Ein Leben voller...
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Fakultät Wirtschaft und Soziales
Department Soziale Arbeit
Ein Leben voller Herausforderungen
Wie Kinder depressiver Mütter widrigen Lebensumständen trotzen
und zu zufriedenen Erwachsenen heranwachsen können
Bachelor-Thesis
Abgabedatum: 29.02.2012
Vorgelegt von: Denise Reinhard
Erstprüfer: Prof. Dr. phil. habil. Gerhard Suess
Zweitprüfer: Prof. Dr. Gunter Groen
Hindernisse und Schwierigkeiten sind Stufen,
auf denen wir in die Höhe steigen.
Friedrich Nietzsche
1
INHALTSVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG ................................................................................................................... 3
2 EPIDEMIOLOGIE AFFEKTIVER STÖRUNGEN .................................................................. 6
3 AUSWIRKUNGEN DER MÜTTERLICHEN DEPRESSIVITÄT AUF KINDER AUS SICHT DER
BINDUNGSTHEORIE ................................................................................................................ 9
3.1 Säuglings- und Kleinkindalter ............................................................................... 10
3.2 Schulalter ............................................................................................................... 13
3.3 Adoleszenz ............................................................................................................. 15
4 BESONDERHEITEN IN DER LEBENSWELT VON KINDERN DEPRESSIVER MÜTTER ...... 19
4.1 Parentifizierung ...................................................................................................... 19
4.2 Tabuisierung .......................................................................................................... 21
4.3 Ängste .................................................................................................................... 23
5 DIE KINDLICHE WIDERSTANDSFÄHIGKEIT ................................................................. 25
5.1 Risikofaktoren ........................................................................................................ 27
5.2 Schutzfaktoren ....................................................................................................... 30
5.3 Bewältigungsstrategien .......................................................................................... 32
2
6 EXEMPLARISCHE INTERVENTIONSMÖGLICHKEITEN DER SOZIALEN ARBEIT ........... 35
6.1 „Hoffnung, Sinn & Kontinuität - Ein Programm für Familien depressiv erkrankter
Eltern“ von Prof. Dr. William Beardslee .......................................................................... 35
6.2 AURYN – ein Hilfsangebot für Kinder und Familien mit seelisch belasteten und
psychisch kranken Eltern .................................................................................................. 40
6.3 Stationäre Mutter-Kind-Aufnahme ........................................................................ 42
7 FAZIT ............................................................................................................................ 45
ABBILDUNGSVERZEICHNIS .................................................................................................. 47
TABELLENVERZEICHNIS ...................................................................................................... 47
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ................................................................................................. 47
LITERATURVERZEICHNIS ..................................................................................................... 48
ANHANG ............................................................................................................................... 54
EINLEITUNG DENISE REINHARD
3
1 EINLEITUNG
„Depressionen gehören weltweit zu den häufigsten Formen psychischer Erkrankungen“
(RKI, 2006, 29) und werden voraussichtlich im Jahr 2020 den zweiten Platz des am meisten
vorkommenden Erkrankungsbildes einnehmen (vgl. RKI, 2006, 29). Es handelt sich also
längst nicht mehr nur um eine soziale Randerscheinung, sondern ist ein zunehmendes
Problem und bedarf deshalb einer weitaus höheren Beachtung in unserer Gesellschaft. Da
psychisch Kranke häufig auch Kinder haben und diese, als schwächstes Glied der Familie,
ganz besonders von der Erkrankung der Eltern in ihrer eigenen psychischen Gesundheit
gefährdet sind, muss insbesondere den Kindern Hilfe geboten werden. Lag der Fokus der
Öffentlichkeit zunächst ausschließlich auf der erkrankten Person selbst, traten erstmals auf
dem Kongress „Hilfen für Kinder psychisch Kranker“ im Jahr 1996 auch deren Kinder ins
öffentliche Bewusstsein (vgl. BApK, 2011). Eine psychische Erkrankung eines Elternteils
wurde nunmehr als Familienerkrankung angesehen und geeignete Hilfemaßnahmen, welche
die gesamte Familie mit einbeziehen, wurden entwickelt. Dass diese Hilfen jedoch in den
entsprechenden Familien häufig nicht ankommen, wurde durch die Tragödie im schleswig-
holsteinischen Darry im Dezember 2007 schmerzlich ins Bewusstsein der Öffentlichkeit
gerufen. Eine 31-jährige Mutter brachte ihre fünf Kinder um und gestand danach ihre Tat.
Der Grund für diese grausame Tat waren psychische Wahnvorstellungen der Mutter. Laut
des psychologischen Gutachtens trieben diese sie dazu, ihre Kinder aus dieser
„schrecklichen“ Welt zu befreien (vgl. Wiegand, 2008).
Nach Hilfe zu rufen ist gerade für psychisch erkrankte Eltern sehr schwer, unabhängig
davon, ob sie in einem sozial schwachen oder gut situierten Umfeld leben. Dazu tragen
besonders die immer noch stark ausgeprägte gesellschaftliche Tabuisierung und
Stigmatisierung sowie das fehlende allgemeine Wissen über psychische Erkrankungen in
unserer Gesellschaft bei.
Die vorliegende Arbeit konzentriert sich exemplarisch auf das Krankheitsbild Depression.
Viele der in dieser Arbeit aufgeführten Bedingungen, Auswirkungen und Hilfen können
jedoch auch für andere psychische Erkrankungen, wie z.B. Schizophrenie oder neurotische
Störungen, gleichgesetzt werden. Untersuchungen ergaben, dass das Geschlecht der
erkrankten Person eine wesentliche Rolle bei den Auswirkungen auf die Kinder spielt (vgl.
Remschmidt/ Mattejat, 1994, 67). Da die Mütter in den meisten Fällen die primäre
EINLEITUNG DENISE REINHARD
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Bezugsperson der Kinder darstellen und Frauen fast doppelt so häufig an Depressionen
leiden wie Männer, bezieht sich diese Arbeit ausschließlich darauf, welche Auswirkungen
eine mütterliche Depression auf die eigenen Kinder hat (vgl. RKI, 2006, 19).
Die zugrundeliegende Leitfrage dieser Arbeit lautet, inwiefern sich eine depressive
Erkrankung der Mutter auf die kognitive, psychosoziale und emotionale Entwicklung von
Kindern auswirkt und welche Folgen daraus möglicherweise für den weiteren Lebenslauf
der Kinder resultieren. Um diese Frage untersuchen zu können, wurde exemplarisch ein
qualitatives, leitfadengestütztes Interview mit einer 25-jährigen Frau geführt. Sie wuchs bis
zu ihrem 23. Lebensjahr mit einer depressiven und später auch alkoholabhängigen Mutter
und ohne einen Vater auf. Retrospektive Aussagen sind zwar für Verzerrungen anfällig,
dennoch lassen sich durch die empirisch erhobenen Aussagen die Ernsthaftigkeit und die
Wichtigkeit dieses Themas plastischer illustrieren.
Aus Sicht der Autorin lässt sich das Erleben und die Erfahrungen von betroffenen Kindern
besser nachvollziehen, wenn der persönliche Bezug zu einer Biografie hergestellt wird.
Ferner wurde aus illustrativen Gründen das Interview zergliedert und an den passenden
Passagen in den Kapiteln 3, 4 und 5 eingefügt.
Um der oben genannten Leitfrage nachgehen zu können, wird im 2. Kapitel ein
epidemiologischer Überblick über affektive Störungen geschaffen. In Anbetracht dessen
wird deutlich, dass bereits ein enorm großer Handlungsbedarf bei an Depressionen
Erkrankten besteht und dieser stetig wächst.
Da psychische Krankheiten nicht nur weitreichende Folgen für die erkrankten Personen
selber haben, sondern insbesondere auch für ihr soziales Umfeld, wird im 3. Kapitel der
Frage nachgegangen, inwieweit sich eine depressive Erkrankung der Mutter auf das Kind
auswirkt. Dabei wurde sich den Annahmen der Bindungstheorie von John Bowlby bedient.
Diese Bindungstheorie stellt eine der bedeutendsten Theorien für die Erklärung der Mutter-
Kind-Interaktion dar. Zwar gibt es in der Fachliteratur noch weitere Erklärungsansätze,
jedoch lässt der Umfang dieser Arbeit die Einbeziehung und genaue Betrachtung weiterer
Theorien nicht zu. Um die möglichen Auswirkungen einer mütterlichen Depressivität auf
die Kinder möglichst differenziert zu beschreiben, wurde das Kapitel nach drei Altersstufen
untergliedert. Dabei findet Beachtung, dass jede Altersstufe unterschiedliche Entwicklungs-
aufgaben beinhaltet, die es vom Kind zu bewältigen gilt. Die Erziehungsaufgaben, vor
denen jede Mutter steht, sind für depressive Mütter meist nicht einfach und
selbstverständlich. Das, was viele gesunde Mütter intuitiv richtig machen, stellt für
EINLEITUNG DENISE REINHARD
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erkrankte Mütter eine große Herausforderung dar. Sie können ihrem Kind aufgrund ihrer
Erkrankung nicht ausreichend emotional zur Verfügung stehen, so dass sie es schwieriger
haben, eine stabile Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen. Unsichere Bindungserfahrungen
stellen für Kinder ein erhöhtes Risiko für psychopathologische Auffälligkeiten im Kindes-
und Jugendalter dar (vgl. Groen/ Petermann, 2011a, 88).
Die Besonderheiten in der Lebenswelt von Kindern depressiver Mütter werden im 4.
Kapitel beschrieben. Die Familie ist das wichtigste Lebensumfeld der Kinder. Dort lernen
sie sich selbst und den sozialen Umgang kennen. Kinder depressiver Mütter sind allerdings
innerhalb der Familie mit diversen Problemen, wie z.B. der Parentifizierung oder der
Tabuisierung der Krankheit und damit einhergehenden Ängsten, konfrontiert, die Kinder
aus gesunden Familien nicht kennen. Die Erfahrungen und das Leben mit diesen ständigen
Risikofaktoren stellen eine große Herausforderung für die Kinder dar.
Die kindliche Widerstandsfähigkeit und die damit verbunden Risiko- und Schutzfaktoren,
welchen Kinder depressiv erkrankter Mütter ausgesetzt sind, werden im weiteren Verlauf
der Arbeit genauer betrachtet. Dabei wird in Kapitel 5 deutlich, welchen enormen Risiken
die Kinder während ihrer gesamten Entwicklungslaufbahn ausgesetzt sind. Allerdings
bedeutet das nicht, dass diese Kinder per se psychopathologisch auffällig werden, sondern
lediglich, dass sie einem erhöhtem Risiko ausgesetzt sind, Auffälligkeiten zu entwickeln.
Im 6. Kapitel dieser Arbeit werden exemplarisch mögliche Interventionsprogramme
vorgestellt. Jedes dieser Programme versteht die psychische Erkrankung eines Elternteils
als eine Familienerkrankung, die die komplette Familie in die Hilfen mit einbezieht.
Anschließend wird im Fazit die Leitfrage der Arbeit wieder aufgegriffen und die Ergebnisse
diesbezüglich zusammengefasst.
EPIDEMIOLOGIE AFFEKTIVER STÖRUNGEN DENISE REINHARD
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2 EPIDEMIOLOGIE AFFEKTIVER STÖRUNGEN
Affektive Störungen, mit den zwei Hauptgruppen Major Depression und affektive bipolare
Störungen, in der zehnten Auflage der International Classification of Deseases (ICD-10) der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) „gehören weltweit zu den häufigsten Formen
psychischer Erkrankungen“ (RKI, 2006, 29). Die Häufigkeit von Krankheitsfällen zum
Zeitpunkt einer Untersuchung findet in der Fachsprache als Prävalenz Gebrauch. Die
Lebenszeitprävalenz1 bei Erkrankung an einer affektiven Störung liegt bei der
Allgemeinbevölkerung bei 19%, indes die Prävalenz bei Frauen mit 25% deutlich höher
liegt als bei Männern mit 12% (vgl. Wittchen [u.a.], 2010, 19).
Die Lebenszeitprävalenzen der beiden Hauptgruppen affektiver Störungen weisen
erhebliche Unterschiede auf. Während sie bei der Major Depression zwischen 5,2 % und
17,1 % rangiert, liegt sie bei den bipolaren affektiven Störungen mit nur etwa 1 % deutlich
niedriger (vgl. Davison/ Neale/ Hautzinger, 2007, 310f).
Das Disability Adjusted Life Years - Konzept (DALYs) stellt eine Messmethode dar, die
verlorene Lebensjahre aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigung oder vorzeitigem Tod
zählt. Gemessen an den sogenannten DALY belegen die unipolaren Depressionen, laut der
Global Burden of Desease 2000 (GBD), bei Frauen den vierten und bei Männern den
siebten Platz. Für das Jahr 2020 prognostiziert die WHO den zweithöchsten Verlust an
potenziellen Lebensjahren durch Depression (vgl. RKI, 2006, 29). Ferner berichten die
Krankenkassen über eine stetige Zunahme von diagnostizierten Depressionen, wodurch
auch die Krankheitskosten konstant ansteigen. Zwischen 2004 und 2008 wuchsen diese von
4,1 Millionen Euro auf 5,2 Millionen (vgl. StBA, 2010, 20ff). Dennoch gehen Experten von
einer hohen Dunkelziffer an Depression Erkrankten aus. Die Symptome und
Begleiterscheinungen einer Depression werden häufig nicht entdeckt und/oder adäquat
behandelt (vgl. Wittchen [u.a.], 2010, 21).
Basierend auf den repräsentativen Daten des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 (BGS 98)
beträgt die 12-Monats-Prävelanz2 affektiver Störungen 10,9 % bei den 18- bis 65- jährigen
Personen der erwachsenen Allgemeinbevölkerung. Frauen leiden im Vergleich zu Männern
1 Lebenszeitprävalenz gibt die Häufigkeit einer Krankheit, bemessen an der verstrichenen Lebenszeit bis zum
Untersuchungszeitpunkt, an. 2 12-Monats-Prävalenz gibt die Häufigkeit einer Krankheit binnen eines Jahres an.
EPIDEMIOLOGIE AFFEKTIVER STÖRUNGEN DENISE REINHARD
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doppelt so häufig an einer depressiven Störung (vgl. Wittchen [u.a.], 2010, 19). „Das
mittlere Erkrankungsalter liegt indes für Frauen bei 32 und für Männer bei 33 Jahre.“ (RKI,
2006, 30)
Tabelle 1: 12-Monats-Prävalenz affektiver Störungen in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung (RKI, 2006, 19)
Das Erkrankungsrisiko bei Kindern und Jugendlichen vor der Pubertät liegt mit einer
Prävalenz von 2 % bis 3 % sehr niedrig. Geschlechtsspezifische Unterschiede sind in
diesem Alter nur in geringem Maße zu verzeichnen. Jugendliche ab etwa 15 Jahren weisen
eine „ähnlich hohe Querschnittsprävalenz wie bei jungen Erwachsenen“ (Wittchen [u.a.],
2010, 19) auf, gekoppelt mit der geschlechtsspezifischen Verteilung depressiver
Erkrankungen.
Eine Komorbidität geht häufig mit einer depressiven Störung einher. Unter Komorbidität
wird ein zusätzlich diagnostiziertes Krankheitsbild, psychischer oder physischer Form,
verstanden. Nach Daten des BGS 98 weisen „60 % der Personen mit einer depressiven
Episode und 80 % derjenigen mit einer Dysthymie3 mindestens eine weitere psychische
Störung“ (Wittchen [u.a.], 2010, 21) auf. Unklar ist bis dato, ob eine depressive Störung
Auslöser oder Folge einer weiteren psychischen Erkrankung ist oder ob eine reziproke
Beziehung zwischen den Erkrankungen besteht (vgl. ebd., 2010, 21).
Ein häufiges Symptom der depressiven Störungen ist unter anderem wiederkehrende
3 Dysthymie „ist eine über mindestens 2 Jahre an der Mehrzahl der Tage auftretenden depressive
Verstimmung, ohne dass die vollen Kriterien einer Episode einer Major Depression erfüllt sind.“ (Klinische
Psychologie & Psychotherapie, 2006, 735)
EPIDEMIOLOGIE AFFEKTIVER STÖRUNGEN DENISE REINHARD
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Suizidvorstellung. Bei 20 % bis 60 % der von einer Major Depression Betroffenen besteht
im Verlauf ihrer Krankheit ein Suizidversuch. 15 % der Erkrankten kommen durch einen
vollendeten Suizid ums Leben (vgl. Beesdo/ Wittchen, 2006, 740). „Insgesamt gehen 40 bis
70 Prozent aller Selbstmorde auf eine Depression zurück.“ (RKI, 2006, 30)
In Anbetracht der hohen Erkrankungsrate von affektiven Störungen in der
Allgemeinbevölkerung ist von einer hohen Zahl von Kindern auszugehen, die mit
mindestens einem psychisch erkrankten Elternteil aufwachsen. „Untersuchungen zur
Elternschaft psychisch kranker Menschen sind […] relativ selten und kommen zu teilweise
sehr unterschiedlichen Ergebnissen.“ (Jungbauer/ Lenz, 2008, 9) Nach den
epidemiologischen Daten der 12-Monats-Prävalenz ergeben konservative Abschätzungen,
dass innerhalb eines Jahres circa 3 Millionen Kinder in Deutschland einen Elternteil mit
einer psychischen Störung erleben. Geht man allerdings nur von der Anzahl der Menschen
aus, die aufgrund psychischer Störungen Hilfsangebote in Anspruch nehmen, leben
lediglich 250.000 Kinder in solchen Familien. 175.000 Kinder machen jährlich die
Erfahrung, dass ein Elternteil wegen einer psychischen Erkrankung einen stationären
Klinikaufenthalt benötigt (vgl. Mattejat, 2008, 74f).
AUSWIRKUNGEN DER MÜTTERLICHEN DEPRESSIVITÄT
AUF KINDER AUS SICHT DER BINDUNGSTHEORIE DENISE REINHARD
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3 AUSWIRKUNGEN DER MÜTTERLICHEN DEPRESSIVITÄT AUF
KINDER AUS SICHT DER BINDUNGSTHEORIE
Das Familienleben ist der bedeutendste Ort der Kinder für das emotionale Lernen. Hier
lernen die Kinder, wie sie sich selbst empfinden sollen und wie andere auf diese
Empfindungen reagieren, was sie von den Empfindungen denken sollen, wie sie ihre
Hoffnungen und Befürchtungen deuten und ausdrücken sollen und welche Reaktionen
ihnen offenstehen. Die Art und Weise, wie Eltern auf ihre Kinder im Laufe der Kindheit
reagieren, hat tiefreichende Folgen für das Gefühlsleben der Kinder (vgl. Goleman, 2007,
240); Kötter [u.a.], 2010, 115). Laut Beardslee [u.a] (1999, 115) ergaben zahlreiche
Studien, dass depressiv erkrankte Mütter anders mit ihren Kindern umgehen, als nicht
erkrankte Mütter. Das hat zur Folge, dass diese Kinder einem erhöhten Risiko für
emotionale und Verhaltensprobleme ausgesetzt sind. Die Prävalenz, selbst depressiv zu
werden, ist bei diesen Kindern zwei- bis vier Mal so hoch, wie bei ihren Altersgenossen in
unbelasteten Familien (vgl. Beardslee, 2009, 18). Das Risiko für Angststörungen und
Substanzabhängigkeiten ist jeweils um das Dreifache erhöht (vgl. Mattejat, 2008, 78).
Welche Auswirkungen die mütterliche Depression auf die Kinder hat und wie nachhaltig
diese für ihre weitere Entwicklung sind, hängt mit dem Alter und der jeweiligen
Entwicklungsstufe der Kinder zusammen, in welchem die Kinder erstmalig die Erkrankung
erleben (vgl. Remschmidt/ Mattejat, 1994, 69). Je früher ein Kind einer depressiven
Erkrankung der Mutter ausgesetzt ist, desto prägender und weitreichender sind die
möglichen Folgen auf die psychosoziale Entwicklung des Kindes. Wichtig ist hierbei,
festzuhalten, dass die Chronizität und „der Schweregrad [einer Depression] wichtiger sein
[kann] als die Art der Depression.“ (ebd., 66; Denke, 2005, 62) Schafft es die Mutter, ihre
Depression nicht mit in die Interaktion mit ihrem Kind einfließen zu lassen, steht einer
normalen und altersgerechten Entwicklung des Kindes nichts im Wege. Im Folgenden
werden die Entwicklungsanforderungen der jeweiligen Altersstufen aufgezeigt, um
anschließend mögliche Fehlanpassungen der Kinder aufzuzeigen, die durch eine
Depression der Mutter entstehen können.
AUSWIRKUNGEN DER MÜTTERLICHEN DEPRESSIVITÄT
AUF KINDER AUS SICHT DER BINDUNGSTHEORIE DENISE REINHARD
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3.1 Säuglings- und Kleinkindalter
In der Interaktion mit einer Bezugsperson, meistens sind das Mutter und Vater, lernen
Säuglinge ihre eigenen Gefühle zu regulieren, sowie eine emotionale Bindung zu ihnen
aufzubauen. Lächelt das Baby die Mutter beispielsweise an und erhält ein Lächeln zurück,
wird es immer wieder versuchen, diese positive, emotionale Reaktion bei der Mutter
auszulösen. Der Säugling macht sich so mit der Bezugsperson vertraut (vgl. Goleman,
2007, 132). Der wichtigste Faktor ist hierbei die mütterliche Sensibilität bzw. die
Feinfühligkeit der Mutter. Dieses Einfühlungsvermögen beinhaltet zunächst die
Wahrnehmung des kindlichen Bedürfnisses sowie deren richtige Deutung. Darauf
aufbauend soll eine prompte und altersangemessene Reaktion bzw. Interaktion der Mutter
erfolgen. Diese elterliche Fürsorge in den ersten Lebensjahren ist von entscheidender
Bedeutung für die seelische Entwicklung des Kindes (vgl. Bowlby, 2008, 105f.; Schone/
Wagenblass, 2002, 19). In dieser Zeit wächst das Gehirn auf zwei Drittel seines endgültigen
Volumens an und nimmt in seiner Komplexität schneller zu, als jemals wieder im Leben.
Wichtige Lernprozesse werden verinnerlicht, und Erfahrungen werden tief im Inneren
abgespeichert (vgl. Goleman, 2007, 247).
Die „Feinfühligkeit“, als adäquates Antwortverhalten der Eltern, wurde 1978 von der
Bowlby4-Schülerin Mary Ainsworth geprägt. Im gleichen Jahr entwickelte sie einen Test,
der heute noch als Meilenstein in der Erforschung kindlicher Bindungsmuster gilt. Die
sogenannte „Fremde Situation“, „in der ein 12 bis 18 Monate altes Kind einem
zunehmenden Trennungsstreß von Mutter oder Vater ausgesetzt wird, […]“ (Köhler, 1999,
108f) untersucht die Qualität der Bindungsbeziehung zwischen Eltern und Kind. Dieser
Test führte zu dem Ergebnis, dass es drei bis vier unterschiedliche Bindungsstile gibt. Diese
Bindungsstile entwickeln sich aus der Interaktion mit einer Bindungsperson heraus (vgl.
