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1 Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks – Education 2015/2016 Edward Elgar: Variationen über ein eigenes Thema (Enigma) für Orchester op. 36 Unterrichtsmaterial zur „Echtzeit“ am 17. Februar 2016 in der Philharmonie im Münchner Gasteig Robin Ticciati, Dirigent „My friends pictured within“ Edward Elgars Enigma-Variationen op. 36 im Musikunterricht Einführung Autor: Kilian Sprau Edward Elgar in den 1920er Jahren

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Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks – Education 2015/2016

Edward Elgar: Variationen über ein eigenes Thema (Enigma) für Orchester op. 36

Unterrichtsmaterial zur „Echtzeit“ am 17. Februar 2016 in der Philharmonie im Münchner Gasteig

Robin Ticciati, Dirigent

„M y friends pictured w ithin“

Edward Elgars Enigma-Variationen op. 36 im Musikunterricht

Einführung Autor: Kilian Sprau

Edward Elgar in den 1920er Jahren

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Dieser Reader enthält Abschnitte zu folgenden Themen:

Allgemeine Hinweise ........................................................................................................................... 3

Das Werkkonzept: 14 Variationen über ein Rätsel ............................................................................. 4

Edward Elgar und das britische Empire: Ein ‚Dream-Team‘ ................................................................ 5

Enigma-Variationen: Anmerkungen zur Werkgestalt ......................................................................... 6

Sind Elgars Enigma-Variationen ‚Programmmusik‘? ........................................................................... 8

Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung (1): Die ‚Porträts‘ als außermusikalischer Bezug .................... 9

(1) Einige der ‚Porträtierten‘ ................................................................................................. 9

(2) Selbst Porträts zu einzelnen Variationen erfinden ........................................................ 13

(3) Personenbeschreibungen zuordnen ............................................................................. 14

Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung (2): Das Thema und seine Variationen ................................. 15

(1) Das Thema selbst musizieren ........................................................................................ 16

(2) Namen vertonen............................................................................................................ 17

(3) Das Thema in den Variationen wiederfinden ................................................................ 18

Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung (3): Klangfarben hören.......................................................... 22

Was sich noch zu wissen lohnt .......................................................................................................... 24

Anhang .............................................................................................................................................. 26

1. Abbildungsnachweise ............................................................................................................ 26

2. Empfohlene Aufnahmen ....................................................................................................... 26

3. Kommentierte Literaturhinweise .......................................................................................... 26

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Allgemeine Hinweise

Die folgenden Seiten bieten, aus Anlass der Echtzeit 2015/16 des Bayerischen Rundfunks,

Anregungen dafür, Schülerinnen und Schüler auf ein musikalisches Live-Erlebnis vorzubereiten. Im

Zentrum steht ein Orchesterwerk des britischen Komponisten Edward Elgar: seine Variations on an

Original Theme („Enigma“) op. 36. Der Reader beginnt mit kurzen Einführungen zum Werkkonzept,

zum Entstehungskontext und zur Biographie des Komponisten. Es folgen detailliertere Informationen

zur Werkgestalt und didaktisch motivierte Überlegungen zum Thema Programmmusik. Den Hauptteil

des Readers bilden Vorschläge zur Behandlung dieses faszinierenden Orchesterwerks im schulischen

Musikunterricht. Ziel des Hefts ist es, Schülerinnen und Schülern den Kontakt mit einer Musik zu

erleichtern, die bei gelungener Vorbereitung eine mitreißende Konzerterfahrung verspricht.

Es wird empfohlen, Elgars Enigma-Variationen bzw. Ausschnitte daraus vor dem Konzertbesuch

möglichst viel mit den Schülerinnen und Schülern anzuhören. Um dies zu erleichtern, sind den

Vorschlägen zur Unterrichtsgestaltung unter dem Kürzel BR/Davis Links zu einer im Internet

verfügbaren Aufnahme des Werks beigegeben (Interpr.: Symphonieorchester des Bayerischen

Rundfunks; Ltg.: Sir Colin Davis). Die Links enthalten genaue Zeitangaben, um das Auffinden der

jeweiligen Stelle zu erleichtern. Ebenfalls beigegeben sind Links zu der im Web legal downloadbaren

Partitur mit genauen Seitenangaben.

Ein ausführlicher Anhang informiert über die Quellen der Abbildungen und macht detaillierte

Angaben zu den Aufnahmen, auf die innerhalb des Readers verwiesen wird. Am Ende steht ein

kommentiertes Verzeichnis mit Informationen zur verwendeten und zu weiterführender Literatur.

Zum Reader gehört auch ein separates Word-Dokument. Es enthält, als Bausteine zur

selbstständigen Gestaltung von Arbeitsblättern:

• sämtliche vorformulierten Arbeitsaufträge;

• das gesamte Noten- und Bildmaterial des Readers.

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Das Werkkonzept: 14 Variationen über ein Rätsel

Freunde zu sammeln wie Trophäen, eine Liste ihrer Namen anzufertigen und diese Liste der

Öffentlichkeit zu präsentieren – keine ungewöhnliche Beschäftigung. „Sag mir, wer Deine Freunde

sind (und wie viele Du hast!), dann sage ich Dir, wer Du bist!“ Nach diesem Prinzip funktionieren

Freundeslisten, wie sie heutzutage von überzeugten Facebook-Nutzern in den virtuellen Raum

gestellt werden. Von daher fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, welches Vergnügen es, lange Zeit

vor Facebook, auch dem Komponisten Edward Elgar bereitet haben mag, eine solche Freundesliste zu

erstellen. Vierzehn Personen und ein Hund sind auf seiner Liste versammelt: nähere und entferntere

Bekannte, Freunde, Mitarbeiter des Komponisten, auch die eigene Ehefrau, und eine Bulldogge –

meist dezent getarnt hinter den Anfangsbuchstaben ihrer Vor- und Nachnamen, gelegentlich mit

phantasievollen Spitznamen versehen, nur für Eingeweihte zu identifizieren. Der besondere Clou an

der Sache: Für jede dieser vierzehn Personen fertigt Elgar ein kleines Porträt an, und zwar ein

musikalisches. Mit den satten und leuchtenden Farben seiner klangvollen Orchestersprache ‚malt‘ er

ihre faszinierenden und schillernden Persönlichkeiten, bald respektvoll, bald liebevoll, bald mit

freundlichem oder kauzigem Humor. Auch Situationen, in denen sich die eine oder andere

Freundschaft bewährt hat, werden mit musikalischen Mitteln angedeutet. Und damit das Alles nicht

ein kunterbuntes Durcheinander von Eindrücken wird, sondern ein ernstzunehmendes

symphonisches Werk, gibt er dem Ganzen eine althergebrachte, ehrwürdige Form: ‚Variationen über

ein eigenes Thema‘ (Variations on an Original Theme) nennt er das Ergebnis. Damit allen klar ist, dass

es sich um eine Variationenfolge mit besonderer Bedeutung handelt, gibt er dem musikalischen

Thema, das seiner Freundesliste voransteht, einen auffälligen Titel: Er nennt es Enigma. Das ist

griechische Wort für ‚Rätsel‘; sein Orchesterwerk will also den Hörern Nüsse zu knacken geben, es

will ihre Phantasie in besonderer Weise beflügeln. Und um der Einbildungskraft seines Publikums

einen Tipp zu geben, in welche Richtung sie sich beim Zuhören bewegen soll, widmet er das Werk

den Freunden, die darin auf musikalische Weise porträtiert werden: „to my friends pictured within“.

