Ein Pahlavi Fragment Des Alexanderromans

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1 Diese Gruppe von Fragmenten wurde publiziert in Weber 1983. 2 Ich danke den Verantwortlichen der Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien für die Erlaubnis zur VeröÙentlichung. Ein Pahlavi-Fragment des Alexanderromans aus Ägypten? Dieter Weber, Moringen Im Herbst 2003 erhielt ich die Möglichkeit, auch durch Unterstützung unseres Jubilars, diejenigen Teile des Nachlasses von Olaf Hansen (*11.4.1902 St. Petersburg, †10.1.1969 Kiel), die sich mit den Pahlavi-Papyri und Pergamenten aus Ägypten befassen, von dessen GroßneÙen Andreas Hansen (Berlin) zu erwerben. Olaf Hansen ist bekannt als erster Heraus- geber der Pahlavi-Papyri und Pergamente der Berliner Sammlung im Ägyptischen Museum, die er im Jahre 1938 vorlegte. Es war vorgesehen, dass er auch die umfangreiche Wiener Sammlung von über 600 Fragmenten herausgeben sollte. Zu diesem Zweck und zur Restaurierung war fast die gesamte Sammlung von Wien nach Berlin geschickt worden, wo sie seit 1936 Olaf Hansen zur Verfügung stand. Er fertigte umfangreiche Abschriften, Zeichnungen, auch Ansätze zu Kommentaren an, vielfach in zeitlich unterschiedlichen Versionen, die jedoch nie den Status einer Publikation erreichten, obwohl er deswegen mit den Wiener Autoritäten bis Mitte der 50er Jahre in brieflichem Kontakt stand und auch eine (allerdings unvollständige) Liste der zu veröÙentlichenden Stücke dorthin sandte. Die Wiener Sammlung selbst galt nach Kriegsende 1945 als verschollen, lediglich etwa 30 Fragmente fanden sich im damaligen Ost-Berlin wieder, die 1981 in einer eher spektakulären Geste durch die DDR an Österreich zurückgegeben wurden. 1 Im Jahre 1990 tauchten erste Gerüchte vom Erhalt der Wiener Sammlung in der Eremitage in St. Petersburg auf, die sich in der Folgezeit konkretisierten und bestätigten. Die Bemühungen von österreichischer Seite, die Rückgabe der Sammlung zu erreichen, sind bis heute nicht von Erfolg gekrönt, obwohl sich in den letzten Jahren zunehmend positive Zeichen bemerken lassen. 2 Durch die Freundlichkeit von Herrn A. Nikitin (St. Petersburg) erhielt ich in den 90er Jahren Photos von einer Reihe dieser Wiener Fragmente, von denen etliche keine Signatur trugen, so dass sie, auch mit Hilfe der allerdings unvollständigen Hansenschen Liste nicht identiŸziert werden konnten. Dazu gehörte auch das hier vorgestellte Stück aus dieser Sammlung. Erst die Notizen zu der Wiener Papyrussammlung von O. Hansen machten es

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1 Diese Gruppe von Fragmenten wurde publiziert in Weber 1983.

2 Ich danke den Verantwortlichen der Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien fürdie Erlaubnis zur VeröÙentlichung.

Ein Pahlavi-Fragment des Alexanderromans aus Ägypten?

Dieter Weber, Moringen

Im Herbst 2003 erhielt ich die Möglichkeit, auch durch Unterstützung unseres Jubilars,

diejenigen Teile des Nachlasses von Olaf Hansen (*11.4.1902 St. Petersburg, †10.1.1969

Kiel), die sich mit den Pahlavi-Papyri und Pergamenten aus Ägypten befassen, von dessen

GroßneÙen Andreas Hansen (Berlin) zu erwerben. Olaf Hansen ist bekannt als erster Heraus-

geber der Pahlavi-Papyri und Pergamente der Berliner Sammlung im Ägyptischen Museum,

die er im Jahre 1938 vorlegte. Es war vorgesehen, dass er auch die umfangreiche Wiener