Bowlby, 2008, 101). Mit großer Wahrscheinlichkeit lernen die Säuglinge jede der unten
aufgeführten Interaktionen kennen. Welcher Bindungsstil sich jedoch manifestiert, hängt
davon ab, welches Verhalten der Mutter gegenüber dem Kind im Laufe der Jahre überwiegt
(vgl. Goleman, 2007, 246).
Werden die kindlichen Bedürfnisse adäquat und altersangemessen von der Mutter
beantwortet, entsteht ein sicherer Bindungsstil. Diese Kinder „wissen, dass ihnen ihre
Eltern in Stress- oder Angstsituationen emotional und tatkräftig zur Seite stehen, ein ihrem
4 J. Bowlby entwickelte mit M. Ainsworth seit den 1950ern die Bindungstheorie.
AUSWIRKUNGEN DER MÜTTERLICHEN DEPRESSIVITÄT
AUF KINDER AUS SICHT DER BINDUNGSTHEORIE DENISE REINHARD
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Explorationsdrang förderlicher Rückhalt, den in den ersten Lebensjahren meist die Mutter
bildet, indem sie feinfühlig auf die Signale ihres Kindes reagiert und sich ihm liebevoll
zuwendet, es insbesondere beschützt und/oder tröstet.“ (Bowlby, 2008, 101)
Kinder, dessen Bedürfnisse nicht zuverlässig beantwortet werden, entwickeln einen
unsicher-ambivalenten Bindungsstil. Sie „leben […] in der Ungewissheit, ob und wenn ja,
wann sie auf ihre Eltern zählen können, weshalb sie Trennungsängste entwickeln,
„klammern“ und nur selten Explorationsdrang zeigen.“ (Bowlby, 2008, 101) Diese Kinder
suchen ständig voller Kummer die Nähe der Mutter (Bezugsperson). In der Gegenwart der
Mutter können sie sich jedoch nicht beruhigen, da die Mutter sich nicht verlässlich und
konstant verhält. Das Verhalten der Kinder wird somit massiv von der Angst verlassen zu
werden dominiert.
„Kinder mit „unsicher-vermeidender“ Bindung wissen hingegen, dass sie von ihren Eltern
nur Ablehnung zu erwarten haben, weshalb sie fortan auf Zuneigung und fremde Hilfe zu
verzichten suchen, […].“ (Bowlby, 2008, 101) Im Beisein der Mutter ignorieren die Kinder
die Mutter und spielen einfach weiter. Aus ihren Erfahrungen lernten sie, dass ihre
Wünsche nach Nähe und Trost nicht erfüllt werden.
Der desorganisierte bzw. desorientierte Bindungsstil ist gekennzeichnet durch eine
fehlende Strategie der Kinder, auf die Verhaltensweisen der Mutter zu reagieren (vgl.
Köhler, 1999, 112). So „wirken manche Kinder verstört und/oder desorganisiert, erstarren
regelrecht, zeigen stereotype Verhaltensweisen oder halten aus unerklärlichen Gründen
plötzliche inne.“ (Bowlby, 2008, 102) Als Ursache dieses Bindungsstils werden starke
Vernachlässigungen, Misshandlungen und/oder psychische Erkrankungen der
Bindungspersonen gezählt (vgl. ebd., 102).
Ist eine Mutter depressiv erkrankt, fehlt es ihr ihrem Kind gegenüber meistens an der
Feinfühligkeit. Sie kann die Signale ihres Babys, sein Brabbeln, Schreien, Gurgeln, Seufzen
und Lächeln nicht richtig deuten und dementsprechend nicht adäquat reagieren. Dies kann
auf unterschiedlichste Weise passieren. Die eine Mutter redet laut auf das Kind ein, berührt
es immerzu, um mit ihrem Kind zu kommunizieren. Ist die Mutter in dieser Situation
jedoch nicht aufnahmebreit, also nicht feinfühlig genug, wirkt sie auf das Baby zudringlich,
sodass sich das Baby möglicherweise abwendet. Die Mutter versteht das Verhalten ihres
Kindes nicht und macht immer weiter. Dieses Verhalten der Mutter wird als
überstimulierend bezeichnet. Eine andere Mutter beachtet ihr Kind so gut wie gar nicht und
lässt keinen Blickkontakt entstehen. Dieses Verhalten wird als unterstimulierend definiert.
AUSWIRKUNGEN DER MÜTTERLICHEN DEPRESSIVITÄT
AUF KINDER AUS SICHT DER BINDUNGSTHEORIE DENISE REINHARD
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Zunächst versuchen die Kinder noch die Aufmerksamkeit ihrer Mutter zu gewinnen,
resignieren nach einiger Zeit jedoch und ziehen sich zurück. Zum Trösten und Beruhigen
weinen und quengeln sie oft. Sie reagieren mit Kummer und Bestürzung. Somit entsteht ein
Teufelskreis durch die missglückte Kommunikation zwischen Mutter und Kind (vgl.
Goleman, 2007, 133; Wimmer, 2009, 88).
Im Allgemeinen reagieren depressive Mütter „weniger selektiv und langsamer auf ihre
Kinder als nicht depressive Mütter. Sie sprechen weniger mit ihren Kindern und hemmen so
deren Sprachentwicklung.“ (Remschmidt/ Mattejat, 1994, 76; Breznitz/ Sherman, 1987,
395) Darüber hinaus zeigen sie weniger positive Gefühle ihrem Säugling bzw. Kleinkind
gegenüber. Dieses Verhalten führt bei Säuglingen und Kleinkindern zu deutlichen
emotionalen und Verhaltensstörungen und, wie bereits erwähnt, zu einer verzögerten
Sprachenwicklung (vgl. Remschmidt/ Mattejat, 1994, 76). Die Säuglinge „leiden darunter,
wenn sie nicht spüren und erleben, dass andere für sie da sind und feinfühlig auf sie
eingehen.“ (Groen/ Petermann, 2011a, 91) Ferner entstehen Störungen in der emotionalen
Bindung zur Mutter, sodass die Kinder nicht in der Lage sind, angemessen auf das
Verhalten der Mutter zu reagieren. Keinen ‚sicheren Hafen‘ zu haben belastet die Säuglinge
nicht nur, sondern macht es ihnen auch sehr schwer, die Welt zu entdecken (vgl. ebd., 91).
Experimentelle Untersuchungen zeigen, dass Säuglinge depressiver Mütter „die Stimmung
ihrer Mütter, während sie mit ihnen spielten, in der Weise wider [spiegeln], dass sie öfter
Gefühle des Zorns und der Trauer und sehr viel seltener spontane Neugier und Interesse
zeigten als Kinder, deren Mütter keine Depression hatten.“ (Pickens/ Field, 1993, zit. n.
Goleman, 2007, 133) Die Säuglinge stellten sich auf die eingeschränkte Affektivität und
Gleichförmigkeit ihrer Mutter ein und zeigten selbst ein Ausdrucksverhalten auf, welches
mit der Mutter vergleichbar ist (vgl. Clausen/ Eichenbrenner, 2010, 95).
Die Erfahrungen, die ein Säugling in der Interaktion mit der Mutter macht, werden im
Gehirn gespeichert und beeinflussen das Verhalten im Kleinkindalter. In dieser Altersphase,
in der Kinder üblicherweise in den Kindergarten kommen, wenden sie ihre erlernten
Verhaltensweisen an. Es entsteht ein erster Übungsraum, um sich Gleichaltrigen sowie
Erwachsenen zu nähern. Da Kinder depressiver Mütter keine sichere Bindung zu ihrer
Mutter aufbauen konnten, fällt es ihnen besonders schwer, Emotionen richtig zu deuten und
ihre eigenen Emotionen zu regulieren. „Wenn man in den emotionalen Botschaften, die
man aussendet, Fehler macht, erlebt man andauernd, dass die anderen merkwürdig auf
einen reagieren - man wird abgewiesen und weiß, nicht warum. […] Sie fühlen sich
AUSWIRKUNGEN DER MÜTTERLICHEN DEPRESSIVITÄT
AUF KINDER AUS SICHT DER BINDUNGSTHEORIE DENISE REINHARD
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ohnmächtig, deprimiert und apathisch.“ (Goleman, 2007, 159) Ferner können sie ihre
Impulse, insbesondere ihre aggressiven Impulse, nicht kontrollieren und mit anderen
Kindern weder teilen noch kooperieren, so dass solche Kinder häufig zu Einzelgängern
werden (vgl. Remschmidt/ Mattejat, 1994, 74ff.).
Aufgrund der spärlichen Kommunikation zwischen einer depressiven Mutter und ihrem
Kind, sind Kinder aus unbelasteten Familien diesen Kindern oft verbal überlegen (vgl.
Breznitz/ Sherman, 1987, 395). Diese Situationen stellen für Kinder negative Erfahrungen
dar. Die dadurch entstehenden Gefühle und Emotionen bergen einen möglichen
Kontrollverlust, wodurch ein negativer Teufelskreis entsteht.
3.2 Schulalter
Als Schulalter wird der Lebensabschnitt zwischen Schuleintritt und Beginn der Pubertät
bezeichnet. Bereits in der jungen Kindheit zählt die Schule zu dem bedeutendsten Umfeld
eines Kindes. Neue Entwicklungsaufgaben, wie die soziale Integration mit Gleichaltrigen,
angemessenes soziales Rollenverhalten im Klassenraum, Aufbau einer positiven
Einstellung zu sich selbst, Entwicklung von Gewissen, Moral und Werten, sowie das
Erreichen einer unabhängigen Persönlichkeit stehen im Mittelpunkt. Um diese neuen
Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen, brauchen Kinder einen „sicheren Hafen“.
Von dort aus können sie ihre Umgebung explorieren und sich kognitiv, emotional und
sozial an die jeweilige Situation anpassen. Fehlt dieser „sichere Hafen“ jedoch, besteht ein
erhöhtes Risiko, dass diese Kinder die neuen Entwicklungsaufgaben nicht erfolgreich
bewältigen (vgl. Cicchetti, 2006, 159).
Kinder depressiver Mütter weisen bereits im Schulalter eine Vielzahl von Fehlanpassungen
auf. Durch die erworbene unsichere emotionale Bindung zur Mutter fällt es den Kindern
schwer, stabile Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen. Aus Scham über die familiäre
Situation laden die Kinder ihre Freunde nicht nach Hause ein. Durch ihre Erfahrungen
wirken sie oft ernst, verschlossen und „erwachsener“ als andere Kinder. Die Themen, mit
denen sich Gleichaltrige beschäftigen, sind meist ganz andere als die, mit denen Kinder
depressiver Mütter konfrontiert sind, sodass sie noch mehr eine Außenseiterposition
einnehmen (vgl. Clausen/ Eichenbrenner, 2010, 94; Schone/ Wagenblass, 2002, 182;
Müller, 2008, 146)).
AUSWIRKUNGEN DER MÜTTERLICHEN DEPRESSIVITÄT
AUF KINDER AUS SICHT DER BINDUNGSTHEORIE DENISE REINHARD
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„Also wie gesagt, also ich weiß auch selber dieses, das ich mich, also das ich
sehr vernünftig war. Irgendwie das ich mich sehr n Stück weit erwachsen war,
auch irgendwie schon anders als die anderen Kinder irgendwie auch.[…] Ich
hatte dadurch in der Schule schon ein Stück weit Probleme, dass ich so ein
Stück weit Außenseiterin war und ich halt auch recht ruhig war und joa…“
Das Verhalten der Kinder ist häufig von Aggressivität, oppositionellem Auftreten und
Rivalitäten geprägt, welches ihre große Unsicherheit widerspiegelt. Dieses Verhalten
erschwert es den Kindern, stützende Freundschaften aufzubauen. Durch das Fehlen solcher
Freundschaften entsteht eine Negativ-Spirale. Hierdurch wirdnes den Kindern immer
weniger gelingen, Unterstützung, Akzeptanz und Anerkennung von Gleichaltrigen zu
bekommen. Auch ein sozialer Ausschluss (Mobbing) in der Klasse kann eine mögliche
Folge sein. Durch den ungelernten Umgang mit den eigenen Emotionen wird ein Kind
„einen Lehrer ebenso missverstehen und falsch auf ihn reagieren wie auf ein anderes Kind.
Die Angst und Verwirrung, die daraus entstehen, genügen schon, seine Fähigkeit zu
effektivem Lernen zu beeinträchtigen.“ (Goleman, 2007, 159) Defizite in der
Aufmerksamkeit des Kindes entstehen. Als Resultat werden vermehrte Schulprobleme von
Kindern depressiver Mütter verzeichnet, als bei Kindern aus unbelasteten Familien (vgl.
Cicchetti, 2006, 160; Remschmidt/ Mattejat, 1994, 77). „Lehrer schätzen diese Kinder als
aggressiv und störend ein und als kognitiv und sozial weniger kompetent als ihre
Mitschüler.“ (Remschmidt/ Mattejat, 1994, 77)
Desweiteren ergaben Untersuchungen von Gelfand und Teti (1990) (zit. n. Remschmidt/
Mattejat, 1994, 86ff), dass depressive Mütter ihre Kinder häufiger kritisieren und
bestrafendes Verhalten aufzeigen als nicht erkrankte Mütter (vgl. Goodman/ Gotlib, 1999
zit. n. Kötter [u.a.], 2010, 215). Daraus resultiert nicht selten eine emotionale Labilität der
Kinder. Sie geraten schnell aus ihrem seelischen Gleichgewicht und brauchen lange, um
sich zu regenerieren. Ihre Emotionen können sie nur schlecht kontrollieren und Misserfolge
nur schwer ertragen und verarbeiten. „Kinder, die wenig Liebe, Anerkennung und positive
Aufmerksamkeit für sich erfahren haben, haben es schwer, sich selber zu mögen und
anzuerkennen.“ (Groen/ Petermann, 2011a, 91) Die Kinder entwickeln zunehmend ein
negatives Selbstbild, welches ein schlechtes Selbstwertgefühl zur Folge hat. Diese fehlende
Wertschätzung von sich selbst ähnelt sehr dem Selbstbild der Mutter (vgl. Remschmidt/
Mattejat, 1994, 78). In vielen Fällen endet dieses verzerrte Selbstbild der Kinder im
Rückzug und/oder in der Isolation.
AUSWIRKUNGEN DER MÜTTERLICHEN DEPRESSIVITÄT
AUF KINDER AUS SICHT DER BINDUNGSTHEORIE DENISE REINHARD
15
„[…] das ich sehr ne schon ne Distanz zu meiner Mutter aufgebaut habe. Das,
gerade so gefühlsmäßig, also es hat mir also total weh getan wie sie sich dann
verändert hat und joa, und noch mehr und alles, und äh dann konnte ich dann
auch irgendwie irgendwann gar nicht mehr so, ich, ich hab dich lieb sagen zu
ihr oder so. Das war wie richtig eine Blockade drin und hab mich dann auch
von ihr distanziert... n Stück weit, aber irgendwo hab ich mich ja immer noch
verantwortlich gefühlt und irgendwie…“
Die durch die Depression einhergehende Lethargie der Mutter belastet die Kinder sehr. Sie
haben ständig das Gefühl, Spaß zu haben, Lust zu empfinden und Dinge zu genießen,
gehöre sich nicht oder sei nicht erlaubt. Ihre Interaktionen zu Hause reduzieren sie folglich
auf ein Minimum (vgl. Breznitz/ Sherman, 1987, 399).
„Ähm, ja es war dann schon auch früher dann, das sie dann keine Lust hatte
mit mir raus zugehen, irgendwie so von wegen du kannst dich doch alleine
beschäftigen. Sie wollte nicht so unbedingt mit mir spielen…“
Dieses elterliche Vorbild und die nicht vorhandene sichere Bindung können zu den
bereits erwähnten Beeinträchtigungen in der kindlichen Entwicklung führen (vgl.
Groen/ Petermann, 2011a, 91).
3.3 Adoleszenz
Die Adoleszenz hält generell für Jugendliche eine große Spanne von zu bewältigen
Anforderungen und Aufgaben bereit. Als zentrale Entwicklungsaufgabe in dieser
Altersphase werden die Autonomieentwicklung sowie die Abgrenzung von den Eltern
angesehen. Das Denken der Jugendlichen unterscheidet sich stark von der vorherigen
Entwicklungsphase, es herrschen neue Thematiken in den Köpfen der Jugendlichen vor. Sie
sind „immer stärker dazu in der Lage, kritisch über sich selber nachzudenken, die eigene
Person einzuschätzen und sich mit andern zu vergleichen.“ (Groen/ Petermann, 2011a, 80)
Einhergehend mit dieser kritischen Selbstreflexion werden auch die eigenen Stärken und
Schwächen hinterfragt und beurteilt. Sie versuchen, ein stabiles und adäquates Bild von
sich zu schaffen, sodass eine Identitätsentwicklung der Jugendlichen möglich ist. Sie
beginnen Zukunftsperspektiven zu entwickeln und schätzen ihre eigenen Möglichkeiten
und Grenzen ab (vgl. ebd., 80). Zudem nehmen der Aufbau enger Freundschaften und die
AUSWIRKUNGEN DER MÜTTERLICHEN DEPRESSIVITÄT
AUF KINDER AUS SICHT DER BINDUNGSTHEORIE DENISE REINHARD
16
Zugehörigkeit zu sogenannten Peer-Groups stark an Bedeutung zu. „Freundschaften im
Jugendalter [werden] in der Regel enger, exklusiver und vertrauensvoller.“ (Groen/
Petermann, 2011a, 80) Interesse an Sexualität und folglich intimen Beziehungen entstehen
und Jugendliche erproben sich zunehmend. Neben diesen Gefühlsveränderungen wächst
gleichzeitig der schulische Druck. Leistung und Erfolg werden wichtige Indikatoren, um
sich mit Gleichaltrigen zu messen. Neben dem eigenständigen Vergleich mit Gleichaltrigen
steigen auch die gesellschaftlichen, schulischen und elterlichen Erwartungen nach Leistung
und Erfolg (vgl. Groen/ Petermann, 2011a, 81).
Diese Reihe von Entwicklungsaufgaben, die Stress und Belastungen mit sich führen,
können am ehesten bewältigt werden, wenn sich die Jugendlichen auf Grundlage einer
sicheren Bindung auf ihre Eltern verlassen können. Die Bindungsprobleme aus den
vorherigen Altersstufen ziehen sich jedoch weit in die Adoleszenz hinein. In der frühen
Kindheit haben sie, durch eine negative Mutter-Kind-Interaktion, nicht lernen können, dass
Bindungen eine sichere Basis darstellen können. Ihre Erfahrungen lehrten sie, dass sie statt
Fürsorge und Hilfe hauptsächlich Ablehnung erfahren würden. Daraus entwickelte sich
gegebenenfalls eine Abneigung von weiteren Beziehungen. Sie lernten, alleine zurecht zu
kommen. Damit einhergehend ist auch eine gewisse Unfähigkeit entstanden, Beziehungen
aufzubauen, sei es zu Gleichaltrigen oder Lehrern. Ihr Verhalten und Auftreten ist durch
Verstimmungen und durch altersspezifisches oppositionelles und antisoziales Verhalten
gekennzeichnet (vgl. Remschmidt/ Mattejat, 1994, 69ff).
Die Sexualität, Berufsfindung und der wachsende Wunsch nach Unabhängigkeit stellen die
Jugendlichen vor eine große Herausforderung. Diese Herausforderung kann jedoch ohne
Unterstützung und Zuwendung der Eltern schnell zu einer Überforderung bei den
Jugendlichen führen (vgl. Remschmidt/ Mattejat, 1994, 79). Durch die krankheitstypische
Verhaltensweise der Mutter ist die Identifikation des Kindes mit der Mutter beeinträchtigt.
Somit ist nur eine eingeschränkte Vorbildfunktion der Mutter vorhanden. Diese erschwert
es den Kindern, sich als eigenständiges Individuum von der Familie abzulösen. Ferner
zeigen depressive Mütter häufig nur wenig Interesse und Aufmerksamkeit den Kindern
gegenüber und wirken starr und reaktionsarm (vgl. Remschmidt/ Mattejat, 1994, 87).
„[…] das hat sie, das war ihr gar nicht wichtig, das ich gute Noten mit nach
Hause bringe eigentlich. Also natürlich hat sie sich mal gefreut, aber ähm aber
es war ihr gar nicht wichtig. Also, da hat sie mich auch nie mal n bisschen äh,
wie soll man sagen dazu, angestrebt, ne mich animiert, sodass ich mich da
AUSWIRKUNGEN DER MÜTTERLICHEN DEPRESSIVITÄT
AUF KINDER AUS SICHT DER BINDUNGSTHEORIE DENISE REINHARD
17
wirklich bemühe oder so und - ja.“
Selbst unterstützende Gespräche sind für Kinder depressiver Mütter nur begrenzt möglich,
da die Mütter häufig nicht in der Lage sind, ihre eigenen Probleme hintenanzustellen und
sich auf die kindlichen Sorgen und Nöte zu konzentrieren. Zudem findet man in Familien
mit einer depressiven Mutter häufig keinen einheitlichen Erziehungsstil von Vater und
Mutter, weil die Eltern mit ihren eigenen Problemen meist selbst überfordert sind (vgl.
Groen/ Petermann, 2011a, 88; Sollberger/ Byland/ Widmer, 2008, 170).
„Ähm oder auch nein zu sagen, also so Konflikte, das konnte sie auch
überhaupt gar nicht und deswegen hab ich das auch nie, gar nicht so wirklich
gelernt […]“
Grenzen und Verbote gibt es nur wenige, da depressive Mütter Auseinandersetzungen aus
dem Wege zu gehen versuchen (vgl. Cicchetti, 2006, 142).
„[…] sie hat mir auch sehr wenige Regeln aufgestellt. Eigentlich, ... kaum was.
Also ich durfte schon sehr früh, sehr lange Aufbleiben. Ich durfte relativ lange
draußen bleiben, ich hatte eigentlich keine, ja gut, ja wie gesagt Bettgehzeit, ja.
Ich durfte recht früh Horrorfilme gucken... Ich weiß gar nicht, also ... da hab
ich von den anderen immer nur zu hören bekommen, von wegen „oah, du hast
ja ne coole Mutter!“ Aber gerade jetzt so im Endeffekt, äh jetzt so später merke
ich, dass es echt viel besser gewesen wäre, wenn ich einige mehr Regeln gehabt
hätte...
Dabei belastet das Fehlen von Grenzen und Verboten die Kinder sehr, „wenn die Welt für
sie nicht überschaubar ist, wenn viele Dinge sich oft unvorhersehbar ereignen und sie
keinen Einfluss darauf haben“ (Groen/ Petermann, 2011a, 91).
