Ein Le be n f r die Ku ns t - Gisela Mühlsteff - Home...2015/04/16  · Ein Le be n f r die Ku ns t...

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Ein Leben für die Kunst Gisela Mühlsteist fast 85 Jahre alt – und noch immer Künstlerin mit Leib und Seele. Vor zehn Jahren zog die lebensfrohe Seniorin nach Oschatz und bereichert seither die Collm-Region mit bis zu sechs Ausstellungen ihrer Bilder und Skulpturen im Jahr. Ans Aufhören denkt die Frau nicht, die in ihrem neunten Lebensjahrzehnt noch ein eigenes E-Mail-Postfach und eine Internetseite hat. Von christian kunze A ls Gisela Mühlsteff im August vor ein- einhalb Jahren aus dem Oschatzer Stadtteil Fliegerhorst in die Ritterstraße im Oschatzer Stadtzentrum umzog, musste ein Möbelstück unbedingt mit. Von ih- rem großen schweren Holztisch, der in ihrem Wohnzimmer thront und nach allen Seiten aus- ziehbar ist, kann sie sich nicht trennen. „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, schrieb einst Hermann Hesse. Der Zauber beginnt bei Gisela Mühlsteff an diesem Tisch – hier nehmen ihre Ideen Gestalt an, werden Gedanken zu Gemäl- den, Zeichnungen und Skulpturen. Hier ist ge- nug Platz für Entwürfe – die Kunst und damit verbundene Utensilien und Werkzeuge nehmen Platz in jedem Raum ein. Die Oschatzerin ist selbst erstaunt, dass sich noch nichts stapelt, denn diese Wohnung ist kleiner als ihre vorheri- ge. Ganz egal ob die Staffelei im Wäscheraum oder die Farben, die die Seniorin in der Küche anrührt – die Kunst ist ihr Leben, und das schon viele Jahrzehnte lang. Obwohl Gisela Mühlsteff im September ih- ren 85. Geburtstag feiert, denkt sie nicht daran, der Kunst den Rücken zu kehren. Gestalten, das war und ist ihre Leidenschaft und sie ist noch heute froh darüber, dass ihr Vater ihr ermög- lichte, den Weg einzuschlagen, den sie gehen wollte. „Mein Talent und meine Kreativität habe ich von ihm in die Wiege gelegt bekommen, da- ran besteht kein Zweifel“, sagt sie. Das Leuch- ten in ihren Augen, als sie von dem Mann spricht, der sie von Anfang an unterstützte, zeugt von Bewunderung und Respekt. Während ihr Vater, seines Zeichens Ingenieur, Schnell- straßen auf dem Papier entwarf, richtete Gisela Mühlsteff ihr Augenmerk vor, während und nach der Ausbildung zur Designerin eher auf die kleineren, aber nicht weniger praktischen Dinge des Lebens – dazu gehörten unter ande- rem Teppiche und Fußböden. Erst in der zwei- ten Hälfte ihres Lebens konnte sie sich intensiv der Kunst widmen. Als der Vater von Berufs wegen aus Schwe- rin, wo Gisela Mühlsteff geboren und aufge- wachsen war, nach Niederbayern versetzt wur- de, zog die ganze Familie mit. „Dort angekom- men, hatten wir erst einmal einen schweren Stand: evangelisch, aus Preußen kommend, nun in einer erzkatholischen Region. Da rümpften viele die Nase“, erinnert sie sich. Aber letztlich habe dieser Wechsel auch dazu beigetragen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken und den eigenen Weg zu gehen – eine Fähigkeit, die ihr noch öf- ter im Leben weiterhelfen sollte, wie sich bald herausstellte. Nach der Hochzeit mit ihrem ers- ten Mann leiteten beide 25 Jahre lang die Mönchshof-Brauerei. Dass ihr damaliger Gatte keinen Draht zur Kunst und damit auch keinen Sinn für ihre Arbeit hatte, daraus macht die Se- niorin heute kein Hehl mehr. „Das Leben ist nicht immer so bunt, wie ich es in meinen Bil- dern darstelle. Aber gerade dafür ist die Kunst ja da. Ein besseres Ventil habe ich über all die Jahre nicht kennen gelernt“, bekennt sie. Da- rauf angesprochen, ob auf nicht so sonnige Mo- mente im Leben besonders prächtige Bilder fol- gen, winkt Gisela Mühlsteff ab. „Nein, bloß nicht. Wenn es mir dreckig geht, dann taugen auch meine Bilder nix.