich-keit gewandt – einem Programm, mit dem sie ih-rem Selbstverständnis von einer modernen, ihrenunverwechselbaren und unverzichtbaren Platz inder Gesellschaft innehabenden Akademie Aus-druck verleiht.Mit dem Festvortrag des Präsidenten des Deut-schen Bundestages,Wolfgang Thierse, standerstmals der Vortrag einer herausragenden Per-sönlichkeit des gesellschaftlichen Lebens imMittelpunkt des Leibniztages. Jazz und Prosa –eine Lesung vonHermann Beilaus ThomasBernhards „Stimmenimitator“ im Wechsel mitdem musikalischen Spiel der Metropolitan JazzBand unter Leitung vonRolf von Nordenskjöld–bildeten als eigenständigen Programmteil dieVerbindung zwischen dem Festvortrag und demBericht des Präsidenten an die Festversammlung.Im Rahmen des Festaktes wurde Prof. Dr. rer.nat. Dr. h.c.mult.Reimar Lüstmit derLeibnizme-daille, der höchsten Auszeichnung der Akademiefür besondere Leistungen bei der Förderung derWissenschaften, ausgezeichnet.Der Vorabend des Leibniztages war der Wissen-schaft vorbehalten. Im Rahmen einerÖffentli-chen wissenschaftlichen Sitzung der AkademieimPlenarsaal des Akademiegebäudes, in deren Zen-trum der wissenschaftliche Festvortrag von Aka-demiemitglied Jürgen Trabant„Über Ruhm,Coolness, Wahrheit und andere Fragen der euro-päischen Sprachkultur“ stand – nach den zahlrei-chen Aktivitäten zum „Jahr der Lebenswissen-schaften“ eine kleine Referenz an das “Europäi-sche Jahr der Sprachen“ –, wurden die im zu-rückliegenden Jahr in die Akademie gewähltenMitglieder vorgestellt und Nachwuchswissen-schaftler mit Preisen geehrt. Erstmals in diesemJahr wurde das Akademiestipendium verliehen.Mit dem Stipendienprogramm sollen vornehm-lich durch Förderung eines Studien- und For-schungsaufenthaltes im Ausland die individuelleEntwicklung, Selbstständigkeit und frühe Inte-gration in die internationale wissenschaftlicheGemeinschaft unterstützt werden. Das Stipendi-um wird in der Regel für die Dauer eines Jahresgewährt.

Akademiestellungnahme zum Reproduktiven Klo-nieren von MenschenDie ArbeitsgruppeGentechnologieberichthat ei-ne Stellungnahme zum reproduktiven Klonierenvon Menschen erarbeitet. Nach Nostrifizierungdurch den Vorstand der Akademie wurde dieStellungnahme als Akademieerklärung auf einer

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Pressekonferenz am 5. Juli präsentiert. Gleich-zeitig stellte sich die AGGentechnologieberichtder Öffentlichkeit vor. Teilnehmer der Presse-konferenz warenC. F. Gethmann, Ferdinand Hu-cho, Hans-Jörg Rheinberger, Dieter SimonundKarl Sperling.

Schulvorträge in BrandenburgMit dem Ziel, das öffentliche Verständnis derWissenschaft zu fördern, hat die BBAW gemein-sam mit dem Ministerium für Bildung, Jugendund Sport in Brandenburg eine im jährlichenRhythmus zu veranstaltende Akademiewoche in-itiiert, in der Mitglieder und Mitarbeiter der Aka-demie an Brandenburger Schulen Vorträge hal-ten. Für Schülerinnen und Schüler bietet sich dieMöglichkeit, in lebendigen Vorträgen die Faszi-nation und Spannung von Wissenschaft vermit-telt zu bekommen und Hemmschwellen abzu-bauen. Im Juli diesen Jahres wurden mehr als 80Schulvorträge gehalten. Die angebotene The-menliste reichte von der Geoforschung über Lite-raturhistorie bis hin zur Philosophie, wie „WasMünzen über antike Geschichte verraten“, „Wenhat Goethe geduzt? – Brief und Briefroman zurGoethezeit“, „Mein Genom und ich“ oder „DieWelt im Jahre 2021: Science Fiction auf der Ba-sis des Absehbaren“. Die Initiative hat in einerVielzahl regionaler und überregionaler Tageszei-tungen ein großes Echo gefunden.

Die Akademie im Wissenschaftssommer 2001 inBerlinMit einem umfänglichen Programm beteiligt sichdie Akademie am vom BMBF ausgerufenen„Jahr der Lebenswissenschaften“. Im Rahmender MPG-Jahrestagung haben mehrere Mitglie-der Vorträge an Berliner Schulen gehalten. DasSommersemester der Akademievorlesungenstand unter dem Thema „Molekulare Medizin inTherapie und Prävention“.Über die Universitäten und Einrichtungen sindviele Mitglieder an der ‘Langen Nacht der Wis-senschaft’ beteiligt. Die Akademie wird zusam-men mit der Jungen Akademie am 15. Septembereinen Lesemarathon im Akademiegebäude ver-anstalten. Überdies wirken mehrere Mitgliederbeim Symposion „Kunst als Wissenschaft – Wis-senschaft als Kunst“ mit. Ein Workshop, derMitglieder der Biowissenschaftlichmedizini-schen Klasse und Journalisten miteinander in einGespräch bringt und der Klärung der gegenseiti-gen Erwartungen, der Einsicht in Handlungs-spielräume und -zwänge sowie Möglichkeiten ei-ner Verbesserung der Kommunikation dient, istfür Ende September/Anfang Oktober geplant.

GEGENWORTE „Wissenschaftssprache/Sprache der Wissenschaftler“Sprache der und in der Wissenschaft ist ein span-nendes und zugleich besonders gewagtes Thema,

nicht zuletzt, weil die Theorie unmittelbar in Pra-xis überführt werden muß. Wie in den bisherigenAusgaben kommen in Heft 7 Vertreter unter-schiedlicher Disziplinen, unterschiedlichen‘Standes’ und neben Wissenschaftlern auchNicht-Wissenschaftler zu Wort. Beiträge überlingua franca und Einheitssprache, Denglitschund Bad German, Universalsprachen und überMetaphern bilden einen zeitlosaktuellen Schwer-punkt. Außerdem werden Verständigungsproble-me zwischen Fachleuten und Laien, das ‘Macht-system in den Wortfolgen’ und sprachlicheSchrebergärten, das Thema Jargon und die Vor-und Nachteile der Arbeit an Sprache behandelt.Der literarische Beitrag kokettiert mit der Ver-wandtschaft zwischen den Buchstabenfolgen inGensequenzen und in expressionistischen Ge-dichten; die kulturgeschichtlichen Ausflüge füh-ren zu Übersetzungsproblemen im China des 19.Jhdt. und zu orientalischen Übersetzern im 9.Jhdt. Eine Dokumentation wurde zur Einführungin das Thema zusammengestellt; im Porträt wirdJakob Staude, Astronom und Herausgeber derZeitschrift ‘Sterne und Weltraum’ vorgestellt.Heft 8 (Herbst 2001)wird sich mit der Digitali-sierung in den Wissenschaften, vor allem auchmit den Begleiterscheinungen dieses komplexenProzesses beschäftigen.

Nationaler Ethikrat bei der Akademie angesiedeltAm 8. Juni traf der Nationale Ethikrat in Anwe-senheit von BundeskanzlerGerhard Schröderund AkademiepräsidentDieter Simonzu seinerkonstituierenden Sitzung in der Akademie zu-sammen. Der Ethikrat wurde per Einrichtungser-laß vom 2. Mai 2001 auf Beschluß des Bundes-kabinetts als nationales Forum des Dialogs überethische Fragen in den Lebenswissenschaften ge-bildet. Er erhält zur Unterstützung seiner Arbeiteine eigene Geschäftsstelle, die an der BBAWangesiedelt wird.

Arbeitsgruppe GesundheitsstandardsDie AG Gesundheitsstandardsveranstaltete imJanuar 2001 eine erste Expertentagung zurGrund- und Zusatzversorgung im Gesundheits-wesen. Als Referenten nahmen teil: D. Birnba-cher, Düsseldorf: „Was ist medizinische ,Not-wendigkeit‘?“; F. Breyer, Konstanz: „Grundver-sorgung – Zusatzversorgung: Was könnten öko-nomisch sinnvolle Kriterien sein?“;E. Eichenho-fer, Jena: „Zukunftsperspektiven der gesetzli-chen Krankenversicherung“;W. Rössler, Zürich:„Wechselwirkungen zwischen Gesundheitsstan-dards und Prioritätensetzung, Ressourcenalloka-tion und ökonomischen Analysen in der Psychia-trie“; St. Huster, Heidelberg: „Grund- und Zu-satzversorgung: Verfassungsrechtliche Vorgabenfür sozialrechtliche Regelungen“. Des weiterennahm an der Diskussion teil:R. Strehl, Tübingen.Tagungsleitung:C. F. Gethmann

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Arbeitsgruppe Sprache des RechtsDie AG Sprache des Rechtserforscht interdiszipli-när und mit empirischen Methoden die Entste-hung, Auslegung und Anwendung von Rechtstex-ten mit dem Interesse einer Verbesserung derenVerständlichkeit. Im April dieses Jahres habensich auf einem Workshop Juristen, Linguisten undexperimentelle Psychologen mit der Verständlich-keit von Gesetzestexten befaßt. Diskutiert wurdevor allem die Bedeutung des Wortlauts des Geset-zes, mit welchem die Gesetzesauslegung beginnt,aber nicht endet, so daß insbesondere auch eineausdrücklich dem Gesetzeswortlaut entgegenlau-fende Auslegung möglich ist. Die sich daraus er-gebenden Implikationen für die meist am Geset-zeswortlaut ansetzenden Bemühungen, die Geset-ze verständlicher zu machen, wurden eingehenderörtert und die empirische Analyse der Verständ-lichkeit anderer Rechtstexte als lohnendere Alter-native vorgeschlagen.

Arbeitsgruppe Psychologisches Denken und psy-chologische Praxis in wissenschaftshistorischerund interdisziplinärer PerspektiveDer 1. Workshop der interdisziplinären AGPsy-chologisches Denken und psychologische Praxiswurde am 11. Mai 2001 unter dem TitelDie Psy-chologie und ihre Anwendungendurchgeführt.Durch Vorträge der in- und ausländischen For-scher und Forscherinnen wurde die breite Palettepsychologischer Tätigkeiten untersucht, die dasArbeitsleben, die Führungen der Wirtschaft oderdas Militär mit Tests, Bewertungen und Beratun-gen durchdringt. Dabei wurden Fallstudien nichtnur aus Deutschland seit der Mitte des 19. Jahr-hunderts präsentiert, sondern auch Vergleiche mitanderen Ländern einbezogen. Wie die Debattenzeigten, bedarf die Frage, wie die psychologi-schen Experten den an sie gerichteten Erwartun-gen, etwa ein bestimmtes Orientierungswissen zuliefern, entsprechen und entsprechen können, ge-nauer sozialhistorischer wie auch wissenschafts-theoretischer Untersuchungen. Die Vorgaben derKlienten bestimmen durchaus weitgehend die Zie-le, die Untersuchungsgegenstände und -methodenpsychologischer Tätigkeiten in praktischen Zu-sammenhängen; aber wie genau, das unterliegtgesellschaftlichen wie theoretischen Entwicklun-gen, die sich simplen Antworten entziehen. Ähnli-ches gilt für die Beziehungen praktischer psycho-logischer Tätigkeiten zur akademischen Psycholo-gie: Die landläufige Vorstellung, daß einfachtheoretisches oder in der Grundlagenforschungentwickeltes Wissen in die Praxis übertragen wur-de und wird, bedarf einer klaren und auch nachaußen hin verständlichen Korrektur.

Klassenübergreifendes Gremium für die Betreu-ung der Langzeitvorhaben gebildetDas Plenum der BBAW hat ein aus Vertretern al-ler Klassen bestehendes Gremium für die Betreu-

ung der Langzeitvorhaben eingesetzt. Damit sol-len die mit der Durchführung von geistes- undsozialwissenschaftlichen Vorhaben verbundenengrundsätzlichen Fragen auch stärker in dasBlickfeld der naturwissenschaftlich-medizini-schen und technikwissenschaftlichen Klassenrücken, deren Einflußnahme auf das Geschehenin diesen Vorhaben ermöglichen und die Wahr-nehmung der Verantwortung der Akademie alsGanze für diesen Bereich wissenschaftlicher Tä-tigkeit besser gewährleisten. Das neue Gremiumübernimmt Aufgaben, die bislang ausschließlichim Zuständigkeitsbereich der geisteswissen-schaftlichen Klasse lagen, und zwar die zusam-menfassende Bewertung der Vorhabenprüfun-gen, die periodische Überprüfung der Langzeit-vorhaben (Förderdauer), die Aufnahme neuerThemen sowie die Beendigung von Vorhaben.Als eine ihrer ersten Aufgaben betrachtet dasGremium die Überprüfung und Neugestaltungdes derzeitigen Systems der Betreuungskommis-sionen. Dem Gremium gehören je ein Vertreterder fünf Klassen und fünf Vorsitzende von Be-treuungskommissionen anVolker Gerhardtwur-de zum Vorsitzenden,Christoph Markschieszumstellvertretenden Vorsitzenden gewählt.

Arbeitsgruppe Gentechnologie: Workshop zurwirtschaftlichen Bedeutung der GentechnikDie ArbeitsgruppeGentechnologieberichtveran-staltet am 16. und 17. November 2001 gemeinsammit Akteuren und Beobachtern des Marktes einenWorkshop zu dem Thema „Kompatibilität vonMarktstudien zur Gentechnologie“. Angesichts derVielfalt von Beobachtungsinstrumentarien und In-terpretationsrahmen ist nicht ein Konsens zu dengeeigneten Indikatoren und deren Messung vor-rangiges Ziel. Vielmehr soll zunächst ein Bewußt-sein für die zugrundeliegenden Beobachtungsmo-tive und -entscheidungen geschaffen, eine Diskus-sion über Anforderungsprofile und Probleme, Lei-stungsfähigkeit und Mängel, Wünsche und Reali-sierungschancen in Gang gesetzt werden. DieHoffnung der Arbeitsgruppe richtet sich freilichdarauf, daß damit ein gangbarer Weg hin zur Ver-besserung der nationalen und internationalen Ver-gleichbarkeit der wirtschaftlichen Bedeutung derGentechnik beschritten wird.

Arbeitsgruppe Berliner KlassikDie AG Berliner Klassikveranstaltet ihre ersteGesamtkonferenz zum Thema „Berliner Klassik?Strukturelemente einer urbanen Kultur. Eine ver-drängte Alternative zu Weimar“ vom 6. bis 7.Oktober 2001 und widmet sich der Frage, wel-cher soziokulturellen Dynamik sich die singuläreBerliner Kulturblüte um 1800 verdankt. In wel-chem Verhältnis steht sie zum deutschen Identi-tätsmythos der „Weimarer Klassik“, der die hi-storische Erinnerung an die Berliner Alternativebekanntlich verdrängt hat? Und wie verhält sie

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sich zu den Kulturmustern des klassischen Athenund des klassischen Rom, die im damaligen Eu-ropa Vorbildcharakter besaßen? Ziel der Konfe-renz ist es, erste Umrisse einer komplexen,emanzipierten und toleranten Metropolenkulturin Deutschland zu ermitteln.Auf einer 2. Tagung zum Thema „Naturwissen-schaften, Medizin und Technik in Berlin um1800“ soll am 23. und 24. November 2001 Berlinals Ort naturwissenschaftlicher Lehre und For-schung vorgestellt werden. Auf die Frage, vonwem an welchen Orten und in welchen Zusam-menhängen gelehrt und geforscht wurde, werdenerste Antworten gegeben. Dabei stehen die sach-lichen Zusammenhänge wie die persönlichen Be-ziehungsgeflechte im Vordergrund. Weshalb hat-te eine zahlenmäßig kleine Elite so große Wir-kung? Weshalb hatte Berlin als Ausbildungsortso große Anziehungskraft auf den Nachwuchs?Läßt sich das vielleicht auf ein wesentlichesMißverständnis der ursprünglichen Intentionender staatlichen und privaten Institutionalisierungvon Lehre und Forschung durch Lehrende undLernende zurückführen?

Arbeitsgruppe Gemeinwohl und GemeinsinnIn einer vierbändigen Edition präsentiert die in-terdisziplinäre ArbeitsgruppeGemeinwohl undGemeinsinnan der BBAW Ergebnisse der For-schung zur Aktualität von Gemeinwohl-Idealenals Ziele politischen Handelns und zur Bedeu-tung der sozialmoralischen Ressource Gemein-sinn in modernen Gesellschaften. Im Herbst er-scheinen die Bände „Gemeinwohl und Gemein-sinn. Historische Semantiken politischer Leitbe-griffe“ und „Gemeinwohlrhetorik und Solidari-tätsverbrauch. Integrationsprobleme modernerGesellschaften“.

Kultureller und sozialer WandelAusschreibung eines Ideenwettbewerbs zur För-derung von ForschungsvorhabenDie Freie Universität, die Humboldt-Universität,die Technische Universität, das Wissenschafts-zentrum, das Wissenschaftskolleg und die Aka-demie wollen aus Mitteln eines „Kooperations-fonds“ gemeinsam die Bedeutung der Geistes-und Sozialwissenschaften für den Wissenschafts-standort Berlin/Brandenburg deutlich machenund zu ihrer Profilierung beitragen. Sie förderndaher Vorhaben, die herausragende Wissen-schaftler aus unterschiedlichen Institutionen inder Region in gemeinsamen Projekten zusam-menführen. Auf diese Weise sollen jüngere Wis-senschaftler und Wissenschaftlerinnen ihre For-schungsfelder profilieren können, originelle, zu-kunftsträchtige Fragestellungen entwickelt, insti-tutionenübergreifende Forschungen gefördert,internationale Kooperationen initiiert und die Po-tentiale der Wissenschaftsregion Berlin/Bran-denburg gestärkt werden. Mit einer Ausschrei-

bung werden in einem offenen Wettbewerb jün-gere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerzur Antragstellung aufgerufen, die Fragestellun-gen zum kulturellen und sozialen Wandel bear-beiten. Der vollständige Ausschreibungstextkann auf der Homepage der Akademie eingese-hen werden: www.bbaw.de

Akademische CauserieAm 29. Mai hieltStefan E. Kaufmannin der Aka-demischen Causerie, einer Veranstaltungsreihe aufEinladung des AkademiepräsidentenDieter Simonund des Vorsitzenden des Förderkreises der Aka-demie, Edzard Reuter, im Journalistenclub desAxel Springer Verlages, einen Vortrag über „Alteund neue Seuchen: Skandal und Realität“.Am 20. September wird AkademiemitgliedTi-mothy Garton Ashzu Gast sein und über „Britan-nien und das europäische Orchester“ sprechen.

250. Todestag von Julien Offray de La MettrieAus Anlaß des 250. Todestages von Julien Of-fray de La Mettrie – Arzt, Naturforscher, Philo-soph, Gesellschafter und Vorleser Friedrichs II.,1748 als ordentliches Mitglied in die LeibnizscheAkademie gewählt – lädt die Akademie für den8. November zu einer öffentlichen Vortragsver-anstaltung mit Beiprogramm ein.

Akademie der Wissenschaftenzu Göttingen

Gemeinsam mit der Göttinger Akademie derWissenschaften und der Académie des Sciences,Paris, wird vom 11. bis 13. Oktober 2001 dasLeopoldina Symposium „Chemistry and Mathe-matics: Two Scientific Languages of the 21st

Century“ in Göttingen veranstaltet werden.

Die diesjährige Vortragsveranstaltung der Göt-tinger Akademie im Niedersächsischen Landtagam 12. November 2001 hat das Thema „Die In-szenierung von Macht“. Den Vortrag hält dieTheaterwissenschaftlerinErika Fischer-Lichte,Mitglied der Göttinger Akademie.