AUSWIRKUNGEN DER MÜTTERLICHEN DEPRESSIVITÄT
AUF KINDER AUS SICHT DER BINDUNGSTHEORIE DENISE REINHARD
18
Tabelle 2: Beispiele von Entwicklungsaufgaben und -Beeinträchtigungen im Kindes- und Jugendalter (in
Anlehnung an Wustmann, 2004, 21)
Altersstufen Entwicklungsaufgaben Entwicklungsbeeinträchtigungen
Säuglings-
und
Kleinkind-
alter
Bindung an Bezugspersonen
Sprachentwicklung
Selbstkontrolle/Selbststeuerung
(motorisch)
Unsichere Bindung
Gehemmte
Sprachentwicklung
Geringer
Explorationsdrang/
Selbstwirksamkeit
Schulalter Entwicklung von
Impulskontrolle
Beziehungen zu Gleichaltrigen
Anpassung an schulische
Anforderungen
Schwierigkeiten bei der
Emotionsregulation
Beziehungsprobleme zu
Gleichaltrigen
Aufmerksamkeits- und
Schulprobleme
Adoleszenz Identitätsentwicklung
Aufbau enger Freundschaften
moralisches Bewusstsein
Schulische Leistungsfähigkeit
Erschwerte Identitäts-
entwicklung durch fehlende
Identifikation mit der
erkrankten Mutter
Beziehungsprobleme zu
Gleichaltrigen
Loyalitätskonflikte
Vermehrte Schulprobleme
BESONDERHEITEN IN DER LEBENSWELT VON KINDERN DEPRESSIVER MÜTTER DENISE REINHARD
19
4 BESONDERHEITEN IN DER LEBENSWELT VON KINDERN
DEPRESSIVER MÜTTER
Eine Depression der Mutter hat nicht nur weitreichende Folgen für sie selbst, sondern auch
für ihr gesamtes soziales Umfeld, insbesondere für ihre Kinder. Die prägnantesten Risiken,
denen Kinder depressiver Mütter ausgesetzt sind, werden im Folgenden dargestellt.
4.1 Parentifizierung
Einhergehend mit einer depressiven Erkrankung der Mutter entsteht häufig eine
Parentifizierung der Kinder. Als eine Parentifzierung wird in der Fachsprache eine
Rollenumverteilung innerhalb einer herkömmlichen Familienstruktur bzw. im Eltern-Kind-
Verhältnis verstanden (vgl. Weiß, 2006, 35). Eine Depression der Mutter kann das
Familienleben stark beeinflussen und verändern (vgl. Schone/ Wagenblass, 2002, 12) Zu
den vermeintlich gesunden Familienmitgliedern zählen häufig die Kinder. Sie übernehmen
immer mehr die Aufgaben der depressiven Mutter, die sie aufgrund ihrer Erkrankung nicht
mehr bewältigen kann. Kochen, Waschen, Putzen und die Erziehung jüngerer Geschwister
gehören fest in den Alltag (vgl. Weiß, 2006, 35; Schone/ Wagenblass, 2002, 181ff).
„[…] einkaufen, ja ich glaub damals haben wir das erst noch ein Stückweit
noch zusammen gemacht. Ja und wo dann bei ihr die Angsterkrankung auch
kam, ähm war dann auch das ich dann viel doch das ich dann immer
regelmäßig allein einkaufen war.“
Ihr Verhalten richten die Kinder am Tagesablauf und anhand den Bedürfnissen der
erkrankten Mutter aus (vgl. Jungbauer/ Lenz, 2008, 11). Die Beweggründe sind zum einem
die Entlastung der Mutter und zum anderen das Gefühl, Schuld an der Erkrankung durch
„Fehlverhalten“ zu sein. „Bei einer emotionalen Abwesenheit der Eltern wird den Kindern
oft das Gefühl gegeben, mitverantwortlich für die Stabilität der Familie zu
sein.“ (Gutmann, 2008, 123)
„Der Haushalt war auch schon immer schwierig, weil das ja weil war halt auch
schon immer so ne Sache. Meine Mutter war halt immer äh, also es war immer
chaotisch bei uns, weil meine Mutter dann halt auch so Haushalt, Kochen, das
BESONDERHEITEN IN DER LEBENSWELT VON KINDERN DEPRESSIVER MÜTTER DENISE REINHARD
20
waren, weiß ich nicht, das hatte sie alles auch nicht so richtig drauf. Also das
hat sie alles nicht so richtig hinbekommen. Und gerade Chaos, so aufräumen,
also das weiß ich nicht, das war dann bei ihr auch so ‘n, halbwegs verwahrlost
(lacht). […] Ich hab für mich alleine gekocht. Aber ich hab auch dann
irgendwie dann nach und nach einiges übernommen.“
Aus Angst, dass ihre Mutter immer stärker erkrankt und eventuell stationär behandelt
werden muss, versuchen die Kinder, eine gewisse Alltagsstruktur beizubehalten. Dass viele
Kinder durch diese zusätzlichen Aufgaben meist überfordert sind und nach einer Weile
selbst an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit geraten, findet bei den depressiven Müttern
kaum Aufmerksamkeit (vgl. Denke, 2005, 65). „Die Gefahr dieser Umkehr der
Rollenverhältnisse ist, dass Kinder ihre Kindheit nicht ausleben können.“ (Gutmann, 2008,
123)
Neben der Unterstützung im Haushalt kommt häufig eine emotionale Versorgung der
Mutter hinzu. Diese Aufgabe wächst mit dem Alter der Kinder. Je älter die Kinder werden,
desto mehr teilen sie die Sorgen der Mutter. Häufig werden die Kinder auch als
Partnerersatz emotional missbraucht, was zu weitreichenden psychopathologischen
Auffälligkeiten der Kinder führen kann (vgl. Müller, 2008, 140 & 145f).
„[…] ja also meine Mutter hat halt auch oft gesagt, dass sie ähm sich mehr äh
will mehr meine Freundin sein, als meine Mutter. Das hat sie mir auch gesagt.
[…] Was halt auch leider war das meine Mutter mich sehr so als
Erwachsenenersatz genutzt hat und mit mir geredet hat äh, ja mit mir auch
Probleme besprochen hat, halt was ja nicht so für Kinderohren ist, was sie mir
dann auch öfters mal gesagt hat.
Kommen die Jugendlichen in die Entwicklungsphase, sich von der Mutter emotional zu
lösen, geraten sie nicht selten in massive Loyalitätskonflikte. Sie befürchten, „dass sie ihre
Eltern im Stich lassen und diese die Situation nicht selbstständig bewältigen
können.“ (Gutmann, 2008, 123)
„Und ähm ja ansonsten war halt das ich immer sehr ähm mich für meine
Mutter verantwortlich gefühlt habe. Irgendwie das ich auf sie aufpassen muss,
sie beschützen muss ähm… […] Ja...ja und was, wie gesagt, meine Mutter hat
mir auch öfters gesagt, mit das sie, wenn ich nicht da wäre, würde sie sich n
BESONDERHEITEN IN DER LEBENSWELT VON KINDERN DEPRESSIVER MÜTTER DENISE REINHARD
21
Strick nehmen.“
Die Kinder fühlen sich verantwortlich für die Mutter und sind nicht fähig, ihre eigenen
Wünsche und Bedürfnisse auszuleben. Sie sind „in einer symbiotischen Beziehung
gefangen, die sehr schwer aufzulösen ist.“ (ebd., 123)
„Mein Gefühl […]hilflos, geschockt, überfordert und ja und dann, danach hatte
ich vielleicht noch mehr das Gefühl, dass ich aufpassen muss auf meine Mutter
und weil irgendwie auch sonst niemand anderes wirklich da war. Niemand
anderes hat wirklich irgendwas gemacht.“
„[…] eigentlich wollte ich auch zu Hause ausziehen, aber auch schon länger
[…] Aber, ja ich hab mich es dann auch irgendwo nicht getraut, weil ich auch
so Angst um sie hatte. Dass sie sich dann umbringt, wenn ich nicht da bin. Das
sie dann total abstürzt. Noch mehr als vorher.“
4.2 Tabuisierung
In vielen Familien wird häufig nicht über die Erkrankung der Mutter gesprochen. Um die
Kinder zu schonen, wird aus falsch verstandener Rücksichtnahme das Thema
verschwiegen. Ein weiterer Grund dafür kann die Überforderung der Eltern sein, „die nicht
wissen, wie sie mit ihren Kindern altersgemäß über die Erkrankung reden können.“
(Müller, 2008, 144) Aus Scham und Angst der Eltern, den Kindern auf irgendeiner Weise zu
schaden, wird das Thema innerfamiliär tabuisiert. Verbunden mit der Tabuisierung und der
gegenwärtigen gesellschaftlichen Stigmatisierung psychischer Krankheiten glauben Kinder,
„ihre Gefühle wie Wut, Angst, Ärger, Schuld, Scham oder Mitleid nicht zeigen zu dürfen.
Das bringt sie in eine ständige Stresssituation.“ (Schone/ Wagenblass, 2002, 186) Die
Entwicklung von Bewältigungsstrategien ist enorm erschwert (vgl. Clausen/ Eichenbrenner,
2010, 95). Laut Schone und Wagenblass kann „die Verleugnung und Tabuisierung der
Krankheit […] dabei auf mehreren Ebenen stattfinden und hat in seinem Zusammenwirken
folgenreiche Auswirkungen auf das gesamte Familiensystem.“ (Schone/ Wagenblass, 2002,
186) Die fehlende Krankheitseinsicht der Mutter wird als subjektive Verleugnungstendenz
beschrieben. Die Mutter sieht viel mehr die Außenwelt als krankhaft und problembelastet
an, sodass eine Bereitschaft zur Inanspruchnahme von psychiatrischen Hilfen nicht besteht.
Eine weitere Ebene stellt die innerfamiliäre Verleugnungstendenz dar. Die Mutter ist sich
BESONDERHEITEN IN DER LEBENSWELT VON KINDERN DEPRESSIVER MÜTTER DENISE REINHARD
22
der Krankheit bewusst, trotzdem wird sie in der Familie nicht thematisiert. Diese
mangelnde Kommunikation kann bei Kindern zu Schuldgefühlen führen (vgl. Schone/
Wagenblass, 2002, 186f.).
„Und dann kam teilweise auch, ähm das sie mir Schu... Ja gesagt hat sie, ich
wäre schuld äh das es ihr so schlecht geht, weil ich ja mit meinen Problemen
mit den Essstörungen, weil ich ihr so Sorgen mache und so…“
Die Kinder nehmen die Symptome der Depression war und erleben sie jeden Tag aufs
Neue, können diese Beobachtungen jedoch nicht richtig einordnen und/oder
nachvollziehen. „In dieser Situation entwickeln Kinder die Vorstellung, sie könnten mit
ihrem (Wohl-)Verhalten das Befinden des erkrankten Elternteils beeinflussen […].“
(Müller, 2008, 144f)
Durch die externe Verleugnungstendenz erweist sich die Familie als ein geschlossenes
System. Es entwickelt sich eine meist unausgesprochene Familienregel, dass über dieses
Thema geschwiegen wird. Die einzelnen Familienmitglieder sind gut über die Krankheit
der Mutter informiert, ein Austausch mit der Außenwelt findet jedoch nicht statt. Jegliche
Kommunikation mit Dritten käme einem Verrat an der Familie gleich. Aufgrund von
entstehenden Loyalitätskonflikten müssen die Kinder mit ihren Sorgen und Nöten weiterhin
alleine fertig werden. Durch das Redeverbot fällt es Kindern insbesondere schwer,
Freundschaften aufzubauen bzw. aufrechtzuhalten (vgl. Schone/ Wagenblass, 2002, 188;
Müller, 2008, 144f.).
Als letzte Ebene muss die gesellschaftliche Verleugnungstendenz beachtet werden. Jede
Form psychischer Krankheiten hat in der Gesellschaft noch stigmatisierende Wirkung.
„Viele Menschen sind verunsichert im Umgang mit psychisch kranken Menschen […]“
(Schone/ Wagenblass, 2002, 189) und meiden den Kontakt. Aus Erfahrungen oder aus der
Angst heraus, bemitleidet oder abgelehnt zu werden, verschweigt die betroffene Familie die
Erkrankung in ihrem privaten Umfeld.
„[…] ich wollte das natürlich auch niemanden erzählen mit z.B. meine Mutter
mit Alkohol und, weil wir hatten in der Schule auch irgendwie das Thema
wegen Alkoholismus und gerade meine Klassenkameraden haben sich dann alle
irgendwie so n Penner auf der Straße vorgestellt, mit Alkohol so. Und joa ...
oder auch von den psychischen Problemen von meiner Mutter oder so hab ich
da nie was gesagt.“
BESONDERHEITEN IN DER LEBENSWELT VON KINDERN DEPRESSIVER MÜTTER DENISE REINHARD
23
Die gesellschaftliche Stigmatisierung geht unweigerlich mit einer Tabuisierung der
Krankheit einher. Ein sozialer Ausschluss und die Isolation sind mögliche Folgen. „Dies
führt dazu, dass für alle Familienmitglieder tragende außerfamiliäre Beziehungen als
Bewältigungsressource nicht zur Verfügung stehen.“ (Müller, 2008, 145) Besonders bei
Kindern entstehen Gefühle wie Einsamkeit und das Alleingelassen werden. Häufig haben
die betroffenen Familien aber auch selber Vorurteile und Vorbehalte von psychischen
Krankheiten, dadurch werden familiäre Abwehrmechanismen entwickelt. Umbenennungen
und Normalisierungen des Verhaltens werden vorgenommen, sodass das Verhalten der
Mutter nicht als krankhaft identifiziert wird. Diese Entstigmatisierung führt zu einer
gewissen Entlastung der Familie (vgl. Schone/ Wagenblass, 2002, 190).
Ein zusätzlicher signifikanter Grund, weshalb die Krankheit oftmals in der Öffentlichkeit
oder sogar innerhalb der Familie verschwiegen wird, ist die Angst der Mutter, das
Sorgerecht für die Kinder zu verlieren (vgl. Müller, 2008, 145; Clasen/ Eichenbrenner,
2010, 96).
4.3 Ängste
Bei Kindern, die mit einer depressiven Mutter aufwachsen, bestimmen Ängste den Alltag
(vgl. Remschmidt/ Mattejat, 1994, 72). Angst um die erkrankte Mutter, Angst vor der
erkrankten Mutter und Angst, selbst zu erkranken, dominieren bewusst als auch unbewusst
die Gefühlswelt der Kinder (vgl. Schone/ Wagenblass, 2002, 190). Viele dieser
Angstzustände können reduziert werden, wenn den Kindern altersangemessene
Informationen über die Erkrankung der Mutter vermittelt werden. Ohne eine solche
Aufklärung erleben die Kinder für sie nur schwer verständliche und verwirrende
Verhaltensweisen der depressiven Mutter. Sie können das Verhalten ihrer Mutter weder
einordnen noch abschätzen (vgl. Schone/ Wagenblass, 2002, 190ff.).
„Hat sie mich, äh, später auch, äh, mal geschlagen, wo sie wohl auch
betrunken war oder sich durch den Alkohol schon ein Stück weit verändert hat.
Ähm z.B. hat sie mich einmal auf den Boden niedergeschlagen, wollte noch
zutreten, mir einmal fast die Nase gebrochen, oder angebrochen war sie wohl.
Hat auf jeden Fall auch extrem geblutet. […] auch so mit dem, gerade als der
Alkohol dann dazu kam, ähm, wie gesagt, da wurde das Ganze noch viel
schlimmer, da kam das alles noch viel mehr heraus, hervor.“
BESONDERHEITEN IN DER LEBENSWELT VON KINDERN DEPRESSIVER MÜTTER DENISE REINHARD
24
„Hatte ich auch Angst vor ihr, weil sobald ich, weil irgendwann habe ich dann
bei diesen ganzen Gesprächen hab ich dann irgendwann schon mal gesagt, von
wegen mal ich müsste jetzt schon mal gehen, äh ins Bett und keine Ahnung und,
und dann kam von ihr gleich total so von wegen „Ja dann geh doch äh“
(Stimme verstellt) und wurde auch gleich sauer und auch so wurde sie auch oft
schnell sauer, wenn sie dann betrunken war.“
Es kommt zudem häufig vor, dass depressiv Erkrankte offen von Suizidgedanken sprechen
oder Suizidversuche ausführen (vgl. Schone/ Wagenblass, 2002, 191).
„[…] Ähm ja und was dann halt auch kam, ähm das sie mir dann öfters dann
auch gesagt hat wenn ich nicht wäre, würde sie sich ein Strick nehmen...ähm,
ja, wenn ich nicht wäre, wenn ich weg wäre oder so, joa Strick nehmen...wäre
sie schon längst nicht mehr... ja oder Kugel geben und irgendwie so...ähm, joa
und zwischendurch war sie richtig ein seelisches Wrack.“
Diese Konfrontation kann bei Kindern „zu traumatischen Ängsten führen, die mit
Schuldgefühlen und Verantwortungsübernahme einhergehen.“ (Wagenblass, 2002, 6) Die
Angst um die Mutter ist bei Kindern somit im Alltag stets präsent. Die Äußerungen der
Mutter lassen große Sorgen bei den Kindern aufkommen, sodass „auch eine kleine
Abweichung vom eigentlichen Tagesablauf in der Familie Ängste aufkommen“ (Gutmann,
2008, 119) lässt. Ist die Mutter außerplanmäßig unterwegs und hat niemanden informiert,
entstehen häufig enorme Angstzustände bei den Kindern. „Dadurch wird es für sie auch
schwierig, sich auf ihre eigenen Entwicklungsaufgaben zu konzentrieren oder einfach
ausgelassen zu sein.“ (Gutmann, 2008, 199) Ferner beschäftigen sich viele Kinder mit einer
Vererbung der Krankheit. Durch unzureichendes Wissen über die Erkrankung sowie der
genetischen Disposition einer Depression entsteht bei Kindern der Glaube, dass sie früher
oder später auch daran erkranken (vgl. Wagenblass, 2002, 7). Nicht selten kommt es noch
hinzu, dass die Eltern diese Ängste noch verstärken. Sie „entdecken immer wieder
Ähnlichkeiten zwischen […] sich selbst und den Kindern und deuten diese als Veranlagung,
ebenfalls zu erkranken.“ (Gutmann, 2008, 118)
DIE KINDLICHE WIDERSTANDSFÄHIGKEIT DENISE REINHARD
25
5 DIE KINDLICHE WIDERSTANDSFÄHIGKEIT
Es ist deutlich geworden, dass Kinder einer depressiv erkrankten Mutter mit einer Vielzahl
von Risikofaktoren in ihrer gesamten Entwicklungslaufbahn konfrontiert werden. Hierzu
zählen u.a. die zusätzlichen alltäglichen Anforderungen im Haushalt, Konflikte und
Spannungen innerhalb der Familie als auch im außerfamiliären Umfeld, wie z.B. in der
Schule und im Freundeskreis (vgl. Lenz, 2008, 96). Trotz andauernder hoher
Risikokonstellationen entwickeln sich viele dieser Kinder dennoch gesund und ohne
nennenswerten Verhaltensauffälligkeiten. Somit kann ausgeschlossen werden, dass widrige
Lebensumstände und extreme Risikosituationen per se die kindliche Entwicklung
beeinträchtigen (vgl. Wustmann, 2004, 27; Beardslee, 2002, 65). Ob Kinder psychische
Störungen entwickeln hängt stark vom Einzelfall und den Ausprägungen der vorhandenen
Risiko- und Schutzfaktoren und deren Balance zueinander ab. Eine Vielzahl verschiedener
Faktoren und Einflüsse und deren komplexes Zusammenspiel bzw. die Wechselwirkungen
spielen dabei die entscheidende Rolle (vgl. Werner, 2007, 28). Damit einhergehend können
ein und dieselben Risikofaktoren sehr unterschiedliche Effekte bei jedem Individuum
auslösen. Dies wird als Multifinalität bezeichnet (vgl. Beardslee, 2002, 82). Bei einer
depressiv erkrankten Mutter muss das Kind nicht zwingend eine Depression entwickeln,
sondern der Risikofaktor „Depression“ kann auch zur Entstehung anderer Störungen oder
aber zu gar keiner Beeinträchtigung führen (vgl. Cicchetti, 2006, 165). Zudem besteht die
Möglichkeit, dass ein Risikofaktor zu einem Schutzfaktor werden kann und vice versa. Als
Beispiel kann man das Selbstvertrauen nennen. Es gilt als wichtigster Schutzfaktor
gegenüber Stress. Bei starken Aggressionen kann ein überhöhtes Selbstvertrauen jedoch
auch ein Risiko darstellen (vgl. Lösel/ Bender, 2007, 65; Groen/ Petermann, 2011b, 87;
Fröhlich-Gildhoff [u.a.], 2010, 44).
„Also Mitgefühl habe ich sehr stark. Ähm kann mich, pff, kann mich in andere
Personen hineinversetzten. Ähm also das finde ich irgendwo schon ne Stärke,
wobei das teilweise ist das natürlich auch eher das Gegenteil, weil man sich
dann zu sehr hineinversetzen kann, oder das einen zu sehr mitnimmt irgendwo,
wenn jemand anderes dann auch ein Problem hat.“
„Diese Multifinalität von Resilienz macht deutlich, dass Resilienz immer kontextuell
DIE KINDLICHE WIDERSTANDSFÄHIGKEIT DENISE REINHARD
26
betrachtet werden muss und nicht ein universeller, auf alle Individuen gleich übertragener
Begriff ist.“ (Fröhlich-Gildhoff [u.a.], 2010, 44) Als das Pendant der Multifinalität gilt die
Äquifinalität. Sie beschreibt die Tatsache, dass unterschiedliche Risikofaktoren zu einem
gleichen Entwicklungsergebnis (Störungen) führen können (vgl. Groen/ Petermann, 2011b,
87; Lösel/ Bender, 2007,65). Die kindliche Widerstandsfähigkeit ist kein angeborenes
Persönlichkeitsmerkmal. Vielmehr stellt sie eine erworbene Kompetenz dar, die durch die
Kind-Umwelt-Interaktion entsteht. Sie repräsentiert keine absolute Verwundbarkeit, die
einmal gelernt und niemals verlernt wird. Vielmehr variieren die resilienten Eigenschaften
über die Zeit und Situationen hinweg (vgl. Rutter, 2000/ Waller 2001, zit. n. Wustmann,
2004, 30). Daher wird häufig von einer situations- und lebensbereichsspezifischen
Resilienz gesprochen (vgl. Luthar, 1993/ Scheithauer [u.a.], 2000, zit. n. Wustmann, 2004,
32). Besonders die Entwicklungsübergänge bei Kindern stellen eine Phase erhöhter
Vulnerabilität dar. Neue Anforderungen wie „die körperliche Reifung im Jugendalter, der
Wechsel in eine weiterführende Schule oder der Eintritt in das Berufsleben“ (Groen/
Petermann, 2011b, 87) machen die Kinder anfälliger bzw. verletzlicher für ungünstige
Umwelteinflüsse (vgl. Groen/ Petermann, 2011b, 87; Wustmann, 2004, 31).
Komplexe und spezifische Erklärungsansätze wurden zur Ätiologie und Aufrechterhaltung
psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter konzipiert. Darunter befindet sich das
entwicklungspsychologische Modell von Cicchetti und Toth (1998). Das wissenschaftlich
fundierte Erklärungsmodell ist stark mit dem Konzept von Risiko-und Schutzfaktoren
verbunden. Bezugnehmend auf Cicchettis Forschungsergebnisse werden im Folgenden die
möglichen Risiko- und Schutzfaktoren von Kindern depressiver Mütter näher betrachtet.
Anschließend werden mögliche Bewältigungsstrategien aufgezeigt, die durch schwierige
Lebensumstände erworben werden. Den entscheidenden Einfluss auf das Belastungserleben
des Kindes haben nicht die Häufigkeit und Intensität der Stresssituation, sondern die Art
und Weise wie die Belastungen bewältigt werden (vgl. Lenz, 2008, 96).
