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Psychologische Beratung im Bistum Osnabrück Ehe Familie Leben Erziehung JAHRES BERICHT 2 0 1 2

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Psychologische Beratung

im Bistum Osnabrück

EheFamilieLebenErziehung

J A H R E SB E R I C H T2 0 1 2

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Bedeutung der Abkürzungen im Heft:EB ErziehungsberatungEFL Ehe-, Familien- und LebensberatungEFLE Ehe-, Familien-, Lebens- und ErziehungsberatungFamFG Familiengerichts- und freiwillige GerichtsbarkeitsgesetzKath. BAG Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft für Beratung e.V.KJHG Kinder- und JugendhilfegesetzKJP Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutLRS Lese- und RechtschreibschwächePP Psychologischer PsychotherapeutSGB VIII Achtes Sozialgesetzbuch = KJHG

Impressum

Herausgeber:Bistum OsnabrückReferat für Ehe-, Familien-, Lebens- und ErziehungsberatungBernhard PloisDomhof 1249074 OsnabrückTelefon: 0541 318-258Fax: 0541 318-257

Layout: flausen im kopf | büro für grafikdesign, Hilter a.T.W.

Druck: Druckerei Pfotenhauer GmbH / Medienpark Ankum

Titelfotos: iStockphoto.com Fotos: iStockphoto.com (Seite 8, 9, 14, 18, 31); claudiarndt / photocase.com (Seite 13); John Dow / photocase.com (Seite 16); complize / photocase.com (Seite 17); unikation / photocase.com (Seite 27); sani05 / photocase.com (Seite 28); time. / photocase.com (Seite 32)

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E h eF a m i l i e L e b e nE r z i e h u n g

J A H R E SBERICHT2 0 1 2

E h e F a m i l i e L e b e n E r z i e h u n g

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Mit dieser gemeinsamen Jahresbro-schüre aller zehn Stellen für Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsbe-ratung des Bistums Osnabrück geben wir wieder einen Einblick in unsere Beratungsarbeit. Wir hoffen, Anre-gungen für die weitere Diskussion in der Kinder- und Jugendhilfe und der Familienpolitik zu geben.

Im ersten Abschnitt „Entwicklung der Beratung im Bistum Osnabrück“ finden Sie Hinweise zum aktuellen Stand, die „harten“ Fakten.

Es folgen in den „Reflexionen zur Beratungsarbeit“ zwei Beiträge: ein Plädoyer dafür, dass Familienangele-genheiten nicht nur private Bedeu-tung haben, sondern auch gesell-schaftlich und politisch hoch relevant sind, sowie eine kurze beratungsphi-losophische Abhandlung zum Glück.

In der Rubrik „Quergedacht“ setzt eine Glosse sich kritisch mit unaus-gereiften Bemühungen um Inklusion auseinander, eine zweite damit, wie wichtig unserer Gesellschaft Kinder und Kindheit wirklich sind.

Im vierten Abschnitt „Berichte aus dem Beratungsalltag“ finden Sie einen sehr anschaulichen Bericht über des inzwischen wiederholt durchge-führten Projekt „Frauengruppe“ in unserer Beratungsstelle in Lingen.

Sehr geehrte Leserinnen und Leser

Erstmalig aufgenommen in diese Bro-schüre haben wir das Format „Guter Rat“. Darin finden sich 18 Tipps, von denen es heißt, dass sie Vätern am besten schon im Kreißsaal ausgehän-digt werden sollten.

Unter „Im Gespräch“ ist der Abdruck eines Radiointerviews der Kollegin Bir-git Westermann zum Thema Pubertät mit praktischen Tipps zu lesen.

Wir setzen die an Fachlichkeit, Praxis-nähe und Familienpolitik orientierte Form der Berichterstattung fort. Dabei verstehen wir uns auch als ein Sprach-rohr der Anliegen unserer Klientel, durchaus auch in einem politischen Sinn. Die aus den Erfahrungen des Beratungsalltags abgeleiteten Ein-sichten sind gelegentlich konträr zum aktuellen politischen Mainstream. Gerade deshalb wollen wir sie nicht verschweigen. Wenn die Wissenschaft dann auch noch unsere Alltagser-fahrungen bestätigt, fühlen wir uns doppelt ermutigt, zu sagen, was gesagt werden muss. Heute könnte man zusammenfassen: Der Neolibe-ralismus produziert eine bindungs-arme und darum beratungshungrige Gesellschaft. Die Konsequenzen kann man sich leicht ausmalen. Uns ist natürlich bewusst, dass das Rad in Sachen Familienangelegenheiten nicht zurückzudrehen ist, das wäre wohl auch nicht sinnvoll, aber wir müssen

mehr als zuvor immer wieder neu lernen, das gemeinsame Leben und unsere Beziehungen mit Sinn, Gefühl und Verstand zu gestalten. Das ist das tägliche Geschäft der Beratung.

Wir danken den öffentlichen Trägern, den Landkreisen und Kommunen, die unsere Arbeit ideell und materiell sehr unterstützen, aber auch allen mit uns kooperierenden Diensten und Einrichtungen und besonders den Ratsuchenden, die sich in großer Zahl vertrauensvoll an uns wenden.

Kurzberichte zur Arbeit unserer Beratungsstellen in Ihrer Region sind beigefügt. Wir freuen uns über jede Rückmeldung und Frage, für die unsere Berichte Anlass sind.

Im Namen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beratungsstellen des Bistums Osnabrück wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre und grüße Sie herzlich.

Bernhard PloisDipl.-Psychologe, Dipl.-Theologe, Psychologischer Psychotherapeut Leiter der Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsberatung im Bistum Osnabrück

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Entwicklung der Beratung im Bistum OsnabrückRatsuchende und Angebot – kurz und knapp (Bernhard Plois)

Reflexionen zur BeratungsarbeitFamilienthemen sind eine öffentliche Angelegenheit.(Bernhard Plois)Zum Glück … (Dr. Christoph Hutter)

Quergedacht „Wir brauchen Kinder die funktionieren. Wer braucht schon ein Kind das lacht?“(Dr. Christoph Hutter)„Nach 13 Jahren war es sicher ein großer Schock für ihn.“(Bernhard Plois)

Berichte aus dem BeratungsalltagGemeinsam auf meinem Weg – eine therapeutische Frauengruppe (Birgit Gerharz, Ellen Geyer-Köhler)

Guter Rat18 Tipps für Väter (Leo Babauta)

Im GesprächWegen Umbau geschlossen – Pubertät (Birgit Westermann)

Anschriften der Beratungsstellen

Berichte der örtlichen BeratungsstellenEmsland (Papenburg, Meppen und Lingen) Osnabrück (Lotter Straße, Straßburger Platz, Bersenbrück und Georgsmarienhütte)Grafschaft Bentheim (Nordhorn) Diepholz (Bassum und Sulingen)

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8

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16

18

20

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30

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Als Beilage

Inhaltsverzeichnis

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Entwicklung der Beratung im Bistum Osnabrück

2011 auf 71,4 % : 28,6 % in 2012. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl aller Beratungsanfragen um 29,3 % gestiegen. Die Nachfrage in der Ehe-, Familien- und Lebensberatung hat sich in diesem Zeitraum verdoppelt.

Merkmale unserer Arbeit – Vernetzung

Unsere Beratungsstellen sind je nach örtlichen Gegebenheiten in unter-schiedlicher Ausprägung mit den Diensten und Einrichtungen des psychosozialen, medizinischen und pädagogischen Bereichs vernetzt: » Sprechzeiten in Familienzentren /

Häusern für Familien » Kooperation mit Kirchengemeinden » Kooperation mit anderen ambu-

lanten und stationären Diensten der Kinder- und Jugendhilfe

Ratsuchende und Angebot – kurz und knapp von Bernhard Plois

Entwicklung der Beratung im Bistum Osnabrück1

» Engagement in der gerichtsnahen Beratung

» Kooperation auf der kommunalen politischen Ebene, z. B. JHA

» Kooperation mit Fachverbänden auf Bundes- und Landesebene1

Merkmale unserer Arbeit – offen für alle, niederschwellig, kultursensibel und nah am Menschen

» Unser Angebot ist ein niedrig-schwelliges, das anonym und freiwillig wahrgenommen wird. Die Mitarbeitenden unterliegen der gesetzlichen Schweigepflicht. Es ist kostenfrei. Der unbürokratische Zugang verleiht unseren Stellen so etwas wie “Hausarzt“-Charakter.

» Ratsuchende kommen meist frühzeitig und sind dann hoch motiviert, in ihrem Leben etwas zu ändern, was eine optimale Voraussetzung für die persönliche Entwicklung darstellt.

» Wir beraten kultursensibel, sind für alle Ratsuchenden unabhängig

1 In den folgenden statistischen Angaben und Tabellen sind die Klienten, die Kosten und das Personal unserer Konsiliardienste in den Krankenhäusern (s. u.) nicht mitgerech-net.Alle Angaben beziehen sich auf die psycho-logischen Beratungsstellen des Bistums nur in Niedersachsen, nicht im Bundesland Bremen. Dort unterhält das Bistum eine weitere Beratungsstelle als Offene Tür, die auch Ehe-, Familien- und Lebensberatung leistet.

Beratungsbedarf bleibt auf hohem Niveau.

Die Beratungsnachfrage insgesamt hat bistumsweit im Jahr 2012 leicht abgenommen, und zwar von 5.507 auf 5.360 Neuanmeldungen. Das ist ein Rückgang um 2,7 %. Genauer betrachtet gab es im Bereich der Ehe- und Lebensberatung eine Steigerung um 5,4 %, in der Erziehungsberatung sank die Zahl der Nachfragen um 5,6 %. Ob dieser Rückgang in der Er-ziehungsberatung einen neuen Trend einleitet, der der sinkenden Kinderzahl geschuldet ist, wird sich in den nächs-ten Jahren zeigen. Die Zunahme in der Ehe und Lebensberatung ist weiterhin stetig. Damit verändert sich das Ver-hältnis von Erziehungsberatung (SGB VIII) und Ehe-, Familien- und Lebens-beratung (ohne Bezug zu Kindern und Jugendlichen) von 73,6 % : 26,4 % in

Entwicklung der Neuanmeldungen in absoluten Zahlen

201120102009200820072006200520042003

6000

5000

4000

3000

2000

1000

0

Erziehungsberatung SGB VIII Ehe- und Lebensberatung

3.371

776

4.147

3.527

806

4.333

3.532

837

4.369

3.720

879

4.599

3.758

933

4.691

3.881

1.024

4.905

4.129

1.158

5.287

4.084

1.332

5.416

4.055

1.452

5.507

2012

3.829

1.531

5.360

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Entwicklung der Beratung im Bistum Osnabrück

von Herkunft, sozialem Status, religiöser oder weltanschaulicher Bindung offen.

» Muttersprachliche Beratung für Menschen mit Migrationshinter-grund können wir ggf. in Russisch, Ukrainisch, Polnisch, Türkisch, Spa-nisch, Englisch oder Französisch durchführen, wenn auch regional jeweils sehr beschränkt. Das gibt Ratsuchenden mit Migrations-hintergrund wertvolle Hilfen im Sinne einer kulturellen Integration durch die Inanspruchnahme eines Regeldienstes.

» Durch die Vielfalt der Grundberufe in den multidisziplinären Teams können wir passgenau auf die Persönlichkeiten der Ratsuchenden eingehen und sind dadurch „nahe dran“ am Alltag der Ratsuchenden.

Merkmale unserer Arbeit – hochgradig präventiv

Der gesellschaftliche Nutzen der Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsbe-ratung ist vielfältig.

Paarberatung fördert die Beziehungs-qualität. Hohe Beziehungsqualität … » reduziert das Risiko, psychisch oder

psychosomatisch zu erkranken und geht einher mit einer höheren Lebenserwartung (Gesundheit);

» führt zu weniger Ausfallzeiten im Beruf (Ökonomie);

» ist wichtigste Voraussetzung für eine Entscheidung zur Elternschaft (Demografie);

» dient dem psychischen Wohlerge-hen von Kindern wie kaum ein an-derer Schutzfaktor (Kindeswohl).

» Dagegen sind Trennungen von Eltern und Familien nachweislich hoch signifikant mit Armut, schu-lischem Leistungsabfall der Kinder, erhöhtem Erkrankungsrisiko und erhöhter Delinquenz verknüpft. Im Falle notwendiger Trennung hilft Beratung diese so zu gestalten, dass negative Folgen möglichst gering gehalten werden.

Lebensberatung Einzelner hat hoch-gradig präventiven Charakter. » Sie beugt psychischen Erkran-

kungen vor, indem sie vorklinisch Fehlentwicklungen abfängt. (Prä-vention)

» Sie verhindert klinische Rückfälle, wenn sie ambulante Nachbetreu-ung leistet. (Rückfallprophylaxe)

» Sie ist Hilfe zur Selbsthilfe gegen Vereinsamung, in Sinnkrisen und in existentiellen Notsituationen.

» Sie fördert die Beziehungskompe-tenzen des Einzelnen zu sich selbst und zu anderen und bewirkt damit gelingende Alltagsbewältigung. (Lebenshilfe)

Entwicklung der Beratungs-anteile nach Bereichenin Prozent

20122011201020092008

Erziehungsberatung SGB VIII

Ehe- und Lebensberatung

79,1 %

20,9 %

78,1 %

21,9 %

75,4 %

24,6 %

73,6 %

26,4 %

71,4 %

28,6 %

Erziehungsberatung für Eltern von Kindern und Jugendlichen dient dem Anspruch der Gesellschaft, kinder-freundlich zu sein. » Sie erhöht die elterliche Handlungs-

kompetenz und Rollensicherheit von Vätern und Müttern.

» Sie unterstützt eine entwicklungs-gerechte und persönlichkeitszent-rierte Kommunikation zwischen den Generationen.

» Sie fördert die Tragfähigkeit und Bindungen innerfamiliärer Bezie-hungen.

» Sie hilft bei der Bewältigung von nicht optimalen familiären Entwick-lungen.

» Sie ist gelebte Anwaltschaft für glückende Kindheit.

Klientel und Angebot – kurz und bündig

Unsere Ratsuchenden … » kommen aus allen Schichten, vielen

Religionen und Milieus und vielfäl-tigen Migrationshintergründen,

» kommen vermehrt aus armen Familien,

» sind in der Erziehungsberatung überproportional oft Alleinerzie-hende,

» sind in der Erziehungsberatung Familien mit durchschnittlich zwei Kindern.