Sammlung von über 600 Fragmenten herausgeben sollte. Zu diesem Zweck und zur

Restaurierung war fast die gesamte Sammlung von Wien nach Berlin geschickt worden, wo sie

seit 1936 Olaf Hansen zur Verfügung stand. Er fertigte umfangreiche Abschriften,

Zeichnungen, auch Ansätze zu Kommentaren an, vielfach in zeitlich unterschiedlichen

Versionen, die jedoch nie den Status einer Publikation erreichten, obwohl er deswegen mit den

Wiener Autoritäten bis Mitte der 50er Jahre in brieflichem Kontakt stand und auch eine

(allerdings unvollständige) Liste der zu veröÙentlichenden Stücke dorthin sandte. Die Wiener

Sammlung selbst galt nach Kriegsende 1945 als verschollen, lediglich etwa 30 Fragmente

fanden sich im damaligen Ost-Berlin wieder, die 1981 in einer eher spektakulären Geste durch

die DDR an Österreich zurückgegeben wurden.1 Im Jahre 1990 tauchten erste Gerüchte vom

Erhalt der Wiener Sammlung in der Eremitage in St. Petersburg auf, die sich in der Folgezeit

konkretisierten und bestätigten. Die Bemühungen von österreichischer Seite, die Rückgabe der

Sammlung zu erreichen, sind bis heute nicht von Erfolg gekrönt, obwohl sich in den letzten

Jahren zunehmend positive Zeichen bemerken lassen.2

Durch die Freundlichkeit von Herrn A. Nikitin (St. Petersburg) erhielt ich in den 90er

Jahren Photos von einer Reihe dieser Wiener Fragmente, von denen etliche keine Signatur

trugen, so dass sie, auch mit Hilfe der allerdings unvollständigen Hansenschen Liste nicht

identiŸziert werden konnten. Dazu gehörte auch das hier vorgestellte Stück aus dieser

Sammlung. Erst die Notizen zu der Wiener Papyrussammlung von O. Hansen machten es

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308 Dieter Weber

3 An dieser Stelle darf ich auch Frau Chr. Reck für wertvolle bibliographische Hinweise danken.

4 Vgl. R. Altheim-Stiehl, Wurde Alexandreia im Juni 619 n.Chr. durch die Perser erobert? Bemerkungenzur zeitlichen Bestimmung der s¡s¡nidischen Besetzung Ägyptens unter Chosrau II. Parw�z. TYCHE 6 (1991),3–16; Dies., The Sasanians in Egypt – Some evidence of historical interest. Bulletin de la Société d’Archéologie

Copte [Le Caire], 31 (1992), 87–96; Dies., Zur zeitlichen Bestimmung der s¡s¡nidischen Eroberung Ägyptens.In: MOUSIKOS ANHR (Festschrift für Max Wegner zum 90. Geburtstag, hrsg. von O. Brehm und S. Klie),

nun möglich, das Stück als P.Pehl. 371 zu identiŸzieren, da Hansen darin eine kurze

Beschreibung des Stückes gibt, ferner eine für uns heute sehr wichtige Nachzeichnung, eine

provisorische Lesung und Übersetzung. Ich bin Herrn Andreas Hansen zu großem Dank

verp ichtet, dass er mir auf die o. g. Weise freien Zugang zu Olaf Hansens Material verschaÙt

hat. Es ist dies auch eine Möglichkeit, auf die Verdienste Hansens hinzuweisen, zumal es sehr

bedauerlich ist, dass er selbst seine wissenschaftlich äußerst wertvollen Erkenntnisse bezüglich

der Pahlavi-Papyri nach seiner Edition von 1938 nie publiziert hat.3

Bei dem fraglichen Stück (P.Pehl. 371, Tafel XIV, Abb. 1) handelt es sich um ein

Pergament-Fragment; die Höhe beträgt 18 cm, die Breite 15 cm, die Rückseite ist oÙenbar

nicht beschrieben; es Ÿnden sich bei Hansen keinerlei Bemerkungen zu einer möglichen

