Ein Chemie-Lehrbuch für Waldorfschulen · 7. Klasse: Mineralische Chemie und Feuer Der erste...

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40 Erziehungskunst 1/2006 Ein Chemie-Lehrbuch für Waldorfschulen Ulrich Wunderlin In den Arbeitssitzungen des anthroposophisch-goetheanistischen Chemikerkreises in Stuttgart werden die Inhalte des Chemie-Lehrplans, den Rudolf Steiner für die Waldorf- schulen angegeben hat, seit 1994 regelmäßig bearbeitet und von verschiedenen Gesichts- punkten aus behandelt. Diese Arbeit hat zu verschiedenen Publikationen zum Thema Chemieunterricht geführt 1 – die meisten dieser Arbeiten sind von der Pädagogischen Forschungsstelle in Stuttgart im Sammelband Chemie an Waldorfschulen 2004 herausge- geben worden. Diese Ausarbeitungen knüpfen an die vorhandenen Arbeiten an, 2 sind aber jeweils so aufgebaut, dass sie ganz aus dem Bewusstsein des Gesamtaufbaus des Che- mie-Lehrplanes, der alle Aspekte einer fundierten chemischen Allgemeinbildung enthält, aufgebaut sind. Mittlerweile sind alle Epocheninhalte in dieser Weise durchgearbeitet worden, so dass eine größere Publikation ins Auge gefasst werden kann. Das Buch wird so aufgebaut sein, dass es sowohl für Lehrer- wie für Schülerhand geeignet ist. Die Texte werden im Sinne der Praxisforschung an verschiedenen Schulen bereits eingesetzt und so ständig aus der direkten Umsetzungserfahrung heraus weiter- entwickelt. Da der gesamte Aufbau modular gestaltet ist, wird mit diesem Lehrbuch nicht ein zwingend einzuhaltender Lehrgang vorgelegt. Dennoch ist es das erklärte Ziel, alle notwendigen Inhalte für eine Abitur- bzw. Maturaprüfung, auch für ein Schwerpunktfach Chemie oder einen Leistungskurs Chemie mit in die Darstellung aufzunehmen. Allgemeines Die grundlegenden Gesichtspunkte lassen sich wie folgt zusammenfassen: a) Der Ausgangspunkt für die Chemiedidaktik liegt bei Alltagserfahrungen und wesent- lichen industriellen Prozessen. Es folgt der Einstieg in die geschichtliche Entwick- lung der Chemie, denn die Menschheit hat nicht durch das Vorhandensein bestimmter Stoffe begonnen, Chemie zu betreiben, sondern durch die Entwicklung bestimmter chemischer Verfahrensweisen. b) Es werden die chemischen Prozesse in den Mittelpunkt der Betrachtungen gerückt, Stoffkunde und Prozesskunde werden gleichrangig gewichtet. Das chemische Unter- richtsexperiment – wie auch das Schülerexperiment – haben eine wichtige Funktion. Gleichzeitig gilt es, den neuen Sicherheitsbestimmungen Rechnung zu tragen, so sind alle Experimentalanleitungen mit den modernen Sicherheitsangaben versehen (R-Sät- ze, S-Sätze, Gefahrenzeichen, Entsorgungshinweise).

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Ein Chemie-Lehrbuch für WaldorfschulenUlrich Wunderlin

In den Arbeitssitzungen des anthroposophisch-goetheanistischen Chemikerkreises in Stuttgart werden die Inhalte des Chemie-Lehrplans, den Rudolf Steiner für die Waldorf-schulen angegeben hat, seit 1994 regelmäßig bearbeitet und von verschiedenen Gesichts-punkten aus behandelt. Diese Arbeit hat zu verschiedenen Publikationen zum Thema Chemieunterricht geführt1 – die meisten dieser Arbeiten sind von der Pädagogischen Forschungsstelle in Stuttgart im Sammelband Chemie an Waldorfschulen 2004 herausge-geben worden. Diese Ausarbeitungen knüpfen an die vorhandenen Arbeiten an,2 sind aber jeweils so aufgebaut, dass sie ganz aus dem Bewusstsein des Gesamtaufbaus des Che-mie-Lehrplanes, der alle Aspekte einer fundierten chemischen Allgemeinbildung enthält, aufgebaut sind. Mittlerweile sind alle Epocheninhalte in dieser Weise durchgearbeitet worden, so dass eine größere Publikation ins Auge gefasst werden kann.