Die feierliche Jahressitzung wird am Samstag,dem 17. November 2001, um 11.00 Uhr in derAula der Universität Göttingen stattfinden. AusAnlaß des 250jährigen Bestehens der Akademieder Wissenschaften zu Göttingen werden u.a.BundespräsidentRauund der NiedersächsischeMinisterpräsidentGabriel Grußworte sprechen.Der Präsident der Göttinger Akademie,RudolfSmend, wird zum abgelaufenen Rechenschafts-jahr 2000/01 berichten, auf die 250jährige Ge-schichte dieser Akademie eingehen und ihrenheutigen Stand und ihre zukünftige Rolle darle-gen. Den Festvortrag wird das o. Akademiemit-

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glied Albrecht Schönezum Thema: „SchillersSchädel“ halten.In der Sitzung werden die Nachwuchsförderpreiseder Akademie für junge Wissenschaftlerinnen undWissenschaftler in den Fächern Biologie, Chemieund Physik verliehen werden. Mit dem bedeu-tendsten Preis, den die Göttinger Akademie ver-gibt, demDannie-Heineman-Preis, wird ein wei-terer junger Wissenschaftler, der amerikanischeChemikerChristopher C. Cummins, ausgezeich-net werden. Seine Arbeiten zur Aktivierung klei-ner Moleküle durch Metallkomplexe, zur Isolie-rung reaktiver Zwischenstufen bei diesen Reaktio-nen und zur Charakterisierung der entscheidendenReaktionsschritte bei MetallkomplexvermitteltenAtom-Transfer-Reaktionen haben ihn zum her-ausragenden anorganischen Forscher der USA mitweltweiter Anerkennung gemacht.

Das 6. Symposium der deutschen Akademien derWissenschaften, das die Göttinger Akademie mitder Union durchführt, beschäftigt sich mit demNutzen der Grünen Gentechnik. Am 23. und 24.November 2001 werden dazu im Großen Hörsaaldes Albrecht von Haller-Instituts für Pflanzen-züchtung in Göttingen Vertreter aus Wissen-schaft und Wirtschaft zusammenkommen. DasSymposium soll das Forum für einen intensivenDialog bieten.Seit vor weniger als zwanzig Jahren durch Pio-nierarbeiten die Grundlagen für eine einfacheTechnik zur gentechnischen Veränderung vonPflanzen gelegt wurden, hat sich die pflanzlicheGentechnik mit geradezu atemberaubender Ge-schwindigkeit entwickelt. So wird die „GrüneGentechnik“ heute genutzt, um Pflanzen gegenSchädlinge oder Unkräuter verbessert zu schüt-zen, die Produktivität von Agrarpflanzen zu stei-gern und die Qualität der Ernteprodukte den An-forderungen an die Verwendung als Nahrungs-mittel oder als Industrierohstoff anzupassen. Inmanchen Ländern entfällt bereits ein sehr großerAnteil von Anbauprodukten wie Mais, Raps,Baumwolle und Tabak auf gentechnisch verän-derte Sorten. Die Anwendung der Grünen Gen-technik verändert die Landwirtschaft tiefgrei-fend, löst aber auch begreifliche Ängste vor ne-gativen Folgen für die Umwelt und die Gesund-heit der Verbraucher aus. Ein verantwortlicherEinsatz der Grünen Gentechnik setzt eine Abwä-gung der Vor- und Nachteile für die Umwelt unddas Wohlergehen der Menschen voraus.

Heidelberger Akademie derWissenschaften

Jahresfeier 2001Die Heidelberger Akademie beging am 19. Mai2001 in der Alten Aula der Universität Heidel-berg am Universitätsplatz ihre Jahresfeier.

Nach der Eröffnung durch den Präsidenten derAkademieGisbert Freiherr zu Putlitzund einemGrußwort des Ministers für Wissenschaft, For-schung und Kunst des Landes Baden-Württem-bergKlaus von Trothainformierte der Präsidentim jährlichen Bericht über die Arbeit der Akade-mie. Im Anschluß daran wurden zwei wissen-schaftliche Preise der Akademie verliehen.Den aus Anlaß des 100. Geburtstages des Mit-glieds Karl Freudenberg von der Firma CarlFreudenberg & Co. Weinheim gestiftetenKarl-Freudenberg-Preis2001 erhielt Dr.Franc Meyerfür seine Arbeit „Kooperierende Metallzentren inMehrkernkomplexen multidentaler Pyrazolatli-ganden“. Der Preis ist mit 10.000 DM dotiert.Mit dem Walter-Witzenmann-Preisfür Arbeitenaus den Kulturwissenschaften wird in diesemJahr Herr Dr. Lorenz Korn für seine Arbeit„Ayyubidische Architektur in Ägypten und Sy-rien - Bautätigkeit im Kontext von Politik undGesellschaft 564-658/1169-1260“ ausgezeichnet.Der Preis ist mit ebenfalls 10.000 DM dotiert.Den Festvortrag hielt das ordentliche Mitgliedund zugleich Sekretar der Philosophischhistori-schen Klasse der AkademiePeter Graf Kielman-segg (Mannheim) über das Thema „Verfassungs-gerichtsbarkeit und Gewaltenteilung“.Zur musikalischen Umrahmung spielteRubenMeliksetianWerke von Debussy und Liszt.

Symposien und WorkshopsVom 2. – 5. April 2001 veranstaltete die Heidel-berger Akademie zusammen mit der Gesellschaftfür naturwissenschaftliche Archäologie und demTroia-Projekt der Universität Tübingen ein inter-nationales Symposium zum „Lebensraum Troia– zwischen Erdgeschichte und Kultur“. Überhundert Teilnehmer befaßten sich mit den The-menkomplexen „Die Troas in ihrem historischenund geologischen Zusammenhang“, „Geophysikund Chronometrie“, „Erzvorkommen und Mate-rialforschung“, „Archäobiologie“ und „Geoar-chäologie“. Einen öffentlichen Abendvortragzum Thema „Troia und Homer – Neue Erkennt-nisse und neue Perspektiven“ hielt Prof.J. Latacz(Universität Basel).

Kolloquium zur historischen Lexikographie vom28.- 30. Juni 2001Als Beitrag zum „Europäischen Jahr der Spra-chen“ veranstaltete die Forschungsstelle DEAFDictionnaire étymologique de l’ancien français –Thomas Städtler, Stephen Dörr, Sabine Titel undFrankwalt Möhren-, in Zusammenarbeit mitdem Institut Français Heidelberg und mit Unter-stützung der Heidelberger Zement AG ein Kollo-quium zur historischen Lexikographie, speziellder französischen, und ihren Aussichten in einerZeit technischen Fortschritts. Hauptgegenstandwar zwar die wissenschaftliche Methode der hi-storischen Lexikographie, erweitert um den

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Aspekt der neuen Techniken und der Vermark-tung ihrer Ergebnisse.Es drängte sich den Organisatoren, im Kontaktmit Vertretern der Wissenschaft, und den Teil-nehmern auf, daß es an der Zeit ist, die Zukunftverantwortlich mitzugestalten.Die daraus entstandeneHeidelberger Erklärungwill eine fruchtbare Diskussion befördern und einZeichen setzen, mit dem Ziel, die Qualität der wis-senschaftlichen Arbeit zu erhalten und zu mehren.So erfüllt die Lexikographie ihre Aufgabe.

1. AnthropologieDie historische Lexikologie ist fester Bestandteilder historischen Anthropologie und somit einerder Hauptträger der Vergegenwärtigung des Kul-turerbes der Menschheit. Als Wissenschaft mußsie selbst ihre Prinzipien, Methoden und ihr In-strumentarium bestimmen und – an den bestenTraditionen und den Bedürfnissen der Gegen-wart orientiert – entwickeln.

2. Kulturelles InteresseDas Interesse, das der Mensch seiner kulturellenVergangenheit entgegenbringt, begründet auch seinInteresse an der Lexikologie als der Wissenschaft,die die Inhalte des Wortschatzes als Träger des ge-wachsenen Kulturerbes erforscht und vermittelt.Daraus folgt, daß sie Grundlagenforschung betreibt,ohne die die Werte der Vergangenheit die Gegen-wart und die Zukunft nicht befruchten können.

3. KontinuitätDie Lexikologie der Zukunft muß die schöpferi-schen Kräfte der Fachtradition einsetzen, mußauf den in der Vergangenheit erarbeiteten positi-ven Ergebnissen aufbauen, muß die neuen Tech-niken in profitabler Weise nutzen und wird so ei-ne Weiterentwicklung in Kontinuität bewirken.

4. InterdisziplinaritätDie Interdisziplinarität ist ein charakteristischesMerkmal der historischen Lexikologie. Ihre zen-trale Bedeutung wird in Zukunft noch wachsen,wenn die Technik den Austausch begünstigenwird. Davon werden auch die anderen anthropo-logischen Wissenschaften profitieren.

5. Moderne und historische LexikographieWesentliche Teile der Lexikologie und Lexiko-graphie der modernen Sprachen basieren auf derhistorischen Lexikologie und Lexikographie.Auch jüngste Entwicklungen in Wortschatz undSprache gründen auf historischem Substrat undmüssen a priori in eine sprachgeschichtliche Per-spektive gestellt werden. Analog gilt das ebensofür die zweisprachige Lexikographie.

6. Summen des WissensSprache wurzelt in früher Vergangenheit unsererKultur. Sie wächst, unterliegt Einflüssen der

Umwelt, bringt Neues hervor, anderes stirbt ab,und sie spiegelt so die kulturelle Entwicklung.Die historische Lexikographie erfaßt und analy-siert in umfassenden Thesauren diese Vorgänge.Gestützt auf Wachstum und Kontinuität desFachwissens garantiert die notwendige Grundla-genforschung den Erfolg.

7. Wissen versus InformationWissen setzt die Kenntnis und das Verständnisder Netze voraus, in die zusammengeführte In-formationen integriert werden; durch den Einbauin das wissenschaftliche System wird aus Infor-mationen Wissen. Demzufolge wird der Nutzender durch elektronische Vernetzung zunehmen-den Informationen erst durch den nachgewiese-nen Zuwachs an Wissen offensichtlich.

8. Aufbereitete MaterialienMit der modernen Technik der Textzergliederungwerden große Mengen von Rohmaterialien in kür-zester Zeit und mit geringem Aufwand zur Verfü-gung gestellt. Es obliegt dem, der diese Materia-lien schafft, sie auch nach den Regeln des Fachesaufzubereiten, um an der Analyse der schriftlichenhistorischen Überlieferung wirklich mitzuarbeitenund um den Fortschritt zu befördern.

9. QualitätsnormenDer wachsende internationale Wissenschafts-transfer erfordert in zunehmendem Maße die An-wendung anspruchsvoller Qualitätsnormen. Be-sonders Publikumswerke leben von den Ergeb-nissen der breit fundierten Grundlagenforschung,die die wissenschaftliche Lexikographie der qua-lifizierten Forschungszentren bereitstellt.

10. IdentifikationDie wissenschaftliche Gemeinschaft muß ge-meinsam mit denen, die mit der Verbreitung derResultate betraut sind, dafür Sorge tragen, daßForscher und Forschungseinrichtungen als wis-senschaftliche Urheber identifizierbar sind, auchwenn die Resultate über elektronische Mediengenutzt werden. So werden weiterhin Stolz auferstklassige Arbeit und Anerkennung des indivi-duellen Beitrags ein Ansporn zu höchster wis-senschaftlicher Qualität sein.

Die Homepage des DEAF enthält die dreispra-chige Fassung derHeidelberger Erklärungundnimmt die Unterzeichner auf: www.haw.baden-wuerttemberg.de/projekte/deaf.html

Tag des offenen Denkmals/Tag der offenen TürAnläßlich des „Europäischen Tages des offenenDenkmals“ am 9. September 2001 bot die Lan-desakademie Baden-Württembergs allen Interes-sierten die Möglichkeit zur Besichtigung dessonst für die Öffentlichkeit nicht zugänglichenGroßherzoglichen Palais.

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Das Gebäude und sein gesamtes Areal ist einKomplex besonderer kunstgeschichtlicher Be-deutung. Durch seine relative Unberührtheit isthier die Baukonzeption des 18. Jahrhundertsdeutlich erhalten geblieben.Die Räumlichkeiten in der Beletage sowie der In-nenhof des Großherzoglichen Palais konnten be-sichtigt werden. Den interessierten Besuchern wur-de Einblick in die Forschungsarbeiten der Akade-mieforschungsstellen geboten. Neben Ausstellun-gen mit den Schwerpunktthemen „Naturwissen-schaften und Altertumswissenschaften“ präsentier-te sich die Forschungsstelle „Felsbilder und In-schriften am Karakorum-Highway“, die sich in ei-nem der Hofhäuser befindet.

VorträgeDer Sitzungsplan der Heidelberger Akademie fürdas kommende Wintersemester kann über das In-ternetabgerufen werden (http://www.haw.baden-wuerttemberg.de / extranet / klassensitzungws01 /02.html). Mitglieder anderer wissenschaftlicherAkademien können sich bei Interesse an einemder geplanten Vorträge an den jeweiligen Klas-sensekretar der Heidelberger Akademie wenden.

Öffentliche auswärtige SitzungDie diesjährige öffentliche Gesamtsitzung derHeidelberger Akademie an einem anderen Hoch-schulort findet am 27. Oktober 2001, 11 Uhrerstmals an der Universität Hohenheim statt. DenVortrag hält der Forschungsstellenleiter des Pro-jekts „Radiometrische Altersbestimmung vonWasser und Sedimenten“, Prof. Dr.AugustoMangini, zu einem aktuellen Thema aus dem Be-reich der Klimaforschung.

Akademie der Wissenschaften undder Literatur, Mainz

Rheinland-Pfalz und Akademie stiften Wissen-schaftspreisDas Land Rheinland-Pfalz hat gemeinsam mitder Akademie einen Wissenschaftspreis gestiftet,der mit 50.000 DM dotiert ist. Die erstmals 2001,dann jährlich vergebene Auszeichnung trägt denNamen Akademiepreis des Landes Rheinland-Pfalz-Auszeichnung für vorbildhafte Leistungenin Lehre und Forschung.Das Besondere des „Akademiepreises“ liegt darin,Leistungen in Lehre und Forschungunddie Förde-rung des wissenschaftlichen Nachwuchses zu hono-rieren. Es steht also nicht die wissenschaftliche Ein-zelleistung im Vordergrund. Gesucht wird eine vor-bildliche Persönlichkeit, die sich in allen drei Berei-chen auszeichnet. Damit wird ein Signal für diegleichberechtigte Stellung von Forschung und Leh-re gesetzt sowie der intensiven Betreuung des wis-senschaftlichen Nachwuchses Rechnung getragen.

Der Akademiepreis soll zu einem unverwechsel-baren Bestandteil des Qualitätsmanagements imWissenschaftsbereich werden. Eine exzellenteQualität der Hochschullehrerinnen und -lehrerbildet letztlich auch die Grundlage für hochquali-fizierte Forschung innerhalb der Akademien.Vorschlagsberechtigt sind die Fachbereiche derrheinlandpfälzischen Universitäten und Fach-hochschulen. Vorschläge für 2002 werden vonden Präsidentinnen und Präsidenten direkt an dasMinisterium für Wissenschaft, Weiterbildung,Forschung und Kultur erbeten. Am 26. Oktober2001 wird der Preis erstmals verliehen an HerrnProf. Dr.Helmut Neunzert, Kaiserslautern (Tech-nomathematik und mathematische Physik).

Colloquia AcademicaAm 20. April 2001 war die Akademie erneut un-ter dem Reihentitel „Colloquia Academica“Gastgeber für Akademievorträge junger Wissen-schaftler, die in einem mehrstufigen Verfahrenausgewählt worden waren. Erstmals war die Ver-anstaltung, die in Verbindung mit der JohannesGutenberg-Universität Mainz sowie dem Mini-sterium für Wissenschaft, Weiterbildung, For-schung und Kultur Rheinland-Pfalz durchgeführtwird, in eine Plenarsitzung der Akademie inte-griert. Unter der Moderation von VizepräsidentinElke Lütjen-Drecoll sprach Privatdozent Dr.Carsten Greinerüber „Die Suche nach demQuark-Gluon-Plasma“. Privatdozentin Dr.Ursu-la Gärtnerhatte unter der Moderation von Vize-präsidentHelmut Hesse„Das Lob Italiens in derantiken griechischen Literatur“ als Vortragsthe-ma ausgewählt. Die Vorträge werden in der Rei-he Colloquia Academicapubliziert.

Kommission für HumanforschungIn Zusammenarbeit mit der Klinik für Anästhesieam Mainzer Universitätsklinikum lädt die Kom-mission für Humanforschung der Akademie(Vorsitz Peter W. Vaupel) zu einem Kolloquiumzur Anästhesie-Simulation ein. Die Fragestellungdes Kolloquiums lautet: Verbessert die Schulungam Anästhesie-Simulator die Fähigkeiten zurVermeidung von Komplikationen während dertäglichen Praxis oder in Notfallsituationen? Wer-den Notfallsituationen besser beherrschbar?

Jahresfeier der AkademieAm 9. November 2001 begeht die Akademie ihreöffentliche Jahresfeier. Den Festvortrag hält dasMitglied der Geistes- und sozialwissenschaftlichenKlasse, Hr.Bernard Andreae, zum Thema „DerGroße Altar von Pergamon. Kunst und Anspruch“.ImRahmen der Feierstunde erfolgt die Verleihungder Leibniz-Medaillean Dr.Wilhelm Krull, Gene-ralsekretär der Volkswagen-Stiftung, die Verlei-hung der Heinse-Medaillean den Lyriker undKunstschriftstellerDieter Hoffmann, die Verlei-hung desWalter-Kalkhof-Rose-Gedächtnispreises

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an Herrn Dr.Hubertus Fischer, desRudolf-Meim-berg-Preisesan Professor Dr. Dr. h.c. mult.Clau-dio Leonardisowie desBiodiversitätspreisesanDipl.-Biologin Alexandra Klein. Die musikalischeUmrahmung gestaltet das Quartett 211 der Johan-nes Gutenberg-Universität Mainz

AutorenlesungAm 15. Februar 2001 fand in der Akademie eineLesung aus Anlaß des 100. Geburtstages vonMarie Luise Kaschnitz am 31. Januar 2001 statt,bei der nach einer Einführung vonElisabeth Bor-chers die AkademiemitgliederHans Bender,Walter Helmut Fritz, Harald Hartungund Bern-hard Zelleraus dem Werk der Schriftstellerin la-sen. In der Junisitzung stellteErwin Wickertam21. Juni 2001 den unter dem Titel „Die glückli-chen Augen“ erschienenen zweiten Teil seinerAutobiographie vor.

Poetikdozentur/AutorenseminarIm Sommersemester 2001 warRüdiger Safranskiaus Berlin Gastdozent des Autorenseminars. ImRahmen der Werkstattgespräche sprach er am11./12. Juni 2001 über die Entstehung seinerWerke und las aus der von ihm verfassten Bio-graphie „Ein Meister aus Deutschland. Heideg-ger und seine Zeit“.

Literatur im LandtagMit einem literarisch-musikalischen Shakespeare-Abend setzt die Literaturklasse am 30. Oktober2001, 20.00 Uhr ihre Reihe „Literatur im Landtag“fort. Das „biographische Mysterium“ Shakespeareund seine literarische Allgegenwart sind Gegen-stand des Einleitungsbeitrags von Dr.Stefana Sa-bin. Gabriele Hierdeis(Sopran) undThorsten Lar-big (Klavier) stellen Vertonungen Sheakespe-ar‘scher Sonette und Lieder durch Komponistendes 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart vor.

Lesung im Haus am DomBei der diesjährigen Lesung im Haus am DomstellenNorbert Miller und Gabriele Söhlingam8. November 2001, 19.00 Uhr die im Herbst un-ter dem Titel „Geben Sie bald wieder ein Le-benszeichen. Briefwechsel 1943-1956“ erschei-nende Edition mit Briefen von und an denSchriftsteller Hans Erich Nossack vor.