Beschriftung der Rückseite, auch liegt mir lediglich ein Photo der Vorderseite vor. Das

Fragment enhält 8 unvollständige Zeilen Pahlavi-Schrift; man darf allerdings davon ausgehen,

dass auf dem Fragment auf keinen Fall mehr als diese 8 Zeilen gestanden haben, da, soweit das

Pergament über der 1. und unter der 8. Zeile erhalten ist, dieses frei von Schriftzeichen ist,

zudem scheinen Reste des ursprünglichen unteren Randes erhalten zu sein. Der linke Rand ist

auf jeden Fall unvollständig, am rechten Rand könnten die ersten 3 Zeilen auch Zeilenanfänge

darstellen. Obwohl wir nicht genau wissen, ob die Rückseite beschrieben ist, kann man

annehmen, dass es sich hierbei um eine Seite aus einem Codex handeln könnte; ein einzelnes

Blatt scheint auf keinen Fall Sinn zu machen.

Das Stück ist schwer zu lesen. Das liegt nicht nur an dem hier verwendeten Duktus der

Pahlavi-Schrift, sondern auch an der Tatsache, dass das oÙenbar feine, relativ dünne

Pergament viele feine Faltungen aufweist, die zur Folge haben, dass manche Schriftzeichen sehr

eng aneinander rücken und somit einfache Verbindungen wie auch Ligaturen in vielen Fällen

nur undeutlich zu erkennen sind. Wir sind daher auch auf die o.g. Nachzeichnung von

Hansen angewiesen.

Grundsätzlich ist diese Schrift, die sich auch als typisch für Pergamente erweist, dem 6./7.

Jh. zuzuweisen. Da das Objekt oÙenbar in Ägypten gefunden wurde, bietet die sassanidische

Besetzung Ägyptens zwischen ca. 619 und 629 n.Chr. einen terminus ante quem für die

Entstehung unseres Textfragments.4 Es bedeutet aber nicht gleichzeitig, dass es in Ägypten

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309Ein Pahlavi-Fragment des Alexanderromans aus Ägypten?

Bonn 1992, 5–8.

5 Vgl. D. Weber, Berliner Pahlavi-Dokumente. Zeugnisse spätsassanidischer Brief- und Rechtskultur ausfrühislamischer Zeit, mit Beiträgen von Myriam Krutzsch und Maria Macuch (IRANICA 15), Wiesbaden2008.

6 S. Weber 2003.

7 Vgl. vorläuŸg Weber 2007, weitere Ausführungen in D. Weber, The Development of the Pahlavi Script,Wiesbaden, in Vorbereitung.

geschrieben worden ist, dies kann ebenso gut an einem anderen Ort mit sassanidischer

Schrifttradition, also in Persien selbst, geschehen sein. Zum Vergleich sei hier auf ein weiteres

Stück aus der Wiener Sammlung verwiesen, nämlich P.Pehl. 373a, ein ofŸzielles Dokument

in der Form eines ay¡dg¡r ‚Memorandum‘,5 das im Jahre 2003 zusammen mit P.Pehl. 373,

ebenfalls ein ay¡dg¡r, publiziert worden ist.6

So passt sich z.B. auch die Schreibung von {ÒYK} k¥ (s. Zeile 4, erste Zeichengruppe,

besonders deutlich Zeile 5, letzte Zeichengruppe) gut in das Schema verschiedener

Schreibungen dieser Konjunktion in den Dokumenten aus Ägypten ein, andererseits hat sie

auch eine gewisse AfŸnität zu Beispielen aus Persien selbst (Übersicht im Anhang),7 wobei man

die eigentlich minimalen Unterschiede vielleicht verschiedenen Schreibschulen zuordnen muss,

die in Persien wie auch dann in Ägypten wirksam werden konnten. Bemerkenswert ist auch

die oÙenbar sparsame Verwendung des „senkrechten Strichs“ am Ende gewisser Wörter; er

kommt hier praktisch nur bei dem Wort {gwpÞý} vor, und zwar in den beiden Belegen in Zeile

2 und Zeile 3, während in Zeile 5 der senkrechte Strich fehlt. Auf die Besonderheit dieses

Duktus wird weiter unten nochmals kurz eingegangen.