» sind in der Erziehungsberatung häufiger männlich, in der Erwach-senenberatung häufiger weiblich – Tendenz weiterhin auf Anglei-chung in beiden Bereichen.

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Entwicklung der Beratung im Bistum Osnabrück

Kurzfristige Terminvergaben für Erstgespräche Wartezeiten haben sich im vergan-genen Jahr entsprechend den An-meldezahlen standortabhängig mal leicht verkürzt, mal leicht verlängert. Insgesamt bleiben sie, was die Zeit bis zum Erstgespräch betrifft, auf einem vertretbaren Niveau. Problematisch bleiben manchmal die Zeiten bis zur folgenden Übernahme in regelmäßige Beratungsprozesse. Mehrsprachige Beratungsmöglich-keitenOhne auf Dolmetscherdienste zurück-greifen zu müssen, die Beratungen immer schwierig gestalten, können wir in vielen Sprachen (s. o.) bera-ten – wenn auch keineswegs an allen Orten. In Osnabrück konnte eine Anmeldesprechstunde in Russisch eingerichtet werden, eine in Türkisch ist in Vorbereitung.

Kurse in auswärtigen BildungshäusernUnsere pastoralpsychologischen Kurse sind ein seit Jahrzehnten nachgefragtes, die Beratung vor Ort ergänzendes, überörtliches Angebot. Sie finden statt in Kloster Schöntal (bei Würzburg), St. Thomas (Eifel) und in Positano (Süditalien). 2011 haben insgesamt 125 Personen in 13 fünftägigen Gruppen teilgenommen und dadurch die Beratungsprozesse zu Hause intensiviert.

Personalentwicklung » Im Beraternachwuchs fehlen

Männer. Psychologen sind noch schwerer zu finden als Sozial-pädagogen.

» Viele Bachelor-Studienabschlüsse im sozialen Feld qualifizieren nicht hinreichend für eine Beratungs-tätigkeit, zumal die Absolventen noch sehr jung, für viele Bera-tungsfälle zu jung, sind.

» Nur wenige Nachwuchskräfte bringen in Ergänzung zum Bera-tungsfach auch einen religiösen oder theologischen Hintergrund mit, was uns für die Ausrichtung unserer Arbeit auch wichtig ist.

» Deshalb betreiben wir weiterhin intensiv die eigene Nachwuchsför-derung. (s. u.)

Neue AufgabenDie in den vergangenen Jahren zu den klassischen Arbeitsfeldern hinzu-gekommenen Aufgaben erweisen sich bislang nicht als so umfangreich wie bei ihrer Einführung befürchtet. Die Aufgaben im Rahmen der Kinder-schutzarbeit als „insofern erfahrene Fachkräfte“ nach § 8a,b SGB VIII halten sich weiterhin sehr in Grenzen. Das kann sich aber durch die Geset-zesreform in nächster Zukunft ändern, die neben den Kitas auch Schulen und allen anderen Organisationen in der Kinder- und Jugendarbeit Zugang zu diesem Angebot gewährt. Die Aus-wirkungen des reformierten FamFG mit seinem Beschleunigungsgebot und mit den verordneten Beratungen in familiengerichtlichen Auseinander-setzungen bekommen wir inzwischen deutlicher zu spüren. Die weitere Entwicklung bleibt momentan noch abzuwarten.Das hohe Nachfrageniveau bleibt das Problem, dem realistischer Weise

nur mit Personalaufstockung beizu-kommen ist, es sei denn, dass man in Kauf nimmt, nicht alle Anfragenden zeitnah und mit fachlich gebotener Frequenz und Dauer zu beraten. Qualitätssicherung » Stellenleiterkonferenzen auf diöze-

saner und regionaler Ebene sowie vielfache überregionale fachver-bandliche Vernetzungen dienten in 2012 der Qualitätssicherung.

» In allen Stellen fanden regelmä-ßig Supervisionen mit externen Supervisoren und als kollegiale Fallbesprechungen statt.

» Die MitarbeiterInnen nutzten 66 Tage externe Fortbildungs-angebote und 198 Tage eigene Fortbildungen im Verbund unserer Beratungsstellen. Letztere beschäf-tigten sich mit folgenden Themen: • „Wenn der Vater fehlt –

entwicklungspsychologische Bedeutung des Vaters und Langzeitfolgen seines Fehlens“ mit Herrn Prof. Dr. Matthias Franz, Düsseldorf, eintägig

• „Sensibilisierung für Miss-brauchs- und Kinderschutzfra-gen in der Beratung Erwach-sener“ mit Herrn Ralf Slüter, Hamburg, eintägig

• „Trennungs- und Scheidungs-beratung“ mit Herrn Heiner Krabbe, Münster, zweitägig

• „Sexualtherapeutische Fragen in der Ehe- und Familien-beratung – Supervision und fallbezogene Theoriearbeit“ – zwei Fortbildungstage mit Frau Dr. med. Karin Renter-Schmidt, Hamburg

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Entwicklung der Beratung im Bistum Osnabrück

Öffentliche Mittel

• „Eltern im Krieg miteinander – warum die Beratung hoch strittiger Eltern anders sein muss“ mit Herrn Uli Alberstöt-ter, Frankfurt

• „Du sollst dich selbst unter-brechen – Fortbildung zur Achtsamkeit und Selbstfür-sorge“ für Sekretärinnen mit Herrn Michael Oesterheld und Frau Karin Wiemuth, Vechta, eintägig. Mit den gleichen Referenten ein weiterer Tag zu „Anmeldegespräche am Telefon“

• Ein Besinnungstag „Gott han-deln: Fragmente zur spirituel-len Grundlegung christlicher Beratungspraxis“ mit Prof. Dr. Udo Schmälzle, Münster

• Hinzu kommen eigene auto-didaktisch durchgeführte Ar-beitskreise in der Erziehungs-beratung auf Bistumsebene: › AK „Trauernde Kinder“ › AK „Eltern mit Kindern und

Jugendlichen in der Famili-entherapie“

› AK „Kinder psychisch kran-ker Eltern“

› AK „Kindesschutz“

NachwuchsförderungIn 2012 wurde die vierjährige be-rufsbegleitende Weiterbildung in Ehe,- Familien-, Lebens- und Erzie-hungsberatung fortgesetzt, die das Bistum Osnabrück in Kooperation mit der Katholischen Bundesarbeits-gemeinschaft für Beratung Bonn e. V. und dem Erzbistum Hamburg durchführt. Wir freuen uns, dass unter

Finanzierung der Beratung – ohne Konsiliardienste

55%

45%

Ausgaben für die Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsberatung setzten sich zusammen aus 1.978.900 € kommunaler Mittel und 1.638.000 € Bistumsmittel.

den 46 TeilnehmerInnen auch eine große Zahl für künftige Einsätze in unserem Bistum ist, so dass wir anstehende alters-bedingte Wechsel, insbeson-dere im Honorarbereich, gut kompensieren können.

Personal und Finanzen

» 2012 summiert sich die Gesamtar-beitszeit aller ca. 150 Fachkräfte, Hauptamtliche und freie Mitar-beiter, auf etwa 60 Vollzeitstellen. Hinzu kommen insgesamt 10 Vollzeitstellen in den Sekretariaten.

» Freie HonorarmitarbeiterInnen leisteten ca. 17.900 Beratungs-stunden.

» Für die Beratungsarbeit (außer Bremen) wendete das Bistum 2012 nach Haushaltsplan ins-gesamt 3.908.200 € auf. Davon sind 1.978.900 € durch kommu-nale Zuschüsse, 291.300 € durch Personalkostenerstattungen für psychologische Konsiliardienste in Krankenhäusern und für die Inobhutnahme des SKM refinan-ziert, so dass ein Bistumsanteil von 1.638.000 € verbleibt.

Gesamtausgaben Beratung – inkl. Konsiliardienste

Öffentliche Mittel

Bistumsmittel Andere Erstattungen/

Konsiliardienste

1.978.900

1.638.00

291.300

Gesamtaufwand 3.908.200

Bistumsmittel

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Reflexionen zur Beratungsarbeit

Ehe und Familie sei Privatangele-genheit, so wird immer wieder gern suggeriert. Was in Familie geschehe, gehe niemanden draußen etwas an. Das mag auf den Einzelfall bezogen richtig sein, ist politisch gesehen aber ein naiver Irrtum. Familiensa-chen sind sehr wohl eine öffentliche Angelegenheit! Sie sind hoch politisch und gehen uns alle an. Warum, das möchte ich erläutern.

Eine Wochenzeitung kommentiert in ihrer letzten Ausgabe 2012:

„Die über das Ehe- und Familien-leben zu entwickelnden Geborgen-heitsverhältnisse sind und bleiben für das Kindes- wie für das Erwachse-nenwohl ‚alternativlos‘. Die Notlö-sung ‚Patchwork‘ kann darüber nicht hinwegtäuschen. Schwere Konflikte bleiben keiner Bindung erspart. Die eigentliche Frage ist: Wie lässt sich Krisenresistenz stärken, Krisenbe-wältigung fördern, statt auf allen Kanälen von Fernsehkomödien bis zu Illustrierten propagandistisch den Eindruck zu erwecken, das es völlig ‚normal‘ sei, auseinanderzugehen und zusammenzugehen? Liebe und Treue sind kein blindes Schicksal, für das der Mensch aktiv nichts tun kann. Sie bleiben auf stets neues Werben, Mühen, Kämpfen und Arbeiten angewiesen: besonders an sich selber. Das schlichte Glück des Alltäglichen – nicht ohne Krisen – ist auch in Ehe- und Familiensachen mehr als die Illusion des großen Glücks.“1

Recht hat der Kommentar. In jeder Hinsicht. Zu einem anderen Urteil kann man auch aus Beratersicht je-denfalls nicht kommen. Und Bestä-tigung findet man auch andernorts aktuell in deutlich formulierter Wider-stand gegen den Mainstream unseres postmodernen „Anything Goes“.

1 Kommentar in Christ in der Gegenwart, 2012, Heft 53, Seite 585

Familienthemen sind eine öffentliche Angelegenheit! von Bernhard Plois

Reflexionen zur Beratungsarbeit

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Reflexionen zur Beratungsarbeit

Jesper Juul und Melanie Mühl tun das eher journalistisch, Lieselotte Ahnert oder Mark Cummings und Patrick Davies in hochwissenschaftli-chen empirischen Studien.2 Und eine amerikanische Wissenschaftlerverei-nigung, die Familyscholars, interdiszi-plinär sehr breit aufgestellt, resümiert ihre aus ca. 250 empirischen Studien abgeleiteten Schlussfolgerungen in 30 Thesen. Diese zeigen auf, warum Heirat und verbindliches, glückendes Familienleben einen Unterschied ma-chen, warum Ehe und Familie gesell-schaftspolitisch höchst relevant sind. Ich gebe die Thesen unten ungekürzt wieder.

Recht hat der zitierte Kommentator der Wochenzeitschrift auch, wenn er die Pflegebedürftigkeit von verbind-lichen Beziehungen anmahnt, ihr Kri-senmanagement fordert. Das zeigen uns die steigenden Nachfragen ge-rade in der Paarberatung. Und Recht hat er schließlich auch, wenn er das immer neu zu bearbeitende familiäre Glück des Alltags als ein „schlichtes“ ansieht. Auch aus Beraterperspektive wissen wir nur zu gut, dass Ehen und Familien trotz allen Mühens sehr wohl oft mit sich selbst überfordert bleiben.

2 J. Juul, Wem gehören unsere Kinder? Dem Staat, den Eltern oder sich selbst?, Beltz, Heidelberg, 2012; M. Mühl, Die Patchworklüge – eine Streitschrift, Hanser, München 2011; L. Ahnert, Wieviel Mutter braucht ein Kind? Bindung – Bildung – Betreuung: öffentlich und privat, Spektrum akademischer Verlag, Heidelberg, 2011; M. Cumming & P. Davies, Marital Conflict and Children - An Emotional Security Perspective, Guilford Press, New York, 2010

Trennung und Scheidung bzw. Fremd-betreuung von Kindern sind die we-niger belastenden Alternativen zum rigiden Festhalten am destruktiven Al-ten. Aber sich nur von der Illusion des ganz großen Glücks nach erfolgtem Wechsel der Bindungspersonen ver-führen zu lassen, ist vermutlich doch wohl nur naiv. In aller Regel lohnt es sich für die Liebe, für die Bindung zu kämpfen. Damit ist auch Beratung in Familienangelegenheiten, ob auf Paare oder Kinder bezogen, politisch. Sie ist gesellschaftlich notwendig und keineswegs nur Privatsache.

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Reflexionen zur Beratungsarbeit

Familie

1. Ehe erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Väter und Mütter gute Bezie-hungen zu ihren Kindern haben.

2. Kinder genießen familiäre Stabili-tät dann am meisten, wenn sie in eine verheiratete Familie hinein-geboren werden.

3. Kinder haben in komplexen Haus-halten (Gemeint sind Patchworkfa-milien) eine geringere Wahrschein-lichkeit zu prosperieren.

4. Kohabitation (Wissenschaftlicher Begriff für nichteheliche Lebensge-meinschaft) ist nicht ein funktio-nales Äquivalent zur Ehe.

5. Aufwachsen außerhalb einer in-takten Ehe erhöht die Wahrschein-lichkeit, dass Kinder sich später scheiden lassen oder unverheiratet Eltern werden.

6. Ehe ist eine so gut wie universelle Institution.

7. Ehe und ein normatives Engage-ment in der Ehe fördern Beziehun-gen von hoher Qualität zwischen den Erwachsenen selbst und zwi-schen Erwachsenen und Kindern.

8. Ehe hat wichtige biosoziale Kon-sequenzen für Erwachsene und Kinder.

Wirtschaft

9. Scheidung und uneheliche Eltern-schaft vergrößern die Armut für beide: Kinder und Mütter. Koha-bitation hat im Vergleich zur Ehe eine geringere Wahrscheinlichkeit Armut zu verringern.

10. Verheiratete Paare erreichen im Durchschnitt mehr Wohlstand als Alleinlebende oder unverheiratet zusammenlebende Paare.

11. Ehe reduziert Armut und mate-rielle Härten für benachteiligte Frauen und ihre Kinder.

12. Minderheiten profitieren wirt-schaftlich durch Heirat.

13. Verheiratete Männer verdienen mehr Geld als nicht verheiratete Männer mit vergleichbaren Quali-fikationen und Berufskarrieren.