Das Buch wird so aufgebaut sein, dass es sowohl für Lehrer- wie für Schülerhand geeignet ist. Die Texte werden im Sinne der Praxisforschung an verschiedenen Schulen bereits eingesetzt und so ständig aus der direkten Umsetzungserfahrung heraus weiter-entwickelt. Da der gesamte Aufbau modular gestaltet ist, wird mit diesem Lehrbuch nicht ein zwingend einzuhaltender Lehrgang vorgelegt. Dennoch ist es das erklärte Ziel, alle notwendigen Inhalte für eine Abitur- bzw. Maturaprüfung, auch für ein Schwerpunktfach Chemie oder einen Leistungskurs Chemie mit in die Darstellung aufzunehmen.

Allgemeines

Die grundlegenden Gesichtspunkte lassen sich wie folgt zusammenfassen:a) Der Ausgangspunkt für die Chemiedidaktik liegt bei Alltagserfahrungen und wesent-

lichen industriellen Prozessen. Es folgt der Einstieg in die geschichtliche Entwick-lung der Chemie, denn die Menschheit hat nicht durch das Vorhandensein bestimmter Stoffe begonnen, Chemie zu betreiben, sondern durch die Entwicklung bestimmter chemischer Verfahrensweisen.

b) Es werden die chemischen Prozesse in den Mittelpunkt der Betrachtungen gerückt, Stoffkunde und Prozesskunde werden gleichrangig gewichtet. Das chemische Unter-richtsexperiment – wie auch das Schülerexperiment – haben eine wichtige Funktion. Gleichzeitig gilt es, den neuen Sicherheitsbestimmungen Rechnung zu tragen, so sind alle Experimentalanleitungen mit den modernen Sicherheitsangaben versehen (R-Sät-ze, S-Sätze, Gefahrenzeichen, Entsorgungshinweise).

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c) Chemische Schlüsselprozesse bilden die Grundlage, um zu einem Stoff- und Prozessverständnis zu kommen. Denn nicht nur in der geschichtli-chen Entwicklung ist das Feld der Chemie von der Beherrschung einfa-cher Prozesse ergriffen worden, auch in der lebendigen Natur vollziehen sich die chemischen Prozesse vor ihrem Ergebnis bzw. dem zur Ruhe gekommenen Stoff.

d) Die behandelten chemischen Stoffe und Prozesse werden in die großen Stoffkreisläufe der Geochemie und Biochemie eingebunden. Die Tatsa-che, dass der Ursprung chemischer Prozesse nicht in der anorganischen Welt zu suchen ist, sondern in den lebendigen Organismen liegt, gehört zu den Grundgedanken, die die Anthroposophie zur Allgemeinbildung beitragen kann. Dieser Grundgedanke ist gerade heute in der Zeit öko-logischer Katastrophen von eminenter Bedeutung.

e) Die chemische Formelsprache wird aus den Experimenten und den che-mischen Prozessen entwickelt. Sie steht nicht am Ausgangspunkt der Chemiedidaktik, wie es heute vielfach immer noch üblich ist, wenn auch der Wert eines alltagsorientierten Einstiegs gerade in das Fach Chemie vermehrt betont wird.

f) Der Aufbau des Lehrbuches ist projektorientiert, die einzelnen Projekte entsprechen jeweils einer Epoche.

g) Es wird ein Weg zu einer chemischen Allgemeinbildung vorgelegt, der voraussetzungslos ist und der zur Abiturs- bzw. Maturafähigkeit führt.

h) Die spezielle Didaktik des phänomenorientierten Unterrichts, wie er in der Waldorfschule vielfach erprobt ist, wird so dargestellt, dass sie nicht nur auf diesen speziellen Schultypus zugeschnitten ist, sondern dass sie – gerade auch im Zusammenhang mit den Ergebnissen der PISA-Studien – allen Lehrpersonen, die nach neuen Zugängen zu diesem Fach suchen, eine Hilfestellung geben kann.