Abb. 2

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310 Dieter Weber

8 In der Regel wird in den Pahlavi-Papyri und Pergamenten aus Ägypten gr. d- durch {d-} wiedergeben, vgl.{dyÒspwlys} für DiÒspolij. (P. 55, 6; s. Weber 1992, 159).

Im folgenden gebe ich den Versuch einer Lesung wieder, die sich auch auf die Aufzeichnungen

von Hansen stützt (s. Abb. 2, Hansens Nachzeichnung):

Transliteration:

1 tymws sÒmÒyk ZNH MRYÒ ÓL Òlksndlk[ysl

2 gwpÞý W Òlksndlkysl Òyšm LÒ ÓµDWN(t)[

3 b[y]thš ÓL tymws gwpÞý ÒYK yÞrs[

4 ]…[ ] ÒYK lwbÒn pÞš bwcwm ÓD mwl.[

5 ].k Ô ÒµL hwÞÒyk gwpÞ ÒYK[

6 ] . . ÒYK pÞý l..b... lÒd mhstk[

7 ].WNyÞý pÞý gytydy[

8 ].... ...WNyÞ .....[

Übersetzung: [1] *Timaios der Samier (?) diese Rede an Alexander, den Kaiser, [2] hielt. Und

den Kaiser Alexander ergriÙ nicht der Zorn. [3] Der bidaxš sagte zu *Timaios: … [4] …: die

Seele erlöse ich durch ihn (od. dadurch, od. daraus?) bis … [5] … Dann sagte der Herr: … [6]

… dass um der … willen der Mahistag(?) [7] … auf der Erde [8] …

Kommentar:

Abb. 3a: Zeile 1 Abb. 3b: Zeile 3

Zeile 1: {tymws} nach Hansen, Notizen, {tymÒws} (Abb. 3a und b). Die beiden Schreibungen

weichen oÙenbar voneinander ab und stimmen nicht ohne weiteres überein. Hansens

Lesung eines gr. *Tima‹oj bleibt rein tentativ. Eine andere Möglichkeit, worauf mich D.

Durkin-Meisterernst hinweist,wäre diejenige, dass es sich bei {tymws} bzw. {tymÒws} um

die Umschreibung von gr. dÁmoj ‚Land, Volk‘ handelt. Diese Deutung wäre auch

semantisch (in Verbindung mit dem folgenden wahrscheinlichen Adjektiv als Herkunfts-

bezeichnung) sehr ansprechend, wenn sich für die Wiedergabe eins gr. anlautenden d-

durch {t-} im Pahlavi weitere Parallelen Ÿnden würden.8

{sÒmÒyk}: Diese von Hansen vorgeschlagene Lesung darf als relativ sicher gelten. Von der

Bildung her handelt es sich um ein Adjektiv (möglicherweise substantiviert) mit dem SufŸx

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311Ein Pahlavi-Fragment des Alexanderromans aus Ägypten?

9 W. Sundermann, Mitteliranische manichäische Texte kirchengeschichtlichen Inhalts mit einem Appendix von

Nicholas Sims-Williams (Berliner Turfantexte, 11), Berlin 1981, 39 (Text) und 189.

-£g, das auch bevorzugt bei Ableitungen geographischer Namen verwendet wird, in der

erweiterten Form -¡y£g bei solchen aus Fremdsprachen, vgl. z.B. hrÚm¡y£g {-Òdyký} ‚Greek,

Byzantine, Roman‘ (CPD 44). Es könnte sich deshalb, wie auch der Hinweis Hansens auf

Terra Samia vermuten lässt, um die Insel Samos handeln. Auffallend wäre allerdings, dass

hier die Herkunftsbezeichnung ohne Iõ¡fe angeschlossen ist. Wenn diese Interpretation

stimmen sollte, könnte man in der Tat in dem Personennamen der 1. und 3. Zeile einen

griech. Namen vermuten. Allerdings ist ein Samier Timaios o. ä. aus der Alexander-Literatur

nicht bekannt.

