Ein Pahlavi Fragment Des Alexanderromans
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1 Diese Gruppe von Fragmenten wurde publiziert in Weber 1983.
2 Ich danke den Verantwortlichen der Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien fürdie Erlaubnis zur VeröÙentlichung.
Ein Pahlavi-Fragment des Alexanderromans aus Ägypten?
Dieter Weber, Moringen
Im Herbst 2003 erhielt ich die Möglichkeit, auch durch Unterstützung unseres Jubilars,
diejenigen Teile des Nachlasses von Olaf Hansen (*11.4.1902 St. Petersburg, †10.1.1969
Kiel), die sich mit den Pahlavi-Papyri und Pergamenten aus Ägypten befassen, von dessen
GroßneÙen Andreas Hansen (Berlin) zu erwerben. Olaf Hansen ist bekannt als erster Heraus-
geber der Pahlavi-Papyri und Pergamente der Berliner Sammlung im Ägyptischen Museum,
die er im Jahre 1938 vorlegte. Es war vorgesehen, dass er auch die umfangreiche Wiener
Sammlung von über 600 Fragmenten herausgeben sollte. Zu diesem Zweck und zur
Restaurierung war fast die gesamte Sammlung von Wien nach Berlin geschickt worden, wo sie
seit 1936 Olaf Hansen zur Verfügung stand. Er fertigte umfangreiche Abschriften,
Zeichnungen, auch Ansätze zu Kommentaren an, vielfach in zeitlich unterschiedlichen
Versionen, die jedoch nie den Status einer Publikation erreichten, obwohl er deswegen mit den
Wiener Autoritäten bis Mitte der 50er Jahre in brieflichem Kontakt stand und auch eine
(allerdings unvollständige) Liste der zu veröÙentlichenden Stücke dorthin sandte. Die Wiener
Sammlung selbst galt nach Kriegsende 1945 als verschollen, lediglich etwa 30 Fragmente
fanden sich im damaligen Ost-Berlin wieder, die 1981 in einer eher spektakulären Geste durch
die DDR an Österreich zurückgegeben wurden.1 Im Jahre 1990 tauchten erste Gerüchte vom
Erhalt der Wiener Sammlung in der Eremitage in St. Petersburg auf, die sich in der Folgezeit
konkretisierten und bestätigten. Die Bemühungen von österreichischer Seite, die Rückgabe der
Sammlung zu erreichen, sind bis heute nicht von Erfolg gekrönt, obwohl sich in den letzten
Jahren zunehmend positive Zeichen bemerken lassen.2
Durch die Freundlichkeit von Herrn A. Nikitin (St. Petersburg) erhielt ich in den 90er
Jahren Photos von einer Reihe dieser Wiener Fragmente, von denen etliche keine Signatur
trugen, so dass sie, auch mit Hilfe der allerdings unvollständigen Hansenschen Liste nicht
identiŸziert werden konnten. Dazu gehörte auch das hier vorgestellte Stück aus dieser
Sammlung. Erst die Notizen zu der Wiener Papyrussammlung von O. Hansen machten es