Für den englischen Komponisten Edward Elgar bedeutete das Orchesterwerk Enigma-Variationen,

sein op. 36, den Durchbruch. Als es 1899 in London uraufgeführt wurde, war er zwar kein

Unbekannter mehr, aber er war auch noch nicht jener Star der britischen Musikszene, der er in den

folgenden Jahren werden sollte. Für diese glänzende Karriere, die ihm u.a. den ehrenvollen Titel

eines Ritters der britischen Krone einbrachte, waren die Enigma-Variationen der Startschuss.

Hierzulande ist dieses prachtvolle, farbenfrohe und höchst unterhaltsame Orchesterwerk noch

immer weit weniger bekannt, als es verdient hätte. Höchste Zeit, dass sich das ändert!

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Edward Elgar und das britische Empire: Ein ‚Dream-Team‘

Als Edward Elgar 1857 in einem kleinen Dorf in der englischen Grafschaft Worcestershire geboren

wurde, war keineswegs abzusehen, dass er eines Tages durch den britischen König zum Sir geadelt

werden würde. Die Familie seines Vaters, eines Klavierstimmers und Musikalienhändlers, war

keineswegs mit Reichtümern gesegnet, und Elgar brachte sich das Komponieren über weite Strecken

selbst bei (für den begehrten Studienaufenthalt auf dem Kontinent, in Leipzig, reichte das Geld

nicht). Erst als Elgar 1889 seine Klavierschülerin Alice heiratete, deren Familie besseren Kreisen

angehörte, begann ein gesellschaftlicher Aufstieg, der auch seiner Komponistenkarriere förderlich

war. In den 1890er Jahren machte er u.a. mit großformatigen Werken für Chor und Orchester von

sich reden; 1899 errangen dann seine Enigma-Variationen op. 36 einen Sensationserfolg. Ein

wirklicher ‚Schlager‘, den man noch heute weltweit kennt, wurde allerdings erst eine Melodie, die

Elgar 1901 in seinem seiner schmissigen Orchestermärsche verwendete; versehen mit dem Text Land

of Hope and Glory wurde sie zu einer Art inoffizieller Nationalhymne Großbritanniens. Spätestens seit

dem Erfolg dieses umwerfenden ‚Hits‘ galt Elgar als musikalisches Aushängeschild des britischen

Empire. Noch heute wird sein Pomp and Circumstance March Nr. 1, aus dessen Trio das Thema

stammt, traditionell bei der von der BBC veranstalteten Last Night of the Proms aufgeführt. Das

Publikum singt die einschlägig bekannte Melodie stets mit, auf den Text Land of Hope and Glory.1

Nach dem I. Weltkrieg wurde es wieder stiller um den Komponisten Elgar. Sein Bild in der

Öffentlichkeit war stark mit dem Image des imperialistischen Empires verbunden; so wie dieses an

triumphalem Glanz verloren hatte, schwand auch seine Reputation als Komponist. Der insgesamt

eher ‚sachliche‘ Stil der 1920er Jahre vertrug sich kaum noch mit dem aufrichtigen Pathos von Elgars

monumentalen Orchesterpartituren. Seine Musik begann, ‚aus der Mode‘ zu geraten. Doch auch in

dieser späteren Periode entstanden noch Meisterwerke von höchstem Rang, darunter das Konzert

für Violoncello und Orchester op. 85, das v.a. in der späteren Interpretation durch die Cellistin

Jacqueline du Pré bekannt wurde.2

Das heutige Konzertpublikum kommt hierzulande mit Elgars Werken eher selten in Kontakt. Ihre

manchmal demonstrative ‚Gewichtigkeit‘ sagt nicht jedermann zu. Dennoch bieten seine Werke

unübersehbare Qualitäten, die gerade auch ein junges Publikum anzusprechen vermögen. Dazu

gehören ihre unmittelbar packende Emotionalität, eine virtuose, klangfarbenreiche

Orchesterbehandlung und, nicht zuletzt, ein pfiffiger, very british anmutender Humor. Es lohnt sich

also, jungen Hörern den Zugang zu Elgars Musik zu ermöglichen – wenn die folgenden Seiten dabei

eine Hilfe sein können, ist ihr Zweck erfüllt.

1 Auf Youtube finden sich zahlreiche Aufnahmen dieser eindrucksvollen Zeremonie, z.B. (mit eingeblendetem

Text) unter https://www.youtube.com/watch?v=-v9RcYWC8-A (ab 1:54; Text und Publikumsgesang ab 2:48). 2 Die Film-Aufnahme eines Ausschnitts aus diesem Gipfelwerk der Cello-Literatur in der Interpretation du Prés

ist ebenfalls auf youtube zu sehen: https://www.youtube.com/watch?v=OH0jUQTCCQI

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Enigma-Variationen: Anmerkungen zur Werkgestalt

Titel: Variations on an Original Theme („Enigma“) op. 36

Uraufführung: 19. Juni 1899, London

Spieldauer: ca. 30–35 min.

Besetzung: 2 Flöten & Piccoloflöte

2 Oboen

2 Klarinetten

2 Fagotte

Kontrafagott

4 Hörner

3 Trompeten

3 Posaunen

Tuba

Pauken

Kleine und große Trommel

Triangel / Becken

Orgel (ad libitum)

1. Violinen

2. Violinen

Bratschen

Violoncelli

Kontrabässe

Satzfolge: Thema: „Enigma“ (Andante) (BR/Davis 01) (Partitur, S. 1–3)

Var. 1: C.A.E. (L’istesso tempo) (BR/Davis 02) (Partitur, S. 4–7)

Var. 2: H.D.S.-P. (Allegro) (BR/Davis 03) (Partitur, S. 8–14)

Var. 3: R.B.T. (Allegretto) (BR/Davis 04) (Partitur, S. 15–19)

Var. 4: W.M.B. (Allegro di molto) (BR/Davis 05) (Partitur, S. 20–23)

Var. 5: R.P.A. (Moderato) (BR/Davis 06) (Partitur, S. 24–30)

Var. 6: Ysobel (Andantino) (BR/Davis 07) (Partitur, S. 31–34)

Var. 7: Troyte (Presto) (BR/Davis 08) (Partitur, S. 35–46)

Var. 8: W.N. (Allegretto) (BR/Davis 09) (Partitur, S. 47–51)

Var. 9: Nimrod (Adagio) (BR/Davis 10) (Partitur, S. 52–56)

Var. 10: Dorabella. Intermezzo (Allegretto) (BR/Davis 11) (Partitur, S. 57–73)

Var. 11: G.R.S. (Allegro di molto) (BR/Davis 12) (Partitur, S. 74–81)

Var. 12: B.G.N. (Andante) (BR/Davis 13) (Partitur, S. 82–86)

Var. 13: *** Romanza (Moderato) (BR/Davis 14) (Partitur, S. 87–92)

Var. 14: E.D.U. Finale (Allegro) (BR/Davis 15) (Partitur, S. 93–128)

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Will man Schülerinnen und Schülern mit den Enigma-Variationen zu einem erfüllenden

Konzerterlebnis verhelfen, sollte man sie die Musik des Werks im Vorfeld viel hören lassen. Die

Eindrücke wechseln rasch in diesem Werk; von Variation zu Variation ändern sich Stimmung, Tempo

und Orchesterklang. Manche Sätze lassen sich zwar viel Zeit, entfalten ihre Aussage ruhig und

bedachtsam. Immer wieder aber spielen sich Ereignisse ab, die vorüber sind, bevor sie ‚richtig

angefangen haben‘; manche der Variationen ‚flitzen‘ förmlich am Hörer vorbei und dauern kaum

eine Minute. Hier ist es besonders wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler im Konzert

‚Wiedererkennungs‘-Erlebnisse haben, dass sie sich mit der Musik, die sie zu hören bekommen,

bereits vorher auseinandergesetzt haben.

