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1 Albert Panzer Ein Journalist begleitet das mystische Leben der Therese Neumann Der Verfasser, der sich als berichterstattender Journalist zunächst mit zögernd und skeptischen Sinnes den mystischen Vorgängen in Konnersreuth genähert hat, bekennt nach ungezählten Begegnungen mit Therese Neumann und ihrem Seelsorger Josef Naber, dass in Konnersreuth Wahrheit geschehen ist. Davon konnte er sich durch viele Gespräche mit der Stigmatisierten und ihrem geistlichen Begleiter sowie durch unmittelbare kritische Beobachtung der Geschehnisse persönlich überzeugen. Sein Buch will keine Verteidigungs - Schrift sein. Denn alles, was sich in Konnersreuth zugetragen hat, ist so klar, einfach und durchsichtig, dass sich jegliche Rechtfertigung erübrigt. Die meisten, die mit Hilfe der Wissenschaften und im einseitig rationalen Zugriff das Mysterium auszuloten und zu erklären versucht haben, sind gescheitert. Gar von Schwindel oder Betrug zu sprechen, ist ebenso unredlich wie anmaßend. Der Autor will keine „Theologie“ von Konnersreuth vorlegen, sondern lediglich seine Erfahrungen und Beobachtungen, seine Erinnerungen eben, wiedergeben. Nicht eifervoll schwärmend, vielmehr jenseits aller die Tatsachen überspielenden „Verhimmelung“ und in stets gewahrter sachlicher Distanz zum jeweiligen Geschehnis. Dem Verfasser lag nicht zuletzt daran, das Menschliche an der Person der Therese Neumann darzustellen, ihr einfaches Wesen, ihr Stehen in der Wirklichkeit des Lebens, ihre Mitmenschlichkeit und ihre Liebe zur Heimat. Das mystische Leben der Stigmatisierten hat sich ja nicht in einem wie immer gedachten außer- oder überirdischen „Raum“, sondern im Hier und Heute der geschichtlichen Stunde ereignet.

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Albert Panzer

Ein Journalist

begleitet das mystische Leben

der Therese Neumann

Der Verfasser, der sich als berichterstattender Journalist zunächst mit zögernd und skeptischen Sinnes den mystischen Vorgängen in Konnersreuth genähert hat, bekennt nach ungezählten Begegnungen mit Therese Neumann und ihrem Seelsorger Josef Naber, dass in Konnersreuth Wahrheit geschehen ist. Davon konnte er sich durch viele Gespräche mit der Stigmatisierten und ihrem geistlichen Begleiter sowie durch unmittelbare kritische Beobachtung der Geschehnisse persönlich überzeugen. Sein Buch will keine Verteidigungs - Schrift sein. Denn alles, was sich in Konnersreuth zugetragen hat, ist so klar, einfach und durchsichtig, dass sich jegliche Rechtfertigung erübrigt. Die meisten, die mit Hilfe der Wissenschaften und im einseitig rationalen Zugriff das Mysterium auszuloten und zu erklären versucht haben, sind gescheitert. Gar von Schwindel oder Betrug zu sprechen, ist ebenso unredlich wie anmaßend. Der Autor will keine „Theologie“ von Konnersreuth vorlegen, sondern lediglich seine Erfahrungen und Beobachtungen, seine Erinnerungen eben, wiedergeben. Nicht eifervoll schwärmend, vielmehr jenseits aller die Tatsachen überspielenden „Verhimmelung“ und in stets gewahrter sachlicher Distanz zum jeweiligen Geschehnis. Dem Verfasser lag nicht zuletzt daran, das Menschliche an der Person der Therese Neumann darzustellen, ihr einfaches Wesen, ihr Stehen in der Wirklichkeit des Lebens, ihre Mitmenschlichkeit und ihre Liebe zur Heimat. Das mystische Leben der Stigmatisierten hat sich ja nicht in einem wie immer gedachten außer- oder überirdischen „Raum“, sondern im Hier und Heute der geschichtlichen Stunde ereignet.

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Meinem verehrten väterlichen Freund

in der Ewigkeit

Pfarrer Josef Naber,

in Dankbarkeit gewidmet.

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Inhalt:

• Bericht über die Vorstellung des Buches 5 • Bemerkung zum Nachdruck 6 • Das Phänomen 7 • Dankbrief an Josef Naber 47 • Nachfragen 58 • Zeugen: 67 • Helmut Fahsel 68 • Dr. med. et phil. H. Lemke 71 • Dr. Max Jordan 73 • Dr. Richard Sattelmair 75 • Josef Schuhmann 78 • Besucher 80 • Ein Wunder? 95 • Werke 99 • Heimat 109 • Ausblick 115

Bilder: Erwin Sommerer, Adam Gammanick, Heinz Hoffmannbeck, Alle übrigen Aufnahmen entstammen privaten Sammlungen

Impressum:

Herausgeber: Albert Panzer (verstorben 1992)

Offsetdruck: „Der neue Tag“,. Weigelstraße 16, 92637 Weiden i. d. OPf 1. Auflage,1990, 2. Auflage,1990, 3. Auflage,1991, 4. Auflage,1992,

5. Auflage, 2008, im Nachdruck bei: J.M.Weyh, Poststrasse 2, 95478 Kemnath-Stadt

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Bericht über die Vorstellung des Buches am 16. November

1990

Albert Panzer und die „Resl“

Buch über die Phänomene in der Gemeinde Konnersreuth offiziell

vorgestellt

Er war ein kleiner Bub, als er das erste Mal der „Resl“ begegnete. Ein Pfarrer hatte Albert, Panzer mitgenommen, in das benachbarte Konnersreuth. Später kam dem, gebürtigen Mitterteicher die Stigmatisierte aus dem Blick. Zwei Jahrzehnte danach wurde der junge, Mann in, das Redaktionsteam der Zeitung „Der neue Tag“ berufen.

Nun kam Therese Neumann und das Karfreitagsgeschehen in Konnersreuth schon aus beruflicher Neugier ins Blickfeld. Völlig unvoreingenommen erlebte der Journalist die Phänomene mit, skeptisch zunächst, dann aber so klar einfach und durchsichtig, dass er heute sagt: „In Konnersreuth ist Wahrheit geschehen“.

Und darüber legt Albert Panzer Zeugnis ab. „Licht von drüben“, heißt das Buch das am Donnerstag offiziell vorgestellt wurde. Das mystische Leben der „Resl“ hat Albert Panzer über viele Jähre begleitet, ja er wurde ob seiner Berichterstattung zum Sprachrohr der großen Welt. Seine Artikel über die Stigmatisierte wurden gar in den Vereinigten Staaten gedruckt. Nach schwerer Krankheit im vergangenen Jahr genesen, erkannte der in Schirmitz lebende Journalist, dass er noch etwas Wichtiges unbedingt zu tun habe: Seine Erinnerungen an, Therese Neumann. Sie hat er nun in Worte gefasst und der Nachweit, überliefert.

Albert Panzer hat keine „Verteidigungsschrift“ verfasst, keine „Theologie von Konnersreuth“. Vielmehr kam es dem Autor und Herausgeber darauf an, aus seinen Beobachtungen und Erfahrungen heraus das Menschliche an der Person der „Resl“ darzustellen, ihr Stehen in der Wirklichkeit des Lebens. „Ich wollte die Christus-Botschaft von Konnersreuth wieder in das Bewusstsein rufen sagte der Journalist bei der Vorstellung des 176 Seiten starken Buches im Rathaus, „dem Heiland ein Kompliment machen und seiner begnadeten Dienerin Therese Neumann“.

Pfarrer Anton Vogl, Postulator des Informativ Prozesses zur Seligsprechung von Therese Neumann, erachtete es als besonders wichtig, „dass solche Zeugen wie Sie Schwarz auf Weiß Zeugnis ablegen“.

Bürgermeister Michal Hamann freute sich über das ausgezeichnete Werk, das vom geistlichen Rat Josef Schuhmann, Pater Dr. Max Hofinger vom Kloster Fockenfeld und der. Schwester Oberin Seraphine und Schwester Lucia vom Anbetungskloster sowie den beiden Nichten der „Resl“, Maria und Walburga Dietz sowie Frau Rosa Schiml begeistert aufgenommen wurde.

Dank galt in diesem Zusammenhang Egon Grasser und Lothar Kaiser für die technische Betreuung des Buches. Frau Bärbel Panzer gratulierte dem Autor im Namen der Verleger des „Neuen Tages“ zu dem gelungenen Buch. „Es ist ein gewisser Ersatz für die persönliche Begegnung mit der Stigmatisierten“.

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Bemerkung zu diesem Nachdruck

Obwohl es mittlerweile eine kaum noch überschaubare Menge von Schriften zu Therese Neumann gibt, wird immer wieder nach dem Buch meines Vaters gefragt. Gerade Aussagen von Menschen, die Therese Neumann erlebt haben, sind heute wichtig.

Seit einiger Zeit kann man „Licht von drüben“ im Internet unter www.licht-von-drueben.de lesen, aber viele wollen doch lieber ein gedrucktes Werk in Händen halten.

Da das Buch in der Originalform nicht mehr hergestellt werden kann, habe ich einen einfachen Nachdruck herstellen lassen.

Vielen Dank an J.M.Weyh Druck in Kemnath für die sorgfältige Bearbeitung.

Möge damit das Werk meines Vaters und die Erinnerung an Therese Neumann weiter erhalten bleiben!

Regensburg im Mai 2008

Klaus Panzer

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Das Phänomen

Als mich im Vorjahr eine schwere Krankheit heimsuchte und ich dem Tode nahe war, begann ich nach meiner überraschenden Genesung zu fragen, weshalb mich denn Gott so völlig unerwartet noch einmal ins Leben zurückgerufen habe: Hast du vielleicht etwas Wichtiges unterlassen, das unbedingt getan werden müsse? Da wurde mir klar, daß noch ein mir überaus kostbarer Schatz ans Licht zu heben sei: Meine Erinnerungen an die stigmatisierte Therese Neumann von Konnersreuth. Dankbarer Sinn rief mich auf, zu versuchen, sie ins Wort zu fassen und der Nachwelt zu überliefern. So begann ich denn, die vielen Begegnungen mit der Mystikerin sorgsam zu überdenken und die umfangreichen Materialien zu sichten, die sich im Laufe von Jahrzehnten in meinem kleinen Archiv angesammelt hatten. Unter den handgeschriebenen Aufzeichnungen stieß ich auf zahlreiche Konnersreuth - Artikel, die ich aus verschiedenen Anlässen für die in Weiden erscheinende Zeitung „Der neue Tag“ bis hin zum Tod der Stigmatisierten geschrieben hatte. Diese Beiträge sind in die vorliegende Darstellung der Konnersreuther Ereignisse eingearbeitet.

Wann immer ich nach Konnersreuth kam, befleißigte ich mich stets des genauen kritischen Hinsehens und Hinhörens. Ich übernahm keineswegs alles, was mir dort über Therese Neumann berichtet wurde. Auf Wahrheit war ich bedacht. Dies um so mehr, als ich - auch heute noch - grundsätzlich zu einem vorsichtigen Skeptizismus neige. Therese Neumann wußte um diesen nicht unbedenklichen Grundzug in meinem Daseinsverständnis, obwohl ich mit ihr nie darüber gesprochen hatte. Bei verschiedenen Gelegenheiten sprach sie mich auf diese geistige Befindlichkeit hin, mehr mittelbar als direkt, an, indem sie etwa sagte, man müsse die Beschwerlichkeiten und Düsternisse des Lebens mit Geduld und Tapferkeit auf sich nehmen, da uns doch am Ende der irdischen Pilgerschaft eine so große Herrlichkeit erwarte. Auch Pfarrer Josef Naber, der Seelsorger der Stigmatisierten, ermunterte mich des öfteren, wenn er „Brüche“ in meinem Geistes- oder Glaubensleben entdeckt zu haben glaubte.

Trotz aller seelischen, geistigen und auch „philosophischen“ Vorbelastungen bin ich Konnersreuth treu geblieben. Was mir dort entgegentrat, überwältigte mich. Heute darf ich dankbar feststellen: Wäre ich Therese Neumann nicht begegnet, hätte sie mir Gott nicht über den Lebensweg geschickt, so wären mein Gottes- und Weltbild wohl völlig anders geraten. Vielleicht hätte ich die Weisheit der Philosophen der Frohbotschaft des Evangeliums vorgezogen.

Zum erstenmal sah ich Therese Neumann im Jahre 1926. Da war ich noch ein kleiner Bub. Ein befreundeter Pfarrer hatte mich nach Konnersreuth mitgenommen. Therese machte auf mich den Eindruck einer jungen Frau mit mädchenhaften Zügen. Sie trug ein weißes Kopftuch. Der Priester unterhielt sich längere Zeit mit ihr und stellte allerlei Fragen. Was sie im einzelnen miteinander gesprochen haben, weiß ich nicht mehr. Mir hatte man einen Fußschemel zum Sitzen angeboten. Ich staunte vor allem die Wundmale der Hände des Mädchens an. Doch machte ich mir über deren Bedeutung kaum Gedanken. Schon damals war die Kunde von Thereses Stigmatisation in alle Welt gedrungen. 1926 setzte denn auch der Besucherstrom nach Konnersreuth ein. Zu Tausenden kamen sie, um vor allem die Leidensekstasen der Stigmatisierten zu erleben.

Später geriet mir Therese Neumann nahezu völlig aus dem Blick. Ich versuchte auch gar nicht mehr, nach Konnersreuth zu kommen, obwohl der Ort kaum sechs Kilometer von meiner Geburtsstadt Mitterteich entfernt lag. Nur an den Karfreitagen jener Jugendjahre erinnerte ich mich der Stigmatisierten. Da passierten nämlich jedesmal in fast ununterbrochener Folge Personenautos und Omnibusse, zum Teil mit ausländischen Kennzeichen, die Stadt. Ihr Ziel

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war Konnersreuth. Noch sehe ich die Straße, die unweit von Mitterteich nach Konnersreuth abzweigte. Sie gehörte damals zu den ungepflegtesten Straßen des Landkreises. Mit zum Teil gefährlich tiefen Schlaglöchern übersät, forderte diese letzte Wegstrecke, besonders bei Regenwetter, den Fahrern viel Aufmerksamkeit, ja nicht selten äußerste Vorsicht ab.

Jener unbeschwerten Jugendzeit, da ich im Umkreis einer Großfamilie mit den Eltern, einer frommen Großmutter und zwei Geschwistern behütet aufwachsen durfte, folgten der Besuch des humanistischen Gymnasiums in Regensburg, später die berufliche Orientierung, die unseligen zwölf Jahre des Nationalsozialismus, der Zweite Weltkrieg und schließlich die Kriegsgefangenschaft. Gerade noch war ich dem Todesurteil eines deutschen Kriegsgerichts entgangen. Ich hatte nämlich russischen Kriegsgefangenen, die mir zur Betreuung anvertraut waren, gesagt, daß der Krieg in wenigen Wochen zu Ende gehe und der Tag ihrer Befreiung nicht mehr ferne sei. Die Russen jubelten. So zu reden aber galt damals als Staatsverbrechen. Als man sie fragte, „welcher Unteroffizier“ ihnen derartiges mitgeteilt habe, schwiegen sie. Sie verrieten mich nicht, denn wir waren längst Freunde geworden.

Der Krieg näherte sich nun tatsächlich rasch seinem Ende. Die amerikanischen Streitkräfte hatten bereits weite Gebiete Deutschlands erobert. Berlins Untergang war besiegelt, der Traum vom „Tausendjährigen Reich“ endgültig ausgeträumt. Viele deutsche Städte lagen in Trümmern. Auch Konnersreuth verschonte der Krieg nicht, denn hier hatte sich eine SS-Truppe eingenistet, die den Ort unbedingt verteidigen wollte. So blieb den Amerikanern keine andere Wahl als anzugreifen. Daraufhin gingen in Konnersreuth neunundzwanzig Anwesen in Flammen auf, es gab zwei Tote. Wie Therese Neumann jene dunkelsten Jahre deutscher Geschichte und das Kriegsende überlebt hat, darüber werde ich später in größerem Zusammenhang berichten.

Auf die Deutschen kam nun das schier aussichtslos scheinende Werk des Wiederaufbaus zu. Der aber konnte nur mit Unterstützung der Amerikaner in Angriff genommen werden. Materielle Hilfe jedoch genügte nicht. Vor allem im Bereich des geistig kulturellen Lebens, des Denkens, im Verständnis von Politik, Ethik und Religion mußte eine völlige Neuorientierung geschehen. Dazu bedurfte es aber elementarer Bildungsmittel, der Literatur, zumal. Doch es gab weder Bücher noch Zeitschriften noch Zeitungen. Ganz von vorne, ganz von unten galt es also anzufangen.

Vorrangige Bedeutung maßen die Amerikaner der Presse zu. Sie sollte jetzt in Deutschland nicht nur der Information dienen, sondern vornehmlich auch den Unsinn und Unfug der nationalsozialistischen Ideologie an den Pranger stellen und die Deutschen demokratischem Denken öffnen. Dabei ging man so vor, daß alle großen Zeitungsverlage in Lizenz an Persönlichkeiten vergeben wurden, die sich schon in den Hitler-Jahren bewußt vom Nazismus distanziert hatten und nicht selten Opfer der braunen Diktatur geworden waren. Eine solche Lizenz-Zeitung entstand auch in Weiden. Sie hieß „Der neue Tag“. Das Blatt erschien bereits 1946. Am 1.Februar 1947 berief mich der damalige, für Politik und Kultur verantwortliche stellvertretende Chefredakteur Dr. Richard Sattelmair in das Redaktionsteam der Zeitung. Sattelmair war Kunsthistoriker und theologisch hochgebildet. Er wurde mein Lehrer. Ich habe ihm viel zu danken. Anlaß, gerade mich zu holen, war ein Artikel, den ich kurz vorher in, seiner Zeitung veröffentlicht hatte. Der Beitrag handelte von Albertus Magnus, meinem Namenspatron, dem großen mittelalterlichen Naturwissenschaftler, Philosophen und Theologen, dem Lehrer des heiligen Thomas von Aquin.

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Das Geburts- und Sterbehaus der Stigmatisierten

Als Dr. Sattelmair nach München übersiedelte, übertrug man mir einen Teil seines Aufgabengebietes, vornehmlich die theologisch-kirchliche Berichterstattung. Es war nicht leicht, in eine solche Nachfolge einzutreten. Doch ich ging mit Freude ans Werk. Nun trat mir Therese Neumann aufs neue in den Blick. Da war vor allem darüber zu berichten, was sich in Konnersreuth am Karfreitag zutrug, über die Tausende, die vor dem Haus der Stigmatisierten warteten, bis sie eingelassen wurden, um Therese in ihrer Leidensekstase zu sehen. Der Karfreitag war insofern so detailgerecht wie umfassend zu beschreiben, als Konnersreuth im Verbreitungsgebiet der Zeitung lag und ich mich der starken journalistischen „Konkurrenz“ gewachsen zeigen wollte.

Völlig unvoreingenommen erlebte ich nun über einige Jahre hinweg diesen Karfreitag. Weder Neugier noch religiöser Eifer trieben mich dazu. Einzig meinem journalistischen Auftrag fühlte ich mich verpflichtet. Die Zeitungsleute, die aus allen Gegenden Europas angereist waren, suchten hier häufig nur das Aufregende und Erregende, das Sensationelle festzuhalten: den Massenbetrieb, das Geschiebe und Gedränge der Menge, die Anwesenheit der vielen, meist uniformierten Amerikaner, Reaktionen der Besucher auf das Erlebnis der Leidensgestalt im Neumann-Haus und anderes mehr. Zunächst schrieb ich nur für meine Zeitung. Doch schon bald beauftragte mich auch der Bayerische Rundfunk, das Konnersreuther Karfreitagsgeschehen ausführlich zu schildern. Darüber hinaus hatte ich jedesmal einen gelehrten Mönch der berühmten Benediktinerabtei Beuron, einen früheren Berliner Auslandskorrespondenten, zu informieren. Dieser übermittelte meinen Bericht sofort telegrafisch nach den USA, so daß ihn die Amerikaner bereits in der nächsten Nummer ihrer Zeitung lesen konnten. Auch eine Benediktinerabtei in Salzburg hatte ihr Interesse angemeldet.

So war ich denn irgendwie Sprachrohr zur großen Welt hin geworden. Dieser Auftrag verpflichtete. Daher versuchte ich stets, genau zu beobachten, um falschen Perspektiven

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vorzubeugen. Doch die Stigmatisierte mochte die Journalisten nicht. Wann immer es sich ermöglichen ließ, entzog sie sich diesen neugierigen Fragern. Noch mehr mied sie die Fotografen. Ich weiß von Fällen, da sie buchstäblich vor ihnen floh. Ihre Aufdringlichkeit war ihr zuwider. Der Grund: Nicht alle Schreiber und Bildmacher kamen in redlicher Absicht. Viele suchten nur das Geschäft. Der Presse stand sie auch insofern ablehnend gegenüber, als sich ihre Beauftragten nicht selten zu völlig falschen Deutungen des Passionsgeschehens und, anderer mystischer Phänomene hinreißen ließen. Nicht wenige sprachen von Schwindel und Betrug und unterschoben der Familie Neumann niedrigste Absichten. Wieder andere versuchten, das mystische Geschehen auf ihre Weise lächerlich zu machen. Und manche, die wohl in ehrlicher Absicht gekommen waren, sahen sich offenbar überfordert. Ihre Berichte wurden der „Sache“ nur unzulänglich gerecht. Halbwahrheit kam auf, und die ist bekanntlich schlimmer als die Unwahrheit. Auch manche kirchlich autorisierte Darstellungen entsprachen nicht immer dem objektiv Gegebenen.

Unter diesen Umständen war es denkbar schwer, an Therese Neumann näher heranzukommen. Das Karfreitagserlebnis aber hatte mich in einem Maße erschüttert, daß ich über diese Frau mehr erfahren wollte. Denn mir war klar geworden, daß sich in Konnersreuth Dinge ereignen, die menschliches Begreifen übersteigen und sich dem Zugriff der reinen Vernunft entziehen. Hier war Gott im Spiel. Hier waltete ein Mysterium, das mich nicht mehr losließ.

Zunächst befragte ich diesen und jenen angeblichen Zeugen. Aber sie alle erschienen mir nicht zuverlässig genug, als daß ich mit ihren Aussagen über Therese Neumann hätte an die Öffentlichkeit treten können. Auch den Ort Konnersreuth sah ich jetzt mit anderen Augen. Er wurde mir von Jahr zu Jahr wichtiger. Mit großem Interesse verfolgte ich seine kommunalpolitische Entwicklung, räumte in der Zeitung den Berichten über Sitzungen der Markträte oder anderen lokalen Vorkommnissen größeren Raum ein und wollte vor allem wissen, ob etwa Entscheidungen getroffen würden, die das Leben der Stigmatisierten betreffen könnten. Da trat schon immer wieder die Frage in den Vordergrund, ob man sich denn nicht der Förderung des Fremdenverkehrs intensiver widmen und mehr Übernachtungsgelegenheiten anbieten, überhaupt der Gastronomie größere Aufmerksamkeit widmen solle. Therese Neumann wußte um solche Bestrebungen. Bis zu ihrem Tod jedoch wehrte sie sich entschieden dagegen, den Markt mit Bezug auf ihre Person „noch“ attraktiver zu machen. Die Gemeinde verdient dafür Lob, daß sie diesen Wunsch der Stigmatisierten stets respektiert hat.

Noch blieben mir viele Fragen offen. Wer war diese Therese Neumann? Wie beschaffen war ihre Persönlichkeitsstruktur? Hatten alle diese Phänomene eine Vorgeschichte, aus“ der man Schlüsse ziehen konnte? Welches soziale, religiöse oder geistige Milieu hatte Therese geprägt? Und so fort. Endlich kam es zu einer ersten persönlichen Begegnung mit Therese. Ganz gewiß hatte sie mir Pfarrer Naber vermittelt. Eine mich freundlich anblickende, Zuversicht ausstrahlende Frau stand mir gegenüber. Sie trug ein langes, schwarzes, bis an die Füße reichendes, dem von Ordensschwestern ähnliches Kleid. Das Haupt bedeckte ein weißes Kopftuch. Worüber wir damals sprachen, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls wurde ich ihr als Journalist vorgestellt. Von ihm wußte sie bereits, daß er seinen Beruf ernst nehme und sich bemühe, über die Vorgänge in Konnersreuth sachgerecht zu berichten. So fand ich denn ihre Zustimmung, ihr Vertrauen und später sogar ihre Freundschaft. Jetzt durfte ich unbehindert im Hause Neumann einkehren, desgleichen im alten Pfarrhaus nahe der Kirche, wo Pfarrer Josef Naber wohnte. Dieses Haus war Therese Neumann zu einem Lieblingsaufenthalt geworden. Immer wieder suchte sie dort Zuflucht. Hier empfing sie nicht selten auch Besucher aus aller Welt. Das alte, architektonisch keineswegs uninteressante Bauwerk hatte

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also Geschichte. Ich bedauerte daher sehr, daß die Gemeinde seinen Abbruch zuließ. Das Gebäude war von Therese Neumann nicht fortzudenken. Hätte man darin nicht ein, wenn auch bescheidenes, Museum einrichten können?

Schwieriger als meine „Einführung“ in Konnersreuth war jene meines Pressefotografen Erwin Sommerer. Sie kannte ihn bereits, traute ihm aber zunächst nicht, weil sie, vermutete, er werde über den unmittelbaren Zweck seiner Aufnahmen hinaus die Bilder vervielfältigen und weiterverbreiten. Solches Verhalten hieß für Therese stets, eine Vertrauensstellung ausnützen und mit Konnersreuth Geschäfte machen. Als ich einmal mit ihr und anderen Personen im Neumann-Haus zusammen war, fragte ich sie leise nach dem Namen eines Mannes, den ich nicht kannte. Da flüsterte sie mir zu: „Den mog i niat, des is a Gschäftsmoa“ - „Den mag ich nicht, der ist ein Geschäftsmann“. Das heißt, er war, nach ihrer Überzeugung gekommen, um sie auszuhorchen, das Ergebnis des Gesprächs literarisch auszuwerten und dann zu vermarkten. Was nun meinen Fotografen angeht, so bedurfte es aufwendiger Uberzeugungsarbeit, damit sie ihn künftig gewähren ließ.

Bei allen meinen nun immer häufiger werdenden Begegnungen mit Therese Neumann brachte ich es einfach nicht übers Herz, sie mit „Resl“ anzusprechen. Für mich war sie bis zuletzt das „Fräulein Therese“. Da hatte sie nie widersprochen oder mich korrigiert. Sie selber sprach kaum Hochdeutsch, sondern im angestammten, Uneingeweihten nur schwer verständlichen Dialekt ihrer nordoberpfälzischen Heimat.

So hatte sich denn Therese auch in der Sprache ihre Einfachheit bewahrt. Pfarrer Naber kannte sie schon von der Volksschule her, an der er ihr Religionsunterricht erteilte. Er schilderte sie mir als ein braves, gediegenes und fleißig lernendes Mädchen. Nichts Außergewöhnliches oder Problematisches habe er an ihr beobachten können. Auch keine über den Durchschnitt hinausragende Frömmigkeit. Daß sie intelligent und begabt gewesen war, beweist ihr hervorragendes Volksschul-Abschlußzeugnis. Schon früh war sie auf Theresia von Lisieux, die spätere Heilige, aufmerksam geworden. Deren Biographie studierte sie eifrig. Ihrem Beispiel wollte sie nacheifern. Von ihm ließ sie sich in einem Maße begeistern, daß sie sogar beschloß, in einen Orden einzutreten und Missionsschwester zu werden.

Therese Neumann wurde am 8. April 1898, an einem Karfreitag, geboren. Sie wuchs als Älteste mit neun Geschwistern in einem ärmlich anmutenden Konnersreuther Haus nahe der Kirche auf. Vater Ferdinand war Schneidermeister und unterhielt neben seinem Handwerk eine wenig ergiebige Landwirtschaft, deren Erträgnisse fast ausschließlich für den Unterhalt der großen Familie bestimmt waren. Sie zu ernähren, fiel dem Vater mit seinem bescheidenen Einkommen nicht leicht. Da wollte Therese nicht hintanstehen. Als ein Bauer aus der Nachbarschaft eine Magd suchte, zögerte Therese nicht, die Arbeitsstelle anzunehmen. Sie fühlte sich kundig und kräftig genug, um allen Anforderungen gerecht zu werden. Zu jener Zeit in einem Bauernhof tätig zu sein, bedeutete Schwerarbeit. Die Landwirte von damals verfügten ja kaum über primitivste maschinelle, arbeitsparende Hilfsmittel. Wiesen und Felder zu bewirtschaften, den Stall in Ordnung zu halten oder die Ernte einzubringen, forderte dem Bauern und seinen Helfern härtesten körperlichen Einsatz ab. Therese wurde mit vielfältigen Arbeiten betraut. Pfarrer Naber sagte mir, daß sich Therese als überaus tüchtige Magd erwiesen und auch Verrichtungen nicht abgelehnt habe, die Männern vorbehalten gewesen seien.

Da brach eines Tages in einem Nachbaranwesen Feuer aus. Bis die damals mit Löschgeräten noch denkbar unzulänglich ausgerüstete Feuerwehr anrückte, verging viel Zeit. Man vermag sich kaum vorzustellen, daß damals das Löschwasser noch über Leitern von Mann zu Mann in

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Eimern zur Brandstelle hinaufgereicht werden mußte. Therese war Zeugin des Feuers, erkannte, die Gefahr und zögerte nicht, bei den Löscharbeiten sofort mitzuhelfen. Dabei verunglückte sie schwer. Als Folgen stellten sich totale Lähmung des Körpers und ein Jahr später völlige Erblindung ein.

Ich erspare es mir, die ärztlichen Befunde im Detail zu schildern. Die liegen noch heute vor. Medizinisch Interessierte können sie in der einschlägigen Literatur nachlesen. Wichtig ist jedoch zu wissen, daß alle Heilungsversuche vergeblich blieben und Therese jahrelang krank darniederlag. Sie wurde zum Pflegefall. Eltern und Geschwister nahmen sich ihrer liebevoll an und versuchten täglich, ihr Leiden einigermaßen aufzufangen und dem hilflosen Mädchen Freude zu bereiten.

Da geschah Unerwartetes. Als Papst Pius XI. am 29. April 1923 die von Therese so sehr bewunderte und verehrte Theresia von Lisieux seligsprach, wurde Therese Neumann plötzlich von ihrer jahrelangen Blindheit geheilt. Welcher Jubel in der Familie! Therese erkannte kaum noch ihre Geschwister. Zu lange war ihr der Anblick ihrer Lieben durch die erblindeten Augen entzogen. Aber sie konnte ihr Leidenslager nicht verlassen. Die Lähmung hielt an. Die Aufliegewunden schmerzten.

Zwei Jahre gingen hin. Die Seligsprechung der Theresia von Lisieux hatte in der katholischen Welt viel Freude ausgelöst. Theologen begannen, sich mit der Spiritualität der Seligen auseinanderzusetzen, um sie der Frömmigkeit der Gläubigen zu erschließen. Dies konnte insofern um so erfolgreicher geschehen, als die Selige ein umfangreiches autobiographisches Werk hinterlassen hatte. Als „Geschichte einer Seele“ ist das Buch in die Literaturgeschichte eingegangen. Eine weithin schöpferische Diskussion über die, wie man sagte, „moderne“ Selige war in Gang gekommen. So konnte es nicht verwundern, daß schon zwei Jahre später, am 17. Mai 1925, derselbe Papst Theresia von Lisieux - oder, wie sie noch hieß, Theresia vom Kinde Jesu - heiligsprach. Auch dieses Ereignis sollte in Konnersreuth Wunderbares bewirken: Therese Neumann wurde am gleichen Tag von ihrer als chronisch definierten Lähmung geheilt. Sie konnte aufstehen und sich frei bewegen. Wiederum kam in der Familie unbeschreibliche Freude auf. Viele wollten Therese sehen, um sie zu beglückwünschen. Alle waren überzeugt, daß sie nun wieder in die Normalität des Lebens zurückkehren werde. Doch Gott hatte anderes mit ihr vor. Ihr Dasein sollte sich in eine neue Dimension hinein öffnen.

Von Pfarrer Naber ließ ich mir eingehend schildern, wie es zu dieser Heilung von der Lähmung gekommen war. Therese berichtete: „Ich hab' gebetet. Da kam auf einmal ein großes Licht, wie man es sonst auf der Welt nicht sieht. Und eine Stimme rief: Resl, willst du gesund werden? Therese darauf: Mir ist alles recht. Die Stimme: Hättest du keine Freude, wenn du aufstehen könntest? Therese: Mich freut alles, was vom Heiland kommt. Die Stimme: Was freut dich denn? Therese: Jedes Gräslein, jedes Blümlein, jedes Vöglein und jedes neue Leiden, das mir der Heiland schickt. Am meisten Freude aber habe ich am Heiland selber.“ Diesen Worten folgte die sofortige Heilung. Ich habe übrigens Therese bei meinen vielen Gesprächen mit ihr nie von Jesus“ oder von „Christus“ reden gehört. Wann immer sie ihn nannte, war er ihr der „Heiland“. Jener also, der gekommen war, um der Menschheit Heil zu bringen und seine Frohbotschaft zur Rettung der Welt auszurufen.

Aber es blieb nicht bei dem freundlichen Gespräch mit jener geheimnisvollen Stimme, das der Heilung vorausgegangen war. Denn im gleichen Zusammenhang wurden ihr weitere Leiden angekündigt: „Therese, du wirst noch viel leiden müssen und kein Arzt wird dir helfen können. Doch verzage nicht! Ich habe dir bisher geholfen und ich werde dir auch in aller Zukunft helfen.“ Therese widersprach nicht. Denn diese Worte umschrieben ihre

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Lebensaufgabe. Hier kündigte sich bereits die Stigmatisation, das heißt, die Auszeichnung mit den Wundmalen des geschundenen und gekreuzigten Christus an. Ihr Beginn fiel in das Jahr 1926. Erst jetzt wurde die Welt auf Konnersreuth aufmerksam.

Ich verdanke Pfarrer Naber noch eine, wie mich dünkt, außerordentlich wichtige, doch leider viel zuwenig beachtete Weisung an Therese Neumann. Ihr war nämlich gesagt worden, daß alle mystischen Ereignisse in Konnersreuth, nicht für die Wissenschaft, auch nicht für die Theologie, sondern ausschließlich dazu bestimmt seien, die Menschen dem Heiland zuzuführen oder sie ihm wenigstens näherzubringen. Darin gründet aller Sinn jener Geschehnisse. Jede andere Deutung verfehlt die Wahrheit.

War jenes Wort nicht eine eindeutige Ansage und Absage an die ausschließlich vernunftgeleitete Wissenschaft? Was suchten sie denn weithin in Konnersreuth, die Theologen, Mediziner, die Psychologen und Parapsychologen, die Seelenanalytiker? Wohl die meisten kamen in der Absicht, den „Fall“ Therese Neumann menschlicher Logik gemäß zu „erklären“, ihn aus seinem übernatürlichen Zusammenhang herauszuoperieren, ihn auf eine außergewöhnliche Struktur des Seelenlebens zu reduzieren, die Zustände krankhaft zu nennen oder Begriffe wie Selbst- und Fremdsuggestion oder Hysterie ins Spiel zu bringen. Auch im Volk kursierten unangemessene Erklärungsversuche und allerlei Gerüchte. Unkritisch orientierten sich viele Zeitgenossen an halbwahren, Wesen und Sinn der Dinge mißverstehenden oder in bösartiger Absicht geschriebenen Artikeln der Sensationspresse.

Pfarrer Naber konnte da nicht mehr länger schweigen. Er drang auf wahrheitsgemäße Aufklärung. Den Tatsachen zuwiderlaufende Darstellungen der Konnersreuther Ereignisse hatten nämlich einen Umfang angenommen, daß Naber sich gezwungen sah, publizistisch an die Öffentlichkeit zu treten. Sein in einer oberpfälzischen Zeitung am 15.April 1926 abgedruckter Artikel ließ nichts an Eindeutigkeit und Klarheit zu wünschen übrig. Über den sachlichen Gehalt hinaus ist dieser Beitrag auch insofern aufschlußreich, als dem Pfarrer damit absichtslos so etwas wie ein Selbstporträt gelungen war. Er offenbarte nämlich ebenso die Einfachheit seiner Denkungsart wie die völlige Unvoreingenommenheit, mit der Naber dem mystischen Geschehen gegenübertrat. Und so hat er seine Ausführungen eingeleitet: „Anscheinend sind nah und fern über auffallende Vorgänge, die sich in den letzten Jahren in Konnersreuth zugetragen haben, Gerüchte im Umlauf, die der Wahrheit nicht ganz entsprechen. Da es sich um ganz Ungewöhnliches und Erhabenes an einem scheinbar ganz gewöhnlichen Menschenkind handelt, muß sich der in unserer Zeit steckende kritische Geist geradezu herausgefordert fühlen, und es ist zu befürchten, daß die kleinste Entstellung der Wahrheit schon ihn zu einem wegwerfenden Urteil über das Ganze veranlaßt. Deshalb halte ich es für meine Pflicht, die fraglichen Vorgänge in ihren Hauptmomenten - einfach und schlicht, so wie sie sich vor unseren Augen abgespielt haben, vor Augen zu führen.“

Seine ausführlich gehaltene Schilderung der Ereignisse beschließt der Autor so: „Von Vorstehendem - mit größter Zurückhaltung geschrieben, eher zu wenig als zu viel - war der Unterzeichnete größtenteils Augenzeuge oder hat es von solchen, durchaus glaubwürdigen Zeugen vernommen, insonderheit von dem kranken Mädchen selbst. Dieses letzteren Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen oder von Hysterie, Autosuggestion oder dergleichen zu reden, wird keinem einfallen, der das Mädchen kennt. Die Beteiligten fühlen sich aber nicht berufen und berechtigt, ein Urteil über den Charakter der geschilderten Vorgänge abzugeben. Sollte die zuständige kirchliche Behörde sich zu einem solchen veranlaßt sehen, unterwerfen sie sich demselben mit selbstverständlicher Bereitwilligkeit bis ins kleinste. Nur die Ehre Gottes und der kleinen heiligen Theresia, welche die Kranke seit Jahren verehrt, sowie das Heil der Mitmenschen wollen wir im Auge haben.“ Und Naber fügt noch eine Bitte an:

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„Schließlich möchte ich noch dringend bitten, von Besuchen der Kranken, besonders längeren, absehen zu wollen. Man möge bedenken, daß sie seit mehr als drei Jahren keine feste Speise, sondern nur etwas Flüssigkeit zu sich nehmen kann, infolgedessen und infolge starken Blutverlustes sehr geschwächt, deshalb der Ruhe sehr bedürftig und überhaupt am liebsten allein ist.“

Pfarrer Josef Naber war also überzeugt, daß sich in Konnersreuth - wie er geschrieben hatte - „ganz Ungewöhnliches und Erhabenes“ ereigne. Er rief daher dazu auf, den Vorgängen mit Ehrfurcht zu begegnen. Da wußte er sich ganz in Übereinstimmung mit der Stigmatisierten. Wie konnte sie sich erregen über manche nur auf Sensation gestimmte Zeitungsmeldungen oder über reißerisch aufgemachte Schlagzeilen, die sofort erkennen ließen, was von dem folgenden Text zu erwarten war. Sie zeigte sich auch ungehalten, wenn man in ihrer Gegenwart Fragen erörterte, die ihr Leben betrafen. Ich war Zeuge, da sie das Zimmer verließ, als sich das Gespräch der Gäste ihrer Person zuwandte. Sie wollte nichts wissen von gescheiten Erklärungsversuchen oder irgendwelchen wissenschaftlichen Begründungen. Wenn ihr Theologen oder auch sogenannte Theologen gegenübertraten, entrüstete sie sich oft über deren ihr völlig fremde Weise zu reden. Da wagte sie schon manchmal zurückzufragen, ob man denn nicht diesen oder jenen Sachverhalt einfacher und verständlicher darstellen könne. Nein - wissenschaftliche Theologie lag ihr nicht, schon gar nicht die Wortwahl jener „Seelenzerpflücker“, die man Psychologen und Psychoanalytiker nennt. Dagegen sträubte sich ihr einfaches Wesen.

Eben über die Einfachheit las ich jüngst im Werk eines französischen Theologen: „Die Tugend der Einfachheit besteht in einer gewissen Durchsichtigkeit der Seele, einer vollkommenen Natürlichkeit in jeder Lage und vor jedermann. Die Gabe der Frische, eine mitteilbare, ganz wahrhafte Freude, eine Aufrichtigkeit, die aber keine Naivität ist, sondern vielmehr aus Vertrauen zu Gott und zum Nächsten wächst, sind ihr eigen, dazu die Fähigkeit

An den Karfreitagen stauten sich die Massen vor dem Neumann-Haus.

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zum Staunen und die angeborene Neigung zur Bewunderung. Der Autor hat Therese Neumann nie gesehen. Aber er hätte seine Charakterisierung Wort für Wort der Stigmatisierten zuordnen können. So war sie. Dafür kann ich mich verbürgen.

Doch nicht das Bestreben, einer tugendhaften und in ihrer Gottinnigkeit vorbildlichen Frau zu begegnen, trieb die Massen schon Ende der zwanziger Jahre nach Konnersreuth. Sie wollten schauen, sich hinreißen lassen, die Wundermeldung bestätigt sehen. Ich meine die Leidensekstase der Stigmatisierten, wie sie, besonders ausgeprägt, an den Freitagen der Fastenzeit und in außergewöhnlicher Sinnfälligkeit am Karfreitag aufzutreten pflegte. Was war das?

Auch starker Regen vermochte den Besucherstrom nicht zu stoppen.

Therese begleitete an diesen Tagen Jesus auf seinem ganzen Leidensweg, vom Ölberg bis zur Hinrichtungsstätte. Aber sie erlebte das Leiden des Herrn nicht nur visuell, etwa wie ein Kinobesucher einen Film, sondern litt Jesu Passion körperlich mit.. Wer Therese Neumann je in solchem Zustand gesehen hat, wird dieses Bild des Jammers und der Schmerzen nie vergessen können. Das Blut floß ihr in breiten Strömen aus den Augen über die Wangen, Blut drang aus den Wunden der Dornenkrone durch ihr weißes Kopftuch. Auch die übrigen Wundmale, die der Hände und Füße und jenes an der Brust, hatten sich geöffnet, die Spuren der Geißelung wurden sichtbar, nicht minder jene schmerzhafte Druckstelle an einer Schulter, die vom Kreuztragen herrührte. Immer wieder richtete sich die Leidende in ihrem Bett mühsam auf, seltsam gestikulierend, wie abwehrend hob sie die blutigen Arme dem Schrecklichen entgegen, das sich vor ihrem inneren Auge ereignete. Dazu sprach oder murmelte sie Uneingeweihten kaum verständliche Worte, Zurufe des Mitleids, des Protestes, aber auch des Eingeständnisses ihrer Hilflosigkeit gegenüber dem Ungeheuerlichen, das sie am Heiland geschehen sah. Ergriffen und schweigend gingen die vielen an diesem

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Leidenslager vorüber. An manchen Karfreitagen zählte man bis zu fünftausend Besucher. Nicht wenige verließen unter Tränen den Raum. Ich erlebte eine Frau, die im Leidenszimmer zusammenbrach und schrie: „Heiland, was haben sie Dir angetan!“ Man trug sie aus dem Haus, um sie ärztlicher Hilfe zuzuführen.

Seit 1947 war für mich jeder Karfreitag Konnersreuth vorbehalten. Da interessierten mich als Journalisten natürlich nicht nur die Vorgänge im Hause Neumann, sondern auch all das, was „draußen“ geschah. Wie der Tag „organisatorisch“ ablief. Ich erinnere mich keiner Zwischenfälle. Für Ordnung sorgte nämlich alljährlich in vorbildlicher Weise die Landpolizei-Inspektion Tirschenreuth, die in Konnersreuth stets mit einem großen Aufgebot von Beamten vertreten war. Ohne sie wäre ein Verkehrs-Chaos nicht auszuschließen gewesen. Die Polizei ordnete vor allem das Parken der Omnibusse und Privatautos auf den Zufahrtsstraßen und hielt den Ort weithin autofrei. Auch der Zustrom zum Hause der Stigmatisierten war zu kanalisieren. Doch hatte sich im Laufe der Jahre bereits eine feste Ordnung eingespielt. Auf dem Platz vor dem Neumann-Haus versammelten sich Deutsche und Ausländer, während die Ortsstraße von links her aus Richtung Waldsassen-Mitterteich den Amerikanern vorbehalten war. In den ersten Nachkriegsjahren stellten die Amerikaner fast die Hälfte der Besucher. Als Besatzungsmacht traten die US-Truppen damals ja noch ungleich massiver in Erscheinung als heute. Daß sie ihr Interesse in so auffallender Weise Konnersreuth zuwandten, bewies die Verehrung, die man Therese Neumann in den Vereinigten Staaten längst entgegenbrachte.

Die Polizei muß eingreifen Pfarrer Naber verwehrt den allzu vielen Zutritt zum Neumann-Haus.

Ich beobachtete diese auf Einlaß harrenden Amerikaner genau. Unter den zum Teil farbigen, uniformierten Soldaten sah ich auch viele Frauen. Allen war anzumerken, daß sie in Konnersreuth mehr erwarteten als eine wie auch immer beschaffene Sensation. Sie unterhielten sich kaum. Manche beteten oder lasen in einem Buch, vermutlich in der Bibel. Therese Neumann wußte um die fromme Gesinnung der Amerikaner und nannte sie vorbildlich. So konnte nicht ausbleiben, daß es zwischen Therese und angesehenen Amerikanern, vor allem hohen Offizieren, zu ganz persönlichen, freundschaftlichen Verbindungen kam. Sie sollten von weittragender Wirkung sein. Viele Besucher strömten, nachdem sie Therese Neumann gesehen hatten, in die Gasthäuser des Ortes zum Mittagessen.

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Dort traf man auf Menschen aus fast allen Gegenden der Bundesrepublik und dem benachbarten Ausland. Ihre Gespräche klangen gedämpft. Die meisten hatten sich noch nicht aus der Erschütterung zu lösen vermocht, in die sie die Begegnung mit der Leidenden versetzt hatte.

Zuweilen unterbrach ich die Unterhaltung der fremden Tischnachbarn, wenn ich merkte, daß Ratlosigkeit, Zweifel oder Mißtrauen aufkamen, wenn Fragen nach dem Sinn solchen Geschehens offenblieben oder wenn die Leute Wichtiges über das lokale und religiöse Umfeld der Stigmatisierten wissen wollten. Die Passionseksatase war ja nur ein mystisches Phänomen unter vielen anderen, die erst im Zusammenhang geschaut, die übernatürliche Sinndichte des Ganzen erkennen ließen.

Mit Recht hatten viele, unter ihnen auch durchaus ernstzunehmende Theologen, immer wieder gefragt, weshalb und wozu man die Stigmatisierte an solchen Tagen so hilflos der anonymen Öffentlichkeit preisgebe, sie geradezu zu einem Schauobjekt herabwürdige. Jedermann zugänglich, auch den Spöttern, Sensationslüsternen und Atheisten. Weshalb man der Familie Neumann alljährlich eine solche Last auferlege, diese Belagerung des Hauses, diese buchstäblich massive Störung des Familienlebens, dieses geradezu brutale Eindringen in einen Bereich, der wie kein zweiter mit Intimsphäre umschrieben werden darf. Die Neumanns litten um so schwerer unter der stets wiederkehrenden Belastung, als sich auch Therese Neumann solche Zudringlichkeit und Aufdringlichkeit strikte verbat.

Nicht selten ließ sie mich schriftlich bitten oder erbat sich meinen Besuch in Konnersreuth, um mir nahezulegen, ich solle doch mit aller Entschiedenheit in der Zeitung darauf hinwirken, daß möglichst wenige, am besten gar niemand, nach Konnersreuth käme, um den Karfreitag zu stören. „Was wollen denn die Leute von mir“, rief sie aus, „ich kann doch nichts dafür, daß ich das habe.“ Da scheute sie auch vor einer Bitte an den Heiland nicht zurück, daß er doch viel Regen und unfreundliches Wetter schicke, um die Massen von einer Fahrt nach Konnersreuth abzuhalten. Aber schließlich hielt man doch die Tradition aufrecht und ließ den Dingen ihren Lauf. Die theologisch Verantwortlichen waren nämlich überzeugt, es entspreche dem Willen Gottes, dieses wunderbare Offenkundigwerden des Leidens und Sterbens Jesu allen Menschen zugänglich zu machen. Thereses Leidensekstase habe Öffentlichkeitscharakter. Wohl würden manche daran Anstoß nehmen, anderen aber erschließe sich von dort her ein neuer Zugang zu den Mysterien des Christentums und das Erlebte festige ihren Glauben. So geschah es auch. Ungezählte. sind in Konnersreuth zu ihrem längst verschütteten Glauben zurückgekehrt, andere versuchten jetzt, diesen Glauben neu zu bedenken und für ihr Leben fruchtbar zu machen. Einige herausragende Zeugen, die sich von den Ereignissen in Konnersreuth besonders betroffen wußten, werde ich noch vorstellen.

Doch nun drängt es mich, einen Konnersreuther Karfreitag zu beschreiben, der mir besonders kostbar war, den von 1959. Therese durfte an diesem Tag das Leiden und Sterben Jesu wohl schauen, das körperliche Mitleiden jedoch entfiel. Deshalb wurde auch niemand eingelassen. Pfarrer Naber trat vor die das Haus umlagernden, harrenden Menschen, um ihnen die Situation zu erläutern und sie zu bitten, sich mit ihr abzufinden. Unmut und Proteste wurden laut. Der Pfarrer gab zu verstehen, daß heute ein Jubiläumstag sei und daß das Opfer des gläubig. hingenommenen Verzichts dem Heiland angenehmer sei als der Blick auf die mit Jesus Leidende. Doch die meisten, vor allem die von weither Angereisten, ließen sich kaum beruhigen. Aller, sicherlich verständliche Aufruhr war jedoch vergebens. Die Türe des Neumann-Haues blieb verschlossen.

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Da plötzlich rief man mich. Ich solle zu Therese Neumann kommen. Ich gebrauche bewußt die unpersönliche Redeweise, weil ich gar nicht mehr weiß, wer mich da aufforderte oder einlud. Ich war vermutlich in einem Maße überrascht, daß ich alles vergaß, was um mich herum vorging. Im Hause war es still. Ich schritt die schmale Holzstiege empor, an einer tief beeindruckenden Crucifixus-Darstellung vorbei, und betrat das Leidenszimmer der Stigmatisierten. Therese Neumann saß mit geschlossenen Augen in einem Sessel. Neben ihr hatte Pfarrer Naber Platz genommen. Er bot mir einen Stuhl an und erklärte mir dann, daß Therese den Heiland auf seinem Leidensweg visionär begleite und soeben jener Gruppe von Frauen begegne, die dem Heiland, bis Golgotha laut klagend gefolgt waren.

Die Szene kann man bei Lukas nachlesen: „Es folgte ihm aber eine große Volksmenge und Frauen, die klagten und beweinten ihn. Jesus aber wandte sich um zu ihnen und sprach: Ihr Töchter von Jerusalem, weint nicht über mich, sondern weint über euch selbst und über eure Kinder. Denn siehe, es wird die Zeit kommen, in der man sagen wird: Selig sind die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren haben, und die Brüste, die nicht genährt haben! Dann werden sie anfangen, zu den Bergen zu sagen: Fällt über uns! Und zu den Hügeln: Bedeckt uns! Denn wenn man das tut am grünen Holz, was wird am dürren geschehen?“ In der Schauung der Stigmatisierten kam Neues hinzu, über das die Evangelien schweigen. Therese sieht unter den Jammernden eine Frau mit Namen Veronika. Diese führt ein junges Mädchen mit sich, das einen kleinen Krug trägt. Der Anblick des Gemarterten erschüttert Veronika in einem Maße, daß sie sich ganz nahe an ihn herandrängt, um ihm ein Tuch zu reichen, damit er sein blutüberströmtes Antlitz abwische. Er tut es. Jesus fühlt sich offensichtlich erleichtert und gibt der Frau das Tuch mit einem dankbaren Blick zurück. Noch eine andere Frau erregt Thereses Aufmerksamkeit. Jene, die einst Jesu Kleider berührt hatte, in der Hoffnung, sie werde von ihrer Krankheit geheilt. Dies geschah denn auch, nachdem sie bereits ihr ganzes Vermögen für ärztliche Behandlungen aufgewendet hatte. Diese interessante Episode berichtet Markus im fünften Kapitel seines Evangeliums. Zur Geheilten läßt er Jesus sagen: „Meine Tochter, dein Glaube hat dich gesund gemacht. Geh' hin in Frieden und sei gesund von deiner Plage!“

Immer wieder hörte ich in Thereses Leidensbericht aramäische Worte und Sätze. Aramäisch wart die Sprache Jesu. Über die gesamte Passionsschilderung hin sprach die Stigmatisierte nicht selten auch griechische und lateinische Worte. Das Griechische galt ja zur Zeit Jesu als Weltsprache, und das Lateinische hatte Palästina durch die Römer erobert, die dort als Besatzungsmacht das Land beherrschten. Nicht zuletzt das Sprachenphänomen in der Mystik der Therese Neumann erregte Aufsehen und rief bald auch die Sprachwissenschaftler auf den Plan. Gezielt beschäftigte sich damit der Eichstätter Hochschulprofessor Franz Xaver Wutz. Als Alttestamentler war er mit dem Hebräischen und Aramäischen wohlvertraut. Was er zu seinem großen Erstaunen im Zusammenhang mit der Sprache entdeckt hatte, ermutigte ihn, die Übernatürlichkeit aller Konnersreuther Phänomene anzuerkennen und überzeugend zu verteidigen.

Doch ich muß zu Therese zurückkehren, um zu berichten, wie die Leidensgeschichte in ihren Schauungen fortschritt. Häufig war nun von Judas, dem „Falschen“, die Rede. „Da haben sie Brote in den Abendmahlsaal gebracht. Und der Falsche hat (sogar) kommuniziert!“ Sie zieht Parallelen zur Gegenwart: „Die Menschen sind doch immer die gleichen. Die Menschen denken nicht mehr.“ Jesus fällt immer wieder. Einmal liegt er lang hingestreckt auf dem Boden: „Dann haben sie ihn gezogen, wie man irgendeinen Gegenstand zieht.“ Das Kreuz liegt schon bereit. Man legt Jesus darauf. Doch noch nicht zur Kreuzigung. Irgend etwas stimmt wohl nicht, funktioniert nicht. Eine „technische“ Korrektur ist vielleicht vonnöten. Oder haben sie die Stellen für den Einschlag der Nägel fixiert? Denn die Soldaten heben den

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gemarterten Körper vom Kreuz und stoßen ihn - so drückte sich Therese aus - in ein „Loch“. Das will wohl heißen, in eine Grube. Dort bleibt er liegen, bis die Henker ihre Zubereitungen zu Ende gebracht haben. „Wenn er (Jesus) jetzt nur ausreißen könnte“, das heißt, die Gelegenheit ergriffe, seinen Mördern zu entfliehen, meint sie.

Therese kehrte nun aus der Ekstase auf eine Bewußtseinsebene zurück, die man mit „Erhobener Ruhezustand“ bezeichnet hat. Sie verließ den Bereich der Vision, gleichsam um sich von der Schrecknis des Geschauten ein wenig zu erholen. Man kann jetzt mit ihr sprechen und Fragen stellen. Sie erinnert sich. Gedenkt der Frauen, die den Heiland in Trauer und Bekümmernis begleiten: „Waren gute Weiber, haben viel geweint“. Dann weiß sie sich glücklich, daß der Massenbesuch heute ausblieb: „Wenn ich nur keine Leute sehe! Lieber soll mir Gott irgendein Leid schicken.“ In diesem Bewußtseinszustand spricht sie Anwesende, die sie weder kennt noch sieht, mit „Du“ an. Auch von der Mutter Jesu war in dieser Pause die Rede. Sie habe sich von ihrem Sohn meist abseits gehalten. Denn man habe ihr „viel angetan“, wenn sie in seiner Begleitung gesehen worden sei. Therese wußte sich tief betroffen von dem unermeßlichen Leid, das über Maria angesichts der Hinrichtung ihres Sohnes gekommen war.