308 Dieter Weber
3 An dieser Stelle darf ich auch Frau Chr. Reck für wertvolle bibliographische Hinweise danken.
4 Vgl. R. Altheim-Stiehl, Wurde Alexandreia im Juni 619 n.Chr. durch die Perser erobert? Bemerkungenzur zeitlichen Bestimmung der s¡s¡nidischen Besetzung Ägyptens unter Chosrau II. Parw�z. TYCHE 6 (1991),3–16; Dies., The Sasanians in Egypt – Some evidence of historical interest. Bulletin de la Société d’Archéologie
Copte [Le Caire], 31 (1992), 87–96; Dies., Zur zeitlichen Bestimmung der s¡s¡nidischen Eroberung Ägyptens.In: MOUSIKOS ANHR (Festschrift für Max Wegner zum 90. Geburtstag, hrsg. von O. Brehm und S. Klie),
nun möglich, das Stück als P.Pehl. 371 zu identiŸzieren, da Hansen darin eine kurze
Beschreibung des Stückes gibt, ferner eine für uns heute sehr wichtige Nachzeichnung, eine
provisorische Lesung und Übersetzung. Ich bin Herrn Andreas Hansen zu großem Dank
verp ichtet, dass er mir auf die o. g. Weise freien Zugang zu Olaf Hansens Material verschaÙt
hat. Es ist dies auch eine Möglichkeit, auf die Verdienste Hansens hinzuweisen, zumal es sehr
bedauerlich ist, dass er selbst seine wissenschaftlich äußerst wertvollen Erkenntnisse bezüglich
der Pahlavi-Papyri nach seiner Edition von 1938 nie publiziert hat.3
Bei dem fraglichen Stück (P.Pehl. 371, Tafel XIV, Abb. 1) handelt es sich um ein
Pergament-Fragment; die Höhe beträgt 18 cm, die Breite 15 cm, die Rückseite ist oÙenbar
nicht beschrieben; es Ÿnden sich bei Hansen keinerlei Bemerkungen zu einer möglichen
Beschriftung der Rückseite, auch liegt mir lediglich ein Photo der Vorderseite vor. Das
Fragment enhält 8 unvollständige Zeilen Pahlavi-Schrift; man darf allerdings davon ausgehen,
dass auf dem Fragment auf keinen Fall mehr als diese 8 Zeilen gestanden haben, da, soweit das
Pergament über der 1. und unter der 8. Zeile erhalten ist, dieses frei von Schriftzeichen ist,
zudem scheinen Reste des ursprünglichen unteren Randes erhalten zu sein. Der linke Rand ist
auf jeden Fall unvollständig, am rechten Rand könnten die ersten 3 Zeilen auch Zeilenanfänge
darstellen. Obwohl wir nicht genau wissen, ob die Rückseite beschrieben ist, kann man
annehmen, dass es sich hierbei um eine Seite aus einem Codex handeln könnte; ein einzelnes
Blatt scheint auf keinen Fall Sinn zu machen.
Das Stück ist schwer zu lesen. Das liegt nicht nur an dem hier verwendeten Duktus der
Pahlavi-Schrift, sondern auch an der Tatsache, dass das oÙenbar feine, relativ dünne
Pergament viele feine Faltungen aufweist, die zur Folge haben, dass manche Schriftzeichen sehr
eng aneinander rücken und somit einfache Verbindungen wie auch Ligaturen in vielen Fällen
nur undeutlich zu erkennen sind. Wir sind daher auch auf die o.g. Nachzeichnung von
Hansen angewiesen.
Grundsätzlich ist diese Schrift, die sich auch als typisch für Pergamente erweist, dem 6./7.
Jh. zuzuweisen. Da das Objekt oÙenbar in Ägypten gefunden wurde, bietet die sassanidische
Besetzung Ägyptens zwischen ca. 619 und 629 n.Chr. einen terminus ante quem für die
Entstehung unseres Textfragments.4 Es bedeutet aber nicht gleichzeitig, dass es in Ägypten
309Ein Pahlavi-Fragment des Alexanderromans aus Ägypten?
Bonn 1992, 5–8.
5 Vgl. D. Weber, Berliner Pahlavi-Dokumente. Zeugnisse spätsassanidischer Brief- und Rechtskultur ausfrühislamischer Zeit, mit Beiträgen von Myriam Krutzsch und Maria Macuch (IRANICA 15), Wiesbaden2008.
6 S. Weber 2003.
7 Vgl. vorläuŸg Weber 2007, weitere Ausführungen in D. Weber, The Development of the Pahlavi Script,Wiesbaden, in Vorbereitung.
geschrieben worden ist, dies kann ebenso gut an einem anderen Ort mit sassanidischer
Schrifttradition, also in Persien selbst, geschehen sein. Zum Vergleich sei hier auf ein weiteres
Stück aus der Wiener Sammlung verwiesen, nämlich P.Pehl. 373a, ein ofŸzielles Dokument
in der Form eines ay¡dg¡r ‚Memorandum‘,5 das im Jahre 2003 zusammen mit P.Pehl. 373,
ebenfalls ein ay¡dg¡r, publiziert worden ist.6
So passt sich z.B. auch die Schreibung von {ÒYK} k¥ (s. Zeile 4, erste Zeichengruppe,
besonders deutlich Zeile 5, letzte Zeichengruppe) gut in das Schema verschiedener
Schreibungen dieser Konjunktion in den Dokumenten aus Ägypten ein, andererseits hat sie
auch eine gewisse AfŸnität zu Beispielen aus Persien selbst (Übersicht im Anhang),7 wobei man
die eigentlich minimalen Unterschiede vielleicht verschiedenen Schreibschulen zuordnen muss,
die in Persien wie auch dann in Ägypten wirksam werden konnten. Bemerkenswert ist auch
die oÙenbar sparsame Verwendung des „senkrechten Strichs“ am Ende gewisser Wörter; er
kommt hier praktisch nur bei dem Wort {gwpÞý} vor, und zwar in den beiden Belegen in Zeile
2 und Zeile 3, während in Zeile 5 der senkrechte Strich fehlt. Auf die Besonderheit dieses
Duktus wird weiter unten nochmals kurz eingegangen.