“ Das sind klare Worte, für die die Oschatzerin auch von ihren Bekann- ten und der Familie geschätzt wird. Wie sie nach zehn Jahren, die sie nun schon in Oschatz lebt, angekommen ist, hat sich zum einen beim Umzug bemerkbar gemacht. „Da haben so viele mit angepackt, ich war überwäl- tigt“. Zum anderen ist es die Zahl und Band- breite der Ausstellungen, die die 84-Jährige im zurückliegenden Jahrzehnt allein oder gemein- sam mit anderen Kunstschaffenden gestaltet hat. Als Mitglied im Kunst- und Kulturverein Johann Kentmann mit Sitz in Torgau, stellt sie nicht nur in dessen Kleiner Galerie aus. Auch die Krankenhäuser in Oschatz und Wermsdorf, die Rathausgalerie in Mügeln und diverse an- dere Orte in der Collm-Region profitieren regel- mäßig vom Schaffen der lebensbejahenden Rentnerin. Allein im vergangenen Jahr stellte sie an sechs verschiedenen Orten aus. Unlängst endete eine gemeinsame Werkschau mit der Keramikerin Carmen Forke im Foyer der Oschatzer Stadthalle Thomas-Müntzer-Haus, andere Bilder von ihr sind noch bis Mai in der Oschatzer Collm-Klinik zu sehen. Gerne würde sie mehr Solo-Ausstellungen bestreiten. Doch der Aufwand, der damit verbunden ist, vor al- lem beim Abbau und Transport, das sei ange- sichts ihres Alters nicht mehr ohne Weiteres zu bewerkstelligen. Ihre Produktivität und ihre Vielseitigkeit – von Aquarellen, Ölbildern, Radierungen und Zeichnungen bis hin zu Skulpturen aus Glas, Metall und Ton reicht das Spektrum – sind vor allem der Tatsache geschuldet, dass Mühl- steff sich ihre Inspiration holt, wo sie geht und steht. Wenn sie das Haus verlässt, dann niemals ohne Skizzenblock. Jede Situation, jeder Au- genblick und jede Begegnung kann zu Kunst werden, sagt sie, ganz egal ob im Wartezimmer, beim Spaziergang oder auf einer Familienfeier, überall lauern Momente, die es für sie gilt, spä- ter festzuhalten. Um so erfüllender wird dies, wenn man Menschen um sich hat, die diese Lei- denschaft nachvollziehen oder teilen können. Dieses Glück erfuhr Gisela Mühlsteff schließ- lich bei ihrem zweiten Ehemann. Der versuchte sich selbst hin und wieder in der Foto-Malerei. Die zweite Ehe dauerte nicht drei Jahrzehnte, wie die erste, sondern nur 18 Jahre. Nach dem Tod ihres zweiten Ehemanns Mitte der 2000er Jahre folgte sie ihrem Sohn Peter in dessen neue Wahlheimat. Er war nach der Wende aus dem Westen in die Collm-Region gezogen – „ein Flecken Erde, den ich vorher schon ken- nen lernte, als ich regelmäßig auf meine Enkel- kinder aufpassen durfte“, blickt sie zurück. „Das Leben ist zum Gestalten da“, sagt Gise- la Mühlsteff. Ein Credo, das sie auch in ihrem neuen Lebensumfeld verwirklichen konnte. In besonderem Maße hat sie das einer Frau und einem Ort zu verdanken, den auch viele andere Gleichgesinnte für sich entdeckt haben: das Künstlergut Prösitz bei Mutzschen. Hier hat Ute Hartwig-Schulz eine Anlaufstelle für Menschen geschaffen, die ihr Leben der Kunst widmen. Ein Ort, auf den sie eher zufällig stieß, nach ei- nem Tipp der Wermsdorfer Apothekerin Bettina Zosel. War sie in Prösitz anfangs noch allein, gibt es inzwischen ein knappes Dutzend Frauen jeglichen Alters, das sich hier regelmäßig trifft, um der kreativen Ader freien Lauf zu lassen. Daraus entstanden auch schon gemeinsame Ausstellungen, die in ihrem Umfang einzigartig sein dürften. „Wir sind wie eine eigene kleine Familie“, meint die Seniorin. Eine Familie, in der Gisela Mühlsteff diejenige mit der meisten Lebenserfahrung sein dürfte – was vor allem dann zu Tage tritt, wenn andere einen Rat bei ihr suchen, der nichts mit künstlerischer Arbeit zu tun hat. Mit beinahe 85 Jahren noch geistig und kör- perlich auf der Höhe, fährt die Künstlerin auch noch selbst Auto – ein glücklicher Umstand, mit dem es morgen vorbei sein kann. Bis 1970 war sie regelmäßig im Gymnastiksport aktiv, ein weiteres Hobby, das ihr zur Vitalität bis ins hohe