14. Scheidungen von Eltern (oder Auslassung von Heirat) erhöhen das Risiko des Schulversagens der Kinder.

15. Scheidungen von Eltern reduzieren die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Kinder einen College-Abschluss erwerben und einen Beruf von höherem Status erreichen.

Warum Ehe bedeutsam ist – 30 Schlussfolgerungen der Sozialwissenschaften!3

In der Veröffentlichung „Why Marri-age Matters“ fasst eine unabhängige, heterogene Gruppe von 18 führenden Professoren für Familienthemen die Ergebnisse von 250 vorliegenden empirischen Untersuchungen zu-sammen. Sie legen die Unterschiede dar, die mit Ehe/Heirat (Marriage) bezogen auf fünf Bereiche verbunden sind. Weil die amerikanische Kultur der deutschen ähnlich ist, dürften die Ergebnisse weitgehend auch auf un-sere Verhältnisse übertragbar sein. In der aktuellen 3. Ausgabe von „Why Marriage Matters“ wird – und das ist neu – auch zwischen ehelicher Part-nerschaft (Marriage) und unehelicher Partnerschaft (Kohabitation) unter-schieden. Wenn auch die berichteten Zusammenhänge nur korrelativer und nicht unbedingt kausaler Art sind und noch nichts über den Einzelfall aussagen, so lassen sie doch aufs Ganze gesehen sehr aufschrecken. Hier ist die deutsche Übersetzung der zusammenfassenden 30 Thesen der amerikanischen Wissenschaftler.3

3 Diese Zusammenfassung ist entnommen aus: Why Marriage Matters: Thirty Conclu-sions from the Social Sciences, 3rd edition, a publication of the Center for Marriage and Families at the Institute for American Values, 2011 (http://www.familyministries.org/files/MarriageMatters_final.pdf) - Das Institut ist eine unparteiische, unabhängige gemeinnüt-zige Organisation, in der etwa 100 führende Gelehrte aus dem gesamten Spektrum der Humanwissenschaften und unterschiedlichen politischen Richtungen zusammenkommen, um interdisziplinär zu erörtern, gemeinschaft-lich zu forschen und gemeinsam öffentliche Verlautbarungen zu den Herausforderungen zu verfassen, denen die Familien und die Zivilgesellschaft ausgesetzt sind.

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Reflexionen zur Beratungsarbeit

Körperliche Gesundheit und Lebensdauer

16. Kinder, die mit ihren beiden ver-heirateten Eltern zusammen leben, erfreuen sich im Durchschnitt bes-serer körperlicher Gesundheit als Kinder in anderen Familienformen.

17. Mit dem Verheiratet sein von El-tern geht eine signifikant niedrige-re Kleinkindsterberate einher.

18. Ehe korreliert mit reduzierten Raten von Alkohol- und Subs-tanzmittelmissbrauch sowohl bei den Erwachsenen als auch den Jugendlichen.

19. Verheiratete Menschen, insbeson-dere verheiratete Männer, haben höhere Lebenserwartungen als ansonsten vergleichbare alleinste-hende Menschen.

20. Verheiratet sein ist verbunden mit besserer Gesundheit und reduzier-tem Auftreten von Verletzungen, Erkrankungen und Arbeitsunfähig-keit sowohl für Männer als auch für Frauen.

21. Heirat scheint auch mit besserer Gesundheit bei Minderheiten und Armen verbunden zu sein.

Psychische Gesundheit und emotionale Zufriedenheit

22. Kinder, deren Eltern sich scheiden, haben höhere Raten von psycho-logischem Stress und mentalen Erkrankungen.

23. Kohabitation ist assoziiert mit höheren Niveaus psychologischer Probleme von Kindern.

24. Familiärer Zerfall scheint signi-fikant das Risiko von Suizid zu erhöhen.

25. Verheiratete Mütter erkranken seltener an Depressionen als alleinerziehende oder unehelich zusammenlebende Mütter.

Kriminalität und häusliche Gewalt

26. Jungen, die in nicht intakten Familien aufwachsen, haben eine größere Wahrscheinlichkeit delin-quent und kriminell zu werden.

27. Verheiratet zu sein scheint für Er-wachsene das Risiko zu verringern, selbst Gesetzesübertreter oder Opfer von Kriminalität zu werden.

28. Verheiratete Frauen haben offen-bar ein geringeres Risiko häusliche Gewalt zu erfahren als unverheira-tet zusammenlebende Frauen oder Frauen mit losen Beziehungen.

29. Ein Kind, das nicht mit seinen ei-genen verheirateten Eltern zusam-menlebt, hat ein größeres Risiko, Opfer von Kindesmissbrauch zu werden.

30. Es gibt eine wachsende Kluft die Heiratswilligkeit betreffend zwischen Amerikanern mit College Ausbildung und solchen mit weni-ger Ausbildung. (College Absol-venten heiraten häufiger. BP)

Die Autoren von Why Marriage Matters: Thirty Conclusions from the Social Sciences, 3rd ed . 2011, sind:

W. Bradford Wilcox, University of VirginiaJared R. Anderson, Kansas State UniversityWilliam J. Doherty, University of MinnesotaDavid Eggebeen, Pennsylvania State UniversityChristopher G. Ellison, University of Texas at San AntonioWilliam A. Galston, Brookings InstitutionNeil Gilbert, University of California at BerkeleyJohn Gottman, University of Washington (Emeritus)Ron Haskins, Brookings InstitutionRobert I. Lerman, American UniversityLinda Malone-Colón, Hampton UniversityLoren Marks, Louisiana State UniversityRob Palkovitz, University of DelawareDavid Popenoe, Rutgers University (Emeritus)Mark D. Regnerus, University of Texas at AustinScott M. Stanley, University of DenverLinda J. Waite, University of ChicagoJudith Wallerstein, University of California at Berkeley (Emerita)

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Reflexionen zur Beratungsarbeit

Zum Glück…von Dr. Christoph Hutter

Glück ist nicht gleich Glück

Sicherlich ist Aristoteles Recht zu geben, der beschreibt, dass alle Menschen nach Glück streben. Aber auch Aristoteles kommt zu dem Schluss, dass die Menschen nur dem Begriff nach alle das Gleiche suchen. Was Glück aber ist, „darüber gehen die Meinungen weit auseinander“ (Aristoteles). Wie bei anderen Bera-tungsthemen wie Liebe oder Sexuali-tät, Schuld oder Wut, bedarf es einer Sprach- und Sprechkompetenz, um Glück zum Thema zu machen. Dreier-lei Glück möchte ich unterscheiden:

Fortuna lässt sich nicht zwingen

Ein erstes, weit verbreitetes Ver-ständnis von Glück ist das Glück des Glückspilzes im Gegensatz zum Pech des Pechvogels. „Glück gehabt“ meint, dass Fortuna, die Glücksgöttin der römischen Mythologie, ihr Füll-horn, das sie als Attribut stets bei sich hat, ebenso großzügig wie zufällig über mich ausleert. Das Glück, das Fortuna beschert, ist weder berechen-bar noch beständig. Fortuna ist nicht nur für glückliche Ereignisse, sondern sehr allgemein für das Schicksal und auch für Schicksalsschläge verant-wortlich. Ob das Schicksal es mehr oder weniger gut mit mir meint, das ist nicht beeinflussbar. Deshalb sind mit Fortunas Glück zwei Fallen verbunden, die es zu vermeiden gilt:

Entweder Menschen werden fatalis-tisch, weil sie denken, sie könnten ja sowieso nichts in ihrem Leben ver-ändern, oder sie versuchen ihr Glück zu erzwingen. Dann kämpfen sie verzweifelt gegen ihr Schicksal, gegen Charakterzüge ihres Partners oder gegen Lebensumstände, die sich nicht verändern lassen. In der Beratung lernen Ratsuchende ihr Glück wahr-zunehmen, wenn es ihnen zustößt, aber sich auch damit zu versöhnen, dass sich dieses Glück nicht erzwingen lässt.

Was macht wirklich glücklich?

Der zweite wichtige Strang der Glücksforschung, der für die Bera-tungsarbeit relevant ist, ist unabhän-gig von der Gunst des Schicksals. Wir wissen, dass ein großer Teil unseres Glücks davon abhängt, was wir den-ken, wie wir wahrnehmen und was wir tun. Diese zweite Art von Glück muss der Mensch bewusst anstreben, er muss es aktiv wählen und er muss moralisch rechtfertigen was er tut. Es geht hier um ein übergreifendes Glück, es geht um die Erfahrung, dass in unserem Leben trotz aller Kom-promisse, die wir schließen und trotz aller Rückschläge, die wir einstecken müssen, etwas Wichtiges glückt (Buer 2012, 2). Die alten Griechen nannten diese Art von Glück Eudaimonía und sie beschrieben damit, dass der Geist (daimon), der in einem Menschen und seinem Leben wirkt, ein guter Geist (Eu-daimonía) ist. Von diesem

Unsere Ratsuchenden sind, wie alle Menschen, auf der Suche nach Glück. Das ist ihr gutes Recht, denn das „Streben nach Glück“ beschreibt die Amerikanische Unabhängigkeits-erklärung von 1776 neben Leben und Freiheit mit guten Gründen als unveräußerliches Menschenrecht. Es ist gut und richtig, dass Menschen ihr Glück suchen. Und es ist vernünftig, dass Menschen ihr Glück gerade in den sozialen Nahbereichen suchen, für die die Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsberatung als Exper-tin ausgewiesen ist. Dass Geld und Materialismus nicht glücklich machen, weiß nicht nur der Volksmund, son-dern dies bestätigt auch die Glücks-forschung. Stattdessen sind es Liebe, Partnerschaft, Familie und Freunde, die das Glück des Menschen spürbar und messbar wachsen lassen.

Mit dieser Frage nach dem Glück steht die Beratungsarbeit auch im Zentrum ihres kirchlichen Auftrags. Ist es doch Aufgabe der Kirche, das jesuanische Versprechen für jede Ge-sellschaft und Zeit neu durchzubuch-stabieren: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh. 10, 10b). Das Streben nach Glück und Fülle ist also nicht nur urmenschlich, es ist auch urchristlich und damit ein brauchbarer Kompass für unser beraterisches Handeln. Es geht in Beratung darum, Glück wieder zu finden. Es geht darum, Glück se-hen zu lernen. Es geht darum, Glück annehmen und genießen zu können. Beratung ist Glückssuche.

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Reflexionen zur Beratungsarbeit

Glück spricht auch die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung wenn sie sagt, dass das Streben nach Glück (pursuit of happiness) ein unveräußer-bares Menschenrecht ist.

Martha Nussbaum versucht Aristo-teles’ Idee der Eudaimonía für den heutigen Menschen durchzubuch-stabieren. Sie erstellt dazu eine Liste „menschlicher Grundfähigkeiten“, die so etwas wie „eine Minimaltheorie eines guten, gelingenden und glückli-chen Lebens“ sein könnte

(Buer 2008, 109). Folgende Punkte sind ihrer Meinung nach auf der Su-che nach dem Glück zu bedenken:

1. Leben: „Die Fähigkeit, ein volles Menschenleben bis zum Ende zu führen“ und „nicht vorzeitig zu sterben“.

2. Inklusion: Gute Rahmenbedingun-gen wie Gesundheit, angemessene Ernährung und Unterkunft, die Möglichkeit zu sexueller Befriedi-gung und Mobilität.

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Reflexionen zur Beratungsarbeit

7. Bezogenheit in Alterität: Die Fähigkeit, bezogen und in Ver-schiedenheit zu leben, „Verschie-denheit mit anderen Menschen zu erkennen und zu zeigen, verschie-dene Formen von familiären und sozialen Beziehungen einzuge-hen“.

8. Ökologie: „Die Fähigkeit, in Ver-bundenheit mit Tieren, Pflanzen und der ganzen Natur zu leben und pfleglich mit ihnen umzuge-hen.“

9. Rekreation: „Die Fähigkeit, zu lachen, zu spielen und Freude an erholsamen Tätigkeiten zu haben.“

10. Individualität: „Die Fähigkeit, sein eigenes Leben und nicht das von jemand anderem zu leben“ (vgl. Nussbaum 1999, 57f; Buer 2008, 109f).

Folgt man Nussbaums Konzeption, so heißt beraten, den guten Geist in einem Menschen wieder größer und stärker werden zu lassen. Beratung hat dann aber auch zum Thema, um welchen Preis diese Ziele verfolgt wer-den. Nussbaums Zusammenstellung „menschlicher Grundfähigkeiten“ könnte dabei so etwas wie ein diag-nostischer Leitfaden sein, in welchen Bereichen Ratsuchende ihren guten, glücklich machenden Geist suchen könnten.

3. Freude und Schmerzvermei-dung: „Die Fähigkeit, unnötigen Schmerz zu vermeiden und freud-volle Erlebnisse zu haben.“

4. Wahrnehmung: Die Fähigkeit zu einer wachen Wahrnehmung und kritischen Deutung der eigenen Lebenswelt (Nussbaum spricht von sinnlicher Wahrnehmung, Vorstellung, Denken und Urteilen).

5. Bindungsfähigkeit: „Die Fähigkeit […] zu lieben, zu trauern, Sehn-sucht und Dankbarkeit zu empfin-den“.

6. Lebensplanung: Die Fähigkeit, eigene Vorstellungen von einem guten Leben zu entwickeln und diese als kritisches Korrektiv der ei-genen Lebensplanung zu nutzen.

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Reflexionen zur Beratungsarbeit

Glück, Genuss und Augenblick

Schließlich gibt es noch einen drit-ten Glücksbegriff, der oft überse-hen oder abgelehnt wird. Die Rede ist von Genuss, Vergnügen, Lust, Freude und Wohlbefinden. Auch wenn Boulevardmedien, Privatsender, Werbebranche u. ä. heute unisono ein Loblied auf unverbindlichen Spaß und schnelle Bedürfnisbefriedigung singen, darf nicht vergessen werden, dass diese Lust- und Genussphiloso-phie des Philosophen Epikur, angefan-gen bei der zeitgenössischen Kritik der aristotelisch-platonischen Tradition, durch viele Jahrhunderte europäischer Zeitgeschichte einer harschen Pole-mik ausgesetzt war. „Keine Philoso-phie wurde derart verunglimpft und schlechtgemacht wie der epikureische Hedonismus“ (Lemke 2010, 10).