Man kann den Enigma-Variationen auf vielfältige Weise zuhören:

• Will man sich ihnen eher emotional überlassen und die Gedanken schweifen lassen, bietet es

sich an, Assoziationen freien Lauf zu lassen, sich z.B. in der Phantasie die menschlichen

Vorbilder für die ‚Porträts‘ in den einzelnen Variationen auszumalen (siehe unten: Vorschläge

zur Unterrichtsgestaltung (1): Die ‚Porträtierten‘ als außermusikalischer Bezugspunkt).

• Ist man hingegen an strukturellen Fragestellungen interessiert, bietet es sich an, zu

verfolgen, in welcher Form und mit welchen Veränderungen das Thema in den einzelnen

Variationen erscheint (siehe unten: Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung (2): Das Thema und

seine Variationen). Hat man sich die Melodie des Themas einmal eingeprägt, ist es oft nicht

schwer, sie wiederzuerkennen. Manchmal aber hat der Komponist sie auch gut versteckt,

dann gleicht das Zuhören ein wenig dem Spiel „Auf diesem Bild haben wir eine Maus

versteckt. Findest Du sie?“

• Für Fans des romantischen Orchesterklangs ist Elgars virtuose Instrumentationstechnik ein

wahrer Ohrenschmaus. Wer erleben will, wie man Orchesterinstrumente auf

charakteristische Weise zum Einsatz bringt, spezielle Instrumentaleffekte für besondere

Klangwirkungen nutzt oder durch geschickte Instrumentierung gewaltige, mitreißende

Steigerungen erzielt, der kommt bei Elgar voll auf seine Kosten. Die Enigma-Variationen

bieten zahlreiche Leckerbissen für Orchester-Gourmets (siehe unten: Vorschläge zur

Unterrichtsgestaltung (3): Klangfarben hören).

Zu den großen Stärken der Enigma-Variationen zählt, dass sie für verschiedenste Hörertypen

Attraktionen bieten. Man muss keine Partitur lesen können, um dieses Werk lieben zu lernen. Aber

auch für Partiturlese-‚Cracks‘, die sich mit allen Schlüsseln und transponierenden Instrumenten

bestens auskennen, hält das Werk zahlreiche Entdeckungen bereit. In den folgenden Kapiteln finden

sich Anregungen zu Hörerfahrungen, die Schülerinnen und Schüler mit diesem Orchesterwerk

machen können.

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Sind Elgars Enigma-Variationen ‚Programmmusik‘?

Da es schwierig ist, den Begriff Programmmusik verbindlich zu bestimmen3, lässt sich diese Frage

nicht definitiv beantworten. Vergleicht man aber Elgars Enigma-Variationen mit einigen

Standardwerken, die Schülerinnen und Schülern häufig als Beispiele für Programmmusik vorgestellt

werden, fallen Unterschiede auf. Werke wie Die Moldau von B. Smetana, Till Eulenspiegel von R.

Strauss oder Der Zauberlehrling von P. Dukas lassen sich z.B. als ‚erzählende‘ Musik begreifen.4 Diese

Werke beruhen also auf ‚Geschichten‘ im weitesten Sinne; zumindest kann man sie als musikalische

Umsetzungen von Ereignisfolgen verstehen. Elgars Enigma-Variationen nehmen zwar ebenfalls auf

‚außermusikalische‘ Gegebenheiten Bezug: Sie ‚porträtieren‘ auf musikalische Weise menschliche

Wesenszüge und Charaktereigenschaften, enthalten auch manchmal akustische Schilderungen

einzelner Ereignisse oder Vorgänge. Aber sie erzählen keine ‚Geschichte‘, und schon gar keine, die

man vom ersten bis zum letzten Takt verfolgen könnte.

Dies bedeutet, dass die einzelnen Variationen nicht aufeinander aufbauen (wie etwa die Kapitel eines

Romans auseinander folgen und sich aufeinander beziehen). Natürlich hat zwar der Komponist die

Reihenfolge der Sätze nicht zufällig gewählt: Er hat sie so angeordnet, dass eine abwechslungsreiche

Abfolge von Stimmungen und musikalischen Gestaltungsmitteln entsteht. Aber es gibt keine

außermusikalische Logik, nach der die einzelnen ‚Porträts‘ so und nicht anders angeordnet werden

müssen.

Daraus folgt: Wenn man Schülerinnen und Schülern im Vorfeld des Konzerts mit dem Werk bekannt

machen will, muss man die Variationen nicht unbedingt in der Reihenfolge präsentieren, in die der

Komponist sie gebracht hat. Man kann einzelne Sätze aus dem Zusammenhang herausgreifen, je

nachdem, was man gerade zeigen will oder was die Klasse üben soll. Evtl. ist es besser, einige

ausgewählte Variationen mehrfach unter verschiedenen Gesichtspunkten zu behandeln (so dass

diese sich besonders gut einprägen), als um jeden Preis das ganze Werk anzuhören.

Ob man die Enigma-Variationen nun als ‚Programmmusik‘ verstehen will oder nicht: Es gibt in jedem

Fall keinen ‚außermusikalischen‘ Zusammenhang, der sich nur dann erschließt, wenn man das Stück

als Ganzes und am Stück anhört.

3 Detlef Altenburg scheibt im MGG-Artikel Programmusik, hinsichtlich dieses Begriffs herrsche „in der

Musikwissenschaft eine babylonische Sprachverwirrung“ (Altenburg, Programmusik, Sp. 1821). 4 Das Thema ‚Narrativität in der Musik ‘ ist in der Musikwissenschaft seit den 1980er Jahren ein intensiv

bestelltes Forschungsfeld. Eine gut lesbare Einführung bietet: Klassen, Was die Musik erzählt.

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Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung (1): Die ‚Porträts‘ als außermusikalischer Bezug

Für das Publikum der Uraufführung 1899 waren die außermusikalischen Bezüge der Enigma-

Variationen noch ein echtes Rätsel. Bekannt war nur: Jeder Satz des Werks charakterisierte auf

musikalische Weise einen Freund oder eine Freundin des Komponisten – kaum mehr. Wer den

Freundeskreis Elgars nicht persönlich kannte, konnte sich unter den Abkürzungen und Spitznamen,

die den einzelnen Variationen vorangestellt sind, kaum etwas vorstellen. Später hat der Komponist

dann die Geheimnisse größtenteils gelüftet, die Namen der ‚Porträtierten‘ bekannt gegeben und

wesentliche Charaktereigenschaften der betreffenden Personen genannt oder auch bestimmte

Situationen geschildert, die er mit ihnen erlebt hatte.

Elgar hat für sein op. 36 eine höchst ausdrucksvolle Tonsprache gefunden, die vielfache

Assoziationen zulässt und teilweise so plastisch-illustrativ wirkt wie Filmmusik (tatsächlich wurden

Ausschnitte des Werks als Filmmusik verwendet5). Es liegt nahe, Schülerinnen und Schülern die

Enigma-Variationen über ihren ‚außermusikalischen‘ Bezug näherzubringen. Im Folgenden sind

einige hierzu besonders geeignete Sätze des Werks aufgelistet, zusammen mit den verbalen

Kommentaren und Fotografien der ‚hinter‘ den Variationen ‚verborgenen‘ Originalpersonen.6

Anschließend werden Vorschläge gemacht, wie mit diesem Material Unterrichtssequenzen gestaltet

werden können.

(1) Einige der ‚Porträtierten‘

Name: Caroline Alice Elgar

Beschreibung: Die Ehefrau Edward Elgars. Vor der Ehe war sie seine Klavierschülerin. Sie ist die

zentrale Person im Leben des Komponisten, ein romantischer, geistvoller Mensch, enorm wichtig für

sein künstlerisches Schaffen.7

5 U.a. die Var. 10 Nimrod am Schluss des 20th Century Fox-Films Australia (2008).

6 Elgars Personenbeschreibungen sind im Buch My Friends Pictured Within (Novello, 1846) enthalten. Aus

dieser Publikation stammen, soweit nicht anders angegeben, die im Folgenden präsentierten

Personencharakteristiken und Fotografien. 7 Vgl. hierzu Saremba, Der Meister und Alice, S. 96 f.