Die Preisträger des Joseph-Breitbach-Preises2001Die Jury desJoseph-Breitbach-Preises, den dieAkademie und die „Stiftung Joseph Breitbach“ ge-meinsam vergeben, hat in ihrer Sitzung vom 23.Juli 2001 die diesjährigen Preisträger benannt. Derauch in diesem Jahr wieder mit insgesamt255.000.- DM dotierte Preis geht zu gleichen Tei-len anThomas Hürlimann, Willerzell, Ingo Schul-ze, Berlin und Dieter Wellershoff, Köln. Der Jo-seph-Breitbach-Preiswird – ungeachtet der jewei-

ligen Wohnsitze – an deutschsprachige Autorenaller Literaturgattungen vergeben. Die Preise desJahres 2001 werden am 28. September 2001 inMainz im Plenarsaal der Akademie der Wissen-schaften und der Literatur überreicht.Der Joseph Breitbach-Preis wurde 1998 zum er-sten Mal verliehen. Bisherige Preisträger sind:Hans Boesch, Friedhelm KempundBrigitte Kro-nauer(1998),Reinhold Jirgl, Wolf LepeniesundRainer Malkowski(1999) sowieIlse Aichinger,W. G. Sebaldund Markus Werner(2000).

Musik im LandtagDie diesjährige Veranstaltung am 26. Juni 2001war dem Komponisten Carl Maria von Webergewidmet.Gerhard Allroggen, Herausgeber derCarl-Maria-von-Weber-Gesamtausgabe, präsen-tierte das Vorhaben der Mainzer Akademie mitUnterstützung vonAngela Umlauf(Sopran),IngaKazantseva(Klavier), Philipp Stümke(Klarinet-te) und demDagan Streichquartett. Im erstenTeil des Abends wurde der „unbekannte Weber“vorgestellt mit Variationen Webers über Werkevon Etienne Nicolas Méhul und Georg JosephVogler. Den zweiten Teil leiteteGerhard Allrog-genmit dem Thema „Edition als Aufklärung –Anmerkungen zu Webers Klarinettenwerken“ein. Höhepunkt des Abends war die Aufführungdes Klarinettenquintetts B-Dur op. 34, welchesin einem Meisterwerkkurs der Detmolder Musik-hochschule in Kooperation mit der DetmolderArbeitsstelle des Gesamtausgaben-Vorhabenseinstudiert worden war. Die Veranstaltung wurdewiederum durchgeführt vom Landtag Rheinland-Pfalz, dem Landesmusikrat Rheinland-Pfalz,dem Südwestrundfunk und der Akademie.

Nordrhein-Westfälische Akademie derWissenschaften

JahresfeierAm 31. Oktober 2001, 17.00 Uhr, findet im Hausder Wissenschaften in Düsseldorf die Jahresfeierder Akademie statt. Nach der Begrüßung und demBericht des Präsidenten und ein Grußwort vonHerrn MinisterpräsidentWolfgang Clementwirdder Festvortrag von Herrn Professor Dr.Joachimvon Braunmit dem Thema „Ernährung der wach-senden Welbevölkerung“ gehalten werden.

Sächsische Akademie derWissenschaften zu Leipzig

Öffentliche FrühjahrssitzungDie öffentliche Frühjahrssitzung fand am 20.April 2001 im Alten Rathaus statt. Den Festvor-

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trag „Für wie wahr dürfen wir unsere Wahrneh-mungen nehmen?“ hielt VizepräsidentHeinzPenzlin, Jena. Nach der Einführung des neuenPräsidiums durch den Staatsminister für Wissen-schaft und Kunst im Freistaat Sachsen, HerrnProf. Dr. Hans Joachim Meyer, und der Anspra-che des Präsidenten, HerrnGotthard Lerchner,wurden die gemeinsamen Preise der Akademieund der Universität Leipzig für das Jahr 2001verliehen: Den Theodor-Frings-PreiserhieltHerr Prof. Dr.Manfred Lemmer, Halle u.a. in ho-her Anerkennung seiner national und internatio-nal geschätzten philologischen und editorischenLeistungen auf dem Gebiet der mittelalterlichendeutschen Literatur. In Würdigung seiner beson-deren Verdienste um die Erforschung der Pali-Literatur und der Förderung der indologischenStudien in Deutschland wurde Herr Prof. Dr.Oskar von Hinüber, Freiburg/Br. mit demFried-rich-Weller-Preis 2001 ausgezeichnet. Außer-dem vergab die Stiftung der Sächsischen Akade-mie für ein Jahr dasWeller-StipendiumanFrankKöhler, Leipzig.

Verleihung des Leipziger WissenschaftspreisesAm Vormittag des 20. April 2001 haben dieStadt Leipzig, das Regierungspräsidium Leipzig,die Universität Leipzig und die SAW zum erstenMal denLeipziger Wissenschaftspreisverliehen.Preisträger ist der Nationalatlas „BundesrepublikDeutschland“, der vom Institut für Länderkundeerarbeitet wird. Die vier verleihenden Institutio-nen dankten der Siemens AG für die großzügigeBereitstellung des Preisgeldes.

Ehrenfried Walther von Tschirnhaus – Kollo-quium zu seinem 350. GeburtstagAnläßlich des 350. Geburtstages von EhrenfriedWalter von Tschirnhaus veranstaltete die Tschirn-haus-Forschungsstelle der SAW am 10.4.2001 inDresden ein Kolloquium. In fünf Referaten wurdesowohl das Vorhaben „E.W.v. Tschirnhaus-Ge-samtausgabe“ vorgestellt als auch das Schaffendes Polyhistors Tschirnhaus in seiner Zeit gewür-digt. Nach der Eröffnung der Tagung durch KMEberhard Knobloch, Projektleiter der Tschirnhaus-Gesamtausgabe, sprachen im einzelnen:Mathias Ullmann(Dresden): Zu strukturellen, in-haltlichen und editorischen Aspekten der E.W.v.Tschirnhaus-GesamtausgabeBernd Schultrich, Siegfried Völlmar(Dresden):Von Tschirnhaus‘ Sonnenofenexperimenten zurLasermaterialbearbeitungUlrich Pietsch, Christian Neelmeijer(Dresden):Böttgersteinzeug: Original und Fälschung –Pro-blematik und Aufgabenstellung der Fälschungs-erkennung. Zerstörungsfreie substantielle Analy-se von (Böttger-)Steinzeug am externen Proto-nenstrahlUwe Meyer(Hamburg): „Algebra ... genuina mi-hi philosophia Mathematum esse videtur“ –

Quellen zur Bedeutung der Algebra in Tschirn-haus‘ Entwicklung als MathematikerCarsten Krautz(Dresden): Tschirnhaus‘ unmit-telbare Sachquellen in der Tschirnhaus-Gesamt-ausgabeAm gleichen Tag eröffnete der Mathematisch-Physikalische Salon der Staatlichen Kunstsamm-lungen Dresden die Sonderausstellung „Ehren-fried Walther von Tschirnhaus: Experimente mitdem Sonnenfeuer“.

Streitgespräch „Die politisch-territoriale Gliede-rung Mitteldeutschlands“Im Rahmen ihrer Öffentlichen Akademievorle-sung lud die SAW am 10. Mai 2001 zu einemStreitgespräch über das Thema „Die politisch-territioriale Gliederung Mitteldeutschlands“ ein.Auf dem Podium diskutierten:Werner Rutz, Dr., Professor für Geographie, Bo-chum;Gotthard Lerchner, Dr., em. Professor für Ge-schichte der deutschen Sprache, Leipzig/SAW;Karheinz Blaschke, Dr., em. Professor für Säch-sische Geschichte, TU Dresden / SAW;Martin Oldiges, Dr., Professor für ÖffentlichesRecht, Staats- und Verwaltungsrecht, Leipzig;Peter Heimann, Dr., Hauptgeschäftsführer derIndustrie- und Handelskammer Halle-Dessau;Gerry Kley, Vorsitzender der FDP-Fraktion imStadtrat Halle;Hermann Rudoph, Dr., Herausgeber des „Tages-spiegel“, Berlin.

Festkolloquium anläßlich des 65. Geburtstagesdes Quartärgeologen Ansgar MüllerAm 26. Juni 2001 richtete die Arbeitsstelle„Schadstoffdynamik in Einzugsgebieten“ zusam-men mit der Kommission für Umweltproblemeein Ehrenkolloquium für ihren aus dem Dienstscheidenden langjährigen Arbeitsstellenleiter Dr.Ansgar Mülleraus.Akademiemitglied Lothar Eißmannreflektiertein seiner Laudatio Leben und Werk des Jubilarsim Spiegel der Entwicklung quartärgeologischerForschung in der ehemaligen DDR (publ. in:Mauritiana1 8,1. Altenburg 2001, S. 1-23).Den Haupt- und Festvortrag gestalteteGermanMüller (Heidelberg) zu einer faszinierenden Ge-samtschau des Auf und Ab der Umweltbelastungin Deutschland, dargestellt am Beispiel des Bo-densees, dessen Sedimente ein lückenloses Um-weltarchiv bieten.Einem Abriß der Flußgeschichte Mitteldeutsch-lands in den letzten 50 Mio. Jahren (L. Eißmann)folgte die Vorstellung der anthropogenen Bin-nensalzstelle von Teutschental durchWilfriedRichter. Die einen besonderen ästhetischen Reizausstrahlenden Bilder verdeutlichen die Einma-ligkeit dieses Gips- und Salzgeobiotops, dasdurch übertriebene Sammlerleidenschaft in sei-nem Bestand stark gefährdet ist und dessen

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Schutzwürdigkeit unbedingt anerkannt werdensollte.Den Abschluß der Veranstaltung bildete ein Bei-trag von Christian Hänsel, Christiane Hanisch,Karl Jendryschik und Lutz Zerling, die in Wortund Bild dreizehn gemeinsame Jahre mit ihremKollegenAnsgar MüllerRevue passieren ließen.

Kolloquium „Feinde und Aufrührer“ in LeipzigDie Arbeitsstelle „Altägyptisches Wörterbuch“der SAW veranstaltet am 20. und 21. September2001 ein Kolloquium zum Thema „Feinde undAufrührer. Konzepte von Gegnerschaft in der Li-teratur des Mittleren Reiches“. Die Durchfüh-rung des Kolloquiums, für das führende Wissen-schaftler aus dem In- und Ausland als Referentenund Diskussionsteilnehmer gewonnen werdenkonnten, wird dank der finanziellen Unterstüt-zung durch die Gerda-Henkel-Stiftung in Düssel-dorf ermöglicht.Im Zentrum der Veranstaltung steht, dem For-schungsschwerpunkt Literatur der Leipziger Ar-beitsstelle entsprechend, die Auseinandersetzungmit Texten der Schönen Literatur des alten Ägyp-ten. Ein Hauptmotiv dieser Literaturwerke, dieAuseinandersetzung mit der Bedrohung der Welt-ordnung durch innere und äußere Feinde, hat seineWurzeln teilweise in konkreten geschichtlichenErfahrungen der Jahrzehnte nach dem Ende desAlten Reiches. In dieser Epoche des gesellschaftli-chen Umbruchs zerfiel die Zentralmacht, und zahl-reiche Menschen, besonders Angehörige der altenEliten, gerieten im Zuge der gesellschaftlichen undpolitischen Umwälzungen in schwierige Situatio-nen. Die literarischen Texte reflektieren und verar-beiten diese Erfahrungen aus einer Situation wie-dergewonnener Sicherheit heraus in künstlerischanspruchsvoller Weise.Konzepte von Gegnerschaft sind zentraler Be-standteil der Konstruktion von Identitäten undAlteritäten, die nach einer Periode des Umbruchsim Mittleren Reich – erstmalig in der Geschichtedes alten Ägypten – beredten Ausdruck in Quel-len von hoher formaler und inhaltlicher Qualitäterfährt. Diese Texte sind einerseits retrospektivals Zeugnisse einer bestimmten Geschichtsdeu-tung zu werten, andererseits geben sie Einblickin den ideologischen Hintergrund der Eliten je-ner Epoche, für deren Handeln sie maßgeblichgewesen sein dürften.Mit dem Kolloquium werden zwei Ziele ver-folgt: 1. Die Arbeit an den Quellen wird wichtigeErgebnisse zur Semantik erbringen, die unmittel-bar der Erfassung der literarischen Texte desMittleren Reiches in der Datenbank des Wörter-buchprojekts zugute kommen. 2. Ausgehend vonder Betrachtung von Konzepten der Gegner-schaft und ihrer Rolle bei der Bildung von Identi-tät können literarische Texte des Mittleren Rei-ches als Geschichtsquellen neu betrachtet undausgewertet werden. Damit sollen nicht nur die

Forschungen zu einer bedeutenden EpocheÄgyptens, sondern auch zu Voraussetzungen undMethoden ägyptologischer Geschichtsschrei-bung generell vorangebracht werden.

SAW beteiligt sich am 53. Deutschen Geogra-phentag in LeipzigDie Strukturbezogene Kommission für Landes-kunde und das Vorhaben „Atlas zur Geschichteund Landeskunde von Sachsen“ beteiligen sichan der Vorbereitung und Durchführung des 53.Deutschen Geographentages. Dieser steht unterdem Motto „Stadt und Region – Dynamik vonLebenswelten“ und findet vom 29. September biszum 5. Oktober 2001 in Leipzig statt.Vertreter der SAW wirken im vorbereitendenOrtsausschuß und an mehreren begleitenden Kar-tenausstellungen ebenso mit, wie sie an der Erar-beitung und Herausgabe des Exkursionsführers zudieser Veranstaltung beteiligt sind. Der Band„Berkner u.a.: Exkursionsführer Mitteldeutsch-land. Braunschweig (Westermann) 2001“ wird imSeptember 2001 in der Reihe „Das geographischeSeminar“ erscheinen. Exkursionsprogramm undExkursionsführer möchten den Teilnehmern undallen an der Länderregion Sachsen/Sachsen-An-halt/Thüringen Interessierten den Wandel ostdeut-scher Städte und Regionen ebenso nahebringenwie vorhandene Gegensätze zwischen Alt undNeu, zwischen innovativen Entwicklungen, zwi-schen persistenten und neuen Problemen.

Abschluß des Brandenburg-Berlinischen Wörter-buchsIm Jahr 2001 wird mit der Publikation der Liefe-rung IV/8 der 4. und letzte Band des Branden-burg-Berlinischen Wörterbuchs abgeschlossen.Die SAW hat dieses Forschungsunternehmenseit 1971 in ihrer Obhut gehabt. Der planmäßigeAbschluß des Unternehmens wird in einer Feier-stunde am 19.10.2001 in Potsdam gewürdigtwerden.

Ehrenkolloquiumfür Prof. Dr. Günter MühlpfordtAm 28. Juli 2001 beging Prof. Dr.Günter Mühl-pfordtin Halle/S. seinen 80. Geburtstag. Aus die-sem Anlaß lädt die Historische Kommission derSAW in Kooperation mit der Martin-Luther-Uni-versität Halle-Wittenberg zu einem Ehrenkollo-quium ein, das dem hervorragenden Gelehrtenwegen seiner Verdienste um die Geschichtswis-senschaft im mitteldeutschen Raum gewidmetsein soll. Es wird unter dem Thema stehen: „Uni-versitäten und Wissenschaft in DeutschlandsMitte. Annäherungen an eine historische Bil-dungslandschaft und deren Ausstrahlung.“Das Kolloquium findet am 23./24. Oktober 2001im Freylinghausen-Saal der Franckeschen Stif-tungen in Halle/S. statt und wird folgende Vor-träge umfassen:

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Rainer A. Müller, Eichstätt: FrühneuzeitlicheUniversitätshistorie – Standardwerke.Detlef Döring, Leipzig: Geschichte, Stand undPerspektiven der Forschungen zur Geschichte derUniversität Leipzig im Zeitalter der Aufklärung.Thomas Töpfer, Wittenberg: Landesherrschaft,fürstliche Autorität, korporative Universitätsau-tonomie - Wittenberg 1502-1525.Gerhard Lingelbach, Jena: Die Jenaer Universi-tät zwischen Aufklärung und Klassik.Karlheinz Blaschke, Dresden: Günther Mühl-pfordt – ein Historiker in seiner Landschaft.Andreas Kleinert, Halle: Johann Joachim Titius

(1729-1796) – Facetten eines Wittenberger Ge-lehrtenlebens des 18. Jahrhunderts.Ulrich Rasche, Jena: Jenaer Studentenleben imSpiegel der Stammbuchbilder aus dem 18. Jahr-hundert.Ulman Weiß, Erfurt: Das Bildungsstreben vonBürgern der Stadt Langensalza – Wahl der Stu-dienorte, Studiengang, Berufslaufbahn.Günter Mühlpfort, Halle: Schlußbemerkungen.Tagungsprogramm und Informationen über:SAW, Historische Kommission, PF 100 440,04004 Leipzig, Tel. 0341/7115329, E-mail: [email protected].

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Das Sorbische –eine slawische Sprache in Deutschland

Heinz Schuster-Sewc

Der europäische Einigungsprozeß, den wir gegenwärtig erleben, zeitigt durch seine zen-tralistischen Tendenzen die Gefahr, daß die historisch gewachsene Vielfalt des Konti-nents verschwindet. Es ist daher von besonderer Bedeutung, die sprachliche und kulturel-le Besonderheit bestimmter Regionen und ethnischer Minderheiten nicht aus dem Be-wußtsein zu verlieren. Zu diesen Minderheiten gehören die im Osten Deutschlands ansäs-sigen Sorben oder Wenden, in der Oberlausitz um Bautzen und Hoyerswerda (Obersor-ben), in der Niederlausitz um Cottbus und Lübbenau (Niedersorben). Die Sorben gehörenwie die Polen, Tschechen und Slowaken zu den Westslawen. Ihre Zahl ist in den letztenbeiden Jahrhunderten drastisch zurückgegangen, so daß es heute kaum mehr als 40.000-50.000 sorbisch Sprechende gibt.

Anwendungsbereiche des Sorbischen

Das Sorbische zerfällt in zwei, sich zum Teil be-trächtlich von einander unterscheidende Be-standteile: 1. das Obersorbische in der Oberlau-sitz und 2. das Niedersorbische in der Niederlau-sitz. Beide verfügen über eine jeweils eigene, mitihren Anfängen in das 16./17. Jhd. zurückrei-chende Schrift- oder Standardsprache. Ihre An-wendungsbereiche sind das kulturelle Leben,Schule und Kirche. In der Familie und im dörfli-chen Bereich dominiert die ober- und niedersor-bische Dialektsprache.

Alter Siedlungsraum

Die heutigen Sorben sind der Rest eines ur-sprünglich umfangreicheren Komplexes slawi-scher Stämme, die bis ins 11./12. Jhd. hineinnoch weite Teile Mittel- und Ostdeutschlands be-wohnt haben und deren Siedlungen ursprünglichbis an die Saale (Ostthüringen), teilweise sogarbis Oberfranken und Nordbayern (Main, Reg-nitz) gereicht haben. Ihre erste urkundliche Er-wähnung stammt aus dem 7. Jhd. und betrifft ihrVerhältnis zum Frankenreich. In der mit demJahr 630/631 datierten Chronik des fränkischenChronisten Fredegar heißt es: „..etiam et Derva-nus dux gente Surbiorum, que ex genere Slavino-rum erant et ad regnum Francorum iam olimaspecserant, se ad regnum Samonis cum suis tra-didit.“ ( = ..und es hat sich Dervanus, der Fürstder sorbischen Stämme, die slawischer Herkunftsind und von alters her unter fränkischer Herr-schaft gestanden haben, mit den Seinen der Herr-schaft des Samo anvertraut). Hieraus wird er-sichtlich, daß die altsorbischen Stämme daswestlich der Saale gelegene Gebiet schon sehrfrüh, noch vor dem 6. Jahrhundert, erreicht habenmüssen, wovon die Formulierung „und die von

alters her unter fränkischer Herrschaft gestandenhaben“ zeugt. Es handelt sich zugleich um eineder ältesten Erwähnungen eines slawischen Eth-nikons überhaupt. Im Norden, entlang einer Li-nie Barby a. d. Elbe, Dahme, Köpenik und Für-stenberg / Eisenhüttenstadt, grenzte das altsorbi-sche Sprachgebiet an das Polabische (Obodriten,Wilzen), östlich von Oder und Neiße an das Pol-nische und südlich des Lausitzer Berglandes unddes Erzgebirges an das Tschechische. Die Zu-rückdrängung des slawischen Elements begannmit der um die Jahrtausendwende einsetzendendeutschen Ostexpansion und wurde in den fol-genden Jahrhunderten im Rahmen der sich an-schließenden bäuerlichen Kolonisation verstärktfortgesetzt. Sie führte zur vollkommenen Germa-nisierung (Eindeutschung) der altansässigen sor-bischen Bevölkerung und zumVerlust des in die-sen Gebieten gesprochenen slawischen Idioms.1293 wurde die Verwendung des „Wendischen“vor Gericht in Sachsen-Anhalt durch Bernhard II.,

Abb. 1Mädchen in obersor-bischer katholischerTracht

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gleichzeitig Abt des Klosters Nienburg, verbo-ten. Es folgten ähnliche Sprachverbote 1327 imGebiet um Altenburg, Leipzig und Zwickau,1427 auch in Meißen. Lediglich im östlichen,durch die Ostkolonisation weniger stark betroffe-nen Teil des altsorbischen Siedlungsgebietes(östlich von Elbe und Schwarzer Elster), konntesich das Sorbische länger, z.T. bis in die Gegen-wart erhalten.Zeugen der einst gesprochenen altsorbischenDialekte sind v.a. die zahlreich überliefertenOrts-und Flurnamen slawischen Ursprungs, wiez. B. Leipzig/ sorb.Lipsk(1005 Libzi), zu sorb.lipa „Linde“, Dresden / os. Drježdzany / ns.Dreždzany (1206 Dresdene), zu asorb.drjazga /drezga„Sumpfwald“, Chemnitz(1012/1018 Ca-menizi fluvium), zu sorb.kamjen „Stein“, dieRietschke, Flurname im heutigen Stadtgebiet vonLeipzig, zu sorb.recka / recka „kleiner Bach“,der Colmberg, ein Bergname beiOschatz, zusorb.cholm „Hügel“ bzw. osec „gerodetes Wald-stück“ u.v.a. Vereinzelt sind auch altsorbischeGlossen überliefert, so z.B. der erste westslawi-sche Satzw kri olsa „im Gebüsch steht eine Erle“in der von dem Merseburger Bischof Thietmarverfaßten Kaiserchronik (1012-1018) oder diealtsorbischen Namen für Bauer, Stammesober-haupt und Bauernkrieger (murd,župan, wit’az)aus einer für das Kloster auf dem Lauterberg beiHalle bestimmten Urkunde (1181).