Mitten im Gespräch sagte mir Pfarrer Naber, ich möge der Stigmatisierten doch die Hand reichen. Ich tat es zögernd, denn ich wußte, daß da nun etwas Ungewöhnliches auf mich zukam, vielleicht sogar eine peinliche Bloßstellung. Therese Neumann besaß nämlich die Gabe der Herzenskenntnis. Da waren ehemalige Priester zu ihr gekommen, denen sie auf den Kopf zusagte, daß sie geweihte Personen seien. Sie sollen sich im Bußsakrament mit Gott versöhnen und erst dann wieder kommen, hatte sie ihnen zugeraten. Vor vielen Jahren begleitete ich den ehemaligen Seelsorger des berühmt-berüchtigten NS-Hinrichtungsgefängnisses Berlin-Plötzensee, Peter Buchholz, nach Konnersreuth, um ihn Therese Neumann vorzustellen. Sie kannte ihn nicht. Bei der Begrüßung sagte sie ihm spontan: „Diese Hände haben schon viele Menschen in den Himmel geführt“. Buchholz hatte in der Tat Hunderte von Todeskandidaten seelsorgerlich betreut und auf ihre letzte Stunde vorbereitet. Auch der Jesuitenpater Alfred Delp war unter ihnen. Buchholz kehrte damals überglücklich von Konnersreuth zurück.

Solches Vorwissen löste Unruhe in mir aus. Was werde ich wohl zu hören bekommen? „Gelt“, sagte sie, „es ist schon gut, wenn man eine solche Frau hat und solche Butzerln (Kinder). Hast scho a Freid?“ (Hast schon eine Freude?). Auch die Grundstimmung meines Wesens blieb ihr nicht unbekannt. Sie entdeckte aufs neue den Pessimisten, den Schwarzseher, in mir und ermutigte mich, doch mit Vertrauen in die Zukunft zu blicken, mich „nicht zu fürchten“. Solche Gespräche im Zustand der Entrückung pflegte Therese mit dem Zuruf zu beenden: “Der Heiland mit Dir!“ Ich antwortete mit „Vergelt's Gott“. Therese darauf: „Nein! Der kann's net.“ Ich wurde verlegen und sah Pfarrer Naber fragend an. Der sagte mir, sie erwarte da stets die Antwort: „Und mit Dir auch!“ So tat ich denn. Erst jetzt war sie zufrieden.

Die Schauungen nahmen nun ihren Fortgang. Ich mußte mich verabschieden, denn die Zeit drängte. Das Erlebnis hatte mich tief bewegt, bis hin zu dem Entschluß: Du mußt ein neuer Mensch werden! Dreimal schrieb ich in meinen Notizblock das griechische Wort „Metanoia“, das heißt Umdenken, Neudenken, Umkehr, das Dasein in eine neue Ordnung stellen, das Wesentliche und einzig Notwendige bedenken. Viele werden nun fragen, wie denn die übliche Karfreitagsekstase ihren Abschluß fand. Wenn der Gekreuzigte sein Leben aushauchte, verfiel Therese regelmäßig in einen todähnlichen Schlaf, der bis zum Ostermorgen währte. Sie hatte in einem Maße Blut verloren, daß ein „normaler“ Mensch

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unter gleichen Umständen unweigerlich gestorben wäre. In aller Frühe des Ostermorgens erschien ihr in einer großen Vision der auferstandene Christus. Der österliche Herr rief sie neu ins Leben zurück. Alles Leid und alle Leiden waren weggenommen. Therese stand auf, um in der Pfarrkirche den Ostergottesdienst mitzufeiern und dann in den Alltag zurückzukehren.

Im Mai des gleichen Jahres 1959. durfte ich Therese Neumann ein zweites Mal begegnen. Diesmal war sie in Begleitung des Pfarrers Josef Naber, des Münchner Arztes Dr. Josef Mittendorfer und ihres Vaters Ferdinand Neumann nach Weiden gekommen, um mich zu besuchen. Dr. Mittendorfer parkte seinen Wagen im Hof des Verlagsgebäudes, das sich damals mit allen drucktechnischen Anlagen noch in der Ringstraße, im Stadtzentrum also, befand. Man ließ mich rufen. Welche Überraschung! Meine Freude über diesen unerwarteten Besuch läßt sich kaum beschreiben. Ich bat die Gäste, doch mit in die Redaktion zu kommen. Ich hätte sie nämlich gern den Redaktionskollegen und auch den Verlegern vorgestellt. Aber Therese lehnte ab. Sie fürchtete, falls sie das Auto verließe, aufzufallen und, wenn auch nur durch Blicke Neugieriger, in Unruhe zu geraten. Ob wir uns denn nicht an einem stillen, menschenfernen Ort niederlassen könnten, meinte sie. Da fiel mir der Weidener Stadtpark ein, in dem um diese frühe Vormittagsstunde kaum allzuviele Spaziergänger anzutreffen wären. Therese und ihre drei Begleiter zeigten sich mit dem Vorschlag einverstanden.

Im Park nahmen wir auf einer Bank Platz. Therese war von der gärtnerisch vorbildlich gepflegten Anlage sehr angetan. Besonders bewunderte sie ein nahes, in vielen Farben leuchtendes Tulpenfeld. Das Gespräch begann. Nun erst ließ mich Therese wissen, weshalb sie nach Weiden gekommen war. Ihre Schwester Ottilie war in Eichstätt gestorben und in Konnersreuth beigesetzt worden. Ottiliens Tod traf Therese und die Verwandten um so härter, als die Verstorbene kaum das 57. Lebensjahr erreicht hatte. Bis zu ihrem Tod lebte sie in Eichstätt und versorgte dort den Haushalt des Professors Wutz. Außerdem betreute sie die Mitglieder des Dritten Ordens des heiligen Franziskus als deren Vorsteherin.

Therese hatte ihre Schwester sehr lieb gehabt. Begeistert schilderte sie Ottiliens charakterliche Vorzüge, wobei sie besonders deren Menschenfreundlichkeit und Güte hervorhob. Da schaltete sich Pfarrer Naber ein und bemerkte fast ein wenig spitzbübisch: „Resl, davon könntest Du ein bisserl was brauchen!“ Damit wollte er daran erinnern, daß Therese schon manchmal „hart“, das heißt ungeduldig und ungehalten werden konnte, wenn ihr die Menschen allzu hemmungslos auf den Leib rückten, um ihre Bekümmernisse und Sorgen vor ihr auszubreiten oder sie einfach einmal sehen zu wollen. Da fühlte sie sich nicht selten zum bloßen Schaustück erniedrigt. Schließlich war es doch ihr gutes Recht, ihr zum größten Teil geistlichen Dingen gewidmetes Privatleben einigermaßen abzusichern.

Nun aber ging es um den Hauptzweck dieser Fahrt der Konnersreuther nach Weiden. Für die Zeitung sollte nämlich eine Danksagung an die Adresse der Vielen formuliert werden, die an der Beisetzung der Schwester teilgenommen oder sonstwie ihre Mittrauer zum Ausdruck gebracht hatten. Ich sollte dabei beratend mithelfen. Bald hatten wir uns auf einen allen zusagenden Text, geeinigt. Aber wir blieben noch lange zusammen. Denn Therese hatte an diesem Park so viel Gefallen gefunden, daß sie immer wieder ausrief: „Is dau schöi!“ (Ist es da schön!). Auch auf ein Denkmal aus Stein wurde sie aufmerksam. Ich erklärte ihr, daß dieser Steinblock eine Orgel darstellen, vielmehr symbolisieren solle. Man habe ihn zu Ehren des mit Weiden eng verbundenen berühmten Komponisten Max Reger aufgestellt. Aber Therese vermochte mit solcher Bildhauerkunst kaum etwas anzufangen und fragte erstaunt: „Des soll a Orgl sa?“ (Das soll eine Orgel sein?).

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Die neue, die „moderne“, die abstrakte Kunst zumal lag ihr begreiflicherweise nicht. Ihr Interesse konzentrierte sich vielmehr auf jene über alle Natur und alles Menschenwerk hinausragende Wirklichkeit, wie sie ihr in Christus und seiner Frohbotschaft entgegentrat. So nahm es nicht wunder, daß Therese wenig später wieder auf Eichstätt zu sprechen kam. Denn dort hatte sie das Sterben ihrer Schwester auf besondere Weise erlebt. Als deren Seele von dieser Welt schied, geriet die Stigmatisierte in Ekstase und sah, wie der Heiland auf Ottilie zukam und sie freundlich anblickte. Mit ihm erschienen Thereses Mutter, Professor Wutz und weitere längst verstorbene Angehörige. Dann erlebte sie, wie sie sich ausdrückte, zu, ihrer großen Freude die „Himmelfahrt“ der Schwester. Für Therese war das kein einmaliges Ereignis. Immer wieder nämlich schaute sie an Sterbebetten denselben Vorgang mit Jesus als Richter, der jedoch Sterbenden nicht jedesmal sofort die Seligkeit des Himmels zusprach, sondern sie zuweilen ins Purgatorium, an einen Sühne- und Läuterungsort, verwies. In der katholischen Glaubenslehre heißt dieser „Ort“ das „Fegfeuer“.

Was Therese da freudestrahlend geschildert hatte, klang mir seltsam, ja fragwürdig. Ich war neugierig geworden und wollte Einzelheiten wissen. „Ist es denn überhaupt möglich“, fragte ich, Toten in jener anderen Welt als lebendigen Menschen zu begegnen? Vermag man sie zu erkennen, da sie doch leiblos sind? Haben sie noch irgendeine Gestalt oder ein Angesicht, auf das man blicken kann?“ Therese ging nun nicht auf physiognomische Details ein, bestätigte jedoch, daß diese Toten“ wohl zu erkennen seien. Sie erscheinen jedoch als „Lichtgestalten“.

Die Rede vom „Licht“ und von der „Lichtgestalt“ sollte mich später noch öfter zu grübelndem Nachdenken anregen. Therese unterbrach nun meine Fragen und bat, ja ermahnte mich, doch ja in Weiden und bei dieser Zeitung zu bleiben. Ich hatte nämlich von einer, Würzburger Tageszeitung ein verlockendes Angebot erhalten. Der Wiederaufbau des im Zweiten Weltkrieg nahezu total zerstörten Würzburg war schon so weit vorangeschritten, daß ich mir um eine Wohnung keine Sorge zu machen brauche, hatte mich der Verlag wissen lassen. „Es wäre nicht gut, wenn nun auch noch Sie (nach Dr. Richard Sattlmair, der nach München übergesiedelt war) das Feld räumen würden“, meinte Therese. „Sie sind doch bei der Weidner Zeitung so etwas wie das Gewissen. Bleiben Sie deshalb! Und fürchten Sie sich nicht! Herr Panzer, es lohnt sich zu leben, da wir doch nach dem Tode so Großes und Herrliches erwarten dürfen“. Von solch endzeitlicher Perspektive her hatte Therese Neumann bereits am letzten Karfreitag zu mir gesprochen.

Therese Neumann mit ihrem Vater

Während dieses Gesprächs hatte Vater Neumann kein einziges Wort gesagt, keine Stellungnahme geäußert. Ich hatte den Eindruck, daß sich der schweigsame Mann über all das Besprochene seine eigenen, ganz persönlichen Gedanken machte. Derartiger Erörterungen war er wohl zu Hause schon oft Zeuge gewesen. Da mischte er sich nicht ein. Vielmehr sah er seine Lebensaufgabe darin, der zu seinem großen Leidwesen so sehr bedrängten Tochter beizustehen. Allzeit war er bemüht, der Zudringlichkeit der Vielen zu wehren, Therese vor weiterem Leid zu bewahren und besonders dann ein autoritäres Wort zu sprechen, wenn

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Theologen oder Ärzte eine nochmalige medizinische Untersuchung und Überprüfung der Stigmatisierten forderten. Dies lehnte er mit Entschiedenheit ab. Und er handelte recht.

Ich versuche nun eine weitere Besonderheit des mystischen Lebens der Therese Neumann wenigstens im Umriß darzustellen, den schier unerschöpflichen Bereich ihrer Visionen. Bis zu ihrem Tod schaute sie Begebenheiten und Szenen aus dem Neuen Testament, wie sie die Evangelien berichten. Visionär durchschritt sie nahezu das gesamte irdische Heilandsleben. Ihre Schauungen reichten von der Verkündigung an Maria bis zur Auferstehung des Herrn und umschlossen ebenso Jesu Himmelfahrt wie das Pfingstgeschehen, darüber hinaus auch zahlreiche aufschlußreiche Szenen aus dem Leben der Mutter Jesu. Thereses Schilderungen waren von außerordentlicher Plastizität. Doch derart, daß sie sich in allen wesentlichen Bezügen in nichts von den Darstellungen der Heiligen Schrift unterschieden oder ihnen widersprachen. Die Klarheit dieser Aussagen überraschte. Pfarrer Naber erzählte mir, daß Therese die lange Pfingstpredigt des Petrus in Hochdeutsch gehört und wortgetreu wiedergegeben habe. Diese Schauungen wiederholten sich Jahr um Jahr.

In diese mystischen Erlebnisse waren auch viele Heilige einbezogen, vor allem Theresia von Lisieux, deren Sterbestunde sie alljährlich schaute. Pfarrer Naber hatte im Hinblick auf die Bedeutung des Außerordentlichen an Therese Neumann ein Tagebuch geführt. Dabei legte er wenig Wert auf breit sich entfaltende Ausführlichkeit. Wichtiger war ihm die Klarheit und Eindeutigkeit der Dokumentation. Oft begnügt er sich mit ein oder zwei Sätzen. So schreibt er etwa am 18.März 1928: „Gegen Abend schaut Neumann das Wunder der Brotvermehrung, von dem das heutige Evangelium (der Tagesmesse) erzählt“. Oder am 12. April: „Heute schaut Theres den in der Epistel der Messe berichteten Vorgang mit dem Kämmerer der Königin von Athiopien“. 18. und 19. Mai: „An beiden Tagen erscheint abermals die heilige Theresia vom Kinde Jesu der Theres Neumann und spricht kurz mit ihr.“ 17. September: „Theres schaut die Stigmatisation des Franz von Assisi.“ 22. November: „Heute sieht sie das Martyrium der heiligen Cäcilia.“ Vermerkt werden auch Begegnungen mit dem Märtyrer Sebastian und der heiligen Agnes. Über „Anna“ die Mutter Mariens, heißt es: „Heute abends sieht Therese die heilige, Anna, die Mutter Mariens, sterben, ganz ruhig, über achtzig Jahre alt, in ihrem Haus in Nazareth, in Gegenwart Mariens und etlicher Frauen. Ihre Seele sieht Theres in Form eines Lichtstrahles den Leib verlassen. Im Sterbezimmer sieht Theres geschnitzte Bilder, darstellend Isaaks Opferung, Noes Dankopfer, Moses mit den Gesetzestafeln.“ Und so fort. Über ähnliche Geschehnisse, die nicht im Tagebuch verzeichnet sind, unterrichtete mich von Fall zu Fall Pfarrer Naber, wenn ich ihm in Konnersreuth gegenübersitzen durfte.

Trotz all dieser seltsamen und dem Denken nur schwer zugänglichen Phänomene muß daran festgehalten werden, daß das Leben der Stigmatisierten vordergründig der Leidens- und Sühnegedanke beherrschte. Jenes Wort der Theresia vom Kinde Jesu empfand sie wie eine Frohbotschaft, wonach durch Leiden mehr Seelen gerettet werden als durch die glänzendsten Predigten. Das Leiden wird hier paradoxerweise ins Positive gewendet. Therese hat in ihrem Leben unendlich viel gelitten. Nie war sie ohne Schmerzen. Von dieser leidenden Frau ging eine Kraft aus. Eine Kraft auch des Helfens und Heilens. Viele wurden durch ihr Sühneleiden wieder gesund und dem Leben neu geschenkt. Fast täglich treffen in Konnersreuth Dankschreiben von Menschen ein, die überzeugt sind, daß ihnen Therese durch ihre Fürbitte geholfen hat. Nur an fünf Beispielen versuche ich deutlich zu machen, daß hier Verbindungslinien offenkundig werden, die nicht übersehen werden dürfen. Unbezweifelbar fest steht, daß viele schwer erkrankte Personen, sofort geheilt wurden, wenn Therese sühnend für sie eintrat und deren Leiden freiwillig auf sich nahm.

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Zuallererst denke ich da an Pfarrer Josef Naber. Sooft wir uns trafen, fragte ich ihn natürlich nach seinem gesundheitlichen Befinden. Stets zeigte er sich dann denkbar zufrieden und gab zu erkennen, daß er kaum ärztlicher Hilfe bedürfe. „Mein bester und billigster Arzt ist die Resl“, pflegte er zu antworten. In diesem Zusammenhang erzählte er mir einmal, daß er schon als junger Kaplan von etwa sechsundzwanzig Jahren schwer herzleidend gewesen sei. Als er sich in eine Lebensversicherung aufnehmen lassen wollte, wies ihn das Institut mit der Begründung zurück, daß er nur eine geringe Lebenserwartung habe und die Versicherung kein Risiko eingehen könne. „Und siehe da“, rief der Pfarrer aus, „heute habe ich schon das 90. Lebensjahr überschritten!“ Naber wurde 97 Jahre alt.

Vor vielen Jahren kam ein reicher Mann schwerkrank nach Konnersreuth. Auf Krücken gestützt, schleppte er sich zu Therese Neumann, um ihre Hilfe zu erbitten. Der Industrielle hatte bereits alle ihm erreichbaren namhaften Fachärzte und Spezialkliniken aufgesucht. Doch alle Heilungsversuche blieben ohne Erfolg. Verzweifelt bat er die Stigmatisierte um ihr Gebet. Nach etwa einer Woche bedurfte er keiner Krücken mehr. Er war von seinem Leiden völlig befreit.

Durch Thereses Fürbitte, wie sie sagte, total geheilt wußte sich auch Frau Berta Meuleberg aus den Niederlanden. Ihr schweres, jahrelanges Rheuma- und Gichtleiden war als unheilbar deklariert worden. Sie litt in einem Maße, daß sie sich kaum bewegen konnte. Ihre plötzliche Heilung geschah im Jahre 1965, nachdem sie mit der bereits verstorbenen Stigmatisierten in Gebetsverbindung getreten war. Das Geschehen interessierte mich. Ich traf mich mit Frau Meuleberg in Konnersreuth, um Informationen über ihre Person, ihr Lebensumfeld und ihre Krankheit zu sammeln. Um sicher zu gehen, rief ich von Weiden aus den holländischen Chefarzt jenes Krankenhauses an, in dem die Frau längere Zeit beobachtet und medizinisch betreut worden war. Ich werde auf diesen „Fall“ später gesondert eingehen.

Als ich nach dem Tode der Therese Neumann wieder einmal Pfarrer Naber aufsuchte, sagte er mir, ein „fremder“ Priester sei im Anschluß an die Beisetzung der Stigmatisierten freudig erregt zu ihm gekommen. Naber habe ihn weder gekannt, noch habe dieser sich vorgestellt. Er leide schon seit langer Zeit, sagte der Fremde, unter chronischen Schmerzen. Als, er im Friedhof an der Beerdigung teilgenommen habe, hätten sie sich unbegreiflicherweise bis zur Unerträglichkeit gesteigert. Da habe er gebetet: „Resl, Du mußt mir jetzt unbedingt helfen!“ Der Geistliche fühlte sich daraufhin sofort schmerzfrei. „Herr Pfarrer Naber“, hatte er gesagt, „es drängte mich, Ihnen dies mitzuteilen“, und verschwand.

Von, einer Gastwirtin aus der Oberpfalz will ich, die Heilungsberichte abschließend, noch erzählen. Ich kannte sie seit vielen Jahren als lebenslustige und zu allerlei Späßen aufgelegte Frau. Sie wurde krank und mußte eine schwere Operation über sich ergehen lassen. Doch der Eingriff brachte keine Besserung. Im Gegenteil. Man erwartete den Tod. Dennoch wurde sie wider alle Voraussicht gerettet. Als ich sie später in ihrer Gaststätte beobachtete, erschien sie mir wie umgewandelt, ja wie ein neuer Mensch. Da sagte sie frei heraus, daß sie ihre Rettung einzig der Fürbitte der Therese Neumann verdanke. Obwohl manche Gäste darob ungläubig zu lächeln pflegten, blieb die Wirtin bei ihrer Überzeugung. Immer wieder besuchte sie seitdem das Grab der Stigmatisierten. Dort ließ sie auch einen in Stein gemeißelten Dankesgruß niederlegen.

Über ihre Ekstasen und Visionen hinaus vermochte Therese Neumann unmittelbar und mit allen Sinnen an Ereignissen teilzunehmen, die sich in weit von Konnersreuth entfernt liegenden Gegenden abspielten. Schon 1938 hatte sie den Eucharistischen Kongreß in Budapest zu Hause miterlebt. Auch einer ihrer Brüder nahm daran teil. Sie beobachtete ihn,

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als er in der Nähe der feiernden Bischöfe zu fotografieren versuchte. Nachdem er heimgekehrt war, stellte sie ihn zur Rede, weil er sich nach ihrem Verständnis allzu aufdringlich benommen habe. Alljährlich wurde sie am Ostersonntag Zeugin des päpstlichen Segens „Urbi et orbi“ in Rom. Auch bei der Heiligsprechung Pius X. auf dem Petersplatz war sie zugegen. Ich kann mich insofern für die Wahrheit ihrer Aussagen verbürgen, als ich selber dieser Feier beiwohnen durfte. Der damalige Regensburger Domkapellmeister Theobald Schrems hatte mich nämlich eingeladen, mit den „Domspatzen“ nach Rom zu reisen. Der Chor wurde dort triumphal gefeiert, besonders bei einem öffentlichen Konzert in der päpstlichen Musikhochschule. Die Kanonisation des vorab der Gregorianik und der alten Mehrstimmigkeit (Palestrina) der Kirchenmusik gegenüber sehr aufgeschlossenen Papstes fand im August statt. Stundenlang ertrugen Theobald Schrems, sein Chor und ich die unbarmherzig niederbrennende italienische Sonne. So hatte sie auch Therese Neumann erlebt. Sie beschrieb die riesige Menschenmenge, die sich auf dem Platz versammelt hatte, und konnte einer Konnersreuther Reisegruppe nach ihrer Rückkunft aus Rom genau angeben, welchen „Standort“ man ihr im Umkreis der Peterskirche zugewiesen hatte.

Auch für das Folgende, schier Unglaubliche, kann ich mich verbürgen, denn Therese Neumann hat es mir selber erzählt: Sie war am Sterbelager Pius XII. gestanden und hatte, von Konnersreuth aus, seinen Tod erlebt. Ich erinnere mich noch genau jener Nachmittagsstunde, da ich der Stigmatisierten bei diesem Gespräch in ihrem Zimmer gegenüber saß. Wir waren allein. Der Tod dieses Papstes war ihr sehr nahegegangen. Immer wieder ließ sie erkennen, wie sehr sie ihn geschätzt, ja verehrt hatte. Die Trauer um diesen Pontifex ging ihr so tief, daß sie zu weinen begann. Dann kam sie auf jene Personen zu sprechen, die mit ihr das Sterbelager des Papstes umstanden hatten. Dabei sei ihr ein Mann aufgefallen, der ihr gar nicht zugesagt habe. Es handelte sich in der Tat um einen Arzt, dessen Unlauterkeit schon bald offenkundig wurde. „Alle diese Personen“, sagte Therese, „habe ich sofort wiedererkannt, als ich sie später auf einem Foto in der Zeitung sah“.

Die Reihe der Vorkommnisse derartigen „Dabeiseins“ aus weiter Ferne ließe sich beliebig fortsetzen. Die geographische Entfernung sollte dabei nicht zum Maßstab erhoben und überbewertet werden. So „weilte“ Therese von ihrem Konnersreuther Zimmer aus auch in der nahen Pfarrkirche, wenn sie krankheitshalber am Gottesdienst nicht teilnehmen konnte. Dabei tadelte sie zuweilen die Kinder, wenn sie sich allzu lebhaft benahmen und geziemende Frömmigkeit vermissen ließen. „Verbindungen“ zum heimatlichen Gotteshaus gab es auch von ihrem geliebten Eichstätt aus. Von dort her beanstandete sie einmal den Blumenschmuck in der heimatlichen Kirche. Der müsse sofort erneuert werden, denn alle Blüten seien schon fast verwelkt.

Alles bisher über die Stigmatisierte Berichtete aber, ihre Wundmale, Ekstasen und Visionen, ihre Herzenskenntnis und mystischen Begegnungen scheinen mir mehr oder minder in den Hintergrund zu treten gegenüber einer Tatsache, die weithin schärfsten Widerspruch ausgelöst und auch die Wissenschaft auf den Plan gerufen hat: Therese Neumann hat fünfunddreißig Jahre lang nahrungslos gelebt. Das heißt, sie hat in dieser Zeit nicht das Geringste gegessen und getrunken. Ist das nicht eine ungeheuerliche Behauptung? Eine Zumutung, die kein vernünftig denkender Mensch zu ertragen vermag? Unsinn, Schwindel, Betrug, sagen viele. Dagegen sprächen doch alle Gesetze der Biologie. Sei man in der Natur je einem Lebewesen begegnet, das ohne jegliche Nahrung fortexistiert hätte? Eine solche Aussage entbehre doch der primitivsten Logik.

Ich halte solche Einwendungen für durchaus berechtigt. Ich nahm und nehme sie keinem Übel. Wie oft mußte ich mir anhören, wie töricht ich doch sei, daß ich auch nur die

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Möglichkeit so lange währender Abstinenz in Erwägung ziehe. Was viele zu einer gegenteiligen Auffassung veranlaßte, war nicht zuletzt der geradezu füllige Körperbau der Stigmatisierten. Ein einziger Blick auf sie genüge doch, um die angebliche Asketin zu entlarven, hieß es. Als Therese einmal in Mitterteich einen todkranken Metzgermeister besuchte, hatten Nachbarn beobachtet, wie sie das Haus mit einem angeblich „großen Paket“ verließ. Dies geschah unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, als sogar die Grundnahrungsmittel so knapp geworden waren, daß die Leute hungerten. Da hörte ich die Neider zischeln: „Die (die Resl) soll uns doch nicht weismachen, daß sie von nichts lebt. Schaut sie nur an, wie gut sie genährt ist!“

Auch Pfarrer Naber war anfänglich überrascht und konnte nicht begreifen, daß Therese erst nur ganz wenig aß und später gar keine Speise mehr zu sich nahm. „Resl“, hatte er immer wieder gesagt, „Du mußt doch essen und trinken wie wir auch. Wovon lebst Du denn überhaupt?“ Auf solche Fragen hatte sie stets die gleiche Antwort bereit: „Ich leb' vom Heiland.“ Das heißt, von der bei der Eucharistiefeier konsekrierten Hostie, in der die katholische Kirche Christus gegenwärtig weiß. Doch bevor ich zu diesem, nicht jedermann leicht zugänglichen theologischen Thema Einzelheiten darlege, muß ich nochmals zu der massiven Kritik zurückkehren, welche die Behauptung absoluter Nahrungslosigkeit auslöste. Auch die Wissenschaft, die Mediziner und Biologen zumal, blieben nicht untätig, um diese „Botschaft“ aus Konnersreuth zu entkräften, ja lächerlich zu machen. Auch heute noch ist die Nahrungslosigkeit das umstrittenste Thema innerhalb der mystischen Lebensgeschichte der Therese Neumann.

Auch meiner bemächtigte sich im Laufe der Zeit darob eine gewisse Unruhe. Der Zweifel ließ sich nicht völlig niederhalten. Da schickte eines Tages ein befreundeter Bankdirektor, der in einer Stadt nahe der belgischen Grenze lebte, den Artikel einer katholischen belgischen Zeitung, in dem Therese Neumann gerade wegen ihrer angeblichen Nahrungslosigkeit scharf angegriffen und ihre Glaubwürdigkeit unerbittlich in Zweifel gezogen wurde. Der Absender bat mich, den Beitrag kritisch zu lesen und ihm dann zu antworten. Man habe erwartet, schreibt die Zeitung, daß nun endlich ein „Wendepunkt“ in der Geschichte der Therese Neumann eintrete. Verweigerung jeglicher Nahrung sei außergewöhnlich, aber nach biologischen Gesetzen bedeute sie den Tod des Individuums. Jeder wisse aber auch, daß dieses „Wunder“ an Therese Neumann bewiesen werden könne, wenn sie sich einer Kontrolle unterzöge. Es würde genügen, wenn sie ihr Heim in Konnersreuth, vielleicht nur für einige Tage, verließe und sich in eine katholische Klinik begebe. Hohe kirchliche Würdenträger hätten sie längst darum gebeten, doch Therese habe sich ihnen stets hartnäckig verweigert: „Warum hat diese Frau bisher so unlogisch gehandelt, obwohl es doch ihre Mission ist, wie sie selber sagt, Gott in der Öffentlichkeit durch die Zeichen, die sie von ihm erhielt, zu beweisen?“ Und nun wird der Vater der Stigmatisierten zum Sündenbock erklärt: Er habe nicht gewollt, daß man ihn von seiner Tochter trenne. Jetzt aber sei er gestorben und Therese von „diesem Zwang“ befreit. Doch es geschehe nichts. Daher lehnten die kirchlichen Autoritäten jede Verantwortung für die Behauptung eines absoluten Fastens und den realen Charakter auch der anderen außerordentlichen Phänomene ab. Weiter verlautete der Artikelschreiber, die Stunde der Wahrheit habe längst geschlagen. Aus Konnersreuth jedoch vernehme man nur Diskretion und Schweigen. Und dieses Schweigen sei sehr vielsagend.

Härter konnten Therese und ihre Ehre kaum getroffen werden. Die Zeitung hatte offensichtlich übersehen, daß die Stigmatisierte bereits. vom 13. bis 28. Juli 1927 von, vier vereidigten Mallersdorfer Krankenschwestern unter der medizinischen Aufsicht des Waldsassener Sanitätsrates Dr. Seidl ständig beobachtet worden war. Das Ergebnis dieser Überprüfung faßte der Arzt so zusammen: „Während der Beobachtungszeit konnte nach

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meiner und der Schwestern festen Überzeugung Therese Neumann außer der heiligen Hostie, des dabei zur Verwendung kommenden Schluckes Wasser und einer ganz geringen, während der Beobachtungszeit nicht einmal zehn Kubikzentimeter betragenden Menge, des Mundspülwassers nichts zu sich genommen haben.“

Der bösartige Angriff der belgischen, noch dazu katholischen Zeitung hatte mich beunruhigt. Ich begann unsicher zu werden. Natürlich hatte ich den Aussagen der Zeugen Glauben geschenkt, aber die behauptete, nie unterbrochene Verweigerung von Speise und Trank empfand ich doch wieder als Herausforderung der Vernunft und des gesunden Menschenverstandes. Erneut erhob der Skeptiker in mir sein Haupt. Wie sollte ich Gewißheit erlangen? Was sollte ich dem fernen Freund berichten der auf Antwort wartete? Ich mißtraute auch der in aller Welt bereits sehr umfangreich gewordenen Konnersreuth-Literatur, den zustimmend schreibenden Autoren ebenso wie jenen, die ausschließlich naturwissenschaftlich argumentierten und jeden übernatürlich motivierten Deutungsversuch als ungerechtfertigt ablehnten. Da beschloß ich, auf alle Zeugen und „Deuter“ zu verzichten, vielmehr die Betroffene selber zu befragen.

Ein Termin war bald vereinbart. Es war ein Dezembertag, an dem mich Therese zum Gespräch geladen hatte. Wiederum durfte ich mit ihr allein sein. Ich sagte, heute käme ich in einer Angelegenheit, die nicht nur ihre Person, sondern auch den Vater, ja die ganze, Familie betreffe. Nachdem ich ihr den Artikel, aus Belgien vorgelesen hatte, äußerte sie keinerlei Unmut. Erst als ich fragte, was ich denn nun dem Freunde schreiben solle und wie man der Zeitung entgegnen könne, nahm sie Stellung: „Ich habe den Heiland schon so oft gebeten, er möge doch diese Nahrungslosigkeit von mir nehmen. Denn die Leute glauben's ja sowieso nicht. Im übrigen bedeutet der Verzicht auf Essen und Trinken für mich kein Opfer. Auch empfinde ich nie Appetit, wenn ich andere Leute essen sehe. Trotzdem werde ich deswegen immer wieder grundlos angefeindet. Der Heiland hat meine Bitte bisher nicht erhört.“ Vom Opfer war die Rede. Was nämlich für Therese Neumann im Alltag nicht irgendwie den Charakter des Opfers hatte, erschien ihr zweitrangig. Zu der geforderten Untersuchung bemerkte sie, daß sie ja schon einmal überprüft worden sei. „Grundsätzlich“, sagte sie, „bin ich nicht gegen eine zweite Untersuchung, aber ich habe Angst vor den Ärzten.“ Diese Angst bezog sich nicht auf mögliche Schmerzen oder andere Unannehmlichkeiten in einem Krankenhaus. Die Aussage der Stigmatisierten ließ klar erkennen, daß sie rein „ästhetischen“ Überlegungen folgte, wenn sie die vorgeschlagene Einlieferung in eine Klinik ablehnte. Als einmal zwei Geistliche in höherem Auftrag versuchten, Therese zu einem Klinikaufenthalt zu überreden, ihr aber nahelegten, den Verwandten zu sagen, sie verbringe nur irgendwo einen „Urlaub“, da wurde der Vater (mit Recht!) böse und wies den beiden „Abgesandten“ die Tür.

„Warum muß ich denn überhaupt nahrungslos leben?“ fragte Therese Neumann. Ich darauf: „Ich bin überzeugt, daß nicht die Nahrungslosigkeit an sich Verwunderung auslöst, sondern mehr doch jene unsichtbare Speise, von der Sie tatsächlich leben. Ich meine den eucharistischen Christus. Dieser ist doch Ihr Lebensprinzip und Ihre Lebensmitte.“ Da blickte sie erstaunt auf und schwieg. So als ob ich ihr etwas ganz Neues, ihr bisher verborgen Gebliebenes gesagt hätte. Oder - wahrscheinlicher - so, als hätte ich das Selbstverständlichste ihrer mystischen Existenz berührt, darüber man gar nicht zu reden brauche. Als hätte ich etwa von der allgegenwärtigen irdischen Lebensluft gesprochen, ohne die jeder Organismus zugrunde geht. Sie lebte in der Tat ausschließlich vom eucharistischen Brot, das man ihr täglich reichte. Und das fünfunddreißig Jahre lang. Jetzt mußte ich mich geschlagen geben. Aus welcher „Quelle“ sonst hätte ich mehr Gewißheit schöpfen können?

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Dennoch gab ich mich noch nicht ganz zufrieden. Nachdem ich das Neumann-Haus verlassen hatte, sprach ich bei Pfarrer Naber vor und setzte ihn ebenfalls über die Auslassungen der belgischen Zeitung in Kenntnis. Da kam es nun zu keiner ausgedehnten Diskussion von Einzelfragen, die der Artikel zur Debatte gestellt hatte. Naber äußerte sich vielmehr in gewohnter Klarheit so: „Wenn ich die mehr als dreißig Jahre währende Nahrungslosigkeit der Therese Neumann öffentlich, offiziell, vor einem weltlichen oder kirchlichen Gericht etwa, bezeugen müßte, so würde ich dafür mit meinem Leben einstehen.“ Ein solches Wort hat Gewicht. Zumal wenn es aus dem Munde eines so edlen, lauteren und wahrheitsbewussten Zeugen kommt. Pfarrer Naber war der Mystik von Konnersreuth keineswegs „verfallen“, so als gäbe es für ihn, darüber hinaus nichts Höheres mehr zu bedenken. Vielmehr bewunderte ich an ihm immer wieder auch den souverän-kritischen Geist, mit dem er den Ereignissen gegenübertrat. Seine Grundhaltung war Gelassenheit.

Nun liegt es nahe, den Leser in jenes Mysterium einzuführen, von dem her sich das Leben der Therese Neumann erst in seiner ganzen Tiefe und Eigentlichkeit erschließt. Ich meine ihre Beziehung zur Eucharistie und zum eucharistischen Christus. Für nicht oder nur unzureichend mit der katholischen Theologie vertraute Leser sei angemerkt, daß die Lehre von der bleibenden Gegenwart des Herrn nach den sogenannten Wandlungsworten über Brot und Wein in der Meßfeier zum Dogmenbestand der katholischen Kirche gehört. Das war für Therese Neumann unbezweifelbare Glaubensgewißheit. Doch sie hatte die Glaubensschwelle längst überschritten, denn der gegenwärtige Christus war ihr real erfahrbar geworden. Wie sehr ihr das, absolute Gespür für den sakramentalen Christus zuerkannt werden muß, mögen ein paar Beispiele deutlich machen. Pfarrer Naber hat sie mir überliefert.

Hielt sich Therese in einer ihr völlig unbekannten Gegend oder in einer fremden Stadt auf, so konnte sie, wenn eine Kirche in Sicht kam, genau angeben, ob es sich um ein katholisches Gotteshaus oder um die Kirche einer anderen Religionsgemeinschaft handle. In katholischen Kirchen wird nämlich, meist an wenig auffälliger Stelle, in einem Tabernakel das Allerheiligste aufbewahrt. In Kirchen mit vielen Altären fand Therese ohne Hinleitung, geradezu magisch angezogen, den Weg dorthin. Viele überraschte sie, mit der Feststellung, daß sie kommuniziert hätten. Einen Priester, der sich als Besucher in Konnersreuth aufhielt, überführte sie, daß er eine konsekrierte Hostie mit sich trage. Der seltsame Geistliche hatte sie zwischen die Seiten seines Breviers gelegt. Ein Handwerker, der im Neumann-Haus mit Reparaturen beschäftigt war, wollte die Probe aufs Exempel machen. Er scheute sich nicht, irgendwo zu kommunizieren, die Hostie heimlich aus dem Mund zu nehmen und sie in einem Briefumschlag an Pfarrer Naber zu schicken. Im Pfarrhaus traf täglich viel Post ein. Als Pfarrer Naber eines Tages eben mit dem Öffnen der Briefe begonnen hatte, betrat Therese Neumann den Raum. Sie zuckte zusammen. „Der Heiland ist hier“, rief sie aus. Dies sei ausgeschlossen, da irre sie sich, erwiderte der Pfarrer. Therese aber blieb beharrlich bei ihrer Behauptung. Und sie tat recht. Denn wenig später kam in einem der Briefe eine Hostie zum Vorschein, mit der jener Handwerker frevelnd zu experimentieren unternommen hatte. Es ist übrigens nachgewiesen, daß in der Stigmatisierten die Hostie nicht sofort verdaut wurde, sondern bis zum nächsten Kommunionempfang am folgenden Tag erhalten blieb. Man hat sie deshalb nicht zu Unrecht als lebendigen Tabernakel bezeichnet. Gerade im Zusammenhang mit ihren Kommunionen gäbe es noch viel Eigenartiges und Wunderbares zu berichten.

Dennoch: Gerade die angebliche jahrelange Nahrungslosigkeit und die Behauptung, daß sie ausschließlich vom eucharistischen Brot gelebt hat, nehmen auch heute noch viele zum Anlaß, um Therese Neumann abzulehnen und sie des Betrugs zu bezichtigen. Da halte ich es schon lieber mit Sigismund von Radecki, einem einst vielbeachteten Schriftsteller, Feuilletonisten und Übersetzer, der von 1891 bis 1970 gelebt hat. In einem Beitrag zu den

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Konnersreuther Vorgängen charakterisiert er Therese Neumann so: „Die reine Betrugshypothese erledigt sich von selbst dadurch, daß sie das Unerklärliche noch weit unerklärlicher macht. Denn ehe ich annehme, daß ein einfaches Bauernmädchen gleichzeitig die kompliziertesten Wunden heimlich frisch erhält, sie rechtzeitig bluten läßt, schon zehn Jahre lang unter falschen Beichten und unwürdigen Kommunionen Nahrungslosigkeit vortäuscht, die archäologisch exaktesten Visionen mimt, die genauesten Symptome qualvoller Sühneleiden produziert, dabei hellseherisches Wissen bezeigt, wie es auch ein ganzes Spionagebüro nicht beistellen könnte, und dazu noch mit Sprachcharismen in aramäischer, griechischer, französischer und provenzalischer Sprache die gewiegtesten Philologen verblüfft - ehe ich diese Denkungeheuerlichkeit annehme, glaube ich schon lieber, daß sie alles durch ihre Frömmigkeit von Gott hat. Wie sie's selber sagt.“

Der Leser wird in Thereses Lebensgeschichte, wie sie bisher beschrieben wurde, einen wichtigen Abschnitt vermißt haben und mit Recht fragen, wie sie denn jene zwölf dunklen Jahre unserer vaterländischen Geschichte durchstanden habe, als Adolf Hitler auf dem Höhepunkt seiner Macht auch dem Christentum den offenen Kampf angesagt hatte. Ganz gewiß hätte er den Versuch gewagt, alles Christliche zugunsten seiner „völkischen“ Weltanschauung „auszurotten“, falls er im Zweiten Weltkrieg als Sieger hervorgegangen wäre. Doch es kam ganz anders. Gerade zum 40. Jahrestag der Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 versuchte ich jene Jahre zu beschreiben, als Therese Neumann schonungslos den Intrigen der Nationalsozialisten ausgesetzt war. Man mißtraute ihr und ihrem Freundeskreis. Ständige Beobachtung durch Polizei und Gestapo war die Folge. Am 30. März 1985 veröffentlichte ich nach umfangreichen Nachforschungen einen Artikel, den ich so überschrieb: „Therese Neumann und das Dritte Reich - Am 20. April 1945 brannte Konnersreuth“. Ich gebe den Beitrag im folgenden ungekürzt wieder:

Noch herrscht bei den Deutschen weithin Ratlosigkeit, wie sie den 40. Jahrestag der Kapitulation am 8. Mai 1945 begehen sollen. War dieser Tag ein Unglücksdatum oder entließ er nicht vielmehr das deutsche Volk in die längst ersehnte Freiheit? Markierte dieser 8. Mai nicht das Ende einer unseligen Diktatur, die Europa erobern und seine Völker unterjochen wollte? Beweisen nicht die ungezählten Kriegstoten, die sechs Millionen hingemordeter Juden und das nahezu total zerstörte Vaterland das Verbrechen eines Regimes, das in maßloser Überheblichkeit ein tausendjähriges Reich begründen wollte? Der Zweite Weltkrieg suchte jedoch nicht nur die großen Städte und die Rüstungszentren heim, auch militärisch und strategisch völlig unbedeutende Orte und Dörfer wurden schließlich zum Kriegsschauplatz. Der „totale Krieg“ war ja ausgerufen worden. Sinnloser Widerstand der Deutschen hatte zur Folge, daß die Kriegsfurie auch in noch unversehrte Gegenden einbrach. Auch den kleinen Markt Konnersreuth an der tschechisch-bayerischen Landesgrenze ließ sie nicht verschont. Der Ort wurde weithin zerstört, viele Häuser brannten nieder, die Bewohner gerieten in Panik.

In diesem Marktflecken war ein Kind, ein Mädchen herangewachsen, das später viel von sich reden machen sollte: Therese Neumann. Sie hatte unter Lebensgefahr nicht nur die folgenschwere Beschießung von Konnersreuth erlebt, sondern, nicht minder bedroht, auch die vorausgegangenen zwölf Jahre der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft durchlitten. Von dieser düstersten Zeit der deutschen Geschichte soll hier die Rede sein. Doch nicht umfassend historisch, sondern aus der Perspektive einer Frau, an der Seltsames, Unerklärliches, Unerwartetes geschehen ist. Nach der plötzlichen Heilung von jahrelanger Blindheit und Lähmung zeigten sich an ihrem Leibe die Wundmale Christi (Stigmatisation), erschütterten sie geheimnisvolle Schauungen, folgte sie mystisch dem Herrn auf seinem Leidensweg und litt seine Passion, besonders an den Karfreitagen, körperlich mit. Sie blutete aus allen Wunden. Diese Wunderzeichen hatten sich bald herumgesprochen. Aus aller Welt kamen

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Gläubige und Neugierige, um das Ereignis der Passion aus nächster Nähe zu sehen. Unter den Konnersreuth-Pilgern waren schon damals viele Amerikaner. Konnersreuth wurde zu einem internationalen Anziehungspunkt.

Über diese außergewöhnlichen Vorgänge mußte damals immer wieder das Bezirksamt (heute Landratsamt), die übergeordnete Behörde in Tirschenreuth, informiert werden. Schon am 14. April 1926 berichtete der Konnersreuther Gendarmerie-Stationskommandant: „Seit ungefähr acht Tagen strömen aus allen Gegenden, aus nah und fern, Leute herbei, welche die Neumann sehen wollen. Es kommen täglich bis zu zweihundert Leute, aus besseren Ständen und aus Arbeiterkreisen, welche die Neumann besichtigen. Es kommen nicht nur Katholiken, besonders auch Protestanten, Leute aus München, Regensburg, Würzburg, sogar von Berlin. Besonders aus der Tschechei zeigen die Leute sehr viel Interesse an der, Neumann. Wie nun die Sache steht, darüber läßt sich ein sicheres Urteil nicht abgeben. Es steht nur das eine fest, daß die Neumann eine sehr christliche Person ist, und daß sie von ihren Leiden auf wunderbare Weise geheilt worden ist.“ Natürlich entfachten die ungewöhnlichen Phänomene an Therese Neumann sofort eine weltweite Diskussion unter Theologen, Ärzten und Psychologen. Während die einen vom übernatürlichen Charakter dieser Erscheinungen überzeugt waren, erklärten sie andere als hysterisch bedingt oder gar als Betrug. Wieder andere überwältigten Haßgefühle. 1927 wurde Therese in einem Brief angedroht, man werde ihr Haus in Brand stecken und ihren Seelsorger, Pfarrer Josef Naber, lynchen, wenn sie den Schwindel nicht bis zum 19. September 1927 aufdecke. Doch es blieb beim Brief. Die angekündigte Untat geschah nicht.

Konnersreuth blieb nach wie vor Zielpunkt vieler Menschen aus aller Welt. Von Jahr zu Jahr nahm die Zahl der Besucher zu. Unter ihnen waren Gläubige und Ungläubige, am Glauben Gescheiterte und Skeptiker aller Schattierungen. Für Therese Neumann änderte sich die Lage jedoch schlagartig, als Hitler 1933 an die Macht kam. Den Nationalsozialisten erschien Konnersreuth von vornherein verdächtig. Dem Markt galt daher ihre besondere Aufmerksamkeit. In einem Bericht der örtlichen Gendarmeriestation vom 1. Juli 1933 an den Vorstand des Bezirksamtes ist zu lesen: „Am 26. Juni 1933 wurde die hiesige Station durch den Sonderkommissar des Bezirksamtes Tirschenreuth telefonisch beauftragt, umgehend im Benehmen mit der SA bei mehreren Personen in Konnersreuth, darunter auch im Hause Neumann und bei den beiden Geistlichen, Durchsuchungen vorzunehmen. Diese Durchsuchungen erfolgten auf Anordnung der Regierung. Die angeordneten Durchsuchungen wurden formgerecht und mit größtmöglicher Schonung der einzelnen Persönlichkeiten getätigt. Im Hause Neumann waren die Beamten mehrfach sehr abfälligen und spitzen Bemerkungen seitens des Hausvorstandes und einzelner Familienmitglieder ausgesetzt. Neumann mußte von mir einige Male aufgefordert werden, seine durchsichtigen, spitzen Bemerkungen zu unterlassen.“

Vater Neumann war sich darüber im klaren, daß Vorsicht geboten sei, um dem Zugriff der neuen Machthaber zu entgehen. Die Zeit schien gefährlich. Das Haus und seine Besucher wurden von nun an buchstäblich überwacht. Dies geht aus einem Bericht des Stationsleiters vom 19. August 1934 an das Bezirksamt hervor: „Auftragsgemäß habe ich über die in letzter Zeit in Konnersreuth kursierenden Gerüchte über hohen ausländischen Besuch Erhebungen gepflogen. Es konnte jedoch nicht festgestellt werden, ob die in Frage kommenden Personen tatsächlich hier waren. Feststellen konnte ich, daß ein päpstlicher Abgesandter, glaublich Erzbischof Hess, sich in Begleitung von Italienern hier befand. Es war dies am Freitag und Samstag, dem 3. und 4. August 1934. Weiterhin waren noch Fürst Waldburg und Dr. Mittendorfer, letzterer aus München, hier anwesend. Soeben wurde mir mitgeteilt, daß die ehemalige Sekretärin des Dr. Gerlich heute Nachmittag in Konnersreuth eingetroffen und im

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Pfarrhof abgestiegen ist.“ Auch die jeweiligen Aufenthalte der Stigmatisierten, wurden genau registriert. Polizeibericht vom 16. Dezember 1934: „...während der besagten Zeit, und zwar im September, habe sie (Therese Neumann) mit ihren Geschwistern und Herrn Professor Wutz mittels Personenkraftwagen einen etwa sechstägigen Ausflug in die Schweizer Berge gemacht. In Italien sei sie nicht gewesen. Die Therese Neumann habe nicht im Sinne, Deutschland zu verlassen beziehungsweise ihren Wohnsitz ins Ausland zu verlegen.“ Da ausländische Zeitungen berichtet hatten, Vater Neumann sei in ein Konzentrationslager eingeliefert worden, stellte der Stationsvorsteher fest, daß diese Behauptung frei erfunden sei. Im übrigen habe sich dieser keiner Handlung schuldig gemacht, die eine Internierung gerechtfertigt hätte.

Dennoch wurde die Überwachung der Stigmatisierten und ihres Geburtshauses verstärkt. Die Nazis witterten Gefahr. Mehr denn je war ihnen die „Resl“ ein Dorn im Auge. Konnersreuth könne ja, so befürchteten sie, durchaus zum Ausgangspunkt einer politischen Konspiration oder eines Komplotts gegen das neue Regime werden.

Diese Überlegungen bewogen die verantwortlichen Parteifunktionäre sogar, den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Dr. Josef Goebbels in Berlin, über die Situation in Kenntnis zu setzen. In einem amtlichen Schreiben vom 17. Juni 1935 an den Minister heißt es unter anderem: „In Konnersreuth sind bereits Hausdurchsuchungen wegen der politischen Betätigung durchgeführt worden, so zum Beispiel auch bei Neumann, deren Vater Gemeinderatsmitglied und Angehöriger der Bayerischen Volkspartei gewesen ist. Mit der Konnersreuther Angelegenheit hat sich auch bereits die Geheime Staatspolizei München beschäftigt. Es wäre vielleicht auch für das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda von Wichtigkeit, über die Konnersreuther Verhältnisse Näheres zu erfahren. Es wäre unbedingt - vielleicht durch die Geheime Staatspolizei - zu veranlassen, die Sache nochmals aufzugreifen.“

Goebbels reagierte prompt. Unverzüglich schaltete er die Gestapo München ein. An das Bezirksamt erging folgende Weisung: „Über die politischen Verhältnisse in Konnersreuth seit der nationalen Erhebung ist unter Bezugnahme auf das anliegende Schreiben der Landesstelle der Bayerischen Ostmark des Reichspropaganda-Ministeriums umgehend zusammenfassend zu berichten. In dem Bericht sind besonders auch die durch den dortigen Amtsvorstand gemachten Wahrnehmungen über den sogenannten Konnersreuther Kreis, in deren Mittelpunkt die Familie Neumann steht, aufzunehmen. Ferner ist festzustellen, welche polizeilichen Maßnahmen (Suchung bei Ferdinand Neumann, im Zimmer von dessen Tochter Therese Neumann, Bestrafung des Neumann wegen Berufsbeleidigung usw.) getroffen

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wurden. Wer ist der sogenannte Konnersreuther Kreis? Ist Ferdinand Neumann dabei führend tätig? Von wem gehen etwaige staatsfeindliche Betätigungen aus?„

Intensiven geheimpolizeilichen Ermittlungen gelang es, die jenem „Konnersreuther Kreis“ angehörenden Personen wenigstens teilweise auszumachen. Zu ihm zählten Theologen, Pfarrer, Ärzte und Adelige aus allen Teilen des Reiches. Dieser „Kreis“ hegte keine vordergründig politischen Ambitionen. Es handelte sich vielmehr um Persönlichkeiten, die sich von den mystischen Vorgängen in Konnersreuth zutiefst betroffen wußten und um theologische oder wissenschaftliche Deutung jener Phänomene bemüht waren. Auch der ehemalige Chefredakteur der, „Münchner Neuesten Nachrichten“, Dr. Fritz Michael Gerlich, zählte zu diesem Personenkreis. (Die Nationalsozialisten ermordeten ihn wegen seiner Gesinnungstreue am 30. Juni 1934 im Konzentrationslager Dachau.)

In diesen Zusammenhang gehört die folgende amtliche Mitteilung an die Gestapo: „...trotzdem geriet sie (Therese Neumann) bei Gelegenheit des nationalen Umsturzes vom Jahr 1933 in den Verdacht politischer Umtriebe. Ich vermute - in diesem Sinne hat sich auch einmal der frühere Sonderkommissar mir gegenüber ausgesprochen -, daß dies darauf zurückzuführen ist, daß der Schriftsteller Dr. Gerlich aus München, der seinerzeit den Geraden Weg herausgab und später im Zusammenhang mit den Ereignissen vom 30. Juni 1934 erschossen worden sein soll, viel bei der Resl verkehrte. Er hat ja auch ein Buch über sie geschrieben.“ Gerlich war, von den Ereignissen in Konnersreuth überwältigt, zum Katholizismus übergetreten. Mit äußerstem Argwohn beobachteten die Nazis natürlich den nach wie vor anhaltenden Besuch von Ausländern in Konnersreuth. Im besagten Brief an die Adresse der Gestapo wird behutsam angeraten: „Das Ausland hat für die Vorgänge in Konnersreuth starkes Interesse. Auch in dieser Hinsicht dürfte eine gewisse Umsicht am Platze sein, damit nicht wieder Anlaß zu Hetzereien gegen Deutschland geboten wird.“ Die NS-Ideologen verstanden Mystik, ja christliche Religion überhaupt, als Politikum.

Und so ging es fort. Man sagte Therese schließlich nach, sie habe einen unmittelbar bevorstehenden Weltkrieg prophezeit und - Jahre später - das baldige Ende des nun tatsächlich ausgebrochenen Krieges vorausgesagt. Der Regierungspräsident von Niederbayern und der Oberpfalz, ein hoher Parteifunktionär, zeigte sich empört. Dem Bezirksamt Tirschenreuth schrieb er am 10. August 1938: „Therese Neumann von Konnersreuth soll für den 28. August oder für September den Ausbruch eines Weltkrieges prophezeit haben. Da dem Vernehmen nach hiedurch Verängstigung hervorgerufen worden ist, wolle, dem Unfug nachgegangen und allenfalls das Weitere veranlaßt werden.“ Therese distanzierte sich von diesen Gerüchten. Doch der Verdacht der Parteigewaltigen blieb. Im Februar 1937 hatte man vorsichtshalber Thereses Reisepaß eingezogen. Da sie bekanntlich nahrungslos lebte, verweigerte ihr das zuständige Amt während des Krieges die Lebensmittelkarten.

Das Jahr 1945 näherte sich. Der Krieg war längst verloren. Der Übermacht der Alliierten vermochten die Deutschen nicht mehr zu widerstehen. Doch Hitler gab nicht auf. Sinnlos wurde weitergekämpft, weiterzerstört, weitergemordet. Die Front rückte immer näher. Auch die Heimat wurde nun mit Krieg überzogen. Jeder kleinste Ort sollte verteidigt werden. Auch Konnersreuth. Den Ort hatte in den Apriltagen des Jahres 1945 eine SS-Einheit besetzt. Die in den Häusern einquartierten Soldaten hatten den Auftrag, den Markt unter allen Umständen vor den heranrückenden amerikanischen Truppen zu verteidigen. Die aber standen bereits „vor den Toren“ des Ortes. Dem „Führerbefehl“ stur gehorchend, versuchten die SS-Männer, die Stellung zu halten. Namenloses Unheil brach über Konnersreuth herein, als die SS versuchte, ein über dem Ort operierendes US-Aufklärungsflugzeug abzuschießen. Nun mußten die Amerikaner zum Angriff übergehen, obwohl ihnen aufgetragen war, den Markt

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mit Rücksicht auf die Stigmatisierte zu schonen. Angriff und Gegenwehr wirkten sich so verheerend aus, daß 29 Anwesen niederbrannten und viele andere Gebäude, auch die Pfarrkirche, durch Geschosseinwirkung schwer beschädigt wurden. Zahlreiche Einwohner flohen in benachbarte Ortschaften oder in die umliegenden Wälder. Dennoch gab es zwei Tote. Therese Neumann hatte man damals nahegelegt, Konnersreuth zu verlassen. Sie darauf: „ich bleibe bei den Meinen.“ Am Tag der Beschießung, dem 20. April 1945 („Führers“ Geburtstag!), suchte sie mit Pfarrer Naber, mehreren Kindern und anderen Konnersreuthern Schutz im Kellerraum des Pfarrstadels. Nachdem das alte Holzgebäude durch eine Bombe in Brand geraten war, floh sie mit den Kindern durch ein Kellerfenster ins Freie. Alle konnten sich retten.