Befragt man diese „hedonistische“ Tradition auf ihre Relevanz für den Beratungsalltag hin, so stößt man auf eine wichtige Spur: Alltägliche, kleine Dinge verdienen es, genossen zu werden! Wir dürfen und sollen uns um uns selbst sorgen! Wir dürfen und sollen genießen! Beraterinnen und Berater kennen unzählige Beispiele dafür, wie oft das Basale zum Schlüs-sel für glückendes Leben werden kann: Die ausgebrannten Ratsuchen-den, die nicht mehr in der Lage sind, Lust und Freude zu empfinden oder sich schlicht keine Zeit mehr nehmen, glücklich zu sein. Die Männer, die ge-

prägt von Männlichkeitsvorstellungen, denen Selbstsorge fremd ist, nie ge-lernt haben, sich durch Hautcremes, schöne Musik oder gutes Essen etwas Gutes zu tun. Die Paare, die, verbis-sen in chronische Konflikte, den Blick für die beglückenden Kleinigkeiten des Lebens verloren haben und ihr Paarglück jämmerlich verkümmern lassen. Für solche Ratsuchende kann Epikurs simple Botschaft heilsame Wege eröffnen: „Das höchste Ziel des menschlichen Lebens ist Steigerung des Genusses und Verringerung des Leidens“ (Greenblatt 2011, 203).

Der endliche und sterbliche Mensch erliegt aber immer wieder seiner Sehnsucht nach nie endender Lust und seiner Furcht vor nie endendem Schmerz. Hier liegt aus hedonistischer Sicht die Grundlage dafür, dass die Suche nach Glück zur Sucht werden kann. Aber so eine Verkürzung der Glückssuche wird die wenigsten Men-schen langfristig befriedigen. Deshalb dürfen wir in der Beratungsarbeit nicht aus dem Blick verlieren, dass die Halbwertzeit dieses hedonistischen Glücks gering ist. Wer die Lust und Freude des hedonistischen Glücks zu schätzen lernt, muss sich auch mit der Begrenzung dieses Glücks auseinan-der setzen und mit dem, was seinem Leben langfristig Tragfähigkeit, Glück und Sinn verleiht. Das ist wichtig, damit der unbefangene Genuss an-gesichts des „immer nur episodischen Glücks“ nicht zur atemlosen Jagd ausartet (Buer 2008, 132).

Literatur

» Aristoteles (1909). Aristoteles: Nikomachische Ethik. Ins Deutsche übertragen von Adolf Lasson, Jena: Eugen Diede-richs, 1909. Zit. nach: www.zeno.org/Philosophie/L/Arist.-Nikom.

» Buer, Ferdinand (2008). Glücklich sein. In: Ferdinand Buer/Christoph Schmidt-Lellek. Life-Coaching. Über Sinn, Glück und Verantwor-tung in der Arbeit. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 103-133.

» Buer, Ferdinand (2012). Einführung. In: Christoph Hutter/Ferdinand

» Buer. Funktionieren und Glücklich sein – wie passt das zusammen.

» www.isi-hamburg.org/down-load/0_Fachtagung_2012_Funkti-onieren_und_Gluecklich_sein_Pu-blikation_Endfassung.doc

» Greenblatt, Stephen (2011). Die Wende. Wie die Renaissance begann. München: Siedler.

» Lemke, Harald (2010). Epikurs Gemüsegarten und seine phi-losophischen Früchte. In: EPI-KUR - Journal für Gastrosophie, 01/2010. www.epikur-journal.at.

» Nussbaum, Martha C (1999). Gerechtigkeit oder das gute Leben. FfM: Suhrkamp.

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Quergedacht

ebenso erprobt sind, wie am oberen und unteren Rand der Begabungsska-la. Wunderbar.

Doch dann: Jähes Erwachen. In-klusion! Diese bedeutet, dass alle (zumindest die meisten) Kinder in den Grundschulen gemeinsam lernen sollen. Aber ansonsten soll fast alles bleiben wie es ist! Jede Klasse hat Anspruch darauf, zwei Stunden pro Woche (!) von Förderschullehrern besucht, beraten und unterstützt zu werden. Ein böses Erwachen. Statt des angemessenen Lernumfeldes der Förderschulen mit kleinsten Lerngrup-pen und beeindruckend geschultem Personal bekommen Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogi-schem Förderbedarf Regelunterricht unter völlig ungenügender Supervisi-on von Fachkräften? Das ist zu wenig, grenzt an Kindesvernachlässigung.

Ist es wirklich völlig abstrus, hier auf den Gedanken zu kommen, die Politik habe im schulischen Bereich wieder einmal vor allem auf das Geld geschaut? Nach der drastischen Reduktion der Schulpsychologie in Niedersachsen die nächste Billigvari-ante. „Deutschland gibt pro Grund-schüler gerade einmal die Hälfte von dem aus, was in EU-Staaten sonst üblich ist“1 Da passt die Inklusion gut ins Bild. Sie stürzt nicht nur Lernende, sondern auch Lehrerinnen und Lehrer in Abgründe der Dauerüberforderung. Um es auf den Punkt zu bringen: Natürlich lässt sich trefflich darüber streiten, ob zu wenig Bildung von zu wenigen Fachkräften besser inklusiv oder besser an spezialisierten Orten vermittelt werden sollte. Beide Mög-lichkeiten werden nicht verhindern, dass die soziale Schere in Deutschland immer weiter aufklafft. Sie werden nicht dazu führen, dass wir weniger soziale Verlierer produzieren. In den nächsten Jahren heißen sie auch „In-klusionsverlierer“. Wie viele Studien müssen eigentlich noch vorgelegt werden, bis die Bildungspolitik reali-siert, dass Bildung Geld kostet?

Aber vielleicht geht es ja nicht nur ums Geld. Denn Inklusion ist ein heiß umkämpftes Terrain. Warum das so ist, wird schnell klar, wenn man darüber nachdenkt, was eigent-lich das Gegenteil von Inklusion ist: schlimmstenfalls sind das Ausgren-zung und Stigmatisierung. Jeder, der nicht mithalten kann, wird im klassi-

1 www.dradio.de/dlf/sendungen/kom-mentar/1951241, dradio 16.12.2012

„Wir brauchen Kinder, die funktionieren.Wer braucht schon ein Kind, das lacht?“ –

Kritisches zur Debatte um Inklusion von Dr. Christoph Hutter

Quergedacht

In einem Cartoon fragt die Mutter beim Nach-Hause-Kommen ihren Sohn „Was habt ihr heute gelernt?“ und das Kind antwortet mit einem breiten Grinsen im Gesicht: „Jeder etwas anderes!“. Was für ein schö-ner Traum: Alle Kinder lernen unter einem Dach. Jedes Kind lernt nach individuell ausgearbeiteten Arbeits-plänen maßgeschneiderte Inhalte. Und so kann sich jedes Kind optimal entwickeln. Es geht seinen eigenen Weg. Die Gruppe, die gemeinsam eigene Bildungswege geht, nennt man Klasse. Eine Weggemeinschaft von Lernhungrigen, gut begleitet von Spezialisten, die für jede Lebenslage einen wertvollen Lerntipp auf Lager haben. Lehrerinnen und Lehrer, die jedes einzelne Kind im Blick haben, eine tragfähige Beziehung auch und gerade zu „schwierigen“ Kindern aufbauen und die in Alltagsroutinen

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Quergedacht

schen Schulsystem wegselektiert und ausgemerzt, so die große Sorge der Inklusionsverfechter. Und es ist gut, darauf ein Auge zu haben. Denn wir haben faktisch noch immer ein hoch selektives und wenig durchlässiges Schulsystem. Aber wie in so vielen Fällen ist auch hier das Gegenteil von falsch nicht einfach richtig. Ohne tragfähige Konzepte und ausreichen-de Finanzierung ist das Gegenteil von Selektion nicht Inklusion, sondern wohl eher Gleichmacherei und unter-lassene Hilfeleistung.

Ich kann Zebras nicht in ein Löwenru-del inkludieren, wenn ich nicht bereit oder nicht fähig bin, die Gesetze in der Tierwelt nachhaltig zu verän-dern. Und: Es gibt Grenzen was die Wandelbarkeit vom Zebra in einen Löwen angeht. Manchmal bedarf es der Schutzräume, Zäune und Weiden, damit ein Zebra sein kann, was es im-mer schon sein wollte: ein glückliches Zebra. Angemerkt sei, dass Analo-ges auch für Löwen gilt! Jedes Kind braucht manchmal Schutzräume, um glücklich gedeihen zu können.

Natürlich muss Schule gerecht sein und sollte gleiche Chancen ermögli-chen! Wer wollte da widersprechen. Wenn jeder aber nur das Gleiche bekommt, dann herrscht weder Ge-rechtigkeit noch Chancengleichheit. Auch der bekannte Hase Nulli und sein Freund, der Frosch Priesemut, kommen schnell zu der Erkenntnis, dass Hasen keine Brummer fressen und Frösche keine Möhren. „Wir kön-nen beste Freunde sein und trotzdem

unterschiedliches essen.“ „Jedem das seine.“ Dazu gehört aber auch, Be-nachteiligungen der weniger Begüns-tigten auszugleichen, wo immer das möglich ist.

Wer Inklusion und spezifische Förde-rung als einander ausschließende, als paradoxe Alternativen denkt, und sei es nur, weil er/sie denkt, etwas an-deres ließe sich nicht finanzieren, der hat das Ringen um eine angemessene Beschulung aufgegeben. Für parado-xe Situationen gibt es keine schnellen, keine glatten und keine widerspruchs-freien Lösungen. Wir müssen handeln und werden doch nicht mit weißer Weste davon kommen. Und Inklusion ist eine paradoxe Herausforderung!

Man muss kein Prophet sein, um auf die Idee zu kommen, dass zu wenig und zu unpräzise organisierte Bildung einem Staat viel Geld und Entwick-lungschancen und vielen Kindern und

ihren Familien Lebensglück kostet. Kein Kind ist gerne ein schlechter Schüler. Und schlechte Schüler haben nichts zu lachen. „Wir brauchen Kinder die funktionieren. Wer braucht schon ein Kind das lacht?“, fragt Kon-stantin Wecker auf seiner aktuellen CD „Wut und Zärtlichkeit“.

Vielleicht fragen Sie sich jetzt, warum ein Berater sich fachfremd in schu-lische Belange einmischt? Einfach deshalb, weil die Modernisierungsver-lierer immer schon als Ratsuchende in die Beratungsstellen gekommen sind. Die Inklusionsverlierer werden die nächsten sein!

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Quergedacht

Mit zitiertem Satz bemitleidet die Schauspielerin Sophie von Kessel (44) ihren von ihr nach 13 Jahren verlas-senen Ehemann in einem Interview Anfang Dezember 2012. Sie bedauert ihn ob des Liebeskummers, den sie durch die Trennung ihrem Ex bereitet habe. Was sie nicht sagt, wonach der Interviewer auch nicht fragt, ist, ob die Trennung der Eltern zweier Kinder (12 und 7 Jahre) vielleicht auch ein großer Schock für die Kinder sein könnte. Und das ist symptomatisch für unsere Zeit. Kinder geraten aus dem Blick. Wenn man sich mit ihnen befasst, dann – zumindest in politi-schen Diskussionen – vorrangig unter zwei nicht kindgerechten Gesichts-punkten:

» Wie werden sie möglichst frühzei-tig (zu früh?) einem Bildungs- und Leistungsgebot ausgesetzt und über zu viele Stunden ihren Fa-milien entzogen, damit die Eltern wirtschaftstauglich bleiben?

» Wie schaffen wir es, wieder mehr Kinder zu bekommen?

Ad 1: Trennungsschmerzen werden kollektiv verdrängt, vermutlich weil sie, würde man sie zulassen, unerträg-lich wären – für Kinder wie für Eltern. Stattdessen wird rationalisierend auf in Einzelfällen sicher auch gegebene Bildungsvorteile verwiesen. Das dient der Beruhigung. Und darauf, dass beide Eltern ja arbeiten müssten, weil ein Verdienst nicht ausreiche. Leider

„Nach 13 Jahren war es sicher ein großer Schock für ihn.“ – Fragen an die Kinderfreundlichkeit unserer Gesellschaft von Bernhard Plois

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Quergedacht

stimmt Letzteres nur allzu oft. Und das ist das Skandalöse unserer neoli-beralistischen Gewinnmaximierungs-gesellschaft. Dass Eltern nicht wirklich Wahlfreiheit haben. Müsste eine Gesellschaft, die sich gern „sozial“ nennt, nicht ihre ökonomischen Ver-hältnisse kindgerechter gestalten statt die Kinder und Familien wirtschafts- und damit letztlich profitkonformer? Völlig die kindlichen Bedürfnisse verachtend ist da der scharfe Ruf des Vorsitzenden des Bundesverbandes der Deutschen Industrie nach dem Staat (was beim BDI sonst nicht vor-kommt), der dringendst dafür Sorge tragen müsse, dass das Angebot der frühkindlichen Fremdbetreuung massiv ausgebaut werde, damit beide Eltern wieder voll arbeiten können. Psychologischer Sachverstand und elterlich gesunder Menschenver-stand können da nur fragen: „Wie weit soll die Ausbeutung denn noch gehen? Welche Preise sollen Kinder, die unsere Zukunft sein sollen, denn noch zahlen für den Profit anderer?“ Sind Kompromisse schon gar nicht mehr denkbar, die Teilzeitarbeit für Mütter wie Väter möglich machen? Dürfen Lebenserfahrungen und Kompetenzgewinne, die Eltern in ihrer Erziehungsarbeit erwerben, nicht mal mehr als Karrierepluspunkte gedacht werden?