Der ethnische Name

Die Einwanderung der altsorbischen Stämme inihre Siedlungsgebiete zwischen Oder, Bober,Queis im Osten und Saale und Elbe im Westenerfolgte aus dem südosteuropäischen Raumdurch die Mährische Pforte, das Böhmische Bek-ken, entlang der Elbe, teilweise aber auch ent-lang der Oder und Neiße. Alle in diesem Gebietniedergelassenen slawischen Stämme trugen als

gemeinsame Eigenbezeichnung den in drei Laut-formen belegten ethnischen NamenSorb, älterauchSurb, Sorab(zwischen Mulde und Saale),Serb(östlich der Elbe) undSarb(im NO der Nie-derlausitz). Dieser ist seiner Herkunft nach iden-tisch mit dem Namen der Balkanserben (Srb,Srbin) und bedeutete ursprünglich soviel wie„der zur selben Sippe (Stamm) gehörende“.1 ImRahmen der mittelalterlichen slawischen Land-nahme entstanden zusätzliche altsorbische Na-men von Stämmen, die sich meist an topografi-schen Besonderheiten des von ihnen bewohntenLandes orientierten.2 Der im Deutschen auchnoch oft gebräuchliche NameWende(die Wen-den) ist eine Fremdbezeichnung und betraf ur-sprünglich nicht nur die eigentlichen Sorben,sondern wurde für alle einst im Osten anDeutschland grenzenden slawischen Völker-schaften verwandt.3 Im Zusammenhang mit derEindeutschung der altsorbischen Gebiete wurdeder Wenden-Namen aber später auf die in derOber- und Niederlausitz verbliebene slawischeBevölkerung eingeengt, erhielt hier aber auf-grund der unter den Deutschen verbreiteten ne-gativen Einstellung gegenüber der autochthonenBevölkerung bald eine abwertende Bedeutungs-nuancierung („bäuerliche Bevölkerung, die sichdurch ein niedrigeres kulturelles und soziales Ni-veau auszeichnet“). Das führte dazu, daß manbeim neutralen Gebrauch (vor allen in wissen-schaftlichen Abhandlungen) zunehmend auf denunbelasteten NamenSorben zurückgriff, dernach 1945 auch zur offiziellen Bezeichnung derin Deutschland lebenden slawischen nationalenMinderheit wurde.

Ober- und Niedersorbisch

Das Sorbische ist, wie bereits betont, nicht ein-heitlich, sondern gliedert sich in zwei Unterein-heiten, von denen das in der Oberlausitz gespro-chene Obersorbische genetisch dem ehemaligenSüdostflügel des Urslawischen, heute vertretendurch das Tschecho-Slowakische und Ukraini-sche und ursprünglich wohl auch durch das Alt-serbische, näher steht, das in der Niederlausitzverwendete Niedersorbische aber stärkere Ein-flüsse des Lechischen (Polnischen und Polabi-schen) aufweist. Zu den wichtigsten Unterschei-dungsmerkmalen gehören: im Bereich der Pho-nologie: 1. der Erhalt des urslaw. velaren Ver-schlußlautesg im Ns. (noga „Bein“ , glowa„Kopf“ , sneg „Schnee“) und seine Spirantisie-rung zuh im Os. (noha, hlowa, sneh), 2. der Zu-sammenfall der stumpfen und scharfen Sibillan-ten c, c zu c im Ns. (cas„Zeit“ , cesto„oft“ , cely„ganz“ ) und ihr Erhalt im Os. (cas, casto,abercyly), 3. die Vokalisierung des vorderen Nasalsezu e im Ns. (jezyk„Zunge“, meso„Fleisch“, wez„Ulme“) und zu ’a im Os. (jazyk, mjaso, wjaz), 4.der Umlaut von’e > ’a im Ns. (jaden „eins“,

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mjac „Schwert“, zases „zehn“), aber sein Fehlenim Os. (jedyn, mjec, dzesac) u.v.a.; im Bereichder Morphologie: 1. die Existenz der grammati-schen Kategorie männlich-persönlich (Ratio-nalia) im Os. und ihr Fehlen im Ns., 2. der Ver-lust des Vokativs im Ns. und sein Erhalt im Os.,3. das Vorhandensein einer Sonderform des Infi-nitivs (Supinum) im Ns., nicht aber im Os.; in derLexik: ns. gluka „Glück“, wjaža „Haus“, žaris„sparen“, aber os.zbožo (ns.zbóžo bedeutet hier„Hornvieh“), cheža, lutowac u.a.

Dialektale Gliederung

Der Verlust der politischen und ökonomischenSelbständigkeit durch die altsorbischen Stämmeund ihre Eingliederung in die sich bildendendeutschen feudalen und kirchlichen Herrschafts-strukturen (Marken, Burgwarde, Bistümer) führ-te in der Folgezeit zu einer weiteren Aufsplitte-rung des verbliebenen sorbischen Sprachareals.Das Ergebnis war eine relativ große Anzahl vonLokaldialekten. Seit dem 14. Jhd. entstand durchdie aus dem Süden (Oberlausitz / Milzener) undNorden (Niederlausitz / Lusizer) vordringendeBesiedlung des weitgehend noch unbewohntenHeidegürtels (Mittellausitzer Rücken) zwischenSenftenberg / Hoyerswerda im Westen und BadMuskau / Sorau im Osten ein ca. 10 km breitessprachliches Übergangsgebiet und damit die sog.obersorbisch-niedersorbischen Übergangs- oderGrenzdialekte.Eine gute Beschreibung der Sprachsituation im16. Jahrhundert findet sich in dem 1610 in Frank-furt a. O. erschienenen „Enchiridion Vandali-cum“ ( = Vandalisches oder Wendisches Hand-buch), dessen Verfasser, Andreas Tharaeus, derPfarrer in Friedersdorf, einem ehemaligen sor-bischwendischen Kirchdorf südöstlich von Ber-lin war. Er schreibt: „../ habe ich den Catechif-mus Lutheri / [..] in Wendifche Sprache gebracht/ wie manfie in faft in gantz Nieder Laufitz pfle-get außzufprechen. / [..] Ich weis aber gar wol /daß in keiner Sprachefo mancherley idiomatafein / als eben in der Wendifchen. Denn ein anderidioma ift / fo gebraucht wird in der HerrfchafftStorkow vnd Beßkow / doch auch wirds im Beß-kowifchen viel anders außgefprochen als bey vnsim Storkfchen / wie auch im Luebenfchen. DieOderWenden haben auch einefonderliche art /die in der Herfchafft Mofcaw vnd vmb die Trie-bel vnd Sommerfeldt auch eine andere / Sonder-lich aber im Bautzenfchen wird diefe Spracheviel anders pronuncirt.“

Entstehung der Schriftsprache

Umfangreichere Schriften in ober- und nieder-sorbischer Sprache entstehen erst im Zusammen-hang mit der Ausbreitung der Reformation, diedie Verbreitung des Evangeliums in der jeweili-

gen Muttersprache forderte. Der erste größerehandschriftliche Text ist die Übersetzung des Lu-therschen Neuen Testaments aus dem Jahr 1548in einen ostniedersorbischen Dialekt aus der Ge-gend um Sorau (poln.Zary) durch den ehemali-gen Augustinermönch Miklawusch Jakubica(auch Kubike genannt). Wenig später entstehtder „Wolfenbütteler niedersorbische Psalter“, ei-ne Handschrift aus der Gegend von Luckau, und1574 veröffentlicht Albinus Mollerus aus Strau-pitz im Spreewald sein „Wendisches Gesang-buch mit dem Kleinen Katechismus und demTauf-und Traubüchlein“, das erste in sorbischerSprache gedruckte Buch überhaupt. Auf obersor-bischer Seite erscheint 1595 die von WenzeslauWarichius besorgte Übersetzung des Luther-schen Katechismus. Es folgen weitere Veröffent-lichungen, v.a. kirchlichen Inhalts. All das führtezur Entstehung zweier selbständiger Kirchen-sprachen in der Ober- bzw. Niederlausitz. Als ih-re Begründer gelten der obersorbische GeistlicheMichael Frentzel (1628-1709) und der in Kahrenbei Cottbus wirkende Pfarrer Johann FriedrichFabricius (1681-1741), die jeweils den Bautzenerbzw. den Cottbuser Dialekt zur Grundlage ihrerBibelübersetzungen gemacht hatten. Daraus ent-wickelten sich später die beiden sorbischenSchriftsprachen.Im Bereich des Obersorbischen kam es anfäng-lich auch zur Entstehung einer gesonderten ka-tholischen Schriftsprachvariante, die eine eigeneOrthografie verwendete.Die nationale und soziale Lage der vorwiegendaus leibeigenen Bauern bestehenden sorbischenDorfbevölkerung war jedoch weiterhin sehrschwierig, und die deutsche feudale Administra-tion tat alles, v.a. in der Niederlausitz, um denGeltungsbereich des Sorbischen weiter einzu-schränken. So wurde z.B. in einer 1687 vomPreußischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm erlas-senen Anordnung festgelegt, daß alle wendi-schen Schriften „bey den Kirchen vnd Schulen“zu konfiszieren und darüber hinaus auch die„wendifchen Manufcripta, foweit folche nochvorhanden [.] gaentzlich <zu>liquidiren.“ und „Ihrvnd Eure Succesores mo

egen auf die gaentzlicheAbfchaffung derer Wendifchen Prediger EuerAugenmark richten.“ Auch in den sich entwik-kelnden Städten gibt es keinen Platz für das Sor-bische. Das sorbische Sprachgebiet erleidet des-halb im 17./18. Jh. v.a. im Nordosten (Südbran-denburg, Gebiete östlich von Oder und Neiße)zum Teil erhebliche territoriale Verluste. Zu-gleich läßt sich ein verstärkter Zustrom deut-schen Lehnwortgutes in das Sorbische beobach-ten.4

Nationale Wiedergeburtsbewegung

Eine günstigere Situation entstand erst im 19.Jahrhundert. In Folge des sich in Europa verbrei-

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Ersten Strophe dersorbischen National-hymne. Text von demsorbischen Volks-dichter HandrijZejler, 1827:

Schöne Lausitz du,meiner Heimat Flur,du, der Sorben VäterLand,meiner Träume Pa-radies,heilig sind mir deineFluren!

tenden bürgerlich-nationalen Ideengutes kommtes in den vierziger Jahren v.a. in der Oberlausitzzu einem nationalen Aufschwung, der sog. „Wie-dergeburtsbewegung“, die sich für die Entwick-lung einer eigenen sorbischen Kultur und Litera-tur und für die Gleichberechtigung der sorbi-schen Sprache einsetzt. Im Vordergrund steht da-bei die Schaffung einer einheitlichen modernenobersorbischen Schriftsprache anstelle der bei-den bisher verwendeten kirchensprachlichen Va-rianten. Die Bildung einer gemeinsamen Schrift-sprache für alle Ober- und Niedersorben war auf-grund der bestehenden sprachlichen Unterschie-de und des Fehlens einer politisch-administrati-ven Einheit nicht mehr möglich. Die Niederlau-sitz und der nördliche Teil der Oberlausitz gehör-ten nach 1815 zu Preußen, der Rest zu Sachsen.Die Gesamtzahl der sorbischsprechenden Be-wohner der Lausitz betrug in dieser Zeit höch-stens 200.000.Die Bemühungen um die obersorbische Schrift-sprache konzentrierten sich dabei auf die Erneue-rung und Vereinheitlichung der alten, stark andas Deutsche angelehnten Orthografie, die jetztnach dem Vorbild anderer slawischer Sprachenumgestaltet wurde (Verwendung der lateinischenSchrift und diakritischer Zeichen zur Bezeich-nung der spezifisch slawischen Laute). Notwen-dig für das Funktionieren der neuen Schriftspra-che war aber auch die Erweiterung und semanti-sche Präzisierung des vorwiegend auf den dörf-lich-bäuerlichen und familiären Bereich be-

schränkten Wortschatzes und seine Ergänzungum moderne Wortschatzbereiche wie Publizistik,Politik, Handel, Wirtschaft, Kultur und Technik.Eine besondere Rolle spielte dabei das Modelldes Tschechischen, dessen starke puristischeOrientierung auch für die moderne obersorbischeSchriftsprache maßgebend wurde. In relativ kur-zer Zeit werden teilweise die zahlreichen deut-schen Lehnwörter durch neue, aus den benach-barten slawischen Sprachen entnommene For-men ersetzt, z. B.hodzina „Stunde“ für stunda,weža „Turm“ für tórm, straža „Wache“ für wa-cha, dziwadlo „Theater“ fürkeklija,casnik“Uhr“für zeger, citac „lesen“ für lazowac, li cic „rech-nen“ für rachnowac, radnica „Rathaus“ fürrad-na cheža u. a. Dieselbe Funktion haben auchLehnübersetzungen, z. B.dwelowac „zweifeln“(älter cwyflowac), casopis„Zeitschrift“, železni-ca „Eisenbahn“,dwórnisco „Bahnhof“, stawizny„Geschichte“, zemjepis„Geografie“ u. a. DieGrundlage der sich in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts bildenden einheitlichen obersorbi-schen Schriftsprache war zunächst die evangeli-sche Schriftsprachvariante, d. h. der BautzenerDialekt. Elemente des westlichen oder katholi-schen Dialekts gewinnen erst später an Bedeu-tung. Die neue obersorbische Schriftsprachebleibt aber vorerst nur auf die von der Ma´cicaSerbska (= Muttergesellschaft, 1847 in Bautzengegründeter nationaler Volksbildungsverein)herausgegebenen populärwissenschaftlichen Pu-blikationen und die wissenschaftliche Zeitschrift„ Casopis Ma´cicy Serbskeje“ sowie die literari-sche Monatsschrift „Luzican“ / „Luzica“ (= derLausitzer / die Lausitz) beschränkt. Das konfes-sionelle Schrifttum und die seit 1847 erscheinen-de Wochenzeitung „Tydzenska nowina“ (= Wo-chenzeitung, seit 1854 Serbske nowiny (= Sorbi-sche Zeitung) halten dagegen weiterhin an der äl-teren, nur geringfügig geänderten Schreibweisemit der Schwabacher Schrift fest.Die nationale Wiedergeburtsbewegung war v.a.bei den Obersorben mit der Entstehung einer ei-genen nationalen weltlichen Literatur und Wis-senschaft verbunden, Zu nennen sind die DichterHandrij Zejler (1804-1872), Jakub Bart-Cisinski(1856-1909), die Philologen Jan Arnoˇst Smoler/Schmaler (1816-1884), Hauptautor des Werkes„Volkslieder der Wenden in der Ober- und Nie-derlausitz“ (1841 u. 1843), sowie Michael Hór-nik, Verfasser zahlreicher sprachwissenschaftli-cher Studien und Autor der „Historija serbskehonaroda“ (= Geschichte des sorbischen Volkes,1884), verfaßt in Zusammenarbeit mit dem PolenW. Boguslawski. 1866 erscheinen das „Lausit-zisch-wendische Wörterbuch“, 1867 die „Laut-und Formenlehre der oberlausitzisch-wendischenSprache“ von Chr. T. Pfuhl und 1884 die „Syn-tax der wendischen Sprache in der Oberlausitz“von Georg Liebsch. Es entwickeln sich jetzt auchenge kulturelle Beziehungen zu den benachbar-

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ten slawischen Völkern, begünstigt nicht zuletztdurch die „slawische“ Ausrichtung der modernenSchriftsprache. Großen Einfluß auf die Heraus-bildung einer eigenen nationalen Intelligenz hat-te das in Prag seit 1716 bestehende „Lausitzisch-wendische Priesterseminar“ sowie die im selbenJahr in Leipzig gegründete „Lausitzer Prediger-gesellschaft“, deren Absolventen später meist indie Lausitz zurückkehren und hier neben ihrergeistlichen Tätigkeit literarisch und im patrioti-schen Sinne tätig wurden.Die Entfaltungsmöglichkeiten des Niedersorbi-schen waren im beschriebenen Zeitraum beschei-dener. Der Grund dafür lag in erster Linie in derschwächeren Entwicklung des sorbischen natio-nalen Lebens in der Niederlausitz, bedingt v.a.durch die negative Einstellung Preußens gegen-über nationalen Minderheiten. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts kommt es zwar auch hier unter Ein-fluß des Obersorbischen zur Einführung der sog.„analogen Rechtschreibung“, doch bleibt der äl-tere, stark deutsch geprägte Charakter des Wort-schatzes weitgehend erhalten. Von großer Be-deutung für das sprachliche Überleben des Nie-dersorbischen waren das „Lehrbuch der nieder-wendischen Sprache“ von Bogumil Swjela(Grammatik: 1906, Übungsbuch: 1911) sowiedas dreibändige „Wörterbuch der niederwendi-schen Sprache und ihrer Dialekte“ von ArnoˇstMuka / Mucke (Bd. 1: Petrograd 1911 – 1914,Bd. 2 u. 3: Prag 1926, 1928).

Die Zeit des Nationalsozialismus

Neue, schwere Belastungen kamen auf die Sor-ben nach der Machtergreifung durch die Natio-nalsozialisten zu. Zahlreiche nationalgesinnteLehrer und Geistliche verloren ihre Anstellungoder mußten die Lausitz verlassen. Die sorbi-schen Vereine wurden verboten, darunter die Do-movina, der Dachverband der Lausitzer Sorben,und der sorbische Bildungsverein Ma´cica serbs-ka, dessen Archiv und Bibliothek beschlagnahmtund größtenteils vernichtet wurde.