Die einzelnen Chemieprojekte in ihrem Gesamtaufbau

7. Klasse: Mineralische Chemie und FeuerDer erste Chemieunterricht ist rein experimentell, er folgt ohne Modelle wesentlichen Prozessen. Vom Feuer als Prozess wird ausgegangen – der Weg über die Abgase zu den Säuren und der Weg über die Aschen zu den Basen verfolgt. Die Neutralisation und die Salzbildung werden dargestellt und auch industrielle Prozesse berücksichtigt (z.B. Herstellung der Schwefelsäure). Über die Hitze und die Kohle als chemische Werkzeuge fi ndet man den Weg zu den metallischen Elementen, die hinter den Basen stehen. Erdge-schichtliche Vorgänge der Kohlebildung und die technische Gewinnung des Eisens über den Hochofenprozess rücken in den Blick. Über die verbrennbaren Metalle können die Nichtmetalle als Elemente, die hinter den Säuren stehen, gewonnen werden (Phosphor aus Knochenasche mit Hilfe von Magnesium, Wasserstoff aus Wasser mit Hilfe glühen-

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den Eisens). Die Polarität von Kalk und Kiesel wird behandelt und bis in die Boden-kunde verfolgt. Es kann erarbeitet werden, wie die schädlichen Stoffe der chemischen Technik wieder in das Naturganze eingebunden werden können; das Calciumoxid aus der Gesteinsverwitterung bzw. der Kalk selber sind in der Lage, Kohlendioxid zu binden, während der Kiesel mit den giftigen Schwermetallsalzen, den Aschen, einerseits farbige Gläser, andererseits wesentliche Mineralien bildet. Hier wird das Denken in Kreisläufen angesprochen und wichtige Grundgedanken zur Ökologie aufgegriffen. Als Leitmotiv kann man setzen: Bildhafte Übersicht der mineralischen Chemie – Von der Wandlungs-kraft des Feuers.

8. Klasse: Pfl anzliche Chemie und LichtDie Stoffe, welche den Körper aufbauen – wieder ohne Modell und rein experimentell –, werden behandelt. Der Ausgangspunkt liegt in der Polarität der brennbaren, auffl ammen-den Fette und der nur glühenden Kohlenhydrate. Die Fette werden in ihren chemischen Prozessmöglichkeiten charakterisiert, die Wachse mitbehandelt, ebenso die Herstellung der Seife (auch industriell). Die etherischen Öle zeigen einerseits eine Verwandtschaft zu den fetten Ölen, lassen sich aber als ganz andere Stoffklasse nicht verseifen; sie weisen den Weg zu den sekundären Pfl anzenstoffen, hier den Isoprenoiden. Weiter werden die Kohlenhydrate dargestellt, die Stärke, die Zucker, die Verzuckerung der Stärke, ihre Bil-dung in der Pfl anze und schließlich die Verzuckerung der Zellulose. Die Trennung des Holzes in Zellulose und Lignin, ein wichtiger industrieller Prozess der Papiergewinnung, öffnet den Weg zu den aromatischen Substanzen, die eine weitere Stoffgruppe der sekun-dären Pfl anzenstoffe darstellen. Als ausgleichende Mitte der erwähnten Polarität wer-den die Eiweiße erschlossen, bei denen gleichzeitig Säure- und Basenqualität prozess-aktiv anwesend ist. Als Leitmotiv kann man setzen: Bildhafte Übersicht der aufbauenden pfl anzlichen Chemie – Von der Wirkungskraft des Lichtes.