DIE KINDLICHE WIDERSTANDSFÄHIGKEIT DENISE REINHARD
27
Abbildung 1: An ecological-transactional model of child maltreatment (Cicchetti, 2006, 135)
5.1 Risikofaktoren
Als Risikofaktoren wurden eine Reihe von Umweltfaktoren identifiziert, die die
Wahrscheinlichkeit einer Entstehung von psychischen Störungen erhöhen. Beim Vorliegen
eines Risikofaktors ist zwar die Wahrscheinlichkeit von Störungen in der Entwicklung
erhöht, jedoch nicht determiniert (vgl. Wolke, 2001, zit. n. Wustmann, 2004, 36). Ein
Kausalzusammenhang zwischen Risiko und Störung besteht somit nicht. Das Aufwachsen
bei einem psychisch erkrankten Elternteil, besonders wenn die Mutter betroffen ist, gilt als
ein wichtiger Risikofaktor für psychische Störungen/Fehlanpassungen in der Entwicklung
von Kindern (vgl. Groen/ Petermann, 2011b, 106). Dieses Risiko hat häufig eine Vielzahl
von Problemen bzw. Risikofaktoren zu Folge.
„Zur Einordnung der vielfältigen […] möglicherweise beteiligten Risikofaktoren
verwenden Cicchetti und Toth (1998) das ökologische Modell von Bronfenbrenner (1979)
als Ordnungssystem.“ (Groen/ Petermann, 2011b, 102) Vier Ebenen, die reziprok
miteinander interagieren, werden dabei unterschieden: Das Makrosystem, das Exosystem,
das Mikrosystem sowie die ontogenetische Entwicklung. Auf jeder dieser vier Ebenen
können Risiko-und Schutzfaktoren vorhanden sein und die Prozesse auf den anderen
Ebenen beeinflussen. Dieses geschieht sowohl vertikal als auch horizontal. Kein
Risikofaktor kann somit isoliert betrachtet werden. Die Wahrscheinlichkeit einer Störung in
der Entwicklung eines Kindes ist durch die Balance von Risiko- und Schutzfaktoren
DIE KINDLICHE WIDERSTANDSFÄHIGKEIT DENISE REINHARD
28
bestimmt. Dabei gilt, je näher ein Risikofaktor am Kind dran ist, desto größer ist die
Wahrscheinlichkeit, dass er das Kind beeinflusst (vgl. Cicchetti, 2006, 134).
Das Makrosystem spiegelt die gesellschaftlichen und kulturellen Faktoren wieder. Damit
sind gesellschaftliche Normen und Werte gemeint, die ein Individuum im gesamten Leben
beeinflussen können. Im Falle von psychischen Erkrankungen im Elternhaus ist immer
noch eine mangelnde öffentliche Sensibilisierung zu verzeichnen (vgl. Groen/ Petermann,
2011b, 103). Die daraus resultierende Stigmatisierung kann im Familienleben verheerende
Folgen mit sich ziehen. Die Tabuisierung (siehe 4.2) und Folgeerscheinungen sind als
solche zu nennen. Auf Grund von Tabuisierung wird häufig die Hilfebedürftigkeit der
betroffenen Kinder unterschätzt oder gar nicht erst registriert (vgl. ebd., 103).
Als Exosystem gelten die Netzwerke der Familie. Sowohl die Nachbarschaft, die Schule,
der Arbeitsplatz, die Peergroup als auch der sozioökonomische Status der Familie zählen
dazu. Häufig befinden sich Familien mit einem psychisch kranken Elternteil in einer
schlechten finanziellen Lage, die mit möglicher Arbeitslosigkeit, schlechten
Wohnverhältnissen und sozialer Isolation verbunden ist (vgl. Groen/Petermann, 2011b, 108;
Mattejat, 2008, 84f; Buist/ Bilszta, 2005 zit. n. Wilkinson/ Mulcahy, 2010, 252). Weiterhin
sind Schwierigkeiten bei der Kinderziehung bzw. Eltern-Kind Bindung zu verzeichnen
(siehe Kapitel 3). Dies sind Risikofaktoren, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass
Kinder Auffälligkeiten in ihrer Entwicklung zeigen. Zwar können durch
Netzwerkaktivierung und Informationsvermittlung die Risikofaktoren in ihrer Intensität
abnehmen, doch durch die soziale Isolation und durch die gesellschaftliche Stigmatisierung
fällt es vielen Familie schwer, Hilfe anzunehmen (vgl. Cicchetti, 2006, 138).
Das Mikrosystem stellt die Faktoren der unmittelbaren Umgebung des Kindes dar (vgl.
Groen/ Petermann, 2011b, 103). Angesiedelt sind hier die Familiendynamik, der
Erziehungsstil und die persönlichen Beziehungserfahrungen des Kindes. In Familien mit
einem psychisch kranken Elternteil erfahren Kinder häufig unorganisierte und chaotische
Situationen. Ängste können entstehen und die kindliche Entwicklung stark beeinflussen
(siehe Kapitel 4.3). Der Erziehungsstil ist häufig durch Negativ-Spiralen geprägt.
Besonders Kinder depressiver Mütter sind einem hohem Risiko ausgesetzt. Sie werden
weniger gelobt und unterstützt und spüren eine ständige Unzufriedenheit von Seiten der
Eltern bzw. der Mutter (vgl. Cicchetti 140f.). Ein negatives Selbstkonzept wird durch ein
solches Verhalten geschürt, welches immense Risiken für die weitere Entwicklung eines
Kindes mit sich zieht. Weiterhin wurden starke Verzerrungen in der Eltern-Kind
DIE KINDLICHE WIDERSTANDSFÄHIGKEIT DENISE REINHARD
29
Konstellation festgestellt. Die Eltern haben häufig unangemessene Erwartungen den
Kindern gegenüber, sodass nicht selten die Kinder Verantwortung übernehmen, denen sie
selbst noch nicht gewachsenen sind (siehe Kapitel 4.1).
Als prägendste Ebene gilt die ontogenetische Entwicklung. Sie beschreibt die
personenbezogenen Faktoren wie z.B. die Emotionsregulation, das Bindungsverhalten, die
Entwicklung der Autonomie, der Moral und eines positiven Selbstwertgefühles,
Freundschaften etc. (vgl. Cicchetti, 2006, 143; Groen/ Petermann, 2011b, 101). Der Erwerb
dieser Faktoren ist hierarchisch aufgebaut und ein Prozess über die gesamte Lebensspanne
hinweg. Jede Entwicklungsstufe baut dabei auf die vorherige auf. „Die angemessene
Bewältigung dieser Entwicklungsaufgaben fördert die allgemeinen und spezifischen
Kompetenzen der Person und verhilft ihr zu besseren Voraussetzungen für weitere
Entwicklungsaufgaben.“ (Groen/ Petermann, 2011b, 101) Nicht angemessen bewältigte
Entwicklungsaufgaben können die nächsten Stufen in Form von Fehlanpassungen
beeinflussen (vgl. Cicchetti, 2006, 143; Groen/ Petermann, 2011b, 101). Risikofaktoren auf
der personenbezogenen Ebene werden in der Fachsprache als Kindbezogene- bzw.
Vulnerabilitätsfaktoren bezeichnet. „Damit ist die Verletzbarkeit, Verwundbarkeit oder
Empfindlichkeit einer Person gegenüber äußeren (ungünstigen) Einflussfaktoren gemeint.“
(Jungmann/ Reichenbach, 2011, 9) Hierbei lassen sich primäre und sekundäre
Vulnerabilitätsfaktoren differenzieren.
Als primäre Vulnerabilität zählen prä-, peri- und postnatale Faktoren, wie z.B. genetische
Disposition, Geburtskomplikationen, Frühgeburten oder dysfunktionale Kognitionen (vgl.
Groen/ Petermann, 2011b, 87).
Die sekundäre Vulnerabilität wird erst durch die Auseinandersetzung mit der Umwelt
erworben. Gemeint sind hiermit die Interaktionen zu Bezugs- und Bindungspersonen.
Erleben Kinder positive Bindungserfahrungen, entwickelt sich eine geringere Vulnerabilität
als bei Kindern mit negativen Bindungserfahrungen. Die durch negative Bindungserfahrung
entstehende „Anfälligkeit [bei Kindern] kann sich in psychobiologischen, kognitiven,
affektiven, verhaltensbezogenen und interpersonalen Auffälligkeiten äußern.“ (Groen/
Petermann, 2011b, 107) Die fehlende emotionale Sicherheit von der Mutter erhöht die
Wahrscheinlichkeit, dass Kinder Risikofaktoren gegenüber weniger gut gewappnet sind.
Ein geringes Selbstwertgefühl, unsichere Bindungen, dysfunktionale Emotionsregulation
sowie mangelnde soziale Kompetenzen sind als Folge zu verzeichnen. Da depressive
Mütter Schwierigkeiten haben, ein positives und stabiles Bindungsverhalten zu ihren
DIE KINDLICHE WIDERSTANDSFÄHIGKEIT DENISE REINHARD
30
Kindern aufzubauen (siehe Kapitel 3), entwickeln die Kinder eine erhöhte Vulnerabilität.
Daraus resultiert, dass Kinder depressiver Mütter in doppelter Weise belastet sind. Zum
einen reagieren die Kinder empfindlicher auf Umweltbelastungen als andere und sind
aufgrund der psychischen Erkrankung der Mutter dauerhaft einer multiplen Risikobelastung
ausgesetzt (vgl. Mattejat, 2008, 85).
Ein niedriger sozioökonomischer Status der Familie, Arbeitslosigkeit, beengte
Wohnverhältnisse, Disharmonie zwischen den Eltern, Scheidung oder Trennung der Eltern,
Betreuung durch einen alleinerziehenden Elternteil, Verlust von wichtigen Bezugspersonen
etc. können die Lebenswelt von Kindern stark beeinflussen (vgl. Groen/ Petermann, 2011b,
108; Mattejat, 2008, 84f). „Das Familienklima ist häufiger negativ und von einem
dysfunktionalen Umgang mit Problemen gekennzeichnet.“ (Groen/ Petermann, 2011b, 108)
Kommen diese Risikofaktoren vereinzelt vor, lassen sie sich meist gut von Kindern
bewältigen. Akkumulieren sich die Risikofaktoren jedoch, summieren sie sich nicht nur,
sondern können sich auch gegenseitig verstärken. Infolgedessen kann eine erhöhte
Belastung für Kinder entstehen, die zu psychischen Beeinträchtigungen führen kann (vgl.
Lösel/ Bender, 2007, 62; Mattejat, 2008, 85). Ferner kann festgestellt werden, dass das
Aufwachsen unter risikoerhöhenden Bedingungen in einem frühen Entwicklungsstadium
des Kindes die Wahrscheinlichkeit für weitere risikoerhöhende Bedingungen zu einem
späteren Zeitpunkt der Entwicklung steigen lässt (vgl. Wustmann, 2004, 41).
5.2 Schutzfaktoren
Trotz diverser Risikofaktoren, denen Kinder depressiver Mütter ausgesetzt sind, können
abweichende Entwicklungen bzw. Störungen ausbleiben. Mit Hilfe von Schutzfaktoren,
welche die psychische Widerstandsfähigkeit stärken, wappnen sich die Kinder gegenüber
starken Belastungen (vgl. Wustmann, 2004, 44ff). Schutzfaktoren schwächen im
Allgemeinen die stressreichen Lebensumstände (potenzielle Risikofaktoren) in ihrer
Intensität ab, so dass negative Folgereaktionen reduziert werden können. Aufgrund der
kompensatorischen Eigenschaft werden ‚risikomildernde‘ Faktoren synonym zu
Schutzfaktoren gebraucht (vgl. Jungmann/ Reichenbach, 2011, 11). Durch empirische
Untersuchungen wurden Schutzfaktoren bzw. Faktoren, die eine positive Entwicklung
fördern, identifiziert (vgl. Mattejat, 2008, 86). Sie differenzieren sich in Schutzfaktoren, die
DIE KINDLICHE WIDERSTANDSFÄHIGKEIT DENISE REINHARD
31
im Kind (ontogenetische Entwicklung), in der Familie (Mikrosystem), im sozialen Umfeld
(Exosystem) und der Umwelt (Makrosystem) vorkommen.
„Schutzfaktoren, die im Kind liegen, werden als Resilienz (Widerstandsfähigkeit)
bezeichnet.“ (Jungmann/ Reichenbach, 2011, 11) Dabei werden konstitutionelle Faktoren
und Faktoren unterschieden, die durch die Entwicklung bzw. der Kind-Umwelt-Interaktion
zu erwerben sind. Erstere beschreiben „ein positives Temperament, was durch Flexibilität,
Aktivität und Offenheit gekennzeichnet ist und eine überdurchschnittliche Intelligenz.“
(ebd., 11) Zu den letzteren Schutzfaktoren zählt die Entwicklung eines positiven
Selbstwertgefühls, eines positiven Sozialverhaltens, einer guten Selbstwirksamkeits-
überzeugung sowie eines konstruktiven Bewältigungsverhaltens des Kindes (vgl. Groen/
Petermann, 2011b, 88; Jungmann/ Reichenbach, 2011,11).
Auf der Ebene des Mikrosystems, im familiären Umfeld, tragen folgende Faktoren zu einer
Entwicklung von Resilienz bei: „Ein offenes unterstützendes Erziehungsklima, eine stabile
emotionale Beziehung zu einer Bezugsperson, familiärer Zusammenhalt und Modelle
positiven Bewältigungsverhaltens.“ (Jungmann/ Reichenbach, 2011,11) Kindern
depressiver Mütter fehlt es häufig an einer stabilen Beziehung zur Mutter. Hier ist es umso
wichtiger, dass den Kindern eine andere gesunde Bezugsperson zur Verfügung steht. Diese
Aufgabe können die Väter, die Großeltern, aber auch die älteren Geschwister oder
Erzieher/Lehrer übernehmen (vgl. Werner, 2007, 23f.). Zudem ist das Gefühl der Kinder,
auch von der erkrankten Mutter geliebt werden, von zentraler Bedeutung. Ebenso gibt eine
stabile häusliche Umgebung Kindern das Gefühl von Sicherheit, sodass eine weitgehend
normale Entwicklung möglich ist (vgl. Mattejat, 2008, 86).
Schutzfaktoren des Exosystems spiegeln sich in Erfahrungen positiver Freundschaften,
sozialer Unterstützungen sowie in positiven Schulerfahrungen wieder (vgl. Jungmann/
Reichenbach, 2011, 11; Groen/ Petermann, 2011b, 88). Hobbies und Erfolg außerhalb der
Familie stellen weitere wichtige Ressourcen der Kinder dar.
Auf der Makroebene gehören ein gesellschaftliches Verständnis und öffentliche
Sensibilisierung für psychische Erkrankungen zu den zentralen Schutzfaktoren (vgl.
Schone/ Wagenblass, 2002, 190).
Wie im Falle der Risikofaktoren kumulieren sich auch die Schutzfaktoren und verstärken
sich gegenseitig. Als ein Beispiel sei hier eine positive Bindung zu einer Bezugsperson
genannt. Daraus kann ein positives Selbstbild des Kindes entstehen, welches ein erhöhtes
Gefühl der Selbstwirksamkeit hervorruft. „Personen mit einem positiven Selbstbild sind im
DIE KINDLICHE WIDERSTANDSFÄHIGKEIT DENISE REINHARD
32
weiteren Entwicklungsverlauf wiederum verstärkt in der Lage, zwischenmenschliche
Beziehungen aufzubauen und soziale Unterstützung durch andere zu mobilisieren.“
(Wustmann, 2004, 47) Sie unterliegen der ständigen gegenseitigen Wechselwirkung und
dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Welche Faktoren eine protektive Wirkung auf die
Kinder haben, hängt von der individuellen Bedingungskonstellation des Kindes ab.
Faktoren bzw. Eigenschaften des Kindes erweisen sich auch erst dann als protektiv, wenn
ein „passender/entsprechender“ Risikofaktor vorhanden ist (vgl. Wustmann, 2004, 53;
Werner, 2007, 27).
Als einer der wichtigsten Schutzfaktoren bzw. Bewältigungsressourcen von Kindern
depressiver Mütter gilt das Wissen und Verstehen der Krankheit. „Krankheitsbedingte
Veränderungen [der Mutter] werden von Kindern oft früh wahrgenommen“ (Sollberger/
Byland/ Widmer, 2008, 163), können jedoch durch fehlende Informationen über die
Krankheit nicht richtig eingeordnet werden. Die Kinder können sich die Verhaltensweise
der Mutter weder erklären noch nachvollziehen. Es entsteht der Glaube, dass sie durch ihr
eigenes Verhalten schuld an der Situation sind. Laut den Studienergebnissen von Sollberger,
Byland, Widmer (2008) wurden rund 67 % der Kinder eines psychisch kranken Elternteils
nicht professionell über die elterliche Diagnose aufgeklärt. Dies geschah, obwohl
nachweislich herausgefunden wurde, dass eine altersangemessene Informationsvermittlung
über die Krankheit „ […] Verwirrungen, Unsicherheiten, Ängste und Stress vermindert
[und] die Explorationsentwicklung […] unterstützt.“ (Sollberger/ Byland/ Widmer, 2008,
162)
5.3 Bewältigungsstrategien
Als Bewältigungsstrategien werden konkrete Handlungsversuche bezeichnet, mit denen in
belastenden Situationen emotional und kognitiv umzugehen versucht wird. Dabei handelt
es sich um einen andauernden Prozess, der bei jeder Stresssituation von Neuem beginnt. Zu
den Hauptaufgaben des Bewältigungsverhaltens zählen die Verringerung von schädigenden
Einflüssen der Umwelt, die Verbesserung von Erholungsmöglichkeiten sowie die
Aufrechterhaltung und Sicherung von emotionalem Wohlbefinden, sozialen Beziehungen
und eines positiven Selbstbildes. Um diese Aufgaben bewältigen zu können, bedarf es laut
Lazarus und Launier immer zweier subjektiver Bewertungsprozesse im Voraus. Zum einem
die Einschätzung der Stresssituation in Bedrohung und Herausforderung und der Vergleich
DIE KINDLICHE WIDERSTANDSFÄHIGKEIT DENISE REINHARD
33
zu früheren Erfahrungen. Hierbei werden Information aus der Umwelt herangezogen. Zum
anderen wird die Einschätzung der persönlichen Bewältigungsmöglichkeiten gegenüber der
Stresssituation, in Form der Ressourceneinschätzungen, benötigt. Dabei werden Merkmale
der Person, wie z.B. Wertevorstellung, Überzeugung und ihre Kompetenzen sowie die
verfügbare soziale Unterstützung mit einbezogen. Somit wird deutlich, dass „die
Stresssituation […] ihre Bedeutung erst durch das Selbstbild des Individuums hinsichtlich
seiner eigenen Handlungskompetenzen und Kontroll-möglichkeiten“ (Holtz, 2000, zit. n.
Wustmann, 2004, 77) gewinnt.
Bewältigungsstrategien lassen sich in verschiedene Kategorien einordnen. Die defensive
Bewältigungstrategie hat zum Ziel, die Stresssituation zu vermeiden (vgl. Beyer/ Lohaus,
2007, 16f.). Hierzu zählen Handlungen wie der Rückzug, die Vermeidung der Situation,
Verleugnung, soziale Abkapselung oder die Isolation, mit möglichem Drogenkonsum und
Gewalt (vgl. Wustmann, 2004, 77ff.).
„Hab mich auch sehr zurück gezogen, zu Hause auch fast nur noch in meinem
Zimmer gewesen. Um mir das mit meiner Mutter nicht mehr angucken zu
müssen. Diesen Gesprächen aus dem Wege zu gehen, wenn´s ging…“
Mit der aktiven Bewältigungsstrategie setzt sich das Individuum mit dem Stressereignis
konkret auseinander. Hier sind Handlungen wie die Suche nach Informationen oder nach
sozialer Unterstützung zu nennen (ebd., 2004, 77ff.; Werner, 2007, 28; Beyer/ Lohaus,
2007, 17).
„Ja, ich hatte halt meinen Freund, mit dem ich jetzt noch ja zusammen bin.
Ähm mit ihm bin ich zusammen gekommen als ich, äh, fast 14 war und er fast
16. Und joa, er war mir dann eine sehr große Stütze, weil sonst weiß ich nicht,
sonst würde ich heute vielleicht nicht hier sitzen.“
Ferner lassen sich die problemorientierten und emotionsorientierten Strategien voneinander
unterscheiden.
Die problemorientierte Bewältigungsstrategie konzentriert sich auf das Problem bzw. die
Bedingungen der Stresssituation, welche es zu lösen gilt. Diese Strategie kann eine
Veränderung der Umweltbedingungen, des eigenen Verhaltens oder der Bewertung der
Stresssituation beinhalten. Es wird also versucht, sich durch Aneignung neuer Fertigkeiten
oder Änderungen von Gewohnheiten an die Situation anzupassen, um so dem Stress der
DIE KINDLICHE WIDERSTANDSFÄHIGKEIT DENISE REINHARD
34
Situation aus dem Wege zu gehen (vgl. Wustmann, 2004, 77).
„Also ich war auch relativ früh alleine auf dem Spielplatz. So das weiß ich
auch noch. Aber irgendwie ja mit anderen Kindern, ja aber auch alleine. Und
das meine Mutter dann zu Hause war. Gerade mit Spielen, so das weiß ich,
eher das sie da nicht so mit gemacht hat, so richtig. Das sie dann, ja es hieß
von ihr: nö kein Bock, nö keine Lust oder so.“
Die emotionsorientierte Bewältigungsstrategie dient „der Kontrolle bzw. Regulierung der
somatischen und emotionalen Reaktionen.“ (Wustmann, 2004, 78) Hierbei wird versucht,
die emotionale Erregung, die bei einer Stresssituation entsteht, abzubauen. Das Ziel stellt
nicht die Problemlösung dar, sondern den Schutz der eigenen Person. Entspannung,
Träumereien oder sich abreagieren sind mögliche Verhaltensmuster.
„An einige Gefühle kann ich mich auch nicht mehr so ganz so richtig dran
erinnern, weil irgendwann, habe ich halt auch irgendwie so eine Mauer
aufgebaut. Ähm, und ich sehe, vieles ist irgendwie, sind so verschwommene
Gefühle ...wie, wie unter, ich weiß nicht, wie unter Milchglas oder so.“
„[…]sie hat mir dann halt trotzdem, des Öfteren gesagt, sie hat mich lieb und...
aber ich konnte das dann einfach nicht mehr sagen. Das war dann irgendwie,
ich hab´s natürlich immer noch getan, aber es war halt so, ich konnte das halt
nicht mehr sagen.“
Welche dieser Strategien verwendet wird, hängt stark vom Einzelfall und der Einschätzung
der Situation ab. Wird die Stresssituation als kontrollierbar eingeschätzt, werden
problemlösende Strategien verwendet. Bei unkontrollierbaren Situationen kommen meist
die emotionsregulierenden Strategien zum Einsatz (Lazarus, 1993, zit. n. Beyer/ Lohaus,
2007, 18). Je jünger die Kinder sind, desto häufiger werden die problemorientierten
Strategien benutzt, und im Verlauf der Entwicklung eignen sich die Kinder immer mehr die
emotionsregulierenden Strategien an. Schwierigkeiten bestehen jedoch in der Fähigkeit der
Kinder bei der Einschätzung der Situation. Somit können nicht alle Bewältigungsversuche
per se als Linderung von Stress angesehen werden. Einige können sogar die Situation
verschlimmern und zur Akkumulation von Risikofaktoren beitragen (vgl. Wustmann, 2004,
76ff).