Entwicklung nach 1945

Positive Entwicklungsmöglichkeiten ergabensich für das Sorbische nach 1945 durch die Ge-währung einer relativ großzügigen kulturellenAutonomie, festgelegt durch das 1948 vom Säch-sischen Landtag verabschiedete Sorbengesetz,das die kulturellen und sprachlichen Belange derSorben gesetzlich regelte, darunter die Einfüh-rung des Sorbischunterrichts in den gemischtna-tionalen Gebieten der Lausitz und die Gründungeigener pädagogischer und wissenschaftlicherInstitute.Trotz der dadurch entstandenen relativ günstigensoziolinguistischen Bedingungen konnte aberauch jetzt der Assimilierungsprozeß nicht völlig

gestoppt werden. Die Gründe dafür sind in dersich auch nach 1945 fortsetzenden allgemeinenUrbanisierung und besonders in dem von derDDR intensiv betriebenen Braunkohleabbaus zusuchen, der vielfach zur Vernichtung alter sorbi-scher Siedlungsgebiete führte. Negativ auf diesorbische Bevölkerungsstruktur hat sich in denersten Nachkriegsjahren aber auch die notwendiggewordene Zusiedlung von Umsiedlern aus denehemaligen deutschen Ostgebieten in bislangweitgehend sorbischsprachige Ortschaften aus-gewirkt. Hinzu kommt, daß auch die von derDDR betriebene Minderheitenpolitik vor allemdem Prinzip des „proletarischen Internationalis-mus“ untergeordnet war, und deshalb Belangenationaler Minderheiten nur dann eine Rollespielten, wenn sie der Festigung und Verbreitungdes Sozialismus dienten.Das Ober- und das Niedersorbische sind heutezwei sich von der sorbisch-deutschen Zweispra-chigkeit zur deutschen Einsprachigkeit entwi-ckelnden Sprachgemeinschaften. Wie zahlreicheandere Kleinsprachen Europas sind sie in ihrerExistenz akut bedroht. Die Zukunft wird zeigen,inwieweit die Bemühungen um ihren Erhalt bzw.um ihre Revitalisierung die erforderlichen Früch-te tragen werden.

Anschrift des Verfassers:Prof. em. Dr. Heinz Schuster-SewcOT Purschwitz Nr. 3302627 Kubschütz

Anmerkungen

1 Vgl.auch ukr.pryserbytysja„sich zu jdm. gesellen“ und russ.pa-

serb„Stiefsohn“.2 Vgl. z. B. den alten Stammesnamen derMilzenerin der Oberlau-

sitz, der von dem asorb. Wortmilki „seicht, flach“ abgeleitet ist und

„Bewohner des Gefildischen oder des Flachlandes“ bedeutete oder

den NamenLusizer / Lausitzerin der Niederlausitz, verwandt mit

ns. lug / os. luh „Sumpf“, urspr. also „Sumpflandbewohner“.3 Vgl. den Namen „Wendland“ für den früher von den Polaben (Obo-

driten) besiedelten Landstrich nordöstlich von Hannover oder die

Bezeichnung der in Kärnten siedelnden slowenischen Minderheit

als Winden.4 Vgl. Beispiele wie os.hasa, ns.gasafür „Gasse“, os./ ns.gmejna

für „Gemeinde“, os./ ns. wiki für „Markt“, ns. bergar, os.byrgar

für „Bürger “, ns.bonfür „Frondienst“, ns.knechtfür „Knecht“, ns.

dupis für „taufen“, os.wojnar für „Stellmacher“ u. a.

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Die Entdeckung der Heiligen Schriftendes Buddhismus entlang der Seidenstraße und ihreBedeutung für die Buddhismusforschung

Heinz Bechert

Die Entdeckung von Sanskrit-Texten durch Expeditionen europäischer Forscher in Zen-tralasien zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat zu grundlegenden neuen Erkenntnissen hin-sichtlich der Überlieferungsgeschichte der Heiligen Schriften der Buddhisten geführt.Zwei Langzeitvorhaben der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, nämlich dasProjekt „Sanskrittexte aus den Turfanfunden“ (Teil des Gesamtprojekts „Katalogisierungder orientalischen Handschriften in Deutschland“) und „Sanskrit-Wörterbuch der buddhi-stischen Texte aus den Turfan-Funden“, dienen der Erschließung dieser zentralasiatischenbuddhistischen Sanskrit-Literatur.

Bekanntlich sind die Lehren des Buddha erst ei-nige Jahrhunderte nach seinem Tode schriftlichfixiert worden. Indische religiöse Texte wurdennämlich noch lange ausschließlich in mündlicherÜberlieferung weitergegeben, auch als in ande-ren Lebensbereichen – möglicherweise schon im4. Jahrhundert v. Chr., spätestens aber zur Zeitdes Großkönigs A´soka (268-233 v. Chr.) –Schrift verwendet wurde. Man hatte über Jahr-hunderte hinweg besondere Memorialtechnikenzur Sicherung der genauen Weitergabe religiöserTexte entwickelt, und so bestand mündliche Tra-dition neben der schriftlichen bis in die jüngsteVergangenheit weiter. Indische Brahmanen be-richteten mir noch vor etwa 30 Jahren von drasti-schen Strafen, die sie selbst als Schüler erleidenmußten, wenn ihnen Fehler bei der Rezitationvon heiligen Texten ihrer Tradition unterliefen.Der Buddha hat im bewußten Gegensatz zu denbrahmanischen Priestern die Weitergabe seinerLehre in Form sprachlich und wörtlich festgeleg-ter heiliger Texte, also nach dem Muster der ve-dischen Texte, ausdrücklich abgelehnt. Ihm ginges um das allein Wesentliche, um den richtigen,von ihm entdeckten Weg zur Erlösung aus demSam. sara, dem Daseinskreislauf. Deshalb konntesich die buddhistische Überlieferung in mehrereTraditionszweige aufspalten, bevor die schriftli-che Aufzeichnung ihrer heiligen Texte einsetzte.Nur für Sri Lanka läßt sich der Zeitpunkt der er-sten Niederschrift der dort tradierten Version desbuddhistischen Kanons genauer bestimmen,nämlich zur Zeit des Königs Vat.t.agaman.i Ab-haya (89-77 v. Chr.). Dies geschah zur Sicherungder Weiterüberlieferung der Texte, weil infolgeder politischen und wirtschaftlichen Katastro-phen dieser Epoche so viele Mönche umgekom-men waren, daß der Verlust der mündlichenTextüberlieferung drohte. Seit dieser Zeit sindauch andere buddhistische Traditionslinien zurschriftlichen Überlieferung übergegangen, so

daß der Buddhismus nun zu einer „Buchreligion“geworden war.

Die zentralasiatischen Funde buddhisti-scher Handschriften

Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundertmachten zuerst russische, dann englische, fran-zösische und 1904 bis 1914 vier deutsche Expe-ditionen in Zentralasien aufsehenerregende Fun-de. Entlang der Seidenstraße, an dem großen, bisins hohe Mittelalter wichtigsten Handelsweg vonOstasien nach Europa, begegnete man Zeugnis-sen einer untergegangenen Hochkultur, der sog.mittelasiatischen Spätantike. Nach einem der be-deutendsten Fundorte werden sie meist kollektivals „Turfan-Funde“ bezeichnet. Zu diesen Fun-den gehört auch eine große Zahl von Manu-skriptresten. Sie stammen, wie paläographischeUntersuchungen ergeben haben, aus der Zeitvom 2. bis zum 15. Jahrhundert und sind in zahl-reichen verschiedenen Schriftarten geschrieben.Mehrere Wissensgebiete verdanken diesen Fun-den grundlegende neue Erkenntnisse. So wurdender Religionswissenschaft erstmals größere Ori-ginaltexte des östlichen Manichäismus zugäng-lich; die indogermanische Sprachwissenschaftwurde durch die Entdeckung des Tocharischenbereichert, um nur zwei Beispiele zu nennen.1

Den größten Teilbestand an Handschriftenmate-rial bilden buddhistische Manuskripte in Sans-krit, die zumeist durch die systematische Zerstö-rung der Klöster besonders stark beschädigt wor-den waren. Die ersten Textproben aus diesemMaterial hat der Berliner Indologe RichardPischel (1848-1907) im Jahre 1904 publiziert.Pischel identifizierte sie als Reste des Sanskrit-Kanons einer zu den Schulrichtungen des altenBuddhismus, also des sog. Kleinen Fahrzeugs(Hınayana), gehörigen Traditionslinie, nämlichder Sarvastivada-Schule. Nach einer chinesi-

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schen Beischrift gehörten die von Pischel identi-fizierten Textabschnitte zum Sam. yuktagama, ei-ner Sammlung von Lehrreden des Buddha ausdieser Tradition.2

Man hatte bis dahin die älteren buddhistischenTexte nur aus den in Sri Lanka und in Südost-asien überlieferten Texten in der sog. Pali-Spra-che (dem sog. Pali-Kanon) genauer gekannt, de-ren systematische Erschließung um die Wendevom 19. zum 20. Jahrhundert in vollem Gangewar. „Pali“ ist eine mittelindische Sprache, diesich von der altindischen Literatursprache Sans-krit etwa in dem Maße unterscheidet wie das Ita-lienische vom Lateinischen. Die Überlieferungder Theravada-Buddhisten, die diese Texte alsihre heiligen Schriften bewahrt haben, identifi-zierte Pali als die Sprache, in der Buddha selbstgelehrt haben soll, doch hatten schon Gelehrtedes späten 19. Jahrhunderts die Vermutung geäu-ßert, daß Pali zwar der Sprache des Buddha naheverwandt, nicht aber mit ihr identisch sei. Die inden seinerzeit noch wenig beachteten Sammlun-gen chinesischer und tibetischer Übersetzungenenthaltenen Versionen der frühen buddhistischenTexte, deren Originale uns nicht erhalten sind,hielt man bis zur Entdeckung der zentralasiati-schen Sanskrit-Texte im wesentlichen für Über-setzungen oder Überarbeitungen der Pali-Texte.Pischel stellte fest, daß der von ihm identifizierteText im Pali-Kanon nicht im Sam. yuttanikaya zufinden war, der Sammlung von Lehrreden desBuddha, die dem Sam. yuktagama entspricht. Erfand den entsprechenden Pali-Text in einem an-deren Teil des Pali-Kanons, nämlich im Angutta-ranikaya. Pischel gelangte bei seinen Untersu-chungen über diese Texte zu Erkenntnissen, diedurch die weiteren Forschungen bestätigt werdensollten:Die in den zentralasiatischen Funden bezeugteSanskritrezension der Heiligen Schriften derBuddhisten zeige, sowohl im Text selbst als auchin der Anordnung der einzelnen Abschnitte, nichtunerhebliche Unterschiede gegenüber dem Pali-Text; es sei trotzdem sicher, daß beide auf einengemeinsamen Urtext, auf eine „einheitliche Tradi-tion der Lehre des Buddha“ zurückzuführen seien.Es sei ferner sicher, daß die Sanskrit-Versionennicht – wie ältere Forscher gemeint hatten – bloßeÜbersetzungen oder Überarbeitungen der Pali-Texte sind. Vielmehr seien beide Versionen von-einander unabhängige Weiterentwicklungen derursprünglichen Überlieferung der Buddha-Lehre.Pischel schließt seine Abhandlung mit den Wor-ten: „So verschieden aber auch die Wege sind, aufdenen sich das Wort des Buddha fortgepflanzt hat,der Kern ist immer und überall der gleiche geblie-ben. Turkestan verkündet durch seine Trümmer-stätten aufs neue laut den Ruhm des Weisen vonKapilavastu und seiner Jünger.“3

Wie aber konnte man zurückgelangen zu jenergemeinsamen Grundlage aller buddhistischen

Traditionen, also zu dem, was der „Weise ausKapilavastu“ selbst gelehrt hatte? Der Buddhahatte selbst die Weitergabe seiner Lehre in derForm heiliger Texte abgelehnt. Als sich in denJahrhunderten seit seinem Tode bis zur schriftli-chen Aufzeichnung seiner Lehren seit dem 1.Jahrhundert v. Chr. verschiedene buddhistischeÜberlieferungstraditionen herausbildeten, ent-standen sowohl sprachlich wie inhaltlich in Ein-zelheiten unterschiedliche Überlieferungen.Die ursprüngliche Lehre kann man wieder leben-dig machen, indem man alle uns erhaltenen Tra-ditionen des alten Buddhismus systematisch ver-gleicht und ihre gemeinsame Grundlage aufspürt.Die Anwendung einer historisch-kritischen Me-thode ermöglicht gleichzeitig, die nur fragmenta-risch erhaltenen Texte aus Zentralasien zu einemgrößeren Ganzen wieder zusammenzufügen, alsozu dem einst in Zentralasien überlieferten Sans-krit-Kanon, und sie damit richtig in die Ge-schichte der buddhistischen Traditionslinien ein-zuordnen. Dieser Sanskrit-Kanon war eine invielen Einzelheiten abweichende Parallelüberlie-ferung zum Pali-Kanon. Der Gebrauch des Sans-krit hatte sich im Zuge der sog. Sanskrit-Renais-sance der ersten nachchristlichen Jahrhunderteauch bei den indischen Buddhisten durchgesetzt.Mit der Zentralasienmission der Buddhisten sinddiese Texte früh nach Ostturkestan und übrigensauch ins sog. Westturkestan, also ins Gebiet derehemaligen zentralasiatischen Sowjet-Republi-ken, gelangt.

Die Edition der in Zentralasienentdeckten kanonischen Texteder Buddhisten

Die Erschließung kanonischer buddhistischerSanskrit-Texte nach dem von Pischel formulier-ten wissenschaftlichen Programm hat als ersterErnst Waldschmidt (1897-1985) verwirklicht.Bereits in Waldschmidts Dissertation4 und in sei-ner Habilitationsschrift5 ist diese Methode konse-quent angewandt. So werden für denBhiks.un. ıpratimoks.a, das „Beichtformular“, d. h.die Sammlung der Regeln für die buddhistischenNonnen, alle sechs erhaltenen, verschiedenenSchulen angehörigen Versionen genau vergli-chen. Damit ließen sich sowohl die erhaltenenReste des Sanskrit-Textes der zentralasiatischenÜberlieferung zuverlässig einordnen als auch dergemeinsame Grundbestand aller Versionen er-mitteln. In den Jahren 1944 und 1948 ist in denAbhandlungen der Göttinger Akademie Wald-schmidts bahnbrechende Arbeit zur „Überliefe-rung vom Lebensende des Buddha“ publiziertworden, eine ausführliche, alle Parallelversionenvergleichende Untersuchung über das Mahapari-nirvan.asutra.6 In diesem Text hatte man schonfrüh eines der Kernstücke der buddhistischenTradition überhaupt erkannt.

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In den Kriegsjahren wurden die Handschriftender Turfan-Sammlung in Berlin zum Schutz vorLuftangriffen ausgelagert. Der größte Teil davonwurde 1947 nach Berlin zurückgebracht; andereTeile der Sammlung befanden sich nach demKrieg in Mainz und in Göttingen. Diese Teilbe-stände wurden erst nach der Wiedervereinigungmit den früher bei der Ost-Berliner Akademiebefindlichen Beständen zusammengeführt undwerden nunmehr in der Staatsbibliothek der Stif-tung Preußischer Kulturbesitz in Berlin aufbe-wahrt. In der Zeit von 1948 bis 1961 wurden Fo-tografien der meisten in Berlin befindlichenSanskrit-Handschriften dieser Sammlung nachGöttingen gesandt, so daß die Edition und späterdie Katalogisierung eines großen Teils der Berli-ner Bestände in Göttingen möglich war. Auf-grund dieser Kooperation war die Arbeit an denSanskrit-Texten der Turfan-Sammlung auch inder Zeit der Teilung Deutschlands ein gesamt-deutsches Projekt. Seit dem Bau der „BerlinerMauer“ wurde der Zugang zu den Handschriftenfür die in West-Berlin und in Westdeutschlandlebenden Mitarbeiter durch die politischen Ver-hältnisse schwieriger; trotzdem ist die Koopera-tion mit den an der Akademie in Ost-Berlin täti-gen Fachkollegen nie unterbrochen worden.Von 1950 bis 1961, und teilweise sogar bis 1968,erschienen in Berlin zunächst in den Abhandlun-gen der Deutschen Akademie der Wissenschaf-ten und seit 1955 in der von Waldschmidt her-ausgegebenen Serie „Sanskrittexte aus den Tur-fanfunden“ nach den von ihm entwickelten Edi-

tionsprinzipien zahlreiche Ausgaben buddhisti-scher Texte, wobei auch die in Paris und in Lon-don befindlichen Handschriften aus Zentralasienherangezogen wurden. Dabei stellte sich heraus,daß in einigen Fällen Bruchstücke derselbenHandschrift in Berlin und in Paris oder Londongefunden werden konnten. In dieser Serie vonTextbearbeitungen, die in Göttingen entstandenund seit 1965 in den Veröffentlichungsreihen derAkademie der Wissenschaften in Göttingen pu-bliziert wurden, sind im Laufe der Jahre vonWaldschmidt und seinen Schülern alle uns in denTurfan-Funden erhaltenen größeren Texte dessog. zentralasiatischen Sanskrit-Kanons derBuddhisten herausgegeben worden.Gleichwohl kann die Edition dieser Texte nochnicht als endgültig abgeschlossen betrachtet wer-den; im Laufe der Jahre sind zahlreiche zur Zeitder Erstausgaben unbekannte Textstücke aufge-funden worden. Neue Erkenntnisse hinsichtlichdes Verhältnisses der Rezensionen und der Be-sonderheit der in diesen Texten angewandtenSprachform sind anzuwenden. Neue Textausga-ben nach dem aktuellen Forschungsstand sindaußer für die indische Philologie insbesonderefür die Buddhismusforschung als Zweig der Re-ligionswissenschaft von Interesse. Deshalb ist esein dringendes Desiderat, solche Neueditionenfür die großen buddhistischen Lehrtexte zu erar-beiten. Selbstverständlich ist dafür die Koopera-tion vieler Fachgelehrter im In- und Ausland er-

Abb. 1Blick auf den Ein-gang zur Höhle 123in Kizil, in der zahl-reiche Manuskriptegefunden wurden.Foto: MarianneYaldiz

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forderlich. Eine kritische Neuausgabe des Maha-vadanasutra, des Lehrtextes über die sieben letz-ten vorzeitlichen Buddhas, hat unser japanischerKollege Takamichi Fukita weitgehend abge-schlossen. Als nächste Projekte werden in Göt-tingen Neuausgaben der großen Lehrtexte überden Eingang des Buddha ins Nirvan.a (das Maha-parinirvan.asutra) und über die Begründung derbuddhistischen Gemeinde (Catus.paris.atsutra)vorbereitet.

Der „Katalog“ der Sanskrit-Texte ausden Turfan-Funden

Die von den Expeditionen aus Zentralasien nachBerlin gebrachten Handschriftenfunde waren zu-nächst in Säcken verpackt; viele Fragmente wa-ren zu Klumpen verklebt, die sorgfältig aufgelöstwerden mußten. Die Blätter und Fragmente wur-den schließlich sämtlich zwischen Glasplattengelegt. Zunächst wurde ein sachliches Ordnungs-prinzip angewandt, das im Laufe der Arbeitendann durch weitere Systeme von „Neuen Num-mern“, „Vorläufigen Nummern“ usw. ergänztwurde. Es war daher lange fast eine Art Geheim-wissenschaft, wo man nach den Originalen dereinzelnen Textstücke zu suchen hatte.Im Jahre 1954 wurde auf Anregung von Wolf-gang Voigt das Langfristprogramm „Katalogisie-rung der orientalischen Handschriften inDeutschland“ (KOHD) als ein Vorhaben der

Deutschen Morgenländischen Gesellschaft be-gründet und zunächst von der DFG finanziert.Die Erfassung der „Sanskrit-Handschriften ausden Turfan-Funden“ ist von Anfang an als Teil-projekt in dieses große Katalogisierungsvorha-ben aufgenommen worden. Seit 1990 wird dieKOHD als Langzeitvorhaben im Akademienpro-gramm von der Göttinger Akademie betreut.Ernst Waldschmidt hat die Arbeit an den Sans-krit-Handschriften aus den Turfan-Funden von1965 bis 1984 betreut; seither ist der Verfasserdieses Berichtes für die Betreuung dieses Teil-projekts zuständig. Der mit der Beschreibung derTexte befaßte Mitarbeiter ist jetzt Dr. KlausWille.7 In dem Katalog werden alle noch nichtedierten Handschriften im vollen Textwortlautwiedergegeben. Jede Handschrift erhält eine Ka-talognummer, gleich ob davon nur ein Fragmentoder auch in manchen Fällen viele Blätter erhal-ten sind. Die Neuordnung der Originalhand-schriften nach dieser durchlaufenden Zählunghat Dr. Wille bereits im September 1989 im da-maligen Ost-Berlin begonnen.Nach der Wiedervereinigung, der Umstrukturie-rung der Berliner Akademie und der Übergabeder Turfan-Texte in die Obhut der Staatsbiblio-thek zu Berlin sind dort noch größere bislang un-bekannte Texte aufgefunden worden; dazu kom-men zentralasiatische Sanskrit-Handschriften imMuseum für Völkerkunde in München, die eben-falls in alten Magazinbeständen entdeckt wur-den. Der Gesamtbestand der zu beschreibendenTexte umfaßt über 7700 Katalognummern.