Ad 2: Der Wunsch nach Umkehr der demographischen Entwicklung spie-gelt andere Ängste. Wer wird einmal die vielen Alten pflegen? Wird die verbleibende Produktivkraft ausrei-chen, lieb gewonnene Lebensstan-

dards zu erhalten? Woher kommen die Fachkräfte? Nüchtern kann man derzeit nur feststellen, dass trotz aller sogenannten familienpolitischen Maß-nahmen der vergangenen Jahre die Geburtenrate konstant viel zu niedrig bleibt, um den genannten Ängsten zu begegnen. Ausbleibender Nachwuchs zeigt auch, dass das, was unter dem Label „Familienpolitik“ läuft, für an-dere politische Ziele missbraucht wird, die eben nicht zeugungsfreundlich sind. Es gibt inzwischen einige Studi-en, die belegen, dass zur Elternschaft reife Paare sich nichts sehnlicher wünschen als eine stabile Bindung aneinander und an zweiter Stelle eine materiell hinreichende Sicherheit, um als Familie dann auch ein Auskom-men zu haben. Familienpolitik müsste gelingende Ehe und Partnerschaft und die auch materielle Anerkennung von Familienarbeit wieder mehr in den Fokus nehmen. Der Mensch als soziales und bindungsbedürftiges Wesen müsste wieder mehr an Wert-schätzung erfahren. Die vorrangige Beschäftigung damit, wie wir Kinder schnellstmöglich wieder los werden, wie wir am besten ungebunden bleiben, mobil und allzeit trennungs-bereit, scheint ein sicheres Mittel zu sein, die Lust auf Nachkommenschaft zu schmälern.

Erst wenn zitierte Schauspielerin bei ihrer Trennung vor dem Liebesleid des Mannes ungeschönt das Seelendrama ihrer Kinder, das in aller Regel mit einer Trennung von Eltern einhergeht, ins Gespräch bringt und erst dann, wenn der Präsident des Bundesver-

bandes der Deutschen Industrie zu der Überzeugung kommt, dass elter-liche Verfügbarkeit für den jungen Nachwuchs wichtiger ist als deren Verfügbarkeit für profitorientierte Pro-duktionsprozesse, dann könnte unsere Gesellschaft wieder kinderfreundlicher werden und würde wahrscheinlich auch wieder mehr Kinder hervorbrin-gen.

Familienpolitik verdient diesen Namen dann, wenn sie drei Interessen dient: 1. dem Zusammenhalt und dem Glück des Paares, 2. der emotionalen und materiellen Sicherheit der nachwach-senden Generation, die zunächst viel stärker in den emotionalen Bindungen und erst später auch in kognitiven Fähigkeiten gegeben ist und 3. der Sicherung eines würdevollen Lebens der Alten, das auch stark emotional geprägt ist wie schon die ersten Jahre des Lebens.

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Berichte aus dem Beratungsalltag

1. Warum eine Frauengruppe?

Frauen – insbesondere Frauen in der Lebensmitte – stellen in der Ehe-, Fa-milien- und Lebensberatung konstant die größte Gruppe der Ratsuchenden dar. Auch die Mitarbeiterteams sind durch eine starke Überzahl an Frauen gekennzeichnet. So stellen sich gender-sensible Fragen: Ist Beratung weiblich? Was brauchen Frauen, die sich an uns wenden?

Von diesen Fragen ausgehend entwi-ckelten wir unser Projekt der thera-peutischen Frauengruppe. Wir wollten die Vorteile der Gruppentherapie auch für die Zielgruppe ratsuchender Frauen fruchtbar machen. Die Grup-pentherapie kennt und nutzt eigene Heilfaktoren: Die Teilnehmerinnen flößen sich gegenseitig Mut ein. Sie lernen voneinander (interpersonales Lernen) und stehen mit ihrem Leid nicht allein (Universalität des Leidens) (I. Yalom 1970). Auf diese Wirkfak-toren bauten wir unsere Arbeit auf und gestalteten sie systemisch und ressourcenorientiert Wir nennen unser Projekt: „Gemeinsam auf meinem Weg - ein einjähriges therapeutisches Gruppenangebot für Frauen in Um-bruchsituationen“.

2. Frausein heute

In den vergangenen Jahrzehnten ha-ben sich die Lebensbedingungen von Frauen stark verändert.

» Familie und Beruf zu vereinen und gleichzeitig den eigenen Lebensidealen gerecht zu wer-den, eröffnet viele Möglichkeiten und Chancen, bringt aber auch hohe Anforderungen mit sich. Diese lösen häufig ein Gefühl der Überforderung und der eigenen Unzulänglichkeit aus.

» Zu den heutigen Herausforderun-gen und dem dazugehörigen Bild der Frau als „Allrounderin“, die alles strahlend bewältigt, kommt die fehlende Stabilität in Beziehun-gen. Paar- und Familienstrukturen sind brüchig geworden und geben keinen zuverlässigen Halt und Schutz mehr.

» Noch immer, und mit steigender Tendenz, sind es vor allem Mütter, die in Einelternfamilien mit ihren Kindern zusammen leben. Damit verknüpft sind z. B. ein gestei-gertes Armutsrisiko, erhöhte Erziehungsanforderungen und ein Mangel an eigener Erholungszeit.

» Die Betrachtung von Lebenswirk-lichkeiten alleinerziehender Frauen über den gesamten Lebenslauf hat bislang noch wenig Beachtung gefunden. Dabei ist eine Ausein-andersetzung mit den längerfris-tigen Auswirkungen von Alleiner-ziehung von Nöten.

So ist es nicht verwunderlich, dass seelische Probleme bei Frauen inzwi-schen die dritthäufigste Diagnose darstellen: Selbstwert- und Bezie-hungsprobleme nehmen hier eine zentrale Rolle ein.

Gemeinsam auf meinem Weg – eine therapeutische Frauengruppe von Birgit Gerharz und Ellen Geyer-Köhler

Berichte aus dem Beratungsalltag

3. Gruppenarbeit – gelebte Solidarität unter Frauen

Unsere Zielgruppe sind Frauen in Umbruchsituationen, meist in oder nach der Lebensmitte nach Trennung vom Partner oder dessen Tod, in der Ablösungsphase zu den Kindern, in körperlicher oder beruflicher Verän-derung etc. Diese Wendepunkte und die einhergehenden Lebenskrisen wollen wir in der Gemeinsamkeit und Unterschiedlichkeit der Frauen in einer Kleingruppe gemeinsam leichter annehmen und tragen helfen. Die Gruppe bietet einen Rahmen, in dem die Frauen dahin geführt werden, ihren Lebensweg nicht mehr alleine zu gehen, sondern sich solidarisch mit anderen Frauen zu vernetzen. (Lernziel Solidarität - H.E. Richter) Heilung und Genesung geschehen für Menschen mit Selbstwert- und Beziehungsschwierigkeiten über die Beziehung zu anderen, über einen besseren Kontakt zu sich selbst und zu dem Gegenüber. Der israelische For-scher A. Antonovsky (1997), der sich mit der Frage beschäftigt hat, was Menschen gesund erhält (Salutogene-se), beschreibt soziale Beziehungen zu anderen Menschen als Widerstands-ressourcen. Durch die Erfahrung einer tragenden, nährenden und Halt gebenden Beziehung lernt jede Frau neu, Vertrauen aufzubauen und einen Zugang zu sich selbst zu finden. Ent-scheidende Faktoren hierbei sind die Erfahrung, sich offen zeigen zu dürfen und die Zuwendung der Frauen un-tereinander (vgl. Wardetzki 2001).

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Berichte aus dem Beratungsalltag

Berichte aus dem Beratungsalltag

Eine Frau, deren Entwicklung wir beispielhaft nachzeichnen möchten, hat den Ertrag dieser Solidarisierungs-arbeit für sich so formuliert: „Ich habe hier Edelsteine gefunden, die mich weiter auf meinen Weg beglei-ten werden. Dies macht mir Mut, wenn auch mal wieder traurige Tage kommen.“

4. Gruppenarbeit – systemisch und an Ressourcen orientiert

Unsere Frauengruppe ist lösungs- und ressourcenorientiert. Was heißt dies konkret? Wir sehen die Gruppe als ein System, in dem sich die Beziehungs-muster und Themen der Teilneh-merinnen aus dem Alltag abbilden und in dem sie gleichzeitig verstanden und bearbeitet werden können. Auch ist die Gruppe ein effektiver Lernort. Die in ihr gemachten Erfahrungen können für das soziale Miteinan-der außerhalb der Gruppe genutzt werden. Als klassisches Beispiel sei das Einüben neuer Interaktions- und Kommunikationsstrukturen genannt. In der Gruppe wird der Umgang mit-einander reflektiert: Wer hat welche Redeanteile? Wer nimmt sich welchen Raum? Je besser die Teilnehmerinnen verstehen, wie sie sich verhalten, und je mehr sie ein konstruktives, soziales Miteinander einüben, desto leichter wird es möglich, das neue gelernte Verhalten in anderen Bezügen, zum Beispiel mit Freundinnen oder am

Arbeitsplatz mutig umzusetzen und es auch dort zu erproben.

H. Molter und J. Hagen (2002) beto-nen, dass es bei lösungs- und ressour-cenorientiertem Arbeiten mit Gruppen weniger auf die Technik, als auf die Haltung des Beraters ankommt. Die Haltung ist durch Respekt vor den an-deren Teilnehmerinnen, Anschluss an vorhandene Ressourcen und das Initi-ieren kleiner Veränderungen gekenn-zeichnet. Diese Haltung wird von den Frauen schnell angenommen und in Rückmeldung und Umgehen mitein-ander auch umgesetzt. Leicht verkürzt und doch zutreffend beschreibt dies eine Teilnehmerin: „Ich weiß schon, jede Sache hat irgendwie ihren Sinn und etwas Positives“. Diese Teilneh-merin fühlte sich immer wieder durch ihre zahlreichen negativen Erlebnisse so stark beeinflusst, dass ein längerer Prozess nötig war, bis sie als Pilotin Ihres Lebens im Hier und Jetzt und in den Möglichkeitsräumen investieren konnte. Die Gruppe konnte sie gut darin unterstützen, den Blick nicht auf die Probleme, sondern immer mehr auf mögliche Lösungen zu zentrieren. Die Gruppe ist „eine Projektgruppe zur Förderung der Fähigkeit zu befrie-digender und erfolgreicherer, persön-licher Lebensgestaltung“ (Fürstenau 1992, 197).

Die kreative Arbeit an den Möglich-keitsräumen der Frauen konnte durch einen breiten Schatz lösungs- und ressourcenorientierter Methoden der systemischen Arbeit bereichert und angeregt werden s. u.).

5. „Gemeinsam auf meinem Weg“ – Therapeutische Frauen-gruppe 2011-2012

In der Gruppe haben sich Frauen in und nach der Lebensmitte wöchent-lich ein Jahr lang zusammengefunden. Sie befanden sich an einem Wende-punkt ihres bisherigen Lebensweges. Kennzeichnend für diesen Lebens-abschnitt sind die „Ü50-Pakete“, in denen unverarbeitete Lebensthemen, häufig noch aus der eigenen Her-kunftsfamilie, „verpackt“ sind. Sie fanden in der „rush hour“ des Lebens keine Beachtung, drängen sich nun ins Bewusstsein und wollen geöffnet werden. Damit bietet sich die Chan-ce, sich den bisher vernachlässigten Anteilen der Persönlichkeit und den unerfüllten Lebensträumen zuzuwen-den.

5.1 Der Weg in die Beratungsstelle und erste Schritte in der Gruppe

Aus der Wegbahn und auf sich ge-worfen

Frau A., Anfang 50, verheiratet, 2 Kinder (25 und 21 Jahre), meldet sich auf Hinweis einer Bekannten zur Le-bensberatung an. Ihr Mann habe sie vor einem Jahr verlassen und sie kön-ne die Trennung nicht überwinden. In fünf Einzelgesprächen wurden bald die Schuld- und Minderwertigkeitsge-fühle der Ratsuchenden deutlich: Sie sah sich als Ursache für die jahrelan-

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Berichte aus dem Beratungsalltag

gen außerehelichen Beziehungen ihres Mannes, fühlte sich klein und wertlos und setzte alles daran, ihren Mann zurück zu gewinnen. Die Ratsuchende empfand keine Wut gegenüber ihrem Mann, stattdessen standen Selbst-anklage und depressive Symptome im Vordergrund. Den Vorschlag, an der therapeutischen Frauengruppe teilzunehmen nahm Frau A. mit dem Wunsch an, sie wolle lernen, sich mitzuteilen, anderen zu vertrauen und - vor allem - sich ihren eignen Raum zu nehmen. Bedenken begründete sie mit ihrer Angst und Scheu vor einer Gruppe.

Wegkreuzung: gemeinsam nach Orientierung suchen

Die Metapher „den eigenen Weg suchen, finden und gehen“ war von Beginn an eine zentrale Idee der Gruppe und zog sich wie ein roter Fa-den durch den gemeinsamen Prozess. Auf die Frage: In welche Richtung soll mein Weg führen? (Zielanalyse) nann-te Fr. A.: Ich möchte meine eigenen Gefühle besser wahrnehmen lernen. Die regelmäßige Befindlichkeitsrunde und eine Achtsamkeitsübung dienten dazu, am Anfang jeder Stunde das psychische und körperliche Erleben in den Blick zu nehmen und von dort aus mit den jeweiligen Themen der Stunde zu beginnen. Nach den ersten Gruppenstunden brachte Frau A. eine Karte mit, die ihr auf ihrem Weg ein wichtiger Begleiter werden sollte: „So wie ich bin, bin ich gut!“

Der Baum als Symbol für mein Leben

In der Einstiegsphase standen das gegenseitige Kennenlernen und die Klärung der Anliegen im Vor-dergrund. Danach führten wir eine Baum-Metapher ein, da sich in ihr zahlreiche Aspekte des eigenen Selbst und des persönlichen Lebensprozes-ses widerspiegeln. Jede Teilnehmerin wurde gebeten, sich in einer Imagina-tionsübung als ein Baum vorzustellen. Diese Übung sollte der Analyse der aktuellen Situation und der erlebten Problemlage dienen. Die Visualisie-rungen wurden in einem Bild festge-halten.Frau A. hatte während der Übung die Fichte vor ihrem Küchenfenster im Blick gehabt, die sehr alt war und eines Tages gefällt wurde. Dieses Bild empfand sie als passend für ihre Tren-nung: Sie war plötzlich abgeschlagen und hatte keine Verbindung zu ihren Wurzeln mehr. In der Visualisierung der großen glatten Schnittfläche wurden ihre große Verwundung und ihr Schmerz deutlich. Den beiden kleineren Bäumen auf ihrem Bild schenkte sie zunächst keine Beach-tung, bis diese aus der Perspektive der anderen Frauen als mögliche Symbole

für ihre beiden Kinder gedeutet wur-den. Während des Gruppenprozesses kam Fr. A. immer wieder auf dieses Bild zurück. Im Frühjahr pflanzte sie einige bunte Blumen um den abge-schlagenen Baumstamm. Ihre Über-lebensstrategie hieß: „Ich möchte mit dieser Verwundung leben lernen und das Beste draus machen“. Tatsächlich konnten wieder aufgenommene Kon-takte aus dem Bekanntenkreis und ein gutes Angebot ihres Arbeitgebers als solche „Blumen“ gesehen werden.