Die SS-Truppe hatte längst das Weite gesucht, als die Amerikaner in das halbzerstörte, brennende Konnersreuth einzogen. Ihr leitender Offizier erkundigte sich sofort nach Therese Neumann, besuchte sie und zeigte ihr seine strategische Karte, auf der die Ortschaft Konnersreuth mit roter Farbe eingekreist war. Dies bedeutete, daß der Markt nach Möglichkeit zu schonen und vor Schaden zu bewahren sei. Die Amerikaner wußten ja längst, welch wahrhaft weltbewegende Dinge sich in Konnersreuth ereignet hatten. Die Soldaten zögerten daher nicht, der von den Kampfhandlungen so schrecklich betroffenen Bevölkerung, wenn auch nur notdürftig, zu helfen. Therese Neumann übergaben sie vor allem Medikamente, Verbandszeug und Seife. Die Freundschaft der Amerikaner mit der Stigmatisierten hatte sich bis zu ihrem Lebensende unvermindert erhalten.

Bevor sich der irdische Lebenskreis der Stigmatisierten schloß, hatte ich noch zwei Begegnungen notiert, die mir bemerkenswert erschienen. Am 19. März 1960 ließ mich Therese Neumann nach Konnersreuth rufen. Es war Samstag, Josefi, Namenstag ihres Seelsorgers. Sie schien vom Leiden am Vortag noch sehr mitgenommen. Wieder einmal war der Karfreitag Thema unseres Gesprächs. Ihr Wunsch ging wiederum dahin, daß am bevorstehenden Karfreitag nur wenige, am besten gar keine Menschen kämen, um sie anzustaunen. Ich möge doch in diesem Sinne wieder in der Zeitung schreiben und auch den Bayerischen Rundfunk verständigen. Therese wies auf ein Schubfach ihres Schreibtischchens: „Machen Sie es doch auf!“ Ich fand darin meinen Artikel vom Vorjahr. Sie hatte ihn offensichtlich schon bereitgelegt. So oder ähnlich, meinte sie, möge ich schreiben. „Der Karfreitag in Konnersreuth darf doch kein Kapplfest“, das heißt, „kein Volksfest werden!“ Ich sagte zu.

Trotz ihres sichtlich geschwächten Körpers ließ sich Therese nicht abhalten, mir noch weitere Anliegen, die sie besorgt sein ließen, vorzutragen. So äußerte sie ihren Unmut über ungerufene und unberufene Leute, die sie zu fotografieren suchten, dann die Aufnahmen ohne ihre Zustimmung überallhin verbreiteten, und mit den Bildern Geschäfte machten. Sie deutete an, daß man in einem bestimmten Fall mit Strafanzeige vorgehen werde. Dann betrat Pfarrer Naber das Zimmer. Er begrüßte mich - wie immer - überaus herzlich, bevor ich ihn zu seinem Namenstag beglückwünschen konnte. Das Gespräch nahm seinen Fortgang. Es dauerte nicht lange, da waren wir schon wieder bei Pius XII. angelangt, den Therese einfach nicht vergessen konnte. Ich stimmte ihrer Hochschätzung dieses Papstes zu und fragte sie dann, ob sie auch wisse, wie denn der ewige Richter diesem Papst nach seinem Tod begegnet sei, da sie doch sein Sterben miterlebt habe. „Ich weiß“, sagte Therese, „daß er sofort in den Himmel gekommen ist .“ Pius XII. war 1958 gestorben.

Desweiteren erfuhr ich, daß Pfarrer Naber im Mai resignieren will. Therese habe deswegen beim Bischof vorgesprochen. Der aber wünsche, daß Naber trotz seines hohen Alters der Seelsorge erhalten bleibe. Therese ist immer noch traurig über den Tod des Vaters und ihrer

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Schwester Ottilie. Pfarrer Naber machte mir den Eindruck von Kränklichkeit. Dennoch hatte er am Vormittag in der Kirche das Hochamt gefeiert und die Nachmittagsandacht gehalten. Als ich das Neumann-Haus verließ, vernahm ich das fröhliche Gezwitscher vieler Stubenvögel, die Therese vorab als Geschöpfe Gottes und freundliche Lebensbegleiter versteht. Im unteren Wohnzimmer entdeckte ich einen prächtigen Kreuzschnabel.

Der Karfreitag 1962 ist insofern von besonderer Bedeutung, als er der letzte war, den Therese durchlitten hat. Auch diesmal durften keine Fremden das Leidenszimmer betreten, denn die Stigmatisierte lag schwerkrank darnieder. Ich durfte sie sehen. Sie erschien mir wie eine Sterbende. Ihr Atem ging schwer. Sie leide an Muskelrheuma und Herzbeschwerden und habe rasende Schmerzen zu ertragen, sagte mir Pfarrer Naber. Sie sei kaum imstande, Hände und Arme auch nur ein wenig über die Bettdecke zu erheben. Ihr Zustand sei in einem Maße bedenklich, daß sie wohl erst nach einigen Wochen wieder Besucher werde empfangen können. „Auch Pfarrer Naber“, so notierte ich, „macht mir den Eindruck, daß er sehr schwächlich ist. Er verfällt mehr und mehr. Wie lange er wohl noch leben wird?“ Der Priester ließ mich wissen, daß Therese schon an den Freitagen der Fastenzeit so krank gewesen sei, daß man ihren Tod habe befürchten müssen. An diesem Karfreitag habe sie die Passion Jesu deshalb nur teilweise schauen dürfen.

Trotz aller Aufrufe in Presse und Rundfunk, von Reisen nach Konnersreuth Abstand zu nehmen, warteten dennoch vor dem Neumann-Haus etwa fünfhundert Personen, die Einlaß begehrten, unter ihnen auch Gäste aus Belgien und dem Saarland. Pfarrer Naber gelang es nur mit Mühe, sie davon zu überzeugen, daß diesmal unter keinen Umständen Besucher vorgelassen werden könnten. Manche von ihnen beschlossen daher, die Osterfeiertage in Konnersreuth zu verbringen, in der Hoffnung, Therese dann bestimmt sehen zu können. Schließlich hatte ich mir aufgeschrieben, daß Pfarrer Naber den ganzen Winter über sein Haus nicht verlassen und vom Bischof die Erlaubnis erhalten hat, die Eucharistie in seiner Wohnung feiern zu dürfen.

19. September 1962. Therese Neumann starb überraschend um die Mittagsstunde des 18. September 1962, vierundsechzigjährig, in Konnersreuth. Todesursache war ein Herzinfarkt. In meinem ersten Zeitungsbericht hieß es neben anderem: Therese Neumann ist nicht mehr. Sie starb am gestrigen Dienstag. Konnersreuth trauert und mit ihm die Bevölkerung des ganzen Landkreises. Nicht minder betroffen wissen sich ungezählte Gläubige in aller Welt, die seit mehr als dreißig Jahren nach Konnersreuth gepilgert waren. Der Ort hatte Glaubende wie Zweifler angezogen. Auch Wissenschaftler vieler Fachrichtungen nahmen sich der Phänomene an und versuchten Erklärungen und Deutungen. Die katholische Kirche enthielt sich bisher einer offiziellen Stellungnahme, obwohl sich Pius XI. und sein Nachfolger Pius XII. der Stigmatisierten gegenüber denkbar wohlwollend verhalten hatten. Therese Neumann war in aller Welt bekannt. An jedem Karfreitag strömten Tausende aus allen Weltgegenden nach Konnersreuth, um die Stigmatisierte in ihrer Leidensekstase zu sehen. Nicht wenige schieden von diesem Leidenslager mit seelischen Erschütterungen, die ihr Leben veränderten. Viele begegneten dort Christus neu oder fanden ihn wieder. Andere kehrten beglückt heim im Bewußtsein, daß sich der Gekreuzigte auch heute noch in sichtbaren Zeichen offenbart. Wieder andere erklärten die Phänomene als krankhafte, durch unbewußte Kräfte ausgelöste Zustände. Die Diskussion um Konnersreuth ist noch lange nicht abgeschlossen. Sie wird neu aufleben und zur Stellungnahme herausfordern. Zu einem letzten Verstehen allerdings wird nur der Glaubende hinfinden, mag sein Urteil auch der wissenschaftlichen Begründung entbehren.

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20. September 1962. Der Tod der Therese Neumann ist nach wie vor Tagesgespräch. Die Zeitungen des In- und Auslandes berichten unter großen Schlagzeilen ausführlich über das Ereignis. Viele Verehrer der Stigmatisierten wollen es nicht glauben, daß sie tot ist. Sie rufen an, um sich die Meldung bestätigen zu lassen. Sogar aus Japan und den Vereinigten Staaten treffen Telegramme ein. In Konnersreuth nimmt der Zustrom derer, die Therese Neumann ein letztes Mal sehen wollen, ständig zu. Sie kommen in Omnibussen auch aus entfernt liegenden Gegenden. In sichtlicher Ergriffenheit nehmen sie Abschied.

20. September 1962: Pfarrer Josef Schuhmann schickte sich soeben an, sein Nachtlager aufzusuchen, als wir spät nach Redaktionsschluß Konnersreuth erreichten, um den Angehörigen der verstorbenen Therese Neumann einen Kondolenzbesuch abzustatten. Es war kalt. Im Ort wachte kaum noch jemand. Auch im Haus der Stigmatisierten waren nur die Fenster der kleinen Küche erleuchtet. Eben verließen die letzten Gäste das benachbarte Wirtshaus. In Neumanns warmer Küche hatten sich viele Verwandte der Heimgegangenen versammelt. Es herrschte gedrückte Stimmung. Sie alle konnten einfach nicht glauben, daß Therese nicht mehr unter den Lebenden weilen sollte. „Sie sieht auf dem Sterbelager ebenso aus“, meinte Thereses Schwester Maria, die Haushälterin des Pfarrers Josef Naber, „wie jedesmal nach ihrem Erleben der Passion des Herrn, wenn sie den Tod Jesu geschaut hat und dann in einen todähnlichen Schlaf versunken ist“.

Therese Neumann lag im kleinen Wohnzimmer ihres Geburtshauses aufgebahrt.

Wir haben sie in diesem Zustand schon so oft gesehen. Nun sind wir alle überrascht, daß sie jetzt nicht mehr zum Leben erwachen sollte. Tatsächlich macht Therese den Eindruck einer Lebenden. Man könnte meinen, sie schlafe. Über ihr Haupt hat man ein weißes Tuch gebreitet. Man sieht darin große Blutflecken. Marie erklärt, daß es ein Kopftuch von einer früheren Passionsekstase mit starken Blutungen aus den Dornenkronenwunden sei. Die Hände zeigen, wie gewohnt, klar die quadratischen Stigmen, die Male der Nägel. Sie halten, von einem Rosenkranzumwunden, das Sterbekreuz. Das Gesicht - ein friedlicher Anblick, keine

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Spur von Todeskampf. Keine Zeichen auch großer Leiden, obwohl sie gegen Lebensende von starken Schmerzen geplagt war.

Die Ärzte hatten alles versucht, um das schon schwer von einer Herzkrankheit angeschlagene Leben zu erhalten. Herzmassagen, Injektionen und ein erst jüngst von einer Ärztin abgenommenes EKG nützten nichts mehr. Auch der Versuch, eine schmerzlindernde Droge, in Wasser aufgelöst, zu verabreichen, scheiterte, denn der Körper nahm die Flüssigkeit nicht an. Gegen Dienstag mittag riefen die Angehörigen Pfarrer Josef Schuhmann und baten ihn, der Schwerkranken das Sakrament der Todesweihe, die sogenannte letzte Ölung, zu spenden. Schuhmann berichtete, daß der Tod plötzlich eingetreten sei. Zeugen der Todesstunde waren auch Pfarrer Josef Naber, Maria Neumann und ein Arzt. Ob Therese Neumann in ihrer letzten Stunde noch etwas gesagt habe, schien uns wichtig. Pfarrer Naber erklärte, sie habe zwar noch gesprochen, doch so undeutlich, daß man ihre Worte nicht habe verstehen können.

Therese Neumann starb inmitten großer Planungen, die sie bis zuletzt bewegten. Wir berichteten bereits von einer Reise, die sie vor kurzem mit Pfarrer Naber unternommen hatte, um ihren Lieblingsplan, in Konnersreuth ein Kloster erstehen zu lassen, verwirklichen zu können. Wie Pfarrer Schuhmann wußte, stand das Vorhaben bereits vor seiner Verwirklichung, entscheidend unterstützt vom Regensburger Bischof Dr. Rudolf Graber. Dieser befürwortete ein Anbetungskloster, dessen Angehörige vorab für die Anliegen seiner Diözese beten sollten. Tatsächlich waren bereits vier Regensburger Karmeliterinnen bestimmt, die in das Kloster einziehen sollten. Therese selber hatte Einrichtungsgegenstände für die Kapelle und andere Räume besorgt. „Ihr ganzes Denken und Sorgen“, so sagte uns Ferdinand Neumann, ein Bruder der Stigmatisierten, „war in den letzten Tagen ihres Lebens auf den Bau dieses Klosters gerichtet.“

Pfarrer Josef Naber an der Totenbahre der Stigmatisierten.

Kein Wunder, wie wir einfügen möchten, denn seit ihren Jugendtagen hatte sich die Heimgegangene mit dem Gedanken getragen, Missionsschwester zu werden. Dazu kam es aber nicht. So wollte sie offensichtlich ihren missionarischen Drang in der Heimat zum Erfolg

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führen, war sie doch auch maßgeblich an der Begründung der Spätberufenenschule Fockenfeld beteiligt. „Noch in diesem Jahr“, sagte Ferdinand Neumann, „sollte mit dem Bau des Klosters begonnen werden.“

Nun hat der Tod die Planungen durchkreuzt, und es bleibt abzuwarten, ob der Konnersreuther Klosterbau als letztes Vermächtnis der Heimgegangenen verwirklicht werden kann. Auch am Sühnegebetstag der Diözese, der am 7. Oktober stattfinden sollte, kann sie nicht mehr teilnehmen. Die Fahrt mit Pfarrer Naber nach Regensburg war längst beschlossene Sache. Ebenso entfallen die vorgesehenen Begegnungen mit hohen geistlichen Persönlichkeiten in der Bischofsstadt. Immerhin durfte sie in ihren letzten Tagen noch eine große Freude erleben, nämlich eine Aussprache mit Kurienkardinal Augustin Bea. Der hohe Würdenträger unterhielt sich längere Zeit mit ihr in überaus herzlicher Weise. „Die Unterredung ist gut ausgefallen“, hatte sie Pfarrer Schuhmann freudestrahlend erzählt, und Therese konnte sich gar nicht genug tun, immer wieder davon zu berichten. Es will nicht wenig bedeuten, daß der Kardinal eine Erwartung aussprach: „Ich rechne mit Ihrem Gebet für das Konzil.“

Schon jetzt beginnt sich abzuzeichnen, welche Beachtung dem Tod der Therese Neumann in der Weltöffentlichkeit entgegengebracht wird. Nicht nur Rundfunk und Fernsehen haben unmittelbar nach ihrem Tod ausführlich über dieses mystische Leben berichtet, auch die gesamte Weltpresse hat das unerwartete Ereignis eingehend gewürdigt und mit Schlagzeilen hervorgehoben. In, Konnersreuth trifft täglich eine Flut von Kondolenzschreiben - auch aus dem Ausland - ein. Die Zahl der Busse mit Verehrern und Freunden, die Abschied nehmen wollen, nimmt von Tag zu Tag zu.

Therese Neumann ist im Parterre ihres Hauses, im bescheidenen Wohnzimmer der Familie Neumann, aufgebahrt. Das Totenlager schmücken viel frisches Grün, bunte Herbstblumen und honiggelbe Kerzen, die sie so sehr geliebt hat. Am Samstag wird Therese beigesetzt. Als letzten Ruheort wählte man eine Gruft nahe dem großen Friedhofskreuz, zu dem sie immer wieder liebend, dankend und fürbittend aufgeblickt hat. Ihr Leben stand ja im Zeichen des Kreuzes. Auch ihr Tod, den - wie an jedem Karfreitag ihres Lebens - ganz gewiß die Glorie des auferstandenen Herrn überstrahlt hat.

Bis zur Beisetzung am Samstag verging kein Abend, an dem ich nicht nach Konnersreuth gefahren war, um mich, der journalistischen Pflicht genügend, dort umzusehen. Bis in den späten Abend hinein zogen Trauernde an der Bahre vorüber, um sich von der Heimgegangenen mit einem letzten Blick zu verabschieden. Doch niemand durfte das Zimmer betreten. Denn man hätte kaum verhindern können, daß sich nicht wenige Besucher um ein „Andenken“, eine „Reliquie“, sei's auch nur in Form einer Blume oder Blüte, bemüht haben würden. Dagegen war Vorkehrung getroffen worden. In die verschlossene Türe, die zum Wohnzimmer führt, hatte man nämlich eine große Glasscheibe eingelassen, die eine ausreichende Sicht auf die Verstorbene ermöglichte.

Therese Neumann war vier Tage und vier Nächte lang in dem kleinen Wohnzimmer ihres Geburtshauses aufgebahrt. Täglich besuchte ich die Verwandten, um mich zu erkundigen, ob sich vielleicht Außerordentliches ereignet oder unerwarteter Besuch angesagt habe. Die Ruhe des Hauses störten immer wieder Journalisten aus aller Welt, vor allem Fotografen, die ihren Redaktionen möglichst eindrucksvolle Bilder zu liefern beauftragt waren. Ihr Treffpunkt war ein unweit des Neumann-Hauses gelegener Gasthof. Als ich eines Abends dort einkehrte, kamen sie sofort auf mich zu, denn sie hatten beobachtet, daß ich zu so später Stunde eben das Haus der Stigmatisierten verlassen hatte. Nun bestürmten sie mich mit tausend Fragen, vor allem, nachdem sie erfahren hatten, daß ich ihrer „Zunft“ angehöre. Gleichzeitig machten

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sie ihrem Mißmut darüber Luft, daß man sie nicht unmittelbar am Leichnam, sondern nur durch das Glasfenster hindurch fotografieren lasse. Ob ich ihnen denn nicht helfen könne? Den Vertretern zweier bedeutender Blätter vermochte ich schließlich nach einem längeren Vorgespräch mit den Verwandten doch den Zugang an die Bahre zu ermöglichen: einem Team der populärsten Illustrierten von Paris und einem weitverbreiteten deutschen Magazin.

Samstag, 22. September 1962. Beisetzungstag der Therese Neumann. Als wir uns aus Richtung Mitterteich Konnersreuth nähern, treffen wir auf eine kilometerlange Autoschlange, die fast bis zur Einfahrt der Spätberufenenschule Fockenfeld hinabreicht. Ähnlich war es auf den von Konnersreuth abzweigenden Straßen nach Arzberg und Waldsassen. Den Ort selbst hielt man wegen der vielen Besucher von Fahrzeugen nahezu frei. Wiederum leistete die Polizei im Ort vorbildlichen Ordnungsdienst. Die Besucher waren meist in Privatwägen angereist. Doch sah man auch zahlreiche Omnibusse. Ihre Erkennungszeichen ließen darauf schließen, daß sie aus der ganzen Bundesrepublik und auch aus dem benachbarten Ausland gekommen waren. Zu schweigen von den vielen Fernseh- und Rundfunkreportern sowie den ausländischen Journalisten, die sich mühten, wichtige Details der Beerdigungsfeierlichkeiten in Wort und Bild festzuhalten. Auch das französische Fernsehen war vertreten.

Um zehn Uhr begann in der katholischen Pfarrkirche das Requiem für die Seelenruhe der Heimgegangenen. Das Gotteshaus war überfüllt, so daß die meisten Besucher keinen Platz mehr finden konnten. Sie warteten deshalb vor dem Neumann-Haus den Akt der Aussegnung ab. Immer mehr verdüsterte sich der Himmel. Dann begann es zu regnen. Leicht erst, dann in Strömen. Viele waren ohne Schirm. Aber sie harrten aus, auch wenn sie bis auf die Haut durchnäßt wurden. Als der Regen an Heftigkeit zunahm, mußte sich Pfarrer Josef Schuhmann entschließen, seine Rede auf die Verstorbene nicht am Grab, sondern bereits in der Kirche zu halten. So entgingen vielen die aufschlußreichen Darlegungen des Ortspfarrers:

„Meine Seligkeit ist es, Gott. nahe zu sein. Gott ist mein Hort.“ Mit diesen Worten des Psalmisten treten wir vor dieses offene Grab. Ist es wahr? Ist sie wirklich gestorben? Vielleicht kommt sie doch wieder zu sich. Sie war ja schon oft schwer krank und dem Tod nahe. Und dann fing das Herz wieder an zu schlagen. So fragten und hofften die Geschwister Neumann, als sie im Leidenszimmer ihrer stigmatisierten Schwester das Sterbelager umstanden. Sie konnten es noch nicht glauben und fassen, daß die liebe Patin, wie sie von allen nahen Verwandten genannt wurde, so rasch, ohne ein Wort des Abschieds, heimgegangen sein sollte. Still betend und gefaßt saß ihr greiser Seelenführer, Pfarrer Josef Naber, am Sterbebett.

Ist es wahr? Ist sie wirklich gestorben? So fragten auch die Nachbarn und die Menschen auf der Straße, so fragten die Freunde und Bekannten, die Behörden und Presseorgane in Regensburg und München, als sie schon nach kurzer Zeit die Todesnachricht erfuhren. Es ist schmerzliche Wahrheit: Therese Neumann ist wirklich gestorben. Das Herz hatte eben aufgehört zu schlagen, als ich ihr die heilige Ölung, das Sakrament der Todesweihe, spendete.

Am Vorabend des Festes Kreuzerhöhung, also am Donnerstag der vergangenen Woche, war sie zum letztenmal in der Pfarrkirche bei der Abendmesse. Sie hat hernach noch das große Kreuz gegenüber der Kanzel geschmückt. Am darauffolgenden Samstag, dem Fest der Sieben Schmerzen Mariens, stellte sich dann das schwere Herzleiden ein, das nach drei Tagen qualvoller Schmerzen zum Tod führte. Am vergangenen Dienstag legte der Herr über Leben und Tod seine Hand auf sie.

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Viele Bücher sind über das Leben der Verstorbenen geschrieben worden, das nun vollendet ist. Es kann und soll nicht meine Aufgabe sein, am Grabe unserer Mitschwester ausführlich auf ihren Lebenslauf und auf die damit verbundenen außerordentlichen Ereignisse einzugehen. Nur in kurzen Zügen soll erwähnt werden, was sichtbar geworden ist in ihrem Leben.“

Pfarrer Schuhmann schilderte sodann ihre Jugendzeit, ihre Freude an der Natur, die Heilung von Blindheit und Lähmung, ihre geistliche Freundschaft mit Theresia von Lisieux, und fuhr dann fort: „Zur Würdigung ihrer Person möchte ich einige Wesensmerkmale anführen. Therese Neumann hat sich nach ihrer Heilung mit viel Liebe den Kranken gewidmet. Bis 1947 war in Konnersreuth kein Arzt ansässig und keine Krankenschwester. Deswegen hat sie- jahrzehntelang die Kranken besucht und gepflegt. Sie hatte ein großes Einfühlungsvermögen, weil sie ja selber jahrelang krank war, und sie hatte großes Geschick, Kranke zu behandeln. Deshalb kamen auch viele zu ihr ins Haus, wo sie Wunden verband und Arzneien verschenkte.

Mit besonderer Liebe schmückte die Verstorbene ihre Pfarrkirche. Wohl niemand wird je wieder so viel Zeit und Mühe für den Schmuck des Gotteshauses verwenden wie sie. An den Vorabenden von hohen Festen war sie oft um Mitternacht noch nicht fertig damit. Die schönsten Blumen und Rosen ihres herrlichen Gartens und ihres Treibhauses kamen jede Woche in die Kirche. Ein großes Anliegen war der Heimgegangenen die Sorge um den Priester- und Ordensnachwuchs. Nachdem ihr Vorhaben, Missionsschwester zu werden, nicht im Plane der Vorsehung gelegen war, wollte sie anderen dazu verhelfen. Nicht wenige haben auf ihren Rat hin den Priesterberuf oder Ordensstand gewählt. Ihrer Initiative und ihrem unermüdlichen Einsatz ist es zu danken, daß Fockenfeld ein Kloster geworden ist. Von der Spätberufenenschule, die unterdessen dort errichtet wurde, wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten viel Segen ausströmen durch alle die Priester, die daraus hervorgehen werden. Die große Wohltäterin des Hauses konnte mit dem Trost sterben, daß sie auch nach ihrem Tod keinen Tag vergessen sein wird.

Das letzte Vorhaben der Heimgegangenen war die Gründung, eines Anbetungsklosters in der Pfarrei. In einem persönlichen Handschreiben hat unser Diözesanbischof schon bald nach seiner Ernennung der nunmehr Entschlafenen mitgeteilt, daß er es begrüßen würde, wenn in der Diözese ein Anbetungskloster errichtet würde, in dem täglich für die Anliegen des Bischofs gebetet wird. Therese Neumann griff diese Anregung sofort auf und hatte bereits alle Vorbereitungen getroffen, um diesen Plan zu verwirklichen. Noch in den letzten Wochen hatte sie einen hochherzigen Wohltäter besucht, der seine Unterstützung zusagte. Als ich mich vor der Abfahrt noch längere Zeit mit ihr unterhielt, machte sie ganz beiläufig die Bemerkung: „Der Herr Pfarrer“ - sie meinte Pfarrer Naber - „freut sich schon auf die Fahrt. Ich aber kann mich gar nicht freuen.“ Ebenso beiläufig sprach sie damals auch von ihrem Sterben.

Es war noch eine eigenartige Fügung, daß sie bei dieser letzten Fahrt mit einer Reihe von hohen Gönnern und geistlichen Würdenträgern zusammentraf. Unter ihnen war auch Kardinal Augustin Bea. Er hat ihr, wie so viele andere Menschen, seine Sorgen mitgeteilt und die Bitte hinzugefügt: „Ich rechne mit Ihrem Gebet für das Konzil.“

Neben der Sühne war für die Stigmatisierte wohl dies charakteristisch: Tausende von Kreuzträgern und Leidbeladenen, Menschen mit Kummer und Sorgen haben ihre Anliegen und ihre Not dem Fürbittgebet unserer Mitschwester empfohlen. Die Heimgegangene hat von Kindheit auf viel gebetet für die Lebenden und für die Verstorbenen. Von zahllosen

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Besuchern kamen viele mit falschen Vorstellungen und Erwartungen. Deren Anliegen war etwa dieses: „Beten Sie, bitte, daß ein Kranker wieder gesund wird.“ Wenn dann Therese zur Antwort gab: „Wir wollen miteinander beten um die Kraft, daß Sie Ihr Kreuz gottergeben tragen können aus Liebe zum Heiland“, dann gaben manche enttäuscht die Antwort: „Dazu sind wir nicht nach Konnersreuth gekommen, um das zu hören, sondern, daß uns geholfen wird, daß der Kranke wieder gesund wird.“

So ist Konnersreuth eine Botschaft geworden für viele: „Tragt euer tägliches Kreuz als Sühne für euere Sünden und für euere lebenden und verstorbenen Mitmenschen! Leidet mit Christus und für Christus, in seiner Gesinnung, in seiner Liebe, in seiner Kraft. Je mehr wir in seiner Gesinnung Anteil nehmen an seinem Leiden, um so mehr werden wir mit ihm verherrlicht. Wir in ihm und er in uns.

Wir haben Therese zur letzten Ruhe gebettet in unmittelbarer Nähe des Friedhofskreuzes, das auf ihre Anregung hin errichtet wurde. Die Erinnerung an ihr Leben und ihr Grab möge uns allen zur Gnade werden, daß auch wir im Leben unsere Seligkeit in der Nähe des Gekreuzigten suchen. Dann wird Gott auch unser Hort, unsere Herrlichkeit sein. Das Leben unserer Stigmatisierten ist nun vollendet. Ohne einem Urteil der Kirche vorzugreifen, kann schon heute gesagt werden, daß Gott sich groß an ihr erwiesen hat.“

Während in der Pfarrkirche die Feier des Requiems ihren Fortgang nahm, traf man im Neumann-Haus die herkömmlichen Zurüstungen, um den Leichnam von der Bahre zu heben und einzusargen. Ich war dabei. Bevor die Verstorbene in den Sarg gelegt wurde, untersuchten und begutachteten den Körper aufs neue zwei Ärzte und eine Ärztin. Sie kamen zu der einhelligen Feststellung, daß man am Leibe der Stigmatisierten wohl die üblichen Zeichen des Todes, Totenflecken oder Trübung der Hornhaut des Auges etwa, jedoch keinerlei Anzeichen beginnender Verwesung habe erkennen können. Auch nach vier Tagen der Aufbahrung war nicht der geringste Leichengeruch aufgetreten. Ich konnte mich davon täglich überzeugen. Dies bestätigte nicht minder Obermedizinalrat Dr. Engelbert Ernst vom Kreiskrankenhaus Tirschenreuth, der dem Begutachterteam angehörte, nachdem ich ihn um eine Stellungnahme gebeten hatte. Als man die Tote in den mit Zinn ausgelegten Sarg bettete und ihr die Hände faltete, bemerkte ich keinerlei Veränderung ihrer Gesichtszüge. Ihr Antlitz schien mir geradezu jugendlich, ja schön geworden zu sein. Unter den wenigen, die diesem

ergreifenden Akt des Abschiednehmens

beiwohnen durften, war auch Pfarrer Josef Naber. Voll Trauer, doch gefaßt, blickte er ein letztes Mal auf eine Frau, die sein geistliches Leben zutiefst bereichert, ihm aber auch letzte Verant-wortung vor Gott abgefordert hatte.

Unter den Trauergästen anläßlich der Beisetzung

der Stigmatisierten war auch der bayerische Minister Dr. Alois Hundhammer (erste Reihe, Zweiter von rechts).

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Draußen warteten Tausende auf die Aussegnung der Toten. Es regnete immer noch. Gegen 11.30 Uhr trugen liturgisch gekleidete Schüler der Spätberufenenschule Fockenfeld den mit Blumen und Blüten reichbedeckten Sarg auf den Platz vor dem Neumann-Haus. Wenig später traf Pfarrer Josef Schuhmann mit seiner geistlichen Assistenz von der Kirche her ein. Viele Priester aus der ganzen Diözese begleiteten ihn. Unter den Trauergästen sah man den bayerischen Staatsminister Dr. Alois Hundhammer, den bekannten Kanzelredner Helmut Fahsel aus Berlin, Fürstin Monika von Waldburg zu Zeil und weitere adelige Persönlichkeiten, Professor Dr. Franz Mayr aus Eichstätt, Dekan Josef Neidl aus Mitterteich und den Kämmerer des Dekanats, Pfarrer Christian Kunz aus Plößberg.

Kaum war Pfarrer Schuhmann mit der Gebetsliturgie am Sarge der Stigmatisierten zu Ende gekommen, hörte es auf zu regnen. Nun begann der große, man möchte fast sagen triumphale Zug der Vielen zum Friedhof. Ungezählte säumten die Straße, auf welcher die Tote zu ihrer letzten Ruhestätte gebracht wurde. Die Polizei registrierte etwa siebentausend Menschen, die zur Trauerfeier nach Konnersreuth gekommen waren.

Vor der mit weißglasierten Ziegeln ausgemauerten, blumengeschmückten Gruft sprach Pfarrer Schuhmann die üblichen Fürbittgebete. Die lateinischen Responsorien sang ein Priesterchor. Der Konnersreuther Kirchenchor bestritt die mehrstimmigen Gesänge. Auf der Friedhofsmauer nahe der Gruft hatten sich die Fernseh-, Rundfunk- und Zeitungsreporter postiert. Das Flachdach eines benachbarten Schuppens belagerten Männer in solcher Zahl, daß ein Durchbruch des nur mit Brettern eingedeckten Daches zu befürchten war. Die Sonne trat aus düsterem Gewölk hervor, als die Trauergäste zuletzt gemeinsam das Vaterunser beteten.

Nach der Totenliturgie trat der Theologe Helmut Fahsel an die Gruft. Der Sprecher hatte sich seit dreiunddreißig Jahren leidenschaftlich, doch objektiv, mit den mystischen Phänomenen an Therese Neumann beschäftigt und über seine Erfahrungen ein vielbeachtetes Buch geschrieben. Nahezu in allen Großstädten Deutschlands, vor allem in Berlin, versuchte er durch Predigten und Vorträge, auch in wissenschaftlicher Begründung, die Botschaft von Konnersreuth zu verkünden. Fahsel legte ein sehr persönliches Bekenntnis zu Therese Neumann ab, das an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Er nannte die Heimgegangene einen Menschen, „der durch Charismen glänzte“. Vor dreiunddreißig Jahren schon, fuhr Fahsel fort, habe die Weltpresse über ein Bauernmädchen aus einem Ort geschrieben, zu dem nicht einmal die Eisenbahn fahre. Therese habe durch die ihr geschenkten Auszeichnungen bewiesen, daß Gott den Leib des Menschen benütze, um geistige Realitäten und sich selbst zu offenbaren. Insofern sei Therese Neumann ein Zeichen Gottes in unseren Tagen. Die der Verstorbenen verliehenen übernatürlichen Gnadengaben seien Therese deshalb anvertraut worden, damit sie unseren Glauben stärken und erleichtern und ihn für Christus entflammen, sollten. Der Redner bekannte, daß Therese schon vor vielen Jahren seinen (des Sprechers) Seelenzustand erkannt und ihm persönliche Sünden offenbart habe. Ihre Seelenkenntnis sei außerordentlich gewesen. Herzliche und dankbare Worte fand Fahsel schließlich für den einundneunzigjährigen Pfarrer Josef Naber, der nicht müde geworden sei, die Heimgegangene als Seelsorger zu betreuen, und der - so Fahsel wörtlich - „ein heiligmäßig lebender Mann ist“.

Schließlich legte noch ein geistlicher Vertreter der Drittordensgemeinde Eichstätt nach einer längeren Ansprache einen Kranz nieder. Der Pater schilderte die franziskanischen Qualitäten der Heimgegangenen und wies überzeugend Parallelen zwischen dem armen, ebenfalls stigmatisierten Heiligen von Assisi und der Geistesart Thereses auf.

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Der Friedhof leerte sich nur langsam. Die meisten wollten die Gruft sehen, einen letzten Blick auf den Sarg tun und ihn nach katholischem Herkommen mit geweihtem Wasser besprengen. Am Nachmittag wurde es wieder still in Konnersreuth. Die Menschen kehrten in den Alltag zurück.

Konnersreuth, Ende September 1962. Noch immer vermochte ich mich von dem Ereignis des Todes der Therese Neumann nicht zu lösen. Bei diesem Besuch aber ging es mir vorab um Pfarrer Josef Naber, den hochbetagten, und darum, wie er denn mit seiner Einsamkeit zurechtkomme. Ich war tief beeindruckt, als ich ihm in seinem Arbeitszimmer gegenübertrat. Natürlich war ihm seine Trauer um die Verstorbene anzumerken, aber sie überschattete nicht die frohe Grundstimmung seines Wesens. Ich hatte das Gefühl, einem wahrhaft österlichen Menschen zu begegnen, der Leiden und Kreuz als Vorstufen der Seligkeit des Himmels versteht.

Freilich beklagte er Thereses Tod und seine Verlassenheit: „Wissen Sie, wenn man Jahrzehnte lang mit ihr zusammen war, kommt einem dieser Verlust schon hart an. Noch mehr, wenn ich all das sehe, was mich an sie erinnert ... und sie ist nicht mehr da.“ Auch auf die Einsargung der Stigmatisierten, bei der er zugegen war, kam Naber zu sprechen: „Man untersuchte den Leichnam genau, ob Verwesungsmerkmale da seien, aber man hat nichts gefunden.“

Dann schilderte mir der greise Priester die Stunde, da die Sterbende zum letzten Mal kommunizierte: „Ich habe ihr die heilige Hostie mit ein wenig Wasser in einem Löffel gereicht, habe mich sogar hingekniet, um günstiger an den Mund heranzukommen. Und als ich ganz nahegekommen, war die Hostie plötzlich verschwunden.“ Das heißt, sie war ohne Schluckbewegung in den Organismus eingegangen. Derartige „mystische“ Kommunionen der Stigmatisierten sind vielfach bezeugt. Vor vielen Jahren hatte mir Pfarrer Naber zusammen mit einem Freund einmal gestattet, mich von der Tatsächlichkeit solcher Vereinigung mit dem eucharistischen Christus zu überzeugen. Gegen Ende unseres Gesprächs sagte Naber, daß nun auch eine Schwester der Verstorbenen schwerkrank geworden sei, Maria. Die hatte ihm bereits seit vierunddreißig Jahren im alten Pfarrhaus und auch jetzt in seiner neuen Wohnung den Haushalt geführt.

Konnersreuth, 6. April 1963. Noch vor dem Karfreitag wollte ich in Konnersreuth ein wenig herumhören, ob sich etwa Bemerkenswertes ereignet habe. Im Gasthaus sagte mir die Wirtin: „Wir Konnersreuther haben die Resl, als sie noch lebte, gar nicht so recht geschätzt. Erst jetzt nach ihrem Tod merken wir, wer die Resl eigentlich war.“ – „ Jetzt in der Fastenzeit können wir gar nicht glauben, daß die Resl nicht mehr ist. Als es neulich zum Kreuzweg läutete, sagte eine Frau: Ach - man spürt gar nicht, daß wir Fastenzeit haben, denn die Resl ist nicht mehr da“. - „Man erzählt sich, daß schon viele Gebetserhörungen geschehen sind. Und die Leute warten förmlich darauf, ob sich nicht in nächster Zeit ein sichtbares Wunder ereignet.“ - „Man hätte in den Sarg ein Glasfenster einbauen sollen, damit man hätte sehen können, ob der Leichnam verwest.“

Die Wirtin, der ich auch sonst viele wertvolle Informationen verdanke, ließ mich wissen, daß im Juli (1963) ein Neffe der Resl, Franz Pflaum, in Konnersreuth Primiz feiere. Der Priester, der sich später als Pfarrer in Hohenthan hohen Ansehens erfreuen durfte, konnte seine seelsorgerlichen Fähigkeiten zeitlich nur begrenzt entfalten, denn er starb allzu früh. – „In dieser Fastenzeit sind nur wenige Fremde nach Konnersreuth gekommen. Es war wohl auch viel zu kalt. In der vergangenen Woche wären Leute aus Stuttgart und Bonn da.“ Und wiederum: „Tatsächlich - wir können es einfach nicht fassen, daß die Resl nicht mehr da sein

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soll. Wir meinen immer noch, sie sei nur krank. Wenn wir mit unserem Bulldog an ihrem Haus vorbeifahren, meinen wir stets, sie müßte doch mit ihrem weißen Kopftuch herauskommen.“ Schließlich war noch die Rede von Leuten, die auch jetzt noch nach Konnersreuth kommen, um die Einheimischen auszuhorchen und die Gedenkstätten zu fotografieren, aber nicht in lauterer Absicht, sondern um mit Konnersreuth ihr materielles Geschäft zu machen.

Eine Engländerin fragte mich nach dem Weg zum Friedhof. Sie sei eigens nach Konnersreuth gereist, um das Grab der Therese Neumann zu besuchen. Ich traf auch meinen alten Freund Dr. Josef Mittendorfer, den Münchner Arzt. Er war ein zuverlässig beobachtender Verehrer der Stigmatisierten, zu deren medizinischer Beurteilung er wichtige Aspekte beigebracht hatte. Mittendorfer beklagte sich über einen Artikel in einer katholischen Wochenzeitschrift, dessen Verfasser die Konnersreuther Vorgänge völlig verkannt und ein ganz falsches Persönlichkeitsbild der Verstorbenen gezeichnet hatte. Dann machte ich noch einen kurzen Besuch bei Pfarrer Naber. Ich mußte einige Zeit warten, weil sich soeben ein Ehepaar eingefunden hatte, das den Priester sprechen wollte. Bis mich Pfarrer Naber rufen ließ, verweilte ich in dem kleinen Hofraum hinter dem Neumann-Haus, wo Therese einen Taubenschlag und einen Hühnerstall hatte aufbauen lassen. Zu ihren Lieblingstieren gehörten nämlich auch Pfautauben und Zwerghühner. Sie waren noch da. Doch den prächtigen Fasan, der da herumstolzierte, hatte ich noch nie gesehen.

Konnersreuth, Karfreitag, 12. April 1963. Als ersten Besucher traf ich den Tirschenreuther Landrat Otto Freundl. Um neun Uhr am Grab. Es war reich mit Blumen, vornehmlich mit Osterglocken, geschmückt. Zwei Kerzen brannten. Eine Frau hatte sich eingefunden, um zu beten. Wie überraschte und enttäuschte doch dieser erste Karfreitag nach dem Tod der Stigmatisierten! Wer gedächte da nicht der Jahre und Jahrzehnte zuvor, als alljährlich Tausende nach Konnersreuth pilgerten, um die Leidende zu sehen. Jetzt, da sie ihr auch wieder ganz nahe sein könnten, blieben sie. aus. So waren die meisten also doch nur gekommen, um zu sehen, zu schauen, ihre Neugierde zu befriedigen. Ich hatte zumindest dreihundert „Pilger“ erwartet. Doch der Friedhof blieb leer. Auch in den Wirtshäusern sah man kaum auswärtige Gäste, Fremdenzimmer wurden nicht in Anspruch genommen. Pfarrer Josef Schuhmann zeigte sich als Seelsorger verständlicherweise erfreut: „Heute haben wir endlich einmal einen stillen Karfreitag. Jahrüber sah man schon viele Fremde. Aber die besuchten nur kurz das Grab und verweilten einige Zeit betend in der Pfarrkirche. Dann verließen sie den Ort wieder. Die im Gotteshaus aufliegenden Kleinschriften über Therese Neumann wurden gerne angenommen.“

Pfarrer Naber traf ich in jenem Zimmer seiner Wohnung an, das er sich als Hauskapelle eingerichtet hatte. Hier feierte er täglich Eucharistie. Er saß auf einem Sofa und war mit dem Beten der Tagzeiten (Brevier) beschäftigt. Vor dem Kreuz auf dem kleinen Altar brannten vier Kerzen. Er begrüßte mich überaus herzlich und bat mich, neben ihm Platz zu nehmen. Sofort begann er von der „Resl“ zu erzählen und über wichtige Ereignisse ihres Lebens. Im angrenzenden Arbeitszimmer hatte er auf einem Tisch zahlreiche Andenken an Therese ausgebreitet, die er mir zeigte und erklärte. Auch ein Aquarium mit vielen bunten Fischchen erinnerte an die Stigmatisierte. In einem anderen Zimmer lag seine Haushälterin, Maria Neumann, krank darnieder. Für sie gab es offenbar keine Rettung mehr. Pfarrer Naber führte mich an das Krankenlager. Ich begegnete einer Leidenden, die mich mit strahlendem Angesicht willkommen hieß. Sie nehme ihre Krankheit als von Gott verfügt täglich gerne an, meinte sie, und alles werde und solle so fortgehen, „wie der Heiland es will“. Dann erinnerte sie mich an die vielen Jahre, da sie im alten Pfarrhaushabe walten und ihrem Pfarrer habe dienen dürfen.

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Als ich mich von Pfarrer Naber verabschiedete, ergriff er mit beiden Händen meine Rechte und bedankte sich für meine langjährige Treue zur Resl und mein ungebrochenes Einstehen für Konnersreuth. Beim Hinausgehen wies er auf eine kleine Stiege, über die er jüngst gestürzt war, doch ohne sich verletzt. zu haben: „Da bin ich einmal hingefallen.“ Die drei oder vier Stufen wurden daraufhin abgesichert.

Konnersreuth, Karfreitag, 27. März 1964. Es regnete, als ich heute zur alljährlichen Karfreitagsfahrt nach Konnersreuth aufbrach. Der Ort war menschenleer. Nur wenige Autos parkten an der Durchfahrtsstraße. In der Pfarrkirche beteten die Gläubigen soeben den Kreuzweg. Auch Pfarrer Josef Naber sah man unter ihnen. Es war der zweite Karfreitag in Konnersreuth ohne Therese Neumann, ohne die vielen Wartenden vor dem Neumann-Haus, ohne das an diesem Tag üblich gewesene Polizeiaufgebot und ohne die sichtbare Spannung, die über der Masse derer lag, die Therese zu sehen begehrten. Ja - sie wollten sehen, zum größten Teil nichts als sehen. Dies war bereits am Karfreitag des vergangenen Jahres deutlich geworden, noch mehr aber wurde es am Karfreitag 1964 offenkundig. Am Grab der Heimgegangenen brannten Kerzen. Kein Mensch war zu sehen. Wie mir die Gastwirte sagten, waren. nur ganz wenige Gäste von auswärts gekommen. Vielleicht hat das ungünstige Wetter manche abgehalten. Eigenartig, jetzt, da jedermann Zugang zu Therese Neumann hat oder haben könnte – am Grabe nämlich - wird es immer stiller in Konnersreuth. Ich besuchte Pfarrer Josef Naber, den nunmehr Dreiundneunzigjährigen. Freudig berichtete er wieder über unvergeßliche Erlebnisse mit Therese Neumann, von übernatürlichen Geschehnissen an ihr und von ihren mystischen Begnadungen. Da war keine Rede von den Tausenden, die einst Resls Haus umlagerten. Die waren dem Priester nie Hauptsache, gewesen, nur eine - oft genug recht unangenehme - Randerscheinung.

Drüben in der Pfarrkirche wurde zu dieser Stunde am „Heiligen Grab“ das Allerheiligste angebetet. Anbetung war eine Grundhaltung der Stigmatisierten gewesen. Deshalb setzte sie auch ein Werk der Anbetung dadurch in Gang, daß sie in Konnersreuth unbedingt ein Kloster begründet wissen wollte, dessen spirituelle Mitte der eucharistische Christus bilde. Als ich Pfarrer Naber nach dem Verhältnis der Stigmatisierten zum Altarssakrament fragte und von ihm bestätigt wissen wollte, daß hier in der Tat der Angelpunkt der Konnersreuther Ereignisse liege, bejahte er dies zwar, fügte jedoch hinzu: „Das Entscheidende war ihre Liebe zum

Heiland, ihre ganzgroße Liebe zum gekreuzigten Herrn.“

Konnersreuth, im Januar 1965. Samstag, elf Uhr. Als wir in den Ort einfahren, hellt sich der Himmel auf. Der Nebel weicht. Tauben fliegen auf, Krähen schreien. Nichts sonst stört die Stille. An der linken Straßenseite stehen einige Autos. Kein fremdes Fahrzeug ist zu sehen. Wir biegen rechts um die Ecke, fahren an der Pfarrkirche vorbei und parken vor dem Haus der verstorbenen Therese Neumann, das jetzt ihr einstiger Seelsorger, der vierundneunzigjährige Geistliche Rat Josef Naber, bewohnt. (Der Bischof hatte ihm zum Lebensende diesen klerikalen Titel zugesprochen.) Die Räume, in denen Therese lebte und litt, stehen einsam und sind verschlossen.

Dr. med. Josef Mittendorfer, München

Ich will Pfarrer Naber besuchen, um mich nach seinem Gesundheitszustand zu erkundigen. Bevor ich sein bescheidenes Arbeitszimmer betrete, begegne ich dem Münchner Arzt Dr. Josef Mittendorfer, der sich seit vielen Jahren mit den außerordentlichen Begebenheiten in

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Konnersreuth von medizinischer Warte aus beschäftigt hatte und die Phänomene aus unmittelbarer Anschauung begutachten konnte. Jetzt ist er ausschließlich um den greisen Priester, seinen hochgeschätzten Freund, besorgt. Deshalb verbrachte er in Konnersreuth einen vierzehntägigen Urlaub.

„Wie geht es Pfarrer Naber?“ „Fragen Sie ihn nur“, meinte Dr. Mittendorfer, „er soll es Ihnen selber sagen!“ Alle Sorge war unbegründet. Pfarrer Naber ist nämlich nach wie vor außerordentlich gesund. Vor allem überraschen seine geistige Frische, sein Gedächtnis und die Logik seiner Rede, wenn man ihn nach Therese Neumann befragt. „Ja, sehen Sie nur, was da alles liegt“, meinte Naber. Täglich erreichen ihn nämlich Briefe aus aller Welt, die es - soweit möglich - zu beantworten gilt. Briefe mit Bitten um Auskünfte über Therese und mit vielen Anliegen, die dem Gebet des Pfarrers empfohlen werden.

Als eine Kostbarkeit schätzt Pfarrer Naber ein Lichtbild auf seinem Schreibtisch mit Therese Neumann, die ein Lamm in den Armen hält und innig an sich drückt. „Therese ist hier in Schauung. Am Bild des Lammes durfte sie der Gegenwart des Agnus Dei, des Lammes Gottes, innewerden. So wie ihrem erleuchteten Blick auch alle übrige Schöpfung auf Gott hin durchscheinend, transparent, geworden ist. „Therese war eine große Naturfreundin“, stellte der Pfarrer fest. Dabei verwies er, auch auf die Inschrift am Grabdenkmal Thereses im Friedhof, die gleiches besagt.

Die Gebetsglocke erinnerte an die Mittagszeit. Deshalb hieß es Abschied nehmen. Einkehr im nahen Gasthaus Schiml. „Dreiundzwanzig Betten habe ich anzubieten“, sagte der Wirt. „Einst haben bei uns viele Konnersreuth-Pilger übernachtet, unter ihnen hochgestellte Persönlichkeiten. Auch der Theologe Helmut Fahsel, der jetzt in der Schweiz lebt, war oft da. Heute gibt es bei uns kaum noch Übernachtungen.“ Gleiches erfuhr ich vom Inhaber des Gasthofes „Deutsches Haus“, dem Verwalter der örtlichen Poststelle: „An drei Wochentagen halten wir unser Lokal geschlossen.“ Dennoch bestätigten beide Wirte, daß immer noch viele Leute nach Konnersreuth kommen, und zwar täglich. Allerdings bleiben sie nicht lange. Sie besichtigen das Geburtshaus der Therese, die Kirche, das Kloster und besuchen das Grab. Dann fahren sie wieder ab, ohne, in einem hiesigen Wirtshaus eingekehrt zu sein. Eine Frau, die nahe am Friedhof wohnt, hatte mir gesagt: „Sie glauben gar nicht, wie viele an das Grab kommen. Die Besucher treffen sogar in Omnibussen ein, ganz zu schweigen von den vielen Privatautos.

Da wurde erneut ein Thema akut, das seit Jahren immer wieder angeklungen war: Sollen die Konnersreuther mit Rücksicht, auf die Besonderheit des Ortes den Fremdenverkehr gezielt fördern? Die Resl war stets dagegen. Daher entstand auch kein Hotel, wie sehr sich damals ein solches Haus auch rentiert haben würde. Heute sind nicht einmal mehr die beiden größeren Gaststätten „ausgelastet“.

Bevor ich Konnersreuth verlasse, spreche ich noch im Theresianum vor. Hier beten Karmeliterinnen Tag um Tag bis in die Nacht hinein vor dem eucharistischen Christus für den Regensburger Bischof und seine große Diözese. In der Kapelle kniet nahe dem Altar eine Schwester in weißer Ordenskleidung. In den Bänken haben ältere Damen, „Pensionärinnen“, die ihren Lebensabend im Kloster verbringen, Platz genommen. Sechs Kerzen brennen vor dem Allerheiligsten, das von einem künstlerisch eigenwillig gestalteten, einer Dornenkrone ähnlichen Gebilde aus Metall umschlossen wird. Vor einigen Wochen beteten hier ausländische Konzilsväter anläßlich einer Reise entlang des „Eisernen Vorhangs“.

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Kurzes Verweilen noch am Grab der Stigmatisierten. Eisiger Wind pfeift über den Gottesacker hin, der „Böhmische“. Von hier aus kann man auf schön bewaldete Anhöhen und nach Mitterteich hinüberblicken. Überall liegt Schnee. Vom Leichenhaus schimmert Kerzenlicht herüber. Die älteste Einwohnerin von Konnersreuth liegt dort aufgebahrt. Nun ist Pfarrer Naber der „Senior“ der Gemeinde.

Konnersreuth, 21. August 1965. Mit Pfarrer Naber zusammen. Auch Dr. Mittendorfer ist wieder da. Wir sprechen über Nabers siebzigjähriges Priesterjubiläum, das er jüngst hat feiern dürfen. Sein gesundheitlicher Zustand ist mehr als zufriedenstellend: „Ich kann nicht klagen, habe allerdings einen Katarrh, aber der ist bei mir Brauch. An den habe ich mich schon gewöhnt...

Die Grabstätte der Therese Neumann ist mit Danktäfelchen von Menschen übersät, die überzeugt sind, daß ihnen Therese durch ihre Fürbitte geholfen hat.

Die Resl ist halt nicht mehr. Zwar kommen immer wieder Freunde, aber die Resl ist halt nicht mehr. Sie schaut jetzt sicher vom Himmel her auf uns. Den Anbau des Hauses, den ich jetzt bewohne, hat die Resl organisiert, damit der Pfarrer einen guten Lebensabend hat.“ In einem Käfig am, Fenster scherzen zwei papageienähnliche Vögel. Naber: „Das sind meine zwei Komiker“.

Er kommt auf den Himmel zu sprechen. Weint und zitiert aus einem Kirchenlied: „Wo findet die Seele die Heimat, die Ruh?“ Dann erwähnt der Greis den verstorbenen Regensburger Erzbischof Michael Buchberger, der einmal gesagt habe, daß in Konnersreuth schon viele Menschen getröstet worden seien. Viele hätten hier ihren Glauben neu entdeckt und seien zur Kirche zurückgekehrt. Als ich die mögliche Seligsprechung, der Therese Neumann anspreche, meint der Pfarrer leidenschaftslos: „Ach ja - davon ist schon zu ihren Lebzeiten gesprochen

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worden. Man wird lange an ihr herumziehen. Aber der Heiland wird einmal alle Bedenken mit einem Hieb zerschlagen...“

Es ist Zeit zur Abfahrt. Pfarrer Naber verabschiedet mich wie einen alten Freund. Aufs neue beteuert er, wie sehr mich doch die Resl immer wieder „gebraucht“ und zu Rate gezogen habe. Er freue sich jedesmal über meinen Besuch, und ich solle nur recht bald wiederkommen. Der Priester feiert am 4. Dezember 1965 den 95. Geburtstag.

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Dankbrief an Josef Naber

Jetzt wird wohl mancher Leser zu lächeln beginnen und dem Autor ausgefallene Spinnerei unterstellen. Ich nehme es ihm nicht übel. Wie kann man mit einem längst Verstorbenen Verbindung durch einen Brief aufnehmen wollen, durch Mitteilungen, die ihn gar nicht erreichen, geschweige denn, daß er sie lesen könnte. Doch diese „Idee“ stammt gar nicht von mir, ich habe sie nicht erfunden. Zugespielt hat sie mir kein Geringerer als der Baseler evangelische Theologe Karl Barth (1886-1968), der eine Generation von Theologen geprägt

und eine hinreißende Christologie entwickelt hat. Wie kam es, daß Barth sich am 23. Dezember 1955 in einem „Dankbrief“ ausgerechnet mit Wolfgang Amadeus Mozart in Verbindung setzte? Und so hebt der Brief an: „Lieber Herr Kapellmeister und Hofkompositeur! Da hat nun jemand den kuriosen Gedanken gehabt, mich mit einigen anderen zusammen aufzufordern, für seine Zeitung einen Dankbrief an Mozart zu schreiben. Ich habe zuerst den Kopf geschüttelt und schon nach dem Papierkorb geblickt. Aber wenn es sich um Sie handelt, kann ich nur in den seltensten Fällen widerstehen. Und haben Sie selbst zu Ihren Lebzeiten nicht auch mehr als einen ein bißchen ausgefallenen Brief geschrieben? Also warum nicht? Dort, wo Sie jetzt sind, weiß man freilich unbehindert durch Raum und Zeit sicher mehr voneinander, und auch von uns, als es uns hier möglich ist. Und so zweifle ich eigentlich nicht daran, daß es Ihnen längst bekannt ist, wie dankbar ich Ihnen, fast solange als ich zurückdenken kann, gewesen bin und immer wieder werde. Aber eben:

Warum sollten Sie das nicht auch einmal schwarz auf weiß zu Gesicht bekommen?“ So ähnlich hätte ich als Glaubender meinen Brief an Pfarrer Naber auch einleiten können. Viele Erfahrungen führten mich nämlich zu der Überzeugung, daß sich Jenseits“ dieser unserer Welt eine Wirklichkeit, eine „Dimension“, auftut, die sich „hiesigem“ Denken nur im. Glauben öffnet. Ihre „Schau“ wird uns erst nach dem Tode geschenkt werden. Aber es bestehen schon jetzt innige Beziehungen dorthin und von dort her. Therese Neumann hat es vielfach bezeugt. Mein Brief an Pfarrer Naber wird, deshalb kein absurdes Unterfangen sein. Ich bin überzeugt, daß er ihn zur Kenntnis nehmen wird:

Verehrter, lieber Herr Pfarrer Naber, ein neues, tieferes Bedenken der mystischen Vorgänge in Konnersreuth ließ mich erkennen, daß ich fast alles, was ich über Therese Neumann weiß, Ihnen verdanke. Die Stigmatisierte sprach ja nur ungern über sich selbst und das Außergewöhnliche, das sich an ihr ereignete. Vor allem Ihnen aber als ihrem Seelsorger öffnete sie ihr Herz. So wuchs Ihnen eine Zeugenschaft zu, mit der die Botschaft von Konnersreuth steht und fällt. Ihr sind Sie bis ans Lebensende in vorbildlicher Weise gerecht geworden. Sie ließen auch mich, überreich daran teilhaben. Mein „Einstieg“ in Konnersreuth ereignete sich nicht durch das Lesen gelehrter, vielfach der Wahrheit zuwiderlaufender Bücher, Broschüren oder Zeitungsartikel, sondern einzig durch meine Freundschaft mit Ihnen.