Abb. 2Rekonstruktion derHöhle 123 aus Kizilim Museum für Indi-sche Kunst in Berlinmit orginalen Wand-malereien. Foto:Papadopoulos

Abb. 3Blick auf dieHöhlenklöster inBäzäklik bei Turfan.Foto: Bechert

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Buddhismuskundliche Symposien

Die Akademie der Wissenschaften zu Göttingenhat in den Jahren 1976 bis 1988 vier internatio-nale Symposien veranstaltet, die den Themen„Buddhismus in Ceylon und Fragen des Synkre-tismus in buddhistischen Ländern“, „Die Spracheder ältesten buddhistischen Überlieferung“, „ZurSchulzugehörigkeit von Werken der Hınayana-Literatur“ und „Die Datierung des historischenBuddha“ gewidmet waren; die Ergebnisse dieserTagungen sind 1980 bis 1997 in den Abhandlun-gen der Göttinger Akademie publiziert worden.8

Die Verhandlungen der zweiten und dritten Kon-ferenz standen in engstem Zusammenhang mitder hier skizzierten Erschließung und Einord-nung der kanonischen buddhistischen Überliefe-rung aus den Turfan-Funden. Der Buddha hatsich selbst einer „mittelindischen“ Mundart,nämlich der Volkssprache seiner Heimat, be-dient, um seine Lehre allen Menschen zugäng-lich zu machen, nicht nur den der klassischenHochsprache Sanskrit kundigen Angehörigen derOberschicht. In den später redigierten Sanskrit-Versionen der buddhistischen Texte haben sichSpuren dieser älteren Sprachform erhalten, sodaß man vom „buddhistischen hybriden Sans-krit“ spricht. Den dadurch aufgeworfenen Fragenund der genaueren Bestimmung der unterschied-lichen Formen dieser „Mischdialekte“ war daszweite Symposion gewidmet.Gegenstand des dritten Symposions war die fürdie Einordnung der erhaltenen Textzeugnisseentscheidende Frage nach der „Schulzugehörig-keit“, d.h. nach der Zuordnung zu den unter-schiedlichen Traditionslinien buddhistischerÜberlieferung. Diese hatten sich schon sehr frühmit der Ausbreitung des Buddhismus über ganzIndien und die Nachbargebiete herausgebildet.Teilweise konnte man inhaltliche oder auchsprachliche Besonderheiten bestimmten Schul-richtungen zuordnen, teilweise sind die Zuord-nungen bei älteren Texten bis heute umstritten.

Die Frage, wann der historische Buddha gelebthat, ist weit über die Buddhismusforschung hin-aus von Interesse. In der abendländischen Indo-logie glaubte man lange, das Todesjahr desBuddha sei auf ca. 480 v. Chr. anzusetzen und seidie älteste gesicherte Datierung der indischenGeschichte überhaupt. Alle Datierungen ältererindischer Texte wurden aufgrund dieser Hypo-these berechnet. Die von den Buddhisten selbstüberlieferten unterschiedlichen Datierungen desTodesjahres des Buddha liegen, in unsere Chro-nologie umgerechnet, zwischen 2420 und ca. 290v. Chr., d.h. sie differieren um zwei Jahrtausen-de. Führende japanische Gelehrte haben die Da-tierungshypothese der europäischen Indologennie anerkannt. Es konnte nun gezeigt werden,daß sich aus den uns vorliegenden Quellen zwin-gend eine spätere Datierung ergibt als die bis da-hin von „westlichen“ Indologen vertretene. DerBuddha ist im Zeitraum zwischen frühestens ca.420 v. Chr. bis spätestens ca. 350 v. Chr. verstor-ben. Jedoch ist eine genauere zeitliche Eingren-zung aufgrund der uns heute bekannten Quellennicht möglich.9

Das Sanskrit-Wörterbuch der buddhisti-schen Texte aus den Turfan-Funden

Das „Sanskrit-Wörterbuch der buddhistischenTexte aus den Turfan-Funden und der kanoni-schen Literatur der Sarvastivada-Schule“10solldie Erschließung der in Zentralasien überliefer-ten buddhistischen Sanskrit-Texte gleichsam ab-runden und dem Leser einen Weg zum genaueninhaltlichen Verständnis weisen. Gleichzeitigwird damit ein Beitrag zur indischen Lexikogra-phie geleistet.Die lexikalische Erschließung des Sanskrit-Wortschatzes hat eine lange Vorgeschichte inden einheimischen indischen Wörterbüchern(kosa). Ihre Haupttypen sind synonymische Wör-terbücher, d.h. Zusammenstellungen von Wör-tern gleicher Bedeutung, und homonymische

Abb. 4Blick durch den Kor-ridor eines Höhlen-klosters in Kizil.Aus: A.v. Le Coq,Buddhistische Spät-antike in Mittelasien(1924)

Abb. 5Aus dem Text desMahaparinirvan.asu-tra (Überliefung vomLebensende desBuddha): DerBuddha äußert sichüber seine Lehre.Aus: E. Waldschmidtu.a., Sanskrithand-schriften aus denTurfanfunden, Bd. 2(1968), Tafel 58

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Wörterbücher, d.h. Zusammenstellungen vonWörtern, die mehrere Bedeutungen haben kön-nen. Als sich der Buddhismus nach Zentral- undOstasien ausbreitete, haben buddhistische Ge-lehrte zweisprachige Wörterbücher geschaffen,um die Übersetzung buddhistischer Texte in ihreeigenen Sprachen zu unterstützen und die Termi-nologie in den Nationalsprachen zu vereinheitli-chen. Solche Werke – vor allem die schon 1887in St. Petersburg herausgegebene Mahavyutpatti– haben auch der modernen Forschung die Er-schließung der buddhistischen Texte wesentlicherleichtert.Der Plan eines „Sanskrit-Wörterbuchs der Tur-fan-Funde“ wurde der Göttinger Akademie be-reits 1953 von Ernst Waldschmidt unterbreitet.Eine kontinuierliche Förderung, wenn auch insehr bescheidenem Rahmen, erhielt dieses Pro-jekt jedoch erst seit 1968. Die ursprüngliche Pla-nung sah eine Berücksichtigung aller aus denTurfan-Manuskripten bekannt gewordenen Textevor. Dies erwies sich als problematisch. DieseTexte bilden keine in sich geschlossene Einheit,sondern sind Reste von Klosterbibliotheken, indenen außer den von den klösterlichen Gemein-schaften entlang der „nördlichen Seidenstraße“als maßgeblich angesehenen buddhistischenTexten auch mancher zufällige Bibliotheksbe-stand zu finden war. Andererseits waren zu-nächst nur die nach Berlin gelangten Handschrif-ten berücksichtigt worden, nicht aber die übrigenTextzeugnisse für diese Werke. Daher wurde ausdem „Sanskrit-Wörterbuch der Turfan-Funde“schließlich das heutige Unternehmen mit genau-er inhaltlicher Abgrenzung der ausgewertetenTexte. Seit 1973 erscheinen kontinuierlich Teiledieses Werkes.Das Wörterbuch war von Anfang an mit Thesau-rus-Charakter konzipiert, also als ein wissen-schaftliches Wörterbuch, das den Gesamtwort-schatz einer Sprache mit allen Belegstellen kodi-fiziert. Klassisches Beispiel ist der Thesaurus lin-guae Latinae, dessen Arbeitsweise – soweit aufdie ganz anderen Verhältnisse indischer Text-überlieferung anwendbar – als Vorbild dienenkonnte. Mit der jetzigen Planung ist ein klar ab-gegrenztes Corpus der zu berücksichtigendenTexte unter Beibehaltung der Grundkonzeptiondefiniert. Gleichzeitig ist ein planbarer Verlaufdes Vorhabens sichergestellt. Bis heute ist etwaein Drittel des Gesamtwortschatzes bearbeitet.Es ist geplant, daß das Wörterbuch im Jahre 2015abgeschlossen vorliegen soll; dabei ist vorausge-setzt, daß sich der Umfang der auszuwertendenTexte nicht wesentlich verändert, und daß demUnternehmen Mitarbeiter im gegenwärtigen Um-fang auch weiterhin zur Verfügung stehen. DieÖffnung der Sammlungen in St. Petersburg undzu erwartende neue Funde in Zentralasien sindein weiterer Unsicherheitsfaktor für die Planung,da es nicht sinnvoll wäre, relevante Textzeugnis-

se allein wegen ihres Aufbewahrungsortes vonder Auswertung auszuschließen.Mit diesem Wörterbuch wird die genaue Inter-pretation der Texte – und natürlich insbesonderedes speziellen Wortgebrauchs im Kontextbuddhistischer Überlieferung – wesentlich geför-dert, denn diese ist in vielen Fällen erst durch diesystematische Auswertung aller Wortbelege die-ser Texte möglich geworden.So hat die Entdeckung der Sanskrit-Handschrif-ten buddhistischer Texte in Zentralasien im Lau-fe des 20. Jahrhunderts zu völlig neuen Einsich-ten in die frühe Geschichte der buddhistischenÜberlieferung geführt.

Anschrift des VerfassersProf. Dr. Heinz BechertHermann-Föge-Weg 1 A37073 Göttingen

Anmerkungen

1 Siehe auch den Bericht von Werner Sundermann, „Geschichte,

Stand und Aufgaben der Turfanforschung“, Akademie-Journal

2/2000, S. 12-17.2 Richard Pischel, „Bruchstücke des Sanskritkanons der Buddhisten

aus Idykutsarı, Chinesisch-Turkestan“,Sitzungsberichte der Preu-

ßischen Akademie der Wissenschaften1904, S. 807-827.3 Ebd., S. 827.4 Ernst Waldschmidt,Bruchstücke des Bhiks.un. ı-Pratimoks.a der Sar-

vastivadins: Mit einer Darstellung der Überlieferung des Bhiks.un. ı-

Pratimoks.a in den verschiedenen Schulen,Leipzig 1926 (Kleinere

Sanskrit-Texte, 3); Neuausgabe Berlin 1979 (Monographien zur in-

dischen Archäologie, Kunst und Philologie, Band 2, S. 1-191).5 Ders., Bruchstücke buddhistischer Sutras aus dem zentralasiati-

schen Sanskritkanon, herausgegeben und im Zusammenhang mit

ihren Parallelversionen bearbeitet, Leipzig 1932 (Kleinere Sans-

krit-Texte, 4); Neuausgabe Berlin 1979 (Monographien zur indi-

schen Archäologie, Kunst und Philologie, Band 2, S. 193-445).6 Ders., Die Überlieferung vom Lebensende des Buddha: Eine ver-

gleichende Analyse des Mahaparinirvan.asutra und seiner Textent-

sprechungen, 2 Teile, Göttingen 1944-1948 (AAWG, 3. Folge,

29-30).7 Ernst Waldschmidt u. a.,Sanskrithandschriften aus den Turfanfun-

den, Teil 1-8, Wiesbaden, Stuttgart 1965-2000 (Verzeichnis der

Orientalischen Handschriften in Deutschland X, Teil 1-8).8 Buddhism in Ceylon and Studies on Religious Syncretism in

Buddhist Countries, ed. H. Bechert, Göttingen 1978;Die Sprache

der ältesten buddhistischen Überlieferung, hg. H. Bechert, Göttin-

gen 1980;Zur Schulzugehörigkeit von Werken der Hınayana-Lite-

ratur, hg. H. Bechert, 2 Bde., Göttingen 1985-87;The Dating of the

Historical Buddha, ed. H. Bechert, Part 1-3, Göttingen 1992-1997

(Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen,

Phil.-hist. Kl., Dritte Folge, 108, 117, 149, 154, 189, 194, 222).9 Zusammenfassung der Ergebnisse inThe Dating of the Historical

Buddha, Part 3, S. 1-13.10 Sanskrit-Wörterbuch der buddhistischen Texte aus den Turfan-Fun-

den und der kanonischen Literatur der Sarvastivada-Schule, hg. von

H. Bechert, bearb. von Georg von Simson, Michael Schmidt, Jens-

Uwe Hartmann und Siglinde Dietz, Band 1 (= Lieferung 1-8) und 2

(bisher erschienen bis Lieferung 12), Göttingen 1973 ff.

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Was Gewässernamen in Europa besagen

Wolfgang P. Schmid

Europa, das ist ein Name, der infolge politischer Entwicklungen gegenwärtig in allerMunde ist, aber schon eine lange Vorgeschichte besitzt. Sie beginnt in der griechischenMythologie. Schon Herodot weiß nicht, ob man von einem Frauennamen oder von derBenennung einer Region, eines Erdteils auszugehen hat. Diese Unsicherheit spiegelt sichnoch heute in den letztlich unentscheidbaren Angaben unserer etymologischen Wörterbü-cher wider. Steckt in dem Namen die Benennung einer blumenpflückenden Prinzessinoder die Charakteristik eines ganzen Erdteils? – In das Mittelalter gelangte der Name Eu-ropa nur noch als geographische Benennung für ein Gebiet, dessen Grenzen zumindest imOsten unbestimmt blieben, das sich aber irgendwo gegen Asien abgrenzte. Aber er ent-hielt eine neue Charakterisierung: Europa war überall dort, wo das christliche Latein alsBibel-, Amts- und Literatursprache Gültigkeit hatte. Doch auch dieses Merkmal ver-schwindet wieder und übrig bleibt ein geographischer Name, der einen Kontinent benenntund auf seine politische Abgrenzung und inhaltliche Ausfüllung wartet.Es ist leicht zu sehen, daß der NameEuropavon Anfang an in seinen verschiedenen Ver-wendungsweisen stets etwas Unbestimmtes enthält und – wie alle Namen übrigens – erstvom Benannten her bestimmte Charakteristiken erfährt, die über die alte Verschwom-menheit hinausgehen. Das gilt übrigens auch für seine äußere Wortgestalt, die im Grundebeliebig zerrupft werden kann. Man denke nur anEuro oderMitropa.

Zur Sprachgeschichte Europas

Auch die historische Sprachwissenschaft bedientsich des Begriffes Europa, versucht, die ver-schiedenen in diesem Raum bezeugten Sprachen,ihren historischen Werdegang zu beschreibenund sie in größere Sprachfamilien zusammenzu-fassen. Die keltischen, romanischen, germani-schen, baltischen und slavischen Sprachen, fer-ner das Griechische und die Sprachen des Bal-kans lassen sich nun wiederum zu einer höherenEinheit vereinigen, die man zu der sog. „indoger-manischen“ Sprachfamilie rechnet. Dieser Aus-druck ist ein Klammerbegriff, der die Endpunkteeiner Verbindungslinie zwischenSrı Lanka (oderCeylon) und dem germanisch besiedelten Islandbezeichnet. (Außerhalb der deutschsprachigenLänder wird dafür der Ausdruck indoeuropäischbevorzugt). Wenn auch diese über Europa weithinausreichende Sprachfamilie die vorherrschen-de in Europa ist, so weiß doch jeder, daß damitEuropa keineswegs lückenlos erfaßt ist, daß esnoch eine größere Zahl kleinerer Sprachgruppengab und gibt, deren Vernachlässigung z. T. zupolitischen Spannungen, ja sogar zu gewalttäti-gen Auseinandersetzungen geführt hat und nochimmer führt. Erwähnt seien hier nur das Baski-sche in Spanien, das Etruskische in Italien, dasUngarische auf dem Balkan, das Livische, Estni-sche und Finnische im Baltikum und die Kauka-sussprachen (von welchen allerdings das Osseti-sche die Fortsetzung einer iranischen d. h. indo-germanischen Sprache darstellt). Darüber hinaus

sind die einzelnen Mitglieder der jeweiligenSprachfamilien im Laufe ihrer Geschichte kei-neswegs so blütenrein geblieben, wie ihre Klassi-fikation es nahelegt. Abgesehen von den wech-selseitigen Beeinflussungen durch die Nachbar-sprachen, von Überlagerungen aller Art seien imdeutschen Sprachgebiet (und nicht nur dort) dasJiddische und die Sprachen der Sinti und Romaerwähnt. (Der in Deutschland in Mißkredit gera-tene Ausdruck Zigeuner wird von Sprechern die-ser Dialekte noch immer und selbstverständlichgebraucht). Festzuhalten bleibt, daß die durchden Europabegriff eingeführten Abgrenzungenmit Bezug auf die Sprachen zunächst einmalwillkürlich bleiben.

Das Alteuropa der Namenforschung

Die historische Sprachwissenschaft hat ihr Au-genmerk u. a. auch auf eine besondere sprachli-che Erscheinung von universeller Gültigkeit ge-lenkt, auf die Eigennamen und daraus eine eige-ne, allmählich sich verselbständigende, aller-dings im Fächerkatalog der Universitäten nurselten auftauchende Disziplin werden lassen: dieNamenkunde oder Onomastik. Infolge der Tatsa-che, daß alles, was man bezeichnen kann, auchbenennbar ist, wird die Onomastik die Namen fürPersonen, Götter, Völker, Siedlungen, Fluren,Gewässer, Berge etc. untersuchen. Unter all die-sen Namen haben sich die Gewässernamen alsbesonders resistent gegenüber allen Neuerungen,Umbenennungen erweisen. Ein eindrucksvolles