{Òlksndlkysl} Hansen liest in beiden Fällen {kÒysl} k�sar mit Aleph, was schwerlich zu

veriŸzieren ist; besser vielleicht einfach ohne Aleph wie im Buch-Pahlavi, {kysl} ‚Caesar‘

(CPD 51). — Der Name „Alexander“ selbst ist mit -ks- geschrieben, wie auch in sogd.

nksyntr TM 393, Zeile 26, was als korrumpierte Form von *Òrlsyntr angesehen wird. Die

Schreibung mit -ks- spricht für eine direkte Übernahme aus dem Griechischen, genau so,

wie wir es auch bei den griech. Ortsnamen in Unterägypten beobachten können; vgl. den

Ortsnamen {ÒlksndÒlyÒ} P. 159, 3 = 'Alex£ndria, der insofern beachtenswert ist, als er

möglicherweise eine sekundäre Längung in {-dÒl-} zeigt. Eine andere Tradition des Namens

zeigt statt -ks- die Abfolge -xs- wie in man. mp. Òlxsyndrgyrd M 2 I R I 27, in der

sogd.Version rxsyntÒykyrÑ KG 395,9 oder in atürk. ÒÒlÒxsyntwrwz = Alaxsintoroz, auch (in

uighur. Schrift) ÒÒlÒxsÒntwrwz, wohingegen in syr.-türk. Grabinschriften aus Semire�ýe wieder

die Schreibung Òlksndrws belegt ist, worauf Peter Zieme hingewiesen hat.

Zeile 3: {b[y]thš} bidaxš ‚viceroy‘ (CPD 18). Es handelt sich letztlich um ein parth. Wort:

pd¾šÒ Titel Hatra 127 (Caquot 1964, 256), Nebenform bÞ¾šÒ Hatra 143, ~ gr. piti£xhj,

weitere mögliche Nebenform bdšÒ Hatra 188, 1 (Caquot 1964, 267, oder zu d¾š- [vgl.

Caquot 1964 ad. loc.]); vgl. bty¾škn Bit£xšak¡n (?) Patronymikon Nis¡.

{yÞls[} am Ende der Zeile nicht zu veriŸzieren.

Zeile 5: {hwÞÒyk} statt {hwÞÒk} (Hansen) s. Weber 2007, 187Ù.

Zeile 6: {pÞý l..b... lÒd} ist syntaktisch problematisch wegen der Annahme der Verwendung von

Prä- und Postposition.

{mhstk[} ist auch aus einem Berliner Papyrus bekannt: P. 159, 2–4 enthält eine Gruß-

adresse an einen D¡dÚhrmazd £ pad Alaksand¡ry¡ mahistag¡n mahistag; vgl. man.mp. mhystg

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312 Dieter Weber

10 Zu mahist(ag) bzw. parth. masišt(ag) als „Beehrungstitel“ vgl. J. Harmatta, Acta Antiqua Academiae

Scientiarum Hungaricae, 6 (1958), 133.

11 Vgl. Weber 1983, 222f., Tafel 25 (dort noch fälschlicherweise {PWN sty} gelesen).

‚Presbyter‘ (dritte Stufe der Hierarchie), könnte hier vielleicht so etwas wie einen ‚Führer,

Befehlshaber‘ bezeichnen.10

Zeile 7: {gytydy} besser statt {gyÞÒh}[ (so Hansen), vgl. {pÞý gytydy} in (Wien) P.Pehl. 577, 3.11

Es ist oÙensichtlich, dass es zwei Schlüsselwörter in diesem kurzen Text gibt: (1) {tymws} und