1. Variation: C. A. E.

(BR/Davis 01) (Partitur, S. 4–7)

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Name: William Meath Baker

Beschreibung: Ein Adeliger, der die Aufgabe hat, eine Gruppe von Gästen für eine Landpartie auf

verschiedene Fahrzeuge zu verteilen. In befehlshaberischem Ton liest er die Namen der Gäste vor

und verlässt dann den Raum mit einem Türknallen. Die Musik schildert auch die spöttischen

Reaktionen der Gäste.

Name: Richard P. Arnold

Bechreibung: Ein vielseitiger Charakter, tiefsinnig, aber mit Humor. Er führt ernste Gespräche, die er

gerne mit überraschenden, witzigen und amüsanten Bemerkungen unterbricht.

Name: Arthur Troyte Griffith

Beschreibung: Architekt und Klavierschüler des Komponisten. In der Musik kann man hören, dass

Troyte das Klavier nicht sehr sensibel behandelt. Versuche des Klavierlehrers, ihm etwas mehr

Rhythmusgefühl beizubringen, scheitern. Das Stück endet mit einem lauten ‚Schlag‘ des Orchesters –

offenbar hat einer der beiden Herren verzweifelt den Klavierdeckel zugeschlagen…

4. Variation: W. M. B.

(BR/Davis 05) (Partitur, S. 20–23)

5. Variation: R. P. A.

(BR/Davis 06) (Partitur, S. 24–30)

7. Variation: Troyte

(BR/Davis 08) (Partitur, S. 35–46)

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Name: August Johannes Jaeger

Beschreibung: Ein besonders guter Freund des Komponisten, ein Mensch mit einer „guten,

liebenswerten Seele“ in der „Brust“8. Auch ein kenntnisreicher Berater des Komponisten in

musikalischen Dingen. [Der Titel der Variation Nimrod spielt an auf den deutschen Nachnamen

Jaegers: Nimrod ist eine mythische Figur, die u.a. in der Bibel erwähnt wird, und zwar als „gewaltiger

Jäger“ (1. Mose, 10, 9).]

Name: Dora Penny

Beschreibung: Eine Person, die sich mit tänzerischer Leichtigkeit bewegt. Beim Sprechen stammelt

sie manchmal ein bisschen. [Der Titel der Variation bezieht sich auf die gleichnamige Figur aus

Mozarts Oper Cosí fan tutte.]

8 Zitiert nach: Dunsby, Vorwort, S. VIII.

9. Variation: Nimrod

(BR/Davis 10) (Partitur, S. 52–56)

10. Variation: Dorabella

(BR/Davis 11) (Partitur, S. 57–73)

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Name: George Robertson Sinclair

Beschreibung: Die Musik dieser Variation bezieht sich nicht auf Herrn Sinclair, sondern auf seine

Dogge Dan, die in Elgars Freundeskreis berühmt war. Die Musik ist inspiriert durch einen

actionreichen Zwischenfall: Der Hund Dan fällt (möglicherweise auf einem Spaziergang) in den Fluss

und muss nun gegen den Strom paddeln, um ans Ufer zu gelangen. Dass er glücklich an Land

gekommen ist, meldet er mit lautem Bellen.

Name: ???

Beschreibung: Wer die Dame ist, die in dieser Variation porträtiert wird, hat der Komponist nie

verraten.9 Der Titel „Romanze“ weist allerdings darauf hin, dass sie sehr wichtig für ihn war. In der

Mitte dieser Variation kommt eine auffällige Passage vor, in der der Paukist auf seinem Instrument

mit Trommelschlägeln einen Wirbel spielen muss (BR/Davis 14, 0:26–1:08) (Partitur, S. 88/89). Das

Ergebnis klingt dem Geräusch eines Schiffsmotors ähnlich. Das ist kein Zufall: Zum Zeitpunkt der

Komposition befand sich die Dame auf einer Seereise (zweifellos mit einem Ozeandampfer).

9 Vgl. Heldt, Elgar, Sp. 229.

11. Variation: G. R. S.

(BR/Davis 12) (Partitur, S. 74–81)

13. Variation: (***) Romanza

(BR/Davis 14) (Partitur, S. ?

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(2) Selbst Porträts zu einzelnen Variationen erfinden

Die Schülerinnen und Schüler hören einzelne Variationen an und beantworten für sich selbst Fragen

wie:

• Welcher Typ Mensch könnte in der gehörten Musik ‚porträtiert‘ sein? Welche

Charaktereigenschaften hat die Person? Ist sie z.B. freundlich und entgegenkommend oder

eher eigenbrötlerisch und kauzig? Ist sie lebensfroh und abenteuerlustig oder eher

melancholisch und nachdenklich?

• Welches Alter könnte die Person haben? Wie könnte sie aussehen? Wie bewegt sie sich?

• In welcher Umgebung oder bei welcher Tätigkeit wird die Person ‚porträtiert‘? Hat sie

einen Beruf? Wenn ja, welchen?

Mit diesen Fragen verbundene Arbeitsaufträge können sehr verschieden lauten, je nachdem, auf

welchem Reflexionsstand die Schülerinnen und Schüler sich befinden und welche Mittel ihnen zur

Verfügung stehen, ihre Eindrücke wiederzugeben. Einige Vorschläge:

• Hört Euch die Musik genau an und stellt Euch die musikalisch dargestellte Person vor. Malt

ein Bild von ihr. Vergleicht die Ergebnisse miteinander. Habt Ihr Euch ähnliche Personen

vorgestellt oder ganz verschiedene?

• Hört Euch die Musik genau an und stellt Euch die musikalisch dargestellte Person vor.

Fertigt einen Steckbrief an, der die Person genau beschreibt. Vergleicht anschließend Eure

Steckbriefe. Sind sie ähnlich oder ganz unterschiedlich ausgefallen?

• Hört Euch die Musik genau an und stellt Euch die musikalisch dargestellte Person vor.

Beschreibt die Person in Worten. Vergleicht die von Euch beschriebenen Personen. Ähneln

sie einander?

Im Anschluss an den Ergebnisvergleich sollte eine Reflexionsphase erfolgen:

• Hört Euch die Musik noch ein zweites Mal an. Überlegt, aufgrund welcher musikalischen

Gestaltungsmittel ihr zu Eurer Vorstellung gekommen seid. War die Musik z.B. laut oder

eher leise? War das Tempo schnell oder langsam? Stand das Stück in Dur oder Moll? Waren

eher hohe, helle oder eher tiefe, dumpfe Instrumentalklänge zu hören? Welche Gefühle

hat die Musik in Euch ausgelöst?

In jedem Fall sollte am Ende eine ‚Auflösung‘ des ‚Rätsels‘ stehen: Die Klasse erfährt, wie der

Komponist selbst die ‚porträtierte‘ Person charakterisiert hat und bekommt evtl. ein Foto von ihr zu

sehen.

Wichtig: Assoziationen zur Musik können nicht ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ sein: Dieselbe Musik kann von

verschiedenen Hörern unterschiedlich empfunden werden. Es kommt also nicht darauf an, dass die

Personenbeschreibungen der Schülerinnen und Schüler den ‚Originalen‘ möglichst nahekommen.

Wichtig ist vielmehr, dass sie der Musik aufmerksam zuhören und sich bewusst machen, aufgrund

welcher musikalischen Gestaltungsmittel sie zum jeweiligen Ergebnis gekommen sind.