Alter verholfen hat. Ein gesunder Geist in ei- nem gesunden Körper bringt gesunde Kunst hervor und den nachvollziehbaren Wunsch, noch so lange es geht weiterzumachen. „Ich werde Bilder malen, so lange ich denken kann“, sagt Gisela Mühlsteff. Von ihren fünf Enkeln und den vier Urenkeln wird sie liebevoll „Bas- teloma“ genannt. Ein Kosename, der vor allem daher rührt, dass sie ihre Nachkommen schon sehr früh mit ihrer Passion vertraut gemacht hat. Dass es nicht bei allen auf fruchtbaren Boden fällt, spiele dabei keine Rolle. Schließlich habe von ihren beiden jüngeren Geschwistern in de- ren Kindheit auch keines das Faible fürs Gestal- ten so sehr verinnerlicht wie sie damals. „Es kann nicht jeder Künstler sein und manche scheuen auch die Auseinandersetzung mit der Kunst“, hat sie feststellen müssen. Dabei sei ein jedes Kunstwerk erst dann vollendet, wenn der Betrachter mit ins Spiel kommt. „Was ich mache ist nicht fertig. Jeder, der es sieht, soll sich sein eigenes Bild machen. Erst dann ist Kunst kom- plett. Im besten Falle wird ein Ausstellungsbe- sucher durch die Konfrontation zu eigenen Wer- ken angeregt.“ Das Verhältnis zwischen Werk und Betrachter werde jedoch zunehmend schwieriger, denn seit nahezu jeder digital foto- grafiert und in Windeseile seine Schnappschüs- se präsentieren kann, sei man in der Fotografie als auch in der Malerei dazu übergegangen, mehr und mehr die Dinge zu verfremden, an- statt sie nur abzubilden. Abstrakteres Denken sei da vorausgesetzt. Eigene Bilder entstehen auch im Oschatzer Pflegeheim Vitaris. Dort leitet Gisela Mühlsteff einmal in der Woche Bewohnerinnen und Be- wohner an, selbst etwas auf Papier oder Lein- wand zu bringen. Die Resultate zeigt sie nicht ohne Stolz und reiht sie gerne in die ihrigen mit ein. „Solange ich das, was ich gelernt habe, weitergeben kann, bin ich glücklich. So lange bleibt Kunst auch Erholung für mich.“ Weiter- gegeben hat sie ihre Fertigkeiten auch an die Enkelkinder. Schaut sie heute in die Schulen, würde sie sich wünschen, dass der Kunsterzie- hung mehr Raum und Zeit gegeben wird. „Ini- tiativen wie mehrtägige Kunstcamps wie etwa am Thomas-Mann-Gymnasium sind da vorbild- lich, aber leider noch viel zu rar gestreut“, schätzt sie ein. Gisela Mühlsteff tut das ihre, um in der eigenen Familie den Sinn fürs Kreative zu erhalten. Viele ihrer Bilder haben keinen Käufer, werden aber dennoch bald den Besitzer wechseln oder haben dies sogar schon getan: Bei den Kindeskindern und folgenden Genera- tionen sind sie in guten Händen. Kontakt: Ritterstraße 1, 04758 Oschatz, Telefon: 03435/988808, E-Mail: art@giselamuehlste.de, Internet: www.giselamuehlste.de „Aladins Wunderlampe“ aus Ton geformt, dahinter weitere Skulpturen, teils aus dem gleichen Material, teils aus Bronze. Glaskunst ohne Titel. Skulpturen wie diese schuf Gisela Mühlsteim Jahr 2011 im Glashof Riesa unter der Anleitung von Andreas Hartzsch. „Das Feuerschi“ ist eine Zeichnung, die sich erst auf den zweiten Blick erschließt. Giesela Mühlstewurde 1930 in Schwerin geboren und zog 1938 mit ihrer Familie nach Franken. Sie hat eine abgeschlossene Ausbildung als Designerin und widmet sich seit 1980 intensiv Malerei, Bildhauerei und Radierung. Sie ist Mitglied im Torgauer Kunst- und Kulturverein Johann Kentmann, der Radierwerkstatt der Volkshoch- schule des Landkreises Fulda, im Kunstverein Gedok Leipzig und weiteren künstlerisch tätigen Vereinigungen Deutschlands. Ihre Werke sind nicht nur in der Collm-Regi- on, sondern unter anderem auch im Haus des Buches in Leipzig, im Leipziger Rathaus, in Hanau, Grimma und Meinigen zu sehen oder zu sehen gewesen. cku Zur Person „Hochzeitspaar aus Peru“ – Gisela Mühlstezeigt eines ihrer frühesten Gemälde. Fotos: Dirk Hunger THEMA DES TAGES 13 | NR. 88 | DONNERSTAG, 16. APRIL 2015