EXEMPLARISCHE INTERVENTIONSMÖGLICHKEITEN DER SOZIALEN ARBEIT DENISE REINHARD
35
6 EXEMPLARISCHE INTERVENTIONSMÖGLICHKEITEN DER
SOZIALEN ARBEIT
Nicht alle Kinder schaffen es, die Herausforderungen, die sich beim Aufwachsen mit einer
depressiven Mutter ergeben, erfolgreich zu bewältigen. Da die Kinder von heute die Eltern
von morgen sein werden, ist es umso wichtiger, adäquate Hilfen so früh wie möglich
bereitzustellen. Bis 1996 lag der Fokus der Hilfen nur auf der erkrankten Person selbst und
evtl. dessen Lebenspartner, und die Bedürfnisse der Kinder wurden kaum wahrgenommen.
Dass eine Depression der Mutter jedoch auch immer eine Familienerkrankung impliziert,
wurde erstmalig 1996 auf dem Kongress „Hilfen für Kinder psychisch Kranker“
thematisiert und öffentlich diskutiert. Verschiede Angebote sind seitdem von Seiten der
Sozialen Arbeit entstanden, um besonders den schwächsten Mitgliedern der Familie zu
helfen. Auch wenn Kinder resiliente Eigenschaften aufweisen und ihr Leben bislang gut
gemeistert haben, ist es dennoch wichtig, auch ihnen präventive Hilfen zukommen zu
lassen. Denn Resilienz im Jetzt kann nicht generell als Resilienz in der Zukunft gesehen
werden.
Im Folgenden wird das Präventionsprogramm „Hoffnung, Sinn & Kontinuität“ von W.
Beardslee näher betrachtet. Es ist auf die Problematiken eines depressionserkrankten
Elternteils spezialisiert. Das Programm ist für Familien mit Kindern zwischen 9-14 Jahren
konzipiert und wirkt somit möglichen Risiken in der Adoleszenz entgegen. Als zweites
Hilfsangebot wird das Kindergruppenangebot AURYN vorgestellt. Hier sind Kinder im
Schulalter die Zielgruppe, wobei auch jüngeren Kindern Hilfen geboten werden. Als letzte
exemplarische Interventionsmöglichkeit steht die stationäre Mutter-Kind-Aufnahme. Dieses
Hilfsangebot richtet sich besonders an Mütter mit ihren Kindern bis zum vierten
Lebensjahr.
6.1 „Hoffnung, Sinn & Kontinuität - Ein Programm für Familien
depressiv erkrankter Eltern“ von Prof. Dr. William Beardslee
Das US-amerikanische Präventionsprogramm „Hope, Meaning and Continuity: A Program
for Helping Families When Parents Face Depression” wurde in den Jahren 1994 bis 2001
von W. Beardslee entwickelt und zahlreich erprobt. Die Besonderheit dieses
EXEMPLARISCHE INTERVENTIONSMÖGLICHKEITEN DER SOZIALEN ARBEIT DENISE REINHARD
36
Präventionsprogrammes liegt darin, dass es für Familien aus unterschiedlichsten kulturellen
und sozialen Herkünften konzipiert wurde. Folglich handelt es sich bei diesem Programm
nicht um ein striktes Therapiemanual, sondern vielmehr um ein Programm mit vorgebenden
Rahmenbedingungen und individuellen Ausgestaltungsmöglichkeiten. Dies ist wichtig, um
sich an die Besonderheiten einer jeden Familie, wie z.B. Anzahl und Alter der Kinder, das
Vorhandensein einer komorbiden Erkrankung, den sozioökonomischen Status etc., anpassen
zu können (vgl. Beardslee, 2009, 9). Die intensive, psychoedukative, familienzentrierte
Kurzzeitintervention mit Langzeit-Follow-Up ist für Familien sowie für Ein-Eltern-
Familien konzipiert worden, wenn mindestens ein Elternteil Episoden affektiver Störungen
erfahren hat/ hatte und mindestens ein Kind zwischen 9 und 14 Jahren in der Familie lebt.
Diese Altersspanne wurde, aufgrund des erhöhten Risikos für psychische Erkrankungen
während der mittleren Adoleszenz gewählt. In der Regel erstreckt sich die Intervention,
welche von Sozialarbeitern, Kinderärzten, Erziehungsberatern durchgeführt werden kann,
auf sechs bis acht Sitzungen, mit einem Langzeit-Follow-Up auf unbestimmte Zeit. In den
Sitzungen werden Einzelinterviews mit den Eltern und den Kindern durchgeführt sowie
eine Diskussion mit der gesamten Familie. Dies setzt voraus, dass sich die komplette
Familie für die Durchführung der Intervention bereiterklärt. Im Laufe der Intervention wird
eine Reihe von Strategien verwendet, um den Familien zu helfen. „Sie umfassen die
Vermittlung von Informationen über Depressionen […], eine umfassende Diagnostik aller
Familienmitglieder, die Veranlassung entsprechender Überweisungen […], sowie die
Förderung einer hoffnungsvollen Haltung bezüglich der Zukunft.“ (ebd., 2009, 43)
Durch die Informationsvermittlung über affektive Erkrankungen soll eine Verbindung
geschaffen werden, die der Familie dabei hilft, aus ihrer individuellen und familiären
Perspektive sowie aus der eigenen Lebenserfahrung heraus ein gemeinsames Verständnis
für die Krankheit zu entwickeln. Dabei sollen die objektiven Informationen allen
Familienmitgliedern Kontrolle über die Situation (zurück)-geben, welche das Gefühl der
Hilflosigkeit mindern soll. Speziell den Eltern wird zusätzlich noch das Wissen vermittelt,
wie sie die Stärken ihrer Kinder fördern können. So haben die Kinder die Chance, trotz
hoher Belastungen zu einem zufriedenen Erwachsenen heranwachsen zu können (vgl.
Beardslee, 2002, 8; Beardslee, 2009, 46f.).
Als oberstes Ziel dieser Intervention respektive Präventionsprogramms ist die Prävention
psychiatrischer Erkrankungen im Kindesalter zu verstehen. Dies geschieht auf drei Ebenen.
Auf der ersten Ebene soll durch die Förderung der kindlichen Resilienz und des familiären
EXEMPLARISCHE INTERVENTIONSMÖGLICHKEITEN DER SOZIALEN ARBEIT DENISE REINHARD
37
Verständnisses für die Krankheit eine Verminderung zukünftiger depressiver oder anderer
psychischer Erkrankungen der Kinder erreicht werden. Auf der zweiten Präventionsebene
werden kognitive Informationen über Warnsignale für depressive Erkrankungen im
Kindesalter vermittelt. Somit entsteht ein besseres Frühwarnsystem von Seiten der Eltern
aus. Als letzte Präventionsebene ist die Sensibilisierung des elterlichen Bewusstseins
einzuordnen. Dies soll dazu dienen, dass bisher nicht erkannte Fälle kindlicher
Fehlanpassungen bzw. Störungen identifiziert und behandelt werden können (vgl.
Beardslee, 2009, 44).
Im Allgemeinen lassen sich laut W. Beardslee die folgenden sieben Ziele des
Präventionsprogrammes zusammenfassen:
1. Unterrichtung der Eltern über die Krankheit Depression sowie
diesbezügliche Risiko- und Resilienzfaktoren für Kinder;
2. Hilfe beim Verständnis von Resilienz und ihrer Förderung bei den eigenen
Kindern;
3. Hilfe beim Erkennen der gegenwärtigen Bedürfnisse der Kinder und
Beratung über mögliche Maßnahmen für den Fall einer Zuspitzung der
Schwierigkeiten;
4. Hilfe beim Planen der eigenen Zukunft;
5. Hilfe beim Entwickeln neuer Strategien der Kommunikation über die
Erkrankung und damit in Zusammenhang stehender Schwierigkeiten;
6. Entwicklung neuer Verhaltensweisen und Einstellungen gegenüber der
Erkrankung;
7. Entwicklung grundlegend neuer Strategien zur Erhöhung der Resilienz und
Verbesserung der Kommunikation. (ebd., 2009, 44)
Um die Intervention besser beschreiben zu können, wurde ein sechsstufiges Grundgerüst
entwickelt. Die Stufen können untereinander variieren und mehr oder weniger deutlich
während des Verlaufes der Intervention zum Vorschein kommen (vgl. ebd., 2002, 14).
Als erste Stufe ist die „familiäre Krankheitsgeschichte“ zu nennen. Zwei Sitzungen werden
für diese Stufe benötigt, um ein Einzelgespräch nur mit den Eltern und eins nur mit den
Kindern zu führen. In der ersten Sitzung, in der nur die Eltern anwesend sind, wird die
Familiengeschichte erfasst. Aktuelle und frühere Erfahrungen mit der Erkrankung werden
besprochen. Der Interventionsleiter hilft dabei den Eltern, das Verständnis von den
Ursachen und Auswirkungen der Krankheit zu artikulieren. Zusätzlich werden Fragen über
EXEMPLARISCHE INTERVENTIONSMÖGLICHKEITEN DER SOZIALEN ARBEIT DENISE REINHARD
38
die Kinder gestellt. Von Interesse sind das jetzige und frühere psychosoziale
Funktionsniveau der Kinder sowie mögliche Auswirkungen der elterlichen Depression auf
die Kinder. Ferner werden die Eltern nach ihrem persönlichen Anliegen befragt und welche
Hilfe sie sich durch die Intervention erhoffen. Während dieser und allen folgenden
Sitzungen ist es von höchster Priorität, die elterliche Kompetenz zu respektieren. Das soll
dazu führen, dass die Eltern ein partnerschaftliches Verhältnis zu den Kindern aufbauen
können, um so die Coping-Strategien der Kinder fördern zu können (vgl. Beardslee, 2009,
46; Beardslee, 2002, 10).
In der Einzelsitzung mit den Kindern werden diese nach ihren Erfahrungen in der Schule,
mit Freunden, in der Familie und nach außerhäuslichen Aktivitäten befragt. Es wird den
Kindern Raum gegeben, ihre Sorgen bezüglich der Erkrankung der Eltern zu äußern.
Während der Sitzungen werden die Kinder auf mögliche Symptome einer psychischen
Störung hin untersucht (vgl. ebd., 2009, 46).
Die zweite Stufe ist die „Psychoedukation“. In dieser Phase werden kognitive
Informationen über die Krankheit präsentiert und vermittelt. Dies geschieht, ganz
individuell auf die Familie abgestimmt, durch das Referieren der Informationen oder durch
Literaturempfehlungen. Zur Aufklärung der Krankheit gehören die Ätiologie, der Verlauf,
Anzeichen und Symptome, die biologische und physiologische Grundlage, psychosoziale
Folgen und die Risiken für Kinder bei einer depressiven Erkrankung eines Elternteils. Auch
werden mögliche Risiko- und Resilienzfaktoren von Kindern und spezifische Merkmale
widerstandsfähiger Kinder beschrieben. Diese kognitive Wissensvermittlung zieht sich
durch alle Sitzungen hindurch. Ziel der Psychoedukation ist, die Informationen zu einem
geteilten Verständnis umzuwandeln. Dieser Schritt ist von großer Bedeutung, weil die
Eltern häufig unter einer kognitiven Verzerrung leiden. „Diese Verzerrungen
[…][beeinflussen] häufig die Wahrnehmung und Attribuierung des Verhaltens des
Kindes.“ (ebd., 2009, 47) Es sollen die Verzerrungen korrigiert werden, hin zu einer
realistischen Einschätzung der Eltern über die Entwicklung ihrer Kinder (vgl. Kötter [u.a.],
2010, 115).
Die „Konzentration auf das Kind“ während der Intervention stellt die dritte Ebene dar. Dies
bedeutet, dass die Eltern erkennen, lernen und auch aushalten müssen, welche negativen
Auswirkungen die Depression auf die Kinder hat. In ständiger Reflexion müssen die Eltern
erlernen, wie bestimmte Ereignisse von ihren Kindern interpretiert worden sein könnten.
Ferner müssen die Eltern realistische Einschätzungen über die Stärken und Schwächen ihrer
EXEMPLARISCHE INTERVENTIONSMÖGLICHKEITEN DER SOZIALEN ARBEIT DENISE REINHARD
39
Kinder abgeben. Zum einem übt diese Benennung einen beruhigenden Effekt auf die Eltern
aus, und zum anderen verhilft es dazu, ihre Kinder besser zu schützen und ihre
Bewältigungsstrategien zu verbessern. Am Ende dieser Sitzungen müssen die Eltern noch
die Ziele für die kommende Familiensitzung definieren (vgl. Beardslee, 2002, 18 & 35).
Die vierte Stufe, die „Familienzentrierung“, involviert die gesamte Familie. Im Laufe der
Sitzung stehen die Kinder im Mittelpunkt, während die Eltern einen Lernprozess
durchlaufen. Sie sollen ihren Kindern Verständnis über die Krankheit nahebringen. Darauf
aufbauend soll dann ein aus den individuellen und persönlichen Bedeutungen der
Krankheitsproblematik eines jeden Familienmitgliedes geteiltes Verständnis entwickelt
werden. Dieses geteilte Verständnis soll befreiende Wirkung auf die Familienmitglieder
ausüben und sie dazu befähigen, ihr eigenes Leben fortzusetzen. Während der offenen
Darstellung der Problemlage eröffnet diese sogleich eine Perspektive auf die vorhandenen
Ressourcen der Familie. Der Interventionsleiter unterstützt hiermit die Eltern, „diese
Ressourcen im Hinblick auf das Wohlbefinden der Kinder zu erkennen und zu
mobilisieren.“ (ebd., 2009, 49)
Die vorletzte Stufe beinhaltet die „zeitliche Begrenzung der Intervention mit
anschließendem Langzeit-Follow-Up.“ (ebd., 2009, 49) Dies muss von Beginn an der
Intervention der Familie transparent gemacht werden. Es ist also darauf hinzuweisen, dass
„die Struktur dieser Intervention […] aus einer intensiven Initialphase gefolgt von
periodischen Langzeit-Follow-Up-Sitzungen“ (ebd., 2009, 49) besteht.
Das „Langzeit-Follow-Up“ impliziert zum einem den Kontakt zum Interventionsleiter auf
unbestimmte Zeit, zum anderen bedeutet es, dass die Intervention als Beginn des Prozesses
zu sehen ist und es ggf. noch langer Zeit bedarf, um mit der Krankheit innerhalb und
außerhalb der Familie umgehen zu können (vgl. ebd., 2009, 49).
Die letzte Stufe stellt die „Zukunftsorientierung“ der Intervention dar. Davon ausgehend,
dass viele Familien ihre Zukunftshoffnung aufgrund der Depression eingeschränkt haben,
versucht dieses Programm, die Hoffnung der Familie wieder zu stärken. Durch das
Vermitteln von Wissen über realistische Maßnahmen sollen Hoffnungen und
Zukunftsträume, insbesondere in Bezug auf die Kinder, wieder entfacht werden (vgl. ebd.,
2009, 49). Es soll ein Gefühl geschaffen werden, dass Kinder trotz widriger Umstände zu
zufriedenen Erwachsenen heranwachsen können.
EXEMPLARISCHE INTERVENTIONSMÖGLICHKEITEN DER SOZIALEN ARBEIT DENISE REINHARD
40
6.2 AURYN – ein Hilfsangebot für Kinder und Familien mit
seelisch belasteten und psychisch kranken Eltern
Die erste Auryngruppensitzung fand 1995 in Freiburg statt. Im Jahr 1999 folgte Hamburg
dieser Idee und erschuf die erste Auryngruppe. Der Name der Gruppe „Auryn“, ist
gleichnamig mit dem Schutzamulett aus der Unendlichen Geschichte von Michael Ende. Es
soll seinem Träger Kraft und Mut verleihen. In Anlehnung an dieses Sinnbild wurde dieser
Name für das Hilfsangebot gewählt. Die Gruppe soll vor allem Kinder im Schulalter „in
ihren gesunden Kräften stärken, damit sie die vermehrten Belastungen durch die
Erkrankung der Eltern gut bewältigen.“ (Seelennot e.V., 2012). Das Hilfsangebot hat somit
einen starken präventiven Charakter, wobei auch Kriseninterventionsangebote vorhanden
sind.
Damit die Hilfe auch dort ankommt, wo sie am meisten benötigt wird, sind die
Auryngruppen sehr niedrigschwellig angelegt. Die Gruppen sind kostenfrei und somit nicht
an Überweisungen durch Ärzte oder Krankenkassen gekoppelt. Desweiteren suchen
Mitarbeiter bereits den Kontakt mit den betroffenen Müttern in den Kliniken auf. Eine
engmaschige Zusammenarbeit mit den Allgemeinen Sozialen Diensten und
Jugendenhilfeeinrichtungen ist darüber hinaus zu verzeichnen (vgl. Lägel, 2008, 188).
Das Konzept der Auryngruppen lässt sich in Kinder-, Eltern- und Familienangebote
unterteilen Es finden einmal wöchentlich Gruppenangebote für 1-2 Stunden sowohl für
Kinder als auch für deren Eltern und in größeren Abständen Einzelgespräche mit Kindern
und Eltern statt. Außerdem werden Freizeitaktivitäten für die gesamte Familie angeboten.
Insgesamt ist das Präventionsprogramm jedoch zeitlich auf ca. 25 Sitzungen begrenzt (vgl.
Schone/ Wagenblass, 2002, 227; Denke/ Beckmann/ Dierks, 2008, 71).
Die Gruppen für Kinder sind nach Altersstufen untergliedert. Bei der Einordnung der
Kinder wird allerdings immer individuell geschaut, welche Entwicklungsstufe das Kind
gerade durchläuft. Mit Ausnahme der Säuglings- und Kleinkindergruppe finden die Treffen
unter Ausschluss der Eltern statt. Dies soll dazu dienen, dass in kindgerechter Umgebung
die Kinder miteinander über ihre Erlebnisse, Wahrnehmungen, Gefühle, Sorgen und auch
über ihre Ängste von zu Hause reden können, ohne ein schlechtes Gewissen ihren Eltern
gegenüber zu haben. „Die Angebote verstehen sich deshalb zugleich als Schutzraum,
Übertragungsraum, Überarbeitungsraum [und] Übergangsraum“ (Haas, 2000, zit. n.
Schone/ Wagenblass, 2002, 227).
EXEMPLARISCHE INTERVENTIONSMÖGLICHKEITEN DER SOZIALEN ARBEIT DENISE REINHARD
41
In der Säuglings- und Kleinkindergruppe erlernen die Mütter die Feinfühligkeit ihrem Kind
gegenüber zu schärfen. Sie werden darin unterstützt und sensibilisiert, die kindlichen
Bedürfnisse wahrzunehmen und darauf angemessen zu reagieren. Es soll eine Basis
geschaffen werden, damit die Kinder eine sichere Bindung zu ihrer Mutter aufbauen
können (vgl. Lägel, 2008, 183).
Die Kinder- und Jugendgruppen sind in die Altersstufen 4-5 Jahre, 6-8 Jahre, 9-11 Jahre,
12-16 Jahre und ab 16 Jahren unterteilt. Ziele der Gruppen sind die Förderung von sozialen
Fähigkeiten und von Problemlösestrategien der Kinder sowie ein besserer Umgang mit
Stress. Jedes Kind erhält ein soziales Kompetenztraining, welches in den Freizeitgruppen
erprobt und betreut wird. Weiterhin erlernen die Kinder verschiedene
Entspannungstechniken, um sich in stressreichen Situationen zu Hause besser unter
Kontrolle halten zu können. Da die häuslichen Probleme häufig auch zu schulischen
Problemen führen, wurde extra eine „Lernhilfe“ für die Kinder eingerichtet. Dort wird den
Kindern bei den Hausaufgaben sowie bei der Organisation der allgemeinen schulischen
Aufgaben geholfen. Ferner werden den Kindern Lernstrategien vermittelt, damit
Erfolgserlebnisse wieder Einzug halten können (vgl. Lägel, 2008, 182ff).
Da viele Kinder psychisch kranker Eltern von klein auf lernten, über die Erkrankung und
die damit verbundenen Probleme nicht zu sprechen, fällt es den Kindern oft schwer, sich in
der Gruppe zu öffnen. Möglicherweise ist es ihnen unangenehm, wenn es zu Hause
schwierig ist und sie geben vor, als wäre alles in Ordnung.
Aus diesem Grund führen die Interventionsleiter mit jedem Kind Einzelgespräche. Dort
können die Kinder, ohne Angst vor Demütigung und Bloßstellung oder in
Loyalitätskonflikte zu geraten, ihre Sorgen und Ängste sowie mögliche Schuldgefühle
offen aussprechen. Alle Gespräche unterliegen der Schweigepflicht. Das wird den Kindern
von Anfang an mitgeteilt. Nur im Falle einer Kindeswohlgefährdung hat der
Interventionsleiter die Pflicht, dies weiterzuleiten. In Einzelgesprächen wird den Kindern
Raum gegeben, Fragen über die Krankheit, über das Verhalten des erkrankten Elternteils
oder sich selbst zu stellen. Ferner werden die Kinder altersspezifisch über die Krankheit der
Eltern aufgeklärt und es werden zusammenhängende Symptome aufgezeigt (vgl. Deneke,
2005, 77). Zudem wird gemeinsam mit den Kindern ein sog. Krisenplan erstellt. Er
beinhaltet wichtige Ansprechpartner, Telefonnummern und Notizen für einen akuten
Krankheitsfall der Eltern. Dies soll den Kindern Sicherheit in Krisensituationen und das
Gefühl der Kontrolle vermitteln (vgl. ebd., 2008, 185f).
EXEMPLARISCHE INTERVENTIONSMÖGLICHKEITEN DER SOZIALEN ARBEIT DENISE REINHARD
42
Je jünger die Kinder sind, desto schwieriger fällt es ihnen, ihre Sorgen und Ängste zu
kommunizieren. „Sie brauchen ein stellvertretendes Medium, mit dessen Hilfe sie sich und
ihre Befindlichkeiten auch nonverbal mitteilen können“ (Schone/ Wagenblass, 2002, 228).
Aus diesem Grund wird viel mit Musik, künstlerischem Gestalten, Kinderbüchern oder
spielerischem Tun den Kindern die Möglichkeit geboten, ihre Gefühle, Wünsche und
Bedürfnisse nonverbal auszudrücken (vgl. ebd., 2002, 228).
Neben den Gruppen für die Kinder gibt es auch Elterngruppen. In diesen Sitzungen erhalten
die Eltern ein soziales Kompetenztraining und ein Erziehungs- und
Kommunikationstraining. Es soll die Eltern stärken, auch in schwierigen Situationen
angemessen auf ihre Kinder eingehen zu können. Unterschiedliche Entspannungsangebote,
die erlernt werden, sollen die Eltern unterstützen. Neben dem Verhaltenstraining findet auch
eine Psychoedukation statt. Dort werden den Eltern wichtige Informationen über die
entsprechende psychische Erkrankung vermittelt, und sie erlernen Strategien zur besseren
Bewältigung des Alltags. Idealerweise soll somit eine Erleichterung im familiären Leben
geschaffen und die Rückfallquote gesenkt werden (vgl. Lägel, 2008, 184).