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(3) Personenbeschreibungen zuordnen

Diesmal wird der Weg in umgekehrter Richtung beschritten. Die Klasse erfährt zuerst, wie der

Komponist die von ihm musikalisch ‚porträtierten‘ Personen gesehen hat. Dann hört sie die jeweilige

Musik an. Arbeitsaufträge könnten in diesem Zusammenhang wie folgt lauten:

• Ihr hört zunächst die Personenbeschreibung von einem Freund/einer Freundin des

Komponisten. Anschließend hört ihr die Musik, die Elgar geschrieben hat, um die

betreffende Person zu charakterisieren.

• Diskutiert darüber, ob die Musik, die der Komponist geschrieben hat, zu der ‚porträtierten‘

Person passt. Begründet Eure Meinung.

Derselbe Auftrag kann auch mit mehreren Personen bzw. Variationen gleichzeitig verbunden

werden, z.B. in Form einer Art Ratespiel:

• Ihr hört zunächst die Personenbeschreibung von zwei/drei Freunden des Komponisten.

Prägt Euch die genannten Charakterzüge oder die Situationen, in denen sie beschrieben

werden, gut ein. (Schreibt Euch die wichtigsten Merkmale in Stichpunkten auf.)

• Anschließend hört ihr die Musik, die Elgar geschrieben hat, um die betreffenden Personen

zu charakterisieren, aber in vertauschter Reihenfolge. Versucht, jedes Musikstück einer der

drei Personen zuzuordnen.

• Überlegt dabei, warum ihr die jeweilige Musik der betreffenden Person zuordnet. Welche

musikalischen Gestaltungsmittel geben den Ausschlag: Ist die Musik laut oder eher leise?

Ist das Tempo schnell oder langsam? Welche Instrumente erklingen? Wie ist der Ausdruck

der Musik – z.B. lustig / traurig / aggressiv / gefühlvoll / bewegt / ruhig?

Auch hier muss natürlich am Ende eine Auflösung des ‚Rätsels‘ erfolgen. Ggfs. können die

Schülerinnen und Schüler anschließend über ihre Eindrücke diskutieren.

• Sind die musikalischen ‚Porträts‘ des Komponisten überzeugend? Warum?/Warum nicht?

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15

Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung (2): Das Thema und seine Variationen

Vergleicht man Elgars Enigma-Variationen mit einer klassischen Variationenfolge, etwa dem 1. Satz

aus Mozarts Klaviersonate in A-Dur KV 33110, so fallen bedeutende Unterschiede auf. Mozarts

Variationen gehören zum Typus der Figuralvariation: Das Thema wird in den einzelnen Variationen

‚figuriert‘, also: ausgeziert, umspielt, „mit rhythmischen Mustern [umschrieben], die von Variation zu

Variation wechseln“11:

In Mozarts Sonatensatz dauern daher fast alle Variationen genau gleich lang; der Hörer kann das

Thema sozusagen während jeder Variation ‚in Echtzeit‘ innerlich mithören. (Erst kurz vor Schluss, in

den großangelegten Variationen 5 und 6 ändert sich das.)

Elgars Enigma-Variationen folgen einem anderen Prinzip: Jeder Satz stellt für sich genommen eine

selbstständige kleine Komposition mit eigenem Ausdruck und Gehalt, ein sogenanntes

Charakterstück dar. Das Gesamtwerk bildet einen Zyklus solcher Charakterstücke, ähnlich etwa den

Bildern einer Ausstellung von M. Mussorgskij. Von anderen Werken dieser Art unterscheidet sich

aber Elgars op. 36 dadurch, dass die einzelnen Sätze einen gemeinsamen Bezug auf dasjenige

Charakterstück aufweisen, das der Komponist dem Werk als eine Art Motto – eben als Thema –

voranstellt.12 Der Bezug der einzelnen Sätze auf dieses Thema ist viel freier als bei Figuralvariationen

nach Art der zitierten Mozartsonate; manchmal ist dieser Bezug sehr deutlich, manchmal eher

versteckt. Es kann großes Vergnügen bereiten, beim Anhören der einzelnen Sätze zu beobachten, in

welcher Form der Komponist das Thema jeweils eingearbeitet hat.

10

Über open access verfügbare Aufnahme: http://www.mozart-music-system.de/mozart-turm/serie17.htm 11

Kühn, Formenlehre, S. 183. 12

Dieses Prinzip der romantischen „Charaktervariation“ (vgl. Kühn, Formenlehre, S. 183) wurde wesentlich von

dem Komponisten Robert Schumann geprägt; als Muster kann sein Klavierwerk Carnaval op. 9 gelten.

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(1) Das Thema selbst musizieren

Das Thema der Enigma-Variationen (BR/Davis 01) besteht aus drei Abschnitten: einem eher

getragenen, melancholischen in g-Moll, der am Schluss in variierter Form wiederholt wird (Partitur,

S. 1 und 3), und einem Mittelteil, der in G-Dur steht und so etwas ‚aufhellend‘ wirkt (Partitur, S. 2).

Wer das musikalische Thema der Enigma-Variationen in den einzelnen Sätzen wiedererkennen will,

muss es sich zunächst gut einprägen. Das folgende Notenbeispiel zeigt einen Spielsatz zum ersten

Abschnitt des Themas, der mit Schülerinnen und Schülern im Unterricht ausgeführt werden kann.

Dem eigentlichen Thema sind hinzugefügt:

a) eine Gerüststimme, die v.a. zu Beginn strukturell entscheidende Töne des Themas enthält;

b) eine Bassstimme, die großteils aus Elgars originalem Orchestersatz stammt.

Arbeitsauftrag: Musiziert gemeinsam den folgenden Mitspielsatz.

• Die Gerüststimme kann von der Schülergruppe mit Boomwhakern ausgeführt werden (siehe

Farbpunkte); auch eine Ausführung auf Stabspielen ist natürlich möglich (Achtung: es werden

nacheinander die Töne es und e benötigt).

• Das Thema erfordert einen geübten Spieler (u.U. die Lehrperson selbst). Natürlich kann das

Thema auch ‚vom Band‘ kommen, wenn zur Aufnahme musiziert wird.

• Die Bassstimme kann von geübten Schülerinnen/Schülern, z.B. auf Stabspielen, ausgeführt

werden.

Während des Einstudierens haben die Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit, den Beginn des

Themas mehrmals zu hören und sich einzuprägen. Der Mitspielsatz zeichnet durch global an- und

wieder absteigenden Tonhöhenverlauf die Spannungskurve des ersten Themen-Abschnitts nach.

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17

(2) Namen vertonen

Ein findiger Interpret hat erkannt, dass das Motiv, mit dem das Thema beginnt, mit dem Namen des

Komponisten textiert werden kann. Tonhöhenverlauf und Rhythmus entsprechen genau der Art, in

der man den Namen ‚Edward Elgar’ aussprechen würde:

Charakteristisch für dieses Motiv sind u.a.:

• eine Zickzackbewegung im Tonhöhenverlauf;

• der Rhythmus kurz–kurz–lang–lang.

Arbeitsauftrag 1: Singt den ersten Takt des Themas (ggfs. zur Aufnahme) auf den Text „Edward

Elgar“.

Arbeitsauftrag 2: Untersucht, in welchen Takten des ersten Themenabschnitts (siehe Mitspielsatz)

der Rhythmus dieses ‚Edward Elgar-Motivs‘ erneut auftaucht?

Antwort: (T. 3 und 5).

Tatsächlich kann die Melodie in allen 6 Takten auf den Rhythmus des ersten Takts zurückgeführt

werden: in T. 1, 3 und 5 tritt er original, in T. 2, 4 und 6 im Krebs auf.

Arbeitsauftrag 3: Schreibt Euren eigenen Vornamen als musikalisches Motiv auf.