9. Klasse: Tierische Chemie und VerdauungHier werden die organischen Stoffe des Körpers und ihre Abbauprozesse untersucht (rein experimentell – ohne Modelle). So wie der Feuerprozess den Schlüssel für die minerali-sche Chemie darstellt, so sind die mikrobiellen Teilverdauungen (Gärung – Fäulnis, oder allgemein ausgedrückt die Fermentationen) der Schlüssel für die so genannten organi-schen Sekundärstoffe. Ausgegangen wird von der Gärung des Zuckers und damit der Weg zum Alkohol gezeigt. Diese Stoffgruppe wird in ihren chemischen Prozessmöglichkeiten charakterisiert, der Weg der Entwässerung zum Ether und der »Belüftung« (Oxidati-on) zur Essigsäure entwickelt. Vom Abbau der Fette im Organismus wird gesprochen und daran anschließend die Bildung eines Esters als neue Aufbaureaktion. Damit sind wichtige Stoffklassen der organischen Chemie aus den chemischen Prozessen heraus charakterisiert. Anschließend werden die Abbauprozesse der Eiweiße erarbeitet. Dabei kommt man zu den Aminosäuren und zu den biogenen Aminen. Diese spielen einerseits als Botenstoffe im Körper eine wichtige Rolle, andererseits sind sie Ausgangspunkt für die Synthese wichtiger Drogenstoffe (Alkaloide). Schließlich kommt man zum erdge-schichtlichen Abbau dieser Substanzen und damit zur Kohle- und Erdölbildung. Als

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Leitmotiv kann man setzen: Bildhafte Übersicht der abbauenden tierischen Chemie – Von der Verdauungskraft.

So wird in den ersten drei Chemieprojekten eine Übersicht der Stoffe aus dem Verfolgen chemischer Grundprozesse erarbeitet. Die Stoffe werden im Zusammenhang mit ihrer Bedeutung in der Natur und in den Organismen behandelt, die verfolgten Prozesse schlie-ßen wann immer möglich an industrielle Vorgänge an.

10. Klasse: Chemische Grundprozesse und ihre WirkungAn das Projekt der 7. Klasse anschließend wird die mineralische Chemie wieder aufge-griffen, in die Begriffl ichkeit für unterschiedliche chemische Prozesse eingeführt und die chemischen Gesetzmäßigkeiten erfasst. Die Ordnungsprinzipien der mineralischen Chemie werden erarbeitet (Osmose und Diffusion, Salzspaltung, Neutralisation, Säu-reverdrängung, Basenverdrängung, Säurebildung, Basenbildung). Um der Natur der in den Experimenten immer nur latent vorhandenen Basenstämme und Säurereste näher auf die Spur zu kommen, werden die Experimente der Elektrolyse hinzugenommen, die die Möglichkeit bieten, experimentell zur Behandlung der chemischen Formeln hinzuführen (einfache Stöchiometrie).

Gleichzeitig wird aber die Wirksamkeit dieser mineralischen Chemie in den Organis-men besprochen, physiologische Prozesse aufgegriffen. So kann erlebt werden, wie die Osmosevorgänge bei einfachsten im Süßwasser lebenden Einzellern nicht zur Zerstörung führen wie im anorganischen Experiment (chemischer Garten), sondern zu einem geord-neten und vom Organismus beherrschten Wasserstrom; bei der Säureverdrängung in der Atmung des Menschen wirkt die Tätigkeit der beseelten Muskulatur wie die Kraft einer stärkeren Säure. Die Nervenprozesse zeigen das Beherrschen der Basenstämme und Säu-rereste (Ionen) so, dass es zu einem Potenzial zukünftiger Lebensprozesse kommt. Dieser Aspekt der Chemie, den Steiner in seinen Lehrplanangaben stark betont, kann am besten erarbeitet werden, wenn in der Menschenkunde (Anatomie der inneren Organe) diese Prozesse im Anschluss an die Chemie-Epoche dargestellt werden. Es geht hier um die folgerichtige Entwicklung von Prozessbegriffen, die nicht mehr an einen konkreten Stoff gebunden sind (Säureprozesse, Basenprozesse usw.). Als Leitmotiv kann man setzen: Die unterschiedlichen chemischen Grundprozesse und ihre Wirkung in der Mineralwelt und in der Physiologie.

11. Klasse: Die Begriffl ichkeit der organischen Chemie »Die chemischen Leitbegriffe sind vollständig zu entwickeln, die Schüler sollen wissen, was eine Säure, eine Base, ein Alkohol und ein Aldehyd ist« (nach der Lehrplanangabe Steiners). Das bedeutet, dass die Begriffe von Säure und Base, wie sie in der 10. Klasse durch den Einbezug der Physiologie erarbeitet worden sind, in der organischen Chemie weiter zu verfolgen sind. Die organischen Stoffe der Pfl anzen und Tiere werden aus den Prozessen heraus erarbeitet, die funktionellen Gruppen der organischen Chemie in For-meln gefasst.