Wie oft, lieber Herr Pfarrer, habe ich doch bei Ihnen vorgesprochen, zuerst im alten Pfarrhaus und später in Ihrer Ruhestandswohnung. Wie oft habe ich Sie gestört, als Sie gerade an Ihrem Schreibtisch arbeiteten oder mit dem Beten des Breviers beschäftigt waren. Doch nie haben

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Sie mich abgewiesen, nie habe ich an Ihnen auch nur eine Spur von Unfreundlichkeit oder Gereiztheit entdecken können. Stets kamen Sie mir mit einer Herzlichkeit entgegen, von der ich heute sagen möchte, sie sei Ihnen eingeboren gewesen, ja zur zweiten Natur geworden. Bereitwillig, von sichtbarer Freude bewegt, haben Sie alle meine Fragen beantwortet und mir oft darüber hinaus unerwartete Einblicke in das Leben der Therese Neumann gewährt.

Wann immer wir zusammensaßen, erlebte ich Sie zumeist als Erzähler. Sie berichteten, was Sie gesehen und gehört hatten, was Ihnen außergewöhnlich und deshalb bedeutsam erschien. Immer wieder bewunderte ich Ihre Objektivität. Sie gaben keine Deutungen der Ereignisse, Sie versuchten auch keine theologische Einordnung der Dinge im wissenschaftlichen Sinne. Heute darf ich es doch aussprechen: Die gelehrte Theologie interessierte Sie kaum, ebenso wenig die Literatur der sogenannten Fachleute. Das haben Sie mir einmal unzweideutig gesagt. Ich glaube kaum - so vermag ich aus mancher Ihrer Bemerkungen zu schließen -, daß Sie den mehr als fünfhundert Seiten umfassenden Band „Konnersreuth im Lichte der Mystik und Psychologie“ durchgehend gelesen haben. Sein Verfasser war ein Fachmann der Mystik, der Erzbischof von Lemberg, Dr. Josef Theodorowicz. Sie werden sich dieser gründlichen Studie kaum mehr als auswählend angenähert haben, obwohl Ihnen der Autor in sein Buch die Widmung geschrieben hat: „In liebevoller Zuneigung und in dankbarer Erinnerung widme ich dieses Buch dem hochverehrten Pfarrer Naber.“ Das Werk war 1936 in einem Salzburger Verlag erschienen. Sie überließen es mir, daß ich es lese. Ich setzte an, resignierte jedoch bald.

Sie, lieber Herr Pfarrer, gaben sich mit dem zufrieden, was Ihnen vor Augen lag. Deshalb brauchten Sie keine schlußfolgernde Wissenschaft und keine eingrenzende Systematik. Dennoch wachten Sie in Konnersreuth stets sorgsam darüber, daß nichts geschehe, was der Glaubenslehre der katholischen Kirche zuwiderlaufe. Nie ließen Sie sich von den mystischen Ereignissen sozusagen vereinnahmen. Vielmehr möchte ich Ihnen mein Erstaunen darüber nicht verhehlen, wie souverän Sie das Ungewöhnliche und Außergewöhnliche beurteilten. Innigst teilnehmend zwar, aber doch stets kritischen Sinnes. Wie töricht daher, zu sagen, ohne Sie wären alle diese Dinge nicht geschehen. So als ob Sie ein unsichtbares Fadenwerk bedient hätten, um das jeweilige Ereignis auszulösen. „Gelehrt“ ausgedrückt würde das heißen, Sie hätten Therese Neumann in einem Maße suggestiv beeinflußt, daß sich eben an ihr zeigte, was Sie bewirken wollten. Ihrer „Vorstellung“. habe dann das „Phänomen“, dem griechischen Wortsinn gemäß, das „Aufscheinende“, das „Erscheinende“ entsprochen.

Wahr ist, daß Sie von den sichtbar werdenden Veränderungen an Therese Neumann ebenso überrascht waren wie Thereses Eltern und Geschwister. Auch Ihrer bemächtigte sich zunächst Ratlosigkeit darüber, was denn da geschehe und noch geschehen werde. Aber schon damals standen Sie insofern“ über den Dingen“, als Sie all das erstaunlich sich Anbahnende Gott anheimstellten und einzig von ihm her den Wahrheitsbeweis erwarteten. Deshalb lehnten Sie auch einen voreiligen Konnersreuth-Kult, an dem sich so leicht der Aberglaube hätte entzünden können, ab.

Nur der Wahrheit wußten Sie sich verpflichtet. Was Ihnen wichtig schien, vertrauten Sie Ihrem Tagebuch an. Die Aufzeichnungen sind bereits veröffentlicht. Jedermann kann. sie nachlesen und sich von ihrer Zuverlässigkeit überzeugen. Was mit Therese Neumann auf Sie zukam, war eine ungeheuere Herausforderung. Daß Sie ihr bis an das Ende Ihrer Tage physisch, seelisch, und theologisch standgehalten haben, grenzt an ein Wunder. Wie viele Menschen aller Bildungsgrade kamen im Laufe von Jahrzehnten auf Sie zu, um Sie über die Stigmatisierte auszufragen, ihre Zweifel und Bedenken anzumelden, ihr Lebensschicksal vor Ihnen auszubreiten oder eine Begegnung mit Therese zu erreichen. Solche Beanspruchung

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schien oft ihre Kräfte zu übersteigen. Denn schließlich waren Sie ja auch Pfarrer, von Konnersreuth, der eine große Gemeinde seelsorgerlich zu betreuen hatte. Die aber haben Sie nie vernachlässigt. Im Gegenteil: Es wird berichtet, daß die Konnersreuther unter Ihrer geistlichen Führung frommer geworden sind und vor allem das Mysterium der Eucharistie neu „entdeckt“ haben.

Nein - Ihre Predigten waren keine rhetorischen Ereignisse. In einfach gebauten Sätzen verkündigten Sie Jesu Frohbotschaft gemäß den Schriften des Neuen Testaments. Der Stellenwert der Predigt schien Ihnen ohnedies durch jenes berühmt gewordene Wort der Theresia von Lisieux eingeschränkt oder zurechtgerückt zu sein: „Durch Leiden werden mehr Seelen gerettet als durch die glänzendsten Predigten.“ Hier tritt, erneut das Beispiel der Therese Neumann ins Licht, der - allen offenkundig - mit Christus Leidenden, von seiner Passion Gezeichneten.

Siebzig Jahre lang, verehrter Herr Pfarrer, durften Sie den Menschen als Priester mit Wort und Sakrament dienen. Ihre Gemeinde beging den Jubiläumstag Ihrer Priesterweihe vor sieben Jahrzehnten in festlicher Weise am 20. Juni 1965. Auch mich hatten Sie zur Mitfeier eingeladen. Über dieses Ereignis galt es natürlich ausführlich zu berichten. Darf ich den Artikel, den ich damals geschrieben habe, hier nochmals wiedergeben? Sie werden ihn jetzt wohl ganz anders bewerten und kritischer beurteilen als damals nach der Festfeier:

„Zu Ihrem Jubiläum Glück- und Segenswünsche, begleitet von Gebet, Opfer und meinem persönlichen Segen“, so lautete das Telegramm des Kardinals Augustin Bea aus Rom, das den vierundneunzigjährigen Priesterjubilar Geistlichen Rat Josef Naber am vergangenen Sonntag anläßlich seines 70. Priesterjubiläums in Konnersreuth erreichte. Dieses Telegramm war geradezu die Sensation des Tages. Ein Zeichen dafür, wie tief die Freundschaft mit dem römischen Kurienkardinal nach wie vor gründet, auch über den Tod der Therese Neumann hinaus. Es darf daran erinnert werden, daß der im Konzil mit dem Werk der Wiedervereinigung der Christen beauftragte Kardinal die Stigmatisierte kurz vor ihrem Hinscheiden um ihr Gebet für das Gelingen des Konzils ersucht hatte.

Die Feier des Priesterjubiläums nahm am Sonntag bei strahlendschönem Sommerwetter einen eindrucksvollen Verlauf. Die Pfarrgemeinde hatte dem Jubilar bereits tags zuvor ihre Aufwartung gemacht. Vor dem Wohnhaus des Priesters versammelten sich die Gläubigen mit den Vereinen sowie den Gemeinde und Kirchenräten, um ihrem einstigen Pfarrer, der mehr als fünfzig Jahre in Konnersreuth als Seelsorger gewirkt hatte, Dank abzustatten. Kirchenchor und Blaskapelle bestritten, den musikalischen Teil der Feierstunde, die ein vortrefflich dargebotener Lichterreigen der Mädchen beschloß.

In ehrenden Ansprachen würdigten Bürgermeister Josef Bauer, Pfarrer Josef Schuhmann und stellvertretender Landrat Hans Thoma das außerordentliche Lebenswerk des Jubilars und überreichten Geschenke. Beachtliches Niveau verriet die Ansprache des Ortspfarrers, die wir wegen ihrer wesentlichen Aussagen in einer unserer nächsten Ausgaben im Wortlaut veröffentlichen werden.

Geistlicher Rat Josef Naber bedankte sich herzlich für die Ehrung und brachte - sichtlich gerührt - zum Ausdruck, daß er seine frühere Gemeinde noch nie so schön beieinander gehabt habe wie heute. Wenn er im Laufe seiner Konnersreuther Priesterjahre etwas falsch gemacht habe, so bitte er um Verzeihung, wie er auch all jenen vergebe, die ihn verunglimpft hätten. In seinen alten Tagen fühle er sich allerdings sehr einsam, besonders seit die „Resl“ und ihre Verwandten durch den Tod abberufen worden seien. Nach wie vor aber habe er viel Freude an

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der Jugend, auch wenn er sie nun nicht mehr in die Wahrheiten des Glaubens einführen könne.

Der Sonntag: Wiederum strahlende Sonne über dem festlich geschmückten Ort, frohgestimmte Menschen aus nah und fern und viele Bekannte aus dem Kreis derer, die der Stigmatisierten immer wieder haben begegnen dürfen. Musikkapelle, Vereine und viele Priester geleiteten Geistlichen Rat Naber zum Gotteshaus, vor dessen Portal ein großer bunter Blumenteppich gelegt war. „Priester auf ewig“ war darauf zu lesen. Nach einem trefflichen Begrüßungsgedicht, von einem Mädchen gesprochen, zog der Jubilar in das Gotteshaus ein. Er nahm im Altarraum Platz, um dem Jubiläumsgottesdienst beizuwohnen, denn körperliche Indisposition verbot ihm die eigene Zelebration.

Unter den Ehrengästen sah man als bischöflichen Delegierten Prälat Lorenz Rosner, den Provinzial der Oblaten des heiligen Franz von Sales, Pater Schauer aus Wien, Stadtpfarrer Martin Rohrmeier, Waldsassen, Stadtpfarrer Franz Hartl, Marktredwitz, Geistlichen Rat Josef, Plecher, Wiesau, den Rektor der Spätberufenenschule Fockenfeld, Pater Lackner sowie Landrat Otto Freundl.

Eucharistie feierte Prälat Rosner, assistiert von zwei aus Konnersreuth stammenden Kaplänen. Bei diesem Hochamt zeichnete sich aufs neue der Konnersreuther Kirchenchor unter Leitung von H. Queitsch durch die tonschöne Darbietung einer mehrstimmigen Messe und Gregorianischer Melodien in lateinischer Sprache aus. Nach dem Evangelium hielt Prälat Rosner die Festpredigt.

Zunächst verlas er einen Brief des Regensburger Bischofs Dr. Rudolf Graber an den Jubilar. Der Oberhirte verwies darauf, dass Josef Naber mehr als fünfzig Jahre seines Priesterlebens Konnersreuth gewidmet habe, und daß das Anbetungskloster „Theresianum“, mit dem sich der Geistliche Rat innigst verbunden wisse, in seinem Namen nicht nur die Erinnerung an Theresia vom Kinde Jesu, sondern auch an Therese Neumann wachhalte. „Ihr Bischof möchte Ihnen herzliche Glückwünsche übermitteln und Ihnen zugleich Vergelt's Gott für Ihr priesterliches Wirken, für Ihr Beten und Opfern bis auf den heutigen Tag sagen. In tiefer Verbundenheit bin ich Ihr Bischof Rudolf“, heißt es in dem Schreiben abschließend.

Die Predigt des Regensburger Prälaten bezog sich in der Hauptsache auf die Fülle der Gnaden des Priestertums., die ein Geschenk der Liebe Gottes seien. Siebzig Jahre Priester zu sein, bedeute viel. Dem Jubilar sagte der Prediger dafür Dank, daß er ihm den Weg zum Priestertum geebnet und ihn den humanistischen Studien zugeführt habe. Er lobte die religiöse Aufgeschlossenheit der Konnersreuther Katholiken, die sich besonders in der Zeit der Diktatur des Nationalsozialismus bewährt habe. Der Prälat distanzierte sich schließlich von gewissen Illustrierten und Magazinen, die immer wieder versuchten, die katholische Kirche nachträglich als Schrittmacherin des Hitler-Regimes zu diffamieren.

Im Anschluß an den Gottesdienst trafen sich die Ehrengäste mit dem Jubilar im „Theresianum“ zu einer, wie es hieß, „Agape“, zu einem festlichen Mahl also. Geistlicher Rat Josef Plecher, einst Benefiziat in Konnersreuth, beglückwünschte dort namens des verhinderten Dekans Josef Neidl den Jubilar herzlich und versicherte ihn der Hochschätzung des Dekanatsklerus.

Nach mehreren Tischreden meldete sich ein Gast aus Belgien, ein Industrieller, ehemaliger Direktor Firmin Haven, zu Wort. Die Frau des Direktors ist eine Cousine des im Konnersreuther Friedhof beigesetzten, dreiunddreißigjährig verstorbenen jüdischen Priester-

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Konvertiten Bruno Rothschild. Haven meinte: „Es ist doch erstaunlich, daß wir heute noch kein Wort darüber vernommen haben, daß unser Jubilar Jahrzehnte hindurch Seelsorger der stigmatisierten Therese Neumann gewesen ist. Diese Seelsorge war doch etwas ganz Außerordentliches. Ich bedauere sehr, daß davon heute kaum die Rede war.“ Der Sprecher erhielt allgemeinen, starken Beifall.

In der Tat: Man hatte am Jubiläumstag darüber nichts gehört. Kein Wort. Auch nicht in der Predigt des Prälaten, der seine Rede mehrmals als „Rückblick“ angekündigt hatte. Die providentielle Aufgabe des Jubilars im Zusammenhang mit Therese Neumann wurde aber nicht erwähnt. So blieb denn dieser „Rückblick“ - wir müssen das im Interesse der Objektivität anmerken - leider Fragment.

Da sprach der Rektor der Spätberufenenschule Fockenfeld, Pater Lackner, allen aus dem Herzen, als er in seiner Dankrede sagte: „Sein (des Jubilars) Beispiel hat unseren Studenten viel gegeben, und sein Wesen hat auf sie einen tiefen, prägenden Eindruck gemacht, nicht zuletzt dann, wenn sie ihm als vielbegehrten Beichtvater begegnen durften...“

So, lieber Herr Pfarrer, hatte ich damals den Ablauf der Feier Ihres Ehrentages darzustellen versucht. Als ich Sie im „Theresianum“ persönlich beglückwünschte, bedankten Sie sich für meine Würdigung Ihres Lebenswerkes in der Zeitung am Vortag des Festes: „Ihr Beitrag hat mir sehr gefallen-. Ihre Artikel erkenne ich immer sofort. Da brauche ich gar nicht nach der Unterschrift schauen. Machen Sie so weiter, auch gegen mögliche Widerstände! Lassen Sie sich nicht beirren!

Ich bewunderte Ihre ungezwungene Herzlichkeit. Dennoch - so notierte ich -machten Sie mir den Eindruck körperlicher Schwächlichkeit, ihr Aussehen, dünkte mich wie unirdisch, Sie schienen mir bereits vom Tode gezeichnet. Pater Rektor von Fockenfeld hatte übrigens in seiner Tischrede auch von der Vollendung des Lebens, die sich im Tode ereigne, gesprochen.

Aber bei jeder Gelegenheit sagten Sie mir, daß Sie sich wohl. fühlten: „Ich wundere mich oft selber über mich, weil ich früher nicht immer so gesund war.“ Als Sie neunzig Jahre alt geworden waren, beklagten Sie den Verlust des Geruchssinnes und fuhren fort: „Nun läßt mich fortschreitend auch der Geschmackssinn im Stich. Meine Weibersleut schimpfen mich aus, weil ich nur noch ganz wenig esse, aber ich fühle mich dabei sehr wohl.“ Doch Sie verschmähten zuweilen keineswegs ein Gläschen Wein. Ich erinnere mich: Als ich Sie einmal mit einer kleinen Gesellschaft anläßlich eines Ihrer Geburtstage besuchte, da überraschten Sie uns alle durch eine Heiterkeit, wie ich Sie noch nie an Ihnen beobachtet hatte. Unter denen, die damals das Glas auf Ihre Gesundheit erhoben, war auch mein Chef, der Weidener Verleger Victor von Gostomski, dem Therese Neumann viel bedeutete.

Ob Sie mir die folgende Begebenheit überliefert haben oder ob sie mir ein anderer erzählt hat, weiß ich nicht mehr. Irgendwo war ein Flugzeug abgestürzt. Dabei waren viele Menschen zu Tode gekommen. Man veranstaltete deshalb eine große Öffentliche Trauerfeier, die der Bayerische Rundfunk ausstrahlte. Dieser Übertragung wohnte auch Therese Neumann zusammen mit mehreren Bekannten oder Verwandten bei. Politiker und Kirchenvertreter hielten Ansprachen. Nach der Feierstunde konnten sich die Versammelten nicht genugtun im Lob der Ansprache des evangelischen Geistlichen oder Bischofs. Der habe so ausgezeichnet geredet wie keiner der anderen. Therese darauf: „Was hat er denn schon gesagt? Es nützt nichts, über die Toten nur zu reden, man muß vielmehr für sie etwas tun, beten nämlich. Das ist das Entscheidende. Bedenkt doch: Wenn einer so plötzlich aus dem Leben herausgerissen wird, dann braucht er doch das Gebet.“ Gegenüber den Evangelischen, den „Lutherischen“,

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wie sie zu sagen pflegte, stand sie in einem gebrochenen Verhältnis. Dafür hatten sicher auch Sie, Herr Pfarrer, insofern Verständnis, als es für Therese Neumann eben nur eine geistige und religiöse Heimat gab, die katholische Kirche. Über diesen Horizont blickte sie kaum hinaus. Ganz gewiß hätte sie nach dem Konzil auf ihre Art zu ökumenischem Denken hingefunden.

Am 23. Oktober 1965 durfte ich aufs neue Ihr Gast sein. Zuvor unterhielt ich mich mit Ihrer neuen Haushälterin Genoveva, die mir sagte, daß Ihr Gesundheitszustand sehr zu wünschen übrig lasse. Dennoch feierten Sie noch täglich in Ihrer Hauskapelle Eucharistie. Vor einigen Tagen seien Sie auf der Straße hingefallen und hätten mit dem Kopf gegen einen Randstein des Gehsteiges aufgeschlagen. Sie hätten sich aber nur eine kleine Wunde zugezogen, sonst sei weiter nichts passiert. Nicht einmal Ihre Brille sei beschädigt worden. Zur Zeit nähmen viele Besucher Sie über Gebühr in Anspruch. Das unablässige Sprechen tue Ihnen nicht gut. Genoveva berichtete weiter, daß Sie jüngst einen Herzspezialisten aufgesucht hätten. Der habe sich gewundert, daß Sie überhaupt noch leben könnten, denn Ihr Herz liege nicht normal, sondern quer, der Blutdruck sei lebensbedrohend.

Bei unserem anschließenden Gespräch konnte ich nicht der geringsten Anormalität gewahr werden. Ich fragte Sie, was Sie von dem angeblichen Wunder an der holländischen Bäuerin, der Frau Berta, Meuleberg, halten. Sie darauf: „Ich bin darüber nicht näher unterrichtet. Zu mir sind die betreffenden Personen nur vorübergehend gekommen. Und über Personen, die ich persönlich nicht kenne, will ich nicht urteilen. Im übrigen habe ich an Ihrem (meinem) Bericht in der Zeitung nichts zu beanstanden. Jeder, der Therese Neumann kennt, wird nichts gegen Konnersreuth unternehmen, wer aber dagegen ist, dem kann man halt das Maul nicht zubinden. Wenn Leute zu mir mit Wunder- oder Erhörungsberichten kommen, so sage ich ihnen stets: Wenn Sie etwas Wichtiges über Konnersreuth zu vermelden haben, so schreiben Sie das auf und schicken Ihre Aussage brieflich an den Regensburger Bischof oder an mich. Ich werde dann die Zuschrift weiterleiten.

Was Sie mir nun sagten, war mir wohl interessant, aber es hat mich nicht überrascht: „Ich bin von der Resl immer wieder getadelt worden, wenn ich mich allzusehr mit der Sache befaßt habe. Sie wollte nämlich nicht, daß man sich so nachdrücklich ihrer Person zuwende... Jetzt lebe ich halt in der Einsamkeit.“

Dann erzählten Sie mir einen Traum, den Ihnen vor wenigen Tagen eine Frau aus dem „Theresianum“ mitgeteilt hatte. Diese Frau war der Resl begegnet. Sie sagte der Stigmatisierten: „Warum nimmst du dich jetzt so wenig um den alten Pfarrer an?“ Die Resl: „Der muß sich erst noch recht auf die Ewigkeit vorbereiten.“ Ich wollte gegen diesen Traum ob seiner Unangemessenheit protestieren. Sie aber antworteten gelassen: „Ich fand die Antwort der Resl sehr vernünftig. Es ist so: Das, was ich zur Zeit erlebe, ist tatsächlich so etwas wie ein kleines Fegfeuer.“ Sie hatten damit Ihre Einsamkeit und die Abwesenheit der Resl gemeint.

Mit der Berufung der Genoveva Trissl zu Ihrer Haushälterin hatten Sie, lieber Herr Pfarrer, offenbar einen guten Griff getan. Die war nämlich nicht nur um Ihr äußeres Wohlergehen besorgt, sondern sie interessierte sich auch für die ständig anwachsende Literatur über Konnersreuth. Nach einem Gespräch reichte sie mir einen Artikel, den der Benediktinerabt Emanuel Heufelder von Niederalteich verfaßt hatte. Dieser sympathische Theologe brachte auch Ihre Überzeugung auf den Punkt: „Es geht letztlich nicht um Lourdes und Fatima, es geht darum, daß der urbiblische Ruf zur Buße und Umkehr in neuer Eindringlichkeit in eine Welt hineingerufen wird, die dem Zorngericht Gottes verfallen muß, wenn dieser Ruf nicht

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gehört wird. So geht es auch bei Konnersreuth nicht um eine Person oder um einen Ort... Der guten Resl wird nichts liegen an persönlichen Ehrungen. Aber daran, wird ihr liegen, daß diese Botschaft gehört wird.“

Die Botschaft war nicht nur in alle europäischen Länder gedrungen, sondern längst weltweit vernommen worden. Schon einmal hatte sich hoher Besuch aus Rom angesagt, wo soeben ein Konzil die künftige Gestalt der katholischen Kirche beriet. Im November 1965 traf eine zweite Delegation von Bischöfen in Konnersreuth ein. Ihre Herkunftsländer waren Asien, Afrika und Südamerika. Sie besuchten das Grab der Stigmatisierten und versammelten sich anschließend im „Theresianum“. In der Anbetungskirche begrüßten sie den Herrn im Sakrament und beteten die Herz-Jesu-Litanei. Vor dem Kloster hatte sich inzwischen viel Volk versammelt, um den Segen der achtundzwanzig Konzilsväter zu erbitten.

Dann, lieber Herr Pfarrer, waren natürlich Sie wieder gefordert. Eine Stunde lang ließen sich die aufmerksam zuhörenden Gäste über Therese Neumann informieren. Dolmetscher übersetzten Ihre Darlegungen in mehrere Sprachen. Ihre Schilderung beeindruckte. Es schien, als hätten die Bischöfe das Erlebnis von Konnersreuth als den Höhepunkt ihrer Reise in die Oberpfalz verstanden.

Auch der Münchner Weihbischof Dr. Johannes Neuhäusler, der unter den Nationalsozialisten im Konzentrationslager unsäglich gelitten hatte, machte Ihnen, dem nunmehr Fünfundneunzigjährigen, seine Aufwartung, ebenso der Bischof von Fatima. Nicht weniger aber waren Sie überrascht, als sich um eben diese Zeit ein amerikanischer Oberst und seine Gattin bei Ihnen vorstellten. Colonel Cecil George Doyle war 1945 mit den US-Besatzungstruppen nach Deutschland gekommen. Viele erinnern sich noch des ehemaligen Stadtkommandanten von Weiden, dem im Zuge der politischen Neuorientierung der Deutschen heute kaum noch ermeßbare Aufgaben übertragen worden waren. Doyle berichtete Ihnen, daß er mit Therese Neumann nach 1945 dreimal zusammengewesen sei. Auch ihr Karfreitagsleiden habe er erlebt „schon damals“, sagte der Oberst, „war ich von der Echtheit der Phänomene überzeugt. Da kam etwas ganz Neues auf mich zu. Ich war mehr als erstaunt und nahm von Konnersreuth einen unvergeßlichen Eindruck mit nach Amerika“.

Sie haben mir auch erzählt, daß sich die Konzilsbischöfe später noch schriftlich bei Ihnen. für Ihre Auskünfte über Therese Neumann bedankt hatten. Den in lateinischer Sprache abgefaßten Brief hatte im Auftrag seiner Mitbrüder Weihbischof Anastasius Granados aus dem spanisch en Toledo formuliert. Er rühmte darin „die große Liebe und Gastfreundschaft“, die den Bischöfen in Konnersreuth gewährt worden seien. Für Sie, Herr Pfarrer, hielt der Schreiber noch ein Sonderlob bereit: „Die Worte des ehrwürdigen Pfarrers haben uns alle tief bewegt.“

Trotz Ihres hohen Alters ließen Sie sich nicht von dem Plan abbringen, eine Reise, einen Flug, nach Fatima zu unternehmen. Ihre Haushälterin Maria Neumann sollte Sie begleiten. Die aber war erkrankt. In Sorge um Ihr Leben riet sie Ihnen dringend ab, die strapazenreiche Reise allein anzutreten: „Sie fürchtete, ich könne dabei in Gefahr kommen, und sie war deswegen sehr niedergeschlagen. Dann bin ich halt daheimgeblieben.“ Wie hatte Ihnen doch Therese Neumann im erhobenen Ruhezustand gesagt? „Wenn ich einmal gestorben sein werde, wird Dir das Leben sehr hart sein.“ So geschah es auch. Sie bestätigten mir immer wieder, wie sehr Ihnen die Einsamkeit zu schaffen mache: „Vierundvierzig Jahre hat man Außerordentliches erlebt. Visionen über Visionen. Und mit einem Schlag ist alles zu Ende. Ab und zu halte ich schon eine kräftige Ansprache an die Resl: Du hast mich ganz allein gelassen. Komm' doch wenigstens einmal im Traum zu mir! Aber ich hab' keine Träume von ihr.“ Geblieben aber

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war die Gebetsverbindung. Und die ist nie unterbrochen worden. Man erzählt, daß Sie gern den Friedhof aufgesucht haben. Dort hätten Sie zuerst all jene Verstorbenen begrüßt, von denen Sie überzeugt waren, daß sie schon der ewigen Seligkeit teilhaftig geworden sind. Dann hätten Sie sich jenen zugewandt, die nach Ihrer Meinung ihr ewiges Ziel noch nicht erreicht hatten. Sie segneten deren Gräber, weil Sie sich nach wie vor mit ihren einstigen „Pfarrkindern“ in Treue verbunden wußten und Ihnen deren ewiges Schicksal am Herzen lag.

Auf ewiges Heil, auf „Erlösung“ durch den österlichen Christus hin, zielen vor allem die Sakramente der Kirche, nicht zuletzt jenes der Sündenvergebung. Am Karfreitag 1965 bat ich Sie, lieber Herr Pfarrer, mir die Beichte abzunehmen. Noch heute sehe ich Ihr zartes, vergeistigtes Profil vor mir, vernehme ich Ihren klar formulierten Zuspruch, weiß ich mich bewegt von einer Stimme, die wie von fernher, aus einer anderen Welt, zu reden schien. Damals wurde mir deutlich, wie sehr Ihr Wesen auch vom Wort geprägt war. Routine war Ihnen fremd. Sie verstanden es, das Sakrament als geistliche Wirklichkeit erfahrbar zu machen. „Schließen wir alles ein“, sagten Sie zuletzt. „Vertrauen Sie sich Therese Neumann an. Sie tut für uns viel von der Ewigkeit her. Sie wird auch Ihnen ganz gewiß helfen, haben Sie doch zu ihren besten Freunden gezahlt.“

Beim Abschied traf ich Genoveva. Sie war überaus besorgt um Ihre Gesundheit. Vor kurzem erst, sagte sie, habe Ihr Herz derart versagt, daß Sie wohl kaum noch zu retten gewesen wären, hätte man nicht sofort einen Arzt gerufen. Deshalb umgab man Sie mit viel Aufmerksamkeit, Hingabe und Liebe. Besonders als Ihr Körper immer schwächer wurde und Ihr Leben sich dem Ende zuneigte. Ihr Nachfolger im Amt, Pfarrer Josef Schuhmann, brachte Ihnen immer wieder das Sakrament und begleitete Sie seelsorgerlich, bis Gott Sie nach siebenundneunzig Lebensjahren am 23. Februar 1967 heimholte. Bevor Sie Ihre Seele aushauchten, hinterließen Sie der Nachwelt noch ein bedeutsames Wort, ein Bekenntnis, eine Beglaubigung. Pfarrer Schuhmann fragte Sie nämlich, ob Sie im Sinne einer Stellungnahme noch, irgend etwas über Therese Neumann ergänzend sagen wollten oder zu sagen hätten. Da bekannten Sie im Angesicht des Todes, daß dem, was Sie über Therese Neumann je gesagt oder auch geschrieben hätten, nichts hinzuzufügen sei, und daß Sie ebenso nicht bereit seien, davon auch nur den geringsten Abstrich zu machen. Mit diesem Wort haben Sie der Nachwelt ein überzeugendes Testament Ihres stets der Wahrheit verpflichteten Lebens zugesprochen.

Der Tag Ihrer Beisetzung nahte. Am Montag, dem 27. Februar 1967, trug man Sie zu Grabe. Nun weiß ich nicht, ob die raum- und zeitlose Existenz im „Drüben“ „Ausblicke“ auf unseren Planeten zuläßt. Daß es Kommunikation hin und her gibt, ist längst erwiesen. Therese Neumann darf hier als beispielhaft gelten. Vielleicht wird der Mensch in jenem unsichtbaren Kosmos mit einer neuen Weise des Sehens begabt, werden unbekannte Gesetze einer transzendentalen „Optik“ wirksam, die es ermöglichen, etwa auch der Grablegung des eigenen Leibes „beizuwohnen“. Ob Sie nicht doch, verehrter Herr Pfarrer, damals auf den Konnersreuther Friedhof herabgeblickt haben? So daß Ihnen, jene Vorgänge längst bekannt sind, auch die Lobreden, mit denen man Sie überhäuft hat. Aber wie dem auch sei: Ich erlaube mir dennoch, Ihnen meinen, einst einer großen Leserschaft zugedachten Bericht über die Beisetzungsfeierlichkeiten anzubieten:

Konnersreuth: Die Beisetzung des früheren Pfarrers von Konnersreuth, des Geistlichen Rates Josef Naber, am gestrigen Montag war für die Marktgemeinde ein Ereignis. Zahlreiche Trauergäste hatten sich eingefunden, aus der Bundesrepublik ebenso wie aus Holland, der Schweiz und Österreich. Stark vertreten waren die Diözese Eichstätt sowie der Klerus des Dekanats Tirschenreuth. Als Vertreter des Regensburger Bischofs waren die Domkapitulare Rosner und Erhardsberger gekommen, außerdem sah man Helmut Fahsel aus Locarno,

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Verleger Dr. Johannes Steiner, München, Passionistenpater Paul, Holland, die Holländerin Berta Meuleberg, Landrat MdL, Otto Freundl und den Bundestagsabgeordneten Franz Weigl. Das Requiem in der Pfarrkirche zelebrierte Prälat Lorenz Rosner, ein Sohn der Pfarrgemeinde Konnersreuth.

Anschließend formierte sich ein langer Trauerzug zum Friedhof mit allen Vereinen des Ortes und der Blaskapelle Konnersreuth, die auch am Grabe Trauermusik spielte. Die Gedenkrede hielt der Dekan des Landkreises, Geistlicher Rat Josef Neidl aus Mitterteich. Pfarrer Naber, so sagte er einleitend, sei eine einmalige Priesterpersönlichkeit gewesen. Ja man könne ihn den Priester schlechthin nennen. Nicht weniger als einundsiebzig Jahre lang habe er dem Herrn gedient: „Geistlicher Rat Josef Naber war weithin bekannt, wie die Resl von Konnersreuth, die er als Seelsorger betreut hatte. Er war begnadet wie, kein anderer Priester, aber auch mit außerordentlichen Aufgaben betraut, die im Zusammenhang mit den mystischen Ereignissen in Konnersreuth standen.“

Dazu habe ihm Gott auch die rechten Geistesgaben verliehen: „Der einfache Landpfarrer im schlichten Priesterrock war beschlagen auf dem Gebiet der Theologie und war Experte im Bereich der Mystik, der mit jedem Spezialisten die Klinge der Wissenschaft und der Theologie kreuzen konnte und auch kreuzte, und dies aus dem überzeugten Glauben an die Übernatürlichkeit der Konnersreuther Ereignisse.“ Im Kampf um das Für und Wider Konnersreuth sei Pfarrer Naber unbeirrt seinen Weg gegangen und habe von seiner tiefgründenden Heilandsliebe her alles der göttlichen Vorsehung anheim gestellt.

Außerordentlich, meinte der Dekan, sei, bei Pfarrer Naber auch das priesterliche Tun gewesen: „Dieses Wirken war nicht bestimmt von der vermeintlichen Vollmacht des Wortes, vielmehr von der Allmacht der Gnade sowie der Macht des priesterlichen Gebetes und Beispiels: Pfarrer Naber liebte nicht die Lautstärke des Wortes.“ Wenn das Konzil gesagt habe, alle wahre Erneuerung müsse vom Altar ausgehen, so habe der Heimgegangene diese Erneuerung langst vor dem Konzil praktiziert, denn im Mittelpunkt seiner Seelsorge seien Meßopfer und Opfermahl gestanden: „Seine seelsorgerliche Methode war die Weckung der Heilandsliebe, der eucharistischen Liebe und die Hinführung seiner Pfarrkinder zum Mysterium der Eucharistie.“ Nicht die geringste Frucht dieser Seelsorge seien die vielen Priester, die Konnersreuth der Kirche geschenkt habe. In diesem Zusammenhang erwähnte der Dekan auch das „Theresianum“ und die Spätberufenenschule Fockenfeld.

Der Sprecher rühmte schließlich die Kindlichkeit des Heimgegangenen, seine Vornehmheit, Demut und Bescheidenheit. Er sei kein Freund persönlicher Ehrungen gewesen. Allzeit habe er sich dem benediktinischen Grundsatz verpflichtet gewußt, daß Gott in allem verherrlicht werde. „Was von dieser Priesterpersönlichkeit bleibt“, meinte der Dekan, „ist das gelebte Beispiel“, von dem her er zwei Generationen geformt habe. Er habe Liebe gepredigt und ausgestrahlt: „Wir danken Gott, daß er ihn uns gab, und wir freuen uns, daß er ihn uns nahm, wissen wir doch, daß er noch unser ist als Fürbitter.“

Nun nahm Pfarrer Josef Schuhmann Abschied von seinem Vorgänger: „Die Pfarrei nimmt heute Abschied von der sterblichen Hülle ihres heimgegangenen geistlichen Vaters. - Der eigentliche Abschied zwischen ihm und der Pfarrgemeinde liegt bereits zwanzig Monate zurück. Er geschah bei der Feier seines siebzigsten Priesterjubiläums. Als sein Benefiziat und Nachfolger in der Pfarrseelsorge habe ich am Vorabend des Jubelfestes versucht, sein lauteres, priesterliches Leben nach dem Vorbild des guten Hirten aufzuzeigen. Persönlich und im Namen der Pfarrgemeinde habe ich ihm gedankt für sein seeleneifriges Wirken in der Pfarrei. Die Worte, die dann der ehrwürdige Priestergreis an uns gerichtet hat, waren die

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Abschiedsrede an seine, wie er sich ausdrückte, lieben und treuen Pfarrkinder. Die Teilnahme der ganzen Pfarrfamilie an seinem seltenen Fest erfüllte ihn mit tiefer Freude. Es war ein Segenswunsch, als er sagte: Das wäre schön, wenn wir einmal im Himmel so versammelt wären wie heute. Ich bete für die Pfarrgemeinde, der ich vorgesetzt war und die ich mit mir im Himmelreich haben möchte. Das ist mein letzter Wunsch.

Dieses Schreiben des Pfarrers Josef Naber läßt erkennen, wie sehr sich Therese Neumann immer wieder von den Massenbesuchen an ihren Leidenstagen distanziert hat.

Alle, die den Heimgegangenen näher kannten, wissen, daß dies keine leeren Worte waren. Mir persönlich hat er öfter versichert, daß er täglich für die Pfarrgemeinde bete und seine ehemaligen Pfarrkinder häufig segne. Für die Zeugen war es ergreifend, als er auf dem Sterbebett die Pfarrei nochmals gesegnet hat. Dann bat er seinen Beichtvater, er möge des sterbenden Pfarrers Grüße an alle Pfarrangehörigen weitergeben. Als großer Beter und als. Segenspfarrer soll uns der Heimgegangene in Erinnerung bleiben.“

Pfarrer Schuhmann fuhr fort: „Bis ins hohe Alter, ja bis in seine letzten Lebenstage, hat er die heilige Messe mit erbaulicher Andacht gefeiert. Solange er in der Pfarrkirche zelebrieren konnte - bis zu seinem neunzigsten Lebensjahr, hat er, wenn möglich, auch noch die zweite Messe mitgefeiert und keine Andacht versäumt. Oft sahen wir ihn nachmittags als stillen Beter vor dem Tabernakel knien. So hat er der Pfarrgemeinde das gute Beispiel der Hochschätzung der Eucharistie gegeben. Jene, die ihn in den letzten Monaten und Wochen mit aufopfernder Hingabe umsorgt und betreut haben, wissen, wieviel und wie innig er auch

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noch in den Tagen der Krankheit und des leidvollen Absterbens gebetet hat. Er hat das Sterben und den Heimgang zu seinem Heiland herbeigesehnt, ebenso das Wiedersehen mit seinen verstorbenen Pfarrkindern, mit den vielen Freunden und Bekannten, die ihm im Tod vorausgegangen sind. Und es darf gesagt werden: Besonders herbeigesehnt hat er das Wiedersehen mit der seiner priesterlichen Führung anvertrauten Stigmatisierten, in deren Nähe er nun ruhen wird.“

Den Dank des Regensburger Bischofs überbrachte Domkapitular Erhardsberger: „Dieser Priester hat die Ehre der Diözese hinausgetragen in alle Welt. Auch die Weltkirche grüßt ihn.“ Dann wurde ein Beileidstelegramm des Bischofs von Leiria (Fatima) verlesen. Der Bürgermeister von Konnersreuth, Josef Bauer, dankte dem verstorbenen Ehrenbürger der Marktgemeinde, der mit allen Bürgern Freud und Leid geteilt habe. Pfarrer Naber sei in die Geschichte des Ortes eingegangen. Geistlicher Rat Josef Naber wurde neben dem großen Friedhofskreuz nahe dem Grab der Stigmatisierten beigesetzt.

Soweit mein Bericht von damals. Viel Gutes ist über Sie gesagt worden, verehrter Herr Pfarrer Naber. Doch jener Charakterisierung hätten Sie sicher widerstanden, als man Sie einen Experten der Mystik genannt hat. Ein Experte ist nach heutigem Verständnis ein Fachmann, der sein Wissensgebiet bis ins Detail beherrscht, sich darin ständig fortbildet und forschend stets neuen Horizonten zustrebt. Von solcher Art waren Sie nicht. Da bleibe ich lieber beim lateinischen Wortsinn von „expertus“. Es leitet sich ab von „experior“ und bedeutet soviel wie aus Erfahrung kennenlernen, erfahren, erleben, erleiden. Ja - auch erleiden. Haben Sie all das, was an Therese Neumann und um sie herum geschah, nicht auch mitgelitten? Da war nicht immer die Freude der Visionen. Fast jeder Tag forderte Ihre Hingabe und Aufopferung. Nur insofern waren Sie „Experte“. Daß sich die Mystik von Konnersreuth nicht in dürre Begriffe einfangen läßt, darüber waren wir uns von Anfang an einig. Ohne Ehrfurcht vor dem Mysterium läßt sich Konnersreuth nicht entdecken. Auch nicht ohne Gebet. Therese Neumann pflegte auf ihre Andenkenbildchen zu schreiben: „In hl. Gebet vereint!“ Darf ich unsere, über Ihren Tod hinaus währende Freundschaft auch so verstehen?

Grabstätte des Pfarrers Josef Naber

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Nachfragen

Dreiundneunzig Jahre alt war Pfarrer Josef Naber, als ich ihn bat, er möge doch einige mir wichtig gewordene Fragen, die Therese Neumann betrafen, beantworten. In heutiger Journalistensprache würde das heißen, er möge mir ein Interview gewähren. Ich fühlte mich dazu um so mehr ermutigt, als ich den Priester in geradezu heiterer Stimmung antraf Keine Spur von körperlicher Schwäche oder geistiger Müdigkeit war ihm anzumerken. Ich befragte ihn nicht, um Neues über die Stigmatisierte zu erfahren. Nur einige Unklarheiten wollte ich korrigiert, dies und jenes präziser dargestellt wissen. Freilich schweifte mein Gesprächspartner zuweilen vom Thema ab, wenn ihn die Erzählfreude überwältigte. Doch alles, was er sagte, ließ seinen klaren, wahrhaftigen, nur dem Objektiven zugewandten Geist erkennen. Sein Denken und Reden schien vom Alter kaum beeinträchtigt zu sein.

Panzer: Neulich stellte mir ein Augenarzt die Frage, ob denn Therese Neumann wirklich blind gewesen sei, als sie geheilt wurde. War diese Blindheit wirklich nachgewiesen?

Naber: Sie hat einfach nichts mehr gesehen. Und wenn man nichts mehr sieht, ist man eben blind. Nach vierjähriger Blindheit ist sie plötzlich geheilt worden. Sie hatte eine Novene zur heiligen Theresia vom Kinde Jesu gemacht mit der Bitte, um sehend zu werden - im Geiste. Um geistige Erkenntnis ging es ihr da. Am gleichen Tag war der Vater zu einem Heilkundigen gegangen, um für die Resl ein Medikament zu holen. Und als er heimkam, war die Tochter sehend. Die Geschwister hat sie gar nicht mehr erkannt. Es waren zehn Geschwister. Hinter ihr waren noch neun.

Panzer: Wie war das denn mit ihrem Gespür für die Gegenwart Christi in der konsekrierten Hostie?

Naber: Da hat kürzlich einer angefragt, ein theologisch Interessierter, ob denn auch bei der Abendmahlsfeier der Evangelischen der Heiland wirklich gegenwärtig sei. Ob dazu auch die Resl etwas gesagt habe. Darüber hat sie wohl gesprochen, aber zu erkennen gegeben, daß sie kein Dogmatikprofessor sei. Sie hat da nicht lange herumdiskutiert, sondern sich einfach zu ihrem Glauben bekannt.

Panzer: In ihr ist ja, wie man nachgewiesen hat, die Hostie bis zum nächsten Kommunionempfang erhalten geblieben.

Naber: Sehen Sie, das ist das Geheimnis ihrer Nahrungslosigkeit. Ein Geheimnis, das so viele Zweifel erregt hat bei Katholiken und Nichtkatholiken. Fünfunddreißig Jahre lang hat, sie nicht das Geringste gegessen und getrunken. Wenn ich hie und da zur Resl gesagt habe: Resl, wir müssen doch essen und trinken, sonst können wir nicht leben, und Du ißt Wochen und Jahre lang nichts. Wie kannst Du denn leben? Ich leb' vom Heiland, hat sie gesagt. Wenn wir kommunizieren, verschwindet die Brotsgestalt mit der Gegenwart des Heilandes etwa innerhalb einer Stunde. Der Heiland ist dann sakramental nicht mehr in uns, wohl der Gnade, der Liebe nach, aber nicht mehr sakramental. Bei ihr ist die Hostie erhalten geblieben. Sie hat den Heiland in sich gefühlt.

Panzer: Einmal hat Therese mir erzählt, daß sie das Sterben Pius XII. miterlebt hat.

Naber: Ja, da war sie dabeigewesen. Sie hat auch den Arzt gesehen. Darüber ist manches geschrieben worden. Ähnliches ist auch vom Sterben ihres sechsundvierzigjährigen Bruders Engelbert zu berichten. Der war zuerst zehn Jahre freiwillig beim Militär gewesen, dann kam

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der Krieg, und man hat ihn bis nach Norwegen hinaufgeschickt. Danach ist er bei der Post untergekommen. Später befiel ihn eine unheilbare Krankheit. Wieder und wieder mußte er ärztlich behandelt und operiert werden. Als er starb, waren wir alle dabei. Nachdem er den letzten Atemzug getan hatte, sah ihn die Resl vor dem Heiland als seinem Richter. Zugleich mit ihm waren mehrere verstorbene Verwandte gekommen. Der Heiland hat den Engelbert gut angeschaut, und dann sind alle hinauf in den Himmel. Als ihre Schwester Ottilie starb, hat sie das Gleiche gesehen. Auch bei ihrem Vater. Da ging es freilich anders zu. Als das Gericht zu Ende war, haben der Heiland und alle Himmlischen mit ihm den Platz verlassen, sind in den Himmel zurückgekehrt und haben den Vater allein gelassen. Und der stand tieftraurig da. Nun begann sein Fegfeuer.

Panzer: Was Sie mir da vom Vater der Therese erzählt haben, war mir schon bekannt. Ich habe nämlich an der Beisetzung des Ferdinand Neumann teilgenommen. Hernach traf sich die Trauergesellschaft im Gasthof „Deutsches Haus“ zu einem Mahl. Auch der damalige Regensburger Domprediger Pater Leo war, dabei. Später gesellte sich auch Therese dazu. Als sie eintrat, ging ich auf sie zu und fragte Sie, weshalb sie denn heute am Grab so bitterlich geweint habe. „Ihr Vater ist doch ganz gewiß im Himmel“, sagte ich. Die Resl darauf: „Eben niad“ (eben nicht). Nun, Herr Pfarrer, haben Sie mir den Tatbestand bestätigt.

Panzer: Schon lange wollte ich wissen, welche Heiligen denn Therese Neumann bevorzugt verehrt hat.

Naber: An erster Stelle natürlich Theresia vom Kinde Jesu. Der verdankte sie ja auch die Heilung von der Blindheit und Lähmung. Offensichtlich hat ihr auch das Temperament der neuen Heiligen zugesagt, ihre Frische und Lebendigkeit. So war ja die Resl auch. Natürlich verehrte sie auch sehr Maria, die Gottesmutter. Man hat ihr nachgesagt, hier lasse ihre Frömmigkeit zu wünschen übrig. Solchen Anschuldigungen gegenüber beteuerte die Resl immer wieder, wie „schrecklich gern“ sie Maria habe.

Panzer: Auch Papst Pius X., der spätere Heilige, war ihr doch ganz nahe gestanden.

Naber: Auf den hat sie viel gehalten. Man vermutet nämlich, daß dieser Papst seinen Nachfolger Pius XI., was Konnersreuth betrifft, günstig beeinflußt hat. Pius XI. hat sich voll überzeugt für Konnersreuth eingesetzt. Er ließ Therese Neumann sogar zu sich einladen. Ein österreichischer Adeliger, welcher der päpstlichen Garde angehörte, machte einmal Urlaub und gab zu verstehen, daß er auch Konnersreuth besuchen wolle. Als der Papst dies hörte, ließ er den Osterreicher rufen und gab ihm für Therese Neumann eine Reliquie des Franz von Assisi mit.

Panzer: In diesem Zusammenhang ist noch ein dritter Papst zu nennen, der ihr viel bedeutet hat, Pius XII. über ihn habe ich mich einmal eingehend mit Therese unterhalten.

Naber: Ja, das ist mir bekannt.

Panzer: Wie war denn das Gebetsleben der Resl beschaffen. Darüber weiß ich soviel wie nichts. Ich vermute, daß sie vor allem in den Nachtstunden gebetet hat.

Naber: Ja, das stimmt. Tagsüber hatte sie ja kaum Gelegenheit dazu, weil sie da so viel von Besuchern geplagt worden ist. Aber Therese wollte nicht nur beten, sie wollte auch arbeiten. Arbeiten galt ihr sehr viel. Gebet und Arbeit gehörten für sie zusammen. Als es zur Gründung des Klosters kam, trat sie besonders für solche Weise des Lebens ein. Die dort anzusiedelnden

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Ordensschwestern sollten über ihre Gebetspflicht hinaus auch arbeiten, das heißt, die im Kloster untergebrachten Pensionärinnen betreuen.

Panzer: Sie sprachen einmal davon, daß die Resl mit ihrem Engel, das heißt mit ihrem sogenannten Schutzengel, innigen Umgang gepflogen habe. Wie war das?

Naber: Ja, mit dem hat sie immer wieder geplaudert und erfolgreich verhandelt. Wenn irgendwo etwas Besonderes vorgekommen ist, war sie häufig der Überzeugung, daß da der Schutzengel dahinter gewesen sein müsse.

Panzer: Auch der Dämon, nach christlichem Verständnis der Teufel, ist ja ein Engel, allerdings einer, der von Gott abgefallen ist und nun versucht, auch den Menschen in die Verderbnis der Gottferne zu stürzen. Auch Therese, so haben Sie mir einmal erzählt, habe er nicht in Ruhe gelassen.

Naber: Besonders zur Faschings- und Kirchweihzeit hat er sie gequält. Nichts weiter wollte er erreichen, als daß sich Therese vom Leiden absetze, daß sie also nicht mehr leiden solle. Das Mitleiden mit dem Heiland aufkündige. Dann würden alle Betrübnis und alles Unangenehme schwinden. Sie werde dann wieder heiter und lustig und fröhlich sein können wie alle anderen Menschen auch. Da ist ihm die Resl dann mit aller Entschiedenheit entgegengetreten und hat gesagt: „Ich will, was der Heiland will, und wenn der Heiland will, daß ich leide, dann leide ich eben.“

Panzer: Hat er sich dann entfernt?

Naber: Nein, nein, dann begann er mit schändlichsten Ausdrücken auf den Heiland zu schimpfen, nannte ihn sogar einen Hund, der sich nur deswegen habe annageln lassen, damit ihm die Leute nachlaufen. Auch Maria hat er gelästert. Doch wenn es dann gar zu arg geworden ist, hat die Resl mich rufen lassen und gebeten: „Vertreib“ ihn!“ Ich griff dann zu geweihtem Wasser. Daraufhin ließ er sie in Ruhe.

Panzer: Und wie hat sie denn nun den Teufel gesehen? Jemand hat mir gesagt, er sei ihr wie ein modern gekleideter Gentleman entgegengetreten.

Naber: Nein, sie hat ihn nicht gesehen, sondern nur gehört. Einmal freilich hat sie den Sturz der aufrührerischen Engel aus dem Himmel geschaut. Das aber war für sie so ungeheuerlich, so schrecklich gewesen, daß sie den Heiland gebeten hat, er möge sie diese Vision nicht mehr erleben lassen, diese Verwandlung der lichten Geister in Geister der Finsternis.

Panzer: Dem Teufel war ja solche Macht gegeben, daß er sogar an Jesus, den Gottessohn, herantrat, um ihn von seinem Heilsplan abzubringen. Damals in der Wüste und dann in Jerusalem. Auch diese Szenen hat Therese Neumann geschaut. Sie erzählten mir einmal davon. Können Sie mir jene Dramatik noch etwas eingehender schildern?

Naber: Da ist der Heiland in der Wüste draußen, und es kommt der Satan zu ihm und hält ihm ein paar Steine hin: „Wenn Du der Sohn Gottes bist, dann sprich, daß diese Steine zu Brot werden!“ Da hat der Heiland gesagt: „Der Mensch lebt nicht allein vom Brot, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt.“ Dann hat er ihn auf die Tempelzinne hinaufgetragen. Stellen Sie sich vor: Der Heiland läßt sich vom Teufel durch die Luft schleppen! Welche Erniedrigung, welche Verdemütigung! Dort droben sagte der Teufel zu Jesus: “Da schau, wenn Du da jetzt hinunterspringst unter die Leute hinein und wenn Dir

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dabei nichts passiert, dann wird es im Volk ein großes Staunen und Rühmen geben.“ Der Heiland darauf: „Du sollst den Herrn, Deinen Gott, nicht versuchen!“ Dann nahm er Jesus auf einen hohen Berg mit und zeigte ihm alle Reiche der Welt in ihrem Glanz und in ihrer Schönheit und sagte: „All das will ich Dir geben, wenn Du niederfällst und mich anbetest!“ Da ist der Heiland dann ernst geworden: „Es steht geschrieben: Du sollst den Herrn, Deinen Gott, allein anbeten und ihm allein dienen. Weiche Satan!“ Oh, da hat er sich dann, ganz schnell davongemacht. Das hat die Resl alles geschaut. Das waren ganz dramatische Schauungen.

Panzer: Aber die wichtigste Schauung ihres mystischen Lebens war doch immer wieder jene der Passion Jesu.

Naber: Das war der Resl die Hauptsache, das Leiden, das sie erduldet hat. Ich bin vierundvierzig Jahre neben ihr gewesen, vierundvierzig Jahre. Was sie in dieser Zeit alles gelitten hat, das kann man sich gar nicht vorstellen. Die Wundmale, immer Schmerzen, Hände, Füße, Seite und Kopf. Immer Schmerzen. Wenn Leute sie begrüßt und ihre Hand auch nur ein wenig zusammengedrückt haben, empfand sie argen Schmerz. Mit den Fußsohlen konnte sie gar nicht auftreten, sondern nur mit dem Rand der Füße und auf den Fersen, sonst hätten ihr die Wundmale der Füße Schmerzen bereitet. Das war keine Kleinigkeit. Fünfhundert- oder gar sechshundertmal hat sie in diesen vierundvierzig Jahren das ganze Leiden Christi geschaut, vom Ölberg bis nach Kalvaria. Sie ist mit dem Heiland gegangen und hat alles gesehen, auch das Kleinste, was mit ihm geschehen ist. Aber sie hat nicht nur geschaut, sondern Jesu Todesqualen auch mitgelitten.