In den Familien- und Freizeitangeboten, wie z.B. kunsttherapeutische Malkurse, können
Kinder und ihre Eltern das gelernte Verhalten in die Praxis umsetzen und/oder üben. „Mit
Hilfe von therapeutisch-pädagogischer Begleitung werden ungünstige Verhaltensmuster
erkannt und können durch gesundes Verhalten ersetzt werden“ (Lägel, 2008, 186). Die
sozialen Kontakte innerhalb der Familie werden in dieser Zeit gefördert. Dies ist von
besonderer Bedeutung, damit die Familie sich gegenseitig als Unterstützung wahrnimmt
und wieder einen besseren Kontakt zueinander findet (ebd., 2008, 186).
6.3 Stationäre Mutter-Kind-Aufnahme
Das Konzept einer stationären Mutter-Kind-Aufnahme hat den Aufbau, Erhalt und die
Förderung einer stabilen Bindung zwischen Mutter und ihrem Kind zum Ziel, „da die
Qualität dieser frühen Beziehung erhebliche Auswirkungen auf die zukünftige
psychosoziale Entwicklung des Kindes hat.“ (Sroufe, 1989, Grossmann und Grossmann
1991, zit. n. Hartmann, 2003, 253) Die Zielgruppe einer stationären Mutter-Kind-
Aufnahme stellen Eltern mit Kindern bis zum vierten Lebensjahr dar. In diesem Zeitraum
stehen Eltern vor besonderen Herausforderungen bzw. Schwierigkeiten. „Neben
auftretenden Beziehungsschwierigkeiten ist auch die Gefahr des Suizids, Infantizids bzw.
EXEMPLARISCHE INTERVENTIONSMÖGLICHKEITEN DER SOZIALEN ARBEIT DENISE REINHARD
43
erheblicher negativer Einwirkungen auf das Verhalten und die affektiv-kognitive
Entwicklung des Säuglings zu berücksichtigen.“ (Murray, 1992, zit. n. Hartmann, 2003,
247) Kommt noch eine depressive Erkrankung (postnatale Depression) der Mutter hinzu,
sind im Allgemeinen die Auswirkungen auf die Kinder in ihrer psychosozialen Entwicklung
umso schwerwiegender (vgl. Hartmann, 2003, 246). Derzeit sind 10-20 % aller gebärenden
Frauen weltweit von einer postnatalen Depression betroffen (vgl. Buist/ Bilszta, 2005, zit.
n. Wilkinson/ Mulcahy, 2010, 252). Würde nur die Mutter stationär behandelt werden,
könnte es dazu führen, dass ihr Kind Verlust- und Trennungsängste entwickelt. Diese
Ängste in der frühen Kindheit sind extreme Risikofaktoren für die Entwicklung späterer
psychischer Störungen. „Die Bedeutung der frühen Bindung begründet entscheidend die
gemeinsame Aufnahme von Mutter und Kind, besonders in den ersten Wochen und
Monaten postpartal.“ (Hartmann, 2003, 254) Bedingt durch den Klinikaufenthalt und der
Psychotherapie der Mutter, können Mütter und ihre Kinder im Kleinkindalter ihr
Bindungsverhalten immer noch nachhaltig verändern (Bowlby, 2008, 103).
Die Interventionen gliedern sich während des gesamten Klinikaufenthaltes in mehrere
„Arbeitsfelder“. Die Mutter wird bei der Ernährung und Pflege ihres Kindes angeleitet und
unterstützt, um so die grundlegende Versorgung ihres Kindes zu lernen. Ferner wird die
Mutter unterstützt, sich in altersangemessener Weise mit dem Kind zu beschäftigen. Durch
die spielerische Beschäftigung mit dem Kind sollen Kenntnisse über eine kindgerechte
Lebensweise erlangt werden. Dieses Wissen soll das Mutter-Kind-System von emotionalen
Überforderungen, Ängstlichkeiten und Unsicherheiten entlasten. Das Gefühl der Mutter, im
Umgang mit dem Kind zu versagen oder dem nicht gewachsen zu sein, soll minimiert
werden (vgl. Wilkinson/ Mulcahy, 2010, 255). Der Mutter wird vermittelt, „sich weniger
egozentrisch als altruistisch dem Säugling gegenüber zu verhalten.“ (Hartmann, 2003, 256)
Dies bedeutet, dass der Mutter die kindliche Perspektive verdeutlicht wird, um so die
Bedürfnisse des Kindes befriedigen zu können.
Auf der kognitiven Ebene wird der Mutter Wissen über Beziehungsentwicklungen
zwischen dem Neugeborenen und der Mutter vermittelt. Die Wichtigkeit einer frühen
Bindung wird thematisiert und damit auch die möglichen Auswirkungen auf das Kind,
wenn die Mutter emotional nicht erreichbar für das Kind ist (vgl. ebd., 2003, 256).
Durch die Beobachtung der Mutter-Kind-Interaktion können individuelle und angemessene
Hilfen angeboten werden, sodass die Beziehung zwischen Mutter und Kind weiter wachsen
kann. „Diese Hilfen reichen von der momentanen Entlastung der Mutter (Zigarettenpause,
EXEMPLARISCHE INTERVENTIONSMÖGLICHKEITEN DER SOZIALEN ARBEIT DENISE REINHARD
44
psychotherapeutisches Gespräch) bis zu gemeinsamen Spaziergängen mit der Mutter und
dem Kind, stützende Anleitung bis hin zu Tagesplänen bei Umgang mit dem Kind
[…].“ (ebd., 2003, 256) Ziel aller Hilfestellungen ist, die Sicherheit der Mutter im Umgang
mit ihrem Kind zu fördern. Der Mutter werden Anleitungen gegeben, damit sie in der Lage
ist, die Versorgung des Kindes selbst durchführen zu können. „Mit Hilfe einer stützenden
und bemutternden Umgebung (die Mutter bemuttern) kann die psychisch kranke Mutter
schrittweise die Säuglingspflege üben und lernt, die Belastung durch den Säugling zu
steuern.“ (ebd., 2003, 257) Die gemeinsame Behandlung ermöglicht zum einem eine
stabilere Entwicklung des Kindes durch einen besseren Kontakt zur Mutter und zum
anderen wird die Mutter in ihrer Affektregulation unterstützt, sodass sie sich mit
angemessenen Reaktionen ihrem Kind gegenüber verhalten kann (ebd., 2003, 257).
In der stationären Mutter-Kind-Aufnahme ist es neben dem stabilen Bindungsaufbau
zwischen Mutter und Kind auch möglich, eine vorübergehende oder endgültige Trennung
des Kindes von der Mutter angemessen zu bearbeiten (vgl. ebd., 2003, 258)
VERZEICHNISSE DENISE REINHARD
45
7 FAZIT
Die Ergebnisse dieser Arbeit sollen in Bezug auf die eingangs gestellte Leitfrage
eingeordnet werden. In Anbetracht der Tatsache, dass psychische Erkrankungen in ihrer
Prävalenz, Vielfalt und Intensität in der Gesellschaft stark zunehmen, ist eine
Auseinandersetzung mit dieser Thematik und deren Auswirkungen von größter Relevanz.
Da die Soziale Arbeit vermehrt mit Familien zu tun hat, in der mindestens eine psychische
Erkrankung vorliegt, muss sie sich zunehmend dafür sensibilisieren und angemessene
Angebote schaffen. Psychische Erkrankungen können sehr unterschiedlich verlaufen. Der
Verlauf ist nicht nur durch den Schweregrad der Krankheit, sondern auch vom Verhalten
der Patienten selbst und von der Unterstützung durch Angehörige und Fachleute abhängig.
In dieser Arbeit wurden exemplarisch die Auswirkungen einer mütterlichen Depression auf
die Kinder untersucht. Wie in den vorangegangenen Kapiteln dargelegt, leidet bei einer
depressiven Erkrankung nicht nur die erkrankte Person selbst, sondern auch das gesamte
soziale Umfeld. Insbesondere Kinder sind bei einer mütterlichen Depression besonders
gefährdet, weil sie den Großteil ihrer Entwicklung noch vor sich haben. Sie sind einer
Vielzahl von Risikofaktoren während ihrer gesamten Kindheit ausgesetzt, die eine
unbeschwerte kindliche Entwicklung fast unmöglich machen.
Dennoch gibt es eine Vielzahl von Kindern, die diesen widrigen Lebensumständen zu
trotzen wissen. Trotz diverser, aus der mütterlichen Depressivität resultierenden
Risikofaktoren, überstehen sie ihre Kindheit ohne psychopathologische Auffälligkeiten. Sie
besitzen eine Reihe von Schutzfaktoren und aktiven Bewältigungsstrategien, welche ihnen
beim Umgang mit den großen Herausforderungen helfen. Jedoch müssen auch als resilient
eingeschätzte Kinder mit ihren Familien durch präventive Maßnahmen unterstützt werden,
da ihnen diese resiliente Eigenschaften nicht permanent zur Verfügung stehen. Der Fokus
der Hilfen sollte auf der Förderung der kindlichen Stärken liegen. Im Idealfall führt dies bei
den Kindern dazu, dass sie die durch mütterliche Depression entstehenden Schwierigkeiten
nicht als Belastung, sondern als Herausforderung wahrnehmen. Das Gefühl der Ohnmacht
soll minimiert werden. Stattdessen soll sich das Kind als „fähiges Individuum“
wahrnehmen, welches Herausforderungen zu bewältigen weiß und durch
Bewältigungsstrategien gestärkt wird. Hierzu müssen die Kinder altersangemessen über die
Erkrankung der Mutter aufgeklärt werden. Das soll verhindern, dass die Kinder sich selbst
VERZEICHNISSE DENISE REINHARD
46
die Schuld für die Krankheit der Mutter geben und sich mit den damit verbundenen
alltäglichen Schwierigkeiten belasten. Zudem sollen den Eltern Möglichkeiten zur
Förderung der Stärken – und somit der Bewältigungsstrategien – der Kinder aufgezeigt
werden. Das setzt voraus, dass die Eltern Verständnis dafür entwickeln, inwiefern ihre
Krankheit die Entwicklung ihrer Kinder negativ beeinflussen kann. Wichtig ist hierbei der
Abbau der immer noch bestehenden gesellschaftlichen Stigmatisierung psychischer
Erkrankungen. Die Öffentlichkeit muss über psychische Krankheiten informiert und
aufgeklärt werden, sodass die Tabuisierung und das Schamgefühl der Betroffenen kein
Hindernis darstellen geeignete Hilfsangebote anzunehmen. Denn nur wenn ein offener
Umgang mit psychischen Erkrankungen erreicht wird und die betroffenen Familien aktiv
Unterstützung von Fachleuten und vom sozialen Umfeld erhalten, kann die
Wahrscheinlichkeit möglicher psychopathologischer Auffälligkeiten der Kinder bedeutend
minimiert werden. Zum Abschluss der Arbeit wird mit folgendem Zitat die Kernaussage
dieser Arbeit deutlich gemacht:
„The message is: Get help for yourself before depression can lead to the
‘negative chain’ of other events that, together, can harm your child. Build your
child´s protective resources and do not let your depression cascade into the
multiple risk factors that can undermine your child´s health.” (Beardslee, 2002,
87)
VERZEICHNISSE DENISE REINHARD
47
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1: An ecological-transactional model of child maltreatment (Cicchetti, 2006,
135) ........................................................................................................................................... 27
TABELLENVERZEICHNIS
Tabelle 1: 12-Monats-Prävalenz affektiver Störungen in der erwachsenen
Allgemeinbevölkerung (RKI, 2006, 19) ..................................................................................... 7
Tabelle 2: Beispiele von Entwicklungsaufgaben und -Beeinträchtigungen im Kindes- und
Jugendalter (in Anlehnung an Wustmann, 2004, 21) .............................................................. 18
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
RKI - Robert-Koch-Institut
StBA – Statistisches Bundesamt
BApK – Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker e.V.
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EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG DENISE REINHARD
Eidesstattliche Erklärung
Ich versichere, dass ich die vorliegende Arbeit ohne fremde Hilfe selbstständig verfasst und
nur die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Wörtlich oder dem Sinn nach
aus anderen Werken entnommene Stellen sind in allen Fällen unter Angabe der Quelle
kenntlich gemacht.
Ort, Datum Unterschrift
ANHANG DENISE REINHARD
ANHANG
Interview
Das Thema der BA-Thesis wurde erklärt. Die Fragestellung der Arbeit, inwiefern sich
eine depressive Erkrankung der Mutter auf die kognitive, psychosoziale und emotionale
Entwicklung von Kindern auswirkt und welche Folgen daraus möglicherweise für den
weiteren Lebenslauf der Kinder resultieren, war zugleich die erste Frage des Interviews.
Ähm,...wo soll man da anfangen. Ähm, ja am besten ja, also mein Vater ist gestorben, ähm, 15
Tage nach meinem ersten Geburtstag. Und ja das heißt, hieß, seitdem an waren wir alleine,
eigentlich so weit, ähm, meine Mutter hatte dann wo ich 3 war mal ne kurze Beziehung und
dann eine wo ich 12 war. Joa und dann mit, äh, mit 14 glaube ich, so dann die nächste und
sonst waren wir halt alleine. Und ja dadurch halt auch sehr so (klatscht) schon aneinander
geschweißt.
Was halt auch leider war, dass meine Mutter mich sehr so als Erwachsenenersatz genutzt hat
und mit mir geredet hat, äh, ja mit mir auch Probleme besprochen hat. Halt was ja nicht so für
Kinderohren ist, was sie mir dann auch öfters mal gesagt hat, auch z.B. wegen
Geldproblemen, weil die waren halt immer da, nachdem mein Vater ja gestorben war, weil
meine Mutter dann eigentlich nur Renten bekommen hat, oder ja Witwenrente.
Ähm, das sie gearbeitet hat weiß ich gar nicht so… Also ich glaub irgendwann auch mal, als
ich 12, 13 war oder so. Da hat sie ne kurze Zeit lang mal gearbeitet, aber ich wüsste nicht,
dass wir irgendwie Hartz 4 oder Sozialhilfe dann damals bekommen haben. Das wüsste ich
nicht.
Joa, ähm… wo macht man als nächstes weiter. Ja also dadurch hab ich halt schon oft dann zu
hören bekommen, dass ich, äh, sehr erwachsen wirke, wo ich noch so klein war und ähm,
ähm, ja ähm, mit 12 (langezogen) ja also mein Mutter hat halt auch oft gesagt, dass sie, ähm,
sich mehr ,äh, will mehr meine Freundin sein, als meine Mutter. Das hat sie mir auch gesagt
und sie hat mir auch sehr wenige Regeln aufgestellt. Eigentlich... kaum etwas. Also ich durfte
schon sehr früh sehr lange aufbleiben, ich durfte relativ lange draußen bleiben, ich hatte
eigentlich keine, ja gut, ja, wie gesagt, Bettgehzeit, ja. Ich durfte recht früh Horrorfilme
gucken... Ich weiß gar nicht, also ... da hab ich von den anderen immer nur zu hören
bekommen, von wegen ‚oah du hast ja ne coole Mutter!‘ Aber gerade jetzt so im Endeffekt,
ANHANG DENISE REINHARD
äh, jetzt so später, merke ich, dass es echt viel besser gewesen wäre, wenn ich einige mehr
Regeln gehabt hätte...Was halt auch immer sehr war, meine Mutter ist, war oder ist auch sehr
inkonsequent. Allein was sie mal irgendwie anfängt, was sie ... irgendetwas mal richtig
durchzuziehen, nicht... sie hat eigentlich irgendwie kein Ehrgeiz. Und weiß nicht... und das
hat sie mir dann auch alles so mitgegeben.
Joa was auch zu Hause war...es war immer sehr chaotisch...eigentlich. Zumindest so, dass halt
Sachen überall rumlagen. Ähhhm, joa, und mit 12, äh, fing das dann bei mir an mit, äh,
Essstörung, Magersucht, ähm. Ja zu der Zeit war zu Hause, hatte sie halt gerad den
Lebensgefährten damals, 97, der war bei uns mit eingezogen, ähm, und dann gab es immer
mehr Streitereien. Und der hat meine Mutter richtig fertig gemacht, sie war ihm gegenüber ja
auch schon ne wesentlich schwächere Persönlichkeit. Er war sehr stark und hat sie dann auch
sehr nieder gemacht. Sie dann nen Nervenzusammenbruch hatte und, joa, und danach fingen
bei ihr Angsterkrankung an.
Ähm, joa, und daraus mit kam dann irgendwann der Alkohol dazu bei ihr. Ähm, weil halt bei
ihr irgendwann auch hochkam Missbrauch, äh, in der Kindheit, über mehrere Jahre, ähm, von
einem Bekannten der Familie und auch ähm ja...Folter dabei, Zigaretten wurden auf ihr
ausgedrückt, von einem Freund, den er noch mit dazu geholt hatte. Ähm, ja später wollte sie
sich, sie hat ja noch 6 Geschwister, wollte sie sich, äh, ihrem großen Bruder anvertrauen, das
er ihr vielleicht irgendwie hilft...Joa und er hat sie auch missbraucht.
Ähm, ja und das hat sie mir dann alles irgendwie nach und nach erzählt. Also so vom Gefühl
her ist alles so irgendwie so ab 12, ist bei mir irgendwie gefühlsmäßig alles irgendwie ähm,
das es dann so richtig angefangen hat mit dem ganzen Erzählen. Und ich weiß nicht, kann
vielleicht auch sein, das es erst 1-2 Jahre später war. Der Alkohol kam ja bei ihr nach und
nach ja erst. Wurde mehr. Und gerade wenn sie dann betrunken war, dann hat sie mir so
richtig, so alles Mögliche erzählt. Also richtig auch ins Detail und dann ist sie vor mir auch
richtig zusammen gebrochen...hat geheult...und, und, joa und das Ganze ging dann auch
irgendwie so mindestens immer so 2-3 Stunden oder so... und ich konnte dann ja nicht
irgendwie sagen, das war dann auch Abends immer eigentlich immer, ich muss dann auch
irgendwie ins Bett, wegen morgens Schule. Ich konnte ihr dann auch nicht sagen, irgendwie
‚ähm, ja, du, ähm, ich müsste jetzt vielleicht mal ins Bett, so weil…‘, weil wenn sie mir da
schlimme Sachen erzählt und so...und weint und keine Ahnung...da kann ich sie ja nicht
irgendwie, da kann ich nicht einfach weg gehen, und sagen ‚so ja, mhm, joa, ich muss jetzt
ANHANG DENISE REINHARD
so‘(macht sich über sich selbst lustig) Joa und dann hat sie mir auch sehr oft, nach und nach
immer wieder das Gleiche erzählt, das war auch immer, da wusste sie schon gar nicht mehr,
dass sie mir das erzählt hatte... Hat sie es mir wieder erzählt und dann auch immer wieder
dieses, äh, das ist eigentlich nichts für Kinderohren, das ist eigentlich nichts für deine Ohren
(seufzen) ähm, ja und irgendwie so. Das hab ich auch noch niemanden erzählt und so Sachen.
Ähm, ja und was dann halt auch kam, ähm, dass sie mir dann öfters dann auch gesagt hat,
wenn ich nicht wäre, würde sie sich ein Strick nehmen...ähm,.ja, wenn ich nicht wäre, wenn
ich weg wäre oder so, joa Strick nehmen...wäre sie schon längst nicht mehr... Ja oder Kugel
geben und irgendwie so, ähm, joa und zwischendurch war sie richtig ein seelisches Wrack.
Also auch so, ohne, sie ist so ne Pegeltrinkerin, also so ,ähm, sie trinkt den Tag über ne
gewisse Menge, was, aber man merkt es nicht, das sie Alkohol getrunken hat, eigentlich, ähm,
und ja sie betrinkt sich halt nur ab und an, wenn dann irgendwas, äh, sie runter reißt, wenn
irgendwas passiert ist, dann betrinkt sie sich so richtig. Bis sie im Grunde nicht mehr, joa,
nicht mehr stehen kann oder konnte... Ich wohn ja jetzt nicht mehr da zum Glück. Ja, das war
dann halt oft, das war schon Schlimm. Und wie gesagt, dann auch noch immer mit diesen
Gesprächen, das war immer echt...recht horrormäßig.
Ja und dann auch, ich war dann wie gesagt, ja noch in der Schule und das lief ja auch sehr
schlecht alles da. Na wegen dem Ganzen zu Hause und ich wollte das natürlich auch
niemanden erzählen mit z.B. meine Mutter mit Alkohol und… Weil wir hatten in der Schule
auch irgendwie das Thema wegen Alkoholismus und gerade meine Klassenkameraden haben
sich dann alle irgendwie so n Penner auf der Straße vorgestellt mit Alkohol so. Und joa... oder
auch von den psychischen Problemen von meiner Mutter oder so hab ich da nie was gesagt.
Ich war in der Schule mal, äh, ne Zeitlang bei der Vertrauenslehrerin, weil, ähm, die halt ja
gemerkt haben, das da irgendwie was irgendwie nicht stimmt und ja, ich hatte auch viele
Fehlzeiten oder Verspätungen sehr viel und joa… Ne Zeitlang lief es eigentlich recht gut mit
meinen Noten und dann, ich weiß nicht ob das ab 12 war, als es dann alles schlechter wurde.
Wie kam es zu den Verspätungen und Fehlzeiten?
Ja wie gesagt, ähm, dann ja öfters, weil meine Mutter mich halt dann irgendwie lange wach
gehalten hat, wegen diesen Gesprächen, ähm... Joa und ich weiß nicht genau, ich hab einfach
irgendwie einfach Schwierigkeiten dabei irgendwie pünktlich zu ein. Ist auch jetzt noch, ich
weiß es nicht. Also meine Mutter war eigentlich immer, so früher zumindest, so wo ich
kleiner war, äh, lieber zu früh als zu spät kommen irgendwohin. Aber bei mir weiß ich nicht.
Irgendwie, also ich schaff es natürlich auch mal irgendwie pünktlich zu sein, klar, aber halt, es
ANHANG DENISE REINHARD
ist sehr oft das es irgendwie, ich weiß nicht, es liegt vielleicht auch bei mir am irgendwie so
Perfektionismus, dass ich mich dann irgendwie immer so an Kleinigkeiten zulange aufhalte
und so. Dass ich es irgendwie perfekt hinbekommen will, obwohl man es ja nicht perfekt
schaffen kann (lacht).
Ja n Stück weit schon. Also wie gesagt, ich hab schon ja gemerkt, das sie irgendwie, äh…
Obwohl früher bei den Pfadfindern mit, so als Betreuerin, ähm, da hat sie sich eigentlich
irgendwie noch besser gehalten, aber, ähm, also so von, von, von, ich weiß nicht alles, so
Selbstsicherheit und, und ich weiß nicht. Ich hab irgendwie ja schon gemerkt, dass sie
irgendwie ja eher ne schwache Persönlichkeit ist und, und ja es kommt halt auch noch mit,
das hat meine Mutter mir auch alles erzählt, dass sie halt früher von ihren Eltern auch
geschlagen wurde. Sie und ihre Geschwister, also weil die wohl auch ein Stück weit
überfordert waren mit 7 Kindern. Ähm, ja sie haben sich z.B. ne Peitsche gebastelt aus so
Wäscheleinen. Ähm, joa und, äh, meine Mutter hat halt zu hören bekommen, ich weiß nicht
genau von wem, nur von meiner Oma oder von beiden, irgendwie ‚du bist nichts, du kannst
nichts du wirst nichts‘. Ähm, ja und auch nie, äh, ja eigentlich nie, äh, ich liebe dich oder hab
dich lieb. Und das meint sie auch, dass hat sie total vermisst, das hätte sie so gerne gehört,
deswegen hat sie es mir auch sehr doll gezeigt, eigentlich, also sie war schon sehr liebevoll zu
mir. Und auch Schläge, ähm, war sie so gar nicht für.