5.2 Kraft schöpfen auf der Mitte des Weges – Rucksack packen

Negative Programmierungen über Bord werfen

Inhalt der Gruppenarbeit ist auch, die Frauen zu ihren Kräften und Fähigkei-ten zu führen. Dazu sollten die Frauen sich zunächst von negativen Sätzen aus der Kindheit symbolisch befreiten. Dazu schrieben sie diese auf, lasen sie vor und zerrissen sie ggf. Die inneren Antreiber und negativen Zuschrei-bungen, die die Frauen von Eltern, Freunden, Männern etc. übernom-men hatten, hießen für Frau A.: „Du bist nichts wert!“ und „Du machst

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Berichte aus dem Beratungsalltag

alles falsch!“. Diese Zuschreibungen begleiteten sie aus frühester Kindheit und wiederholten sich in ihrer lang-jährigen Ehe, sodass sie immer mehr zur kleinen Maus wurde.

Verborgene eigene Schätze heben

Der nächste Schritt auf dem Weg be-stand in der Schatzsuche und Schatz-hebung. Die Frauen sollten Symbole finden, die ihre Fähigkeiten und ihre Schätze ausmachen. Nach einigen Wi-derständen brachten jedoch alle Frau-en ihre Schatzkisten in die Gruppe und stellten diese vor. So auch Frau A: Ihre Schatzkiste enthielt ein Bild ihrer beiden Söhne, eine CD Ihres Sohnes, dessen Musik sie stolz vorspielt und eine Karte, die sie zum Muttertag erhalten hatte, auf der stand: „Du bist die beste Mutti der Welt“. Frau A. strahlt bei der Vorstellung ganz viel Stolz aus, den sie so aus-drückte: „Ich konnte meine Kinder in den Arm nehmen und ihnen Liebe schenken. Meine Eltern konnten das nicht.“ Sie kann ihre Entwicklung in der Generationenfolge als Mutter stolz der Gruppe präsentieren. Wei-terhin ruft sich Frau A. die Menschen

ins Bewusstsein, die sie wertgeschätzt haben und bei denen sie die Erfah-rung machen konnte: „Ich bin ein liebenswürdiger Mensch!“. Ein Ket-tenanhänger von einer Freundin aus der Schulzeit, ein Engel, als Geschenk einer weiteren Freundin. Ein Herz symbolisiert für sie ihre Aufgabe, in Zukunft auch mehr für sich und an sich denken zu lernen: „Ich schenke vielen Menschen mein Herz – muss aber auch lernen für mich ein Herz zu haben.“

Meine Sternstunde: Gesehen und begleitet sein

In dem Roman die Wolfsfrau fin-det sich der Satz: „Jeder Frau steht ein kleiner Jubelchor unter all den nörgelnden, kritischen Stimmen im Innen und im Außen zu“ (Pinkola Este´s 1993, 345). In einer Stunde ließen wir uns von diesem Gedanken führen und die Frauen tauschten miteinander aus, was sie aneinander mögen und schätzen. Sie schrieben es auf Blumen-post-its und hefteten diese einander an. Frau A. erstrahlte in einem Blumenmeer. Sie konnte sich neu mit ihren vielen Facetten sehen und die Nähe und Anerkennung in der Gruppe geradezu aufsaugen.

Abschließend wurden diese wert-schätzenden Rückmeldungen zur Dokumentation und Verankerung in einer Mappe gesammelt, die jede Frau zum Abschluss erhielt. Das Bild für diese Mappe war ein Rucksack voller Schätze, die immer erhalten bleiben. Ein Rucksack, den sie öffnen können,

wenn die Wegstrecke wieder einmal zu anstrengend wird oder wenn neue Entscheidungen anstehen.

5.3 Abschied nehmen: Mit dem Rucksack auf den Aussichtturm

Gegen Ende des Gruppenprozesses ging es darum, das Erfahrene und Erarbeitete auszuwerten und einen Ausblick in die Zukunft zu wagen. In Anlehnung an das „Triptychon“ (Fischer-Stöckli, 2011) wurden die Teilnehmerinnen gebeten, mittels einer kreativen Methode sich das Vergangene, das Gegenwärtige und das Zukünftige vorzustellen und ihm nachzuspüren. Dann malten sie den Wegverlauf, der mit dem Start in der Gruppe beginnt und zum aktuellen Standpunkt und dem gegenwärtigen Erleben führt. Der dritte und rechte Teil des Bildes ist für das Zukünftige reserviert. So konnte der Therapie-prozess und die Entwicklung, die jede Teilnehmerin genommen hat, gut dokumentiert werden.Frau A. erzählt:

Ein Blick zurück: Von hierher bin ich gekommen

„Ich wollte das Motiv des Baumes wieder aufgreifen. Bevor ich in die Frauengruppe ging, war da der ab-geschlagene Baum (unten links). Die beiden Herzen sollen meine beiden Kinder darstellen. Am Anfang der Gruppe stand über mir (Baum) eine große schwarze Wolke. Ich habe da Begriffe reingeschrieben, die gut wiedergeben, wie ich mich damals

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Berichte aus dem Beratungsalltag

fühlte: „Weggeworfen, mutlos, klein, kraftlos, verzweifelt, wertlos.“ Die Regentropfen zeigen, wie viel ich damals geweint habe. Aber der Baum stand am Rande eines Weges, dane-ben die kleine graue Maus als die ich mich damals sah.Der Weg verläuft in Kurven aber es geht stetig nach oben. Auf dem Weg liegen Herzen, das sind Menschen, die mir zur Seite stehen und das sind auch gute Begegnungen und Erfah-rungen. Auf meinem Weg liegen aber auch viele schwere Steine, die mir das Leben schwer machen, mich im-mer auch zurückgeworfen haben. Die Steine werden im Laufe des Weges kleiner und weniger.“

Eine neue Wegetappe: Hier stehe ICH heute

„Eine Sternstunde und eine große Veränderung war für mich in der

Gruppe die ‚Schatzhebung‘. Das habe ich mit den Edelsteinen auf der orangenen Blume dargestellt. Das Kleeblatt symbolisiert meinen neuen Arbeitsplatz mit mehr Verantwor-tung. So habe ich auch außerhalb der Gruppe Anerkennung erfahren, die mich auf meinem Weg stärkte.Die vier großen Edelsteine in der Mitte meines Weges sollen die Grup-penteilnehmerinnen darstellen. Ihr seid Schätze für mich! Die Begegnung mit euch, der ehrliche Austausch, die Anregungen, die gegenseitige Unter-stützung haben mir sehr gut getan. Ich habe immer viel aus den Stunden mitgenommen und von allen lernen können, so unterschiedlich auch jeder in seiner Art und Lebensweise ist. Die Wolke steht immer noch über meinem Weg, daraus regnet es jetzt viel seltener. Als Stichworte meiner heutigen Themen habe ich da hineingeschrieben: Freude am Zusammensein mit Freunden, zur Ruhe kommen, an mich denken ohne schlechtes Gewissen, Hoffnung, et-was gewachsenes Selbstbewusstsein. Meine Angst vor neuen Enttäuschun-gen und die Angst vor dem Alleinsein begleiten mich weiterhin.Ab diesem Wegstück wachsen Blu-men auf dem Wegesrand.“

Zukunftsvisionen und -träume geben mir die Richtung an

„Ganz rechts habe ich mit Glitzer-staub einen Kreis gelegt, dieser soll meinen Wunsch nach Geborgenheit und einem neuen Zuhause darstellen.

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Berichte aus dem Beratungsalltag

So wünsche ich mir für die Zukunft, dass meine beiden Kinder glücklich werden, dass ich wieder Vertrauen aufbauen kann und Wärme und Liebe empfinden und auch wieder bekommen kann. Ob das alles mal so kommt, weiß ich nicht, aber dieses Wunschbild meiner Zukunft gibt mir die Richtung für meinen weite-ren Weg. Die vielen Edelsteine und Herzen zeigen mir, dass da noch eine ganze Menge an Gutem möglich sein wird.“

5.4 Abschluss

Nach einem Jahr gemeinsamen We-ges wurde die Gruppe beendet. Der feste Zeitrahmen führte immer wieder zur Fokussierung dessen, was „geh-bar“ und möglich ist. Zudem öffnete er für das Thema „Abschiednehmen“, womit die Frauen sehr unterschiedli-che lebensgeschichtliche Erfahrungen hatten.In folgendem Gedichtsauszug wollen wir die Frauen noch einmal selbst zu Wort kommen lassen. In diesen Zeilen wird die „bezogenen Individuation“ (Stierlin et al., 1985) der Frauen deutlich, ihre gelungene Synthese von Autonomie und Bindung. Gerade für Frauen ist die Fähigkeit, in der Ehe, in der Familie und am Arbeitsplatz die eigenen Wünsche und Erwartungen von denen der anderen abzugrenzen und dafür einzutreten, eine große Herausforderung. Wie es ist, den eigenen Weg der Selbstentfaltung zu gehen und dabei in Beziehung zu bleiben, konnten die Frauen in unse-rer therapeutischen Gruppe erfahren.

6. Literatur

» Antonovsky, Aaron (1997). Salutogenese: Zur Entmystifizie-rung der Gesundheit, übersetzt von Alexa Franke. Tübingen: DGVT-Verlag.

» Fischer-Stöckli, Rosa (2011): Triptychon. In: Heidi Neumann-Wirsing (Hrsg.): Supervisions-Tools. Managerseminare-Verlag: Bonn

» Fürstenau, Peter (1992). Entwick-lungsförderung durch Therapie- Grundlagen psychoanalytisch- systemischer Psychotherapie. Pfeiffer: München

» Michaela Huber, Michaela (2005). Der innere Garten. Junfermann: Paderborn.

» Molter, Haja/Jürgen, Hagens (2002). Ich-du-wir und wer sonst noch dazu gehört. Systemische Gruppentherapie. Borgmann: Dortmund.

» Pinkola Este´s, Clarissa (1993). Die Wolfsfrau. Die Kraft der weiblichen Urinstinkte. Heyne: München.

» Richter, Horst-Eberhard (1974). Lernziel Solidarität. Psychosozial-Verlag: Gießen

» Richter, Horst-Eberhard (1999). Vortrag vom 25.11.1999. Lernziel Solidarität Heute. Berlin.

» Stierlin, Helm. et.al. (1985). Das erste Familiengespräch. Klett Cotta: Stuttgart.

» Wardetzki, Bärbel (2001). Weiblicher Narzissmus. Der Hunger nach Anerkennung. Kösel-Verlag: München.

» Yalom, Irvin D. (1974). Gruppenpsychotherapie. Grundlagen und Methoden. Ein Handbuch. Kindler: München.

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Guter Rat

1. Wertschätze die Zeit mit deinen Kindern. Es wird dich verblüffen, wie schnell die Zeit mit ihnen vergeht. Meine älteste Tochter ist 15. Ich habe nur noch drei kurze Jahre mit ihr. Dann wird sie das Nest verlassen. Die Zeit, die du mit deinen Kindern hast, ist kurz und kostbar. Mach das Beste draus. Verbringe so viel Zeit wie möglich mit deinen Kindern. Mach eine Qualitätszeit, eine liebende Zeit daraus. Sei ganz gegenwärtig, ohne dich innerlich ablenken zu lassen. Kinder spüren das.1

2. Es wird leichter. Andere mögen andere Erfahrungen gemacht haben, aber für mich waren die ersten Monate immer die an-strengendsten. Das neugeborene Baby will tags wie nachts ständig gefüttert werden, verursacht schlaflose Nächte, und du läufst schließlich herum wie ein Zombie. Es wird leichter, sobald sie ihren Schlafrhythmus gefunden haben. Die ersten Jahre sind viel fordern-der als die folgenden. Wenn die Kinder mit der Grundschule durch sind, werden sie zu fast funktions-tüchtigen und unabhängigen jun-gen Erwachsenen. Es wird leichter, glaube es mir.

1 Aus: The Awesome Dad Cheat Sheet: 18 Fatherhood Tips They Should’ve Handed Out at the Delivery Room, http://artofmanliness.com/2008/08/03/18-tips-for-being-a-great-dad/ Zugriff: 16.12.2012, eigene Überset-zung

3. Betrachte nichts als “Mutterauf-gaben” – teile die Verantwort-lichkeiten. Auch wenn es viele gute Dinge aus Großelterntagen zurückzuholen gilt, die Aufteilung in Mutter- und Vateraufgaben in der Erziehung gehört nicht dazu. Mische dich in alles ein und teile die Belastungen mit der Babymut-ter. Windeln wechseln, Baden, Anziehen, Füttern – wenn es nicht die Brust ist.

4. Liebe schafft alles. Dieser Rat klingt kitschig. Dennoch sollte er das Zentrum deiner Philoso-phie vom Vatersein bilden. Das Wichtigste ist: Zeig deinen Kindern deine Liebe. Wenn du aufgebracht bist, schrei sie nicht an, zeig deine Liebe. Wenn sie aufgebracht sind, zeig deine Liebe. Wenn sie es am wenigsten erwarten, zeig deine Liebe. Alles andere sind nur Klei-nigkeiten.

5. Kinder lieben es, sich zu entschei-den. Auch wenn es einfacher ist – aber als ein autoritärer Vater lehrst du deinem Kind, sich Anordnun-gen zu fügen, ob die nun sinnvoll sind oder nicht. Besser lehrst du deinem Kind, sich zu entscheiden. Und es wird sehr viel kompeten-ter und glücklicher aufwachsen. Kinder lieben Freiheit und Ent-scheidungen so wie jedes andere menschliche Wesen auch. Deine Aufgabe ist es, zu Entscheidungen anzuleiten innerhalb der Vorga-ben, die du setzt. Gib ihnen lieber die Wahl zum Beispiel zwischen

18 Tipps für Väter, die schon im Kreißsaal ausgehändigt werden sollten nach Leo Babauta, Vater von sechs Kindern1

Guter Rat

zwei gesunden Frühstücksalter-nativen als die Freiheit der Wahl einer Schale mit Zucker.