(2) {Òlksndlkysl}. Der erste, von Hansen als gr. *Tima‹oj gedeutete Name, veranlasste ihn, in

seinen Aufzeichnungen vom sog. „Timaios“-Fragment zu sprechen, während er später, als er

sich der Lesung Alexander sicher war, in einem handschriftlichen Zusatz zu seiner

maschinenschriftl. Liste der Wiener Papyri und Pergamente vom „Alexander“-Fragment sprach,

dies allerdings nur in seinem Handexemplar in seinem Nachlass, nicht jedoch in dem der

Österreichischen Nationalbibliothek (Papyrussammlung) übermittelten Exemplar, das Mitte

der 50er Jahre des letzten Jhs. in Wien eintraf. Während die Lesung des fraglichen *Tima‹oj

unsicher bleibt (s. oben), ist diejenige des Namens Alexander nicht zu beanstanden und führt

deshalb auch zu einer weitreichenden Schlussfolgerung, nämlich der, dass es sich hier um eine

Episode aus der Erzählung um Alexander handelt. Das wäre ein einmaliges Zeugnis, und zwar

in mehrfacher Hinsicht.

Einmal hätten wir hier aus dem Fundus von insgesamt über 1000 Zeugnissen von Pahlavi-

Papyri und Pergamenten das erste und gleichzeitig sichere Beispiel eines literarischen Textes

aus Ägypten. Dies ist um so bemerkenswerter, als bisher immer wieder behauptet werden

konnte, es gäbe ausschließlich nur ofŸzielle oder private Dokumente. Es gibt, das darf man

inzwischen mit Recht vermuten, noch eine weitere Ausnahme in der Wiener Sammlung, und

zwar das Pergament-Fragment P.Pehl. 346, wo es heißt (Tafel XIV, Abb. 4):

R 2 ]…… MN dlwnd Òhlmný

3 ]…… MNW III-III-III-C W III-III-III

Hier scheint es sich deutlich um einen Textausschnitt mit zoroastrischem Hintergrund zu

handeln; darauf deuten einmal die Erwähnung Ahremans (Zeile 2) sowie der Zahl 900 + (in

der Folgezeile), die Reminiszenzen an zoroastrische Zahlenspekulationen aufruft. Auch

Hansen hat dieses Stück in seinen Aufzeichnungen als literarisches Fragment bezeichnet. Es

wird hier herangezogen, weil es auch den erheblichen Unterschied im Duktus der Pahlavi-

Schrift zwischen beiden Fragmenten lebhaft vor Augen führt. Während P.Pehl. 346 den

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313Ein Pahlavi-Fragment des Alexanderromans aus Ägypten?

12 Ferner erscheint auf dem sehr schlecht erhaltenen Pergament-Fragment P.Pehl. 404 in derselben typischenBuch-Pahlavi-Schrift der Name von ×hrmazd. Es ist allerdings zweifelhaft, ob es sich hierbei ebenfalls um einliterarisches Zeugnis handelt, da der Name auch im anthroponymischen Bereich häuŸg vorkommt.

13 Der Terminus Alexanderroman (gegenüber Alexandersage) wurde entschieden von Nöldeke, Ausfeld u. a.vertreten (s. Fuchs 1907, 3 Anm. 1) und ist heute der allgemein übliche (vgl. auch engl. Romance of

Alexander).

14 Nöldeke 1890, 11–18.

15 S. Frye 1985 und Ciancaglini 2001.

16 Brief vom 6. August 2006.

typischen Charakter der zoroastrischen Texte repräsentiert,12 zeigt P.Pehl. 371 (das

„Alexander“-Fragment) eine gänzlich andere Schreibtradition, oÙenbar die einer „weltlichen“.