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Die funktionellen Gruppen der klassischen organischen Chemie erweisen sich zur Klassifi zierung als sehr geeignet, wenn ihre Prozessmöglichkeiten aus dem Lebendigen heraus gegriffen werden. Es wird ein Weg aufgezeigt, aus den chemischen Leitbegriffen heraus einen neuen Zugang zu diesen funktionellen Gruppen zu fi nden. Dabei ergibt sich eine überraschend klare Ordnung. Zwei Tendenzen sind zu verfolgen:a) Zunehmende Basizität und Acidität: Der Weg zu den Säuren führt uns über die Aldehyde und Ketone bis zu den Carbon-

säuren, ein gesteigerter Säureweg fi ndet sich bei den Thiolen und Sulfonsäuren. Den Weg zu den Basen zeigen uns einerseits die Alkohole, die Amine, dann die Hete-

rocyclen (aliphatische und aromatische Ringe mit dem gebundenen, reduzierten Stick-stoff) und schließlich die Alkaloide.

b) Homöopolare und heteropolare Verbindungen: Die homöopolaren Verbindungen zeigen die Tendenz zur Erstarrung, zum Verharren in

dem gebildeten Stoff, sie sind reine Substanz geworden, die dem Prozess weitgehend entzogen ist. Die heteropolaren Verbindungen dagegen sind prozessaktiv, »gerinnen« aber zu wenig in den Stoff. Zwischen diesen beiden Polen liegen die Stoffe des Leben-digen, die meist einen heteropolaren Anteil besitzen oder durch Phosphorsäure bzw. einen Thioether vermittelt bekommen, die dadurch Reaktivität zeigen, ohne aber zu einem mineralischen Salz als Endpunkt des Reagierens zu werden.

Damit können wir in der Welt der Lebensstoffe alle Tendenzen, die in der anorganischen Welt über das Periodensystem hin auf eine Vielzahl von Stoffen ausgebreitet ist, auf-fi nden, allerdings verwirklicht durch nur sechs nichtmetallische Elemente, von denen zudem fünf elementar auf der Erde auftreten.

Als Leitmotiv kann man setzen: Die Begriffl ichkeit der pfl anzlichen und tierischen (= organischen) Chemie und ihre physiologische Bedeutung.

12. Klasse: Gesamtübersicht In dieser Klassenstufe folgt eine Gesamtübersicht über die Chemie und deren Zusam-menhang mit den geologischen Prozessen. Das Periodensystem der Elemente wird als Zusammenfassung der Chemie behandelt, ebenso der Zusammenhang der Chemie mit dem Menschen. Die Metallprozesse werden aufgegriffen und ihre Bedeutung in den Eiweißen bzw. den reaktiven Zentren der Enzyme erarbeitet. Damit werden die minera-lische, die pfl anzliche, die tierische und die menschliche Chemie zusammengeführt und in ihrer Differenzierung besprochen. Als Leitmotiv kann man setzen: Übersicht über die Welt der Stoffe und die Prozessgegensätze in den vier Naturreichen.

13. Klasse (Schwerpunktfach/Leistungskurs): Wissenschaftliche ErkenntnishaltungSchlüsselmomente der Chemiegeschichte werden so betrachtet, dass die Schritte in der Bewusstseinsentwicklung der Menschheit deutlich werden. Die Entwicklungsgeschichte der Atommodelle wird behandelt und aus den Grundlagen der Quantenmechanik das Or-bitalmodell abgeleitet. Der Erkenntnisgewinn und die Erkenntnisgrenzen dieses Modells werden ausführlich diskutiert.

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Die Naturstoffe (pfl anzliche Pri-mär- und Sekundärstoffe, Stoffe der Tiere und des Menschen) werden in der Übersicht erarbeitet und aus ihren biochemischen Bildeprozessen (Stoff-wechselzyklen) charakterisiert. Als Leitmotiv kann man setzen: Wissen-schaftliche Erkenntnishaltungen in der Chemie.

Dieses Projekt knüpft an ein ausführ-liches chemisches Laborpraktikum zu den Themen Präparative Chemie (Kos-metische Präparate und Hausmittel für Krankheitstage), Analytische Chemie (Grundlagen, Bodenanalysen, Wasser-analysen, Umweltanalysen, Lebens-mittelanalysen) und Physikalische Chemie an.