Um die Vergleichbarkeit der verschiedenen Ergebnisse zu erleichtern, empfiehlt es sich, den Vorrat

an Tonhöhen und Tondauern im Voraus festzulegen. Z.B.:

• Tonvorrat: c, f a

• Rhythmus: Viertelnoten und Achtelnoten

Bsp.:

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(3) Das Thema in den Variationen wiederfinden

Möchte man die Melodie des Themas in den einzelnen Variationen ‚aufstöbern‘, empfiehlt es sich,

nach den genannten Elementen des ersten Themen-Takts zu suchen:

• Tonhöhenverlauf: Zickzack

• Rhythmus: kurz–kurz–lang–lang

• mögliche Textierung: „Edward Elgar“.

Vorsicht: Nicht immer, wenn das Thema in den Variationen auftaucht, sind alle diese Elemente

vertreten – es wird ja schließlich variiert (= verändert). Sein Auftreten in den einzelnen Variationen

wahrzunehmen, ist also nicht immer leicht. Je mehr in der jeweiligen Variation die Melodie des

Themas ihrer Originalgestalt ‚entfremdet‘ wird, desto mehr empfiehlt es sich daher, die Schülerinnen

und Schüler bei den folgenden Übungen nicht nur die entsprechenden Werkausschnitte hören zu

lassen, sondern auch die Partitur oder die angegebenen Notenbeispiele zu Hilfe zu nehmen.

Bei jedem Variationsbeginn kann auch darüber diskutiert werden, inwiefern außer Tonhöhe und

Rhythmus noch andere Parameter der musikalischen Gestaltung von der ersten Einführung des

Themas am Werkbeginn abweichen. Z.B.:

• Ist das Tempo langsamer/schneller als im am Werkanfang?

• Ist die Dynamik verändert? Spielt das Orchester lauter oder leiser als am Werkanfang?

• Welche Instrumentierung hat der Komponist gewählt? Sind bestimmte

Instrumentengruppen besonders stark vertreten (Holzbläser, Blechbläser, Schlagzeug,

Streicher)? Kann man einzelne Instrumente besonders gut aus dem Orchesterklang

‚heraushören‘? Vgl. hierzu auch unten: Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung (3): Klangfarben

hören.

Von der Gestaltung auf all diesen Ebenen ist der Ausdruck oder Charakter der jeweiligen Variation

abhängig, der ebenfalls mit Worten beschrieben werden kann. Vgl. hierzu auch oben: Vorschläge zur

Unterrichtsgestaltung (1): Die ‚Porträts‘ als außermusikalischer Bezug.

Tipp: Ggfs. empfiehlt es sich, der Klasse die in den folgenden Notenbeispielen gegebenen

Melodieausschnitte vorzuspielen (z.B. auf dem Klavier), während die Aufnahme läuft, um die

Höraufmerksamkeit auf die ‚richtige Stelle‘ des Orchesterklangs zu richten.

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Arbeitsauftrag: Hört die folgenden Variationsanfänge an. Beschreibt, auf welche Weise jeweils die

Melodie des Themas verändert wurde:

a) im Rhythmus b) im Tonhöhenverlauf c) in beiderlei Hinsicht.

Var. 1 C.A.E.

Zu Beginn der ersten Variation (BR/Davis 02) (Partitur, S. 4) tritt der Themenbeginn in 1. Flöte, 2.

Violinen und Bratschen auf:

Der Tonhöhenverlauf entspricht exakt der Originalgestalt des Themas; der Rhythmus ist stark

verändert.

Var. 3 R.B.T.

Hier erscheint der Themenbeginn in der Solo-Oboe (BR/Davis 04) (Partitur, S. 15):

Der Rhythmus ist stark verändert. Der Tonhöhenverlauf ist ähnlich wie der des Themas, allerdings

nach G-Dur gewendet. Besprochen werden sollte die Spielanweisung scherzando: Der Charakter

dieser Musik unterscheidet sich sehr vom eher melancholischen Ausdruck, den das Thema am

Werkbeginn hat.

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Var. 4 W.M.B.

Der Themenbeginn erklingt in Oboe, Klarinette und Violinen (BR/Davis 05) (Partitur, S. 20):

Tonhöhenverlauf und Tondauern sind identisch mit der Originalgestalt des Themenbeginns.

Allerdings hat Elgar die Pausen fortgelassen: Hieraus ergibt sich eine veränderte Taktvorzeichnung

(3/4-Takt anstelle des ursprünglichen 4/4-Takts).

Var. 9 Nimrod

Den Themenbeginn spielen zu Beginn die 1. Violinen (BR/Davis 10) (Partitur, S. 52):

Das Thema ist hier nach Es-Dur transponiert. Für den Vergleich von Variation und Originalgestalt ist

es hilfreich, das Notenbeispiel nach G-Dur zurück zu transponieren:

Nun wird deutlich: Abgesehen vom neuen Tongeschlecht ist der Tonhöhenverlauf nahezu identisch

mit der Originalgestalt. Der Rhythmus wurde verändert wie in Var. 4: Die Pausen fallen weg, die

originalen Tondauern aber bleiben bestehen.

Var. 11 G.R.S.

Der Themenbeginn wird hier von Fagotten und Kontrabässen gespielt: (BR/Davis 12) (Partitur, S. 74):

Alle Noten sind hier exakt gleich lang; der Rhythmus der Originalgestalt wurde also total

fallengelassen. Der Tonhöhenverlauf des Themenbeginns hingegen wurde exakt beibehalten –

allerdings in eine viel tiefere Oktavlage versetzt.

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Var. 12: B.G.N.

Im Zentrum dieses Variationsbeginns steht der Einsatz eines Solo-Violoncellos (BR/Davis 13) (Partitur,

S. 82):

Der Tonhöhenverlauf ist hier ganz anders als zu Beginn des Themas (er erinnert eher an die Takte 3–4

als an den Themenbeginn). Der Rhythmus ist aber mit dem des ursprünglichen Themenbeginns

identisch.

___

Vergleicht man die analysierten Variationsanfänge miteinander, fällt auf, dass meist die rhythmische

Gestalt des Originalthemas stärker als der Tonhöhenverlauf verändert wird. Es folgt hier noch der

Beginn einer höchst bemerkenswerten Variation, in der Elgar genau umgekehrt vorgeht:

Var. 7: Troyte

Der Bezug zum Thema wird von den Pauken, Violoncelli und Kontrabässen hergestellt (BR/Davis 08)

(Partitur, S. 35):

Von der Melodie des Themas ist hier (außer einer grundsätzlichen Zickzackbewegung) so gut wie

nichts übriggeblieben. Die Stelle basiert hauptsächlich auf dem Rhythmus des Themenbeginns: kurz–

kurz–lang–lang. Nach Elgars Auskunft imitiert diese eigenartige Variation die gut gelaunten, aber

ungeschickten Klavierspielversuche des hier porträtierten Freundes. (Vgl. hierzu oben Einige der

‚Porträtierten‘).

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Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung (3): Klangfarben hören

Wenn die Orchestermitglieder die Bühne betreten, um Elgars Enigma-Variationen aufzuführen, fällt

schnell auf, dass hier geballte ‚Man-[und woman]power‘ auf den Plan tritt: Wie in der Spätromantik

üblich, handelt es sich um eine große Besetzung (siehe oben: Anmerkungen zur Werkgestalt). Die vier

Instrumentengruppen (Holzbläser, Blechbläser, Schlagwerk, Streicher) sind also dicht besetzt; die

Standardbesetzung der Holzbläser z.B. ist um Piccoloflöte und Kontrafagott erweitert; die Gruppe der

Schlaginstrumente umfasst außer Pauken auch große und kleine Trommel, Triangel und Becken. Im

letzten Satz kann sogar, wenn gewünscht (bzw. vorhanden), eine Orgel zum Orchester hinzutreten.