Ähm, also ich hab schon n paar Mal nen Arschvoll von ihr bekommen, ähm, dann war es aber
auch, weil ich wirklich irgendwas angestellt habe (lacht). Äh, ja so was hat sich z.B. auch
verändert mit dem Alkohol. Hat sie mich, äh, später auch, äh, mal geschlagen, wo sie wohl
auch betrunken war oder sich durch den Alkohol schon ein Stück weit verändert hat. Ähm,
z.B. hat sie mich einmal auf den Boden niedergeschlagen, wollte noch zutreten, mir einmal
fast die Nase gebrochen oder angebrochen war sie wohl. Hat auf jeden Fall auch extrem
geblutet. Naja, aber es war halt für mich total schlimm...auch so mit dem, gerade als der
Alkohol dann dazu kam, ähm, wie gesagt, da wurde das Ganze noch viel schlimmer. Da kam
das alles noch viel mehr heraus, hervor, äh, ja und auch vorher mit der Angsterkrankung, äh,
hat meine Mutter ja auch sehr drunter gelitten, weil sie ja früher Betreuerin war mit kleinen
Kindern und so weiter. Verreisen, das hat sie geliebt. Das war irgendwie genau ihr Ding und,
ähm, ja und dann konnte sie fast nur noch zu Hause sein. D.h. sie konnte mich dann ja auch
nicht mehr wirklich zu irgendwas mal mitbegleiten, irgendwo mitkommen.
Kannst du deine Gefühlslage genauer beschreiben?
ANHANG DENISE REINHARD
Ähhhm, ich glaub gerade da, wo sie so zugeschlagen hat, das war, da haben wir uns irgendwie
gestritten und dann kam teilweise auch, ähm, das sie mir Schu... ja gesagt hat sie, ich wäre
schuld, äh, dass es ihr so schlecht geht, weil ich ja mit meinen Problemen, mit den
Essstörungen, weil ich ihr so Sorgen machen und so... Und dann ja...ich weiß nicht, es war
dann auch so n bisschen gegenseitige Schuldzuweisung, äh.
Ja und Angst, äh, also in dem Moment war es irgendwie fast eher, eher mehr so n Trotzgefühl,
auch n Stück weit Angst, weil ich das von meiner Mutter absolut nicht kannte... Und dann
noch dieses, da wie sie da auf mich eingeschlagen hat und dann noch zutreten wollte, wo ich
auf dem Boden lag (empört), das, klar könnte man ja auch so einiges davon tragen, nä. Und
ja, ähm, später tat es ihr sehr, sehr leid, auch gerade das z.B. mit der Nase, ähm, hat sie
danach auch immer wieder gesagt, ‚es tut mir so leid‘ und, und, äh, ja. Aber naja.... Ich hatte
auch oft Angst vor ihr, wenn sie was getrunken hat, also gerade sehr doll sich betrunken hat.
Hatte ich auch Angst vor ihr, weil sobald ich, weil irgendwann habe ich dann bei diesen
ganzen Gesprächen hab ich dann irgendwann schon einmal gesagt, von wegen, ich müsste
jetzt schon mal gehen, äh, ins Bett und keine Ahnung und, und, dann kam von ihr gleich total
so von wegen ,Ja dann geh doch!‘ (Stimme verstellt) und wurde auch gleich sauer und auch
so, wurde sie auch oft schnell sauer, wenn sie dann betrunken war. Ich weiß nicht, bei
irgendwas bei irgendwelchen Kleinigkeiten auch, und dann war sie recht anders, und auch
so...
Durch den Alkohol hat sie sich noch mehr verändert. Das war auch alles sehr schlimm, also
sehr traurig hat mich das gemacht, extrem. Oder auch so, meine Mutter ist dann halt auch
irgendwie sehr selbstzerstörerisch. Sie hat irgendwann dann später auch, äh, immer mehr
angefangen sich ihre Haare selbst zu schneiden. Also sie trägt kurze Haare und dann, ähm,
macht sie dann manchmal mit so nem Haarrasierer, damit macht sie sich dann auch, äh, mal
öfter die Haare schneiden. Also sie geht eigentlich nie zum Friseur und dann aber manchmal
schneidet sie sie dann halt und dann macht sie an manchen Stellen dann richtig, so richtig
kahle Stellen, also so fast Glatze und joa und so entstellt sich so selber. Und dann auch so,
weiß nicht, sobald sie Mückenstiche hat oder so, dann pult sich dann so auf, das es dann so ne
richtige Wunde ist. Oder wenn sie sonst irgendwas hat, also schon...recht selbstzerstörerisch.
Wie war euer Verhältnis bzw. euer Alltag vor der Alkoholproblematik deiner Mutter?
Ja wie schon gesagt, dass sie sehr inkonsequent war, ähm. Ja stimmt, ja was mit dem auch so
kam ist z.B. wie gesagt, sie hat mir sehr viele Sachen sehr früh erlaubt, ähm, dadurch kam
dann auch das ich dann mit 10 1/2 das erste Mal betrunken war. Von ihrem Glas auch. Da
ANHANG DENISE REINHARD
waren wir bei irgendeinem Bekannten von den Pfadfindern und, ähm, ja gut, es war dann halt
so, dass der halt nichts Antialkoholisches zu Hause hatte zu trinken und seine Wasserleitungen
wurde dann gerade repariert oder was ... ähm, ja und dann hat sie mir halt von ihrem Wein
halt mit angeboten, ‚ja gut wenn du halt Durst hast, dann hier‘ Ähm, ja und ich hatte den
Abend über dann halt natürlich auch immer wieder Durst und hab dann halt immer wieder
nach ihrem Glas gegriffen und die haben sich dann da unterhalten. Und erst später, als wir
dann gegangen sind, haben sie auf einmal gesehen, dass ich total am Torkeln war und dann
musste ich mich auch übergeben. Ja, und mit, so ab 12, hab ich recht regelmäßig getrunken.
Also, ähm, auch im Dasein von meiner Mutter. Sie hat es mir ein Stück weit auch so erlaubt.
Also sie hat halt immer gesagt, äh, wenn, dann soll ich solch Sachen, ja Alkohol oder auch
Rauchen, aber Rauchen hab ich einmal ausprobiert, aber wollte ich nicht, mochte ich nicht,
ähm, so was soll ich lieber vor ihren Augen machen, als es dann heimlich, weil so kann sie es
dann mehr kontrollieren. Und joa, n Joint haben wir auch zusammen geraucht...also, joa. Hier
gab es nicht wirklich Regeln, Verbote.
Hast du so etwas wie Schuldgefühle verspürt?
Ja, so wo das dann bei mir mit den Essstörungen so anfing, dann hatte ich schon irgendwie
natürlich so n Schuldgefühl, so dass sich meine Mutter so Sorgen mache... Ja früher, ganz am
Anfang, wusste ich ja vielleicht auch nicht ganz woher ihre Sorgen, Probleme so richtig
kommen. Also einmal, dass sie sich um mich Sorgen gemacht hat, aber auch so hab ich ja
gemerkt, dass mit ihr irgendwie, dass sie ja irgendwie nicht, dass sie was belastet oder dass,
ja. Dass halt so. Da hab ich mir schon irgendwie Schuldgefühle gemacht, dass dadurch jetzt
noch mehr mit ihren Problemen kommen. Bis sie mir dann ja irgendwann mehr davon erzählt
hat, was bei ihr halt los war damals.
Und, ähm, ja ansonsten war halt, dass ich immer sehr, ähm, mich für meine Mutter
verantwortlich gefühlt habe. Irgendwie dass ich auf sie aufpassen muss, sie beschützen muss,
ähm, ich hab wo ich klein war z.B. hab ich auch meine Mutter mal gefragt, wenn ich ein
Mann wäre, würdest du mich dann heiraten (lacht) und so, irgendwie. Das war vielleicht auch
schon ein kleines Zeichen, dass ich mich so, ja so für sie verantwortlich gefühlt hab. Ja...ja
und was, wie gesagt, meine Mutter hat mir auch öfters gesagt, mit dass sie, wenn ich nicht da
wäre, würde sie sich n Strick nehmen.
Ja und was dann auch halt einmal war, ähm, ich bin nach Hause gekommen, ich war
irgendwie unterwegs, und dann war auch das Wohnzimmer voll mit Sanitätern, Ärzten und
dann hat sie halt ein Selbstmordversuch da auch begangen. Ähm, joa und sie war halt kaum
ANHANG DENISE REINHARD
mehr ansprechbar, total vollgepumpt mit Alkohol und Tabletten und sie wollte dann auch
nicht gehen. Und dann haben die zu mir gesagt, ‚ja machen sie mal was, überreden sie ihre
Mutter das sie mit gehen soll‘...ähm ja das war für mich total so (Luft auspusten) zu viel! Ich
war total geschockt. Meine Mutter hat mir auch schon erzählt, dass früher, noch bevor ich
geboren wurde, dass sie da halt auch schon mehrere Selbstmordversuche, ähm, hinter sich
hatte. Pulsadern aufschneiden und Tabletten auch und joa... Also das, so Sachen, hat sie mir
schon früher auch erzählt, also dass ihre Eltern sie geschlagen haben halt, dass sie ihr das
gesagt haben, mit ‚du bist nichts, du kannst nichts, du wirst nichts‘. Also, hatte ich da auch
schon immer n Stück weit immer schon so n Mitleid mit meiner Mutter auch.
Wie hast du dich in solchen Situationen gefühlt?
Mein Gefühl in Worte fassen... Schwer, sehr schwer. Hilflos...hilflos, geschockt, überfordert
und ja und dann, danach hatte ich vielleicht noch mehr das Gefühl, dass ich aufpassen muss
auf meine Mutter und weil, irgendwie auch sonst niemand anderes wirklich da war. Niemand
anderes hat wirklich irgendwas gemacht. Auch ihr jetziger Lebensgefährte, mit dem ist sie ja,
ich weiß nicht, seit 98/99 zusammen, der hatte nie irgendwas so, ähm, gemacht. Also z.B. hat
er ihr noch Alkohol gekauft, äh, wenn sie ihm drum gebeten hat, weil sie wegen ihrer
Angsterkrankung nicht so raus gehen mochte. Äh, so was hab ich komplett abgelehnt, immer
von Anfang an! Ähm ja...ja und was halt, also durch den Alkohol gerade, wo der noch damit
dazu kam, ähm, war, dann auch dass ich sehr ne schon ne Distanz zu meiner Mutter aufgebaut
habe. Das, gerade so gefühlsmäßig, also es hat mir also total weg getan, wie sie sich dann
verändert hat und joa und noch mehr und alles, und ,äh, dann konnte ich dann auch irgendwie,
irgendwann gar nicht mehr so, ‚ich, ich hab dich lieb‘ sagen zu ihr oder so. Das war, wie
richtig eine Blockade drin und hab mich dann auch von ihr distanziert n Stück weit, aber
irgendwo hab ich mich ja immer noch verantwortlich gefühlt. Und irgendwie, und eigentlich
wollte ich auch zu Hause ausziehen, aber auch schon länger, weil ich mich dann mit ihrem
Lebensgefährten nicht verstanden habe. Aber, ja ich hab mich dann auch irgendwo nicht
getraut, weil ich auch so Angst um sie hatte. Dass sie sich dann umbringt, wenn ich nicht da
bin. Dass sie dann total abstürzt. Noch mehr als vorher.
Hattest du zu der Zeit Hilfe bzw. Unterstützung von jemand erfahren?
Eigentlich nicht. Ja, ich hatte halt mein Freund, mit dem ich jetzt noch ja zusammen bin.
Ähm, mit ihm bin ich zusammen gekommen als ich, äh, fast 14 war und er fast 16. Joa, er war
mir dann einer sehr große Stütze, weil sonst, weiß ich nicht, sonst würde ich heute vielleicht
nicht hier sitzen. Äh, weil ich hab auch schon mal ein Selbstmordversuch, äh, ja, so begangen.
ANHANG DENISE REINHARD
Ne Überdosis Tabletten, lag ich auch 3 Tage auf der Intensivstation. Joa, also er war dann
meine große Stütze, obwohl ich ihn auch immer nicht zu sehr belasten wollte. Obwohl, er hat
es ja auch einige Male mitbekommen bei mir zu Hause. Er kam ja immer zu mir, weil seine
Eltern mich so noch nicht, so akzeptiert hatten. Und dann hat er es auch einige Male
mitbekommen, als meine Mutter dann betrunken war oder ja. Was halt auch, ähm, früher bei
ihr schon war, bevor sie, ähm, bevor sie auch mit dem Alkohol angefangen hat oder auch die
Angsterkrankung kam, ähm, das, ähm, ähm, dass sie sich halt sehr für andere, na wie soll man
es sagen, verstellt hat nicht, wie sie sie haben wollten. Sie hat sich für jeden so angepasst.
Ähm, das hat sie mir dann auch erzählt. Also für meinen Vater damals war sie so die hübsche
Frau, hat viele Kleider getragen, und sich schön geschminkt und, und weiß ich gar nicht, mit
‘m Lockenstab so Wellen gemacht und so. Ihr Lebensgefährte, da 97, der wollte mehr so n
Kumpeltyp haben, so bei den Pfadfindern. Dann war sie mehr so und auch derbe und versaut
und, und irgendwie.
Und sie hat mir auch erzählt, auch damals schon, dass sie immer, äh, für alle immer den
Clown spielt. Immer so ne Clownsmaske irgendwie auf hat. Dass sie eigentlich traurig ist
irgendwo und sie es nicht will und sie selber gar nicht so richtig so weiß, wer sie ist. Ja wer
sie ist irgendwie oder wo sie steht im Leben und sie hat auch immer sehr Probleme andere um
Hilfe zu beten. Ähm, oder auch Nein zu sagen, also so Konflikte. Das konnte sie auch
überhaupt gar nicht und deswegen hab ich das auch nie, gar nicht so wirklich gelernt und
deswegen habe ich damals in der Schule auch schon Probleme bekommen und ich war recht
schüchtern.
Hattest du familiäre Unterstützung?
Ja mit meiner Oma war das Ganze ja ein bisschen schwierig. Meine Mutter hatte auch einige
Jahre kein Kontakt mit ihr. Ähm, weil sie auch der Meinung ist, das sie von dem Missbrauch
damals irgendwie was mitbekommen hat oder das geahnt hat. Und ja nichts gemacht hat.
Ähm, pffff, ja, ähm, weiß ich gar nicht. Ja, irgendwann kam wir wieder zu ihr und sie hat
mich auch, ja also meine Oma hat mich sehr, sehr gemocht und haben zu mir, glaub ich, auch
gesagt, also sie haben mich sehr lieb gehabt. Die haben das glaub ich auch zu mir gesagt. Und
da war meine Mutter auch ein Stück eifersüchtig auf mich. Hat sie dann auch gesagt, weil sie
das nie zu ihr gesagt haben. Ähm, ja und irgendwann später kam mehr und mehr so der
Kontakt mit meinen, also zumindest 2 von meinen Tanten. Ähm, und mit denen hab ich dann
irgendwann später auch darüber geredet, aber, n Stück weit, aber, pfff, ich weiß nicht. Da kam
halt auch nicht wirklich was. Die waren auch hilflos. Die wussten auch nicht was sie da
ANHANG DENISE REINHARD
machen sollen, also. So ungefähr, ja irgendwie keine Ahnung, das musst du selber wissen,
oder schlimm und naja in meiner Familie gibt´s auch so. Ja und zu dem Rest der Familie
haben wir auch nicht, keinen Kontakt. Und auch gerade seit dem meine Oma gestorben ist,
97, vom Rest der Familie gar nicht mehr. Nur meine 2 Tanten. Ja und, äh, es haben halt auch
einige aus meiner Familie und so sonst auch halt einige Probleme. Deswegen, ein Onkel von
mir ist spielsüchtig, auch und mein Opa war Alkoholiker. Ähm, ja meine Tante, mit der man
jetzt auch noch Kontakt hat, äh, die ist so joa mehr oder weniger ein Messi. Ähm, joa, also die
haben alle schon n Stück weit ihre Probleme. Ich glaub, also es wurden auch irgendwie noch
mehr 1-2 von den Schwestern meiner Mutter, also meine Tanten, wurden auch missbraucht
damals von dem Freund der Familie, von dem meine Mutter missbraucht wurde.
Hast du dich also nie jemand richtig anvertrauen können?
Ähm, also wo das Ganze so war, stattfand, da hatte ich hauptsächlich eine beste Freundin.
Ähm, joa und mit der hab ich schon einiges geredet. Auch darüber mit meiner Mutter. Aber
ich weiß nicht mehr genau inwieweit. Sie konnte mir auch nicht wirklich ne Hilfe sein. Sie
war sogar 1-2 Jahre jünger als ich, also ja. Ich konnte schon ein Stück weit, ein bisschen mit
ihr darüber reden, ja. Aber es war dann halt eher einfach so, wie man sich über Eltern so, so
ein bisschen, ein Stücke weit unterhält. So halt, so etwas über sie meckern über sie oder ich
weiß nicht, sich beschwert. Und ne, wie gesagt, sie konnte mir auch nicht, nicht helfen. Und
in ihrer Familie war es auch nicht so leicht. Deswegen, dann...
Waren die Gespräche trotzdem für dich in gewisser Weise entlastend?
Eine Entlastung war das schon n Stück weit, klar. Weil, wenn ich mit niemanden hätte drüber
reden können, pfff, joa, also sie war dann auch irgendwo ne Stütze für mich, so dass ich das
Ganze mit durch gehalten habe, irgendwie, ja doch. Ja und später irgendwann hatte ich auch,
da kam ein Mädchen zu uns mit in den Stadtteil, äh, die hatte das auch, dass ihre Mutter, ähm,
diese Angsterkrankung hat. Dass sie kaum mehr vor die Tür gehen kann. Oder ich glaub sie
geht sogar gar nicht alleine vor die Tür. Also sie konnte das natürlich, also mit ihr konnte ich
auch ein Stück weit reden. Also zumindest in der Hinsicht, so. Dass sie das ja auch ganz gut
nachvollziehen konnte.
Hast du mit deiner Mutter über ihre Erkrankung gesprochen?
Wir haben viel über die Erkrankung geredet. Über meine Erkrankung, über ihre Erkrankung.
Also meine Mutter hat bei mir halt versucht zu verstehen, ähm, mit den Essstörungen, wieso
das so ist, äh, wieso ich das mache. Ich hab dann natürlich schon ein paar Mal gesagt, so joa,
mhh, natürlich hat mich dies oder das auch irgendwie belastet. Aber ich hab´s mich dann auch
ANHANG DENISE REINHARD
irgendwie kaum getraut zusagen, weil ich wollte ihr nicht noch mehr Schuldgefühle machen,
weil sie sich ja irgendwo schuldig fühlt. Sie sagte, sie meint, sie dachte, dass sie irgendwas
falsch gemacht hat. Ähm, ja und dann hab ich ja, irgendwann später, haben wir dann auch
über ihre Probleme mehr geredet. Ich weiß nicht, sie hat schon Einsicht gezeigt, äh, wie
gesagt, sie hat halt damals auch schon immer zu mir gesagt, von wegen das ist eigentlich
nichts für deine Ohren, so was sie mir erzählt hat. Dafür bist du eigentlich noch viel zu jung.
Ich sollte das mit irgendeinem Erwachsenem besprechen...und so weiter. Joa, also wir haben
schon relativ offen darüber geredet.
Hatte deine Mutter jemanden, mit dem sie über ihre Probleme reden konnte?
Mit ihren Schwestern, ähm, hab ich sie z.B. nie so richtig drüber reden gehört. Es ist immer
nur so eher angeschnitten, ja gut, vielleicht hat sie das auch gemacht, wenn ich nicht dabei
war. Das weiß ich nicht. Ja und dann hatte sie, pff, sie hatte auch immer nur mal hier und da
eine beste Freundin. Also damals Steilshoop weiß ich nicht, weil wir, äh, als wir da weg
gezogen sind war ich 7. Und danach hat sich die Freundschaft auch so verloren. Und dann
später, Rothenburgsort, von meiner besten Freundin mit der Mutter, die haben sich halt auch
angefreundet und der hat sie schon, später zumindest, auch alles Mögliche erzählt. Aber wie
gesagt, in der Familie lief es halt auch schwierig. Äh, sie war halt auch recht überfordert, mit
irgendwie auch 5 Kindern und mit ihrem Mann, die Ehe lief schlecht und, und tja ich weiß es
nicht, die haben sich dann einfach über ihre Probleme gegenseitig so ausgetauscht. Und meine
Mutter hatte ja auch schon, äh, hat auch schon was versucht, also therapiemäßig. War sie
schon ne Zeitlang Ginsterhof. Weiß gar nicht, 16 oder 18 Wochen lang. Dann war sie für ein
paar Wochen in der Tagesklinik in Bergedorf und ambulant auch irgendwie Therapie. Aber sie
hat das, die hat sie dann irgendwann abgebrochen und, äh, und hat dann auch gesagt, so sie
meinte, sie ist vielleicht auch übertherapiert und keine Ahnung und, ja.
Und mit, ähm, ihrer Angsterkrankung, äh, gerade als das so anfing, da hat sie mir
wahrscheinlich auch ein bisschen mehr Ängste übertragen mit, äh. Ja, so dass sie sich ja vieles
nicht getraut hat. Ähm, allein dieses ja nicht raus zu gehen, das ist ja gerade diese Angst und
dann, äh, hat sie mir das ja auch ein Stück weit mit vermittelt, vor allem mögliche, das sie
dann so Angst hatte auch. Auch früher, auch da hat sie sich auch schon einiges nicht so, nicht
so wirklich getraut, äh, oder war für sie - allein irgendwo anzurufen war puhhh, erst mal so
aufregend und ja. Dadurch kommt das bei mir wahrscheinlich dann auch alles dadurch, ähm,
Selbstunsicherheit, Persönlichkeitsstörung. Das war ja bei mir Diagnose jetzt. Neben den
Essstörungen. Und das die wahrscheinlich auch vorher schon da war.
ANHANG DENISE REINHARD
Wie war das bei euch mit den alltäglichen Aufgaben?
Also ich hab mich seitdem ich 12 war im Grunde eh schon selbst versorgt, wo das mit den
Essstörungen anfing. Weil ich wollte dann ja vieles nicht mehr essen und, und irgendwie,
ähm, ja einkaufen. Ja ich glaub damals haben wir das erst noch ein Stückweit noch zusammen
gemacht. Ja und wo dann bei ihr die Angsterkrankung auch kam, ähm, war dann auch, dass
ich dann viel, doch das ich dann immer regelmäßig allein einkaufen war.