Grundlagenfach Chemie 11., 12. oder 13. Klasse (für Abiturienten bzw. Maturanden)Anknüpfend an das Chemie-Projekt der 10. Klasse werden die chemischen Grundlagen des Atombaus, der Bin-dungslehre, der zwischenmolekularen Kräfte, der chemischen Gleichgewich-te, der Redoxreaktionen, der Elektro-chemie und der Protolysereaktionen ausgearbeitet. Die chemischen Ge-setzmäßigkeiten werden weiter ver-folgt und durch regelmäßiges Üben vertieft.

In der organischen Chemie werden die Reaktionsmechanismen unter Be-rücksichtigung des Lewis-Säure/Base-Konzeptes im Anschluss an das Pro-jekt der 11. Klasse aufgegriffen und bearbeitet.

Für die Förderung des Lehrbuchprojektes danke ich: dem Forschungsfonds der An-throposophischen Gesellschaft in Deutsch-land; dem Rudolf Steiner Fonds für wissen-

Titration von Salzsäure mit pH-Meter im Schülerlabor (Foto: Ulrich Wunderlin)

Schülerarbeiten im Labor (Foto: Ulrich Wunderlin)

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schaftliche Forschung; der Stiftung zur Förderung der Rudolf Steiner Pädagogik in der Schweiz, der Arbeitsgemeinschaft der Rudolf Steiner Schulen in der Schweiz.

Zum Autor: Dr. Ulrich Wunderlin, Jahrgang 1959; Besuch der Rudolf-Steiner-Schule in Basel und der Freien Waldorfschule in Freiburg i.Br., Studium der Musik (Basel) und an der Albert Ludwigs Universität Freiburg Biologie und Chemie (Staatsexamen). Aufbaustudium in Biolo-gie, Promotionsarbeit über vergleichende Entwicklungsmorphologie von Blüten. Von 1989 bis 2003 Lehrer an der Rudolf-Steiner-Schule Zürich (Mathematik, Geografi e, Biologie, Chemie), Unterricht an der Maturitätsschule für Absolventen von Rudolf-Steiner-Schulen (MARS) in Zü-rich (Biologie und Chemie, 1992-2003. Seit August 2003 Lehrer für Biologie und Chemie an der Atelierschule Zürich (Integrative Mittelschule der Rudolf-Steiner-Schulen Sihlau und Zürich). Forschungsschwerpunkte: Didaktik und Methodik des Chemie- und Ökologieunterrichts.

Anmerkungen:1 Scheffl er 1996, Wunderlin 1999, 2000, 2001, 2002, 2004, Schad 1998, 20002 Kolisko 1932, Ott 1960, Julius 1988, Dietz 1989, von Mackensen 1988, 1993, 1995, von

Mackensen & Schoppmann 2004

Literatur:Dietz, W.: Chemie – Ergebnisse aus dem Epochenunterricht in der 7. und 8. Klasse, Dürnau

1989Julius, F.: Grundlagen einer phänomenologischen Chemie – Stoffeswelt und Menschenbildung,

Bd. I und II (1988, 1992), Stuttgart 1988Kolisko, E.: Vom ersten Unterricht in der Chemie. In: Auf der Suche nach Wahrheiten – Eugen

Kolisko – Goetheanistische Studien, Dornach 1932, S. 90-124Mackensen, M. von: Salze, Säuren, Laugen. Pädagogische Forschungsstelle, Kassel 1988

(Hrsg.), Bildungswerk Beruf und Umwelt, Brabanter Str. 43, 34131 Kassel ders.: Vom Kohlenstoff zum Äther. Pädagogische Forschungsstelle, Kassel 1993 (Hrsg.), Bil-

(Hrsg.), Bildungswerk Beruf und Umwelt, Brabanter Str. 43, 34131 Kassel ders.: Vom Kohlenstoff zum Äther. Pädagogische Forschungsstelle, Kassel 1993 (Hrsg.), Bil-