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Beispiel hat dafür die jüngste Vergangenheit ge-liefert, in welcher im ehem. Ostpreußen eineRussifizierung und Polonisierung der Ortsnamenstattgefunden hat, während die Gewässernamenim wesentlichen unangetastet blieben. Auf dieseWeise können z. B. die Namen meist größererFlüsse ein hohes Maß an Altertümlichkeit gewin-nen. Man darf sich freilich den archaischen Cha-rakter der Gewässernamen nicht so vorstellen,daß jeder Flußname ein hohes Alter aufweisenmüsse. Die alten Namen schwimmen wie Fettau-gen auf einer Brühe jüngerer und jüngster Na-men und es obliegt dem Namenforscher, die Ge-samtheit des Namenmaterials zu analysieren undin Schichten zu ordnen. Im Grunde verhaltensich die Gewässernamen nicht anders als unsertäglicher Wortschatz auch, in welchem sichebenfalls Wörter befinden, die eine lange bis indie Vorgeschichte zurückreichende Traditionaufweisen (z. B. Wörter wieFeuer, Wasser, Va-ter, Mutter, SohnundSchwester) und sich nebeneine Fülle von jüngeren und jüngsten Wörternstellen (wie z. B.Brot, Butter, Brille oderMond-fähre). Als Maßstab für das Alter der Namen ste-hen dem Namenforscher ihre Morphologie,Deutbarkeit und Verbreitung zur Verfügung. EinName gilt als erklärt, wenn er lautlich und mor-phologisch einwandfrei in die Gegenwartsspra-che des Untersuchenden übersetzt werden kann.So kann z. B.Mühlgrabenals ein noch heutebildbares, aus dem heutigen Deutsch verständli-ches und im deutschen Sprachgebiet verbreitetesKompositum verstanden werden. Immer nochdurchsichtig, aber doch schon mit germanischenBezügen ist ein Name wieSteinach(1191 Stai-nahehochdeutsch zu „Stein“ und althochdeutschaha„Wasser, Fluß“, verwandt mit lat.aqua). Innoch ältere Zeiten gelangt man mit einstämmi-gen Namen wieNette, Netze, die aber immernoch aus dem Germanischen (zu hd.naß, netzenetc.) erklärbar sind. Auf diese Weise erreichtman schließlich eine Klasse von Gewässerna-men, die zwar einen Fluß in Deutschland benen-nen, aber weder aus dem Deutschen, noch ausdem Germanischen morphologisch und seman-tisch zu erklären sind und darüber hinaus eineVerbreitung zeigen, die über den germanischenSprachbereich erheblich hinausgeht. Genanntseien die NamenElz(zum Neckar 773 ON.Alan-tia), Echaz(zum Neckar, 1289Achenz< *Achan-tia < *Aquantia) und schließlichEms (Tacitus:Amisia) verwandt mit einem FlußnamenAmantiain Unteritalien.Das Interessante an diesen alten Gewässernamenist nun aber die Tatsache, daß – wie die wenigenBeispiele schon zeigen – sie ein hohes Maß anVerwandtschaft untereinander aufweisen, gleich-gültig, wo man sie gesammelt hat, in Frankreich,in Italien, in Deutschland, im Baltikum, in Polenoder auf dem Balkan. Immer wieder tauchen ver-gleichbare Grundwörter (selten Komposita) oder

nur noch bedeutungstragende Elemente (Wur-zeln) mit einer begrenzten Zahl von Ableitungs-silben auf (in unseren Beispielen das Suffix-an-tia), die in den meisten Fällen einen Anschluß imWortschatz der Sprachverwandten mit einer Be-deutung im Wortfeld „fließen, Fluß, Flüssigkeit“erlauben (*el-/*ol-„fließen“, *akya „Wasser“,*am- „fließen“ : albanischamë„Fluß“)1. In mor-phologischer Hinsicht zeigt sich bei den Gewäs-sernamen eine Entwicklung vom einstämmigenNamen zum jüngeren Kompositum, bei den Per-sonennamen steht das Kompositum am Anfang,der Kurzname am Ende, schließlich ergibt sichein relativ eng begrenztes etymologisches Wort-feld, über dessen einstige Differenzierung mangern etwas mehr zu erfahren wünschte, doch daserlauben unsere Rekonstruktionsmethoden nicht,denn einerseits gehen die einzelsprachlichenMerkmale des herangezogenen Wortschatzes beider Projektion in die Vorgeschichte notwendi-gerweise verloren, andererseits wissen wir nicht,welche Bedeutungsdifferenzierungen auftreten,wenn die aus Einzelsprachen bekannten Wörternun nebeneinander in eine vorgeschichtliche Op-position treten und mit bestimmten Ableitungs-silben ausgestattet werden. Wenn z. B. zu demaus dem Lateinischen (aber auch aus dem Ger-manischen und Baltischen) bekanntenaquanördlich der Alpen auch noch *Aquara, *Aquan-tia, *Aquesazu belegen sind, oder parallel dazuzu dem aus dem Indoiranischen bekannten Was-serwortap-,ap- „Wasser“ im Bereich dieser Hy-dronymie auch noch *Apara, *Apantia, *Apesazu finden sind oder endlich direkt zu einer Ver-balwurzel *el-/* -ol- „fließen“ *Alara, *Alantia,*Al(e)sa, dann kann man sich nur noch mit derAufstellung solcher freilich immer noch charak-teristischen Reihen begnügen. Die bei jungenNamen mögliche und übliche Realprobe an derWasserfarbe, Flußgeschwindigkeit, an der Artdes Flußbettes oder seiner Umgebung muß hierversagen. Am Ende steht eine kleine Zahl vonKriterien, mit deren Hilfe jüngeres Namengut,Vereinzeltes etwa in Kleinasien oder Indien odergar Fremdes ausgeschlossen werden kann2.Auf die Altertümlichkeit gerade der Gewässerna-men ist immer wieder aufmerksam gemacht wor-den, teils ganz allgemein, teils im Hinblick aufkonkrete Fälle, z. B. von G. W. Leibniz, R. Fer-guson, J. Grimm, K. Buga, M. Vasmer, J.Rozwadowski, doch erst H. Krahe hat ebensoumfangreiche wie detaillierte Studien vorgelegt,die zunächst nur das Ziel hatten, die Sprachver-hältnisse in der römischen Provinz Illyricum zuuntersuchen, dann aber wegen der Entsprechun-gen in den Gewässernamen außerhalb Illyriens3

in Gefahr gerieten, als Beweis für ein illyrischesSubstrat in ganz Europa in Anspruch genommenzu werden. Deshalb führte er 1949 für diese alteGewässernamengebung den Terminus “Alteuro-pa“ ein4. Die Schwächen des Namens Europa er-

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wiesen sich als vorteilhaft, denn die unklarenAbgrenzungen des Namens ließ die Frage nachder Ausdehnung der Hydronymie im Osten of-fen, der Inhalt wurde auf eine bestimmte Klassevon Gewässernamen beschränkt, der Balkanwurde so mit Zentraleuropa verbunden undgleichzeitig wurde dem Mißbrauch des Völker-namens „Illyrisch“ ein Ende gesetzt. Man mußdabei nur beachten, daß der TerminusAlteuropain anderen Disziplinen, wie z. B. in der Prähisto-rie oder in der Soziologie eines Niklas Luhmannganz anders verstanden und zeitlich fixiert wird.Die alteuropäischen Gewässernamen erscheinendem heutigen Beobachter als Netz, das von Spa-nien bis nach Rußland, von Skandinavien bisnach Italien über Europa in unterschiedlicherDichte, also mit Häufungen und Lücken, Beulenund Dellen ausgespannt ist. Gerade die Randge-biete in Spanien, im Mittelmeerraum, die Gren-zen im slawischen Osten werfen noch immernicht zufriedenstellend gelöste Fragen auf. Selbstdie theoretisch denkbare Existenz eines nicht-in-dogermanischen Substrats in Zentraleuropa wirdimmer wieder behauptet, konnte aber bis heutenicht bewiesen werden5. H. Krahe sah in seinemAlteuropa eine jüngere Zwischenschicht zwi-schen dem hypothetischen, bis heute wederräumlich noch zeitlich fixierten Indogermanischund der Ausgliederung in die verschiedenen in-dogermanischen Einzelsprachen. Richtig daranist, daß das Siedlungsgebiet der Griechen, Hethi-ter, Iraner, das der Indoarier und Tocharier andieser Hydronymie nicht beteiligt ist. Anders alsbei den indogermanischen Sprachen Europas, woEuropa nur einen geradezu willkürlichen Aus-schnitt aus dem Gesamtkomplex Indogermanischverursacht, paßt der Name (Alt-)Europa auf dieGewässernamengebung vorzüglich, denn diesegibt es nur innerhalb der Grenzen Europas. Au-ßerhalb etwa in Kleinasien, im Iran, in Indienoder in Nord- und Südamerika gibt es anschei-nend nichts Vergleichbares. Die alteuropäischeHydronymie muß also jünger sein als die Ge-samtheit aller indogermanischen Sprachen. Esmag deshalb als methodischer Widerspruch er-scheinen, wenn man gerade die in diesen ausge-klammerten Sprachen belegten Wörter für „Was-ser, Fluß, fließen“ (als Beispiel mag oben er-wähntes altindisches *ap-/ap-“Wasser“ dienen,das abgesehen von deutschUfer< *apara- unddem altpreußischenape“vlys“ (=lit. ùpe) in deut-schen Orts- und Gewässernamen nur mit Kürzein der Wurzelsilbe erscheint) zur Deutung alteu-ropäischer Namen benutzt. Ein kleines Gedan-kenexperiment soll über diese Schwierigkeitenhinweghelfen. Aus den Sprachen Griechenlandsund des Ostens kommen ja nur diejenigen Sub-stantive, Adjektive oder Verben in Frage, dieAnspruch auf Altertümlichkeit haben, also indo-germanische Erbwörter. Ihr Alter kann aber nurbewiesen werden, wenn sie auch Entsprechungen

im Westen haben. Typisch Griechisches oder Al-tindisches bleibt also als jüngere, einzelsprachli-che Bildung gar nicht außer Betracht. Gehörtendie europäischen Entsprechungen ebenfalls zumappellativischen Wortschatz der Anrainer, dannwären damit verbundene Namen naturgemäßjünger und zu jeder Zeit bildbar. Da sie aber nurnoch in Namen vorkommen, müssen diese in dieVorgeschichte versetzt werden. Unabhängig da-von ist der zeitliche Unterschied zwischen denfrühesten Belegen dieser ausgeklammerten Spra-chen und der mutmaßliche Beginn der europäi-schen Hydronymie sehr klein. So setzt also dieEtymologie der europäischen Hydronymie dieGesamtheit des indogermanischen Wortschatzesvoraus. Sie erweist einen Wasser-Wortschatzvon erstaunlicher Reichhaltigkeit, eine Zwi-schenschicht bildet er nicht. Deshalb sind Versu-che, diese mit Hilfe des Wortschatzes zu bewei-sen, notwendigerweise erfolglos geblieben6 .Bei näherem Zusehen stellt sich heraus, daß dasNamennetz gar nicht so einheitlich ist. Freilichsind Aussagen darüber leicht falsifizierbar. Esbraucht nur ein einziger Name, ein einziges Wortneu aufzutauchen oder – bisher übersehen – sichin Erinnerung zu bringen, und die Äußerungenüber das Vorhandensein oder Fehlen bestimmterWort- und Namenklassen sind überholt. Nachunserem gegenwärtigen Wissen nimmt die Häu-figkeit der Bildungen mit einemnt-Suffix wie inden zitierten Beispielen von West nach Ost stän-dig ab, dagegen steigt das Vorkommen vonv-Ableitungen, unter welchen der Name derSaar: Saravusim Westen eine Seltenheit ist, nachOsten ständig an (Beispiel:Morava z. Donau).Verwandte der Verbalwurzel *ser- „fließen“werden in den Gewässernamen von Frankreichbis ins Baltikum häufig verwendet, fehlen aber inSkandinavien. Ähnliches gilt für die Wurzel*dreu- „laufen, fließen“ (vgl. die FlußnamenTraveoderDrau). So verhält es sich auch mit ei-ner Reihe von Ableitungselementen, so daß manmit einem Beispiel ausgedrückt sagen könnte:der Name derVeneterwar – in die Vorgeschichteprojiziert – überall in Europa bildbar, nur nicht inSkandinavien7. Das sind vorerst nur Einzelfälle,Indizien. Leider fehlt es noch an flächendecken-den Untersuchungen, um daraus gesicherte Ar-gumente zu machen, die liebgewonnene Vorstel-lungen und Meinungen z. B. über die Ausbrei-tung der Germanen widerlegen könnten.

Abschließendes oder was Gewässer-namen in Europa besagen

Die Gewässernamen führen also zur Annahmeeines sprachlichen, auch nach der Absonderungder alt belegten indogermanischen Sprachen be-wahrten Kontinuums von europäischen Ausma-ßen, das im Gegensatz zu anderen sprachlichenRekonstruktionen den großen Vorteil hat, lokali-

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sierbar zu sein. Eine Datierbarkeit ist allerdingsnur schätzungsweise möglich. Die Ausgliede-rung der heutigen europäischen Sprachen (soweitsie an der Hydronymie beteiligt sind) muß jeden-falls erst später erfolgt sein. Bei aller Freude überden Gewinn eines solchen Netzes von alten Na-men darf man natürlich nicht vergessen, daß dergrammatische Ausschnitt, für welchen die Hy-dronymie gewisse Aussagen erlaubt, denkbarklein ist. Auf dem Gebiet der Lautlehre wird manzu berücksichtigen haben, daß zwar Eigennamengewisse konservative Züge aufweisen im Gegen-satz zu den Substantiven der Alltagssprache, aberdennoch alle Veränderungen mitmachen, die bei-spielsweise das Lateinische vom Germanischentrennen. In dieser Hinsicht berüchtigt ist das Vor-herrschen desa-Vokalismus in Wurzel und Ab-leitung. Es ist immer wieder Anlaß dafür gewe-sen, daß man die gesamte Hydronymie kurzerHand für nichtindogermanisch erklärt hat. Dabeiwird übersehen, daß die Verflechtung der Namenmit dem Wortschatz in Lexikon und Wortbil-dung so eng sind, daß man beide nicht verschie-denen Sprachgruppen zuordnen darf8. Darüberhinaus läßt ein Großteil der involvierten Spra-chen ohnehino und a zusammenfallen, fernerverlangt ein Teil der Substantivao (> a)-Vokalis-mus in der Wurzelsilbe (Ablaut, lat.tego/toga)und endlichkennt gerade das Lateinische einigeSubstantiva, die eigentlich eino aufweisen müß-ten. So ist der FlußnameArno kein anderer Fallals lat.mare, aber auch lat.aqua, lacus, magnus,palus, quattuor, salum, vadumenthalten ein sol-chesa, ohne daß man von nichtindogermanischenEinfluß reden dürfte. – Im Bereich der Nominal-bildung wird man vor allem die Tatsache hervor-heben, daß alle Sprachen, die an der Hydronymiebeteiligt sind, ein viergliederiges Partizipialsy-stem (ähnlich dem Griechischen) besessen haben(im Gegensatz etwa zum Lateinischen und Ger-manischen, die sich mit zwei begnügen). – Dabeihandelt es sich in der Regel um o/a-Stämme: Kon-sonantstämme fehlen fast völlig. Wie erwähntkann die Hydronymie für den Bereich des Ver-bums nicht herangezogen werden. Wohl aber kön-nen nun umgekehrt bestimmte Vereinfachungenin der Bildung der Vergangenheitstempora, wieder Zusammenfall von Aorist und Perfekt mit demeuropäischen, also durch die Flußnamen definier-ten, Areal verbunden werden. Es liegt sehr nahe,dies auch auf lexikalischem Gebiet zu versuchen,d.h. nach Wörtern Ausschau zu halten, die nur inEuropa beheimatet sind. H. Krahe hat einen sol-chen Versuch unternommen, ohne Erfolg9. Keinesder von ihm herangezogenen Wörter (darunterdeutsch:Meer, deutschund Apfel) ließ sich aufden Bereich beschränken, zu dessen Beweis esherangezogen wurde. Vergleicht man umgekehrtdie Gewässernamen mit den heutigen Wörtern für“fließen“ etc., dann wird man erstaunt sein, überdie Vielfalt alter Wörter, die uns z. B. in den Fluß-

systemen von Rhein, Main und Donau, Weser, El-be und Oder entgegentritt. Die starke Auswahl,die dann die Einzelsprachen vorgenommen haben,sollten wir vielleicht weniger erstaunlich finden,denn diese hatten wir ja als Grundprinzip für dieAuffindung alter Namen vorausgesetzt.Es zeigt sich also, daß lange bevor die Politikerdamit anfingen, die Einheit Europas als ihr Zielzu propagieren, die Wissenschaft schon für sicheine solche gefunden hatte. Sie muß sich darumbemühen, die heutige sprachliche Vielfalt aus ei-ner recht vagen Einheit herzuleiten, während um-gekehrt die Politik bestrebt ist, die heute nochsehr verschwommene Einheit Europas aus derVielfalt der gegenwärtigen Länder zu gewinnen.

Anschrift des Verfassers:Prof. Dr. Wolfgang P. SchmidSchladeberg 2037133 Friedland

Anmerkungen

1 Zu diesem und dem Folgenden vgl. Hans Krahe, Unsere ältesten

Flußnamen, Wiesbaden 1964.2 Wolfgang P. Schmid, Alteuropäische Gewässernamen, in: Namen-

forschung, ein internationales Handbuch zur Onomastik, hrsg. von

Ernst Eichler, Gerold Hilty, Heinrich Löffler, Hugo Steger, Ladis-

lav Zgusta, 1. Teilband, Berlin, New York 1995, S. 756-762.3 Hans Krahe, Die alten balkanillyrischen geographischen Namen,

Heidelberg 1925.4 Hans Krahe, Sprache und Vorzeit, Heidelberg 1949, S. 48-59.5 Zuletzt Theo Vennemann, Linguistic Reconstruction in the Context

of European Prehistory. Transactions of the Philological Society

92, 2 (1994), S. 215-284. Dagegen Wolfgang P. Schmid, Methodi-

sche Bemerkungen zur Klassifikation: Alteuropäisch, in: Onoma-

stica Slavogermanica XXIII (Abh. der Sächsischen Akademie der

Wissenschaften zu Leipzig, Phil.-hist. Klasse, Bd. 75, 2) Leipzig

1998, S. 21-28.6 Wolfgang P. Schmid, Alteuropäisch und Indogermanisch (Abh. der

Akad. d. Wiss. u. d. Lit. zu Mainz, geistes- u. sozialwiss. Klasse

1968, 6) Wiesbaden 1968.7 Dazu Wolfgang P. Schmid, Alteuropa und Skandinavien, in: Na-

menkundliche Informationen 56 (1989), S. 14-28.8 S. Anm. 5.9 S. Anm. 6.

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Nachrichten aus der Union der deutschen Akademiender Wissenschaften

Konvent für TechnikwissenschaftenZukunftsweisende Technologien in Deutschlandzu fördern und deren Bedeutung für Wirtschaftund Gesellschaft hervorzuheben, sind die Zieledes im März dieses Jahres gegründeten „Konventfür Technikwissenschaften der Union der deut-schen Akademien der Wissenschaften“.Auf der konstituierenden Sitzung Anfang Juni2001 wurdeJoachim Milberg, Vorsitzender desVorstands der Bayerischen Motorenwerke AGund Mitglied der BBAW, zum Vorsitzenden ge-wählt. Stellvertreter Milbergs istFranz Pischin-ger, Geschäftsführender Gesellschafter der FEVMotorentechnik GmbH Aachen und Mitglied derNordrhein-Westfälischen Akademie.Um seine Ziele zu erreichen, wird der Konventdurch verschiedene Aktivitäten die Zusammen-arbeit zwischen den grundlagen- und anwen-dungsorientierten Technikwissenschaften undauch mit anderen ingenieurwissenschaftlichenEinrichtungen im In- und Ausland intensivieren.Geplant ist die Organisation gemeinsamer wis-senschaftlicher Veranstaltungen und Projekte,aber auch der Dialog mit politischen, wirtschaft-lichen und gesellschaftlichen Institutionen. Daserste Jahresprogramm wird der Vorstand in dennächsten Monaten vorstellen.Neben den ProfessorenMilberg und Pischingerhaben die Mitglieder des KonventsReiner Koppin den Vorstand gewählt. Stellvertretende Vor-standsmitglieder sindGünter Pritschow, GünterSpurundGünther Wilke. Weiterhin gehören demVorstand als geborene Mitglieder der Vorsitzen-de der Union,Clemens Zintzen, und dessen Stell-vertreter,Rudolf Smend, an.

75. Jahressitzung der UAI in PekingVom 27. Mai bis 2. Juni 2001 fand am Sitz derChinesischen Akademie der Sozialwissenschaf-ten die 75. Jahressitzung der Union AcadémiqueInternationale unter der Leitung der PräsidentinMadeline Cavinessstatt. Die Union war durchErnst Vogt(BAdW) vertreten, der einen Projekt-bericht abgab und in der Finanzkommission mit-wirkte. Die Arbeitsberichte aller deutschen Un-ternehmungen fanden die Anerkennung des Ple-nums. Künftig wird auch das (weiterhin in Ko-penhagen erarbeitete) Pali-Wörterbuch von deut-scher Seite betreut, d.h. von der Akademie derWissenschaften und der Literatur, Mainz.Einstimmig verabschiedeten die Delegierten eineResolution gegen die Zerstörung kulturellerDenkmäler in Afghanistan.Gewählt wurden: zum neuen PräsidentenShaulShaked(Israel), zum neuen Vizepräsidenten (ne-ben Agostino Paravicini Bagliani) Henk Braak-

huis (Niederlande), zu weiteren Mitgliedern desBureaus (nebenJanusz Kazlowski) César GarcíaBelsunce (Argentinien), Jean Irigoin (Frank-reich), Pasquale Smiraglia(Italien) und LuolinWang(China).Die nächsten Jahressitzungen der UAI sollenvom 28. 5. bis 3. 6. 2002 in Brüssel stattfinden,bzw. vom 25. bis 31. 5. 2003 in Buenos Aires.