Panzer: Die Passion begann doch stets in der Nacht vom Gründonnerstag zum Karfreitag.

Naber: Ja, etwa um Mitternacht. Da hat das Leiden begonnen, da hat sie den Heiland getroffen auf dem Weg zum Ölberg hinaus, sie hat sich angeschlossen und den Heiland auf seinem Leidensweg Schritt für Schritt begleitet. Sie hat alles ganz genau gesehen, was er gelitten hat, aber nicht bloß gesehen, sondern alles selber mitgelitten. Auch die seelischen Leiden, die Todesangst und Gottverlassenheit etwa. Zuerst fing dann die Herzwunde an zu bluten, dann rann Blut aus den Augen. Schließlich bluteten die Hände, die Knie, die Füße, die Geißelwunden an Brust und Rücken. Mittags hat sie den Heiland sterben sehen. Um diese Zeit ist er, gekreuzigt worden und um drei Uhr ist er dann gestorben. Der plötzliche Tod Jesu war stets fürchterlich. Da wurde ihr Antlitz bleich, fahl und länglich, einem Totengesicht ähnlich, die Todesqualen hatten ihren Höhepunkt erreicht. Therese selber ist übrigens an einem Herzleiden gestorben. Schon lange litt sie an Angina pectoris. Wenn sich dann immer wieder Herzkrämpfe einstellten, hat man jedesmal befürchten müssen, es könnte ein plötzliches Ende eintreten.

Panzer: Nach diesem schrecklichen Leiden, mit dem ja auch ein ganz erheblicher Blutverlust verbunden war, ist sie dann am Ostermorgen sofort wieder aufgestanden und hat den Ostergottesdienst besucht. War das wirklich so?

Naber: Am Ostermorgen um fünf Uhr! Da hat sie den Heiland auferstehen sehen auf dem Kalvarienberg draußen. Dorthin hatte er auch seine Mutter bestellt, und die ist mit einigen Frauen hinausgegangen. Die Resl erzählte: Die Mutter ist dann weitergegangen bis zum Ort der Kreuzigung, wohin der Heiland die Mutter gerufen hatte. Die anderen Frauen gingen zum Grab, um den Leichnam zu sehen. Und die jammerten: Wer wird uns denn den Stein wegwälzen? Der aber war schon weg. Die Mutter hat offensichtlich die Auferstehung Jesu erlebt. Ihr ist Jesus zu allererst erschienen.

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Panzer: Therese Neumann hat ja auch die Himmelfahrt Jesu miterlebt. Darüber habe ich bereits einiges vernommen. Wie lief denn dieses Ereignis gemäß den Schauungen der Stigmatisierten ab?

Naber: Die Himmelfahrt Jesu geschah nach meiner Erinnerung gegen vier Uhr morgens. Schon in aller Frühe hatte der Heiland die Seinen auf den Ölberg hinausbestellt. Nach einer kurzen Stärkung im Abendmahlssaal brachen Maria, die Apostel und Jünger dorthin auf. Auch die Resl war mit ihnen, ebenso die Frau des Pilatus.

Panzer: Tatsächlich?

Naber: Ja. Die war nämlich eine Anhängerin des Heilands. Sie hatte ja ihren Mann gewarnt, daß er sich an Jesus schuldig mache, denn sie hatte in jener Nacht wegen dieses Gerechten viel zu leiden gehabt. Sie forderte sogar den Siegelring des Pilatus als Pfand, daß er diesen Jesus ja nicht verurteile. Als sie bei der Gerichtsverhandlung merkte, daß Pilatus wankelmütig zu werden begann, schickte sie ihm den Ring. Aber sie hat dann doch nicht mehr helfen können.

Panzer: Wie ging's nun weiter am Himmelfahrtstag?

Naber: Es muß wohl eine ergreifende Stunde gewesen sein. Alle sahen den auferstandenen Heiland verklärt. Er hat noch eine Ansprache an alle gehalten, dann wandte er sich an die Apostel und schließlich nahm er von seiner Mutter Abschied. Die hat geweint. Kann man sich denken. Nach diesen Reden erhob er sich, stieg zum Himmel empor und entschwand.

Panzer: Das Kreuz, an dem Jesus wie ein Verbrecher zu Tode kam, ist ja nicht verlorengegangen. Es lag meines Wissens unter der Erde und wurde dann unter mysteriösen Umständen wiedergefunden. Auch da hatte, glaub' ich, Therese Neumann eine den historischen Hintergrund aufhellende Schauung.

Naber: Da waren wir einmal in Weingarten. Man hatte uns eingeladen, und wir sind dann auch hingefahren. Acht Tage sind wir geblieben. Der Aufenthalt dort hat uns sehr beeindruckt, zumal wir in Weingarten auch mit dem Kardinal Bea und dem Bischof von Fatima zusammentrafen. Auch die Fürstin Monika von Waldburg-Zeil haben wir auf ihrem Witwensitz besucht. Wir begegneten auch dem jungen Fürsten, der sich gegenüber der Resl sehr freundlich gab. Das hat der Resl wohlgetan. Wir sind dann heimgefahren. Dann hat die Resl den Vorgang der feierlichen Einholung des aufgefundenen Kreuzes geschaut. Das Kreuz war wieder in die Hände der Griechen gelangt, die es den Persern abgekämpft hatten. Vierzehn Jahre lang hatten es die Perser zurückbehalten, wohl in der Erwartung, man werde das Kreuz vielleicht einmal dringend brauchen können, etwa als Friedensbedingung, wenn ihnen, den Persern, ein christlicher Nachbar allzusehr zusetze.

Panzer: Hat damals nicht Kaiser Konstantin, als er das Kreuz auf den Kalvarienberg hinauftragen sollte, versagt, und war er dann nicht aufgefordert worden, sein Prachtgewand abzulegen?

Naber: Das hat Therese Neumann gesehen. Als die Griechen die Perser besiegt hatten, wollten sie nur dann Frieden schließen, wenn man ihnen das Kreuz zurückgebe. Das ist, geschehen. Die Griechen waren über diese Rückgabe so sehr erfreut, daß sie das Ereignis festlich begingen. Der Kaiser erklärte sich bereit, das Kreuz Christi persönlich auf den Kalvarienberg hinaufzutragen. Aber er kam mit seiner Last nicht vorwärts. Da sagte ihm der

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Bischof von Jerusalem: „Kaiser, in einem solchen Aufzug hat seinerzeit Jesus das Kreuz nicht auf den Kalvarienberg geschleppt. Keinesfalls in kaiserlichem Schmuck. Konstantin hat sich das zu Herzen genommen, allen Pomp abgelegt und sich ein ganz schlichtes Kleid übergeworfen. Barfüßig schritt er dann den Berg hinan und legte auf der Höhe das Kreuz. Das war also geschehen zur Zeit des Kaisers Konstantin und seiner Mutter, der heiligen Helena (255 bis 330). Dieser Frau ist die Auffindung des Kreuzes zu danken. Sie hatte nachgraben lassen und war tatsächlich auf Kreuzteile gestoßen. Das war recht schwierig, denn die gesuchten Balken lagen sehr tief. Nun kamen aber auch noch andere Kreuze zum Vorschein, so daß man nicht unterscheiden konnte, welches von ihnen das Kreuz Christi war. Wohl hatten die Gräber die Titelschrift des Pilatus gefunden (Jesus, König der Juden), aber niemand wußte, zu welchem Kreuz sie gehöre. Da riet der Bischof, eine schwerkranke Person kommen zu lassen, um ihr die verschiedenen Kreuzteile aufzulegen. Die Resl hat das alles ganz genau gesehen. Nun probierte man halt aus. Und in der Tat: Bei der Berührung mit ganz bestimmten Holzteilen gelang die plötzliche Heilung der kranken Person. Daraus schloß man wie selbstverständlich darauf, daß es sich hier um das Kreuz des Heilandes handeln müsse. Nur von ihm konnte eine solche Kraft ausgehen.

Panzer: Therese Neumann vermochte doch auch Partikel des wahren Kreuzes von unechten spontan zu unterscheiden.

Naber: Das Kreuz ist dann hochverehrt worden. Einen Teil von ihm schenkte die Kaiserin ihrem Sohn Konstantin, manches blieb in Jerusalem. Teile und Teilchen wurden in die ganze damalige Welt versandt, vieles gelangte natürlich auch nach Rom.

Panzer: Von der römischen Kirche Santa Croce ist mir bekannt, daß man dort eine große Reliquie des Kreuzes Christi zur Verehrung aufbewahrt.

Naber: In Eichstätt, bei Bischof Rackl, hat die Resl einmal eine Kreuzreliquie identifiziert. Der Bischof ließ diese daraufhin in kleinste Teile zerlegen und diese fassen. Auch beglaubigte er amtlich deren Echtheit. Ach mit Eichstätt war ja die Resl so vertraut. Bischof Rackl und die Hochschulprofessoren Franz Xaver Wutz und Franz Mayr hatte sie zu Freunden. Da ist die Resl bei Professor Wutz, wo sie zu wohnen pflegte, einmal in Ekstase gekommen. Das konnte bei ihr leicht passieren. Die haben da irgendwas gemacht ...

Panzer: Der Professor Mayr war doch an der Eichstätter Hochschule zuständig für Biologie.

Naber: Ja, der ist Naturwissenschaftler. Der hat der Resl allerlei schöne Bilder aus dem Leben der Natur gezeigt, wunderbare Vergrößerungen, die sie begeistert haben und bei deren Betrachtung sie viel gestaunt hat.

Panzer: Ich nehme an, daß es sich da um mikroskopische Aufnahmen gehandelt hat. Ob die Resl je einmal durch ein Mikroskop geblickt hat?

Naber: Das waren herrliche Bilder, und die Resl wurde bei ihrer Betrachtung mit solcher Freude erfüllt, daß sie in Verzückung geriet. Das geschah auch bei vielen anderen Gelegenheiten, etwa wenn sie einen schönen Sonnenuntergang erlebte. Da schaute sie hinter den Dingen Gott, seine Macht und Schönheit. Von solchen Visionen wurde sie einfach überrascht. Hier erlebte sie den sogenannten erhobenen Ruhezustand. Wenn ich dann die Resl gefragt habe, was denn nun gewesen sei, so hat sie geantwortet: „Ich hab jetzt nicht mehr denken, sondern nur noch den Heiland liebhaben können.“ Das schlußfolgernde Denken, wie es uns eigen ist, hat sie nicht mehr gehabt. Daist ein Stück Himmel. Die vollständige Hingabe

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an Gott. Einmal waren wir auf der Luisenburg im Fichtelgebirge und standen vor dem riesigen Felsenlabyrinth. Da wollte die Resl unbedingt hinauf. Wie kann denn das geschehen, dachte ich mir. Aber die Resl ist uns allen vorangegangen. Dabei begannen ihre Füße zu bluten. Aber das hat ihr gar nichts ausgemacht. Und als sie der herrlichen Felsbildungen ansichtig wurde, kam sie in Ekstase. Sie war dem Schöpfer begegnet und seiner Herrlichkeit innegeworden.

Panzer: Können Sie mir noch einiges über Thereses sogenannte ekstatische Kommunionen und deren mystischen Hintergrund erzählen? Einmal durfte ich ja dabei sein. Da hatten Sie mich vor etlichen Jahren als Beobachter mitgenommen. Als die Hostie plötzlich von der Zunge verschwand ...

Naber: Das war gewöhnlich an höheren Festtagen oder bei besonderen Anlässen. Da hat sie den Heiland vor der Kommunion sehen dürfen. Eigens dafür haben wir ihr hinter dem Hochaltar einen Sitz aufgebaut, der einem Beichtstuhl ähnelt. In der Kirche ist ja kein einziges Plätzchen, an dem man sich vor den Leuten verborgen halten könnte. Und die Resl wollte nicht begafft werden. Diesen Sitz konnte man auch heizen, denn die Resl hat unter der Kälte sehr gelitten. Wenn man nun an solchen Tagen dorthin mit der heiligen Hostie kam, geriet sie in erregte Verzückung und sie hat dann weder den Priester noch die Hostie, sondern nur den verklärten Heiland gesehen, so, wie er von den Toten auferstanden ist. Nachher stellte sich der erhobene Ruhezustand ein. Da konnte man Fragen an sie stellen, wenn zuweilen etwas Wichtiges zur Entscheidung stand, und man hat auch Antwort bekommen. Dem Professor Rackl hatte sie Jahre zuvor vorausgesagt, daß er einmal Bischof von Eichstätt werde. So geschah es auch. Ja - Eichstätt! Dort war die Resl auch sehr befreundet mit der Äbtissin des Benediktinerinnenklosters, Benedicta von Spiegel. Die duzten sich sogar. Diese Äbtissin war eine theologisch hochgebildete und überaus vielseitige Frau.

Panzer: Ich kenne sie von der Literatur her. Ich habe zwei Bücher von ihr gelesen, die mich sehr bereichert haben. Sie hat sich auch eingehend mit Fragen der Mystik beschäftigt.

Naber: Die Abtissin hat der Resl immer wieder alles Interessante im Kloster gezeigt, auch den Stall, denn dem Kloster war eine große Ökonomie angeschlossen. Diese Freundschaft miterleben zu dürfen, war mir stets eine Freude. Eichstätt! Sehen Sie, das war der große Unterschied zwischen Eichstätt und Regensburg. In Eichstätt waren alle für die Resl, der Bischof, die Professoren und die Geistlichen, die bei ihnen studiert hatten. Besonders Professor Wutz, der persönlich sehr bescheiden war, aber sich auch energisch, ja draufgängerisch zeigen konnte. Die dortigen Priester und Studenten haben immer wieder gesagt: „Wenn in Konnersreuth ein Schwindel vorläge, dann wäre der Professor Wutz längst dahintergekommen.“

Panzer: Aber gab es im Hochschulbereich nicht auch Gegner von Konnersreuth? Ich hörte davon.

Naber: Doch. Da war in Regensburg ein Professor Waldmann, der dort Moraltheologie gelehrt hat. Der nun hat bei jeder Gelegenheit gegen Therese Neumann gesprochen bei jeder Gelegenheit.

Panzer: Er soll aber nur ein einziges Mal in Konnersreuth gewesen sein. Wie hat er sich denn da verhalten?

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Naber: Ja, einmal ist er gekommen. Aber nicht allein. In seiner Begleitung waren mehrere Herren. Als ich von der Resl wegging, hob sie die Hände hoch. Daran konnte man erkennen, daß noch eine Vision komme. Da waren die Herren dabei. Hernach kam der Professor Waldmann zu mir in den Pfarrhof und fragte, was die Resl denn geschaut habe. Therese sagte mir, daß sie die Verklärung Christi erlebt habe. Die Kirche feierte nämlich an eben diesem Tag das Fest der Verklärung. Ich erzählte dies dem Professor Waldmann, und der sagte darauf: „Das habe ich mir gedacht.“ Später habe ich erfahren, daß Waldmann seinen Leuten zuvor gesagt habe: Denkt nur jetzt fest daran und konzentriert euch darauf, daß Therese Neumann heute unter allen Umständen die Verklärung Jesu schauen muß! Sie haben sich, also eingebildet, sie hätten auf diese Weise die Schauung suggestiv hervorgerufen ... Ich habe dann von dem Professor Waldmann nichts weiter mehr gehört. Hab ihn auch nicht näher gekannt.

Panzer: Jedenfalls hat er in Regensburg eine ganze Theologengeneration gegen Konnersreuth geimpft.

Naber: Es ist halt so, daß ein Student seinem Professor zunächst alles glaubt, was er sagt oder lehrt. Da war noch einer aus Regensburg dabei, der sich auffallend kritisch benahm. Naja - und der Bischof dort, Erzbischof Michael Buchberger, der war wohl überzeugt, daß in Konnersreuth alles mit rechten Dingen zuging. Aber ich weiß nicht ... der hat sich nicht recht getraut, Ein Amerikaner hat ihn einmal hart angefaßt: „Exzellenz, wie stehen Sie zu Konnersreuth?“ Seine Antwort: „Zurückhaltend.“ Ich habe mit dem Bischof ganz offen geredet. Einmal waren wir in Wiesau zusammen, sind im Friedhof hin und hergegangen. Da haben wir buchstäblich gestritten miteinander. Später sah ich mich sogar gezwungen, einen längeren Artikel zu schreiben, wie er mir gar nicht gleichsieht. Ich hab' mich selber darüber gewundert. Da hatte mich nämlich ein Jesuit geärgert. Ich weiß nicht mehr wie er geheißen hat. Sein Artikel war in einer Zeitschrift seines Ordens erschienen.

Panzer: Wahrscheinlich in den „Stimmen der Zeit“.

Naber: Da bin ich ganz energisch geworden.

Panzer: Hier liegt ja ein überaus eindrucksvolles Bild der Resl vor Ihnen.

Naber: Das hat Dr. Mittendorfer, ein Arzt aus München, aufgenommen. Der ist heute auch da. Ich hab' ihn vorhin getroffen. Die Aufnahme stammt noch aus der ersten Zeit der Stigmatisation. Da hat Mittendorfer Therese in Eichstätt bei Professor Wutz fotografiert. Sie schläft. Sehen Sie, wie da ihre Hand den Kopf hält! Der Gesichtsausdruck ist herrlich.

Panzer: Mir ist aufgefallen, daß ihr Antlitz im erhobenen Ruhezustand zuweilen ausgesprochen schön erscheint.

Naber: Das ist gewiß so.

Panzer: Darf ich Sie, Herr Geistlicher Rat, zum Schluß noch fragen nach dem Stellenwert der Eucharistie im Leben der Therese Neumann. Der eucharistische Christus war ihr doch Mittelpunkt schlechthin.

Naber: Gewiß - aber sagen wir, noch höhergreifend: Die Liebe zum Heiland. Der Heiland hat bei der Resl alles gegolten. Wenn man sie gesehen und erlebt hat, kann man sich nur wundern, wie der Heiland einem so einfachen Menschenkind solche Herablassung und Liebe

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entgegenbringen kann. Ihr ganzes Leben war von der Liebe zum Heiland bestimmt. Nach außen hin hat sich die Resl kaum bemüht, stets völlig tadellos zu erscheinen.“ Da hat sie sich ziemlich gleichgültig verhalten. Wenn es aber um den Heiland und seine Ehre ging, dann gab es weder Halbheiten noch Kompromisse „Der Heiland über alles!“ Von diesem Grundsatz her lebte sie. Darin gründet das Geheimnis ihres Lebens.

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Zeugen

Die Zahl derer, die Therese Neumann erlebt und von ihr mehr als nur beeindruckt waren, läßt sich nicht, ermitteln. Man vermag sie, kaum zu ahnen. Viele von ihnen wußten sich von den Konnersreuther „Phänomenen“ in einem Maße betroffen, daß sie sich mit dem bloßen Eindruck nicht zufriedengeben konnten und deshalb begannen, das Unbegreifliche durch naturwissenschaftliche oder theologische Forschung zu ,erhellen. Da waren heftige Dispute und literarische Fehden unausbleiblich. Die meisten Zeugen jedoch enthielten sich des, überflüssigen Streits. Sie kamen, sahen und glaubten. Zu ihnen zählen auch jene fünf Persönlichkeiten, die ich nunmehr dem Leser vorstellen möchte: Helmut Fahsel, Dr. H. Lemke, Dr. Placidus Jordan, Dr. Richard Sattelmair und Josef Schuhmann. Den meisten werden diese Namen kaum etwas besagen. Die vier Erstgenannten sind längst verstorben. „Greifbar“ ist nur noch Geistlicher Rat Josef Schuhmann, der Nachfolger des Pfarrers Josef Naber. Er verbringt in Konnersreuth den Lebensabend. Ich habe mich diesen Zeugen deshalb zugewandt, weil ich sie alle mit Ausnahme des Dr. Lemke aus Berlin - persönlich gekannt, mit ihnen über Therese Neumann gesprochen und von ihnen vielfältige Denkanstöße empfangen habe. Ich durfte sie alle auch als kritische Beobachter kennenlernen, die einzig auf Wahrheit bedacht waren. Die fünf dünkten mich alles andere als Frömmler, religiöse Schwärmer oder die Wirklichkeit überspielende Utopisten. In ihren Köpfen geisterte kein realitätsfremder Mystizismus. Jeder von ihnen praktizierte einen Beruf und stand mit beiden Beinen mitten im Leben.

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Helmut Fahsel

Unter jenen Persönlichkeiten, die ich im Zusammenhang mit den mystischen Vorgängen in Konnersreuth kennenlernen durfte, war er die mir am meisten zusagende: Kaplan Helmut Fahsel. Kein einziger klerikaler Ehrentitel schmückte seinen Namen. Bis zu seinem Lebensende - er wurde zweiundneunzig Jahre alt - nannte er sich „Kaplan“. Als solcher hatte er sich einst durch seine Predigten weit über Deutschland hinaus einen Namen gemacht. Wo immer er auftrat, strömten ihm, besonders in den Großstädten, die Massen zu. Vor allem deswegen, weil er „aktuell“ zu predigen und die Wahrheiten des Christentums als Frohbotschaft zu vermitteln verstand. Wortmächtig widersprach er dem Zeitgeist, überzeugend zog er gegen den Materialismus als Weltanschauung und Lebenspraxis zu Felde.

Helmut Fahsel wurde am 2. November 1891 in Kiel geboren. Noch im gleichen Jahr übersiedelte er mit seinen Eltern nach Berlin. Die Mutter bekannte sich zum evangelisch-reformierten Glauben, der Vater zeigte sich kaum geneigt, dem Christentum bewußt näherzutreten. Nach dem Volksschulabschluß begann Helmut Fahsel als Volontär eine Buchhändlerlehre.

Der Drang nach Bildung hatte ihn wohl zu dieser Berufswahl veranlaßt. In diese Zeit fallen entscheidende Begegnungen. Er lernte zwei Männer kennen, die für seinen geistigen Lebensweg bestimmend werden sollten: den Jesuiten Georg von Sachsen und den Rabbiner Beck. Ihr Einfluß auf den jungen, lebensfrohen, sogar als Boxer auftretenden Helmut war derart, daß er sich entschloß, das Abitur nachzuholen, um später studieren zu können. Darüber hinaus wußte er sich vom Evangelium Jesu in einem Maße angesprochen, daß er den katholischen Glauben

annahm und später in Innsbruck Theologie studierte. Dieser Lebenswende war ein visionäres Erlebnis vor einer Statue des heiligen Thomas von Aquin in einer Berliner Kirche vorausgegangen. Am 20. Juni 1920 empfing er die Priesterweihe. Dann berief ihn sein Bischof als Kaplan an die Kirche Sankt Klara in Berlin. Als die Nazis kamen, erkannten sie in ihm sofort einen ernstzunehmenden Gegner. Sie nannten ihn einen Juden, obwohl er von Geburt Nichtjude war. Seine rhetorisch kaum zu überbietenden Predigten hatten ihn verdächtig gemacht. Bevor er in den Ruhestand trat, wirkte Fahsel als Pfarrer an der Kirche Sankt Albertus Magnus in Berlin. Dann zog er sich in die Schweiz zurück. Er starb am 15. Januar 1983 in Locarno.

Helmut Fahsel war Theologe. Aber er war kein Doktor der Theologie, denn er legte wenig Wert auf akademische Auszeichnungen. Er verstand das Wort „Theologie“ von seiner ursprachlichen griechischen Bedeutung her als „Rede von Gott oder über Gott“. Solcher Rede wußte er sich ein ganzes Leben lang verpflichtet. Diesen Gott wollte er bekannt machen, damit viele ihn verstehen und lieben lernten. Auf dieses Ziel hin hatte auch er selbst nach einem Führer und Wegbegleiter Ausschau gehalten. Er fand ihn in Thomas von Aquin, dem bedeutendsten Theologen des Mittelalters, dem auch heute noch hohe Aktualität zugesprochen werden muß. Fahsel war von diesem Meister der Logik fasziniert. Derart, daß er daranging, ein Riesenwerk des Thomas zu übersetzen und zu kommentieren: die „Summa contra gentiles“, „Die Summe wider die Heiden“ oder, wie es im Untertitel heißt, „Die

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Verteidigung der höchsten Wahrheiten“. Dieses literarische Lebenswerk des Helmut Fahsel brachte ein Schweizer Verlag in sechs Bänden auf den Buchmarkt. Die Kommentare des Übersetzers lassen auf fast jeder Seite eine Universalität des Wissens und der Belesenheit erkennen, die erstaunen macht. Fahsel hatte einen im 13. Jahrhundert neben seinem Lehrer Albertus Magnus hochmodernen, ja aufrührerischen Denker entdeckt. Dieser Thomas hatte nämlich gewagt, sich gegen den Willen des Papstes in seiner Glaubensbegründung auf einen vierhundert Jahre vor Christus geborenen griechischen Philosophen zu beziehen, auf Aristoteles. Der galt den damaligen Gottesgelehrten für ihr Denken als völlig unzuständig, denn er war - wie die Christen sagen - „Heide“. Thomas machte sich deshalb an der Universität Paris den „Traditionalisten“ gefährlich unglaubwürdig. Dennoch begründete er eine Theologie, die ob ihrer geistigen Dichte und Klarheit Bewunderung auslöst. Sogar der Dichter Hermann Hesse geriet ins Staunen, als er sich mit der zweiten Summe des Thomas von Aquin, der „Summa theologica“, auseinander setzte.

Diese Rückblende in mittelalterliches Geistesleben war nötig, um meinen Zeugen, den Kaplan Helmut Fahsel, ins rechte Licht zu rücken. Sein Beobachten, Denken und Urteilen waren an Thomas von Aquin orientiert. Auch sein Verständnischristlicher Mystik. So konnte er mir denn einmal anvertrauen, daß Pfarrer Naber Dinge sage, die er, normalerweise nicht wissen könne. Daß dessen durchdauernde, bewundernswerte Gesundheit ihren Grund darin habe, daß sein Denken und Sinnen stets nur auf eines, nicht aber auf vieles gerichtet seien, auf Christus nämlich. Menschen von solcher Art blieben gesund. An Therese Neumann bewunderte Fahsel vor allem deren Kindlichkeit. Der kindliche Mensch aber werde heute nicht mehr verstanden, ja er werde angefeindet von denen, die in der Welt „etwas sein und gelten wollten“. Deshalb erwähle Gott vor allem einfache, kindliche Menschen, um sich an ihnen und durch sie zu offenbaren.

In Konnersreuth machte Helmut Fahsel merkwürdige Beobachtungen. Einmal sagte er mir, er treffe hier immer wieder auf Menschen, denen man anmerke, daß sie von „Mystik“ ergriffen seien. Ihr Reden und Tun lasse keinen anderen Schluß zu. Wie überraschte er mich doch mit der geistig nur schwer nachvollziehbaren Feststellung: „Hier in Konnersreuth ist alles mystisch!“ Derartiges kann nur einer behaupten, der sich auf eindeutige Erfahrungen zu berufen vermag. An dieser Stelle erscheint mir auch eine Episode in Berlin wichtig. Fahsel pflegte in den notvollen Nachkriegsjahren immer wieder Strümpfe für arme Leute nach Konnersreuth zu schicken. Kurz vor einer Reise nach Konnersreuth trat aus dem Menschengewühl der Großstadt auf Fahsels Haushälterin eine ihr völlig fremde Frau zu, um ihr zu bedeuten, sie solle doch ja nicht auf die für Konnersreuth bestimmten Strümpfe vergessen. Fahsel schloß daraus auf unsichtbare Verbindungen und Beziehungen von Konnersreuth her, ja er meinte sogar, daß dabei Engel im Spiel sein könnten.

Nicht selten bestieg Helmut Fahsel die Kanzel der Konnersreuther Pfarrkirche. Gerade in seinen Predigten wurde deutlich, daß er nicht gekommen war, um in aufdringlicher Rede die Konnersreuther Mystik zu verherrlichen. Im Gegenteil: Er predigte im Geiste Thomas von Aquins. Einmal hatte er als Thema ein Wort seines Lieblingsheiligen gewählt. Dieser Satz, so ließ er mich wissen, sei ihm Lebensmaxime. Er lautet lateinisch so: Omnis recta ratio vult semper Deum contemplari et semper aliquid facere meritorium. Wörtlich übersetzt: Jede rechte Vernunft will stets Gott betrachten und stets irgendetwas Verdienstliches tun. In freier Rede wiedergegeben würde das etwa bedeuten: Jeder wahrhaft vernünftige Mensch sollte stets der Gegenwart Gottes eingedenk und bemüht sein, jederzeit Gutes zu tun. Bei anderer Gelegenheit wiederum klagte er im Predigtwort die weithin dem Materialismus verfallene Menschheit und den Übermut der Technik an, die sogar vermöge, den eigenen Planeten zu zerstören.

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Seine Stellung gegenüber Therese Neumann war klar und unverrückbar. Keine Einwände der Gegner vermochten sie zu erschüttern. Seine Sicht der Mystik von Konnersreuth präzisierte er einmal in größerem Zusammenhang so: „Obschon ich zur Zeit meiner ersten persönlichen Bekanntschaft mit Therese meine öffentliche Vortragstätigkeit nicht in den Dienst von Konnersreuth stellte, auch nicht darüber schrieb, auch von seiten der Therese und ihrer Umgebung niemals dazu irgendwie angesprochen wurde, so wurde ich doch, als man draußen nach zwei Jahren meiner oftmaligen Besuche in Konnersreuth etwas davon erfuhr, von vielen Seiten aufgefordert, hierüber zu reden und zu schreiben. Sprach ja schon seit 1927 nicht nur die ganze Presse Deutschlands, sondern auch des Auslandes von diesem Falle, und überall diskutierte man die Fragen: Ist es echt oder unecht? Was hat das Ganze für einen Sinn und wie kann man die angeblichen Phänomene von Konnersreuth mit unserer christlichen Weltanschauung, mit unserem Glauben und unserer Moral vereinbaren? Hierüber Auskunft zu geben, versuchte ich nun mit meinen Vorträgen an vielen Orten Deutschlands, der Schweiz und Hollands während der Jahre 1931 und 1933, dann von 1934 bis 1950 in der Schweiz und ab 1951 wieder in Deutschland, und zwar aufgrund folgender Erkenntnisse:

1. Therese Neumann ist keine kranke Person, weder psychisch noch physisch.

2. Weder sie noch ihre mit ihr vertraute Umgebung hat mir je auch nur den Anschein irgendeiner moralisch anfechtbaren Gesinnung oder Machenschaft nahegelegt.

3. Die einzelnen mystischen Gnadengaben und Phänomene lassen sich vereinbaren mit den gediegensten und bekanntesten Lehrbüchern der Theologia mystica und mit den Monographien katholischer Heiliger und Mystiker, die ich seit 1911 bis heute in meiner Bibliothek zu sammeln und zu studieren pflege.

4. Diese Gnadengaben und Phänomene an der Person der Therese und in ihrer nächsten Umgebung erwiesen sich mir im Laufe meiner Erfahrungen in Konnersreuth als solche, die einander nicht widersprechen, sondern im Gegenteil einen organischen Zusammenhang bilden, so daß sich ihre Echtheit auch von dorther erweist. Therese ist eine ausgesprochene Christus-Mystikerin, und der Heiland, scheint den ganzen Komplex von Konnersreuth zu dirigieren, ebenso Thereses Verhalten gegenüber ihren Besuchern.

5. Hierzu gehört auch der mystische Einfluß, den seit ihrer plötzlichen Heilung von Blindheit und Lähmung die heilige Theresia vom Kinde Jesu auf sie ausübt, die ihr bei ihrer Heilung am Tag ihrer Heiligsprechung zum erstenmal erschien und von da ab fast jeden Monat, um Therese asketisch zu bilden und zu ermahnen und zwar mit dem oft wiederholten Hinweis: „Durch Deine nun bevorstehenden Leiden darfst Du beitragen zum Heile der Seelen. Bewahre Deine Kindlichkeit und Demut! Alles Außergewöhnliche an Dir geschieht, damit die Welt erkenne, daß es ein höheres Eingreifen gibt.“

6. Mit dem Einfluß der heiligen Theresia vom Kinde Jesu und dem außergewöhnlichen sakramentalen Innewohnen des Heilands hängt auch zusammen, wie Therese sich gegenüber ihren Besuchern in Konnersreuth in Stimmung und Benehmen verhält, ein Verhalten, das hie und da falsch gedeutet wird, ja gelegentlich zu heftigem Widerstand gegen Konnersreuth geführt hat. In solchen Fällen ist Therese offenbar ein Werkzeug dessen, der in ihr ruht, der aber auch in seiner nächsten Umgebung unduldsam ist gegen alles Eitle, Gekünstelte sowie übertriebenes Pochen auf Titel und Wissenschaftlichkeit. Heilsbegierde und Bußgesinnung sind ihm wichtiger.

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Dr. med. et phil. Lemke

Schon bald nach dem Auftreten der Wundmale an Therese Neumann und dem Bekanntwerden ihrer Nahrungslosigkeit kam dieser Berliner Arzt nach Konnersreuth. Ich war ihm nie begegnet. Seine Biographie blieb mir ebenso unbekannt wie die Bedeutung des „H. „ vor seinem Familiennamen. Nur seine 1927 in Berlin publizierte Schrift über die Stigmatisierte liegt mir vor. In irgendeiner Antiquariatsbuchhandlung hatte ich sie vor Jahrzehnten „entdeckt“. Seitdem ist mir das schmale Bändchen aus mehreren Gründen kostbar geworden.

Lemke bekennt sich eindeutig zur Psychosomatik, das heißt zu einem Verständnis des Menschen als leibseelischer Ganzheit. Seine Therapie nimmt demnach die Seele des Menschen, den unsichtbaren Teil seines Wesens, ebenso ernst wie den Leib. Nur im harmonischen Zusammenwirken beider entsteht nach dieser medizinischen Lehre Gesundheit. Gottlob finden derartige Überlegungen auch in die moderne Medizin, wenn auch zögernd, mehr und mehr Eingang. Die griechischen Arzte der Antike hatten bereits fünfhundert Jahre vor Christus psychosomatische Heilungsmethoden erfolgreich praktiziert. Geradezu wunderbar anmutende Heilerfolge sind uns - etwa aus Epidauros - überliefert. Auf sie kann hier nicht näher eingegangen werden.

In diese große Tradition reihte sich auch Dr. Lemke ein. Dies machte ihn mir von vornherein sympathisch. Doch er war nicht nur Doktor der Medizin, sondern auch der Philosophie. Darin wird er den Therapeuten der Antike noch ähnlicher, denn die Ärzte jener frühen Jahrhunderte waren auch, ja, vielleicht vorab Philosophen, das heißt, sie entwickelten ihre Medizin entscheidend von „Weisheit“ her.

„Ich bin, an den Fall Konnersreuth“, schreibt Dr. Lemke, „in erster Linie als Arzt und Naturwissenschaftler herangetreten und habe alle diese Gedanken veröffentlicht, weil ich der modernen Wissenschaft das beschämende Bekenntnis ersparen möchte, daß sie sich einem solchen Fall gegenüber wissenschaftlich nicht einstellen kann und nicht in der Lage ist, ihn wissenschaftlich zu behandeln. Ich` habe das versucht und bin zu folgendem Ergebnis gekommen: Im Falle Konnersreuth sind materielle, somatische (leibliche, körperliche) Vorgänge, deren Gesetzmäßigkeit man naturwissenschaftlich feststellen und nachprüfen kann, zum Ausgangspunkt genommen. Es sind durch körperliche Vorgänge ewige, mit dem Menschenverstand nicht faßbare, also göttliche Wahrheiten veranschaulicht. Durch ihre Leiden ist der Körper der Stigmatisierten in solcher Weise in einen für uns scheinbar krankhaften Zustand versetzt, aber erst dieser Zustand ermöglicht dem Körper das Eingehen auf jene, wunderbaren Erscheinungsformen, die in Konnersreuth vorliegen.“

Bei seiner Deutung der Phänomene rückt der Berliner Arzt die Stigmatisation der Therese Neumann an die erste Stelle. Sie ist der Ausgangspunkt seiner Überlegungen: „Hat Therese die Wundmale Christi an ihrem Körper oder nicht? Sind die Wundmale echt oder künstlich nachgemacht? Das ist der Kernpunkt des ganzen Problems von Konnersreuth. Die Taktik der Gegner nun läuft klugerweise darauf hinaus, Nebensachen zu bestreiten und zu bekämpfen, um dadurch die Aufmerksamkeit von der Hauptsache, von den Wundmalen, abzulenken.“ Wenn nun Dr. Lemke die Nahrungslosigkeit in den Bereich des Unwesentlichen verweist, so kann ich ihm darin nicht zustimmen: „Eine vollkommene Nebensache aber ist, ob Therese Neumann viel oder weniger ißt oder sich gar der Nahrung enthält. Dadurch, daß um diese Nebensachen gestritten wird, wird der klare Tatbestand der wunderbaren Erscheinungen in Konnersreuth verdunkelt. Das gerade aber wollen die Gegner und Feinde alles Wunderbaren.“

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Aber dennoch anerkennt Dr. Lemke, daß Therese Neumann ausschließlich von der konsekrierten Hostie lebt: „Sie nimmt Nahrung auf, aber nur Nahrungsstoffe, die wir nicht sehen können. Der eine sagt, sie lebt vom Willen, ein anderer, sie lebt vom Gebet. Ich sage: „Therese Neumann lebt von göttlicher Speise. Für den, der geistige Gesetze kennt, ist eine monate- und jahrelange Nahrungsenthaltung durchaus nichts Wunderbares. Es handelt sich auch gar nicht um Nahrungsenthaltung, sondern um eine andere Art der Speisung. Das Leben der Therese Neumann regiert die Macht göttlicher Gedanken.“ Diese Argumente klingen durchaus überzeugend, aber es fehlt ihnen doch eine klare Definition dessen, was nach katholischem Glaubensverständnis Eucharistie meint: die Leben schenkende Gegenwart des auferstandenen Herrn.

Zu den Visionen und Ekstasen der Stigmatisierten bemerkt Dr. Lemke, daß Hypnose oder Suggestion völlig auszuschließen sind: „Zum Zustandekommen einer Hypnose gehört ein Hypnotiseur und ein hypnotischer Befehl. Pfarrer Naber ist seiner ganzen Art nach kein geeigneter Hypnotiseur. Fremdhypnose ist im Fall Konnersreuth völlig ausgeschlossen, ebenso Selbsthypnose. Denn bei jeder Art von Hypnose fehlt die Rückerinnerung. Der Hypnotisierte erinnert sich nicht an das, was er gesagt und getan hat. Therese Neumann aber hat Rückerinnerung.“

Auch mit „Hysterie“ lassen sich die Phänomene nicht erklären: „Wenn immer wieder betont wird, daß jede Hysterische die Wundmale an sich hervorbringen könne, so möchte ich alle Nervenärzte bitten, in ihrem Patientenkreise nach dieser Richtung zu wirken. Wir würden ja auf diese Weise ein schönes Beobachtungsmaterial zustandebringen, und die Wissenschaft könnte doch durch derartige Experimente ganz unabhängig von Konnersreuth wesentlich bereichert werden.“ Auch die Echtheit der Ekstasen erklärt Dr. Lemke als erwiesen. Und zu den Visionen der Therese Neumann meint er, daß es sich hier um Mitteilungen von Intelligenzen handle, die jenseits des Lebens stehen: „Warum sollten wir Christen, die wir an ein Fortleben nach dem Tode glauben, nicht glauben können, daß uns Wesen von dort, seien es Heilige oder sonst hochstehende Verstorbene, Botschaften in irgendeiner Form zukommen lassen? Eine materielle Erklärung für diese Zustände gibt es nicht und wird es nie geben.“

Der Arzt und Humanist Lemke faßt zusammen: „Wir wollen die Erscheinung in Konnersreuth getrost als das nehmen, was sie ist, als eine tatsächliche Materialisation des christlichen Gedankens. Nicht die Materie ist das Herrschende, sondern der Geist Gottes, der uns in jedem Naturgesetz entgegentritt. Die Erscheinungen an Therese Neumann sind echt und als Offenbarungszeichen anzusehen.“

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Dr. Max Jordan

Schon gegen Ende der zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre durfte ich ihm immer wieder begegnen. Nicht persönlich zwar, aber auf der Titelseite der damals bedeutendsten deutschen Zeitung, des „Berliner Tageblatt“. Dr. Max Jordan war nämlich damals als Korrespondent in Paris und später in den Vereinigten Staaten tätig. Seine Artikel verrieten nicht nur hohe politische Bildung, mehr noch eine Weise des Umgangs mit der deutschen Sprache, die mir Bewunderung abnötigte, ja mich zuweilen neidisch werden ließ. So oder wenigstens annähernd so möchte ich auch einmal schreiben können, sagte ich mir beharrlich vor.

Innenpolitisch war der Zeitung in jenen Jahren eine Aufgabe von äußerster Brisanz zugewachsen. Die Gefahr nämlich, daß die Nationalsozialisten an die Macht kämen, hatte Beunruhigung und Sorge ausgelöst. Deshalb versuchte das „Berliner Tageblatt“, der heraufziehenden Katastrophe mit allen geistigen Mitteln zu begegnen. Chefredakteur der Zeitung war Theodor Wolff, ein Mann von universaler Bildung, dessen Leitartikel der Leser wie ein literarisches Kunstwerk genoß. Er setzte klare, politische Maßstäbe, die in aller Welt Beachtung fanden. Ich erinnere mich noch seines Beitrags zu einem J. S. Bach-Jubiläum. Mit wenigen Strichen entwarf er da ein Porträt des Thomaskantors, das über alle musikwissenschaftliche Qualität hinaus enge Vertrautheit mit dem Geist und der Frömmigkeit des Meisters verriet. Auf der

Abschußliste der Nazis stand Theodor Wolff in der ersten Reihe. Er vermochte zwar rechtzeitig ins Ausland zu fliehen, doch fiel er 1943 der Gestapo in die Hände. Nach vielen Leiden starb er in seiner Geburtsstadt Berlin.

Auch sein politischer Mitarbeiter Dr. Max Jordan war unter der Herrschaft der Nazis untragbar geworden. Das „Berliner Tageblatt“ wurde verboten. Jordan blieb in den USA, um von dort aus die politische Entwicklung Deutschlands weiterzuverfolgen und seine Beobachtungen journalistisch zu verarbeiten. In Amerika genoß er so hohes Ansehen, daß ihn die Rundfunkgesellschaft NBC zum Europa-Direkor ernannte. Man hatte ihm auch die amerikanische Staatsbürgerschaft zuerkannt. Erst 1945 kehrte er nach Deutschland zurück.

Schon vor seiner Emigration war Max Jordan in Berlin dem großen Religionsphilosophen und Theologen Romano Guardini begegnet, der an der dortigen Universität den Lehrstuhl für christliche Weltanschauung innehatte. Studenten aller Fakultäten strömten damals zu Guardinis Vorlesungen. Auch Max Jordan wird sich ihnen zugesellt und immer wieder auch die persönliche Begegnung und das Gespräch mit Romano Guardini gesucht haben. Die Persönlichkeit, die Weise, Theologie zu vermitteln, und das literarische Werk des Professors hatten Jordan in einem Maße beeindruckt, daß er sich entschloß, zum katholischen Glauben überzutreten, Theologie zu studieren und Priester zu werden. In der berühmen Benediktinerabtei Beuron nahm er das Ordenskleid. 1951 wurde er als Sechsundfünfzigjähriger in Rom zum Priester geweiht. Er blieb Benediktiner. Als

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Ordensnamen wählte er Placidus. Als Pater Placidus beschloß er sein ungewöhnliches Leben in der Schweiz, doch nicht in weltfremder Abgeschiedenheit, sondern bis zuletzt als kritischer Beobachter der weltpolitischen Szene.

Noch heute mutet es mich wie eine wunderbare Fügung an, als dieser Pater Dr. Placidus Jordan an einem Karfreitag in Konnersreuth auf mich zukam. Er war von hoher hagerer Gestalt, seine Gesichtszüge schienen mir von asketischer Strenge gezeichnet. Ich durfte einen freundlichen Menschen kennenlernen, dessen Sprache und Argumentation benediktinische Spiritualität offenbarten. Was suchte dieser Mann in Konnersreuth? Hatte er, seiner Neugierde nachgegeben, war er als Journalist gekommen oder lag ihm Tieferes im Sinn? Pater Placidus gab mir zu verstehen, daß er die Konnersreuther Vorgänge schon seit vielen Jahren mit großem Interesse verfolge. Nun wolle er endlich einmal die Stigmatisierte und ihre Leidensekstase mit eigenen Augen sehen. Schon in Amerika sei er von der Wahrheit dieser mystischen Geschehnisse überzeugt gewesen. Man könne und dürfe diesen wunderbaren Ereignissen nur in der Haltung der Ehrfurcht begegnen. Und er wisse aus Erfahrung, daß gerade in Amerika für Konnersreuth außerordentliches Interesse bestehe. Deshalb werde er seinen amerikanischen Freunden den Ablauf des heutigen Karfreitags in Konnersreuth eingehend schildern und für eine vielgelesene Zeitung in den USA einen Artikel schreiben.

Doch weil er nicht alljährlich nach Konnersreuth reisen könne, seine amerikanischen Leser aber nicht enttäuschen wolle, traf er mit mir folgendes Abkommen: Ich solle ihm Jahr um Jahr über den Konnersreuther Karfreitag berichten, und zwar nicht brieflich, sondern telefonisch. Schon am Nachmittag solle ich die Abtei Beuron anrufen, damit er meinen Bericht sofort nach Amerika weiterleiten könne.

Der Beuroner Mönch hat einige vielbeachtete Bücher hinterlasen, die von seiner immensen Vertrautheit mit der Theologie zeugen. Seine hohe wissenschaftliche Bildung war wohl auch dafür ausschlaggebend, daß ihn Papst Paul Vl. zum Zweiten Vatikanischen Konzil als theologischen Sachverständigen berief. Den spirituellen Ertrag des Konzils versuchte Jordan in seinem Buch „Vom Innewerden Gottes“ niederzulegen. Er hatte es an die vielen Suchenden und Zweifelnden unserer Zeit adressiert. Noch weiter holt er in dem Romano Guardini gewidmeten Band „Antwort auf das Wort“ („Zur Sinndeutung des Glaubens“) aus. Das Buch ist ein grandioser Einstieg in die geistliche Fülle der christlichen Glaubenswahrheiten. Aus seinem umfangreichen Briefwechsel ist vor allem jener mit Hermann Hesse bekannt geworden. Dem Dichter unterstellte er ein Daseins- und Weltverständnis, dem er als Katholik nicht allerwärts zu folgen vermochte.

Genau genommen hatte mir die Begegnung mit diesem weltoffenen, kosmopolitisch denkenden Mönch aus Beuron mein Vater ermöglicht. Denn der Vater war Abonnent des „Berliner Tageblatt“, dessen tägliche Lektüre in mir den Wunsch reifen ließ, selber einmal Journalist zu werden. Als solcher war ich denn auch an jenem denkwürdigen Karfreitag nach Konnersreuth gekommen. Ausgerechnet hier sollte ich den einst von mir so hochverehrten Auslandskorrespondenten Dr. Max Jordan kennenlernen, den Mönch, den Theologen, den Zeugen. Sein leidenschaftsloses Bekenntnis zu Therese Neumann hat viele ermutigt, ihren Glauben neu zu überdenken und der Wahrheit auf der Spur zu bleiben.

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Dr. Richard Sattelmair

Über viele Jahre hinweg verband uns eine herzliche Freundschaft. Schon von Anfang an fühlte ich mich ihm geistesverwandt. Denn auch er war ein begeisterter Verehrer der Antike, vorab in ihrer griechischen Ausprägung. Seine humanistische Bildung hatten ihm die Lehrer des traditionsreichen Gymnasiums Sankt Stephan in Augsburg vermittelt. Diese Lehrer waren benediktinische Mönche. Sattelmair sprach gerne von ihnen und rühmte ihnen nach, wie sehr ihre große Zusammenschau von Antike und Christentum das Weltbild des Gymnasiasten geformt habe. Diese Erzieher seien nicht nur Theologen, sondern auch überzeugte Humanisten gewesen. So sei ihm eine geistige Grundverfassung zugewachsen, die ihn sein ganzes Leben hindurch begleitet habe.

An eben dieser Schule empfing der junge Student auch erste Eindrücke von den einzigartigen Bildungen der griechischen Kunst, der Architektur ebenso wie der Plastik. Sie trafen ihn wie Offenbarungen. Hier schon begann Sattelmair zu erkennen, daß Kunst wesenhaft mit Religion zu tun habe. Jeder griechische Tempel war einer Gottheit geweiht, jede Plastik der Alten hatte ihr göttliches Fluidum. Auch die Literatur der Hellenen, vor allem ihre große Dichtung, war dem jungen Mann wichtig geworden. Er hatte die Bedeutung des Wortes, der Sprache, entdeckt. So beschloß denn Richard Sattelmair nach dem Abitur Kunstgeschichte zu studieren.

Von vornherein war er sich darüber klar, daß man im Bildungsbereich der Kunst ohne Theologie nicht auskomme. Deshalb bemühte er sich beharrlich, nicht nur die Götterlehre der Griechen, sondern auch das Gottverständnis des Christentums, seine Theologie also, kennen zu lernen. Das

Studium beschloß er mit der Promotion zum Doktor der Philosophie. Nun hätte man erwarten können, daß der Kunsthistoriker seinem „Fach“ treu geblieben wäre und einem seiner Ausbildung entsprechenden Beruf angestrebt hätte. Doch es kam ganz anders. Richard Sattelmair entschied sich für den Journalismus. Schreibend wollte er seine geistigen Erfahrungen weitergeben. Nicht nur als Kunstgelehrter, sondern auch als Politiker.

Seine journalistische Tätigkeit nahm er als Redakteur einer Regensburger Zeitung auf. Der Verleger setzte in ihn hohe Erwartungen. Denn immer brutaler drängten die Nationalsozialisten an die Macht. Ihrer Ideologie die Stirne zu bieten, betrachtete Sattelmair als publizistische Hauptaufgabe. Er wurde ihr mit Bravour gerecht. Bis dann doch die Barbaren siegten und den Widerstand der Einsichtigen brachen. Doch Dr. Sattelmair ließ sich nicht ködern. Er blieb seinen politischen Überzeugungen über den Zweiten Weltkrieg hinaus treu. Bis die Amerikaner kamen, um nach deutschen Persönlichkeiten Ausschau zu halten, die der Diktatur getrotzt hatten.

Die neuen Machthaber gingen dabei mit äußerster Vorsicht ans Werk. Besonders im Bereich der Presse. Denn die Deutschen sollten nach zwölfjähriger ideologischer Unterdrückung endlich wieder objektiv unterrichtende Zeitungen lesen und zu demokratisch verstandener Politik hinfinden. In dieser Situation lernte der zuständige amerikanische Presseoffizier Dr. Sattelmair kennen. Er bot ihm sofort eine Zeitung an, die er in Lizenz als Verleger übernehmen und gestalten sollte. Doch er lehnte ab. Denn wirtschaftliches Denken und kaufmännisches Kalkulieren lagen ihm nicht. Er wollte weiterhin schreiben nur schreiben. Als

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die Amerikaner im Jahre 1946 in Weiden die Zeitung „Der neue Tag“ ins Leben riefen, holten sie Dr. Sattelmair in die Chefredaktion und übertrugen ihm die Ressorts Politik und Kultur. Er wurde zum Mann der ersten Stunde. Seine Leitartikel gerieten zu stilistischen Glanzleistungen. Der von ihm gestaltete Kulturteil konnte sich mit jeder Zeitung einer deutschen Großstadt messen.

Am 1. Februar 1947 berief mich Dr. Sattelmair in die Redaktion. Wir wußten um die Bedeutung und das Wagnis unseres Auftrags. Deutschland war besiegt, vom Tyrannen befreit. Die Deutschen hungerten, doch nicht nur nach Brot, sondern mehr noch nach geistiger Nahrung. Lange Zeit gab es weder Zeitungen noch Bücher. Die literarische Hinterlassenschaft des sogenannten „Dritten Reiches“ war Makulatur geworden. Ganz von vorne, ganz von unten her war zu beginnen. Das damals noch recht kleine Redaktionsteam mußte erst geistig Fuß fassen. Nicht selten saßen wir bis Mitternacht zusammen, um die nächste Ausgabe zu planen und den Umfang der jeweiligen Beiträge festzulegen. Denn Papier war knapp geworden. Gerade in solcher Notlage lernte ich Dr. Sattelmair als sachkundigen Pressemann alter Schule kennen. Ordnung und Klarheit gingen ihm über alles.

Mit besonderer Hingabe widmete sich Sattelmair geistig-kulturellen Themen. In der Zeitung hatte er sich eine regelmäßig erscheinende Seite, „Die Besinnung“, reserviert. Hier wurden Fragen und Probleme abgehandelt, die über den Tag hinauslagen. Die Artikel sollten den inneren Menschen anrühren und den Sinn menschlicher Existenz bewußt machen. Eine solche Seite widmete Dr. Sattelmair am 7. April 1948 Therese Neumann, die tags darauf den fünfzigsten Geburtstag feierte. Dieses Datum hatte uns bewogen, nach Konnersreuth zu fahren, um Therese Neumann und Pfarrer Josef Naber zu besuchen. Wir wurden freundlich empfangen. Beide zeigten sich überaus gesprächsbereit. Pfarrer Naber ließ uns sogar einer ekstatischen Kommunion der Stigmatisierten in der Pfarrkirche beiwohnen. Das Ereignis hatte uns tief beeindruckt. Sattelmairs umfangreicher Geburtstagsartikel fand überraschend große Beachtung:

„Therese Neumann, die Stigmatisierte von Konnersreuth, vollendet am 8. April das fünfzigste Lebensjahr. Der bis vor wenigen Jahrzehnten in lauter Abgeschiedenheit hinlebende und seit nun über zwanzig Jahren weltberühmte Marktflecken, der seine Geschichte aber bis ins Mittelalter verfolgen kann, liegt im Verbreitungsgebiet, unserer Zeitung. Wie jener Ort kann auch das einfache Menschenkind, das man bezeichnenderweise im Dialekt ihrer Heimat allerwärts „Resl von Konnersreuth“ nennt, nie mehr zurück in die Stille, in die Unbekanntheit und Verborgenheit. Wie auf dem Ort ruht noch viel mehr auf Therese Neumann, ihren Eltern und dem greisen Priester von Konnersreuth, Pfarrer Josef Naber, das Opfer einer ungewöhnlichen Öffentlichkeit. Das Opfer, nunmehr ein ganzes Leben lang und für immer der Welt und den Menschen, aller Schaulust und Neugierde ausgeliefert zu sein, ist sehr hart, schon für einen nur innerlichen Menschen und erst für ein Menschenkind, dem die Geheimnisse Gottes und die Demut des Geschöpfes alles, das Leben und die Seligkeit bedeuten. Dieses Opfer und das Leid aus diesem Opfer kann nur der ahnen, der Therese Neumann persönlich kennt.“

Sattelmair fährt in seinem hier nur auszugsweise wiedergegebenen Beitrag fort: „Therese sagte: Mein Geburtstag ist mein Tauftag. Ich lasse den Herrn Pfarrer eine Messe an diesem Tag feiern, und wir opfern eine brennende Kerze auf meinem Taufstein. Das ist mein Geburtstag. Wir erfahren in dieser Aussprache, daß Therese in einer Karfreitagsnacht geboren und am darauffolgenden Ostermorgen getauft wurde. Kann es einen schöneren Tauftag geben?“ fragt sie uns freudig. Alle diese Worte und Sätze kommen aus einer seelischen Lauterkeit, Frische und Einfachheit, daß man daran froh wird.“

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„Pfarrer Naber sagte von Therese Neumann, daß sie nie nach außerordentlichen Dingen gestrebt habe, daß sie denkbar nüchtern veranlagt sei und nichts Gekünsteltes, Abergläubisches oder Betschwesterliches an sich habe. Zweck des ganzen außerordentlichen Geschehens sei kein anderer, als den Heiland immer mehr zu lieben, damit sie dahin gelänge, jedes Opfer zu bringen, um so auch viele andere dem Heiland zuzuführen.