(Hrsg.), Bildungswerk Beruf und Umwelt, Brabanter Str. 43, 34131 Kassel

dungswerk Beruf und Umweltders.: Feuer, Kalk, Metalle / Stärke, Zucker, Eiweiß, Fett. Zu den Epochen der 7. und 8. Klas-

se mit Versuchsbeschreibungen. Pädagogische Forschungsstelle Kassel 1995 (Hrsg.), Bil-dungswerk Beruf und Umwelt

Mackensen, M. von & Schoppmann, R.: Prozesschemie aus spirituellem Ansatz. Pädagogische Forschungsstelle, Kassel 1994 (Hrsg.), Bildungswerk Beruf und Umwelt

Ott, G.: Grundriss einer Chemie nach phänomenologischer Methode, Bd. I und II, Basel 1960Schad, W.: Zum Chemieunterricht in der Waldorfschule. In: »Erziehungskunst«, Heft 3/1998,

S. 264-277ders.: Für eine vernunftgemäße Chemie. Tycho de Brahe-Jahrbuch für Goetheanismus, Niefern-

Öschelbronn 2000, S. 164-201ders.: Für eine vernunftgemäße Chemie. Tycho de Brahe-Jahrbuch für Goetheanismus, Niefern-

Öschelbronn 2000, S. 164-201ders.: Für eine vernunftgemäße Chemie. Tycho de Brahe-Jahrbuch für Goetheanismus, Niefern-

Scheffl er, A.: Von der Wandlungskraft des Feuers. Zum Chemieunterricht. Tycho de Brahe-Jahr-buch für Goetheanismus, Niefern-Öschelbronn 1996, S. 373-410

Scheffl er, A.: Von der Wandlungskraft des Feuers. Zum Chemieunterricht. Tycho de Brahe-Jahr-buch für Goetheanismus, Niefern-Öschelbronn 1996, S. 373-410

Scheffl er, A.: Von der Wandlungskraft des Feuers. Zum Chemieunterricht. Tycho de Brahe-Jahr-

Wunderlin, U.: Die Prozessualität der mineralischen Chemie, deren Ordnungsprinzipien und physiologische Bedeutung. Tycho de Brahe-Jahrbuch für Goetheanismus, Niefern-Öschelbronn 1999, S. 87-132und physiologische Bedeutung. Tycho de Brahe-Jahrbuch für Goetheanismus, Niefern-Öschelbronn 1999, S. 87-132und physiologische Bedeutung. Tycho de Brahe-Jahrbuch für Goetheanismus, Niefern-

ders.: Von der Wirkungskraft des Lichtes. Tycho de Brahe-Jahrbuch für Goetheanismus, Nie-fern-Öschelbronn 2000, S. 222-266

ders.: Von der Wirkungskraft des Lichtes. Tycho de Brahe-Jahrbuch für Goetheanismus, Nie-fern-Öschelbronn 2000, S. 222-266

ders.: Von der Wirkungskraft des Lichtes. Tycho de Brahe-Jahrbuch für Goetheanismus, Nie-

ders.: Von der Umwandlungskraft der Luft. Tycho de Brahe-Jahrbuch für Goetheanismus, Nie-fern-Öschelbronn 2001, S. 110-163

ders.: Von der Umwandlungskraft der Luft. Tycho de Brahe-Jahrbuch für Goetheanismus, Nie-fern-Öschelbronn 2001, S. 110-163

ders.: Von der Umwandlungskraft der Luft. Tycho de Brahe-Jahrbuch für Goetheanismus, Nie-

ders.: Die Bedeutung der Chemie für die Pädagogik und ihr sozialer Aspekt. Elemente der Na-turwissenschaft, Sonderheft 2002

ders.: Zur Begriffsbildung für die funktionellen Gruppen organischer Stoffe aus biologischen Pro-zessen. Tycho de Brahe-Jahrbuch für Goetheanismus, Niefern-Öschelbronn 2004, S. 147-185

ders.: Zur Begriffsbildung für die funktionellen Gruppen organischer Stoffe aus biologischen Pro-zessen. Tycho de Brahe-Jahrbuch für Goetheanismus, Niefern-Öschelbronn 2004, S. 147-185

ders.: Zur Begriffsbildung für die funktionellen Gruppen organischer Stoffe aus biologischen Pro-