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Ein Leben für die KunstGisela Mühlsteff ist fast 85 Jahre alt – und noch immer Künstlerin mit Leib und Seele. Vor zehn Jahrenzog die lebensfrohe Seniorin nach Oschatz und bereichert seither die Collm-Region mit bis zu sechs

Ausstellungen ihrer Bilder und Skulpturen im Jahr. Ans Aufhören denkt die Frau nicht, die inihrem neunten Lebensjahrzehnt noch ein eigenes E-Mail-Postfach und eine Internetseite hat.

Von christian kunze

Als Gisela Mühlsteff im August vor ein-einhalb Jahren aus dem OschatzerStadtteil Fliegerhorst in die Ritterstraßeim Oschatzer Stadtzentrum umzog,

musste ein Möbelstück unbedingt mit. Von ih-rem großen schweren Holztisch, der in ihremWohnzimmer thront und nach allen Seiten aus-ziehbar ist, kann sie sich nicht trennen. „JedemAnfang wohnt ein Zauber inne“, schrieb einstHermann Hesse. Der Zauber beginnt bei GiselaMühlsteff an diesem Tisch – hier nehmen ihreIdeen Gestalt an, werden Gedanken zu Gemäl-den, Zeichnungen und Skulpturen. Hier ist ge-nug Platz für Entwürfe – die Kunst und damitverbundene Utensilien und Werkzeuge nehmenPlatz in jedem Raum ein. Die Oschatzerin istselbst erstaunt, dass sich noch nichts stapelt,denn diese Wohnung ist kleiner als ihre vorheri-ge. Ganz egal ob die Staffelei im Wäscheraumoder die Farben, die die Seniorin in der Kücheanrührt – die Kunst ist ihr Leben, und das schonviele Jahrzehnte lang.