Für die Beurteilung des Falles und der einzelnen Erscheinungen ist nach den Grundsätzen und Weisungen der Kirche große Vorsicht, strenge Sachlichkeit und unbedingte Wahrheitsliebe notwendig. Leichtgläubigkeit, Sensations- und Wundersucht müssen ebenso ausgeschlossen sein wie Hyperkritik und grundsätzliche Ablehnung alles Außer- und Übernatürlichen. Faktisch haben Freunde wie Gegner von Konnersreuth nach der einen und anderen Seite hin gefehlt. Dabei ist unter der fast unübersehbaren Literatur über die Stigmatisierte viel Wertloses und Unzuverlässiges. Papst Benedikt XIV. stellt sehr strenge Anforderungen, wenn auf den wunderbaren Charakter einer außerordentlichen Erscheinung geschlossen werden soll. Dies gilt auch von den Erscheinungen in Konnersreuth, speziell, von den Stigmen, Visionen und der jahrelangen Nahrungslosigkeit. Therese Neumann ist zwei Wochen lang unter ärztlicher Kontrolle auf ihre Nahrungslosigkeit hin beobachtet worden. Für die Zeit dieser Beobachtung ist ein vernünftiger und berechtigter Zweifel an der Tatsache der Nahrungslosigkeit nach dem bestimmten Zeugnis der vereidigten, sehr erfahrenen und völlig verlässigen Beobachtungsschwestern, die Therese keinen Augenblick allein und unbeobachtet ließen, ausgeschlossen.“

Ich übergehe nun Darlegungen des Berichterstatters zu Phänomenen, die dem Leser dieses Buches längst bekannt sind, und gebe den Schluß der Betrachtungen des Autors wieder: „Der fünfzigste Geburtstag wird für Therese Neumann so still und feierlich, so bedeutend und unbedeutend sein wie jeder andere Tag ihres Lebens, oder eben vielmehr: Er wird das Fest ihrer Taufe sein. Es wird von niemandem erwartet, daß er die Geschehnisse von Konnersreuth der Frohbotschaft, dem göttlichen Evangelium, gleichsetzt. Aber gerade darum darf man erwarten, daß man Therese Neumann an diesem Tag und in dieser Zeit wahrhaftig in der Stille und in Frieden läßt. Es gibt in diesen Tagen nichts zu „sehen“ in Konnersreuth. Außerdem ist sie seit längerem schwer leidend. Daß wir Therese diesen Tauftag selbst besitzen, daß wir sie auch einmal wirklich menschlich gelten lassen und ihre Person vergessen, das ist unser Geburtstagswunsch für sie und auch in ihrem Namen. Das ist ein mitmenschlich gerechter und guter Wunsch.

Was immer der Christ im Leben erfährt, erlebt er irgendwie christlich, das heißt er versucht alles christlich zu verstehen und zu werten, er versieht das Erlebte mit einem christlichen Vorzeichen. So blickt der Christ von der Nähe oder aus der Ferne auf Konnersreuth. Es kann ihn nicht gleichgültig lassen, wenn er seelisch und religiös lebendig ist. Es besteht für ihn keine Verpflichtung, anzuerkennen. Auch für den Katholiken gibt es keine Glaubensverpflichtung gegenüber Konnersreuth. Aber sein Blick, dorthin muß immer christlich sein, er muß das Zeichen verstehen und sich christlich ansprechen lassen. Das Zeichen von Konnersreuth sagt dem Katholiken jenseits von, allem angemaßten Urteil: Erkenne und liebe das Leiden des Herrn! Suche das Sühneleiden für die Mitmenschen zu verstehen! Räume dem Geheimnis der Eucharistie die Mitte und die Macht in Deinem Leben ein!“

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Josef Schuhmann

Jahrzehnte liegen zurück, seit ich ihn zum erstenmal sah. Es war im Hof einer in Bayern berühmt gewordenen Schule, des Alten Gymnasiums in Regensburg. In geschichts- und kulturträchtiger Umgebung, denn unmittelbar neben dem Pausenhof erhob sich die schönste gotische Kirche der Stadt, die Dominikanerkirche. Mir war dieses Gotteshaus im Laufe der Jahre ob seiner architektonischen Klarheit kostbarer geworden als der mit tausend Zierraten überladene Dom. Zur Kirche gehörte einst ein Dominikanerkloster mit einem noch heute erhaltenen Kreuzgang. An der dortigen Schule soll neben anderen bedeutenden Lehrern auch Albert der Große unterrichtet haben, der spätere Bischof von Regensburg (1260-1262). In diesem Gebäudekomplex brachte man später die Philosophisch-Theologische Hochschule der Diözese Regensburg unter. Auf einem Gebäudeteil gegen den Ägidienplatz zu war sogar die Kuppel einer kleinen Sternwarte zu bewundern.

Damals waren wir uns, Josef Schuhmann und ich, kaum nähergekommen. Es blieb bei gelegentlichen zufälligen Begegnungen in der Schule und bei Augenkontakten. Dies hatte seinen Grund auch darin, daß mir Schuhmann um einige Klassen voraus war und somit bereits zu den „Senioren“ der Anstalt zählte. Überdies war er „Zögling“ des Bischöflichen Knabenseminars Obermünster, während ich im Studienseminar Sankt Emmeram und Sankt Paul meine Bleibe hatte.

Welche Überraschung gab es da, als ich kurz nach dem Zweiten Weltkrieg Josef Schuhmann in Konnersreuth wiedersah. Er war Priester geworden. Der Bischof hatte ihn hinbeordert und ihm die dortige Benefiziatenstelle übertragen. Er sollte als Seelsorger und Religionslehrer wirken. Doch der Regensburger Erzbischof Dr. Michael Buchberger hatte Josef Schuhmann noch mit einer weiteren Aufgabe betraut: Er solle die mystischen

Geschehnisse in Konnersreuth genau und kritisch beobachten. Irgendwelche „lrregularitäten“, die katholischem Glaubensverständnis zuwiderliefen, habe er sofort nach Regensburg zu melden.

Dieser Auftrag war mir bereits bekannt. Aber als wir uns in Konnersreuth wiedertrafen, hatte ich keineswegs den Eindruck, einen hörigen Aufpasser vor mir zu haben. Im Gegenteil: Als ich ihn daraufhin ansprach, sagte er: „Ich stand diesen Dingen nie negativ gegenüber, sondern klar und nüchtern. Ich glaube auch heute noch, daß ich damit der Sache am besten gedient habe.“ Da waren wir uns sofort einig, und wir sind es heute noch. Deshalb habe ich den damaligen Benefiziaten und späteren Pfarrer von Konnersreuth immer wieder zu Rate gezogen, wenn unsachgemäße Deutungen der Phänomene in die Öffentlichkeit drangen oder fromm getarnte Verniedlichung der Dinge die Runde machte. Josef Schuhmann wußte, was er redete. Seine Offenheit war ausschlaggebend dafür, daß wir nicht nur ständige Gesprächspartner blieben, sondern Freunde wurden.

Als Josef Schuhmann in der Nachfolge des Geistlichen Rates Josef Naber die Pfarrei Konnersreuth übernahm, war ihm klar, daß ihn ein verpflichtendes Erbe band. Konnersreuth

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war ja nicht irgendeine Pfarrei wie jede andere. Sie war herausgehoben und weltberühmt geworden durch Therese Neumann. Schuhmann sah keinen Grund zu einer geistlichen Neuorientierung, vielmehr war er bestrebt, das Werk seines Vorgängers mit allen Konsequenzen fortzusetzen. Als ich ihn einmal fragte, wie er „Konnersreuth“ aus heutiger. Sicht beurteile, meinte er: „Von zwei Phänomenen bin ich hundertprozentig überzeugt: Von der jahrzehntelang währenden Nahrungslosigkeit der Therese Neumann und von der Echtheit ihrer Leidensekstasen. Dafür bürgt mir nicht zuletzt die lautere Persönlichkeit meines Vorgängers, des Geistlichen Rates Josef Naber.“

Der Priester verstand sich in erster Linie als Seelsorger, der seiner Gemeinde die christliche Heilsbotschaft zu verkünden und anzubieten hatte. Diesem Ziel dienten auch Volksmissionen und Triduen, vor allem aber das ihm von seinem Vorgänger inspirierte Bestreben, Konnersreuth zu einer betont eucharistischen Gemeinde zu formen. „Dies scheint mir auch gelungen zu sein“, ließ er mich wissen, „denn die Zahl der jährlichen Kommunionen ist erstaunlich.“ Nicht zuletzt deshalb zeichnete der Regensburger Bischof Josef Schuhmann mit dem Ehrentitel eines Bischöflichen Geistlichen Rates aus.

Der längst im Ruhestand lebende Priester hat Konnersreuth nicht nur geistlich bereichert. Die Hochschätzung des eucharistischen Gottesdienstes ließ ihn immer wieder auch an den Raum denken, darin er gefeiert wird. So entschloß er sich denn, die Konnersreuther Pfarrkirche total renovieren zu lassen, außen und innen. Die Erneuerungsarbeiten nahmen drei Jahre in Anspruch. Hinzu kam der Einbau einer neuen Orgel. Das Gotteshaus wurde zu einer barocken Perle der nördlichen Oberpfalz. Nicht unerwähnt dürfen schließlich die Kirchenheizung, die Einrichtung eines Kindergartens und der Bau des Pfarrhauses bleiben. Auf die Konnersreuther Kirche werde ich später noch eingehend zu sprechen kommen.

Natürlich war der Pfarrer auch immer wieder von den vielen aus aller Welt in Anspruch genommen, die nach Konnersreuth pilgerten, um die Erinnerungsstätten der Therese Neumann zu besuchen, und die Auskunft über das Leben der Stigmatisierten begehrten. Hier tat sich dem Priester geradezu ein zweiter, außerordentlicher Bereich von Seelsorge auf, der mit viel Geduld und einfühlsamen „Instinkt“ bewältigt sein wollte.

Wie sich der Geistliche Rat die Zukunft von Konnersreuth im Blick auf die Stigmatisierte vorstelle, fragte ich. „In den letzten Jahren“, sagte er, „haben die Besucher des Ortes aus aller Welt stark zugenommen. Ihrer viele erstreben die Seligsprechung der Mystikerin und melden immer wieder Gebetserhörungen, die sie der Fürbitte der Therese Neumann zuschreiben.“

In diesem Zusammenhang ließ mich Geistlicher Rat Josef Schuhmann noch wissen, daß die Blutungen an Therese Neumann nach seiner Überzeugung „echt“ waren und ihre „Natürlichkeit“ nicht angezweifelt werden könne. Als er der Stigmatisierten an zwei katholischen Festtagen in der Pfarrkirche den Leib des Herrn reichte, habe er beobachtet, daß aus den Augenwinkeln Blut, hervordrang und sich über die Wangen ergoß. In beiden Fällen brachte man dann Therese in ihre Wohnung zurück. „Das kann ich bezeugen“, bekräftigte Schuhmann.

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Besucher

Die Vielen, die nach Konnersreuth kamen, um Therese Neumann zu sehen oder mit ihr zu sprechen, sind nicht zu zählen. Auch die vielfältigen Beweggründe, die ihre Pilgerschaft veranlaßt haben, können nicht ermittelt werden. Wenn die Erfahrungen der Mystikerin zutreffen, darf man pauschal sagen, daß etwa der halbe Teil der Besucher in gläubiger Erwartung nach Konnersreuth gekommen war, während die Übrigen mehr den Neugierigen, Sensationslüsternen, den Zweiflern, den an ihrem Glauben Gescheiterten, ja auch den Spöttern zuzuordnen sind. Sie trafen nicht nur aus Deutschland und dem gesamten europäischen Ausland, sondern auch aus fernen, überseeischen Ländern ein. Konnersreuth war ja zum Weltgespräch geworden.

In einem Maße, daß sich auch Wissenschaftler nahezu aller Disziplinen aufgerufen sahen, Kontakt aufzunehmen und den Dingen auf den Grund zu gehen. Natürlich lagen die Theologen an der Spitze, doch auf den Fuß folgten ihnen die Mediziner, die Psychologen, die Parapsychologen und Naturwissenschaftler. Über die Leidensekstasen, die Visionen und Entrückungen der Therese Neumann hinaus gab ihnen vor allem die behauptete Nahrungslosigkeit Rätsel auf. Ihre forschende Bezugnahme reichte von freundlicher Sympathie bis zu härtester Gegnerschaft.

Die Kirche hatte sich, solange Therese Neumann lebte, zum „Fall Konnersreuth“ nicht offiziell geäußert, übrigens bis heute nicht. Dennoch besuchten viele Bischöfe von überallher die Stigmatisierte, unterhielten sich mit ihr und stellten Fragen. Zu den Besuchern zählten auch zwei Kardinäle: Michael Faulhaber aus München und der Erzbischof aus Prag, Dr. Karl Kaspar. Faulhaber feierte im Leidenszimmer der Therese sogar Eucharistie. Erzbischof Kaspar wiederum war in einem Maße fasziniert, daß er sich bewogen fühlte, seine Konnersreuther Erlebnisse einem Buche anzuvertrauen, um sie seinen tschechischen Landsleuten zugänglich zu machen. Friedrich Ritter von Lama hatte die Schrift vor vielen Jahren ins Deutsche übertragen. Und so beschließt der Kardinal seinen Bericht: „Zwölf Stunden durfte ich bei Therese Neumann zubringen und bin Zeuge gewesen. Ich vermochte es nicht, von dem zu schweigen, was ich gehört und was ich geschaut hatte.“

Als weiteren, regelmäßig zu erwartenden Besucher möchte ich meinen Lesern den Erzbischof von Lemberg, Dr. Josef Theodorowicz vorstellen. Von ihm und seinem Werk war bereits im Zusammenhang mit Pfarrer Naber die Rede. Sein Buch „Konnersreuth im Lichte der Mystik und Psychologie“ aus dem Jahre 1936 ist die wohl umfassendste und gründlichste Studie zum Thema Therese Neumann, die je geschrieben wurde. Ich habe schon angemerkt, daß der Autor weithin wissenschaftliche und theologische Perspektiven einbringt, sodaß das Buch kaum einen größeren, theologisch nicht vorgebildeten Leserkreis erreicht haben wird. Dennoch ist das Werk noch heute von hoher Aktualität, weil es Vorgänge beschreibt und deutet, die für die Stigmatisierte bis an ihr Lebensende charakteristisch geblieben sind.

„Dieses Buch entstand aus meinen persönlichen Eindrücken und Erlebnissen“, schreibt der Erzbischof im Vorwort. „Ich kann eigentlich sagen, daß ich dieses Buch in gewisser Hinsicht für mich zu schreiben beabsichtigte, ehe ich daran dachte, es anderen zugänglich zu machen. Ich habe einfach meine Beobachtungen aufgezeichnet und zu ordnen versucht. Nachher wollte ich mir auf verschiedene Zweifel Antwort geben und spähte nach Wegen aus, wie sich das Problem lösen ließe. Ich suchte sie in der modernen Psychologie, vor allem aber auf dem Gebiet der Mystik.“

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Der Autor verschweigt keineswegs die Schwierigkeiten, die sich seinem Unterfangen auftaten, und sieht langwierige Untersuchungen voraus: „Alle darauffolgenden Jahre besuchte ich Konnersreuth, um den Horizont meiner Beobachtungen zu erweitern und die bereits erlangten Erkenntnisse zu vertriefen... Ich besaß nämlich den gänzlich unverdienten und nur glücklichen Umständen zu verdankenden Vorzug vor manchen Forschern, daß Therese Neumann ein besonderes Vertrauen zu mir hegte. Sie hatte mir so vieles aus ihrem Innenleben anvertraut und mir ihr Herz ausgeschüttet. Ich erachtete all das, was sie mir gestand, zur Aufklärung der Konnersreuther Frage als unumgänglich nötig.“ Der Verfasser spricht sogar von einem inneren Imperativ, der ihn angetrieben habe, die Konnersreuther Vorgänge bis ins Detail zu studieren: „Denn entweder sind die Konnersreuther Erscheinungen das Ergebnis einer falschen Mystik, der man sich entgegenstellen muß, um der Gefahr des falschen Mystizismus zu entrinnen, dessen Strömung heute die Welt durchflutet, oder sie sind Gottes Werk und verpflichten somit das Gewissen der Männer der Wissenschaft, ihren übernatürlichen Charakter festzustellen. Sonst würde sich die Wissenschaft Gottes Absichten und Zielen widersetzen, die eben mittels übernatürlicher Erscheinungen das Gewissen der Menschheit wachrufen.“

Theodorowicz gelangte nach jahrelangen kritischen Untersuchungen und Beobachtungen zu Ergebnissen, die nicht mehr zu erschüttern sind. Er anerkennt auch die Nahrungslosigkeit der Stigmatisierten: „Therese lebt somit nicht ohne Nahrung. Nur in der Gattung und Art unterscheidet sich diese Speise von den gewöhnlichen-, sonstigen Speisen. Diese ihre Speise ist die heilige Kommunion. Sie ist ihre einzige Nahrung seit Jahren. Eine kleine Verspätung im Empfang der heiligen Kommunion genügt, und der Körper verfällt sogleich dem harten Gesetz völliger Erschöpfung.“ So scheut sich denn der Verfasser nicht, zu behaupten, daß Konnersreuth ein Trost für die Menschen dieser Weltzeit sei. Man bedenke: Als der Bischof diese Zeilen schrieb, war bereits Adolf Hitler an die Macht gelangt und bedrohte die Menschheit mit Krieg: „Alle erleben wir jetzt die Tragik der Welt mit, die Vernichtung aller ihrer Hoffnungen, den Untergang ihrer Zivilisation und die ganze furchtbare Nichtigkeit ihrer Selbstüberhebung. An die Stelle der Liebe tritt der allgemeine Haß. Das Selbstbewußtsein der Stärke weicht vor dem Geist der Furcht, der alle und alles zu beherrschen sucht. Die Völker. fürchten sich voreinander, weil sie sich gegenseitig, trotz aller Friedenspakte, nicht mehr trauen. Das Kreuz Christi hat man verstoßen, und die Leere, die nun in der Menschenseele entstand, wird durch Verzweiflung gefüllt.“

Prophetische Worte fürwahr. Zum Schluß seines Buches zitiert der Erzbischof einen zeitgenössischen Gelehrten, einen Mediziner, von dem er sagt, daß man ihn nicht gerade in allem den Christen zurechnen könne: „Es ist unser Gott, unsere Seele, unser Gewissen, das dort in Konnersreuth blutige Tränen weint, und es sind unsere Tränen, die dort geweint werden. Therese Neumann ist Werkzeug und Symbol eines ungeheuren, unfassbaren Geschehens, das uns alle angeht. Es ist der Schrei unserer gequälten, mißhandelten, unterdrückten Seele, der dort blutig ausbrach.

Zu jenen Besuchern, die Gewichtiges über Therese Neumann auszusagen haben, zählt auch der frühere Bischof von Regensburg, - Dr. Rudolf Graber, der Nachfolger des Erzbischofs Michael Buchberger. „Ja, ich glaube“, sagte er, „daß ich einer der ersten gewesen bin, der Therese Neumann besucht hat. Das war im August 1926 kurz nach meiner Priesterweihe. Ich durfte damals fast die ganze Passionsekstase miterleben. Das hatte auf mich großen Eindruck gemacht, weil alles echt und nicht gekünstelt oder gespielt war.“ Gleiches anerkennt der Bischof auch im Blick auf die Visionen der Stigmatisierten: „Schwindel ist völlig ausgeschlossen. Wer die Resl auch nur einigermaßen gekannt hat in ihrer einfachen, robusten Art, der kann nicht von Schwindel reden. Dagegen gibt es zu viele, auch prominente Zeugen.“

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Kardinal Faulhaber habe einmal in einer Predigt gesagt: „Die Kirche ist nicht abhängig von Konnersreuth, sie wird aber alles, was wir auf solchen Wegen zu wissen bekommen, annehmen, wenn es wissenschaftlich gesichert ist.“

Grundsätzliches zum Thema äußerte Bischof Graber auch am Tag der Feier des zehnten Todestages, der Therese Neumann im September 1972. Fünftausend Gläubige und Pilger waren damals nach Konnersreuth gekommen, um dem Pontifikalgottesdienst in der Pfarrkirche beizuwohnen. Der Bischof hatte seine Predigt keineswegs als Glorifizierung der Stigmatisierten angelegt, vielmehr meinte er, daß man sich bei der Beurteilung der mystischen Phänomene der Ganzheitsmethode bedienen müsse. Bei einer Person wie Therese Neumann könne und dürfe man deshalb deren Umwelt und Milieu nicht außer Acht lassen: „man muß das ganze Leben der betreffenden Person in den Griff bekommen, nicht minder ihr Weiterleben nach dem Tod.“ Denn ein solches Leben wirke sich, abgeschlossen, oft viel entscheidender aus als vor dem Tod.

Der Prediger nahm auch zu den Charismen, den besonderen Gnadengaben, Stellung: „Wir sind der Kirche dankbar, daß sie die Charismen hochschätzt, weil sie dem Aufbau der Gemeinde Christi dienen.“ Paulus aber lasse keinen Zweifel darüber, daß es über der Vielfalt dieser gnadenhaft geschenkten Gaben noch ein Höheres gebe, die Liebe nämlich. Die mystische Theologie bezeuge, daß der geringste Grad von Liebe höher zu bewerten sei als etwa eine Stigmatisation. Die höchste Vollkommenheit bestehe in der Liebe. Aber dennoch dürften die Charismen nicht übersehen werden. Daher sei es verantwortungslos, an derartige Phänomene ohne ausreichende Kenntnis heranzugehen und sie zu beurteilen. Allerdings warnte der Bischof vor einer „Flucht ins Außerordentliche“. Ein Bewunderung erregendes Phänomen sei nämlich kein Ersatz für den Glauben, auch Konnersreuth nicht. Hier erinnerte Graber an das Konnersreuther Anbetungskloster und seine Bedeutung. An seiner Stiftung habe Therese Neumann entscheidenden Anteil: „Sie war vor zehn Jahren Samenkorn geworden, damit hier in Konnersreuth eine solche Stätte der Anbetung entstehe. Konnersreuth rufe deshalb auf, den eucharistischen Herrn mehr als, bisher anzubeten und zu verehren“.

Ich vermag sie nicht zu zählen, die vielen, die ich seit Kriegsende nach Konnersreuth geleitet habe, um ihnen den Zugang zum Hause Neumann zu ermöglichen und sie Therese Neumann vorzustellen. Alle Gäste, die jahrüber aus halb Europa meinen damaligen Chef, Victor von Gostomski, aufsuchten, verwies dieser kurzerhand an mich, falls sie den Wunsch äußerten, die Stigmatisierte kennenzulernen. Denn man konnte nicht einfach nach Konnersreuth fahren und dort anklopfen, um vorgelassen zu werden. Hätte Therese Neumann jederzeit jedermann Zugang gewährt, so wäre daraus für sie eine Überforderung entstanden, der sie gesundheitlich nicht gewachsen gewesen wäre. Da gab es dann nicht selten recht kurzschlüssige Reaktionen. Als ich einmal den Religionslehrer eines humanistischen Gymnasiums fragte, was er von Therese Neumann halte, ließ er mich spontan wissen, für ihn sei die „Sache“ erledigt. Er sei nämlich einmal mit seiner Haushälterin nach Konnersreuth gereist. Dort habe man ihm erklärt, daß Therese Neumann heute nicht zu sprechen sei. Seitdem sei Konnersreuth für ihn nicht mehr diskutabel. Wie soll man eine derart törichte Haltung eines Theologen beurteilen?

Ich vermochte deshalb viele mit der Stigmatisierten bekannt zu machen, weil ich mit ihr und ihren nächsten Verwandten freundschaftlichen Umgang pflegen durfte und ungehinderten Zugang zum Hause Neumann hatte. Zu meinen Begleitern zählten Priester und Ordensleute, Geistliche mit hohen kirchlichen Ehrentiteln, Ärzte und viele sogenannte „einfache“ Leute, von denen ich überzeugt war, daß sie die Begegnung mit Therese in ehrlicher Absicht und in erwartungsvoller Freude suchten. Auch ein evangelischer Chefredakteur hatte sich mir anvertraut. Wir trafen Therese auf der Straße nahe der Kirche. Sie war eben auf dem Weg

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zum Pfarrhaus. Es kam zu einem kurzen Gespräch. Mein Partner wußte sich besonders von Thereses Augen beeindruckt, doch hatte das „Gefühl“, sagte er, „daß dieser Blick bis in die Tiefen meiner Seele hinabdrang. Ich wußte mich durchschaut.“ Nicht minder überrascht zeigte sich ein Generalvikar, als er Therese in ihrem Geburtshaus erwartete. Wie sie ihn wohl empfangen werde? Doch die Spannung löste sich sofort, als die Eintretende auf einen hochbeladenen Erntewagen wies, der soeben am Hause vorbeigefahren wurde. Wie erfreulich es doch sei, sagte sie, daß das schöne Wetter den Bauern das Einbringen des Getreides ermögliche.

Eines Tages besuchte mich ein Kaplan aus Augsburg, mit dem ich seit Jahren befreundet war. In seiner Begleitung war ein Vater mit seiner Tochter, einem harmlos aussehenden Mädchen, von dem man in seiner schwäbischen Heimat sagte, es sei von einem Dämon besessen. In seiner Not hatte der Vater den Wunsch geäußert, die Tochter doch einmal Therese Neumann vorstellen und sie um Rat fragen zu dürfen. Von einem solchen Ansinnen war ich nicht gerade erbaut. Doch um der Freundschaft willen ließ ich mich auf das Abenteuer ein. Zur Stunde, da wir in Konnersreuth eintrafen, weilte Therese Neumann im Pfarrhaus. Ich läutete an der Haustür und erwartete die Haushälterin. Als sich die Tür öffnete, stand Therese vor mir. Ich entschuldigte mich, daß ich nun schon wieder bei ihr anklopfe, der ich doch erst vor wenigen Tagen ihre Hilfe beansprucht habe. Diesmal verhielt sie sich nicht gerade freundlich, besonders als ich ihr sagte, heute hätte ich mit einem besonderen, seltsamen Anliegen aufzuwarten. Ich schilderte ihr, die Umstände und sprach von der angeblichen Besessenheit des Mädchens. Ihre verblüffende Antwort: „An allem soll der Teufel schuld sein!“ Als gäbe es nicht genug andere Ursachen, von denen her sich das unnormale Verhalten dieses Mädchens erklären ließe. Sollte man da nicht zuerst einen Arzt, einen Psychiater, zu Rate ziehen? Das hatte Therese wohl mit ihrer hart formulierten Antwort sagen wollen. So war sie: überlegen, klar, nüchtern. Meine drei Begleiter wurden eingelassen. Ich wollte nicht dabei sein. Auch das Ergebnis der Aussprache interessierte mich nicht.

Wenige Jahre nach dem Krieg war ich zu einer ökumenischen Woche in der Benediktinerabtei Neresheim eingeladen. Namhafte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und der Wissenschaft nahmen teil. Leiter und Moderator der Veranstaltung war der Benediktiner Beda Müller, ein universal gebildeter Mönch, der bis zur Stunde die Tradition der Neresheimer Bildungstage fortführt. Mit Pater Beda kam ich außerhalb der Vorträge und Seminare ins Gespräch. Dabei fiel auch einmal - ich weiß nicht mehr in welchen Zusammenhang der Name Therese Neumann. Der Mönch horchte auf und sagte: „Da kann ich Ihnen für Sie Interessantes berichten. Ich war bereits Priester, als man mich unter Hitler an die Front schickte, nach Russland. Nach langer Zeit erhielt ich endlich, einmal Urlaub. Die Fahrt in die Heimat führte durch die Tschechoslowakei. Als ich den deutschen Grenzort Arzberg erreichte, fiel mir ein, daß Konnersreuth ganz in der Nähe liege. Ich wollte Therese Neumann besuchen, die ich noch nie gesehen hatte. So verließ ich den Zug und marschierte nach Konnersreuth. Sie können sich vorstellen, wie ich aussah in meiner verdreckten Uniform und mit meinem schäbigen Reisegepäck. Als ich das Zimmer der Stigmatisierten betrat, erkannte sie in mir sofort den Priester, wußte, welcher Abtei ich angehöre und ließ mich wissen, daß sie meinen Abt gut kenne und ihm sehr gewogen sei: „sagen Sie ihm, daß ich seiner Bitte nachkommen und für ihn und seine Mönchsgemeinschaft beten werde.“ Ich war verblüfft. Später blieb mir auch die russische Kriegsgefangenschaft nicht erspart. Als ich entlassen wurde, war ich insofern sehr traurig, als ich einen lieben Freund im Elend zurücklassen mußte. Nach meiner Heimkehr entschloß ich mich sofort, aufs neue Konnersreuth aufzusuchen, um Therese Neumann zu bitten, sie möge doch beten, damit der Freund sobald wie möglich in die Heimat entlassen werde. Da geschah das Unglaubliche: Nach etwa einer Woche durfte ich ihn in meine Arme schließen.

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Therese Neumann vor dem Hubschrauber der US-Streitkräfte, bevor er das Kreuz zur Kirchturmspitze beförderte. Sie blicken dem Hubschrauber nach.

Ständige Besucher der Therese Neumann waren die Amerikaner. Sie „entdeckten“ die Stigmatisierte nicht erst, nachdem sie als Besatzungssoldaten deutschen Boden betreten hatten. In ihrer Heimat hatte sich nämlich die Botschaft von Konnersreuth bereits in einem Maße herumgesprochen, daß den meisten jene mystischen Ereignisse längst bekannt waren. Deshalb auch die Rücksichtnahme auf den Ort, als die Amerikaner gegen Ende des Krieges gezwungen waren, Konnersreuth zu stürmen, um die SS-Besetzer zu vertreiben. Das war im letzten ein Akt der Pietät. Pietät war den Amerikanern auch anzuspüren, als sie später an den Karfreitagen zu Tausenden nach Konnersreuth kamen, um die mit Jesus Leidende zu erleben. Zu den Verehrern der Therese Neumann zählten jedoch nicht nur die Soldaten und deren Ehefrauen, sondern auch hohe Offiziere der US-Armee, Vertreter der amerikanischen Intelligenz also. Begegnungen mit ihnen gehörten unmittelbar nach dem Krieg geradezu zur Tagesordnung. Immer wieder boten sie in Freundschaft ihre Hilfe an. Die nahm Therese kaum für sich persönlich in Anspruch, es sei denn, daß sich ihr die Möglichkeit auftat, in einem amerikanischen Auto eine ferne Gegend zu besuchen. Wo immer sie Hilfe erbat, lag ihr stets ein höherer Zweck im Sinn.

Dies einmal sogar buchstäblich. Das Kreuz auf dem Turm der Konnersreuther Pfarrkirche war schadhaft geworden. Es mußte abgenommen und erneuert werden. Dieses Kreuz wieder an Ort und Stelle zu bringen, hätte viel Arbeit erfordert und technische Schwierigkeiten verursacht. Dies war Thereses amerikanischen Freunden bekannt geworden. Die nun zögerten nicht, Konnersreuth einen Militär-Hubschrauber zur Verfügung zu stellen, der das Kreuz mühelos zur Kirchturmspitze flog und dort mit hoher Präzision aufsetzte. Diese Aktion war ein Ereignis für Konnersreuth. Viele Schaulustige hatten sich versammelt. Amerikanische Offiziere überwachten den Flug. Unter ihnen stand auch Therese Neumann. Bevor der Hubschrauber das Kreuz aufnahm, hatte sich die Stigmatisierte hingekniet, um dem Heilszeichen ihre Verehrung darzubringen.

Nochmals will ich zum Jahr 1945 zurückkehren. Schon damals gab es eine Zeitung für die in Bayern stationierten Soldaten der US-Armee: „The Bavarian“. Die ehemalige Diplomhandelslehrerin und spätere Amtsrätin Gerti Löchel fungierte damals im Landratsamt Tirschenreuth als Dolmetscherin. Sie machte mich auf einen ausführlichen Artikel über Therese Neumann aufmerksam, der bereits am 15. November 1945 in der besagten amerikanischen Soldatenzeitung abgedruckt war. Schon kurze Zeit nach der Kapitulation der

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Deutschen also griffen amerikanische Redakteure das Thema Konnersreuth auf. In der gleichen Nummer erschien auch ein größerer bebilderter Beitrag über die Kunstdenkmäler des Stiftlandes mit der Waldsassener Basilika, der Kapplkirche und dem Bibliothekssaal der Zisterzienserinnen-Abtei Waldsassen.

Lästige Besucher, die Therese Neumann bis an ihr Lebensende geradezu verfolgten, waren der Stigmatisierten die Journalisten. Einschränkend muß gesagt werden, daß es deren nicht wenige gab, die Konnersreuth in der Absicht aufsuchten, über die dortigen Vorgänge unvoreingenommen und objektiv zu berichten. Aber viele mißbrauchten das Vertrauen der Mystikerin. Ihre Darstellungen strotzten nicht selten von Unwahrheiten, Verdrehungen, beleidigenden Unterstellungen, ja Verleumdungen, Ihr Mißtrauen gegenüber der schreibenden Zunft war daher mehr als gerechtfertigt. Ein Boulevard-Blatt hatte sogar die Behauptung in die Welt gesetzt, Therese Neumann sei Mutter eines außerehelich geborenen Kindes.

Als wieder einmal eine große Zeitung viel Ungutes über sie verbreitet hatte, ließ mich Therese rufen, weil sie der Überzeugung war, daß man dazu unter keinen Umständen schweigen könne, vielmehr eine Richtigstellung formulieren müsse. Der beanstandete Artikel war um die Zeit ihres sechzigsten Geburtstages erschienen. Damals gingen ihr viele Glückwünsche aus aller Welt zu, zweihundert Briefe, Telegramme und Blumengrüße. Aber die Freude darüber hatten ihr wieder einmal die Journalisten arg getrübt. Auch Pfarrer Naber nahm an unserem Gespräch teil. „Man kann über diese mystischen Vorgänge unmöglich zutreffend schreiben“, meinte er, „wenn man sie nicht an Ort und Stelle gründlich studiert und in ständiger Begegnung mit der Stigmatisierten immer wieder erfahren hat. Am allerwenigsten wird man mit einer psychopathischen Einordnung dieser Vorgänge als schizoider Erscheinungen den Tatsachen gerecht. Und was besagt schon die einschränkend gemeinte Bemerkung mit religiösem Einschlag wenn in jenem Artikel von angeblich gelehrten Bänden die Rede ist, die kurzschlüssig eine solche Auslegung. der Phänomene befürworten. Konnersreuth ist ein eindeutig religiöses Faktum. Es kann nur vom Religiösen, das heißt ganz konkret von der Wirklichkeit Christi her verstanden werden.“

Therese schaltete sich ein. Sie distanzierte sich entschieden von der Unterstellung der, wie es hieß, „eingespielten Organisation“ der Konnersreuther Karfreitage und von der „theatralisch aufgezogenen großen Szene, in die das Wunder gehüllt ist“. Erneut ließ sie mich wissen, wie sehr sie allen Massenbetrieb in Konnersreuth ablehne und, wann immer möglich, die Verborgenheit und Abgeschiedenheit suche. Als ausdrückliche Beleidigung empfinde sie die Behauptung, „daß in Konnersreuth im Hinblick auf ihre Person Haus an Haus Anbeter und Verdammer wohnen“. „Ich habe in Konnersreuth keine Feindschaft“, erklärte sie. Im Gegenteil: „Man holt mich in unserem Ort zu allen Kranken, damit ich sie tröste und für sie bete.“

„Und nun soll ich gar noch ein Haus für 110 000 Mark gebaut haben!“ Diese Behauptung bezeichnete Therese Neumann als schlechterdings unverschämt. Sie erklärte: Mit diesem sogenannten Hausbau hatte es folgende Bewandtnis: Es wurde kein Haus gebaut, vielmehr handelt es sich um den Ausbau der mit, dem kleinen Neumann-Anwesen verbunden gewesenen Scheune, deren Mauern und Dach sogar unverändert mitverwendet werden konnten. Die durch den Umbau gewonnenen Räume werden dem jetzt siebenundachtzigjährigen Pfarrer Josef Naber für Wohnzwecke zur Verfügung stehen, wenn er in den Ruhestand tritt. Denn den Pfarrhof muß er ja schließlich seinem Nachfolger überlassen.

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Therese Neumann verfügte damals nicht allein über, das Haus, sie teilte den Besitz vielmehr mit zwei Schwestern. „Auch mit der Bausumme hat der Berichterstatter maßlos übertrieben“, bemerkte Therese, „denn die Bau- und Installationsarbeiten haben zum größten Teil Handwerker ausgeführt, die zu meiner Verwandtschaft gehören. Ich selbst erhebe auf das Haus keinen weiteren Anspruch als den, daß ich fortan mein Stübchen, das ich seit 1918 bewohne, behalten darf.“

Was Therese nun sagte, bezeugt ihren ausgeprägten Realitätssinn. Trotz ihrer außerordentlichen Begnadung stand sie mit beiden Füßen in der Wirklichkeit, des Lebens. Immer wieder bekannte sie sich ausdrücklich, zu Konnersreuth und verfolgte mit großem Interesse die kommunalpolitischen Bestrebungen der Markträte: „Und was soll man. dazu sagen, wenn in dem Artikel behauptet wird, die Zufahrtsstraßen nach Konnersreuth seien gar so schlecht? Oder wenn das Schulhaus als baufällig bezeichnet wird? Unser Schulhaus ist nicht baufällig, sondern nur zu klein. Natürlich bedarf der Außenputz dringend der Erneuerung. Im übrigen ist Konnersreuth drauf und dran, ein neues Schulhaus zu bauen. Baugrund hat die Gemeinde bereits erworben. Und was die „wieselflinken Landpolizisten“ betrifft, so haben eben diese umsichtigen Polizeibeamten an den Karfreitagen in Konnersreuth alljährlich nur ihre Pflicht getan, und dies jedesmal in vorbildlicher Weise.“ Jetzt kam Therese auf ihre Vögel zu sprechen, denn auch sie waren in jenem unseriösen Artikel erwähnt worden: „Bleiben noch die piepsenden Wellensittiche, die der Berichterstatter in meinem Zimmer beobachtet hat. Der gute Mann scheint keine Ahnung von Tierkunde zu haben, denn ich habe gar keine Sittiche, sondern nur einheimische Waldvögel.“

Pfarrer Naber und Therese Neumann baten mich nun, über unser Gespräch in der Zeitung zu berichten, um wenigstens die massivsten Unterstellungen öffentlich zu entkräften. So schrieb ich denn einen längeren Artikel, in , dem ich als wörtliches Zitat auch eine treffliche Charakterisierung des zur Debatte stehenden Journalisten unterbrachte. Diesen wenig schmeichelhaften Satz des Pfarrers Naber nahm der Betroffene zum Anlaß, um mir „berufsschädigende“ Absichten anzulasten. Nach wenigen Tagen erhielten Therese Neumann (nicht Pfarrer Naber) und ich von einem Rechtsanwalt einen gleichlautenden Brief. Darin kam in wenigen Sätzen zum Ausdruck, daß sich jener Journalist in seiner Berufsehre verletzt fühle und Genugtuung fordere.

Der Autor im Gespräch mit Therese Neumann

Falls wir - Therese Neumann und ich - bereit seien, den auf der Rückseite des Briefes vermerkten Geldbetrag - es handelte sich jeweils um etwa 200 DM - zu zahlen, sehe sein Mandant von einer Strafanzeige ab. Da war eine sofortige Aussprache unumgänglich. „Was wollen oder sollen wir jetzt tun?“ fragte ich Therese. Sie darauf: „Wir nichts. Nein. Unter keinen Umständen. Wir lassen es darauf ankommen.“ Die Dinge hätten nun, wie angekündigt, ganz gewiß ihren vorbedachten Lauf genommen, wäre meinem Rechtsanwalt nicht klar

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geworden, daß nur ein Frontalangriff die Angelegenheit aus der Welt schaffen könne. Gegen den Schreiber müsse gerichtlich vorgegangen werden. Ich solle Therese Neumann bitten, sie möge Prozeßvollmacht erteilen. Sie sagte sofort zu und unterschrieb ohne Bedenken das dafür notwendige Formular, das ich ihr vorlegte. Seitdem war der Streit beigelegt. Denn einen Prozeß hätte sich der „Beleidigte“ keinesfalls leisten können. Er wäre der Unwahrheit überführt worden. Therese hat diese Ereignisse nie vergessen. Noch nach Jahren öffnete sie einmal während eines Gesprächs ihren kleinen Schreibtisch und zog die Gebührenquittung „ihres“ Rechtsanwalts hervor. Auch sie war ja damals auf Rechtshilfe angewiesen. „Wissen Sie noch ...“ meinte sie.

Man hätte denken können, daß es nach dem Tod der Stigmatisierten stiller würde um Konnersreuth. Aber die Erinnerung blieb. Viele besuchen jahrüber das Grab der Therese Neumann, das mit Dankbotschaften für erwiesene Hilfe übersät ist. Auch Theologen und Naturwissenschaftler machen sich nach wie vor Gedanken über das Geschehene, denn die Konsequenzen dieser Mystik sind noch lange nicht zu Ende gedacht. An Gedenktagen oder vom Thema angelockt äußern sich auch die Medien mehr oder minder überzeugend über die Stigmatisierte und ihr ungewöhnliches Leben. Sogar das Fernsehen hatte sich bereits mehrfach in die Diskussion eingeschaltet. Einen besonders wertvollen, weil objektiven und umfassenden Beitrag strahlte das Bayerische Fernsehen am 8. November 1974 unter dem Titel „Ist Wunder das richtige Wort?“ aus. Der vielbeachtete Film wurde Wochen zuvor einem kleinen Kreis von Redakteuren und Journalisten in München vorgeführt. Ich fand ihn mehr als, nur bemerkenswert und veröffentlichte deshalb die folgende Besprechung:

Für den Film zeichnet Peter Gehring verantwortlich. Er hatte sich die Arbeit wahrlich nicht leicht gemacht. „Mir ging es“, sagte er, „weniger darum, in diesem Bericht möglichst viel Psychologisches, oder Theologisches einzubringen, ich wollte sozusagen den Hintergrund darstellen, vor dem sich jene Phänomene an und um Therese Neumann haben ereignen können. Die Menschen auch sollten geschildert werden, um die herum jene Dinge geschahen.“

Peter Gehring ging an diese Reportage mit hohem Verantwortungsbewusstsein. Vor allem vermied er jegliche Tendenz im Positiven wie im Negativen. Er wollte der Sache dienen. Ganz im Gegensatz zu manchen anderen Darstellungen in Literatur und Film, welche die Absicht des Autors kaum verbergen und schon in der Einführung die Tendenz Katze aus dem Sack lassen. In diesem Film kommen viele zu Wort. Der Bürgermeister und die Gemeinderäte von Konnersreuth ebenso wie die Verwandten der Stigmatisierten, der Arzt, der Pfarrer, ein Zahnarzt, Theologen, ein Parapsychologe und der Regensburger Bischof Dr. Rudolf Graber. Es war für Peter Gehring nicht leicht, an alle diese Zeitgenossen heranzukommen und sie zu brauchbaren Aussagen zu bewegen. So nimmt es nicht wunder, daß der 45-Minuten Film eine Vorbereitungszeit von etwa einem Jahr in Anspruch nahm.

Gehring zeigt den Zuschauern zunächst eindrucksvolle Bilder der Landschaft des mit Kulturdenkmälern reich gesegneten Stiftlandes, einer Gegend mit harten Konturen und einem mehr oder minder verschlossenen Menschenschlag. Dientzenhofers Kapplkirche taucht auf. Verträumt im Frühlingswindwehende Birken beleben die Landstraße. Aber dann kommt gleich Dramatik in die Szene. Auf dem Platz vor dem Geburtshaus der Stigmatisierten drängen sich die Menschen zu Tausenden. Es ist Karfreitag. Der Zudrang derer, die Therese Neumann sehen wollen, ist so massiv, daß ein starkes deutsches und amerikanisches Polizeiaufgebot die Menschen mit Gewalt zurückdrängen und Ausschreitungen hintanhalten muß. Man hat den Eindruck, als seien die Andrängenden selber ekstatisch bewegt und vom mystischen Ereignis überwältigt. Immer wieder werden die Bilder von sinnbezogen

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eingeblendeter Orgelmusik untermalt. Das Ewiges andeutende Geschehen soll auch im musikalischen Gleichnis anklingen.

In Stichworten wird die Biographie der Stigmatisierten geschildert: Ihre Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen, der Unfall, der zu Erblindung, und Lähmung führte, die plötzliche, wunderbare Heilung, das Auftreten der Stigmen, ihre Visionen, die Wiedergabe fremder Sprachlaute, das stellvertretende Leiden und schließlich die nach wie vor vieldiskutierte, über fünfunddreißig Jahre andauernde absolute Nahrungslosigkeit.

Eben diese Biographie hatte vermocht, in den zwanziger und dreißiger Jahren die halbe Welt auf die Beine zu bringen. Zu Tausenden kamen sie Jahr um Jahr an den Freitagen der vorösterlichen Zeit, besonders aber an den Karfreitagen, Neugierige, und Spötter ebenso wie Glaubende und Suchende. Die Weltpresse berichtete darüber jeweils unter großen Schlagzeilen. Die Wissenschaftler und Theologen zerbrachen sich die Köpfe über das Unerklärliche. Die Diskussion ging seitdem unaufhaltsam weiter. Konnersreuth - Literatur füllt bereits eine Bibliothek. Immer neue wissenschaftliche, kritische und biographische Abhandlungen beleben den Büchermarkt. Natürlich gibt es auch gegnerische Stimmen. Die meisten kommen - so wird in dem Film gesagt - seltsamerweise und ausgerechnet aus der katholischen Kirche.

Nun hat, Bischof Graber den Informationsprozess für Therese Neumann ins Auge gefaßt. „Wir haben“, sagt er im Film, „zunächst den Versuch gemacht, die Dinge exakt festzulegen. Wir sammeln Materialien. Das kann jedoch nicht eine einzelne Person leisten. Deshalb haben wir uns für Teamarbeit entschieden. Erst wenn diese Arbeit abgeschlossen ist, kann man mit dem Seligsprechungsprozeß beginnen“.

Vor vielen Jahren schon waren Passionsekstasen und Visionsabläufe der Therese Neumann im Film festgehalten worden. Auch sie konnte man in der Fernsehaufzeichnung sehen. Hier freilich scheint uns der Einbruch in eine Sphäre zu geschehen, die den unantastbaren Intimbereich dieses mystischen Lebens umschließt. Die Bilder der Leidensekstasen wirken teilweise wohl erschütternd, jene der Visionen hingegen nicht selten unverständlich, ja grotesk. Sie überzeugen nicht und fordern daher die Spottlust derer heraus, die Konnersreuth ohnedies mit Skepsis begegnen. Diese seltsame, teilweise fahrige Gestik und Mimik der Mystikerin vermag der Uneingeweihte nicht zu verkraften, geschweige denn aufzuarbeiten. Man hätte auf diese Szenen verzichten sollen.

Peter Gehring hat in seinem Filmdokument nicht nur prominente Konnersreuth-Freunde und Kirchenleute befragt, er ist auch unters Volk gegangen bis hin zum Bürgermeister des Ortes. „Herr Bürgermeister“, fragte der Autor provozierend, „kann man in Konnersreuth vierzig Jahre lang mit einer Lüge leben?“ Willi Bauer dazu: „Das ist ganz unmöglich. Lüge scheidet schon vom Wesen der Therese Neumann her aus.“ Ein Gemeinderat: „Ich zweifle in keinem Fall daran.“ Anderer Meinung ist der in Konnersreuth ansässige Arzt: „Ich pflege mich dazu nicht gerne zu äußern . An die Nahrungslosigkeit jedenfalls glaube ich nicht.“

Ausgiebig kommt im Film der Bruder der Stigmatisierten, Ferdinand Neumann, zu Wort. Er weiß vieles zu deuten und zu erklären, zeigt Haus und Wohnung, Wäschestücke mit eindrucksvollen Blutspuren, die von den Wundmalen herrühren, und erzählt von den Massenbesuchen an den Karfreitagen. Die Geschwister seien davon gar nicht erbaut gewesen, denn an diesen Tagen habe es für sie soviel wie kein Privatleben mehr gegeben: „Mehrere Millionen kamen im Laufe der Jahrzehnte nach Konnersreuth. Wir waren gar nicht mehr Herr im eigenen Haus.“ Wenn Ferdinand bei einem solchen Massenandrang ins Freie wollte,

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entfernte er sich stets durch ein abgelegenes Fenster. Unbeantwortet blieb freilich die Frage, weshalb man die vielen Besucher überhaupt eingelassen habe.

Natürlich wollte der Filmautor auch Konnersreuth-Gegner zu Wort kommen lassen. Doch mit seiner Auswahl hatte er wenig Glück. Keiner ging ihm vor die Kamera. Zwei Aussagen dünken uns noch wesentlich zu sein. Peter Gehring befragte den bekannten Parapsychologen Professor Dr. Hans Bender. Sein Buch „Unser sechster Sinn“ hatte Aufsehen erregt. Bender meinte, daß Therese Neumann durchaus eine paranormale Begabung gewesen sei. Die religiöse Relevanz des Wunders könne man nicht ausschließen. Vom Wunder an sich meinte der Gelehrte, daß es eine geheime Möglichkeit der Natur sei. In ähnlichem Sinne äußerte sich auch der Eichstätter Theologieprofessor Gläser, der von der Vieldimensionalität der Wirklichkeit sprach, für die man offen sein müsse.

In Freimann kam es nach der Aufführung des Films zu einem in vielen Dingen klärenden Gespräch. Die Journalisten zeigten sich dem ungewöhnlichen Thema gegen über sehr aufgeschlossen. Unangenehm allerdings fiel auf, daß kein einziges Bistumsblatt der bayerischen Diözesen trotz schriftlicher Einladung vertreten war, natürlich auch nicht die Regensburger Bischofszeitung. Kann man daraus Rückschlüsse ziehen?

Soweit meine Rezension des Films. Nun interessierte mich natürlich brennend die Reaktion der Bevölkerung, der Zuschauer. Meine breitgestreut angelegten Erkundungen ergaben, daß die Urteile weit auseinanderlagen. Den Kennern jener Phänomene bot der Film kaum Neues. Für sie war er eine willkommene Reminiszenz. Viele jedoch, die zum erstenmal mit diesen Vorgängen konfrontiert wurden, fühlten sich schockiert, wenn nicht abgestoßen. Einer sprach von „unappetitlichen“ Aufnahmen, die ihn wenig später veranlaßt hätten, das Gerät abzuschalten. Ein anderer definierte die „verzückten“ Gesichtsbewegungen der Therese Neumann bei einer Vision als Ausdruck von Hysterie, wenn nicht ausgesprochener Geistesgestörtheit. Wieder anderen mißfiel die, wie sie sagten, „Primitivität“ und Unzuständigkeit der „Zeugen“. Ich traf aber auch auf Zeitgenossen ohne religiöse Prägung, die sich von dem Film stark angesprochen fühlten, obwohl oder gerade weil sie einer ihnen völlig unbekannten Wirklichkeit begegnet waren. Sehr positiv beurteilten jedoch die meisten die den Film ergänzende und abrundende Diskussion mit einem Theologen, einem Psychologen und einem Parapsychologen. Die Wissenschaftler hellten zwar manche Tatbestände auf, doch blieb am Ende dennoch alles offen., Der Intellekt reicht eben nicht aus, um das „Wunder“ zu beweisen oder zu definieren. Stigmatisation, Visionen und Telepathie hatte man gerade noch „geschluckt“, aber mit der totalen Nahrungslosigkeit kamen die Diskutierenden nicht oder nur unzulänglich zurecht. Der einzige wesentliche und entscheidende Erklärungsfaktor blieb nämlich ausgeschlossen: die Eucharistie. Um ihn zu akzeptieren, ist Glaube erforderlich. Alles in allem: Wie sehr der Film auch eine Fülle von Fragen offengelassen hat, scheint er doch viele zum Nachdenken und zum schöpferischen Zweifel angeregt zu haben.

Im gleichen Jahr wartete noch ein zweiter Autor mit einer Deutung der Konnersreuther Vorkommnisse im Bayerischen Rundfunk auf, der Würzburger Theologe Dr. Max Rößler. Er hat übrigens ein liebenswertes, reichbebildertes Buch über Therese Neumann geschrieben, das ich jedermann empfehlen kann. Max Rößler erschien mir von Anfang an insofern interessant, als er über den Horizont der katholischen Dogmen weit hinausblickt und in der außerkirchlichen Weltliteratur. eine zweite Heimat gefunden hat. So hat denn auch sein „Hörbild“ über Therese Neumann in jeder Hinsicht gehalten, was sich viele von ihm versprochen hatten. Jenseits alles religiösen Schwärmertums, von dem auch Konnersreuth nicht verschont geblieben ist und bleibt, war klare Objektivität das Kennzeichen dieser

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Sendung. Rößler versuchte, auszusagen, was er selber, gesehen und gehört hatte, gestützt auf Stimmen von Autoritäten des geistigen und theologischen Lebens, die nicht überhört werden sollten.

Kein Geringerer als der Dichter Hugo von Hofmannsthal hatte sich bereits mit Therese Neumann beschäftigt. Rößler bezog sich bei dieser Feststellung auf den Schweizer Humanisten Carl J. Burckhardt, dem Hofmannsthal den Plan einer Verfilmung der Konnersteuther Vorgänge eröffnet hatte. Aber eine seltsame innere Stimme hielt Hofmannsthal denn doch von seinem Vorhaben zurück: „Da hatte ich an etwas gerührt, das nicht der Kunst gehört. Die Unantastbarkeit des Geheimnisses war ihm aufgegangen.“

Dr. Rößler erinnerte dann an die Karfreitage in Konnersreuth, die Erschütterung und Ratlosigkeit der Eltern ob des unbegreiflichen Geschehens an ihrer Tochter Therese. Ein Lob galt der Bevölkerung von Konnersreuth. „Noch nie erlebte ich eine Kirche, in der so innig der Kreuzweg gebetet wurde wie in Konnersreuth.“ Der Autor kam dann darauf zu sprechen, wie und in welchem Maße viele hochrangige Persönlichkeiten den „Fall Konnersreuth“, zum Anlaß genommen hatten, um den Phänomenen gläubig oder wissenschaftlich nachzugehen, und wie sehr sie von dem, was sie erlebt hatten, betroffen waren: ein Kardinal Faulhaber etwa, der Theologe und Dichter Josef Bernhart, der Schriftsteller Sigismund von Radecki, der Hauptschriftleiter der „Münchner Neuesten Nachrichten“ Dr. Fritz Gerlich oder die Schriftstellerin Luise Rinser, um nur einige zu nennen. Gerlich, so berichtete Rößler, sei in der Absicht nach Konnersreuth gekommen, um in journalistischem Übereifer „den ganzen Schwindel“ aufzudecken, habe jedoch dort die völlig unerwartete Hinkehr zum katholischen Glauben vollzogen und sei bis zu seiner Ermordung durch Hitlers Schergen in Dachau einer der glühendsten Verfechter der „Konnersreuther Sache“ gewesen.

Therese Neumann, so argumentierte Rößler, war weit entfernt von jeglicher Hysterie. Ihr Wesen war schlicht und einfach gebaut wie nicht zuletzt ihr Schriftbild beweist. Diese Schrift wurde auf Veranlassung von Luise Rinser einer neutralen Graphologin vorgelegt. In deren wissenschaftlichem Urteil wird, die Stigmatisierte als eine Person von außerordentlicher Klarheit des Wesens, als völlig illusionslos, als unbeeinflussbar und von großer Überlegenheit gegenüber dem Urteil anderer geschildert.

Vielsagend ist auch der Wunderbegriff, den Therese Neumann vertreten hat. Als Rößler sie daraufhin einmal ansprach, wies sie auf eine Schale mit Äpfeln und meinte, daß doch auch ein Apfel und seine Entstehung Wunder seien. Nicht minder das festliche Ausblühen der winterstarren Bäume im Frühling. „Alles, was von Gott kam, war für Therese ein Wunder.“ Ihr Wunderverständnis sei ganz anderer Art gewesen als jenes der Gelehrten. Abschließend erwähnte Max Rößler den Regensburger Erzbischof Michael Buchberger, der gesagt habe, daß viele Menschen in Konnersreuth Hilfe empfangen, den Glauben neu erfahren oder zu diesem Glauben wunderbar hingefunden hätten. Sein Nachfolger hinwiederum, Rudolf Graber, verstehe Konnersreuth als Zeichen der Liebe zum eucharistischen und gekreuzigten Herrn. Die Zwanzig-Minuten-Sendung des Bayerischen Rundfunks hat in ihrer Prägnanz mehr über die Botschaft von Konnersreuth ausgesagt als verbreitete süß-fromme Traktätchen oder manches phantasieloskritische, primitivster Pietät entbehrende Buch eines Besserwissers. Jenen Besucher von Konnersreuth, den ich jetzt vorstellen werde, habe ich seit je deswegen sehr geschätzt, weil er das mystische Geschehen vom Wort, von der Sprache her anging: Erzbischof Dr. Josef Parecattil aus Ernakulam in Indien. Er war der Stigmatisierten 1958 und 1960 begegnet. 1967 besuchte er den Regensburger Bischof Rudolf Graber, der seinem Gast die englische Übersetzung einer Therese Neumann-Biographie des Dr. Johannes Steiner aus München überreichte. Den Inder hatte die Lektüre dieses Buches derart ergriffen, daß er den

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Verleger bat, er möge ihm doch die Übertragung des Textes in die Malayalam-Sprache, das heißt in die Eingeborenensprache der Provinz Kerala in Indien gestatten. Der Bischof war an Konnersreuth auch insofern außerordentlich interessiert, als das Aramäische oder Syro-Chaldäische die liturgische Sprache seines Bistums ist. Auch Jesus hatte ja bekanntlich aramäisch gesprochen. Gerade mit Bezug auf diese Sprache hatte sich der indische Bischof mit Therese Neumann mehrfach unterhalten. Sie konnte ihm auf Grund ihrer mystischen Schauungen über wichtige aramäische Worte Jesu präzise Auskunft geben. Therese überraschte den Bischof durch ihre erstaunlichen Kenntnisse einer fremden Sprache, die sie nie gelernt hatte.