Dementsprechend wird es an manchen Stellen ganz schön laut auf dem Podium. Doch die

spätromantischen Komponisten brauchen ihren großen Orchesterapparat keineswegs bloß, um

Klangeffekte von gewaltiger Lautstärke zu erzeugen. Es geht ihnen vor allem darum, eine besonders

vielseitige Palette von Klangfarben zur Verfügung zu haben, die sie nach Belieben kombinieren und

dem gewünschten musikalischen Ausdruck entsprechend einsetzen können.

Der Besuch eines Konzerts, in dem die Enigma-Variationen aufgeführt werden, ist ein guter Anlass,

Schülerinnen und Schülern Kenntnisse über die Orchesterinstrumente und -instrumentengruppen zu

vermitteln bzw. diese Kenntnisse zu vertiefen und aufzufrischen. Im Folgenden werden Stellen aus

den Enigma-Variationen vorgestellt, an denen einzelne Instrumente oder Instrumentengruppen

besonders deutlich zu hören sind. Wenn die Schülerinnen und Schüler die entsprechenden

Werkausschnitte anhören, empfiehlt es sich, ihnen Fragen bzw. Aufträge wie die Folgenden mit auf

den Weg zu geben.

Thema

Ihr hört den Beginn des Themas zur Elgars Enigma-Variationen (BR/Davis 01, 0:00–0:28) (Partitur, S.

1). Welche Instrumentengruppe ist zu hören?

Der Anfang des Themas wird ausschließlich von den Streichern bestritten.

Zu einem bestimmten Zeitpunkt (BR/Davis 01, 0:29) (Partitur, S. 2) tritt eine weitere

Instrumentengruppe hinzu. Um welche Gruppe handelt es sich?

Holzbläser [+ Hörner, kaum zu hören]

Welches Instrument ist besonders prominent zu hören (es übernimmt die Melodie)?

Klarinette

Var. 3 (R.B.T.)

Ihr hört den Beginn von Variation 3 (BR/Davis 04) (Partitur, S. 15). Welches Blasinstrument spielt

hier die Melodie?

Oboe (für ein Notenbeispiel zur entsprechenden Passage vgl. oben: Das Thema in den Variationen

wiederfinden)

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Var. 7 Troyte

Ihr hört den Beginn von Variation 7 Troyte (BR/Davis 08) (Partitur, S. 35). Welches Instrument

kommt hier besonders auffällig zum Einsatz?

Pauke (für ein Notenbeispiel zur entsprechenden Passage vgl. oben: Das Thema in den Variationen

wiederfinden)

Var. 9 Nimrod

Der Beginn von Variation 9 (BR/Davis 10) wird ausschließlich von den Streichern gespielt. Zu einem

bestimmten Zeitpunkt kommen gleichzeitig Holzbläser und Hörner dazu. Hebt die Hand, wenn ihr

den Bläsereinsatz hört.

Korrekte Lösung: (BR/Davis 10, 0:48) (Partitur, S. 53)

Gegen Ende derselben Variation (BR/Davis 10, 3:32–3: 41) (Partitur, S. 56) gerät eine bestimmte

Instrumentengruppe besonders stark in den Vordergrund. Welche ist es?

Blechbläser; zu Beginn der Passage (5. Takt vor Schluss) großes Crescendo in den Trompeten.

Var. 10 Dorabella. Intermezzo

Zu Beginn von Variation 10 (BR/Davis 11, 0:00–0:21) (Partitur, S. 57–59) sind nur zwei

Instrumentengruppen im Einsatz. Welche sind es?

Streicher und Holzbläser

Im folgenden Ausschnitt aus derselben Variation (BR/Davis 11, 0:21–0:42) (Partitur, S. 59–61)

übernimmt ein einzelnes Instrument die Hauptstimme, eine langgezogene, ausdrucksvolle

Melodielinie, die sich vom übrigen Geschehen deutlich abhebt. Welches Instrument spielt diese

Melodie?

Solo-Bratsche

Var. 13 (***) Romanza

In den Verlauf dieser Variation hat Elgar eine klanglich sehr merkwürdige Episode eingebaut, in

der der Pauker auf seinem Instrument mit Drum sticks (anstatt mit normalen Paukenschlägeln)

spielen muss (BR/Davis 14, 0:26–1:08) (Partitur, S. 88/89). Über diesem eigentümlich dumpfen

Paukenwirbel spielt ein einzelnes Blasinstrument eine langsame Melodie. Wie heißt dieses

Blasinstrument?

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Klarinette

Var. 15 E.D.U.

In der letzten Variation werden alle Instrumentalisten gebraucht, die auf dem Podium versammelt

sind: Der Komponist bietet seinem Publikum einen triumphalen Werkschluss. Die Variation beginnt

jedoch ganz leise, mit nur einem Teil des Orchesters. Nach und nach kommen mehr und mehr

Instrumente hinzu; der erste Abschnitt der Variation (BR/Davis 15, 0:00–0:48) (Partitur, S. 93–100)

endet schließlich mit einer großartigen Steigerung, in der insgesamt acht Beckenschlägen zu hören

sind, zunächst piano, am Ende fortissimo. Hebt die Hand, wenn Ihr die Becken hört.

Die Becken kommen im Abschnitt (BR/Davis 15, 0:38–0:48) (Partitur, S. 98–100) zum Einsatz.

Was sich noch zu wissen lohnt

In den Enigma-Variationen gehen einige Sätze nahtlos ineinander über. Wer während des Konzerts

den Überblick über die Satzfolge behalten möchte, sollte die entsprechenden Stellen vorher einmal

gehört haben. Folgende Satzübergänge sind betroffen:

• Thema → Var. 1 (C.A.E.) (Partitur, S. 7/8)

• Var. 5 (R.P.A.) → Var. 6 Ysobel (Partitur, S. 30/31)

• Var. 8 (W.N.) → Var. 9 Nimrod (Partitur, S. 51–52)

• Var. 10 (B.G.N.) → Var. 11 (***) Intermezzo (Partitur, S. 86/87)

___

Das Konzerterlebnis wird für Schülerinnen und Schüler sicher noch beeindruckender, wenn sie nicht

nur bewusst zuhören, sondern auch zuschauen können. Hierfür ist es günstig, wenn sie gut darüber

informiert sind, wie die einzelnen Instrumente aussehen und wo im Orchester sie ungefähr zu finden

sind. Selbstverständlich ist die Orchesteraufstellung, wie sie am Konzerttag sein wird, nicht genau

vorherzusehen. Dennoch erscheint es sinnvoll, im Vorfeld eine ungefähre Orientierung zu bieten,

etwa mithilfe folgender im Internet abrufbaren Grafik zur heute üblichen sogenannten

‚amerikanischen‘ Aufstellung:

http://images.google.de/imgres?imgurl=https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/9/96/Orchester.svg/2000px-

Orchester.svg.png&imgrefurl=https://de.wikipedia.org/wiki/Orchester&h=1500&w=2000&tbnid=QEr1-

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Im Jahr 1926 entstand eine Tonaufnahme von historischer Bedeutung: Der Komponist Edward Elgar

dirigierte selbst seine Enigma-Variationen (im Internet abrufbar; vgl. im Anhang: Empfohlene

Aufnahmen). Es ist interessant, zu hören, wie der Komponist selbst sein eigenes Werk interpretiert.

Aber Vorsicht: Aufnahmen der damaligen Zeit unterlagen technischen Zwängen, die sich massiv auf

die musikalische Gestaltung auswirken konnten (siehe in den Literaturhinweisen: John McCabe,

Einführungstext). Unter bestimmten Bedingungen kann also auch der Komponist selbst einmal nicht

sein ‚bester‘ Interpret sein. Außerdem wird die Tonqualität der Aufnahme für heutige, an HiFi-

Qualität gewöhnte Hörer gewöhnungsbedürftig sein.