Obwohl Gisela Mühlsteff im September ih-ren 85. Geburtstag feiert, denkt sie nicht daran,der Kunst den Rücken zu kehren. Gestalten, daswar und ist ihre Leidenschaft und sie ist nochheute froh darüber, dass ihr Vater ihr ermög-lichte, den Weg einzuschlagen, den sie gehenwollte. „Mein Talent und meine Kreativität habeich von ihm in die Wiege gelegt bekommen, da-ran besteht kein Zweifel“, sagt sie. Das Leuch-ten in ihren Augen, als sie von dem Mannspricht, der sie von Anfang an unterstützte,zeugt von Bewunderung und Respekt. Währendihr Vater, seines Zeichens Ingenieur, Schnell-straßen auf dem Papier entwarf, richtete GiselaMühlsteff ihr Augenmerk vor, während undnach der Ausbildung zur Designerin eher aufdie kleineren, aber nicht weniger praktischenDinge des Lebens – dazu gehörten unter ande-rem Teppiche und Fußböden. Erst in der zwei-ten Hälfte ihres Lebens konnte sie sich intensivder Kunst widmen.

Als der Vater von Berufs wegen aus Schwe-rin, wo Gisela Mühlsteff geboren und aufge-wachsen war, nach Niederbayern versetzt wur-de, zog die ganze Familie mit. „Dort angekom-men, hatten wir erst einmal einen schwerenStand: evangelisch, aus Preußen kommend, nunin einer erzkatholischen Region. Da rümpftenviele die Nase“, erinnert sie sich. Aber letztlichhabe dieser Wechsel auch dazu beigetragen, ihrSelbstbewusstsein zu stärken und den eigenenWeg zu gehen – eine Fähigkeit, die ihr noch öf-ter im Leben weiterhelfen sollte, wie sich baldherausstellte. Nach der Hochzeit mit ihrem ers-ten Mann leiteten beide 25 Jahre lang dieMönchshof-Brauerei. Dass ihr damaliger Gattekeinen Draht zur Kunst und damit auch keinenSinn für ihre Arbeit hatte, daraus macht die Se-niorin heute kein Hehl mehr. „Das Leben istnicht immer so bunt, wie ich es in meinen Bil-dern darstelle. Aber gerade dafür ist die Kunstja da. Ein besseres Ventil habe ich über all dieJahre nicht kennen gelernt“, bekennt sie. Da-rauf angesprochen, ob auf nicht so sonnige Mo-mente im Leben besonders prächtige Bilder fol-gen, winkt Gisela Mühlsteff ab. „Nein, bloßnicht. Wenn es mir dreckig geht, dann taugenauch meine Bilder nix.“ Das sind klare Worte,für die die Oschatzerin auch von ihren Bekann-ten und der Familie geschätzt wird.

Wie sie nach zehn Jahren, die sie nun schonin Oschatz lebt, angekommen ist, hat sich zumeinen beim Umzug bemerkbar gemacht. „Dahaben so viele mit angepackt, ich war überwäl-tigt“. Zum anderen ist es die Zahl und Band-breite der Ausstellungen, die die 84-Jährige imzurückliegenden Jahrzehnt allein oder gemein-sam mit anderen Kunstschaffenden gestaltethat. Als Mitglied im Kunst- und KulturvereinJohann Kentmann mit Sitz in Torgau, stellt sienicht nur in dessen Kleiner Galerie aus. Auchdie Krankenhäuser in Oschatz und Wermsdorf,die Rathausgalerie in Mügeln und diverse an-dere Orte in der Collm-Region profitieren regel-mäßig vom Schaffen der lebensbejahendenRentnerin. Allein im vergangenen Jahr stelltesie an sechs verschiedenen Orten aus. Unlängstendete eine gemeinsame Werkschau mit derKeramikerin Carmen Forke im Foyer derOschatzer Stadthalle Thomas-Müntzer-Haus,andere Bilder von ihr sind noch bis Mai in derOschatzer Collm-Klinik zu sehen. Gerne würdesie mehr Solo-Ausstellungen bestreiten. Dochder Aufwand, der damit verbunden ist, vor al-

lem beim Abbau und Transport, das sei ange-sichts ihres Alters nicht mehr ohne Weiteres zubewerkstelligen.