6. Geduld hat einen langen Atem. Als Vater weiß ich wie jeder ande-re auch, wie leicht es ist, Geduld und gute Laune zu verlieren. Aber, dir selbst zuzugestehen, mit Zorn oder sehr gefrustet zu regieren, ist nicht das Beste für dein Kind. Da-ran solltest du dich erinnern. Du solltest lieber tief durchatmen oder einen Gang machen, wenn du die Geduld mit deinem Kind verlierst. Praktiziere Geduld mit deinem Kind und mit eurer Beziehung und dein Kind wird langfristig davon profitieren.

7. Sinn für Humor erforderlich. Es wird Dinge geben, mit denen dein Kind dich geradezu zur Verzweif-lung bringt: Wände mit Wachs-stiften bemalen, Flüssigkeiten auf die Couch schütten, ungefragt dein Auto ausleihen, um sich mit Freunden zu treffen. Statt dann Vorträge zu halten, diese Dinge doch lieber zu unterlassen, solltest du den Humor der Situation er-kennen. Das habe ich gelernt und mir damit meine geistige Gesund-heit erhalten.

8. Lese deinen Kindern vor, und zwar oft. Ob du nun selbst ein Le-ser bist oder nicht, Vorlesen (von Babytagen an) ist entscheidend. Es bringt sie in eine lesende Haltung und bereitet sie auf ein lebenslan-ges Lernen vor. Vorlesen bedeutet

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Guter Rat

eine gemeinsame besondere Zeit zu haben und wird für dein Kind zu einer Tradition, die es wert-schätzen wird.

9. Sei kein abwesender Vater. Der größte Fehler, den Väter machen können, ist nicht da zu sein für ihre Kinder. Reserviere immer Zeit, jeden Tag und jede Woche, für deine Kinder. Nichts darf diese heilige Zeit stören. Und in diesen großen Momenten des Lebens deiner Kinder – ein Fußballspiel, eine musikalische Darbietung, eine Ausstellung – streng dich an dabei zu sein. Deinem Kind bedeutet es die Welt.

10. Lass sie spielen. Kinder entwi-ckeln sich durch Spielen – auch wenn es offensichtlich ist, du solltest Ihnen erlauben so viel wie möglich frei zu spielen. Das ist jenseits von Fernsehen und Videospielen, jenseits vom Lesen,

jenseits von allem, was geord-net und pädagogisch ist. Lass sie einfach nur spielen. Habt Spaß miteinander.

11. Entzünde ihre Fantasie. Freies Spiel, wie oben erwähnt, ist der beste Weg, Fantasie zu entwi-ckeln. Aber manchmal kannst du mit einem kleinen Funken nach-helfen. Spiele mit deinen Kindern, baut Burgen, verkleidet euch, spielt Rollen, stellt euch vor, ihr seid Kundschafter oder Charaktere in einem Film oder einem Buch. Die Möglichkeiten sind uner-schöpflich. Und du wirst genauso viel Spaß haben wie die Kinder.

12. Begrenze Fernsehen und Video-spiele. Ich sage nicht, dass Ihr gar nichts von dem tun dürft. Aber zu viel dieser Art der Unterhaltung steht dem fantasievollen Spielen im Wege, hält die Kinder vom Lesen ab und vom Toben draußen.

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Guter Rat

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Guter Rat

Ich schlage maximal eine Stunde „Medienzeit“ pro Tag vor, aber du solltest herausfinden, was für dich und deine Familie am besten ist.

13. Lerne, entschieden „Nein“ zu sagen. Ich bin sehr dafür, Kindern Wahlfreiheit zu geben, ihnen das freie Spiel zu ermöglichen und an-dere Arten von Freiheit. Aber ich bin auch für klare Grenzen. Eltern, die keine Grenzen setzen, werden Kinder mit Verhaltensproblemen und mit Problemen im Jugendalter bekommen. So wie es nicht gut ist, wenn du zu allem „Ja“ sagst, so ist es auch nicht gut für dein Kind, wenn es als erstes „Nein“ hört und dich dann mit einem Trotzanfall und Bitten und Betteln zum Einknicken bringt. Bring deinem Kind bei, dass dein „Nein“ ein „Nein“ ist – aber sag nur dann „Nein“, wenn du fühlst, dass eine Grenze notwendig ist.

14. Sei ein Vorbild in gutem Verhal-ten. Es ist eine Sache, deinem Kind zu sagen, was es tun soll. Aber etwas zu fordern und selbst ande-res zu tun, ruiniert die Botschaft. In der Tat wird dein Kind lernen was du tust, nicht, was du sagst. Denke dran, dein Kind beobachtet dich ständig, um angemessenes Verhalten zu lernen. Der Genuss von Alkohol oder Drogen zum Beispiel wird sich im Kopf dei-nes Kindes festsetzen. Schlechte Manieren, unüberlegtes Verhalten, schlampige Gewohnheiten, Ärger und negative Einstellungen, Faul-

heit und Gier … All diese Verhal-tensweisen werden auf dein Kind abfärben. Stattdessen solltest du lieber ein Vorbild in dem Verhalten sein, das dein Kind lernen soll.

15. Behandle die Mutter deiner Kin-der immer mit Respekt. Manche Väter benehmen sich abfällig gegenüber ihren Frauen. Das führt zu einer Fortsetzung von abfälli-gem Verhalten, wenn dein Kind größer wird. Neben körperlicher oder sprachlicher Abwertung gibt es eine subtilere Form des Ver-gehens gegen die Mutter deines Kindes: respektloses Verhalten. Wenn du die Mutter deines Kindes respektlos behandelst, wird dein Kind nicht nur lernen, Gleiches zu tun, sondern es wird auch auf-wachsen mit Unsicherheiten und anderen emotionalen Problemen. Behandle die Mutter deines Kindes immer mit Respekt.

16. Lass die Kinder sie selber sein. Viele Eltern versuchen, ihr Kind in einer Art zu formen, wie Sie es sich wünschen, selbst wenn die Persönlichkeit des Kindes nicht in diese Form passt. Du solltest lieber versuchen, deinem Kind gute Verhaltensweisen und Werte beizubringen, aber gib Ihnen die Freiheit zur Selbstwerdung. Kinder haben wie alle Erwachsenen ihre eigenen „Macken“ und Persön-lichkeiten. Lass diese Persönlich-keiten blühen. Liebe dein Kind als dasjenige, das es ist und nicht als dasjenige, welches es für dich sein sollte.

17. Lehre deinem Kind Unabhängig-keit. Vom frühen Alter an lehre deinem Kind, Dinge für sich selbst zu tun, und lass es schrittweise im-mer unabhängiger werden. Auch wenn es manchmal schwer zu sein scheint und Zeit erfordert, deinem Kind etwas beizubringen, was du selbst viel schneller erledigen könntest, zahlt es sich langfristig doch aus, es das Kind tun zu las-sen. Es stärkt sein Selbstvertrauen und entlastet dich selbst langfristig gesehen.

18. Haltet als Eltern zusammen. Es ist nicht gut, wenn ein Elternteil das eine sagt und der andere wider-spricht. Du und die Mutter deines Kindes sollten zusammenarbeiten als ein elterliches Team und ihr solltet einander in euren Entschei-dungen beistehen. Das bedeutet, dass es wichtig ist, dass Ihr euch rechtzeitig absprecht, so dass ihr keine Entscheidungen unterstüt-zen müsst, die ihr nicht mittragen könnt.

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Im Gespräch

Beate Barth: Wir beschäftigen uns heute mit einem Thema, dass alle Eltern und diejenigen interessieren wird, die mit jungen Menschen zu tun haben. Es geht um die Pubertät. Ratschläge dazu gibt uns in unserem heutigen Interview Birgit Wester-mann, Leiterin der Psychologischen Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche am Straßburger Platz in Osnabrück. – Frau Westermann, zunächst begrüße ich Sie herzlich in unserem Sender OS-Radio 104,8 und danke Ihnen für Ihr Kommen. Meine Eingangsfrage lautet: Welches Alter gilt bei Ihnen als Pubertät?

Birgit Westermann: Früher gab es die feste Regel vom 13. bis 18. Lebens-jahr. Heute im Zuge der Beschleuni-gung körperlicher Weiterentwicklung würde ich als Anfang das Alter 10-12 ansetzen. Der offizielle Beginn ist immer mit einer körperlichen Verän-derung verbunden. Das ist bei den Mädchen die erste Menstruation, bei den Jungen der Stimmbruch. Mit 18 Jahren ist diese grosse Wandlungszeit meistens beendet.

B. B.: Eine ganz schön lange Zeit. Was passiert bei Jugendlichen in dieser Zeit?

B. W.: Eine ganze Menge. Ein geflü-geltes Wort sagt: Jugendliche könnten ein Schild umhängen haben, auf dem steht „Wegen Umbau geschlossen!“. Der Ausgangspunkt für diesen etwas respektlosen aber auch entlastenden Satz ist, dass die körperlichen Verän-derungen in der Pubertät erheblich

sind. Das heißt Menschen können gar nicht so bleiben, wie sie als Kinder gewesen sind, weil einfach körperlich ungeheuer viel abläuft. Der Hormon-haushalt verändert sich, die Gehirn-vernetzungen bilden sich noch mal ganz neu und entwickeln Potenziale, die in der Kindheit so nicht verfügbar waren, und das heißt natürlich, dass eine Zeit ganz großer Wandlungen und ganz großer Umbrüche beginnt und es nicht mehr so einfach ist, in seinem Jugendlichen das Kind von früher zu erkennen.

B. B.: Und was hat das für Folgen, wie wirkt sich das beim Jugendlichen aus?

B. W.: Eltern sagen, mein Kind ist mir fremd geworden. Ich verstehe nicht mehr, warum es oder er oder sie sich so verhält. Oft eine große Ratlosigkeit durchaus auch manchmal im Zorn darüber, dass man sich diesen Verän-derungen aussetzen muss.Der Punkt ist nicht, dass Eltern dann Kinder innerlich verlassen, sondern dass sie erstmal befremdet sind und natürlich an einigen Stellen auch eine Rückmeldung und eine Führung brauchen, wie das zu deuten und zu verstehen ist, was sich da abspielt.

B. B.: Wie sollte man als Eltern mit den Veränderungen der Jugendlichen umgehen?

B. W.: Zunächst sollte man sich deut-lich machen, dass die Pubertät eine zwingende Phase der Veränderung ist, gegen die man sich einfach nicht

Wegen Umbau geschlossen – Pubertät (Gekürzte Fassung eines Sendebeitrags des Magazins „Zeitlos“ im OS-Radio am 28.8.2012)

Im Gespräch

stemmen kann. Man sollte verstehen, dass es für den Jugendlichen schwie-rig ist sich in der früheren Art und Weise auf seine Familie einzustellen. Er hat sehr viel mit sich selbst zu tun und ist natürlich nicht so in der Lage, sich in die Wechselabläufe, die in einer Familie üblich sind, einzuordnen. Außerdem gehört ja zur Entwicklung an diesem Punkt auch, ein unabhän-giger Mensch zu werden. Sich von den Eltern loszulösen, ist das große Stichwort dieser Lebensphase. Dazu gehört Abgrenzung und Aufbegehren und im kleinen Raum der Familie, wo es im besten Fall Sicherheit und Vertrauen gibt, bieten sich die besten Chancen, um das auszuprobieren.Das heißt Eltern sind in dieser Situati-on zum einen damit konfrontiert, dass ihre Kinder ein ganz anderes Gesicht zeigen, und erfahren zudem, dass sie auch noch heftigste Auseinanderset-zungen serviert bekommen. Anderer-seits sind sie aber durchaus noch mal mit einer kindlichen Seite ihrer noch nicht ganz erwachsenen Sprösslinge beschäftigt, nämlich mit Bedürfnissen nach Nähe oder großem Kummer, der Jugendliche krisenhaft erfasst. Hier sollten sich Eltern verfügbar halten, weil sie nach wie vor entscheidende Vertrauenspersonen sind.Im Übrigen verschiebt sich die wichtigste Beziehungsdimension an vielen Stellen auf andere Jugendliche. Freunde, Peer-Groups werden wich-tiger als Familie und das darf man als Elternteil nicht persönlich nehmen. Ein „In die zweite Reihe treten“ gehört hier einfach dazu, wenn man seine Arbeit als Architekten der Familie, als

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Im Gespräch

Vater und Mutter gut machen will. Es wird wieder andere Zeiten geben, in denen eine größere Intensität in der Beziehung entstehen kann.

B. B.: Das ist eine Hoffnung für alle, die vielleicht manchmal verzweifeln. Jetzt habe ich ein paar Beispiele, zu denen ich Sie ganz gerne fragen wür-de. Wie geht man zum Beispiel um mit zu spätem Nachhause kommen?

B. W.: Auf dem „Schlachtfeld“ Pu-bertät kommen Eltern manchmal in die Gefahr zu sehr zurückzuweichen. Das ist die Beratungserfahrung, und mein grundsätzlicher Ratschlag wäre: Bleiben Sie alle bei dem inneren auch moralischen Gerüst, was für Sie stim-

mig und wichtig ist!Beim zu späten Nachhause kommen geht es ja um den Wert zu wissen, mein Kind ist in Sicherheit und es kann ihm nichts wirklich Schlimmes passieren, und wenn man sich dieses Wertes bewusst ist, dann ist es leich-ter zu sagen: “Ich bestehe einfach auf den Absprachen, die wir gemeinsam miteinander getroffen haben.“Natürlich muss besprochen werden, wann ist im jeweiligen Alter der richti-ge Zeitpunkt nach Hause zu kommen. Wenn die gemeinsame Regel hier verletzt wird, dann natürlich darauf ansprechen, natürlich appellieren, das darf in Zukunft nicht mehr passieren, und im Notfall auch hinterherfah-ren und sagen „Du verletzt unsere

Übereinkunft“. Sicher bei häufigen Verstößen auch eine Konsequenz, in dem man Freiheiten eine Weile mehr einschränkt und damit den Zusam-menhang deutlich macht: „Solange Du nicht verlässlich und eigenverant-wortlich bist, kann ich Dich auch nicht gehen lassen.“

B. B.: Das weitere Beispiel ist, wie geht man mit Alkohol- und Drogen-konsum um?

B. W.: Da kann, muss es aber nicht gefährlich werden. Ein übliches Ausprobieren von Alkohol gehört ein-fach mit zu dieser Entwicklungszeit, genauso wie das Testen anderer Frei-heiten im Leben eines Erwachsenen,

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Im Gespräch

Medienkonsum, Teilnahme an Events, Ausleben von Sexualität. Bei Genussmitteln wie Alkohol ist, glaube ich, wichtig zu sagen, wir nehmen den Jugendlichen in einen eigenen vernünftigen Umgang mit hinein, also z. B. „Du bist jetzt in ei-nem Alter, wo Du mit uns bei Famili-enfeiern, festlichen Anlässen mit Sekt, Bier oder Wein anstoßen kannst.“ In allen Anregungsmitteln liegt die Gefahr des übermäßigen Konsums, es bringt aber nichts, diese Gefahr eliminieren zu wollen, sondern eher ein maßvolles Vorbild zu sein. Wenn man allerdings merkt, an diesem Punkt kommt es zu einem ausufern-den Verhalten, dann gilt es tatkräftig zu handeln.