Mit wie viel Jahren fing das an?
Ja wie gesagt, in meinem Kopf ist alles irgendwie so ab 12. So gefühlsmäßig. Aber es kann
auch sein, dass es - ich bin fast der Meinung, dass es mit dem Streit des damaligen
Lebensgefährten, mit ihrem Nervenzusammenbruch, kurz danach kam, das bei ihr mit der
Angsterkrankung.
Wie waren die Aufgaben im Haushalt aufgeteilt?
Der Haushalt war auch schon immer schwierig, weil das, ja weil, war halt auch schon immer
so ne Sache. Meine Mutter war halt immer, äh, also es war immer chaotisch bei uns, weil
meine Mutter dann halt auch so Haushalt, Kochen - das waren, weiß ich nicht, das hatte sie
alles auch nicht so richtig drauf. Also das hat sie alles nicht so richtig hinbekommen. Und
gerade Chaos, so aufräumen, also das weiß ich nicht, das war dann bei ihr auch so, halbwegs
verwahrlost (lacht). Ich hab für mich alleine gekocht. Aber ich hab auch dann irgendwie, dann
nach und nach einiges übernommen. Gerade wo der Alkohol dann dazukam, kam es auch,
dass es immer schlimmer wurde. Dass es dann auch nach und nach ein Stück weit dreckig
wurde. Also ähm, vorher war es einfach immer nur Chaos, das dann vieles, alles Mögliche
rumlag, alles vollgestellt war, der ganze Tisch immer und auf dem Boden lag einiges rum.
Aber ja, pfff, dadurch kam dann auch noch, noch dann so Dreck. Dass sie denn Haushalt auch
immer mehr vernachlässigt hat und joa. Ja und später kam dann auch, ähm, noch so für sie
Computer noch dazu. Ähm, also sie sitzt jetzt eigentlich jeden Tag irgendwie am Computer,
weil das für sie noch, ja noch so n Stück Kontakt nach Außen ist. Braucht sie nicht raus
gehen, kann aber mit Leuten Kontakt haben und ja. Was sie jetzt auch dann auch so macht,
dass sie zumindest regelmäßig, also fast jeden Tag einmal, ja gut, es ist nur die Straße, zu
einem Laden geht und einkauft. Kleinigkeiten. Ein andere Laden, der irgendwie, wo sie über
2 Straßen muss und, äh, da geht sie dann nicht hin, obwohl es günstiger ist. Es ist Penny, das
andere Edeka. Ja und früher war das dann auch, also meistens, ich glaub, sie wollte mich auch
damals, äh, mit der Angsterkrankung, äh, dann auch oft mit beim Einkaufen dabei haben. Hat
mich gebeten das ich mit komme auch. Äh, weil sie sich das alleine dann nicht so getraut hat.
ANHANG DENISE REINHARD
Also war ich dadurch ne Stütze mit für meine Mutter und, und ich hab mich dadurch ja
logischerweise auch noch verantwortlich mit für sie gefühlt.
Hattest du Sorgen selbst zu erkranken?
Pfff, weiß ich gar nicht, kann ich gar nicht genau sagen. Also wie gesagt, also ich weiß auch
selber dieses, dass ich mich, also das ich sehr vernünftig war. Irgendwie, dass ich mich sehr n
Stück weit erwachsen war, auch irgendwie schon anders als die anderen Kinder irgendwie
auch. Dann kam aber irgendwie auch bei mir so ne Schüchternheit n Stück weit dazu. Dass
ich mich irgendwie einerseits sehr erwachsen, anderseits mich auf vieles nicht getraut habe
irgendwie. Das war bei mir auf jeden Fall schon komisch. Gut, ich hab mir dann irgendwie
schon immer ein bisschen Gedanken gemacht, oder weiß ich nicht genau, wie ich das später
dann so hinkriegen soll. Auch so Sachen, wo ich mich Behaupten soll im Leben. Also wie
gesagt, ich auf jeden Fall auch schon gemerkt, dass gegenüber den anderen Kindern war ich
schon anders. Ich hatte dadurch in der Schule schon ein Stück weit Probleme, dass ich so ein
Stück weit Außenseiterin war und ich halt auch recht ruhig war.
Als ich dann, ich hab mich dann ja auch, dann wo meine Probleme so anfingen, habe ich mich
schon auch dafür interessiert, hab, ähm, dann auch einiges gelesen, ähm, joa. Und auch so,
weil ich da ja schon gemerkt habe, das da irgendwie irgendwie, pfff, das alles irgendwie nicht
ganz so richtig oder normal ist wie bei den andern irgendwie. So Psychologie habe ich mich
dann, äh, auch sehr früh so interessiert.
Welche Erfahrungen hast du als Belastung oder auch als Stärkung wahrgenommen?
Ja wie gesagt, n Stück weit halt, dass sie sehr, sehr liebevoll zu mir war. Mir das dadurch, joa,
auch so recht übermittelt hat. So mit, äh, mit andern, für andere Mitgefühl zu haben. Also
Mitgefühl habe ich sehr stark. Ähm, kann mich, pfff, kann mich in anderen Personen
hineinversetzten. Ähm, also das finde ich irgendwo schon ne Stärke, wobei das teilweise ist
das natürlich auch eher das Gegenteil. Weil man sich dann zu sehr hineinversetzen kann, oder
das einen zu sehr mitnimmt irgendwo, wenn jemand anderes dann auch ein Problem hat.
Ähm, ja wie gesagt schon dieses, dass meine Mutter mit mir halt recht früh also, pfff, joa, wie
so mit einer Erwachsenen geredet hat, irgendwo. Und ihre Probleme mir erzählt hat und, ähm,
ANHANG DENISE REINHARD
ja und auch irgendwo, dass sie mehr ne Freundin für mich sein wollte, irgendwie dieses so
dann. Wie gesagt, das Ganze. Dass es keine Regeln gab, das gar nicht so Vorschriften - dieses
irgendwie. Man konnte sich an nichts irgendwie festhalten, so war das dann. Ja so was habe
ich dann auch schon mit gesehen bei anderen, pfff, bei denen lief das ganz anderes...joa.
Hätte eine dauerhafte Beziehung deiner Mutter etwas an der Situation ändern können?
Na, kommt ja immer drauf an wie derjenige ist. Ähm, also die Beziehungen die so hatte, dass,
die liefen ja alle nicht ganz so gut. Ähm, also der wo ich 3 war, der hat sie z.B. dann auch
verlassen, als, ja stimmt, das hat sie mir dann auch erzählt, dass sie ihm irgendwie von
Problemen erzählt hat damals und dass das auch gerade psychisch oder von ihrer
Vergangenheit als Kind, ich weiß es nicht genau. Ähm und ja, das er sie dann verlassen hat.
Dass er dann weg gegangen ist, joa, das war für ihn irgendwie zu viel oder wollte das nicht. Ja
der 97, der, der hat sie nur fertig gemacht. Ähm, naja gut, das kam dann auch noch durch
andere Gründe, weil er hat sich später auch als Kinderschänder herausgestellt. Meine Mutter
hat ihn aufgedeckt oder hat es ganz aufgedeckt. Und mit dem Mann hat sie zusammen gelebt!
Äh, ja, ähm, ja und ihr jetziger Freund, wie gesagt, pfff, also wie gesagt, ich kann da nicht so
ganz aus Erfahrungen sprechen. Weil die Freunde, die so hatte, das war alles nicht so wirklich
ne Hilfe. Na gut, es war vielleicht ne Hilfe, das sie, äh, am Leben geblieben ist. Dass sie sich
nicht vielleicht doch wirklich umgebracht hat oder ich vor allem. Naja, ich eigentlich noch
mehr, aber auch, dass sie sich irgendwie geliebt gefühlt hat. Der Freund von ihr jetzt, der
Lebensgefährte, der hat halt auch so einige Macken und die akzeptiert sie auch irgendwie so
einfach, weil er sie liebt wie sie ist und zu ihren ganzen Probleme oder ihren Erlebnissen und
so, ähm, dazu sagt er auch nicht viel. Ich weiß nicht, er hört sich das an auch, aber, tjoa, keine
Ahnung. Das kann ich nicht so sagen.
Hättest du dir Unterstützung in der Zeit gewünscht?
Also ich denke, wenn mein Vater noch da gewesen wäre, das wär, ähm, dann wär so einiges
wesentliche besser gelaufen. Denke ich, also was meine, aus den Erzählungen meiner Mutter,
wie er so war. Ähm, also z.B. er war also schon sehr intelligent. Er konnte 8 Sprachen
fließend sprechen, er war Abteilungsleiter bei Karstadt. Sie hat ja auch damals bei Karstadt
ANHANG DENISE REINHARD
gearbeitet, so haben sie sich kennen gelernt. Äh, ja z.B. hat sie mir dann davon erzählt, wie sie
es bewundert hat, er konnte Kreuzworträtsel, riesig großes so aus Zeitungen, konnte fast
komplett lösen. Ähm ja, also denke ich halt schon, wenn er halt noch da gewesen wäre, auch
wenn sie dann vielleicht geschieden gewesen wären, aber, ähm, tja das ich dadurch allein von
meiner Persönlichkeit her, äh, viel stärker wäre. Dass vieles einfach wesentlich besser
gelaufen wäre. Vielleicht wäre ich dann sogar irgendwann zu ihm gezogen, statt bei meiner
Mutter zu bleiben. Ich weiß es nicht. Wobei ich hing auch irgendwie sehr an meiner Mutter.
Also vielleicht weil wir halt immer so, so dann halt immer so alleine waren. Nur uns beide
hatten und wie gesagt, sie hat mir ja schon ein sehr, sehr liebesvolles zu Hause irgendwo
geboten oder ja, wie gesagt auch schwierig aber ja. Also ich häng auch jetzt noch ziemlich an
meiner Mutter, trotz der ganzen Sachen.
Triffst du dich mit deiner Mutter regelmäßig?
Ab und an, also ich geh sie so circa alle 2 Wochen mal besuchen. Und telefonieren, joa, jetzt
in letzter Zeit war es relativ wenig, aber es ist halt auch sehr schwierig, weil ich ihren
Lebensgefährten halt komplett aus dem Weg gehe. Also mit dem verstehe ich mich halt
absolut nicht. Und mit dem will ich, gerade jetzt wo ich da nicht mehr wohne, äh, gar nichts
mehr zu tun haben eigentlich. Und deswegen ist es halt auch teilweise schwierig so am
Wochenende, geht dann gar nicht, außer er ist dann mal weg. Ja und ansonsten, ja im Grunde
schon. Zieht mich auch irgendwo dahin. Einmal wie gesagt, wegen der Bindung, dieser engen
Bindung und andererseits irgendwie auch immer noch dass ich mir immer noch Sorgen mir
mache. Ähm, ja und es halt für mich auch immer noch sehr schwierig, wenn dann da
irgendwas, wenn ich dann da bin, teilweise auch, wenn ich das so sehe, wie das da alles so
läuft. Wie es da aussieht allein, die Wohnung und auch wenn ich von ihren Problemen
irgendwas mitbekomme wieder. Das ist dann halt schon sehr schwierig.
An einige Gefühle kann ich mich auch nicht mehr so ganz so richtig dran erinnern, weil
irgendwann habe ich halt auch, irgendwie so, eine Mauer aufgebaut. Ähm, und ich sehe,
vieles ist irgendwie, sind so verschwommene Gefühle – wie, wie unter, ich weiß nicht, wie
unter Milchglas oder so. Also, das kann ich teilweise gar nicht mehr so richtig sagen oder ich
ANHANG DENISE REINHARD
hab‘s halt, also wie gesagt, irgendwann so ne Mauer aufgebaut. Hab mich auch sehr
zurückgezogen. Zuhause auch fast nur noch in meinem Zimmer gewesen. Um mir das mit
meiner Mutter nicht mehr angucken zu müssen. Diesen Gesprächen aus dem Wege zu gehen,
wenn’s ging.
Wie hat sich die Beziehung zu deiner Mutter dadurch verändert?
Ähm, also wie gesagt, von meiner Seite ja schon, wie gesagt, sie hat mir dann halt trotzdem,
des Öfteren gesagt, sie hat mich lieb und...aber ich konnte das dann einfach nicht mehr sagen.
Das war dann irgendwie, ich hab’s natürlich immer noch getan, aber es war halt so, ich konnte
das halt nicht mehr sagen. Das war dann irgendwie, weil weiß ich nicht, weil sie sich ja selber
so zerstört hat und ich weiß nicht und, und, kann ich nicht sagen. Und ja vielleicht auch
irgendwo auch nach und nach, also es war dann mit dem Alkohol, da hat sie mir dann oft
gesagt, ja was ich will jetzt aufhören, sie sieht das selber immer noch bis jetzt nicht ein, dass
sie da wirklich ein Problem hat. Da hat sie mir auch immer wieder gesagt, sie will aufhören.
Dann hat sie doch wieder getrunken…
Wie hast du dich dann gefühlt?
Pfff, joa also irgendwie so Misstrauen und, und, und, und. Ja gut, mittlerweile weiß ich auch
so einiges über Süchte. Dass es halt nicht so einfach ist...Alleine mit mir, weil, ähm, ja das
hab ich bis jetzt noch nicht gesagt, weil seit 2000 habe ich ja, äh, auch Bulimie. Also so seit
dem sie mit ihrem jetzigen Lebensgefährten zusammen wohnt. Ähm, ja gut und bestimmt
auch so durch ihre Probleme, weil die waren ja auch schon gerade auch vorher auch schon da
oder auch das mit dem Alkohol dann. Ähm, ja ich, ich, ja es war halt irgendwie so ziemliche
eine Unsicherheit da, ähm, ja wie, inwieweit kann ich mich jetzt noch auf sie verlassen. In
wieweit kann ich ihr vertrauen. Äh, es ist halt ein ziemlicher Misstrauen da, weil sie dann
teilweise auch gelogen hat, so mit dem Alkohol, so dass man es erst mal noch nicht
mitbekommt, das sie dann doch wieder was trinkt.
Hast du so was wie Wut gefühlt?
ANHANG DENISE REINHARD
Ja, schon auch. Ja und wie gesagt, sie hat mir dann auch teilweise vorgeworfen, ihr geht es so
schlecht, weil ich, dass ich ihr das im Grunde so antue mit meinen Problemen auch, äh. Das
ist, dann auch total irgendwie, pfff, irgendwie, so ja ‚Hallo! Woher kommen wohl so meine
Probleme irgendwo?‘ Na gut, andererseits ist es natürlich auch, ich weiß ja, das sie da
irgendwo auch nichts für kann, für ihre Probleme, weil, ich mein, was in ihrer Kindheit ihr
angetan wurde. Das ist echt schrecklich und dann ist das irgendwie auch kein Wunder und
auch was ihre Eltern ihr angetan haben. Kein Wunder, dass sie so geworden ist, wie sie ist.
Aber andererseits, ja es war schon so eine gewisse Wut. Ja irgendwie, oder auch Ärger, auch
wie sie mich halt auch so erzogen hat. Von den ganzen Regeln und alles. Äh, das ist halt
irgendwie, jetzt, dass ich jetzt weniger Probleme in meinem jetzigen Leben hätte, wenn das
alles viel mehr dagewesen wäre.
Waren dir deine eigenen Probleme bewusst?
Natürlich, also das mit der Magersucht, äh, wie gesagt, das fing dann an, äh, weil dann zu
Hause einige Probleme waren und, äh, und in der Schule war dann halt irgendwie so. Da
entstand so ein kleiner Diätwettbewerb sozusagen und die Mädchen haben sich dann auch
langsam so, äh, pfff, so mehr auf ihren Körper geachtet, geguckt. Ich, ich, bin zu dick und, äh,
und weniger essen, abnehmen und dann haben die halt auch so gesagt von wegen, ich hab
jetzt die letzten Tage so und so wenig gegessen, und so und so viel abgenommen und so
weiter. Ja und dann wollte ich das irgendwie so auch. Auch irgendwie, weil ich so ein
bisschen, so n Stück weit wahrscheinlich dazu gehören wollte. Oder denen, ja oder denen das
beweisen wollte, weil das auch gerade sehr beliebte Mädchen waren. Ähm, ja es war mir, ja es
war mir irgendwie schon bewusst, weiß nicht.
Hast du dir professionelle Hilfe für deine Mutter gewünscht?
Mit 12 war mir das bestimmt auch noch nicht so ganz klar, dass es, was es da so für
Möglichkeiten so gibt ja auch. Ähm, sicherlich oder auch später. Ja und dann hat sie ja
teilweise Hilfe angenommen, aber das hat dann leider auch nicht so geholfen. Auch dann
gerade, ähm, wo der Alkohol dazu kam, weil der das Ganze dann noch eher ... dadurch, äh,
ANHANG DENISE REINHARD
schlägt die Therapie ja auch nicht so an. Eigentlich müsste sie den Alkohol jetzt erst mal
komplett, äh, weg haben, dass sie dann alle ihre Probleme angehen könnte. Ähm, ja das da
war irgendwie schon Hilfe, man denkt eigentlich, gut, es könnte jetzt gut werden, besser
werden, aber dann im Endeffekt. Joa, also weiß ich nicht, weiß nicht so recht, was man sich
da so gedacht hat irgendwie.
Wann bist du ausgezogen bei deiner Mutter?
Letztes Jahr mit, äh, 24. Ich glaube ich bin am 1.9. bin ich ausgezogen.
Wie ist die derzeitige Situation mit deinem Freund?
2007 haben mich, äh, seine Eltern mich, äh, erst so, äh, ja akzeptiert. 1998 sind wir zusammen
gekommen. Wir waren nicht so wirklich häufig bei ihm. Ich hab erst einmal bei ihm
geschlafen. Das war kurz nachdem sie mich dann so akzeptiert haben. Wollte er dann auch
irgendwie unbedingt gerne, dass ich dann mal bei ihm übernachte mit. Ansonsten bin ich nur
da, wenn da irgendwie irgendwelche Feierlichkeiten sind. Ich hab ihm früher auch nicht so
wirklich viel erzählt. Er hat das dann halt eher so mitbekommen und darüber haben wir dann
ein bisschen geredet.
Wie hat sich die Depression auf eure Beziehung ausgewirkt?
Depression war, wahrscheinlich auch, auch ein Stück weit bevor die Angst da war. Ein Stück
weit dass Depressionen schon bei ihr da waren, ähm. Wie gesagt, sie hat ja Probleme mit mir
besprochen. Also es hat ihr immer zu schaffen gemacht mit dem Geld. Das war dann schon
immer irgendwie, äh, das sie mir dann nicht so viel bieten konnte und irgendwie durch ihre, ja
irgendwie durch ihre Vergangenheit, äh. Ich kann es eigentlich gar nicht so genau sagen. Ja
wie gesagt, das mit der Wohnung hat sie meistens nicht so geschafft. Sie hat schon immer mal
wieder aufgeräumt und dann war’s aber auch sehr schnell wieder sehr chaotisch. Das war
meistens wenn Besuch kam. Wenigstens doch noch mal schnell aufräumen und so und dann
hielt es vielleicht 1-2 Tage. Ja vielleicht das Ganze, dass sie das mit dem Haushalt, dass sie
das nicht so hinbekommen hat.
Wie hat sich deine Mutter dir gegenüber verhalten?
ANHANG DENISE REINHARD
Ja das ist ein bisschen schwierig zu sagen. Ich glaub, äh, naja Humor war eigentlich irgendwo
immer da. Ähm, aber das war auch immer noch, wo es ihr ganz, ganz schlecht ging. Oder
auch wo es mir ganz, ganz schlecht geht, ist irgendwie Humor immer noch ein Stück weit da,
also Galgenhumor dann auch irgendwie. So ein Lächeln kriegt man dann doch noch immer
irgendwie hin. Ja das ist irgendwie schwierig zu sagen, ähm, ja es war dann schon auch früher
dann, dass sie dann keine Lust hatte mit mir raus zugehen. Irgendwie so von wegen, du kannst
dich doch alleine beschäftigen. Sie wollte nicht so unbedingt mit mir spielen. Also sie war
eigentlich schon immer recht fröhlich, aber wie gesagt, sie hat es mir dann auch selber gesagt,
so dass sie für alle den Clown gespielt hat, dass sie so ne Maske aufgesetzt hat. So ne
Clownsmakse, das sie nach außen fröhlich war und so weiter. Das hat sie mir dann auch früh
erzählt, dass sie zwar fröhlich war, aber innen drinnen eigentlich sehr traurig.
Sind dir Stimmungsschwankungen aufgefallen?
Schon ein Stückweit Stimmungsschwankungen, aber - so dass es so extrem war wüsste ich
jetzt nicht so richtig. Ja gut, mit der Angsterkrankung kam das Ganze dann mehr. Also da
wurde das dann immer mehr. Das weiß ich auch noch so. Das habe ich noch mehr im Kopf.
Da wurde das dann alles sehr schlimm, weil sie es halt auch sehr belastet hat, das sie dann
alleine nicht mehr so richtig vor die Tür gehen kann. Und gerade mit den Kindern, wie gesagt,
das hat sie ja immer sehr, das hat ihr irgendwie was gegeben, so, ähm, das hat ihr sehr viel
Freude gemacht. Und joa...das war dann auf einmal so weg (lacht).Dann war für sie auch so n
Stück weit der Halt, ihr Halt, den Boden unter den Füßen weggezogen.
Konnte sich deine Mutter mit dir freuen bzw. dir Freude zeigen?
Soweit ich erinnern, äh, kann, eigentlich schon. Also das sie sich schon gefreut hat, wie ich
auch - naja Noten war auch immer so n Thema. Also das hat sie, das war ihr gar nicht wichtig,
dass ich gute Noten mit nach Hause bringe eigentlich. Also natürlich hat sie sich mal gefreut,
aber, ähm, aber es war ihr gar nicht wichtig. Also, da hat sie mich auch nie mal n bisschen,
äh, wie soll man sagen dazu, angestrebt, ne mich animiert, sodass ich mich da wirklich
bemühe oder so und ...ja. Also vielleicht war es bei ihr auch alles, dieses mit den ganzen
Regeln, das sie dafür dann auch nicht, oder für alles so ermutigen und das dafür dann auch
nicht so dir Kraft aufgebracht hat. Dass sich das n Stück weit damit gezeigt hat. Ja und wie
gesagt, ich weiß noch mit Spielen halt, des Öfteren. Als ich noch kleiner war, hatte ich dann
auch meisten auch noch Freunde, mit denen ich die Zeit verbracht hab. Also ich war auch
relativ früh alleine auf dem Spielplatz. So das weiß ich auch noch. Aber irgendwie ja mit
anderen Kindern, ja aber auch alleine und das meine Mutter dann zu Hause war. Gerade mit
ANHANG DENISE REINHARD
Spielen, so das weiß ich eher, dass sie da nicht so mit gemacht hat so richtig. Dass sie dann, ja
ist hieß von ihr: ‚nö kein Bock, nö keine Lust‘ oder so.
Hast du diese Lustlosigkeit noch in andern Situationen bemerkt?
Ja auch so mit Haushalt z.B. oder irgendwo, ja weiß nicht, irgendetwas unternehmen. Dann
teilweise auch privat eher. Also wie gesagt, mit den Pfadfindern haben wir ja schon einiges
unternommen, aber, äh, dann so...dann hat sie auch auf vieles keine Lust gehabt.