Ihre Produktivität und ihre Vielseitigkeit –von Aquarellen, Ölbildern, Radierungen undZeichnungen bis hin zu Skulpturen aus Glas,Metall und Ton reicht das Spektrum – sind vorallem der Tatsache geschuldet, dass Mühl-steff sich ihre Inspiration holt, wo sie geht undsteht. Wenn sie das Haus verlässt, dann niemalsohne Skizzenblock. Jede Situation, jeder Au-genblick und jede Begegnung kann zu Kunstwerden, sagt sie, ganz egal ob im Wartezimmer,beim Spaziergang oder auf einer Familienfeier,überall lauern Momente, die es für sie gilt, spä-ter festzuhalten. Um so erfüllender wird dies,wenn man Menschen um sich hat, die diese Lei-denschaft nachvollziehen oder teilen können.

Dieses Glück erfuhr Gisela Mühlsteff schließ-lich bei ihrem zweiten Ehemann. Der versuchtesich selbst hin und wieder in der Foto-Malerei.Die zweite Ehe dauerte nicht drei Jahrzehnte,wie die erste, sondern nur 18 Jahre. Nach demTod ihres zweiten Ehemanns Mitte der 2000erJahre folgte sie ihrem Sohn Peter in dessenneue Wahlheimat. Er war nach der Wende ausdem Westen in die Collm-Region gezogen –„ein Flecken Erde, den ich vorher schon ken-nen lernte, als ich regelmäßig auf meine Enkel-kinder aufpassen durfte“, blickt sie zurück.

„Das Leben ist zum Gestalten da“, sagt Gise-la Mühlsteff. Ein Credo, das sie auch in ihremneuen Lebensumfeld verwirklichen konnte. Inbesonderem Maße hat sie das einer Frau undeinem Ort zu verdanken, den auch viele andereGleichgesinnte für sich entdeckt haben: dasKünstlergut Prösitz bei Mutzschen. Hier hat UteHartwig-Schulz eine Anlaufstelle für Menschengeschaffen, die ihr Leben der Kunst widmen.Ein Ort, auf den sie eher zufällig stieß, nach ei-

nem Tipp der Wermsdorfer Apothekerin BettinaZosel. War sie in Prösitz anfangs noch allein,gibt es inzwischen ein knappes Dutzend Frauenjeglichen Alters, das sich hier regelmäßig trifft,um der kreativen Ader freien Lauf zu lassen.Daraus entstanden auch schon gemeinsameAusstellungen, die in ihrem Umfang einzigartigsein dürften. „Wir sind wie eine eigene kleineFamilie“, meint die Seniorin. Eine Familie, inder Gisela Mühlsteff diejenige mit der meistenLebenserfahrung sein dürfte – was vor allemdann zu Tage tritt, wenn andere einen Rat beiihr suchen, der nichts mit künstlerischer Arbeitzu tun hat.

Mit beinahe 85 Jahren noch geistig und kör-perlich auf der Höhe, fährt die Künstlerin auchnoch selbst Auto – ein glücklicher Umstand, mitdem es morgen vorbei sein kann. Bis 1970 warsie regelmäßig im Gymnastiksport aktiv, einweiteres Hobby, das ihr zur Vitalität bis ins hoheAlter verholfen hat. Ein gesunder Geist in ei-nem gesunden Körper bringt gesunde Kunsthervor und den nachvollziehbaren Wunsch,noch so lange es geht weiterzumachen. „Ichwerde Bilder malen, so lange ich denken kann“,sagt Gisela Mühlsteff. Von ihren fünf Enkelnund den vier Urenkeln wird sie liebevoll „Bas-teloma“ genannt. Ein Kosename, der vor allemdaher rührt, dass sie ihre Nachkommen schonsehr früh mit ihrer Passion vertraut gemacht hat.Dass es nicht bei allen auf fruchtbaren Bodenfällt, spiele dabei keine Rolle. Schließlich habevon ihren beiden jüngeren Geschwistern in de-ren Kindheit auch keines das Faible fürs Gestal-ten so sehr verinnerlicht wie sie damals. „Eskann nicht jeder Künstler sein und manchescheuen auch die Auseinandersetzung mit derKunst“, hat sie feststellen müssen. Dabei sei einjedes Kunstwerk erst dann vollendet, wenn derBetrachter mit ins Spiel kommt. „Was ich mache