Ich unterließ es, mich in die schwierige, tief ins fremdartig Sprachwissenschaftliche hineinreichende Materie einzuarbeiten, sondern überließ es dem philologisch hochgelehrten Bischof, selber Stellung zu nehmen. Er kam meiner Bitte gerne nach und stellte mir den folgenden Beitrag zur Verfügung: „Vor kurzem hatte ich das Glück, das erregende Leben der Therese Neumann durch das Buch von Johannes Steiner kennenzulernen. Meine Aufmerksamkeit richtete sich besonders auf die aramäischen oder syrochaldäischen Worte und Sätze, die sie aus den Visionen vom Leiden unseres Herrn wiedergeben konnte. Aus diesem Grunde bin ich in der Lage, mehrere Einzelheiten hinzuzufügen, da ich mit Therese zweimal über dieses Thema gesprochen habe.

Sie konnte die aramäischen Worte aus dem Gedächtnis wiedergeben. Aramäisch ist unsere liturgische Sprache. Und es ist jene Sprache, die Jesus, Maria und die Apostel gesprochen haben. Matthäus schrieb sein Evangelium aramäisch. Der Apostel Thomas, der den christlichen Glauben nach Indien brachte, führte das Aramäisch bei uns ein. Bei Gelegenheit meines ersten Besuches in Konnersreuth fragte ich die Stigmatisierte, ob sie einige Sätze zu wiederholen vermochte, die sie während der Visionen gehört hatte. Sie bejahte es, fügte aber hinzu, daß sie vielleicht nicht richtig sein könnten, da sie sich nur auf ihr Gedächtnis verlassen könne. Deshalb bedauerte sie ihre Unfähigkeit, die Sätze korrekt auszusprechen. Ich konnte jedoch alle ihre Aussagen verstehen.“

Der Bischof stellt nun einige bekannte Worte vor, die Jesus bei seinem Leiden und nach seiner Auferstehung gesprochen hatte. „Ob auch Maria zu ihr rede?“ Therese: Nein, sie schweigt. Neben Therese stand bei meinem Besuch ein kleines Mädchen mit dem Namen Maria. Ich nannte sie aramäisch Mariam. Da korrigierte mich Therese, bestand auf Miriam und fügte hinzu, daß die Mutter Jesu mit beiden Namen angeredet wurde. Im Tempel nannte man sie Miriam. Josef aber pflegte sie mit Mariam zu rufen. Nebenher sagte mir Therese auch, daß Jesus im Tempel ein eleganteres Aramäisch gesprochen habe als mit seinen Aposteln im palästinensischen Alltag. Leider unterließ ich es damals, zu fragen, wie sie denn diese Stile zu unterscheiden vermochte.

Therese freute sich, als ich ihr mitteilen konnte, daß man sich in Indien noch heute des Aramäischen als liturgischer Sprache bediene. Diese Freude spricht auch aus einem Brief, den sie mir am 12. April 1962, wenige Monate vor ihrem Tod, geschrieben hat. Als ich ihr einmal gegenübersaß, bat sie mich, einige aramäische Sätze vorzulesen. Ich hatte nur mein Brevier bei mir. Ich schlug es willkürlich auf und begann, einen Abschnitt vorzutragen, in dem auch das Wort „malka“ vorkam. Dieses Wort kenne ich, rief sie, und zwar vom Wunder der Brotvermehrung her. Da haben die Juden „malka, malka“ gerufen, das heißt König.

Bevor ich schließe, kann ich nicht umhin, zu sagen, daß ich von ihrer kindlichen Einfalt, ihrer Menschlichkeit, ihrem tiefen Glauben, ihrer Liebe zum Leiden, ihrem Gebetseifer und Gehorsam tief beeindruckt war. Als ich Therese bei meinem zweiten Besuch fragte, ob sie mir

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als Andenken ein Stück Leinen mit Blutspuren einer Leidensekstase mitgeben könne, antwortete sie, daß ihr das der Bischof verboten habe. Bevor ich sie beide Male verließ, kniete sie vor mir nieder und erbat sich meinen Segen.“ Im April 1974 kam eine Diplompsychologin aus der Schweiz auf mich zu. Ich weiß nichts mehr von den Umständen, die sie zu mir geführt hatten. Sie wirkte in Dornach, am geistigen Mittelpunkt der Anthroposophie, die Rudolf Steiner ins Leben gerufen hatte. Diese neue „Weisheitslehre über den Menschen“ hat in fast allen Ländern Europas Wurzeln geschlagen. Ihre Arbeitsgebiete erstrecken sich ebenso auf Pädagogik und Medizin wie die Naturwissenschaften und Künste. Die Bewegung ist vor allem durch ihre Waldorfschulen populär geworden. Universalität der Menschenbildung wird angestrebt, Dieser Geistesrichtung gehörte auch mein Schweizer Gast an. Sie war eine „Jüngerin“ Rudolf Steiners. Die Frau arbeitete als Praktikerin der Heil-Eurhythmie, das heißt einer Bewegungstherapie an schwachsinnigen oder organisch kranken Kindern. Drei Tage der Woche verbrachte sie in einer eigenen Praxis, die übrigen drei in heilpädagogischen Heimen.

Was sie denn bewogen habe, nach Konnersreuth zu fahren, fragte ich. „Mein Interesse für Therese Neumann“, sagte sie, „erstreckt sich in der Hauptsache auf den Inhalt ihrer Schauungen. Ich hatte mich sehr intensiv mit den Visionen der Anna Katharina Emmerick beschäftigt. Auch der Isenheimer Altar des Matthias Grünewald hat mich in Erstaunen versetzt. Hier entdeckte ich eigenartige Zusammenhänge, die mir bisher noch nicht aufgefallen waren.“ Ich wollte auch wissen, was sie denn als wissenschaftlich arbeitende Psychologin von den Konnersreuther Vorgängen halte. „Hinsichtlich ihrer Echtheit besteht für mich kein Zweifel“, stellte sie fest. Auch von Suggestion oder Autosuggestion kann keine Rede sein. Die Selbstbeeinflussung eines Geisteskranken etwa ist nämlich stets in irgendeinem Sinne zweckgerichtet. Er will etwas gewinnen oder erreichen. Dies alles entfällt bei Therese Neumann“.

Nach ihrer Ankunft in Konnersreuth besuchte die Schweizerin zunächst die Kirche: „Wissen Sie, wenn ich in irgendeinen Ort komme, möchte ich zuerst die Kirche sehen.“ Dann stand sie eine Weile vor dem Geburtshaus der Stigmatisierten, um sich später in einem Buchladen einige Schriften über Therese Neumann zu besorgen. Ihr nächstes Ziel war das Theresianum. Die dortigen Karmelitinnen nahmen sie gastfreundlich auf. Bald kam es zu einem herzlichen Gespräch. Vorab ging es dabei um die Beziehungen der Mystikerin zu Theresia von Lisieux. Die Schwestern gingen die Psychologin auch um ihren therapeutischen Rat zu zwei schwierigen Fällen innerhalb ihres caritativen Betreuungsbereichs an.

Um Therapie ging es auch in unserem Psychologisches anpeilenden Gespräch: „Ist es möglich, daß ein begnadeter Mensch einen kranken Mitmenschen heilen kann?“ Antwort: „Das kann durchaus geschehen, und zwar dann, wenn ein Kranker die Begnadung des anderen innerlich bejaht und sich auf ihn einstellt. Der Hilfesuchende wächst damit über sich hinaus, gerät in die Strahlkraft des Göttlichen und erfährt die Lebensmacht des Christus. Da kann sich nun in der Tat Heilung ereignen. Außerordentlich schätzte die Wissenschaftlerin an Therese Neumann deren soziales Engagement. Sie meinte damit vor allem die Begründung der Spätberufenenschule Fockenfeld und des Theresianums. Nicht minder bewunderte sie die Naturliebe und Naturverbundenheit der Stigmatisierten, ihre Freundschaft mit Tieren und Pflanzen und ihre Hingabefähigkeit an die Wunder des Kosmos.

Auch Thereses Nahrungslosigkeit habe sie sehr bewegt. Sie anzuzweifeln, gebe es keinen vernünftigen Grund: „Hier gilt es eben, geistige Tatbestände anzuerkennen. Auf sie verweisen. alle Lebensumstände der Therese Neumann. Die Dinge sind voller Wahrheit. Nur jener wird die Mystikerin schmähen, der bei ihrer Beurteilung den gesunden Menschenverstand preisgibt. In der Hostie repräsentierte sich ihr eben der auferstandene

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Christus. „Therese“, bemerkte ich, „hatte und hat natürlich auch Feinde, die ihr nicht selten übel mitspielen. „ Die Psychologin darauf: „Das sind Menschen, die sich gegen die Echtheit dieser Erscheinungen wehren. Ich habe solche Leute sehr in Verdacht, daß sie im Tiefsten ihres Wesens wohl um die Wahrheit dieser Phänomene wissen, doch die Hybris, die Überheblichkeit ihres Verstandes, läßt nicht zu, daß sie gläubig Ja sagen. Nur eine radikale Änderung des Denkens könnte hier weiterführen.“

15. April 1976. Es ist seltsam: Immer wieder läuft man in Konnersreuth Unbekannten über den Weg, bei denen sich nach einem flüchtigen Begrüßungswort herausstellt, daß sie Freunde der Therese Neumann gewesen sind,. Leute, die zum immer kleiner werdenden Kreis derer gehören, die sie persönlich gekannt, ihre mystische Begnadung verehrt und das eigene Leben, nachfolgend,. unter das Gesetz des Kreuzes gestellt haben.

So: kam, es dieser Tage zu einer überraschenden Begegnung mit einer Frau aus Worms. Ihr sei, wie sie sagte, Konnersreuth zum religiösen Schicksal geworden. So sehr, daß, die nunmehr Siebzigjährige im Verlauf von vierzig Jahren den Ort nicht weniger als fünfundsechzigmal besucht habe. Erstmals sei sie 1936 hier gewesen. Auch die letzten Lebenswochen der Stigmatisierten habe sie miterlebt. Sie halte ihr auch heute noch die Treue und lege ihr Leben in Thereses fürbittende Hände. Weiter berichtete sie: „Als der Regensburger Bischof vor einigen Jahren zur Einleitung des Seligsprechungsprozesses eine Umfrage bei jenen veranstalten ließ, die Therese Neumann erlebt hatten und gültige Aussagen über sie machen konnten, meldete auch ich mich. Ich rühmte ihren außerordentlichen religiösen Sinn, ihre Bescheidenheit und Korrektheit.“ Stets sei sie arbeitswillig und dienstbereit gewesen und habe sich durch uneigennützige Liebe zu Kindern, Armen und Kranken ausgezeichnet. Fünfzigmal sei sie Zeugin der Leidensekstase gewesen, oft auch habe sie mystische Schauungen miterlebt. Darüber hinaus meldete die Wormserin die plötzliche Heilung ihres Mannes von einer tödlich scheinenden Krankheit. Auch sie selber habe eine derart unerwartete Genesung von einem schweren Leiden auf, wie sie sagte, Thereses Fürbitte hin erfahren.

Der Autor mit Kaplan Fahsel und Freunden an einem Karfreitag in Konnersreuth.

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„Die mystischen Ereignisse in Konnersreuth“, stellte die Frau fest, „hatten nicht nur auf den Ort hin, sondern weit über den Markt hinaus ungewöhnliche Ausstrahlungskraft. Was die Nahrungslosigkeit anlangt, so wäre es denkbar unrecht, hier von Schwindel zu reden. Als Freundin des Hauses Neumann hatte ich viele Tage bei Therese zugebracht, nie aber konnte ich beobachten, daß sie auch nur das Geringste an fester Speise oder Flüssigkeit zu sich nahm. An Thereses Leichnam fiel mir auf, daß die Heimgegangene nach vier Tagen der Aufbahrung mehr einer Schlafenden denn einer Toten glich.“ Die Aussagen dieser Frau schienen mir insofern bedenkenswert zu sein, weil sie anders, überzeugender klangen als manche verbreiteten, überschwänglich fromm formulierten und wenig sachlichen Sympathieäußerungen.

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Ein Wunder?

Wundersucht liegt mir nicht. Auch wenn jemand sagt, da oder dort sei ein Wunder geschehen, rät mir mein skeptischer Sinn zu Vorsicht. So verhielt ich mich auch als mich im September 1965 die telefonisch übermittelte Bitte erreichte, ich möge so bald wie möglich nach Konnersreuth kommen, denn es sei etwas Außerordentliches passiert. Anrufer war der holländische Passionistenpater Paul Brouwers. Tags darauf trafen wir uns in einem Konnersreuther Gasthaus. Da saß ich nun unter einer kleinen holländischen Pilgergruppe, zu der außer dem Ordensmann auch die Bauerseheleute Berta und Peter Johannes Meuleberg, einer ihrer Söhne und die Hebamme der Heimatgemeinde zählten. Sie seien gekommen, hieß es, um für eine wunderbare Heilung zu danken, die man mit Sicherheit ausschließlich der Fürbitte der Therese Neumann zuschreiben dürfe.

Ich sah mir die Hauptbeteiligten genau an. Deren folgende stichwortartige Charakterisierung entnahm ich meinen Aufzeichnungen. Frau Meuleberg, die Geheilte: siebenundvierzigjährige Bauersfrau aus kleinlandwirtschaftlichem Betrieb, schlicht, bescheiden, noch voller Freude über die Heilung, ehrliche Schilderung des Vorgangs, redet ohne Umschweife, keine verdächtigen Emotionen, leidensbereit, gottergeben. Der Ehemann: still, in sich gekehrt, leiderprobt (kranke Frau und fünf Kinder), rauchte eine Zigarre, sprach wenig, nur kurze Bemerkungen, von ernster Sinnesart. Der Pater: lebhaft, weltzugewandt, begeisterter Verehrer der Therese Neumann, Übersetzer einer Biographie der Stigmatisierten ins Holländische, redete mich sofort mit „Du“ an, schloß Freundschaft, leidenschaftlicher Zigarrenraucher. Was war geschehen?

Frau Berta Meuleberg war vier Jahre und zwei Monate an schwerem chronischem Gelenkrheumatismus erkrankt, konnte sich kaum bewegen, litt unter ständigen Schmerzen und mußte meist das Bett hüten. Knie und Handgelenke waren dick angeschwollen, die Hände unbrauchbar. Die kleine schmale Stiege zum Schlafzimmer im oberen Stockwerk ihres Hauses konnte sie nur kriechend, auf ihre Ellenbogen gestützt, bewältigen. Der Ehemann half ihr dabei. Die Schmerzen an den Händen - so Frau Meuleberg - seien oft von solcher Heftigkeit gewesen, daß sie die beiden Handrücken mit, heißem Wasser übergossen habe.

Diese noch vor wenigen Wochen schwerkranke Frau, war nun nach Konnersreuth gekommen, um das Grab der Therese Neumann zu besuchen, denn sie war - wie sie bezeugte - nach einer Novene (Gebet an neun aufeinanderfolgenden Tagen) zu der Stigmatisierten plötzlich geheilt worden, ich fragte sie: „Kannten Sie Therese Neumann und hatten sie irgendwelche Beziehungen zu ihr? Oder haben Sie viel von ihr gehört und sich mit Literatur über die Stigmatisierte beschäftigt?“ Die Frau: „Nein! Nur unsere Hebamme, die Therese sehr schätzt, hat mir einige Male von ihr erzählt. Vor einiger Zeit verkaufte sie mir ein Büchlein mit dem Titel „Therese Neumann von Konnersreuth - ein Zeichen für unsere Zeit“. Die Verfasserin heißt Anni Spiegl. Pater Brouwers hat es ins Holländische übersetzt. Frau Meuleberg weiter: „Ich habe aber dieses Buch gar nicht gelesen, sondern es nur durchgeblättert. Stark beeindruckt war ich allerdings von dem Titelbild, einer Aufnahme der Therese, und von dem Untertitel „Ein Zeichen für unsere Zeit“. So beschloß ich denn, nicht zuletzt auf Anraten unserer Hebamme, zu Therese Neumann eine Novene zu halten.

Und so ging es weiter: „Ich begann zu beten. Jeden Tag sprach ich die gleichen Gebete und Bitten. Am vierten Tag - ich lag zu Bett - hörte ich ein viermaliges Klopfen. Es war, wie wenn man auf Eichenholz klopft.“ Die Kranke brachte das Geräusch spontan mit Therese Neumann in Verbindung. Von da an, sagte Frau Meuleberg, sei sie überzeugt gewesen, daß sie am neunten Tag geheilt werde. „Wenn das wirklich geschieht, Therese, was soll ich dann

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tun?“ sprach sie. Da hörte sie eine Stimme sagen: „Du sollst zu meinem Grab kommen.“ Die Frau darauf: „Ich trau' mich nicht. Es passiert heute so viel auf den Straßen. Ich habe Angst vor dem Verkehr". Die Stimme: „Du kannst ruhig fahren. Es wird nichts passieren". Die Frau: „Dann bringe ich auch die Hebamme und den Pater mit.“

Tags darauf, am fünften Tag der Novene, wollte Frau Meuleberg der unsichtbar Sprechenden erzählen, wie viel Schweres sie doch in ihrem Leben schon habe erdulden und wieviel Undank sie habe erfahren müssen. Doch sie unterbrach die Klage und sagte: „Ach, Resl, Du weißt ja alles selber am besten.“ Darauf die Stimme: „Für all diese Leiden erhältst Du Deine Gesundheit wieder“. Zugleich war ihr verboten worden, über die in Aussicht gestellte Heilung zu sprechen. Die Stimme fuhr fort: „In der Nähe Deines Hauses soll man eine Kapelle bauen, in der für den Frieden und die Eintracht der Menschen gebetet wird.“

Am achten Tag der Novene verschlimmerte sich der Zustand der Kranken derart, daß der Ehemann befürchtete, seine Frau werde sterben. „Ich werde unverzüglich den Arzt und einen Priester rufen lassen“, sagte er. Doch die Frau wehrte ab. Der Mann: „Aber Frau, nun sage mir doch endlich, was mit dir ist. Nun sind wir schon so lange verheiratet und haben keine Geheimnisse voreinander gehabt, so sag mir doch, was mit Dir geschehen soll!" Sie darauf: „Frage mich nicht weiter, denn ich sage nichts. Aber am Freitag werden Dir die Augen aufgehen. Sorge auf alle Fälle dafür, daß bis dahin die Wohnzimmertür gestrichen wird, und daß auch sonst im Hause alles in Ordnung ist, denn am Freitag werden uns viele Leute besuchen. Auch der Pater wird kommen.“

Der neunte Tag, 3. September 1965, ein Herz-Jesu-Freitag: Der Zustand der Frau läßt ahnen, daß der Tod nahe ist. Gegen 14:30 Uhr schläft die Kranke ein. Erstaunlich, denn sie hatte die ganze Woche über kein Auge zugetan. Gegen 16:30 Uhr betritt der Ehemann das Schlafzimmer. Frau Meuleberg schlägt die Augen auf und fragt: „Wie spät ist es?“ Der Mann: „16:30 Uhr.“ Die Frau: „Ich habe heute noch nicht gebetet, nun, dann wird es halt etwas später geschehen.“

Betrübt verläßt der Gatte den Raum und begibt sich in das unten gelegene Wohnzimmer, dessen Tür er einen Spalt breit offen läßt. Im Hause ist es bedrückend still. Da hört der Mann plötzlich, wie jemand polternd die Stiege herunterläuft. Der Störenfried könne kein anderer als sein siebenjähriger Sohn sein, vermutet er. Er tritt zur Stiege, um ihn zu maßregeln: „Ich wollte ihn ob seiner Rücksichtslosigkeit ohrfeigen“, sagte er. Da - er kann es nicht fassen -kommt ihm glückselig und freudestrahlend seine Frau entgegen und ruft: „Vater, ich bin geheilt!“

So schilderte mir Frau Meuleberg ihre Heilung. Die einfache und klare Darstellung der Vorgänge ließ keinen Zweifel an deren Wahrheit aufkommen. Dafür bürgte mir die Lauterkeit der Frau, die nach meiner Überzeugung keine Halluzination vortrug, vielmehr eine Begebenheit beschrieb. Ich mußte ihr Glauben schenken.

Doch dieser Wunderbericht ließ mir keine Ruhe. Vor allem wollte ich mich über den medizinischen Hintergrund informieren. So rief ich denn - ohne Wissen der Betroffenen - jene Klinik in Holland an, in der die Frau über Monate hinweg untergebracht und therapeutisch behandelt worden war. Ich ließ mich mit dem Chefarzt, einem bekannten Rheuma-Spezialisten, verbinden. Dieser erklärte, die Krankheit der Frau sei nicht unheilbar gewesen, doch schloß er schwere, unkorrigierbare Verschleißerscheinungen an den Gelenken nicht aus. Es könne auch sein, daß sich noch andere Krankheiten, die er nicht zu beurteilen vermöge, hinzugesellt hätten. Er sei nur für das Krankheitsbild „Rheuma“ zuständig. Als ich den Arzt

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auf die Plötzlichkeit der Heilung aufmerksam machte, meinte er, hier könnten „psychische Momente“ mitgewirkt haben. Auf meine Frage, ob er ein Wunder für möglich halte, stellte er fest: „Es kann schon Wunder geben, aber in diesem Fall halte ich es für ausgeschlossen.“ Dieser Arzt war kein Niederländer, sondern japanischer Herkunft. Ob und inwieweit er dem Christentum nahe stand, konnte ich nicht ermitteln.

Wie dem auch sei: Was sich da an Frau Meuleberg ereignet hat, läßt sich nicht „wissenschaftlich“ definieren. Auch ich erlaube mir kein Urteil. Doch kann ich mich dem Eindruck nicht verschließen, daß sich hier Zusammenhänge auftun, mit deren Deutung die bloße Vernunft nicht zurechtkommt. Ich überlasse es dem Leser, sich mit ihnen auseinander zusetzen. Der „Fall“ sei zur Diskussion gestellt.

Die Holländer am Grab der Stigmatisierten. Zweite von rechts Frau Berta Meuleberg.

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Hier in Konnersreuth verbrachte Therese Neumann ihr Leben. Im Hintergrund der Aufnahme ist ihr Geburtshaus zu erkennen.

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Werke

Mystiker sind stets in Gefahr, mißverstanden zu werden. Nach weit verbreiteter Meinung handelt es sich bei ihnen um Menschen, die es fertiggebracht haben, mit der „Welt“ und allem Irdischen zu brechen, um nur noch, im unsichtbaren Bereich der Schöpfung, im Göttlichen zu verweilen. Solchem Fehlurteil ist auch Therese Neumann nicht entgangen. Auch sie wurde nicht selten Opfer eines von der Wirklichkeit nicht gedeckten religiösen Schwärmertums. Doch gründlicher konnte man ihr Persönlichkeitsbild kaum verzeichnen. Die Stigmatisierte hatte sich zu keinem Zeitpunkt ihres Lebens vom „Hiesigen“ vom Irdischen abgemeldet. Seit je vertrat sie die Überzeugung, daß gerade im Hier und Heute jene Entscheidungen fallen, die unser ewiges Schicksal besiegeln. Daß zum Glauben das Werk treten müsse, wenn Glaube überzeugen solle. Solche Gesinnung schließt eminent soziales Denken und weltoffenes Handeln ein.. Diese Haltung hat Therese Neumann über ihr persönliches caritatives Wirken hinaus durch zwei große Projekte dokumentiert: die Spätberufenenschule Fockenfeld und das Anbetungskloster „Theresianum“ in Konnersreuth. Ohne die Mystikerin von Konnersreuth gäbe es diese beiden segensreichen, Gründungen nicht. Ich verweise auf sie deshalb mit besonderem Nachdruck, weil die beiden Klöster in den Biographien der Stigmatisierten meist nur als kaum wesentliche Anhängsel ihrer Lebensgeschichte abgehandelt werden.

Noch weniger bekannt aber sind die Kraft und die Leidenschaft, die Therese Neumann umgetrieben haben, um ihre Pläne ins Werk zu setzen. Keine anfängliche Enttäuschung vermochte sie zu entmutigen. Nur wer ihre durch nichts zu erschütternde, Hoffnung und ihre freudige Hingabe an die „Sache“ kennt, wird ihrer Persönlichkeit ganz, gerecht. Mancher überschwänglich hingerissene Verehrer wird Sie aus den „Himmeln“ seiner Phantasie wieder auf die Erde herunterholen müssen, um ihr Werk und Wirken aus nächster Nähe bestaunen zu können.

Über die Vorgeschichte der beiden Klöster durfte ich viel Aufschlußreiches vom Bruder der Stigmatisierten, Ferdinand Neumann, erfahren. Er selber war Zeuge jener Planungen. Er hat an ihnen mitgewirkt und ihren Fortgang, beobachtet. Die Gründung der Spätberufenenschule Fockenfeld schilderte, er mir so:

„Meine Schwester Resl hatte seit langer Zeit eine besondere Beziehung zu den Oblaten des heiligen Franz von Sales in Eichstätt". Diese unterhielten bereits seit 1928 eine Schule für Spätberufene, allerdings nur in ganz kleinem Rahmen. Ich selber habe drei Jahre lang diese Schule besucht und machte dann die Aufnahmeprüfung in die sechste Klasse am humanistischen Gymnasium Sankt Stephan in Augsburg. Bei einem, der häufigen Besuche Resls in Eichstätt etwa 1948 berichteten ihr die Salesianer, daß man die Schule erweitern müsse, weil immer mehr Anmeldungen von Schülern aus den verschiedenen Diözesen einträfen. Die Patres baten die Resl um ihre Gebetshilfe, damit ein passendes Gebäude gefunden werde. Wenig später erfuhr die Resl, daß das Schloßgut Fockenfeld verkauft werden solle. Es seien bereits Verhandlungen mit Vertretern der evangelischen Kirche geführt worden. In Fockenfeld sollte ein Diakonissenheim eingerichtet werden. Die Resl bat den Besitzer, diese Verhandlungen abzubrechen, denn sie habe einen ganz anderen Plan, den sie in Kürze vorlegen werde.

Der Besitzer machte darauf aufmerksam, daß der Kaufpreis von 450000 DM bar bezahlt werden müsse, weil er in Dillingen eine Strumpffabrik erwerben wolle. Die Resl nahm sofort Verbindung mit den Salesianern auf. Diese aber wußten nicht, wie das Projekt finanziert werden solle. Nicht minder wichtig war die Frage, ob der Regensburger Bischof die

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Niederlassung mit Seminar in seiner Diözese zulassen werde. Deshalb sprachen die Resl und Pater Hans Riedl beim Bischof vor, um dessen Zustimmung zu erreichen. Zu dieser Besprechung ließ der Bischof den Prälaten Lorenz Rosner rufen, weil dieser aus der Pfarrei Konnersreuth stammte. Dieser riet von der Planung ab, schon deswegen, weil es sich bei Fockenfeld um einen „Gant-Hof“ (einen Hof, der zur Versteigerung ansteht) handle und die Gebäude baufällig seien. Daraufhin erklärte der Bischof, man solle von diesem Projekt die Finger lassen. Es sei besser, wenn die Salesianer in Eichstätt blieben. Da zeigte sich die Resl in einem Maße erschüttert, daß sie in Tränen ausbrach.

Anschließend brachte ich die Resl zu Dompfarrer Höfner, einen Prälaten, der vor Jahren Stadtpfarrer von Waldsassen gewesen war. Er wußte, daß das Schloßgut in mustergültigem Zustand ist. Er beruhigte deshalb die Resl und versprach, er werde bei der nächsten Sitzung des Domkapitels die Sache klären. Es dauerte nicht lange, da erlaubte Bischof Buchberger dem Orden der Salesianer die Gründung des Spätberufenenseminars in Fockenfeld. 1950 feierte man im Pfarrhof zu Konnersreuth den achtzigsten Geburtstag des Pfarrers Josef Naber. Zum Festmahl waren nur einige Freunde geladen. Unter ihnen war auch Fürst Erich von Waldburg zu Zeil mit seiner Gattin Monika. Der Fürst schätzte sich glücklich, diesem Freundeskreis angehören zu dürfen, und sagte: Wenn ich euch nur auch einmal eine Freude machen könnte. Da meinte die Resl: Wir haben ein ganz besonderes Anliegen, nämlich die Übernahme des Schloßgutes Fockenfeld durch die Salesianer und die Finanzierung des Projekts. Der Fürst meinte, es wäre für ihn eine Kleinigkeit, die Kosten zu übernehmen, wenn seine Verhandlungen mit der französischen Regierung erfolgreich verliefen. Es gehe um die Entschädigung von 160000 Festmetern Holz, die man in seinen Wäldern eingeschlagen habe. Darüber hinaus seien ihm schwere Verluste an wertvollem Herdbuchvieh in seinen Gutshöfen entstanden. Ein Prozeß mit dem Ziel der Wiedergutmachung laufe schon seit Jahren. Da bat der Fürst die Resl um ihr Gebet, damit er Erfolg habe. Dann wäre er sofort bereit, die Finanzierung des Klosters und der Schule der Salesianer zu gewährleisten.

Nun hatte ich seit zwei Jahren gute Beziehungen zu Leuten, der „JEJA“ in Frankfurt. Mein Freund Franz Joseph Strauß hatte mich in seiner Eigenschaft als Mitglied des bizonalen Wirtschaftsrates dort eingeführt. Die „JEJA“ war zuständig für alle Wirtschaftsfragen und die Wiedergutmachung von Besatzungsschäden in der sogenannten Bizone, also für die von Amerikanern und Engländern besetzten Gebiete Deutschlands. Zu dem Leiter dieser Organisation, Moris S. Verner, trat ich bald in ein gutes Verhältnis. Seine Einstellung gegenüber den Deutschen war bemerkenswert positiv, Verner war Konvertit. Bei unserem ersten Treffen sagte er: Daß ich Amerikaner bin und Sie Deutscher sind, dafür können wir beide nichts. Aber uns verbindet die christliche Religion. Auffallend war sein starkes Interesse an meiner Schwester.

Nun wollten Resl und ich diesen Mister Verner aufsuchen, um ihm die Sorgen des Fürsten vorzutragen und ihn um Hilfe zu bitten. Tagelang drängte mich die Resl, mit ihr doch nach Frankfurt zu fahren. Als wir dort ankamen, mußten wir erfahren, daß Verner zur Kur in Bad Harzburg weile. Der Ort lag weitab von Frankfurt. Die Fahrt dorthin, dachte ich, hätte die Resl wohl überanstrengt. Doch sie drängte mich, weiterzufahren. So meldete ich mich denn telefonisch in Bad Harzburg an. Verner und, seine Gattin ließen erkennen, daß sie sich auf unseren Besuch sehr freuten. Resl trug dem Amerikaner sofort ihre Sorge um Fockenfeld vor und schilderte ihm die Notlage, in die der Fürst geraten war. Doch Verner machte der Resl wenig Hoffnung auf Erfolg, denn er wisse genau, daß sich die Franzosen um jede Entschädigung herumzudrücken pflegen. Aber dennoch: Der Fürst solle ihm unverzüglich eine genaue Aufstellung seiner Schäden zuschicken. Er werde versuchen, Klarheit zu

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schaffen, obwohl er auf das französisch besetzte Gebiet keinen unmittelbaren Einfluß ausüben könne.

Spät am Abend traten wir die Heimreise nach Konnersreuth an. Die Resl nahm auf dem Rücksitz meines Autos Platz. Die Fahrt hatte sie sehr angestrengt. Der Fürst meldete sofort seine Schäden nach Frankfurt. Da geschah das völlig Unerwartete: Der Fürst erhielt eine Entschädigung in Höhe von 2,5 Millionen DM. Nun war er in die Lage versetzt, sein Versprechen einzulösen. Er überwies den Salesianern als zinsloses Darlehen 450000 DM. Das Schloßgut konnte jetzt in den Besitz des Ordens der Oblaten des heiligen Franz von Sales übergehen.

Was die Patres seitdem aus diesem alten Schloßgut gemacht haben, nötigt Bewunderung ab. Ein Kloster entstand und eine Schule, ein humanistisches Gymnasium. Oft durfte ich dort die Gastfreundschaft der Priester und Lehrer erfahren. Mit ihnen verbinden mich auch heute noch vielfältige geistige und religiöse Interessen. So ließ ich denn auch keine Gelegenheit vorübergehen, um für diese Schule zu werben und möglichst viele junge Menschen für sie zu begeistern. Nur selten war ich einer Bildungseinrichtung von solcher geistiger Geschlossenheit begegnet. Humanismus und Christentum haben hier eine ideale Heimat. Die Pflege beider Geistesrichtungen steht obenan. Aber auch die Naturwissenschaft hat hohen Stellenwert. Aus Anlaß des vierzigjährigen Bestehens der Schule im Jahre 1986 habe ich versucht, ihren Bildungsbestrebungen auch im Detail nachzugehen und sie publizistisch einem großen Leserkreis vorzustellen:

Die Spätberufenenschule Sankt Josef in Fockenfeld, nahe dem weltberühmten Konnersreuth gelegen, hat in diesem Jahr viel Anlaß zum Feiern und Danken. Die vom Orden der Oblaten des heiligen Franz von Sales gegründete Schule, ein humanistisches Gymnasium für sogenannte Spätberufene, darf nämlich ein beachtliches Jubiläum begehen. Vor vierzig Jahren ist sie ins Leben gerufen worden. Allerdings nicht in Fockenfeld, vielmehr in Eichstätt, wo die Patres ein Klerikatshaus unterhielten. Als sich die Schule wenig später als viel zu klein

erwies, galt es, nach einem neuen Standort Ausschau zu halten. Man fand ihn im oberbayerischen Schloß Hirschberg am Haarsee bei Weilheim. Da sich immer mehr Schüler meldeten, wurde die Frage ihrer Unterbringung aufs neue akut. Immerhin verblieb der Orden mit seiner Schule zwölf Jahre lang in Hirschberg. Aber nun war deren räumliche Erweiterung nicht mehr zu umgehen.

Das Fockenfelder Schloßgebäude mit seinem prächtigen Portal.

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In dieser wahrhaft kritischen Situation bot sich der ehemalige Gutshof und einstige Sommersitz der Zisterzienseräbte von Waldsassen, Fockenfeld zum Kauf an. Doch woher sollte der Orden die Finanzmittel nehmen, um dieses vielversprechende Gebäude zu erwerben? Da sprang nun keine Geringere als Therese Neumann in die Bresche. Denn der Plan, daß ganz in ihrer Nähe eine Bildungsstätte für Priesterberufe errichtet werden sollte, begeisterte sie. Als einmal Fürst Erich von Waldburg-Zeil die Stigmatisierte besuchte, weihte die „Resl“ den hohen Gast in das Anliegen der Oblaten ein und fragte ihn, ob er nicht helfen könne. Der Fürst sagte zu, knüpfte jedoch seine Hilfeleistung an eine Bedingung: „Resl, die Franzosen haben in meinen Wäldern Holz im Werte von einigen Millionen geschlagen. Da habe ich doch ein Anrecht auf Entschädigung. Wenn du es zuwege bringst, daß ich diese erhalte, so helfe ich dir gerne beim Kauf von Fockenfeld.“ Die Rückerstattung gelang. Denn nachdem Therese Neumann bei einem einflußreichen Offizier der US-Besatzungsmacht in Frankfurt vorgesprochen hatte, wurde dem Fürsten Gerechtigkeit zuteil. Von der hohen Summe, die man ihm zuerkannte, stellte er 1951 dem Orden spontan so viel Geld zur Verfügung, daß dem Erwerb von Fockenfeld nichts mehr im Wege stand. So verdankt sich denn Fockenfeld im Grunde dem beherzten Zugriff der Stigmatisierten. Deshalb weiß ihr der Orden viel Dank. Thereses Bild hat in Fockenfeld einen Ehrenplatz.

Die Fockenfelder Schule wurde am 15. September 1955 mit fünfundsechzig Gymnasiasten eröffnet. Der Regensburger Erzbischof Dr. Michael Buchberger erteilte dem Haus seinen Segen und meinte in seiner Ansprache: „Heute ist die Bildung des Volkes weit fortgeschritten. Da kann man nicht unvorbereitet die Kanzel besteigen. Daher müssen die Schüler dieses Hauses das Studium sehr ernst nehmen. Noch wichtiger aber als das Studium ist die Bemühung, recht beten zu lernen. Wir brauchen nicht nur tüchtige, sondern vor allem auch fromme Priester.“ Das war ein Programm.

Noch aber waren nicht alle Gymnasiasten der Spätberufenenschule in Fockenfeld vereinigt, denn erst nach umfangreichen Um- und Neubauten war es möglich, auch die in Hirschberg noch verbliebenen Schüler nach Fockenfeld zu rufen. Ab 8. September 1960 galt es, einhundertfünfzig Studenten zu unterrichten. Die längst ersehnte Zusammenfassung aber konnte erst geschehen, als genügend Unterrichts und Wohnräume zur Verfügung standen. Die Erweiterungsarbeiten erforderten viele Opfer und hohe Investitionen. Die Krönung all dieser architektonischen Bereicherungen war der Bau einer Seminarkirche, die der Regensburger Bischof Dr. Rudolf Graber am 16. Oktober 1968 konsekrierte. Eine besondere Sehenswürdigkeit dieses räumlich klar konzipierten und durchgehend liturgiebezogenen Bauwerks sind seine Glasfenster mit ihrer Verherrlichung der Heilstaten Christi in Leiden, Tod und Auferstehung. Ihr Schöpfer heißt Blasius Spreng. Die Kirche zählt heute zu den bemerkenswertesten neueren Sakralbauten der Nordoberpfalz.

Auf welche Ziele nun ist die Fockenfelder Schule ausgerichtet? Sie ermöglicht jungen Menschen, die bereits eine handwerkliche, kaufmännische oder sonstige Berufsausbildung hinter sich gebracht haben, in einem abgekürzten Studiengang den Erwerb des gymnasialen Reifezeugnisses mit Blick auf das spätere Studium der Theologie. Berufsziel ist nämlich das katholische Priestertum. Doch die bereits berufstätig Gewesenen sind in Fockenfeld heute nicht mehr die dominierende Gruppe. Außer ihnen nimmt die Anstalt auch Hauptschüler mit qualifizierendem Abschluß auf. Sie werden in fünf Jahren zum Abitur geführt. Ferner sind in Fockenfeld auch junge Leute mit mittlerer Reife willkommen. Sie erreichen nach vier Jahren das Abitur. Schließlich können sich auch Gymnasiasten melden, die nach der neunten oder zehnten Klasse eine Schule mit spezieller Prägung suchen. Ihren Unterricht empfangen alle, in, klösterlicher Atmosphäre. Direktor Pater Dr. Max Hofinger dazu: „In unserem Hause leben und wirken zur Zeit zwanzig Ordensleute: acht Patres und acht Brüder sowie vier

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Mallersdorfer Schwestern. Allein schon durch die Begegnung mit diesem Personenkreis erleben, unsere Seminaristen das Besondere eines geistlichen Hauses.“ Pater Hofinger rühmte auch die der Besinnlichkeit Raum gebende Abgeschiedenheit des Klosters und die Nähe von Konnersreuth: „Ein Seminar braucht viele beharrliche Beter, ist doch Gottes Segen für das Keimen und Wachsen einer Berufung wesentliche Voraussetzung. Wir sehen im Anbetungskloster von Konnersreuth (Theresianum) den Ort, wo für unsere Seminaristen Tag um Tag gebetet wird.“

Die Fockenfelder Schule ist ein humanistisches Gymnasium, eine Anstalt also, in der die beiden alten ehrwürdigen Sprachen Latein und Griechisch eine herausragende Rolle spielen. Die Schüler werden intensiv in den Geist des klassischen Altertums eingeführt, nicht zuletzt durch die Lektüre jener unsterblichen Schriftsteller, Dichter und Philosophen, ohne die das christliche Abendland undenkbar wäre. Doch es bleibt nicht beim Sprachstudium. Auch für Mathematik und Naturwissenschaften etwa stehen wohlausgebildete Lehrer zur Verfügung, nicht minder für Musik und Sport. Doch nicht der „Spezialist“ steht im Mittelpunkt der Fockenfelder Erziehungs- und Bildungsarbeit, sondern der auf Ganzheit und auf die Fülle des Lebens hin orientierte Mensch. Deshalb spielen die Schüler auch Theater und unternehmen mit ihren Lehrern Bildungsreisen, um sich neue geistige Horizonte zu erschließen und „weltfähig“ zu werden. Natürlich fordern die wenigen Jahre bis zum Abitur den Schülern harte Arbeit ab. Doch alle sind mit sichtlicher Freude bei der Sache. Diese Hingabe an das Studium hat längst reiche Frucht getragen, denn nicht weniger als 250 ehemalige Fockenfelder sind Priester geworden. Andere arbeiten in kirchlichen Dienststellen oder sind im sozialen Bereich tätig.

Dem Fockenfelder Gymnasium erteilte bereits am 12. Oktober 1966 das Bayerische Kultusministerium die staatliche Anerkennung. Seitdem legen die Schüler ihre Abiturprüfung nicht mehr an einer fremden Lehranstalt, sondern im eigenen Hause ab. Die Gediegenheit und Erfolgssicherheit der Schule haben sich längst herumgesprochen. Maßgebliche Persönlichkeiten des schulischen, geistigen und öffentlichen Lebens, sparen deshalb nicht mit Lob für die humanistisch ausgerichtete Zielstrebigkeit der Schule und ihrer Lehrer. So auch Bischof Manfred Müller von Regensburg: „Nach vierzig Jahren, seit 1955 in Fockenfeld, dürfen die Oblaten des heiligen Franz von Sales auf vielfältige Frucht ihrer dienenden Arbeit blicken. Die Statistik der Eintritte von Abiturienten der Spätberufenenschule Fockenfeld in die Priesterseminare verschiedener Diözesen und auch des Ordens läßt erkennen, daß der einst beschrittene Weg richtig war.“

Der Ministerialbeauftragte für die Gymnasien in der Oberpfalz, Oberstudiendirektor Dr. Hroß, rühmt der Schule nach: „Alle, die diese Schule durchlaufen haben, werden sich dankbar der persönlichen, geschickten und pädagogisch einfühlsamen Führung durch die Schul- und Heimleitung erinnern. In den amtlichen Berichten ist immer wieder von ihrer Sachkompetenz, ihrer Erfahrung und Menschlichkeit die Rede, auch davon, wie sie es in einer Mischung aus Herzlichkeit und Bestimmtheit versteht, die Schüler zu ermuntern und zum Festhalten am erstrebten Ziel anzuspornen. Das Bemühen der Schule, den Zöglingen trotz des gedrängten Bildungsganges die Augen für eine Geisteswelt zu öffnen, in der sich unsere Kultur besonders eindrucksvoll entfaltet, und ihnen durch Erziehung zu einer zeitgemäßen, christlichen Lebenshaltung eine grundlegende, menschliche Formung zu vermitteln, die unabhängig von der künftigen Berufswahl eine Bereicherung des Lebens bedeutet, stellt den charakteristischen Grundzug dieser Bildungsarbeit dar.“

Die Lehrer des Gymnasiums haben zum Jubiläum eine prächtige, reichbebilderte Festschrift herausgebracht. In ihren Beiträgen spiegeln, sich ebenso eindrucksvoll die Geschichte von

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Kloster und Schule wie der von Franz von Sales vorgeprägte christlich-humanistische Geist des Ordens. Interessante historische Berichte steuerte Pater Josef Müller, der Senior des Hauses, ein Mann sozusagen der ersten Stunde, bei. Schüler schildern überzeugend ihre Erfahrungen mit Schulbetrieb, Lehrern und religiös-klösterlichem Umfeld. Pater Karl Schacherl deutet unter dem Leitwort „Hilfe über die Schule hinaus“, die Gestalt des heiligen Franz von Sales und erschließt die Zeitgemäßheit seiner Spiritualität. Der Heilige habe als Humanist alle menschlichen Werte bejaht, alles Gute und Schöne, das die Welt zu bieten habe. Der Mensch dürfe und solle sich dieser Welt und seines Lebens freuen und alles gebrauchen, was Gott ihm in seiner Güte schenke. Er habe aber auch die Aufgabe, seine Anlagen und Fähigkeiten auszubilden und jedes Talent zu nützen. Doch müsse zu aller Weltbejahung die restlose Hingabe an Gott hinzutreten. Solche ganzheitliche Bildung im Sinne des Heiligen nennt Pater Schacherl das Hauptziel der Fockenfelder Schule. Orden, Lehrer und Schüler feiern ihr Jubiläum am 21. und 22. Juni in Fockenfeld. Am Samstag versammeln sie sich in der Kapelle zu einem Vespergottesdienst, um 18 Uhr spielen die Studenten im Festsaal „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch. Dem Festgottesdienst am Sonntag um 9.30 Uhr in der Seminarkirche schließt sich eine Feierstunde im Festsaal an. Dazu werden auch prominente Ehrengäste erwartet.

Nun wende ich mich dem großen Unternehmen zu, dem Therese Neumann bis an ihr Lebensende anhing, der Gründung des Anbetungsklosters „Theresianum“ in Konnersreuth. Wie das eigentlich zuging und wie sehr die Stigmatisierte von der „Idee“ eines Klosterbaus in ihrer Heimatgemeinde geradezu besessen war, ist den meisten Zeitgenossen kaum oder nur bruchstückhaft bekannt. Aufs neue bat ich Ferdinand Neumann, den Bruder der Mystikerin, mir die Geburt jener „Idee“ darzustellen und den Hintergrund zu beschreiben, von dem her das Werk erst umfassend verständlich wird. Ferdinand war Zeuge der ersten Überlegungen, wie der Plan anzugehen und zu verwirklichen sei. Auch da taten sich Schwierigkeiten auf, gab es Verwicklungen und Verwirrungen. Auch Ärger blieb nicht aus. Der folgende Bericht des Bruders gibt nicht nur baugeschichtliche Aspekte wieder, er läßt auch interessante Rückschlüsse auf die Spiritualität der Therese Neumann, auf ihre Hingabe an das Werk, ihre Selbstlosigkeit und ihr Verständnis von Weltkirche zu, die damals aufbrach, sich im römischen Konzil von Grund auf zu erneuern. Doch nun gebe ich Ferdinand Neumann, dem Freunde, das Wort:

„Als die Resl anläßlich der Inthronisation des Bischofs Dr. Rudolf Graber in Regensburg weilte, trug ihr der Bischof einen Plan vor. Er wünsche sich für seine Diözese, sagte er, ein Kloster, in dem für die Anliegen des Bistums gebetet werde. Ein solches Kloster habe er in Frankreich kennengelernt. Die Resl hatte sich bereits seit längerer Zeit Gedanken darüber gemacht, welchem Zweck man ein in Konnersreuth verfügbares Grundstück zuführen könne. Nach ihrem Besuch in Regensburg überlegte sie, ob man auf ihm nicht ein Kloster errichten könnte. Sofort zog sie Fachleute des Bauwesens zu Rate. Auch über die Finanzierung machte sie sich Gedanken. Doch dazu hatte sie nur recht laienhafte Vorstellungen anzubieten. Mut machte ihr das einst für Fockenfeld so großzügig gewährte Darlehen des Fürsten Waldburg-Zeil. Doch der Fürst war 1953 durch einen Autounfall ums Leben gekommen. Mit dessen Frau Monika stand die Resl weiterhin in freundschaftlicher Verbindung. Sie bat die Fürstin um ihren Besuch, um mit ihr den Klosterbau zu besprechen. Frau Monika vertrat mit Resl die Meinung, daß, Fockenfeld nun wenigstens einen Teil des vor dreizehn Jahren zugesprochenen Darlehens zurückzahlen könne. Dieses Geld werde man dann als Grundstock für das geplante Kloster verwenden. Fockenfeld befand sich damals bereits in einer günstigen Wirtschaftslage. Tags darauf verhandelte die Fürstin mit den Salesianern und erhielt prompt 50000 DM für den Klosterbau. Die Resl war sehr froh darüber, wenigstens einen Teil der Finanzierung sichergestellt zu haben. Jetzt fühlte sie sich um so mehr ermutigt, die Planung

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voranzubringen. Sie besprach das Vorhaben mit einem Architekten aus Augsburg und gab ihm den Auftrag, einen Bauplan anzufertigen. Es mutet mich noch heute eigenartig an, daß mir dieser Architekt den Bauplan am Beerdigungstag der Resl übergeben hat.

Im Mai 1959 war meine Schwester Ottilie verstorben. Ihr hatte man die Verwaltung jenes Hauses in Eichstätt übertragen, das dem Professor Wutz gehörte. Dieses Gebäude war inzwischen in das Eigentum des Fürsten Waldburg-Zeil übergegangen. Die Resl hatte von der Fürstin die Erlaubnis erhalten, über die Einrichtungsgegenstände des Hauses zu verfügen und sie von dort wegzuholen. Dabei ging es vor allem um die Hauskapelle des verstorbenen Professors mit ihrem wertvollen Altar. Dessen Abholung nach Konnersreuth wurde immer wieder verschoben. Doch Ende Juli 1962 bat mich die Resl, mit ihr nach Eichstätt zu fahren, um endlich das Haus auszuräumen. Ich mußte vor allem deswegen dabeisein, um den Altar zu demontieren. Denn die Einrichtung der Kapelle wollte Therese für das geplante Kloster in Konnersreuth sicherstellen. Leider nahm man dann später auf diesen ausdrücklichen Wunsch der Resl keine Rücksicht. Ein Teil des schönen Altars steht jetzt in einem Nebenraum des Theresianums.

Im Juli 1962 besuchte Fidel Götz aus Weingarten, ein Großunternehmer, die Resl. Dieser war Konnersreuth schon seit langem sehr zugetan. Auch mit ihm besprach Therese eingehend das Vorhaben des Klosterbaus. Ende August ließ Götz die Resl und Pfarrer Naber nach Weingarten holen. Sie blieben dort eine ganze Woche. Der Gastgeber sicherte der Resl zu, daß er sowohl technisch wie auch finanziell für den Klosterbau die volle Verantwortung übernehme. Die Resl solle sich nun nicht mehr darum kümmern.

Zur gleichen Zeit war auch Kardinal Augustin Bea Gast der Familie Götz. Dieser sprach mit der Resl über das bevorstehende Vatikanische Konzil und schilderte ihr dessen theologische und kirchengeschichtliche Bedeutung. Beim Abschied bat er die Resl, sie möge doch für das Gelingen des Konzils beten. Sie versprach ihre Gebetshilfe und fügte hinzu, sie sei sogar bereit, ihr Leben zu opfern, wenn sie auf diese Weise beitragen könne, daß die Beratungen der Konzilsväter zu einem guten Ende kämen. Kurz nach dem Tod der Resl schrieb Kardinal Bea Pfarrer Naber einen Brief, in dem er bemerkte, daß er nach wie vor stark beeindruckt sei von dem Versprechen, das ihm die Resl in Weingarten gegeben habe. Die Resl hatte sich auch schon Gedanken darüber gemacht, welche Ordensgemeinschaft für das neue Kloster in frage kommen könne. Mit zwei Frauenklöstern stand sie bereits in Verbindung. Am 13. September meldete sie sich telefonisch bei mir und bat mich, ich solle noch heute nach Konnersreuth kommen und ein Maßband mitbringen. Götz wolle nämlich die genauen Flächenmaße des Baugrundstücks wissen. Noch am gleichen Tag vermaßen wir das Grundstück. Dabei verhielt sich die Resl überaus lebhaft, so daß kaum auffiel, daß es mit ihrer Gesundheit nicht gut bestellt war. Aufgefallen ist mir nur, daß sie wiederholt sagte, den Bau dieses Klosters hätte sie noch gerne miterlebt. Auf meine Bemerkung, daß damit doch bald begonnen werde, gab sie keine Antwort.

Dieser Tag der Landvermessung verlief für mich auch noch in anderer Hinsicht merkwürdig. Als ich am Abend nach, Bamberg zurückfahren wollte, bat sie mich, zu warten, denn sie habe mit mir hoch, etwas Wichtiges zu besprechen. Sie wolle dies aber ungestört tun, und ich solle sie deshalb zu ihrem Garten außerhalb der Ortschaft fahren. Dort nahm sie mich im Auto an der Hand und sprach zu mir über Dinge, die mich ganz persönlich betrafen. Deren Sinn ging mir erst viel später auf. Aber den Schluß dieser Mitteilungen vermag ich nicht zu verschweigen. Sie sagte: Ferdl, vergiß ja die Verstorbenen, die Armen Seelen, nicht! Bete jeden Tag für sie! Aber Du sollst nicht nur beten, sondern auch Deine täglichen Sorgen für sie, aufopfern. Wir tun viel zu wenig für die Verstorbenen. Sie brauchen unsere Hilfe. Aber

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sie wollen nichts umsonst. Sie sind sehr dankbar für unsere Hilfe, und sie helfen uns dafür in verschiedener Weise. Behalte diese meine Bitte nicht für Dich, sage sie vielmehr allen Menschen, mit denen Du je zusammen kommst! So jetzt kannst Du heimfahren.

Ich wollte nun Therese zum Elternhaus zurückbringen, aber sie lehnte ab und meinte: Du kannst gleich über Mitterteich fahren, ich gehe zu Fuß heim. Dies schien mir ein Zeichen zu sein, daß sie sich am Abend dieses 13. September nicht gerade krank oder geschwächt fühlte. Doch wenige Tage darauf, am 18. September, benachrichtigten mich meine Angehörigen, daß meine Schwester Resl verschieden war.“

Therese Neumann hatte den Bau, die Bauvollendung und die Einweihung „ihres“ Klosters tatsächlich nicht mehr erleben dürfen. Die Bauarbeiten gingen rasch voran und beanspruchten nur so wenig Zeit, daß man in der Tat sagen konnte, die Gebäude seien buchstäblich aus dem Boden gestampft worden. Die für die Besiedlung des Klosters bestellten Ordensfrauen hatten sich bald eingelebt und gaben sich freudig der Anbetung und dem Werk der dienenden Liebe hin. Zehn Jahre waren bereits ins Land gezogen, als ich mich entschloß, die Ordensniederlassung zu besichtigen und mit den Schwestern ein Gespräch zu suchen. Mich interessierte vornehmlich, ob und inwieweit man dort jene Absichten verwirkliche, die Therese Neumann einst bewogen hatten, die Klostergründung ins Auge zu fassen. Zu meiner großen Freude durfte ich einer Schwesterngemeinde begegnen, die ich dem geistlichen Erbe der Stigmatisierten rundum verpflichtet wußte, so daß ich am 10. März 1973 das klösterliche Leben dort so beschreiben konnte:

Wer von Mitterteich her auf der Landstraße nach Konnersreuth fährt, dem fällt beim Blick auf den höhergelegenen Marktflecken zur Linken ein breit hingelagertes Gebäude mit einer Kirche auf: das Theresianum. Was ist das? Da auch viele Einheimische gar nicht recht zu wissen scheinen, was es mit diesem Hause auf sich hat, seien diesem Bericht einige klärende Worte vorausgeschickt.

Das Theresianum ist ein Kloster. Es gehört der Kongregation der Marienschwestern vom Karmel und ist dem Mutterhaus in Linz sowie dem Provinzhaus in Regensburg unterstellt. Zwölf Schwestern und achtunddreißig Pensionärinnen bewohnen es. Die Kongregation gehört zum Orden vom Karmel, den Theresia von Avila und Johannes vom Kreuz reformiert haben. Die Schwestern leben nach einer eigenen Konstitution, die gemäß der originären Regel des Karmeliterordens verfaßt ist. Theresianum - das besagt, daß das Haus einer heiligen Theresia geweiht ist, doch nicht jener von Avila, sondern der Theresia von Lisieux, die sich Therese Neumann als Vorbild erwählt hatte, der sie beharrlich nachstrebte und zu der sie eine innige Verehrung hegte.