(Ernst Vogt)

Geisteswissenschaft im Dialog am 21. Juni 2001„Der Mensch nach ’seinem’ Bilde – Vom Nutzenund Gebrauch der Humangenomforschung“ warder Titel des zweiten Abends in der Reihe „Gei-steswissenschaft im Dialog“ im Kunstmuseum,Bonn. Mit der Genomforschung haben die bio-medizinischen Wissenschaften die Tür zu Ein-sichts- und Eingriffsmöglichkeiten aufgestoßen,die den Menschen mit ungewohnten und weitrei-chenden Fragen konfrontieren. Was hat das neugewonnene Wissen für unser Selbstverständnisund unser Verständnis der lebendigen Natur zubedeuten und an welchen Kriterien haben wiruns zu orientieren, wenn wir mit dem neuen Wis-sen verantwortlich umgehen wollen? Von beson-derer Dringlichkeit wird diese Frage, wenn es umden Menschen selbst geht. Wird der Mensch sei-ne eigene Natur zum Werk seiner Hände machenund sich selbst nach ’seinem’ Bild schaffen kön-nen? Wo sollen die Grenzen liegen, an die er sichselber binden will?Eine Antwort auf diese Frage kann nur gefundenwerden, wenn es zu einem Gespräch der beteilig-ten Disziplinen kommt und die Geisteswissen-schaften die Herausforderungen aufnehmen, diemit dem Vorstoß der Biomedizin verbundensind. Ohne diesen Beitrag der Wissenschaftenwird auch die gesellschaftliche Auseinanderset-zung eine angemessene Urteilsbildung nicht er-reichen können.Den Dialog zwischen Philosophie und Theologieund der Biomedizin führten an diesem AbendMartin Honecker, Professor für Sozialethik undSystematische Theologie in Bonn: „SchaffenBio- und Genforschung ein neues Menschen-bild?“, Bernhard Fleckenstein, Professor für Vi-rologie an der Universität Erlangen-Nürnberg:„Wo liegen die Grenzen für die moderne Biome-dizin?“ und Ludger Honnefelder, Professor fürPhilosophie in Bonn: „Was wissen wir, wenn wirdas menschliche Genom kennen? Die Herausfor-derungen der Humangenomforschung“.Der nächste Abend der Reihe findet am 18. Ok-tober 2001, 19.00 Uhr im Kunstmuseum Bonnsatt. Über die Frage: „Wie lernt der Mensch?Lernen im Spannungsfeld von Neurobiologie

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und Erziehungswissenschaften“ diskutierenNiels-Peter Birbaumer, Ekkehard Nuissl vonRein, Manfred Prenzel und Hennig Scheich.Weitere Information und Anmeldung unter:www.gidialog.de.

6. Interakademisches Symposion in Göttingen am23./24. November 2001Seit vor weniger als zwanzig Jahren durch Pionier-arbeiten die Grundlagen für eine einfache Technikzur gentechnischen Veränderung von Pflanzen ge-legt wurden, hat sich die pflanzliche Gentechnikmit geradezu atemberaubender Geschwindigkeitentwickelt. So wird die „Grüne Gentechnik“ heutegenutzt, um Pflanzen gegen Schädlinge oder Un-kräuter verbessert zu schützen, die Produktivitätvon Agrarpflanzen zu steigern und die Qualität derErnteprodukte den Anforderungen an die Verwen-dung als Nahrungsmittel oder als Industrierohstoffanzupassen. In manchen Ländern entfällt bereits einsehr großer Anteil von Anbauprodukten wie Mais,Raps, Baumwolle und Tabak auf gentechnisch ver-änderte Sorten. Die Anwendung der Grünen Gen-technik verändert die Landwirtschaft tiefgreifend,löst aber auch begreifliche Ängste vor negativenFolgen für die Umwelt und die Gesundheit der Ver-braucher aus. Ein verantwortlicher Einsatz der Grü-nen Gentechnik setzt eine Abwägung der Vor- undNachteile für die Umwelt und das Wohlergehen derMenschen voraus. Das 6. Symposion der deutschenAkademien möchte Vertretern aus Wirtschaft undWissenschaft mit ihren sehr unterschiedlichenSichtweisen zur Grünen Gentechnik das Forum füreinen intensiven Dialog bieten. Dies soll eine um-fassende Betrachtung der Thematik ermöglichenund eine breite Öffentlichkeit ansprechen.Das Symposien wird von der Göttinger Akade-mie und der Union gemeinsam durchgeführt.Konzipiert und moderiert wird das Symposionvon Hans Walter Heldt, Professor für Biochemieder Pflanze am Albrecht von Haller-Institut fürPflanzenzüchtung. Dort wird die Veranstaltungauch stattfinden. Das aktuelle Tagungsprogrammfindet man unter: www.akademienunion.de/pdf/vdruck.pdf. Weitere Informationen und Anmel-dung unter: [email protected] Beiträge des Symposions werden 2002 alsThemenschwerpunkt zur Grünen Gentechnik imAkademie-Journal veröffentlicht werden.

Neuerscheinung: Die deutschen Akademien derWissenschaften: Aufgaben, Herausforderungen,PerspektivenDie Ergebnisse des 5. Symposions der deutschenAkademien der Wissenschaften „Die deutschenAkademien der Wissenschaften: Aufgaben, Her-ausforderungen, Perspektiven“ werden im Okto-ber 2001 im Franz Steiner Verlag, Stuttgart er-scheinen. Das Symposion, das im Februar 2001auf Einladung und unter Federführung der Baye-rischen Akademie in München stattgefunden hat,

stellte sich den Zukunftsaufgaben der Akade-mien. Der Tagungsband enthält neben den Bei-trägen zur Geschichte und Standortbestimmungder Akademien, deren gesellschaftlichen undwissenschaftspolitischen Herausforderungen undder künftigen Struktur der Wissenschaftsakade-mien in Deutschland auch die Diskussionsbeiträ-ge aus dem Publikum.Der Band hat ca. 200 Seiten, kostet 29,80‡ undist über den Buchhandel erhältlich. (ISBN 3-515-07921-1)Inhalt des Bandes im einzelnen:❚ Die Rolle einer Akademie der Wissenschaften:

Veränderung und Kontinuitätvon Pieter J. D. Drenth

❚ Die deutschen Akademien der Wissenschaftenheute: Selbstverständnis, Aufgaben und Akti-vitätenvon Clemens Zintzen

❚ Die deutschen Wissenschaftsakademien im eu-ropäischen und internationalen Vergleichvon Dieter Herrmann

❚ Die deutschen Wissenschaftsakademien imdritten Jahrtausend – Herausforderungen undPerspektivenPodiumsdiskussion mit Horst Fuhrmann, Hein-rich Nöth, Winfried Schulze und Clemens Zintzen

❚ Was erwarten Gesellschaft und Politik von denAkademien?von Wolfgang Frühwald

❚ Was erwartet die Wissenschaft von den Aka-demien?von Winfried Schulze

❚ Wie können sich die Akademien den künftigenHerausforderungen in den Geisteswissenschaf-ten stellen?von Gotthard Lerchner

❚ Die Antwort der Akademien auf die Heraus-forderungen in den Technik- und Naturwissen-schaftenvon Franz Pischinger

❚ Zukunftsimpulse für Akademien aus der Sichtder Naturwissenschaften und der Medizinvon Helmut Sies

❚ Denkbare Akademiemodelle für die Zukunft:Kulturwissenschaftliche Grundlagenforschungvon Gottfried Seebaß

❚ Die Frage einer deutschen Nationalakademievon Horst Fuhrmann

Internationales Kolloquium – „Standards undMethoden der Volltextdigitalisierung“Am 8./9. Oktober 2001 wird an der UniversitätTrier ein internationales Kolloquium zum Thema„Standards und Methoden der Volltextdigitali-sierung“ durchgeführt. Zwei Tage lang werdeninternational renommierte Experten unterschied-liche Aspekte der Arbeit mit elektronischenVolltexten diskutieren.Sechzehn teils englische, teils deutsche Vorträgeaus den Bereichen der Lexikographie und Sprach-

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wissenschaft, des Archiv-, Bibliotheks- und Ver-lagswesens sowie der Informatik sollen eine leb-hafte Diskussion über die Arbeit mit und an elek-tronischen Volltexten in Gang setzen. In der the-matischen Breite zeigt sich die Vielfalt dessen,was in englischsprachigen Ländern schon längstals Humanities Computingbekannt ist – der Ein-satz der Informationstechnologie für die Geistes-wissenschaften.Als gemeinsamer Nenner allerVorträge kann der Einsatz internationaler Standardswie der Standard Generalized Markup LanguageSGML oder der etwas jüngerenExtensible MarkupLanguageXML angesehen werden: Die Verwen-dung dieser ’Sprachen’ soll die langjährige Daten-pflege und leichten Datentransfer auch über unter-schiedliche Betriebssysteme, Softwareprodukte undPlattformen hinweg ermöglichen. Das Kolloquiumwird veranstaltet vom „Kompetenzzentrum fürelektronische Erschließungs- und Publikationsver-fahren in den Geisteswissenschaften“ in Verbin-dung mit der Universitätsbibliothek, dem Universi-tätsrechenzentrum und dem Zentrum für Wissen-schaftliches Elektronisches Publizieren der Univer-sität Trier, der Mainzer Akademie sowie der Union.Das ausführliche Programm mit weiterführenden In-formationen ist im Internet unter der Adressehttp://www.kompetenzzentrum.unitrier.de zu finden.

Arbeitsgruppe „Elektronisches Publizieren“Die Arbeitsgruppe Elektronisches Publizierenhat eine eigene Homepage, die bei der GöttingerAkademie unter der Adresse: www.adwgoettin-gen.gwdg.de zu finden ist. Kernstück der allge-mein zugänglichen Seiten ist eine Checkliste hin-sichtlich der im Rahmen von Verlags-, Autoren-und Arbeitsverträgen zu beachtenden Vertrags-punkte unter besonderer Berücksichtigung urhe-berrechtlicher Aspekte des elektronischen Publi-zierens im wissenschaftlichen Bereich (Universi-tät, Akademien der Wissenschaften).

Kongreß „Bildung durch Wissenschaft“ am 21./22. Februar 2002 in Münchendie Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wil-helm Leibniz wird, unter der Federführung desInstituts für Erwachsenenbildung in Frankfurt,im Deutschen Museum München einen zweitägi-gen Kongreß zum Thema „Bildung durch Wis-senschaft“ durchführen. Alle deutschen Wissen-schaftsorganisationen sind zur Teilnahme an die-sem Kongreß eingeladen. Die Akademien unddie HRK werden als Kooperationspartner in dieVorbereitung und Ausführung des Kongressesmiteinbezogen.

Braunschweigische Wissenschaftliche Gesell-schaft – Gauß-Medaille 2001In ihrer Jahresversammlung am 18. Mai 2001verlieh die Braunschweigische Wissenschaftli-che Gesellschaft dieGauß-Medaillean RobertPiloty, Prof. em. für Datentechnik der TU Darm-stadt. Damit werden seine wissenschaftlichenVerdienste um die Pionierentwicklungen aufdem Gebiet der elektronischen Rechenanlagen,seine Beteiligung an der Entwicklung des Wis-senschaftsgebietes der Informatik inLehre undForschung gewürdigt.Piloty hat sehr früh die Be-deutung der elektronischen Rechenmaschinen er-kannt und an der TH München schon Anfang derfünfziger Jahre den Bau einer leistungsfähigenelektronischen Rechenanlage geleitet. Die PERMwar eine voll funktionsfähige digitale Rechenanla-ge, die 17 Jahre lang als Kern des Leibniz-Rechen-zentrums München diente. Als Professor der Da-tentechnik an der TU Darmstadt entwickelte er u.a.die Grundlagen von Beschreibungssprachen fürRechnerschaltungen.Die Gauß-Medaillewird seit 1949 an verdienteWissenschaftler der Natur-, Technik- oder Gei-steswissenschaften verliehen. (Heinz Duddeck)

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Personalia aus den Akademien

Es verstarben:

Benzing, Johannes, o. Mitglied der Akademie derWissenschaften und der Literatur, Mainz (Geistes-und sozialwissenschaftliche Klasse), Professor fürTurkologie in Mainz, † 16. März 2001Hachenberg, Otto, o. Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften,(Klasse für Naturwissenschaften und Medizin),o. Mitglied der Akademie der Wissenschaftenund der Literatur Mainz (Mathematisch-natur-wissenschaftliche Klasse), Professor für Radio-astronomie in Bonn, † 24. März 2001Kaufmann, Arthur, o. Mitglied der BayerischenAkademie der Wissenschaften (Philosophisch-historische Klasse), em. o. Professor des Straf-rechts, Strafprozeßrechts und der Rechtsphiloso-phie in München, † 11. April 2001Bethge,Heinz, o. Mitglied der Sächsischen Aka-demie der Wissenschaften (Mathematisch-natur-wissenschaftliche Klasse); korr. Mitglied derBayerischen Akademie der Wissenschaft (Ma-thematisch-naturwissenschaftliche Klasse); korr.Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademieder Wissenschaften (Klasse für Naturwissen-schaften und Medizin); korr. Mitglied der Aka-demie der Wissenschaften zu Göttingen, (Mathe-matisch-Physikalische Klasse); korr. Mitgliedder Heidelberger Akademie der Wissenschaften(Mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse);Ehrenmitglied der Berlin-BrandenburgischenAkademie der Wissenschaften; Altpräsident derDeutschen Akademie der Naturforscher Leopol-dina, Professor für Physik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, † 9. Mai 2001Gaudemet, Jean, korr. Mitglied der Akademieder Wissenschaften zu Göttingen (Philologisch-Historische Klasse), Professor der Rechtsge-schichte in Paris, † 17. Mai 2001Mayer, Hans, Ehrenmitglied der Berlin-Bran-denburgischen Akademie der Wissenschaften,Professor für Germanistik, † 19. Mai 2001Döring, Herbert, o. Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften(Klasse für Ingenieur- und Wirtschaftswissen-schaften), Professor für Hochfrequenztechnik inAachen, † 25. Mai 2001Kimmig , Wolfgang, korr. Mitglied der Heidel-berger Akademie der Wissenschaften (Philoso-phisch-historische Klasse), Professor für Vor-und Frühgeschichte in Tübingen, † 24. Mai 2001Schmelzer,Christoph, o. Mitglied der Heidel-berger Akademie der Wissenschaften (Mathema-tisch-naturwissenschaftliche Klasse), Professorfür Physik in Heidelberg, † 10. Juni 2001Jessberger,Hans-Ludwig, o. Mitglied der Nord-rhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaf-ten (Klasse für Ingenieur- und Wirtschaftwissen-

schaften), Professor für Grundbau und Bodenme-chanik in Bochum, † 3. August 2001Michaelis, Karl, o. Mitglied der Akademie derWissenschaften zu Göttingen (Philologisch-Hi-storische Klasse), Professor für BürgerlichesRecht, Zivilprozeßrecht und Deutsche Geschich-te in Göttingen, † 14. August 2001

Berlin-Brandenburgische Akademie derWissenschaften

Die Akademie hat sich wie folgt ergänzt:

Ordentliche Mitglieder

Geisteswissenschaftliche KlasseFrançois, Etienne, Professor für Sozial-und Kul-turgeschichte an der TU BerlinGiuliani , Luca, Professor für Archäologie inMünchenHildermeier , Manfred, Professor für Osteuro-päische Geschichte in GöttingenLehmann, Klaus-Dieter, Professor für Biblio-thekswissenschaft in Berlin, Präsident der Stif-tung Preußischer KulturbesitzNeiman, Susan, Professorin für Philosophie inPotsdam/Berlin, Direktorin des EinsteinforumsOsterhammel, Jürgen, Professor für Neuere Ge-schichte in Konstanz

Mathematisch-naturwissenschaftliche KlasseDeuflhard, Peter, Professor für Mathematik ander FU Berlin

Biowissenschaftlich-medizinische KlasseHeisenberg, Martin, Professor für Neurowissen-schaften in WürzburgJentsch, Thomas, Professor für Neurowissen-schaften in HamburgKahmann, Regine, Professorin für Mikrobiolo-gie/Genetik in Marburg, Direktorin am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie

Technikwissenschaftliche KlasseEncarnação, Jose, Professor für Informatik inDarmstadt

Außerordentliche Mitglieder

Geisteswissenschaftliche KlasseBorbein, Adolf, Professor für Klassische Ar-chäologie an der FU Berlin

Technikwissenschaftliche KlasseGerkan, Meinhard von, Professor für Architek-tur in Braunschweig

Page 65: Editorial - akademienunion.de · 66 Akademie-Journal 2/2001 Editorial Landessprachen wie das Englische in den USA oder Austra-lien, Amtssprachen wie vormals das Russische in der Sowjetunion

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Akademie-Journal 2/2001

Heidelberger Akademie derWissenschaften

Die Akademie hat sich wie folgt ergänzt:

Ordentliche Mitglieder

Philosophisch-historische KlasseWyss, Beat, Professor für Kunstgeschichte inStuttgart

Mathematisch-naturwissenschaftliche KlasseLeiderer, Paul, Professor für Physik in Konstanzvon Löhneysen, Hilbert, Professor für Festkör-perphysik in Karlsruhe

Korrespondierende Mitglieder

Philosophisch-historische KlasseWielandt, Rotraud, Professorin für Islamkundeund Arabistik in Bamberg

Akademie der Wissenschaften undder Literatur, Mainz

Die Akademie hat sich wie folgt ergänzt:

Ordentliche Mitglieder

Geistes- und sozialwissenschaftliche KlasseDuchhardt, Heinz, Direktor des Instituts für Euro-päische Geschichte, Abt. Universalgeschichte inMainzSchröder, Jan, Professor der Deutschen Rechts-geschichte, Verfassungsgeschichte und Bürgerli-ches Recht in TübingenSchulenburg, J.- Matthias Graf von der, Profes-sor der Betriebswirtschaftslehre in Hannover

Korrespondierende Mitglieder

Geistes- und sozialwissenschaftliche KlasseFalter, Jürgen, Professor der Politikwissenschaftin MainzRupprecht, Hans-Albert, Professor der Rechts-geschichte und Papyrologie in Marburg

Nordrhein-Westfälische Akademieder Wissenschaften

Die Akademie hat sich wie folgt ergänzt:

Ordentliche Mitglieder

Klasse für Ingenieur- und Wirtschaftswissen-schaftenErmert, Helmut, Professor für Maschinenbau inBochumPellens, Bernhard, Professor für Wirtschaftswis-senschaften in BochumSchweizer, Urs, Professor für Wirtschaftspolitikin Bonn

Wegener, Ingo, Professor für Informatik inDortmundWeck, Manfred, Professor für Werkzeugmaschi-nen in Aachen

Klasse für Naturwissenschaften und MedizinBroelsch, Christoph, Professor für Allgemeineund Transplantationschirurgie in EssenDahmen, Wolfgang, Professor für Geometrieund Praktische Mathematik in AachenElger, Christian, Professor für Epileptologie inBonnHatt , Hanns, Professor für Biologie in BochumHillenkamp , Heinz, Professor für MedizinischePhysik und Biophysik in MünsterKnust, Elisabeth, Professorin für Genetik inDüsseldorfMehlhorn , Heinz, Professor für Zoomorpholo-gie, Zellbiologie und Parasitologie in DüsseldorfMenten, Karl, Geschäftsführender Direktor desMPI für Radioastronomie in BonnPalme, Herbert, Professor für Mineralogie inKölnReetz, Manfred, Direktor am MPI für Kohlen-forschung in Mülheim a. d. RuhrWermes, Norbert, Professor für Experimental-physik in BonnZagier, Don, MPI für Mathematik in Bonn

Klasse für GeisteswissenschaftenHortschansky, Klaus, Professor für Musikwis-senschaften in MünsterKölzer, Theo, Professor für Geschichte in BonnMenke, Karl-Heinz, Professor für Dogmatik undTheologische Propädeutik in BonnSasse, Hans-Jürgen, Professor für Allgemeine undVergleichende Sprachwissenschaften in KölnWolter , Michael, Professor für EvangelischeTheologie in Bonn

Korrespondierende Mitglieder

Klasse für Ingenieur- und Wirtschaftswissen-schaftenMathis, Wolfgang, Professor für TheoretischeElektrotechnik in HannoverSinn, Hans-Werner, Professor für Nationalöko-nomie und Finanzwissenschaft in München

Klasse für Naturwissenschaften und MedizinWitkop , Bernhard, Professor für Medizin in Bet-hesda, Maryland, USA

Klasse für GeisteswissenschaftenBrzezinski, Tadeusz, Professor für MedizinischeHumanistik und Geschichte der Medizin in Stet-tin, PolenHannick, Christian, Professor für Slavische Phi-lologie in WürzburgWaltós, Stanislaw, Professor für Strafprozeß-recht in Krakau, Polen