ist nicht fertig. Jeder, der es sieht, soll sich seineigenes Bild machen. Erst dann ist Kunst kom-plett. Im besten Falle wird ein Ausstellungsbe-sucher durch die Konfrontation zu eigenen Wer-ken angeregt.“ Das Verhältnis zwischen Werkund Betrachter werde jedoch zunehmendschwieriger, denn seit nahezu jeder digital foto-grafiert und in Windeseile seine Schnappschüs-se präsentieren kann, sei man in der Fotografieals auch in der Malerei dazu übergegangen,mehr und mehr die Dinge zu verfremden, an-statt sie nur abzubilden. Abstrakteres Denkensei da vorausgesetzt.

Eigene Bilder entstehen auch im OschatzerPflegeheim Vitaris. Dort leitet Gisela Mühlsteffeinmal in der Woche Bewohnerinnen und Be-wohner an, selbst etwas auf Papier oder Lein-wand zu bringen. Die Resultate zeigt sie nichtohne Stolz und reiht sie gerne in die ihrigen mitein. „Solange ich das, was ich gelernt habe,weitergeben kann, bin ich glücklich. So langebleibt Kunst auch Erholung für mich.“ Weiter-gegeben hat sie ihre Fertigkeiten auch an dieEnkelkinder. Schaut sie heute in die Schulen,würde sie sich wünschen, dass der Kunsterzie-hung mehr Raum und Zeit gegeben wird. „Ini-tiativen wie mehrtägige Kunstcamps wie etwaam Thomas-Mann-Gymnasium sind da vorbild-lich, aber leider noch viel zu rar gestreut“,schätzt sie ein. Gisela Mühlsteff tut das ihre, umin der eigenen Familie den Sinn fürs Kreativezu erhalten. Viele ihrer Bilder haben keinenKäufer, werden aber dennoch bald den Besitzerwechseln oder haben dies sogar schon getan:Bei den Kindeskindern und folgenden Genera-tionen sind sie in guten Händen.

Kontakt: Ritterstraße 1, 04758 Oschatz, Telefon:➦03435/988808, E-Mail: [email protected],Internet: www.giselamuehlsteff.de

„Aladins Wunderlampe“ aus Ton geformt, dahinter weitere Skulpturen, teils aus dem gleichen Material, teils aus Bronze.

Glaskunst ohne Titel. Skulpturen wie diese schufGisela Mühlsteff im Jahr 2011 im Glashof Riesaunter der Anleitung von Andreas Hartzsch.

„Das Feuerschiff“ ist eine Zeichnung, die sicherst auf den zweiten Blick erschließt.

Giesela Mühlsteffwurde 1930 in Schwerin geboren undzog 1938 mit ihrer Familie nach Franken. Sie hat eineabgeschlossene Ausbildung als Designerin und widmetsich seit 1980 intensiv Malerei, Bildhauerei und Radierung.Sie ist Mitglied im Torgauer Kunst- und KulturvereinJohann Kentmann, der Radierwerkstatt der Volkshoch-schule des Landkreises Fulda, im Kunstverein GedokLeipzig und weiteren künstlerisch tätigen VereinigungenDeutschlands. Ihre Werke sind nicht nur in der Collm-Regi-on, sondern unter anderem auch im Haus des Buches inLeipzig, im Leipziger Rathaus, in Hanau, Grimma undMeinigen zu sehen oder zu sehen gewesen. cku

Zur Person

„Hochzeitspaar aus Peru“– Gisela Mühlsteff zeigt einesihrer frühesten Gemälde.

Fotos: Dirk Hunger

THEMA DES TAGES 13|NR. 88 | DONNERSTAG, 16. APRIL 2015

Quelle :: Oschatzer Allgemeine Zeitung vom 16.04.2015 - Christian Kunze …