Wie kam es zur Gründung dieses Klosters? Darüber gehen zahlreiche Gerüchte, Ungereimtheiten und Vermutungen um. So behaupten etwa Gegner der Stigmatisierten, dieses Haus habe soviel wie gar nichts mit ihr zu tun. Sie habe ja nicht einmal dessen Bau miterlebt. Dennoch hat Therese Neumann daran entscheidenden, wenn nicht den wesentlichen Anteil. Die Wahrheit ist: Sie hatte immer wieder den Wunsch geäußert, man möge in Konnersreuth Schwestern ansiedeln, die sich der Kranken und Kinder annehmen sollten. Dieser Wunsch deckte sich, weitgehend mit der Absicht des Regensburger Bischofs Dr. Rudolf Graber, in seiner Diözese ein Anbetungskloster zu errichten. Therese griff den Plan begeistert auf und ließ nichts unversucht, um ihn zu verwirklichen. Noch kurz vor ihrem Tod war sie intensiv damit beschäftigt.

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Das Anbetungskloster Theresianum ist zu einem Anziehungspunkt für viele geworden, die jahrüber von weither Konnersreuth besuchen, um der Stigmatisierten zu gedenken.

Der Karmeliterorden hat in seiner strengen Form beschaulichen Charakter. Seine Mitglieder leben in Klausur. Die Konnersreuther Schwestern ließen mich wissen, daß auch sie der Klausur verpflichtet seien, doch nicht in einem absoluten Sinne: „Unser Leben besteht in der Hauptsache aus Gebet (Beschaulichkeit) und Arbeit. Stets Pflegen wir Kontakt mit jenen Menschen, die wir zu betreuen haben und auf deren persönliche Anliegen wir eingehen müssen.“ Worin, so fragte ich, sehen Sie ihre Hauptaufgabe? „Unser Hauptauftrag, also unser monastisches Merkmal, ist die Anbetung des Herrn im Sakrament. Deshalb heißt ja unser Haus Anbetungskloster.“ Und wann und wie lange beten Sie? „In unserer kleinen Kirche ist tagsüber das Allerheiligste in einer Monstranz ausgesetzt. Wir beten jeden Tag ab der Morgenmesse durchgehend bis zur Abendandacht gegen 18 Uhr, von Donnerstag auf Freitag zur Erinnerung an den Tod Christi die ganze Nacht hindurch.“

Aber es kann doch zu diesen Gebetszeiten nicht stets der ganze Konvent versammelt sein. Die Befragte dazu: „Das nicht. Vielmehr betet zu den festgesetzten Zeiten jeweils eine Schwester in der Kirche eine Stunde lang, doch nicht sie allein, sondern mit ihr zwei Pensionärinnen. Denn auch sie sind zur täglichen Anbetung verpflichtet. Dieses Mittun und Mittun-Wollen war Voraussetzung für ihre Aufnahme in unser Haus. Sie kommen alle gern, um sich mit uns in der Anbetung zu vereinigen. Die Schwestern obliegen auch der Brevierpflicht, das heißt, sie rezitieren täglich mit der Gesamtkirche die Psalmen des Stundengebets. An Sonn- und Feiertagen werden sie in Gregorianischer Melodik gesungen. Das Theresianum darf also nicht als ein Altenheim im herkömmlichen Sinne verstanden werden. Dieses Miteinander von Schwestern und Pensionärinnen präsentiert sich vielmehr als eine geistliche Haus- und Lebensgemeinschaft im Geiste des Karmel.“

Wie vielen anderen Orden bereitet auch der Konnersreuther Schwesterngemeinschaft die Nachwuchsfrage große Sorgen. „Dabei gäbe es doch gerade in unserem Kloster“, bemerkte eine Schwester, so vielfältige und interessante Aufgaben. Hinzu kommt, daß eine Schwester bei uns ja nicht unbedingt und ausschließlich auf eine ganz bestimmte Tätigkeit hin festgelegt wird. Unser Wirken beschränkt sich nicht auf körperliche Arbeit. Unser Tun ist vielmehr

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einer religiösen Lebensform eingefügt, die den ganzen Menschen beansprucht. Ich kann nur sagen: Es ist schön in unserem Kloster.“

Ich fragte, wie denn die Öffentlichkeit auf die Existenz des Klosters reagiere. Ob sie zur Kenntnis nehme, daß es den Orden überhaupt gebe und daß er einen wichtigen Auftrag zu erfüllen habe. Eine Schwester dazu: „Wir sind keineswegs isoliert. Besonders im Sommer kommen zu uns sehr viele Fremde aus aller Welt. Im Winter freilich lassen die Besuche nach. Diesem weitgestreuten Interesse entspricht auch unsere Korrespondenz. Immer wieder erhalten wir Briefe mit den verschiedenartigsten Anfragen aus Amerika, Belgien, Holland, Osterreich, der Schweiz und aus Frankreich, ja aus allen europäischen Ländern. Hinzu kommen Schreiben aus den Missionsländern, von den Philippinen oder aus Indien etwa.“ Und weshalb schreiben Ihnen so viele aus aller Herren Länder? „Es handelt sich dabei meistens um Leute, die sich für Konnersreuth und Therese Neumann interessieren. Jahrüber kommen auch viele Priester zu uns, nicht selten aus entfernt liegenden Ländern.“

Es besteht also nach wie vor, besonders im Ausland, starkes Interesse für all das, was sich in Konnersreuth zugetragen hat? „Das kann man wohl sagen.“ Wie steht es denn mit den vielen Gebetserhörungen, die Ihnen bekannt gemacht werden? Ich meine die Meldung von, Heilungen oder sonstigen überraschenden Hilfen, von denen die Einsender überzeugt sind, daß sie auf die Fürbitte der Therese Neumann hin geschehen, sind? „Solche Mitteilungen erreichen uns immer wieder. Wir sammeln sie hier im Kloster für den Fall, daß sie einmal gebraucht werden sollten.“ Im gleichen Jahr 1973 feierten die Schwestern das zehnjährige Bestehen ihres Klosters. Doch nicht als rauschendes Fest, sondern fern allem lauten Getriebe in stiller Freude und Dankbarkeit. Immerhin war der Regensburger Bischof Dr. Rudolf Graber: zur Mitfeier gekommen. In seiner Predigt erinnerte er an den Tag der Einweihung des Klosters und die Konsekration der Kapelle, zu der er vor zehn Jahren ungezählte Gläubige und mehrere Bischöfe habe begrüßen dürfen. Die Gründungsgeschichte des Klosters, die von der Person der stigmatisierten Therese Neumann nicht abzulösen sei, nannte er wunderbar und vorsehungshaft. Dieser Bau sei das Vermächtnis und die Krönung ihres Lebens. Der Bischof beklagte, daß das Verständnis des Sinnes der Anbetung immer mehr schwinde und der Mensch sich fern von Gott und wider alle Vernunft in den Mittelpunkt der Geschichte rücke. Mit ihrem Klosterplan habe Therese Neumann im letzten erstrebt, daß in Konnersreuth eine Stätte der schenkenden und empfangenden Liebe entstehe. Sie habe das heute so viel strapazierte Wort von der „Mitmenschlichkeit“ überzeugend in die Tat umgesetzt.

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Heimat

Um einen Menschen, eine Persönlichkeit, in der ganzen Breite seiner Existenz beurteilen zu können, ist es unerläßlich, zu fragen, woher er kommt, aus welchem Land, aus welcher Stadt, aus welcher Gegend oder Gemeinde. Zu fragen ist auch, in welchem Kulturkreis er aufwuchs, in welchem religiösen Umfeld er lebte, wie seine Erziehung ablief, von welcher Qualität überhaupt jene Zeitgenossen waren, mit denen er täglich umging und deren Traditionen er sich verpflichtet wußte. Diese Wurzelgründe der Herkunft gilt es aufzuspüren, wenn das Persönlichkeitsbild eines Menschen in klarer Kontur offenkundig werden soll.

Dies gilt in besonderer, ja ich möchte sagen, außerordentlicher Weise auch für Therese Neumann. Über sie ist in den letzten Jahrzehnten unglaublich viel geschrieben worden, doch die Autoren haben meist kaum angedeutet, daß die Stigmatisierte eine Konnersreutherin, ja sogar eine waschechte Konnersreutherin war. Zeit ihres Lebens hat sie sich ungeteilt zu ihrem Geburtsort bekannt, nie hat sie ihn verleugnet oder sich durch die Besonderheit ihrer Berufung von ihm abgemeldet. Mit den Konnersreuthern teilte sie ihr Lebensschicksal und ihren besonderen, unverwechselbaren Charakter. Sie sprach deren Dialekt, sogar während ihrer Ekstasen und Visionen. Nie habe ich sie „hochdeutsch“ reden gehört. Komplizierte und geschraubte Ausdrucksweise von Besuchern mißfiel ihr. Sie war überzeugt, daß man das meiste doch soviel einfacher und klarer sagen könne, als es gelehrte Herren in ihrer Gegenwart häufig zu tun beliebten.

Wer Therese Neumann ganz verstehen will, kommt nicht daran vorbei, sich auch mit der Mentalität, dem „Temperament“ der Konnersreuther und ihren charakterlichen Besonderheiten zu beschäftigen. Meine Entdeckungsversuche waren insofern stets erfolgreich, als ich mich nahezu des gleichen Dialekts zu bedienen vermag, der den Konnersreuthern eigentümlich ist. Mein Geburtsort Mitterteich liegt ja nur wenige Kilometer von Konnersreuth entfernt. Immer wieder nahm und nehme ich die Gelegenheit wahr, mich mit Konnersreuthern ungezwungen zu unterhalten, nicht zuletzt an ihrem Stammtisch im Wirtshaus. Diese vielen Gespräche haben, mir wesentliche Einblickein die „Seelenverfassung“ der Konnersreuther ermöglicht. Dabei ging es meist nur am Rande um Therese Neumann. Im Mittelpunkt standen vielmehr kommunalpolitische Dinge, Vereinsaktivitäten, der Fremdenverkehr, Festvorbereitungen oder das eine und andere besondere Vorkommnis im Ort.

Wenn ich die Summe meiner Erfahrungen ziehe, dann möchte ich die Konnersreuther so charakterisieren: Sie sind aufrichtig, ehrlich, sagen frei heraus, was sie denken, reden ohne Umschweife, bleiben dennoch wortkarg, zeigen sich Fremden gegenüber vorsichtig und zurückhaltend, sind stolz auf ihren Heimatort, deshalb traditionsbewußt, ungeheuchelt fromm, nicht frömmelnd, skeptisch gegenüber den sogenannten Segnungen unserer Zivilisation. Auffallend fand ich auch ihre Pietät gegenüber den Verstorbenen. Ihr vorbildlich gepflegter Friedhof beweist es.

Diese - natürlich unvollständige - Charakterisierung der Bevölkerung trifft in allen Punkten auch auf Therese Neumann zu. So war sie. Eine Frau aus dem Volke, allen Einwohnern zugetan und zugänglich, in stetem freundschaftlichem Gespräch mit ihnen, bereit zu helfen, wo sie nur konnte. Viele kamen, um sich Rat bei ihr zu holen. Wenn sie Bekannte auf der Straße traf, blieb es meist nicht beim unverbindlichen Grußwort. Da sprach man dann über ganz alltägliche Dinge, über familiäre Sorgen, eine Krankheit oder einen Todesfall, doch kaum über religiöse Fragen, schon gar nicht über die Begnadungen der Stigmatisierten.

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Vielen Unterredungen mit Konnersreuthern durfte ich entnehmen, daß sie stolz sind auf „ihre“ Resl, auch wenn sie meist nur andeutungsweise von ihr sprachen. Sie hoben Therese nicht gleich in den Himmel hinauf, verstanden sie vielmehr vorab als liebenswerte Mitbürgerin. Sie war so populär geworden, daß sie der örtliche Geflügelzuchtverein sogar zu seinem Ehrenmitglied machte, hegte sie doch mit besonderer Liebe neben anderen Tieren auch zierliche Pfautauben und Zwerghühner. Nie fühlte sich Therese Neumann über ihre Landsleute erhaben. Im Gegenteil: Als sich an ihrem Leib die ersten Wundmale zeigten, geriet sie in große Verlegenheit. Selbst vor ihren Angehörigen versuchte sie die Stigmen, vor allem die Herzwunde, zu verheimlichen. Ferdinand Neumann überlieferte mir den Ausruf der Schwester: „Wenn das die Leute einmal wissen, werden sie sagen, daß ich nun ganz übergeschnappt bin.“ Deshalb auch trug Therese jahrelang Halbhandschuhe, um die stets sichtbaren Stigmata der Hand zu verbergen. Sie wollte unter keinen Umständen auffallen. Von solcher Art sind auch die Konnersreuther. Sie protzen nicht in der Gegend herum, um Aufmerksamkeit zu erregen, Angebertum liegt ihnen nicht. Um diese seelische Grundverfaßtheit der Konnersreuther muß man wissen, soll das Naturell der Therese Neumann abstrichlos in Erscheinung treten. Gerade diese besondere, eben Konnersreutherische Prägung ihres Wesens hat Gott gefallen, um mit dieser Frau Geschichte zu machen. Eben in jenen Tagen, als ich diese Zeilen niederschrieb, stieß ich im Werk des Thomas von Aquin auf einen Satz, der mir - völlig unerwartet - meine Überzeugung bestätigte: „Das Naturhafte ist das Fundament für die Tugenden, für die gnadenhaft geschenkten wie für die erworbenen.“

Nun läge es natürlich nahe, auch auf die Geschichte des Ortes näher einzugehen. Aber dies entspräche nicht der Absicht dieses Buches. Diese Geschichte hat längst ein Historiker von Rang, nämlich der einstige Archivdirektor von Amberg, Dr. Heribert Sturm, abgehandelt. Wer sich darüber des näheren informieren will, erwerbe den Band „Konnersreuth fünfhundert Jahre Markt“, den die Marktgemeinde 1971 herausgebracht hat. Erster Bürgermeister Willi Bauer schrieb dazu das folgende Vorwort:

Am 2. September 1468 wurde dem Dorf Konnersreuth von Abt Nikolaus IV. und dem Konvent des Klosters Waldsassen jener Freiheitsbrief verliehen, der die Marktentwicklung des Ortes begründete. Eine Feier des fünfhundertjährigen Jubiläums im Jahre 1968 wurde zunächst zurückgestellt, auch deswegen, weil die Urkunde verschollen war. Da sie inzwischen von dem Heimatforscher Alois Zrenner aus Waldsassen erfreulicherweise wieder aufgefunden werden konnte und. sich zudem heuer die erstmalige Wahl nach der Magistratsverfassung zum einhundertfünfzigsten Male jährt, faßte die Marktgemeinde den Beschluß zur Durchführung einer Jahrhundertfeier. Der Marktrat kam auch überein, aus diesem Anlaß anstelle einer kurzlebigen Festschrift eine bleibende Publikation über Konnersreuth herauszugeben. Sie soll eine geschichtliche Übersicht unseres Ortes von seiner Entstehung an geben und die Weiterentwicklung in einem während vieler Zeitabschnitte auch schwierigen wirtschaftlichen, kulturellen und kirchlichen Aufbau aufzeigen. Weiter soll sie über die jüngsten Ereignisse um Therese Neumann, durch die unser Ort weltbekannt wurde, in würdiger und authentischer Weise Aufschluß geben, um der Nachwelt zu überliefern, was unsere Generation augenscheinlich erleben durfte. Es ist mein aufrichtiger Wunsch, daß dem Markt Konnersreuth in seinem Bestreben, die Entwicklung für die Bewohner günstig zu gestalten, jetzt und in der Zukunft Erfolg beschieden sein möge. Das walte Gott! Ich kann es mir nicht versagen, über diese Jubiläumsfeier ausführlich zu berichten. Sie fand vom 23. bis 26. Juli 1971 statt. Die Schirmherrschaft hatte der bayerische Ministerpräsident Dr. Alfons Goppel übernommen. Auch mich hatte man zur Mitfeier eingeladen. Mein Eindruck vom Ablauf des Festsonntags: Die Feier dünkte mich anders, tiefergründender, besinnlicher über die Bühne gegangen zu sein als ähnliche Veranstaltungen anderswo. Hinter allem fühlte ich

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eine Wirklichkeit gegenwärtig, die ins Übergeschichtliche, ins Ewige hinüberwies. In dieser Vision bestärkten mich auch die Ansprachen der Festgäste und der fromme Ernst der vielen, die der Eucharistiefeier mit dem Regensburger Weihbischof Karl Flügel beiwohnten. Hier mein Bericht vom 27. Juli 1971:

Viele waren am vergangenen Sonntag nach Konnersreuth gekommen, um mit der Bevölkerung die Feier der Markterhebung vor fünfhundert Jahren zu begehen. Unter den Ehrengästen sah man den Regensburger Weihbischof Karl Flügel, den Regierungspräsidenten der Oberpfalz, Dr. Ernst Emmerig, den Oberbürgermeister der Stadt Marktredwitz, Freiherrn von Lindenfels, den Landtagsabgeordneten der Nachbarstadt Arzberg, Ewald Drechsel, den Wunsiedler Landrat Heinrich Drechsel, den Bundestagsabgeordneten Franz Zebisch aus Weiden, den Tirschenreuther Landrat Otto Freundl, den Landtagsabgeordneten Ernst Dietz und - nicht zuletzt - die Äbtissin des Klosters der Zisterzienserinnen Waldsassen.

Das Fest begann mit einem Gottesdienst auf dem Therese-Neumann Platz. Weihbischof Karl Flügel feierte ihn zusammen mit Prälat Lorenz Rosner, Ortspfarrer Josef Schuhmann und Kaplan Rosner. Vor seiner Predigt überbrachte der Weihbischof die Grüße des Diözesanbischofs Dr. Rudolf Graber, der den festlichen Tagen einen guten Verlauf und der Gemeinde viel Segen wünschte. Flügel verbreitete sich zunächst darüber, in welchem Maße sich das bürgerliche und kirchliche Leben ergänze. Dann nahm er Bezug auf die mystischen Ereignisse in Konnersreuth und stellte fest, daß der Ort dadurch weltbekannt geworden sei. Freilich - so schränkte der Prediger ein - verhalte sich die Kirche gegenüber derartigen Phänomenen stets sehr zurückhaltend. Dennoch habe Bischof Graber eine Befragung über Therese Neumann angeordnet, vornehmlich jener Zeugen, die Therese persönlich gekannt hatten um zuverlässige Informationen über ihr Leben zu sammeln.

Profanes und Kirchliches, sagte der Weihbischof weiter, müßten heute im Zusammenhang gesehen und gewertet werden. Auch das Konzil habe dies unterstrichen. So könne denn, auch die bürgerliche Gemeinde der Kirche den Weg bereiten helfen. Allerdings beunruhige die Frage nach dem Menschen die Kirche heute zutiefst. Der Mensch verlange deshalb im Blick auf den Sinn seiner Existenz eine Antwort. Sie laute: „Das Evangelium nimmt von uns alle Daseinsangst, denn wer anklopft, dem wird aufgetan werden.“ Bloßes Frommtun aber genüge heute nicht mehr. Religion und Leben gehörten vielmehr zusammen. Als Beispiel solcher Zusammenschau nannte der Weihbischof das Anbetungskloster in Konnersreuth. Hier helfe die Kirche der Welt, aber auch die Welt der Kirche. An dieser Stätte werde dieses Miteinander vorbildlich gelebt. Schließlich verwies der Sprecher auf den gekreuzigten Herrn, der unser aller Anfang und unsere einzige Hoffnung sei.

Nach dem festlich von Chor und Bläsern mitgestalteten Gottesdienst, der mit dem bischöflichen Segen endete, nahm, der erste Bürgermeister der Gemeinde, Willi Bauer, das Wort. Er dankte den Gästen für ihr Kommen, gab seiner Freude darüber Ausdruck, daß das. Dokument der Markterhebung nach langer Suche aufgefunden werden konnte, und schilderte in längeren Ausführungen die bisherigen beachtlichen Leistungen der Marktgemeinde Konnersreuth. Dr. Heribert. Sturm, der Gestalter des Konnersreuther Heimatbuches, ging in umfangreicher Rede auf die Geschichte des Marktes und die vielfältigen Schicksale des Ortes ein. Regierungspräsident Dr. Ernst Emmerig überbrachte die Grüße des Schirmherrn, des Ministerpräsidenten Alfons Goppel, und beglückwünschte die Gemeinde zu ihrer Jubiläumsfeier. Der Sprecher verwies zunächst auf die historischen Beziehungen zwischen Konnersreuth und dem Stift Waldsassen, dessen Mönche einst die christliche Lehre bis tief in böhmische Lande hineingetragen hätten. Demgegenüber beklagte der Regierungspräsident im Blick auf unsere Zeit, daß die Menschen von heute unfähig geworden seien, mit ihrem

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Wohlstand vernünftig umzugehen. So bestehe berechtigte Sorge, daß die totale Freiheit unserer Zeit in totale Unfreiheit umschlage. Dem Bürger von heute seien aber nicht nur Rechte verliehen, sondern auch ernste Pflichten auferlegt. In Konnersreuth, bemerkte, der, Sprecher, habe man in den letzten Jahren viel geleistet. Dafür gelte allen, nicht zuletzt den Bürgermeistern, herzlicher Dank. Dr. Emmerig brach sodann eine Lanze für die ländliche Existenz und ihre Erhaltung: „Wir brauchen die ländliche Gemeinde ebenso sehr wie die Großstädte!“ Abschließend kam der Redner auf jene Frau zu sprechen, die Konnersreuth in aller Welt bekannt gemacht hatte, auf Therese Neumann. Die mystischen Ereignisse an ihr nannte er ein von Gott gesetztes. Zeichen für die Welt. Dem stehe gegenüber, daß sich eben diese Welt denkbar unkritisch am Fortschritt berausche und die Menschen weithin nicht mehr „dienen“, sondern nur noch verdienen wollten. Es gelte, wieder zu jener Haltung hinzufinden, die man Demut nenne, und die sich auch im Dienst an der Heimat bewähren müsse.

Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Franz Zebisch beglückwünschte die Marktgemeinde zum Jubiläum. Der Rückblick auf die fünfhundertjährige Geschichte des Marktes lasse die reiche Tradition des Stiftlandes und der Oberpfalz erkennen. Früh schon hätten hier Christianisierung und Kulturentwicklung eingesetzt. Bereits im Mittelalter sei die Oberpfalz auch, ein Mittelpunkt des Wirtschaftslebens gewesen. Die Vergangenheit von Konnersreuth stelle, beispielhaft den Behauptungswillen seiner Bewohner unter Beweis. Zebisch schloß seine Rede mit einem nachdrücklichen Hinweis auf Therese Neumann, von der er sagte, daß

sie Konnersreuth weltberühmt gemacht habe. Der CSU-Landtagsabgeordnete Ernst Dietz lobte den Gemeinschaftssinn der Konnersreuther und rief dazu auf, all das zu erhalten, was in fünfhundert Jahren Ortsgeschichte gewachsen war. Die Grüße des Landkreises überbrachte Landrat Otto Freundl. Ein Dankwort des Bürgermeisters beschloß die eindrucksvolle Feierstunde.

Die renovierte Pfarrkirche in ihrer prächtigen barocken Ausstattung

Ein künstlerisches Kleinod von Konnersreuth ist die Pfarrkirche. Keinen Besuch in Konnersreuth ließ ich vorübergehen, ohne dort eingetreten zu sein und Erinnerung gehalten zu haben. Nirgends wohl weilte Therese Neumann häufiger als in diesem barocken Raum, um den Gottesdienst mitzufeiern, still zu werden, zu meditieren und anzubeten. Stets war sie um geziemenden Blumenschmuck der Altäre besorgt, besonders wenn hohe kirchliche Feiertage bevorstanden. Nie gab sie das Gedenken daran preis, daß sie in dieser Kirche getauft worden war und zum erstenmal am eucharistischen Mahl hatte teilnehmen dürfen. Ihr ausgeprägtes Taufbewußtsein hatte sie immer wieder bekundet. Deshalb auch schmückte sie zum Osterfest alljährlich mit besonderer Hingabe den Taufstein der Kirche. Nie unterließ ich es bei meinen Besuchen des Gotteshauses, vor dieses steinerne Becken hinzutreten und der Stigmatisierten zu gedenken, die hier das Sakrament der Einweihung in das Christentum empfangen hatte. Wie kein zweites Bauwerk gehört deshalb diese Kirche zur Lebensgeschichte der Therese Neumann. Dieses Gotteshaus war aber im Laufe der Jahre in einem Maße schadhaft

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geworden, daß sich seine Erneuerung als unumgänglich erwies. Deshalb entschloß sich Pfarrer Josef Schuhmann, eine umfassende Renovierung in Angriff zu nehmen. Deren Abschluß durfte ich miterleben. Meiner Freude über das gelungene Werk gab ich am 9. August 1974 in der Presse so Ausdruck:

Mit der Renovierung ihrer dem heiligen Laurentius geweihten Kirche schloß die Pfarrgemeinde Konnersreuth ein großes Gemeinschaftswerk ab. Bereits im Frühjahr 1971 war man in die Planungen eingetreten. Pfarrer Josef Schuhmann hatte sie in die Wege geleitet. Es war hohe Zeit, die Erneuerung der Innenarchitektur anzustreben, denn die Kirche hatte im Laufe der Jahre ihren barocken Glanz weithin verloren. Man registrierte sie lediglich noch als eine der vielen „Dorfkirchen“, die der Oberpfalz in ländlichen Gegenden das Gepräge zu geben pflegen.

Was sich heute in diesem Gotteshaus dem Auge darbietet, wirkt überwältigend. Ohne die Strukturen des Raumes und des Interieurs verändert zu haben, gelang den Künstlern nichts Geringeres als eine Neuschöpfung. Ein wahrhaft festlicher Raum entstand. Ein gottesdienstlicher Feierraum, in dem die Liturgie nun wieder über ihr funktional ablaufendes Geschehen hinaus in umfassender Sinnenhaftigkeit erfahren und erlebt werden kann. Vom Ganzheitscharakter der Liturgie her hatten die Künstler des heute vielgelästerten Barock ihre Kulträume geschaffen. Sie wußten, daß die liturgische Feier den ganzen Kosmos einbezieht, jenen Kosmos, den die Theologie als Abbild der Herrlichkeit des unsichtbaren Gottes versteht. An dieser Offenbarung berauschten sich die Barockmeister. An eben dieser Kunst sollte auch das zum Gotteslob versammelte Volk mit aller Sinnenfreude teilhaben. Viele fragen sich heute mit Recht, ob nicht unsere kahl und nüchtern gestalteten Betonkirchen einen bedenklichen Frömmigkeitsschwund signalisieren.

Die letzte Generalüberholung der Konnersreuther Kirche liegt Jahrzehnte zurück. Sie geschah unter Pfarrer Josef Naber zwischen, 1911 und 1913. Wenig später ließ Naber die Orgel erneuern. In diese Zeit fällt auch die Ausstattung der Kirche mit elektrischem Licht. Das war ein Ereignis für die Konnersreuther. An einem Heiligen Abend sollte die Beleuchtung zum erstenmal eingeschaltet werden. Als die Gemeinde zur Christmette versammelt war, bediente Pfarrer Naber höchstpersönlich die Schaltapparatur. Doch da gab es zum Leidwesen der vielen einen Kurzschluß. So feierten denn die Gläubigen, wie gewohnt, bei Kerzenlicht den Mitternachtsgottesdienst. Erwähnenswert sind schließlich noch die Entstaubung der Kirche und ihre farbliche Auffrischung im Jahre 1956 sowie die Erneuerung einiger Figuren.

Seitdem war nichts mehr geschehen. Pfarrer Josef Schuhmann blieb es vorbehalten, endlich eine Gesamtüberholung der Kirche anzuregen. Sie begann 1967 mit der Außenrenovierung. Immer noch waren ja die vielen Einschüsse an Turm und Fassaden sichtbar, die von den Kampfhandlungen in den letzten Kriegstagen des Jahres 1945 herrührten. Konnersreuth war damals schwer heimgesucht und teilweise zerstört worden. Das erneuerte Mauerwerk erhielt auf Anordnung des Landesamtes für Denkmalpflege einen lichtgrünlichen Anstrich.

Doch das Hauptwerk, die Innenrenovierung der Kirche, stand noch aus. Immer wieder rief deshalb Pfarrer Schuhmann seine Gemeinde auf, dem unumgänglichen Vorhaben zuzustimmen und Hilfen anzubieten. Die Konnersreuther verschlossen sich diesen Bitten nicht. Sie halfen nicht nur mit erstaunlich viel Geld, sondern legten auch selber Hand an, als es galt, zunächst den Fußboden der Kirche von Grund auf zu erneuern. Da mußte erst das doppelte Pflaster beseitigt und der feuchte Boden 60 cm tief aufgegraben werden. In achtundzwanzig Wagenfuhren wurden Schutt und Erde abtransportiert. Dabei entdeckte man,

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auch, wie sehr die Kniebänke durch die Feuchtigkeit gelitten hatten. Nun hat die Kirche endlich ein neues Gestühl erhalten.

Die reliefgeschmückten Stuhlwangen der alten Bänke sind wiederverwendet worden. In den neuen Fußboden brachte man drei Betonschichten und zwei Isolierungen ein. Darüber wurde ein festlich wirkendes Pflaster aus Juramarmor gelegt. Auch die Innenfassaden der Kirche bedurften dringend der Überholung. Der ganze schadhafte Putz mußte abgeschlagen werden. Alle Wand- und Deckenflächen waren neu aufzutragen und zu tünchen.

Die künstlerischen Arbeiten in der reich ausgestatteten Kirche hatte die bekannte Kunstanstalt Hugo Preis aus Parsberg übernommen. Die Renovatoren leisteten hervorragende Arbeit. Kein Detail an den Altären, der Kanzel, dem Taufstein, den Beichtstühlen und am Kreuzweg blieb unberücksichtigt, auch nicht das Deckengemälde. Den Künstlern ist vor allem eine erstaunliche farbliche Harmonisierung des Raumes gelungen, die ein starkes Einfühlungsvermögen in das religiöse Daseinsverständnis des Barock verrät. Die Werkleute haben an den Altären, Figuren und Ornamenten nicht dilettantisch herumgebastelt oder da und dort nur ein paar aufhellende farbliche Tupfer aufgesetzt, sondern sich im ernstgenommenen Detail stets vom Gesamtkunstwerk inspirieren lassen. Man muß diese Kirche bei günstigem Lichteinfall gesehen und erlebt haben, um ganz ermessen zu können, um welche künstlerische Kostbarkeit Konnersreuth durch dieses erneuerte Gotteshaus bereichert worden ist.

Was Farbe an Eindruckskraft zu leisten vermag, sagen auch Bildungen in dieser Kirche aus, die nicht gerade den Anspruch erheben können, ein Kunstwerk zu sein. Erstaunlich etwa, was die Künstler aus dem linken Seitenaltar mit dem Relief der kleinen heiligen Theresia gemacht haben. Kunstwerke sind übrigens auch die Kirchenfenster nicht. Sie stören stilistisch den Gesamteindruck. Ihre Auswechslung scheiterte jedoch am Widerstand der Konnersreuther, für die diese Fenster hohen Erinnerungswert haben, den sie unter keinen Umständen preisgeben wollten. Geradezu wie mit neuem Leben erfüllt präsentieren sich die wertvollen Holzplastiken der Heiligen, vor allem die Darstellung der heiligen Ursula, die aus einer Kapelle stammt, die sich einst, nahe der Lodermühle bei Rosenbühl erhob. Gut gelungen sind schließlich die wandfüllende Kreuzigungsdarstellung mit der Schmerzhaften Gottesmutter und die Holzplastikgruppe mit der Taufe Jesu über dem spätgotischen Taufstein.

Das Konnersreuther Gotteshaus ist die Taufkirche der Therese Neumann. Sie war eine ihrer Lieblingsgebetsstätten, deren Altäre sie in frommer Verehrung immer wieder mit Blumen und Blüten schmückte. Thereses etwas ungewöhnlicher Betstuhl hinter dem Hochaltar, in dem sie sich beim Gottesdienst den Blicken der Neugierigen entzog, blieb erhalten. Seine Polster mußten neu und mit massiverem Stoff überzogen werden, weil sich reliquiensüchtige Pilger häufig „Andenken“ aus dem roten Samt herausschnitten. Man tat gut daran, diesen Stuhl zu belassen, erinnert er doch an viele eucharistiebezogene mystische Begebnisse im Leben der Stigmatisierten.

Die Konnersreuther haben jetzt wieder eine Kirche, auf die sie stolz sein können. Sie, wird von starker Anziehungskraft auf die vielen sein, die jahrüber in stets wachsender Zahl die Konnersreuther Erinnerungsstätten aufsuchen. Das Gotteshaus ist aber nicht zuletzt Zeugnis einer Frömmigkeit, die dem Markt, seinen Bürgern und dem kunstsinnigen Pfarrer alle Ehre macht.

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Ausblick

Bei der Aufarbeitung meiner in diesem Buch niedergeschriebenen Erinnerungen an Therese Neumann ging es mir nicht nur darum, das Außergewöhnliche und Unerklärliche an ihr darzustellen, nicht min der wichtig erschienen mir ihre „Menschlichkeit“, ihr Stehen in der Wirklichkeit, des Lebens und ihr Eingebundensein in den Konnersreuther Alltag. Die Stigmatisierte war ein Mensch wie du und ich. Sie fühlte sich nicht als ausgesondertes, über die anderen Menschen hinausgehobenes Wesen. Im Gegenteil: Was da im Laufe der Jahre an Ungewöhnlichem auf sie zukam, erschien ihr zunächst fremd und ungemäß, ja unangenehm. „Was werden die Leute dazu sagen“, seufzte sie. Bis ihr die klare Einsicht zuteil wurde, daß sich hier Göttliches offenbare und sie „Werkzeug“ der gekreuzigten Liebe sein solle.

Deshalb nahm sich Therese Neumann als Person nicht wichtig. Stets war sie sich dessen bewußt, daß sie nicht im Mittelpunkt der Ereignisse stehe, sondern Trägerin und Vermittlerin einer Botschaft sei, die in die Zeit hinein und den Menschen aufs neue zugesprochen werden sollte. Die Welt sollte durch dieses punktuelle Geschehen in Konnersreuth davon überzeugt werden, daß die Rede vom Kreuz nicht einer frommen Illusion entspringt, sondern harte historische Realität meint: den gekreuzigten Christus. Einzig um jenen jüdischen Jesus von Nazareth ging es, der in der Katastrophe des Kreuzestodes endete, um sich nach drei Tagen aus dem Grab in Herrlichkeit zu erheben. Nichts weiter will Konnersreuth im Grunde ansagen als diesen göttlichen Sieg über den Tod. Öffentlich machen, daß die Leiden dieser Zeit nicht das letzte Wort haben, vielmehr in ihrer Vorläufigkeit dem Menschen den Weg in seine ewige Vollendung hinein bereiten.

Was immer auch in Konnersreuth an Wunderbarem geschah, alles verwies auf das Wunder aller Wunder, auf Ostern. Man darf nicht bei der Leidensekstase, wie schaurig-furchtbar sie auch ablief, stehenbleiben. Wer sie als das schlechthin Charakteristische jener mystischen Ereignisse begreifen möchte, verfehlt den Sinn des Ganzen. Deshalb auch halte ich es nicht für angemessen, sich in unwesentlichen Details des Lebens der Stigmatisierten aufzuhalten, sie zu „Hauptsachen“ zu erheben, eine Analyse von organisch Gewachsenem anzustreben, den Teil dann für das Ganze zu nehmen, Lebendiges in seine Atome zerlegen zu wollen. Dies haben viele versucht. Wie sie sagen, in streng wissenschaftlicher Methode. Und darüber haben sie Bücher und Aufsätze geschrieben, in einem Ausmaß, daß die Konnersreuth-Literatur kaum noch zu überblicken ist. Zu ihren Produzenten zählen Theologen, Mediziner, Biologen, Psychologen, Gelehrte der Mystik und zahlreiche Journalisten aus allen Ländern der Welt. Schon beim Anlesen ihrer Publikationen wird deutlich, aus welchem Blickwinkel sie die „Sache“ angehen, was sie bewegt und worauf sie hinauswollen..

Diese Literatur ist von sehr unterschiedlicher Qualität. Als zuverlässig dürfen jene Autoren gelten, die Gelegenheit hatten, die Konnersreuther Phänomene aus unmittelbarer Nähe zu beobachten und zu studieren. Ihnen konnte kaum entgehen, daß in Konnersreuth alles mit rechten Dingen zuging und von Schwindel oder Betrug keine Rede sein konnte. In jeder Zeile ihrer Veröffentlichungen spürt der Leser Unvoreingenommenheit und kritischen Sinn. Diesen Schriftstellern sind überzeugende Schilderungen gelungen, die überdauern und ihre Aktualität nicht verlieren werden.

Diesen Autoren steht eine zweite Gruppe von Schreibenden gegenüber, die wohl versucht haben, die Phänomene objektiv darzustellen, aber sozusagen auf halbem Weg stehen- und steckengeblieben sind. Zweifel trieben sie um, da und dort traten ihnen Verständnisschwierigkeiten entgegen, eines stimmte nicht mehr zum anderen, die Vernunft schob sich rechthaberisch in den Vordergrund, der Geheimnischarakter des Geschehenden

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wich dem vermeintlich logischen Urteil. In solchen Schriften borden das Problematisieren und Spekulieren in einem Maße über, daß der Leser eher verunsichert, denn belehrt wird. Doch aufs Ganze gesehen, glaube ich feststellen zu dürfen, daß sich über Therese Neumann die Wahrheit durchgesetzt hat. Dies bezeugt auch jene Kurzbiographie der Stigmatisierten, auf die ich in einem erst 1989 aufgelegten Buch stieß. Ich meine das im Kröner-Verlag erschienene, umfassend konzipierte „Wörterbuch der Mystik“.

Ein Aspekt scheint mir in den meisten Lebensbeschreibungen der Stigmatisierten nur unzulänglich abgehandelt zu sein: der prophetische Charakter der Konnersreuther Phänomene. Nicht als ob Therese Neumann Zukunft vorausgesagt oder seherisch einen großen Weltentwurf angeboten hätte. Doch ihre ekstatischen Erlebnisse und ihr übernatürliches Erkenntnisvermögen verweisen eindeutig auf ein Kommendes. In ihnen leuchtet jene offenbarte Wirklichkeit auf, der nach neutestamentlichem Verständnis Kosmos und Erde und Menschheit zustreben: einem neuen Himmel und einer neuen Erde. Der Theologe Karl Barth hat mir da wieder einmal aus der Seele gesprochen: „Es leuchten von jenem Horizont her je und je sehr bemerkbare und kräftige Blitze herüber und fallen in den Bereich der Stätten, die wir noch bewohnen, aber eben doch nur als Zelte noch bewohnen dürfen, um sie einst mit einem ganz anderen Haus vertauschen zu dürfen. Nun flammt jenes Feuer auf. Nun geschieht es, daß Menschen aufgerufen werden zu bestimmten Taten und Verhaltensweisen, in denen sie aus der Welt des Bestehenden, aus der Geschichte der Fortsetzungen, ein wenig herauskommen, um in aller Vorläufigkeit und Schwachheit lebendige Anzeichen der Vollendung zu sein, des schon gekommenen und endlich zu offenbarenden Reiches. Prophetische Menschen sind das dann, oder doch Menschen mit besonderen, vielleicht kleinen, aber eben doch proplietischen Aufgaben, in deren Ausführung sie als Kinder des Reiches (Gottes) zu denken, zu reden und zu handeln haben. Ohne Rücksicht auf Bindungen und Ansprüche, denen sie unterstehen, werden sie Dieses tun und Jenes lassen müssen, was ihrer Umgebung nicht verständlich sein kann, werden sie Wege gehen, auf denen sie auch ihren Nächsten, die solchen Auftrag nicht haben und darum auch nicht kennen, zu Fremden werden müssen. Diese Menschen erregen dann Anstoß, Verwunderung, Besorgnis. Man will sie belehren, warnen, zurückhalten, auf gesunde Wege zurückführen: nicht in böser Absicht, nur eben konträr zu dem ihnen zuteilgewordenen Rufe. Man meint es gut mit ihnen, nur eben nicht im Sinn des Zukünftigen, dem sie nun einmal, verpflichtet sind.“

Stand es nicht auch so um Therese Neumann? War nicht auch sie Gegenstand des Anstoßes, der Verwunderung? Als ich diesen Text des Basler Gelehrten las, schien es mir, als hätte er ihn geschrieben im Blick auf die Stigmatisierte von Konnersreuth. Dieser aber war Barth nie begegnet... Und ich selber hatte mich keineswegs bemüht, etwa einen evangelischen Theologen nach ihr zu befragen oder gleichsinnig gestimmte Texte auszugraben. Jenes Wort verstand ich vielmehr als frohmachende Entdeckung im Zusammenhang aufmerksamen, beharrlichen Lesens und Studierens.

Nimmt man Therese Neumann als Gesamtpersönlichkeit und all das Wunderbare, das sich an ihr ereignet hat, in den Blick, so stellt sich dem Katholiken wie von selbst die Frage, ob bei der Stigmatisierten nicht alle Voraussetzungen vorliegen, die ihre Seligsprechung rechtfertigen. Schon zu ihren Lebzeiten ist darüber viel spekuliert worden. Auf dieses Ziel hin arbeitet der „Konnersreuther Ring“, der sich 1978 in Eichstätt konstituiert hat. Seine Mitglieder sollen die Grundlagen für die Einleitung des Seligsprechungsprozesses offenlegen. Deshalb gehörten der Vereinigung bei ihrer Gründung durchwegs Zeitgenossen an, die Therese Neumann persönlich gekannt hatten und deshalb in der Lage waren, Wesentliches, eben Grundlegendes, über sie auszusagen. Zu ihnen zählte auch der damalige Bischof von

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Regensburg, Dr. Rudolf Graber. Seitdem hat sich der Kreis der Mitglieder bedeutend erweitert. Nach wie vor versucht die Organisation den theologisch begründeten Nachweis zu führen, daß Therese Neumann der „Ehre der Altäre“ würdig sei.

Doch die zuständige römische Behörde stellt harte Bedingungen. Sie durchforscht das Leben eines Anwärters oder einer Anwärterin auf die erwähnte „Ehre“ bis ins Detail. Deshalb gestalten sich die Untersuchungen meist sehr schwierig und dauern häufig viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Der künftige Selige muß ohne Fehl und Makel gewesen sein und in seinem Leben ein Menschenbild repräsentiert haben, das dem katholisch geprägten, christlichen Vollkommenheitsideal uneingeschränkt entspricht. Darauf kommt es den römischen Richtern einzig an. Das „Tugendleben“ des Anwärters hat Vorrang. Alles übrige, Stigmatisation etwa oder Ekstasen und Visionen, auch Nahrungslosigkeit, werden in der Beurteilung an die zweite oder dritte Stelle verwiesen, haben also untergeordneten Rang.

Ich vermag mich mit solcher „Abstufung“ nicht völlig zu identifizieren. Sind jene Gaben nicht ausdrückliche Beweise einer außerordentlichen Erwählung? Wollte Gott sich damit nicht auch den vielen „sichtbar“ und sie auf seine „Anwesenheit“ aufmerksam machen, die ohne Bezug zu Göttlichem dahinleben, Christus nur vom Hörensagen kennen oder an der Kirche und ihrer Geschichte irregeworden sind? Das dem Griechischen entstammende Wort „Phänomen“ heißt ja soviel wie ein Aufscheinendes, ein sich Offenbarendes, ein Offenkundigwerden. Deshalb waren ernstzunehmende Theologen der Überzeugung, daß man diese „Erscheinungen“ auch der Öffentlichkeit zugänglich machen und das Leidenszimmer der Stigmatisierten an den Karfreitagen öffnen solle, besonders jenen, die am Sinn ihres Lebens zweifelnd oder verzweifelnd, Christus begegnen wollten.

Dennoch: die Kirche hält am Primat der Tugenden fest. Sie verlangt viel von jenen, denen sie „Seligkeit“ oder „Heiligkeit“ zuzusprechen gedenkt. Auf ihr Tugendstreben darf kein Schatten gefallen sein. Jede der geforderten Tugenden müssen sie in idealer Weise gelebt haben. Doch die Kirche gibt sich damit offensichtlich nicht zufrieden. Es genügt ihr nämlich nicht, daß einer fromm und demütig, frommer oder demütiger als andere gelebt hat, ja nicht einmal, daß er sich als sehr fromm oder sehr demütig erwiesen hat, nein - er muß heroisch fromm, demütig, gläubig, von heroischer Gottes- und Nächstenliebe, von heroischer Klugheit, Gerechtigkeit und Mäßigung gewesen sein, ja man mutet ihm sogar zu, daß er Armut und Keuschheit (!) in heroischer Weise praktiziert habe. Hier sträuben sich jedem die Haare, der auch nur ein wenig mit der Mythologie der alten Griechen vertraut ist.

Was heißt denn „heroisch“? Dieses Adjektiv, diese Bezeichnung, ist vom griechischen „Heros“ abgeleitet. Die Heroen waren den Hellenen Halbgötter, heldische Gestalten, denen sie Heiligtümer errichteten und eigene Kulte widmeten. An ihren Gräbern opferten sie schwarze Stiere oder schwarze Widder. Zu den herausragenden Heroen zählte Herakles. Seine Kraft- und Heldentaten hatten ihn zur populärsten Figur der griechischen Götterwelt gemacht.

Wie soll sich nun solcherart „Heroisches“ mit christlichen Wert- oder Tugendvorstellungen zusammenreimen? Ich vermag nun einmal nicht, mir etwa den armen Franz von Assisi neben dem Kraftprotz eines Herakles vorzustellen. Wozu bedarf es dieses verbalen Rückgriffs auf die nichtchristliche griechische Antike, um mit „heroisch“ den höchsten Vollkommenheitsgrad einer christlichen Tugend zu kennzeichnen? Liegt hier das Widersprüchliche nicht offen zutage, das Unlogische und Un-Sinnige auch, weil solche sprachliche Komposition keinen Sinn macht? Natürlich werden die römischen Sachverständigen einwenden, daß das alles ja gar nicht so gemeint sei. „Heroisch“ sei hier keineswegs wörtlich und „urgriechisch“ zu nehmen. Es habe nur umschreibenden Sinn. Wer

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anders urteile, treibe Wortklauberei. Doch solche Argumentation befriedigt mich nicht. Nein - ich sehe mich gezwungen, die Kirche hier buchstäblich beim Wort zu nehmen. „Heroisch“ steht nun einmal da. Im Übrigen sollte es doch nachdenklich stimmen, daß man im griechischen Neuen Testament diese „heidnische“ Verdeutlichung einer Tugend oder eines Tugendgrades vergeblich sucht.

Den im Konnersreuther Ring zusammengeschlossenen Freunden der Therese Neumann bleibt demnach noch viel zu tun. Vordringlich wird die Aufgabesein, dieses mystische Leben in seiner Ganzheit zu erfassen und dessen Sinnfülle zu erkennen. Gewarnt sei vor allem Sich Verlieren in unwesentliche Details, vor blumig erzählten Anekdötchen und hagiographisch unzulässigen Vergleichen in Schrift und Predigt. Einzig wichtig ist die Herausarbeitung der christologischen Grundlinien, die sich im Geschehen von Konnersreuth abzeichnen. Diese Konturen gilt es immer wieder und immer kräftiger herauszuarbeiten. Konnersreuth will eine Christusbotschaft und nur eine Christusbotschaft sein.

Seit dem Tod der Stigmatisierten sind mehr als zweieinhalb Jahrzehnte ins Land gezogen. Ihres fünfundzwanzigsten Sterbetages gedachte man im September 1987 in Konnersreuth mit einer Feier. Ein Weihbischof aus Regensburg war gekommen, um Gottesdienst zu feiern und zu predigen. Er riet - erwartungsgemäß - zu „Zurückhaltung und Nüchternheit“, solange die Voruntersuchungen über das Leben der Therese Neumann nicht abgeschlossen und glaubwürdig dokumentiert seien. Am gleichen Tag weihte er im Geburtshaus der Stigmatisierten ein Dokumentationszentrum ein. Darin sind neben aller verfügbaren Literatur über Therese Neumann auch Bild- und Tonbandaufzeichnungen und andere historisch wichtige Materialien untergebracht, die für Studienzwecke von Belang sein können.

Tags zuvor fand in der Seminarkirche der Spätberufenenschule Fockenfeld eine Podiumsdiskussion statt. Sie begegnete so starkem Interesse, daß die Besucher im Gotteshaus kaum Platz finden konnten. Auch zahlreiche von weither angereiste Teilnehmer waren zu beobachten. Ferdinand Neumann bereicherte die lebhafte Aussprache durch zahlreiche Lichtbilder aus dem Leben seiner Schwester.

Man hatte mich damals gebeten, einführende Worte zu sprechen. Ich hielt meine Darlegungen allgemein und versuchte, das zur Rede stehende Thema auch geistesgeschichtlich einzuordnen: „Wir haben uns heute hier versammelt, um einer Frau zu gedenken, die vor genau fünfundzwanzig Jahren in Konnersreuth verstorben ist. Daß Sie in so unerwartet großer Zahl nach Fockenfeld gekommen sind, läßt erkennen, daß Therese Neumann im Gedächtnis und in der verehrenden Erinnerung ungebrochen fortlebt und fortwirkt. Doch nicht nur in dieser ihrer nordoberpfälzischen Heimat wird ihr Andenken bewahrt, sondern weltweit. Wir sind zusammengekommen, um uns im Gespräch mit jenen Phänomenen auseinander zusetzen, die Therese Neumann und mit ihr - den Markt Konnersreuth weltberühmt gemacht haben. Mit Ereignissen freilich auch, die vielen zum Anstoß, zum - ich will es griechisch ausdrücken - Skandalon geworden sind. Besonders Vertreter der Naturwissenschaften, der Medizin und der Psychologie, auch Theologen, die den übernatürlichen Charakter jener Ereignisse nicht anzuerkennen bereit waren, traten auf den Plan. Allenthalben versuchte man diese Erscheinungen als auf natürlichem Wege entstanden zu erklären. Andere sprachen von Autosuggestion oder Hysterie, wieder andere von raffiniertem Schwindel oder plumpem Betrug. Nachbeter solcher Hypothesen gibt es auch heute noch, leider auch in theologischen Kreisen. Es kann eben nach deren Überzeugung nicht sein, was nicht sein darf. Gott aber läßt sich von solchen Zeitgenossen, mögen sie sich auch noch so wissenschaftlich geben, nicht beeindrucken.

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Die Hybris, die Selbstüberschätzung der Naturwissenschaften und der Technik sprengt heute alle Normalität. Alles sei machbar, behaupten beharrlich ihre leidenschaftlichsten Vertreter. Es gebe schlechterdings nichts, was nicht durchschaubar gemacht werden könne. Mysterium ist in diesen Kreisen zu einem Fremdwort geworden. Materialismus, der sich weltweit, auch ideologisch und politisch, realisiert, beherrscht heute die Menschheit. Doch die sinnlich und mit hochtechnisierten Apparaturen bis zum Atom hin objektivierbare Materie ist nur ein Aspekt der Wirklichkeit. Denn das Sein als Ganzes ist eben nicht nur Materie. Jenseits des Sichtbaren, Zählbaren und Wägbaren existiert vielmehr noch eine ungleich größere und herrlichere Welt, unsichtbar zwar, der göttliche Bereich, der sich in seiner Fülle freilich nur dem Glaubenden öffnet. Darum wußte bereits die vorchristliche Philosophie. Ich erinnere an Sokrates und seinen großen Schüler Plato. Beide und noch viele andere griechische Denker mit gleichen oder ähnlichen Erfahrungen haben dem christlichen Glauben den Weg in seine abendländische Zukunft entscheidend mitgebahnt.

Auf diese andere Dimension der Wirklichkeit treffen wir auch immer wieder im Leben der Therese Neumann. Von dort her dachte, lebte und wirkte sie. Von diesem göttlichen, ganz Anderen her, empfing sie die Wundmale des Herrn, litt sie seine Passion mit, wurden ihr ungezählte biblische Visionen zuteil bis hin zur physischen Existenz ohne jegliche Nahrungsaufnahme. Über solche Bezüge vom Hier, vom „Hiesigen“ zum „Drüben“ und umgekehrt wollen wir nun reden. Aus verschiedenen Blickrichtungen, wie sie die hier versammelten Diskussionsteilnehmer repräsentieren. Wir wollen uns den Dingen behutsam und ehrfürchtig, aber wenn es sein muß auch kontrovers zu nähern versuchen.“

Nach dem Tod der Therese Neumann bin ich immer wieder von Pfarrern, Vereinsvorständen und sonst wie Verantwortlichen angegangen worden, über die Stigmatisierte und ihr Leben öffentlich zu sprechen. Bedenken kamen auf. Durfte und konnte ich es wagen, war ich überhaupt ermächtigt, vor großem Publikum das Lebensbild einer Frau zu entfalten, vor deren Geheimnis selbst gelehrte Theologen kapitulieren? Da konnte mich kein anderer als mein väterlicher Freund, Pfarrer Josef Naber, überzeugend beraten. Ich suchte ihn auf und trug ihm meine Unschlüssigkeit und meine Zweifel vor. Wie war ich überrascht, als er mich ohne auch nur den geringsten Vorbehalt spontan ermutigte, über Therese Neumann zu sprechen, wann und wo immer man dies wünsche. Er sei überzeugt, daß ich ihr mystisches Leben recht zu würdigen vermöge und dessen übernatürliche Sinnrichtung verstanden habe. Seitdem habe ich, sofern man mich darum bat, die Botschaft von Konnersreuth weitergesagt. Doch schon längst vorher war mir dazu reichlich Gelegenheit geboten. In der Zeitung „Der neue Tag“ berichtete ich stets ausführlich über alle Geschehnisse in Konnersreuth. Meine Beiträge waren nicht selten so umfangreich, daß ich zuweilen befürchtete, die Geduld der Verleger überfordert zu haben. Für ihr Verständnis und ihre Aufgeschlossenheit möchte ich ihnen daher an dieser Stelle herzlich danken: Victor von Gostomski sowie den inzwischen verstorbenen Herren Anton Döhler und Dr. Hans Nickl.

Überblickt man das Lebensganze eines bedeutenden Menschen, eines Philosophen oder Dichters etwa, und haben uns seine Ideen, Sprachbilder oder Zukunftsvisionen zu Begeisterung hingerissen, so kommt die Frage auf, welcher geistigen Grundgestalt ein solches Leben entsprochen habe. Auf welchen „Nenner“ Person und Werk zu bringen seien. Die „Formel“ wird wichtig, das „Bauprinzip“, von dem her, sich die Gesamtpersönlichkeit in ihrer Eigentlichkeit begreifen läßt. Diese Frage stellt sich auch bei Therese Neumann. Bei aller Vielfalt der „Phänomene“ fällt im Blick auf sie die Antwort leicht. Denn in ihrer mystischen Existenz gibt es keine „Probleme“. Alles an ihr ist einfach, klar und durchsichtig. Ihre „Lebensformel“ heißt Jesus, der Christus, der leidende, sterbende und aus dem Tode auferstehende Herr. Als sie einmal ein Priester fragte, was er seiner Gemeinde predigen solle,

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antwortete sie: „sagen Sie Ihren Leuten, wie gut der Heiland ist.“ Dieser Heiland war die Mitte ihres Lebens. Von seiner Menschenfreundlichkeit war sie in einem Maße ergriffen, daß sie mir einmal sagen konnte: „Wer den Heiland kennt, muß ihn lieben.“ Müssen - nicht im Sinne einer Gehorsamsverpflichtung, sondern so: der Betroffene kann gar nicht anders, als sich Jesus liebend zuzuwenden, sofern er ihn wirklich zuinnerst kennengelernt und verstanden hat. Ihm opferte sie ihr Leben, von ihm nahm sie jedes neue Leiden wie ein Geschenk des Himmels freudig entgegen. Welch schöpferische Lebenskraft im Leiden schlummert, blieb auch Friedrich Hölderlin nicht verborgen. In seiner großen Empedokles-Tragödie las ich:

Nicht in der Blut und Purpurtraub

ist heilige Kraft allein, es nährt

das Leben vom Leide sich, Schwester,

und trinkt, wie mein Held, doch auch

am Todeskelche sich glücklich.