B. B.: Das dritte Beispiel wäre noch, wie geht man mit Streitereien zu Hause um?

B. W.: Auseinandersetzungen gehö-ren dazu, sie sind das Lebenselixier von Entwicklung. Man sollte des-wegen eine grundsätzlich positive Haltung dazu haben - was weiß Gott nicht immer einfach ist.

Damit Konflikte und Streitigkeiten nicht zerstörerisch wirken, brauchen sie einen gewissen Rahmen, für den letztlich die Erwachsenen verant-wortlich zeichnen. Was sofort zum Respektsverlust führt ist, wenn Eltern zu laut werden, wenn Eltern sich infantil, sprich zu impulsiv verhalten. Selbst, wenn man in der Streiterei nicht zum Ziel kommt und sich nicht durchsetzen kann, ist das wichtigste, dabei die Ruhe zu bewahren und über Selbstkontrolle eine gewisse Autorität auszustrahlen.Wenn bei heftigen Streitereien eine sofortige Lösung nicht möglich ist, was wir auch unter Erwachsenen kennen, dann ist, bevor verbale Grenzüberschreitungen passieren, ein Ausweg zu sagen: „Du, wir stoppen jetzt und reden da morgen noch mal drüber.“

B. B.: Sehr aufschlussreich! Wie erreicht man ein Kind, das sich weit von den Eltern entfernt hat, durch Sucht oder ähnliches?

B. W.: Das hatte ich eben schon angesprochen. Wenn Sie an Ih-

ren Kindern merken, PC wird zum Lebensinhalt, PC-Spiele, Facebook, Internet, das füllt den ganzen Tag aus, Alkohol wird viel zu viel genossen, Zigaretten werden massiv geraucht, es geht vielleicht um noch härtere Suchtmittel, oder Sie spüren, ich erreiche mein eigenes Kind über eine längere Strecke emotional nicht mehr, es hat Schul- oder Kontaktprobleme, dann ist es wichtig, sich Hilfe von außen zu holen. Das meinte ich eben mit dem Begriff „tatkräftig handeln“, als ich sagte, die Situation kann schon auch gefähr-lich werden. Und dann heisst ein guter Vater und eine gute Mutter zu sein, sich Hilfe von außen zu holen: Erziehungsberatungsstellen, Sucht-beratungsstellen, auch die öffentliche Jugendhilfe sind Adressen, die dabei helfen, die zugrundeliegenden Prob-leme zu erkennen und zum Jugendli-chen wieder Zugang zu finden.

B. B.: Wie stark unterliegt man selbst als Eltern der eigenen Prägung durch die eigene Erziehung?

B. W.: Permanent, grundsätzlich und auch verständlicherweise. Wir sind das Produkt unserer Eltern, ein Teil Vater, ein Teil Mutter und natürlich auch ein Teil wir selbst. Das heißt, wir haben eine Instanz in uns, die selber darüber nachdenken kann, wie die eigene Prägung ist. Dass sie da ist, muss man nicht bestreiten. Es gibt ganz verschiedene Erziehungsein-flüsse, nicht nur, wie erzogen wurde, streng, nachgiebig, liberal oder tradi-tionell, sondern auch welche Kind-

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Im Gespräch

heit man mit welchen emotionalen Erlebnissen gehabt hat. Auch diese atmosphärischen Wirkungen spielen eine große Rolle dafür, wie man auf seine eigenen Kinder reagiert. Ich glaube, selbst wenn man jetzt nicht Beratung oder Therapie nutzt, und das muss man auch gar nicht grundsätzlich tun, ist es wichtig, sich über sich selbst klar zu werden. Da ist das Gegenüber, wenn man in Partnerschaft lebt, in Ehe lebt, also der eigene Partner, eine ganz gute Adresse, um eine gewisse Korrektur zu haben darüber, wann man viel-leicht zu sehr etwas weitergibt aus der eigenen Prägung, wann man nicht mehr von Zwölf bis Mittag denkt und auch möglicherweise ungerecht und unangemessen reagiert.

B. B.: Ja, wenn man dann einen Part-ner hat, nicht? Es ist ja auch manch-mal schwierig als Alleinerziehender, wenn man diesen Partner nicht hat.

B. W.: Dann sind es Freunde, auch die eigenen Eltern, wenn man ein gutes Verhältnis zu ihnen hat, auch liebe Verwandte auf Augenhöhe. Da muss man sich andere Unterstützungs-ansätze suchen.

B. B.: Soweit zum Austausch. Was können Sie Eltern als Richtlinien und an Grundsätzen empfehlen, wie sie sich selbst schützen und in ihrer Mit-te bleiben können?

B. W.: Das ist sehr gut ausgedrückt. Ich glaube darum geht es. Die meisten Eskalationen in der Zeit von

Pubertät entstehen darüber, dass Eltern selbst verletzt, manchmal auch gedemütigt oder schlecht behandelt werden von ihren Kindern und dann nicht mehr die Kontrolle und Souve-ränität haben, als Eltern gelassen zu agieren. Deswegen bedarf es, das haben wir eben ein Stück angesprochen, eines Gegenübers oder äußeren und inneren Gesprächsraums zu der Frage: „Was löst es eigentlich bei mir aus, dass mein Kind groß wird, dass ja auch ein Stück meiner Identität sich damit total verändert?“ Als Mutter eines kleinen Kindes ist man die wichtigste Person in der Welt dieses Kindes und auf einmal wird man ziemlich an den Rand gedrückt. Das darf man als Verletzung fühlen, unbedingt, und das ist auch eine Dimension, um die man nicht herum kommt. Es ist wichtig sich da entlasten zu können. Da ist der Partner, wie eben schon gesagt, eine gute Adresse, Freunde, andere Eltern in der gleichen Situation. Mitzukriegen, anderen geht es genauso, ist oft schon enorm hilfreich und tröstlich.

B. B.: Ja, das ist ja ganz entlastend zu wissen, dass man nicht perfekt sein muss, dass man auch durchaus verletzt sein kann als Mutter. Was raten Sie Eltern, wie sie ihren Kindern helfen können, sich zu starken und selbstbewussten Erwachsenen zu entwickeln?

B. W.: Ich hätte keinen direkten, inst-ruktiven Ratschlag für ein bestimmtes

Verhalten im Sinne von „Mach das!“ oder „Unterlass das!“, sondern eine Empfehlung für eine Haltung zu sich selbst.Jugendliche haben meist ein sehr gutes Gespür dafür, ob etwas echt oder unecht ist. Sie kriegen intuitiv mit, wenn ein Erwachsener, sprich Vater oder Mutter, nicht wirklich die Motive seines Verhaltens benennt. Von daher ist die Hauptempfehlung an Eltern von pubertären Kindern und Jugendlichen: „Bleib Du selbst, bleib echt. Stehe zu deinen Gefühlen und Werten und mache sie deinem Kind auch deutlich.“Außerdem gehört natürlich auch eine gewisse Baumstammmentalität dazu. Erwachsen-werdende Kinder wol-len sich an ihren Eltern in dieser Zeit abarbeiten. Wenn das dann kleine, et-was labile Bäumchen sind, die schnell umkippen, werden Kinder erst recht renitent. Von daher ist es wichtig sich klar zu werden, dass man trotz der Entthronung durch die Kinder weiter eine ganz große Bedeutung in ihrem Leben hat. Gerade wenn Jugendliche es darauf anlegen einen zu verunsi-chern, ist besonders notwendig und hilfreich, Festigkeit und Klarheit aus-zustrahlen und sich an den eigenen Gewissheiten zu orientieren.

B. B.: Ja, Frau Westermann, das Thema ist immer wieder spannend. Ich könnte noch viel länger mit Ihnen darüber sprechen aber unsere Zeit ist leider um. Ich danke Ihnen für Ihr In-terview und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Arbeit.

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Bernhard Plois (Hg.)

Selbstwerdung –Positano erfahren und leben

Reihe: Theorien und Praxis der BeratungBd. 2, 2010, 168 S., 19.90 EUR, br., ISBN 978-3-643-10877-7

Positano - dieser Name klingt prall, positiv und lebendig und genau so ist der Ort an der Mittelmeerküste südlich Neapels auch. Gebraucht als Inbegriff für die seit 35 Jahren hier durchgeführten 14-tägigen Kommu-nikationstrainings steht der Name Positano auch für die ganz besondere Qualität eines kirchlich verantwor-teten Programms für persönliches Wachstum und Selbstentfaltung. In dem Buch beschreiben Mitarbeiter das psychotherapeutisch-seelsorgerli-che Konzept. Teilnehmer/innen legen die Bedeutung Positanos für sich ganz persönlich dar. So zeigt das Buch dem Leser eindrucksvoll, was diese „Ge-meinschaft auf Zeit“ ermöglicht.

Christoph Hutter, Norbert Kunze, Renate Oetker-Funk, Bernhard Plois (Hg.)

Quo vadis Beratung?Dokumentation einer Fachtagung zur Zukunftsfähigkeit kirchlicher Bera-tungsarbeit

Reihe: Theorien und Praxis der BeratungBd. 1, 2006, 192 S., 18.90 EUR, br., ISBN 3-8258-9949-7

Die soziale Landschaft in Deutschland verändert sich rapide und in und mit ihr das Beratungswesen und seine In-stitutionen. Diesen Wandel gilt es zu gestalten. In der Dokumentation der Fachtagung „Quo vadis Beratung?“ stellen sich Wissenschaftler und erfah-rene Berater dieser Herausforderung. Eine zeitgemäße und zukunftsfähige Beratung muss mit angrenzenden Fachdisziplinen ins Gespräch kom-men. Darum greifen die Autorinnen und Autoren die Fragen und An-regungen der Pastoralpsychologie und der Familienforschung auf. In Auseinandersetzung mit der eigenen Beratungskultur und den vielfältigen Lebenslagen der Ratsuchenden ent-wickeln sie wichtige Impulse für die kirchlich getragene Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsberatung. Damit bietet dieses Buch wertvolle Anregungen für Beratende und für alle, die sich kritisch mit der Qualität von Beratung auseinandersetzen.

Christoph Hutter, Michael Hevicke, Bernhard Plois, Birgit Westermann (Hg.)

Herausforderung LebenslagePraxisReflexe aus der Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsberatung

Reihe: Theologie und PraxisBd. 18, 2., überarbeitete Auflage, 2005, 256 S., 19.90 EUR, ISBN 3-8258-7085-5

Das Leben jedes Einzelnen und mehr noch von Familien wird immer un-kalkulierbarer. Lebenslagen werden zum Wagnis und nicht selten auch zur Bedrohung. Der Herausforderung, Rat Suchende in solchen Situationen zu begleiten, stellen sich BeraterInnen in der kirch-lichen Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsberatung. In diesem Band geben sie Einblicke in ihre alltägliche Arbeit, sie reflektieren institutionelle Fragestellungen und konkrete Beratungsanliegen und posi-tionieren sich damit in einem kirchen- und sozialpolitisch höchst relevanten Terrain. Damit bietet dieses Buch wertvolle Anregungen für BeraterInnen und für alle die sich kritisch mit der Qualität von Beratung auseinandersetzen.

Buchhinweise

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Psychologische BeratungsstelleEhe-, Familien- und LebensberatungLange Wand 16, 27211 BassumTelefon: 04241 1003E-Mail: [email protected]: Dipl.-Psych. Markus Melnyk

Psychologische BeratungsstelleEhe-, Familien- und LebensberatungHasestraße 5, 49593 BersenbrückTelefon: 05439 1390E-Mail: [email protected]: Dipl.-Psych. Manfred Holtermann

Psychologisches BeratungszentrumEhe-, Familien-und LebensberatungGlückaufstraße 2, 49124 GeorgsmarienhütteTelefon: 05401 5021E-Mail: [email protected]: Dipl.-Psych., Dipl.-Psych. Ulrich Toberge

Psychologisches BeratungszentrumEhe-, Familien-, und LebensberatungBernd-Rosemeyer-Str. 5, 49808 Lingen (Ems)Telefon: 0591 4021E-Mail: [email protected]: Dipl.-Päd., Dipl.-Theol. Dr. Christoph Hutter

Psychologische BeratungsstelleEhe-, Familien-und LebensberatungVersener Straße 30, 49716 MeppenTelefon: 05931 12050E-Mail: [email protected]: Dipl.-Psych. Hans Dieter Korinth

Beratungsstellen im Bistum Osnabrück

Psychologische BeratungsstelleEhe-, Familien-, Lebens- und ErziehungsberatungHauptstraße 10, 48529 NordhornTelefon: 05921 77888E-Mail: [email protected]: Dipl.-Theol., Dipl.-Soz.-Päd. Beate Grüterich

Therapeutisches BeratungszentrumEhe-, Familien- und LebensberatungLotter Straße 23, 49078 OsnabrückTelefon: 0541 42044E-Mail: [email protected]: Dipl.-Päd. Franz Gartmann

Therapeutisches BeratungszentrumErziehungs- und FamilienberatungStraßburger Platz 7, 49076 OsnabrückTelefon: 0541 42061E-Mail: [email protected]: Dipl.-Psych. Birgit Westermann

Psychologisches BeratungszentrumEhe-, Familien- und LebensberatungHauptkanal rechts 30, 26871 PapenburgTelefon: 04961 3456E-Mail: [email protected]: Dipl.-Psych. Dr. Christopher Trouw

Psychologische BeratungsstelleFamilien- und ErziehungsberatungNienburger Straße 25, 27232 SulingenTelefon: 04271 6575E-Mail: [email protected]: Dipl.-Psych. Markus Melnyk

www.efle-beratung.de

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Wir sind Mitglied in der Kath. Bundesarbeitsgemeinschaft für Beratung e.V.

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Weitere Informationen auch im Internet:www.efle-beratung.de