Andererseits: Einige Klangeffekte sind gerade auf dieser Aufnahme besonders eindrucksvoll. Z.B.

klingt der berühmte Trommelwirbel in Var. 13 (siehe oben: Geeignete Variationen) wirklich wie eine

Schiffsschraube (20:53–21:25 der Originalaufnahme)! Und für Spezialisten am Streichinstrument

dürfte es interessant sein, zu hören, wie üppig man zur damaligen Zeit die Portamento-Technik (also

das ‚Schleifen‘ von Ton zu Ton) gebrauchte (z.B. 12:02–12:38 der Originalaufnahme: Var. 10 Nimrod).

___

In der letzten Variation (Nr. 14 E.D.U.) hat der Komponist sich selbst dargestellt; der Titel E.D.U.

bezieht sich auf den Spitznamen, den ihm seine Frau verliehen hatte (‚Edoo‘, abgeleitet von

‚Edward‘13). In dieser letzten Variation sind Zitate aus zwei vorangegangenen Sätzen enthalten:

• aus Var. 1 (C.A.E.), die zu Elgars Frau Alice gehört (BR/Davis 15, 2:31–2:55) (Partitur, S. 111–

113)

• aus Var. 9 (Nimrod), die A. J. Jaeger gewidmet ist (BR/Davis 15, 1:31–1:44) (Partitur, S.

105/106)

Der Komponist hat damit zwei für ihn sehr wichtigen Personen ein besonderes Denkmal gesetzt.

___

Für die eben angesprochene letzte Variation hat der Komponist Orgel ad libitum vorgeschrieben –

man kann also eine Orgel mitspielen lassen, wenn man möchte und im Konzertsaal eine vorhanden

ist. In der Philharmonie im Münchener Gasteig befindet sich eine große und imposante Orgel –

wahrscheinlich wird sie am 17. Februar benutzt werden! Es lohnt sich also in jedem Fall, wenn das

Konzert sich dem Ende nähert, ab und zu einen Blick auf die Orgelempore zu werfen, die über dem

Orchesterpodium angebracht ist. Und wenn sich dort ein Spieler oder eine Spielerin zum Einsatz

bereit macht, heißt es die Ohren spitzen: Dafür, dass die Orgel ein so großes Instrument ist, ist ihr

13

Vgl. Saremba, Der Meister und Alice, S. 103 f.

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Klang nämlich erstaunlich dezent, wenn das ganze Orchester dazu spielt – der Klang der Orgelpfeifen

mischt sich hervorragend mit dem der Blasinstrumente.

Anhang

1. Abbildungsnachweise

S. 1: Elgar in den 1920er Jahren. Fotograf nicht ermittelbar. Quelle: http://images.google.de/imgres?imgurl=http%3A%2F%2Fwww.jetsettersmagazine.com%2Farchive%2Fjetezine%2Fclassic%2Fvegas04%2Fs

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Die Fotografien der ‚porträtierten‘ Personen stammen aus dem Buch My Friends Pictured Within,

Novello, London 1846.

2. Empfohlene Aufnahmen

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Dir.: Sir Colin Davis

Royal Albert Hall Orchestra, Dir.: Edward Elgar (Aufnahme vom 28. April und 30. August 1926)

Abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=kaPtKoL-FsM

3. Kommentierte Literaturhinweise

Edward Elgar, My Friends Pictured Within, Novello, London 1846

Informationen zu den ‚porträtierten‘ Personen aus erster Hand: Das Buch enthält Fotografien von

den Freundinnen und Freunden, die Elgar in seinen Enigma-Variationen verewigte. Jedem Bild ist ein

Kommentar des Komponisten beigegeben: eine kurze Charakteristik der jeweiligen Person und ggfs.

die Schilderung von Situationen, auf die sich die dazugehörige Variation bezieht.

Esther Cavett-Dunsby (Übers. Norbert Henning): Vorwort, in: Edward Elgar, Variations on an

Original Theme (Enigma) for Orchestra Op. 36, Edition Eulenburg, London u.a. 1985, S. III–IX

Das Vorwort zur Taschenpartitur bietet knappe und präzise Informationen zum Komponisten, zur

Entstehung des Werks und zu möglichen Deutungen des ‚Enigmas‘. Die prägnanten Kommentare zu

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den einzelnen Variationen enthalten Zusammenfassungen und Zitate aus den Schilderungen, die

Elgar selbst gegeben hat (siehe auch My friends pictured within).

Clemens Kühn, Formenlehre der Musik, Bärenreiter, Kassel u.a. 1987

Das Standardwerk zur musikalischen Formenlehre. Erläuterungen zu den Begriffen Figuralvariation

und Charaktervariation auf S. 182 ff.

Detlef Altenburg, Artikel Programmusik, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine

Enzyklopädie der Musik, 2. neubearb. Ausg., hg. von Ludwig Finscher, Sachteil Bd. 7,

Bärenreiter/Metzler, Kassel u.a. 2001, Sp. 1821–1844

Eine ausführliche Zusammenfassung des wissenschaftlichen Forschungsstands zum Thema

Programmmusik. Zu Beginn klare Darstellung der Problematik, den Begriff „Programmusik“ exakt zu

definieren. Zahlreiche Werkbeispiele aus mehreren Jahrhunderten Musikgeschichte finden

Erwähnung.

Guido Heldt, Artikel Elgar, Sir Edward, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine

Enzyklopädie der Musik, 2. neubearb. Ausg., hg. von Ludwig Finscher, Personenteil Bd. 6,

Bärenreiter/Metzler, Kassel u.a. 2001, Sp. 228–244

Der detailreiche und gut lesbare Lexikonartikel enthält u.a. ausführliche biografische Informationen,

ein Werkverzeichnis und eine Darstellung des aktuellen Stands der Elgar-Forschung. Wer an

vertieften Studien zu den Enigma-Variationen interessiert ist, findet entsprechende Titel im

Literaturverzeichnis, Sp. 242–244.

John McCabe (Übers. Helga Ratcliff), Einführungstext zur CD Edward Elgar conducts Enigma

Variations/Gustav Holst conducts The Planets, EMI Classics, Serie: Composers in Person, CDC 7

54837 2, EMI Records Ltd., ℗ 1993, Booklet S. 10–16

Der ausführliche Booklettext beschreibt die teils heiklen Umstände, unter denen im Jahr 1926

Tonaufzeichnungen symphonischer Werke durchgeführt wurden. Auch auf stilistische Eigenheiten

der spätromantischen Orchester-Klangästhetik wird eingegangen, für die Elgars eigene Interpretation

seines Werks typisch ist. Das Booklet enthält kleine Reproduktionen der Porträtfotos aus My friends

pictured within.

Meinhard Saremba: Der Meister und Alice. Edward Elgar (1857–1934), in: ders., Elgar, Britten & Co.

Eine Geschichte der britischen Musik in zwölf Portraits, M&T Verlag, Zürich/St. Gallen 1994, S. 85–

123

Hier werden die Person und das Werk Edward Elgars im Kontext der britischen Musikgeschichte

zwischen den Jahren 1850 und 2000 dargestellt. Ein ausführlicher Abschnitt (S. 95–104) beschäftigt

sich mit der Entstehung der Enigma-Variationen, ihrer Werkgestalt und möglichen Deutungen.

Janina Klassen, Was die Musik erzählt, in: Die erzählerische Dimension. Eine Gemeinsamkeit der

Künste, hg. von Eberhard Lämmert, Berlin 1999, S. 89–107

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Eine gut lesbare Einführung zum Thema ‚Narrativität in der Musik‘ – relevant u.a. in Verbindung mit

dem Thema ‚Programmmusik‘.