3. Der Alexanderroman13

Da, wie oben gezeigt wurde, die Lesung des Personennamens in den beiden Zeilen 1 und 3 in

keiner Weise als gr. *Tima‹oj gesichert werden kann, ist es im Augenblick noch nicht möglich,

die vorliegende Episode des Alexanderromans zu bestimmen. Wir dürfen allerdings festhalten,

dass mit diesem Fragment die alte Postulierung einer (frühen) Pahlavi-Version durch Theodor

Nöldeke in seinem berühmten Beitrag zum ersten Mal seine Bestätigung Ÿndet. Nöldeke

hatte aufgrund bestimmter Besonderheiten in der syrischen Version diese einer Übersetzung

aus dem Pahlavi zugeschrieben und damit ein Zwischenglied in der Überlieferung von Pseudo-

Kallisthenes (a) zur syrischen und weiteren Versionen aufgezeigt.14 Allerdings hat R.N. Frye

diese Annahme eines mittelpersischen Zwischenglieds in Frage gestellt; weitere Kritik an den

Überlegungen Nöldekes sind mit neuen Argumenten ist auch von Cl. Ciancaglini

vorgetragen worden,15 so dass die Annahme einer Übersetzung der syrischen Version aus einer

Pahlavi-Vorlage heute mehr denn je unsicher ist.

Die Szene selbst, die das Pahlavi-Fragment sehr unvollständig wiederzugeben scheint, ist,

wie mir J. Trumpf freundlicherweise mitteilt,16 in dieser Form in keiner griechischen Vorlage

nachzuweisen. Nach ihm gibt es nur eine Stelle, wo es heißt, „Alexander ward über dieses Wort

nicht zornig, …“, die im sog. „Gymnosophistengespräch“ III 6 p. 105 Kroll, p. 145, 10Ù.

Bergson, steht und seiner Meinung nach inhaltlich zu dem Pahlavi-Fragment nicht zu passen

scheint. Die Situation, die in unserem Fragment geschildert ist, könnte jedoch sehr wohl zu

einem „Gymnosophistengespräch“ gehören, dessen Tradition uns bislang allerdings noch nicht

erschließbar ist. Die Traditionen der verschiedenen Versionen in den Literaturen Europas und

des Vorderen Orients sind im Schema in Abb. 5 vereinfacht zusammengefasst. Es zeigt sich,

dass wir es im wesentlichen mit drei bzw. vier Überlieferungssträngen zu tun haben, die alle

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314 Dieter Weber

ihren Ursprung in Pseudo-Kallisthenes (a) haben. Von verschiedenen Autoren wird eine nicht

erhaltene Rezension *d postuliert, von der die syrische Version (und damit auch alle übrigen

orientalischen Versionen), aber auch die Übersetzung durch Leo von Neapel abzuleiten sind.

Bei diesen Autoren spielt die von Nöldeke angenommene mittelpersische Version keine Rolle.

Wenn aber eine mittelpersische Version im Sinne Nöldekes existiert haben sollte, könnte sie

das Zwischenglied zwischen der Rezension *d und den orientalischen Versionen sein; die

Vorlage für Leo von Neapel ist auf jeden Fall von *d abzuleiten. Das Schaubild in Abb. 6

versucht diesen Überlegungen Rechnung zu tragen.

Abb. 5

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315Ein Pahlavi-Fragment des Alexanderromans aus Ägypten?

Abb. 6

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316 Dieter Weber

Anhang

{ÒYK} k¥ (CPD)

P. 59, 5 P. 136, 7 P. 154, 2 P. 196, 4 P. 317, 7

P.Pehl. 126, 4 P.Pehl. 561, 6 P.Pehl. 570, 2 P.Pehl. 571 V 2

P.Pehl. 371, 5 P.Pehl. 373a, 2 Teheran A, 8 P.Pehl. 568, 9 P.Pehl. 562, 3

Dok. 11, 11 Dok. 13, 2 (?)

Dok. 27, 3:

{ÒYK-Þ} Dok. 27, 10 Khal. 129, 10

P. 44, 14

P.

44,

21

Dok. 30 a R 14 P. 19, 4 P. 138, 2

Istanbul 2 P. 74 V 5*

* Weber 1992, 179 (wo die Lesung {ZK} vorgezogen wurde) ist zu verbessern.

Page 11: Ein Pahlavi Fragment Des Alexanderromans

317Ein Pahlavi-Fragment des Alexanderromans aus Ägypten?

Literatur (Auswahl)

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Page 12: Ein Pahlavi Fragment Des Alexanderromans

318 Dieter Weber

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