Abb. 2
310 Dieter Weber
8 In der Regel wird in den Pahlavi-Papyri und Pergamenten aus Ägypten gr. d- durch {d-} wiedergeben, vgl.{dyÒspwlys} für DiÒspolij. (P. 55, 6; s. Weber 1992, 159).
Im folgenden gebe ich den Versuch einer Lesung wieder, die sich auch auf die Aufzeichnungen
von Hansen stützt (s. Abb. 2, Hansens Nachzeichnung):
Transliteration:
1 tymws sÒmÒyk ZNH MRYÒ ÓL Òlksndlk[ysl
2 gwpÞý W Òlksndlkysl Òyšm LÒ ÓµDWN(t)[
3 b[y]thš ÓL tymws gwpÞý ÒYK yÞrs[
4 ]…[ ] ÒYK lwbÒn pÞš bwcwm ÓD mwl.[
5 ].k Ô ÒµL hwÞÒyk gwpÞ ÒYK[
6 ] . . ÒYK pÞý l..b... lÒd mhstk[
7 ].WNyÞý pÞý gytydy[
8 ].... ...WNyÞ .....[
Übersetzung: [1] *Timaios der Samier (?) diese Rede an Alexander, den Kaiser, [2] hielt. Und
den Kaiser Alexander ergriÙ nicht der Zorn. [3] Der bidaxš sagte zu *Timaios: … [4] …: die
Seele erlöse ich durch ihn (od. dadurch, od. daraus?) bis … [5] … Dann sagte der Herr: … [6]
… dass um der … willen der Mahistag(?) [7] … auf der Erde [8] …
Kommentar:
Abb. 3a: Zeile 1 Abb. 3b: Zeile 3
Zeile 1: {tymws} nach Hansen, Notizen, {tymÒws} (Abb. 3a und b). Die beiden Schreibungen
weichen oÙenbar voneinander ab und stimmen nicht ohne weiteres überein. Hansens
Lesung eines gr. *Tima‹oj bleibt rein tentativ. Eine andere Möglichkeit, worauf mich D.
Durkin-Meisterernst hinweist,wäre diejenige, dass es sich bei {tymws} bzw. {tymÒws} um
die Umschreibung von gr. dÁmoj ‚Land, Volk‘ handelt. Diese Deutung wäre auch
semantisch (in Verbindung mit dem folgenden wahrscheinlichen Adjektiv als Herkunfts-
bezeichnung) sehr ansprechend, wenn sich für die Wiedergabe eins gr. anlautenden d-
durch {t-} im Pahlavi weitere Parallelen Ÿnden würden.8
{sÒmÒyk}: Diese von Hansen vorgeschlagene Lesung darf als relativ sicher gelten. Von der
Bildung her handelt es sich um ein Adjektiv (möglicherweise substantiviert) mit dem SufŸx
311Ein Pahlavi-Fragment des Alexanderromans aus Ägypten?
9 W. Sundermann, Mitteliranische manichäische Texte kirchengeschichtlichen Inhalts mit einem Appendix von
Nicholas Sims-Williams (Berliner Turfantexte, 11), Berlin 1981, 39 (Text) und 189.
-£g, das auch bevorzugt bei Ableitungen geographischer Namen verwendet wird, in der
erweiterten Form -¡y£g bei solchen aus Fremdsprachen, vgl. z.B. hrÚm¡y£g {-Òdyký} ‚Greek,
Byzantine, Roman‘ (CPD 44). Es könnte sich deshalb, wie auch der Hinweis Hansens auf
Terra Samia vermuten lässt, um die Insel Samos handeln. Auffallend wäre allerdings, dass
hier die Herkunftsbezeichnung ohne Iõ¡fe angeschlossen ist. Wenn diese Interpretation
stimmen sollte, könnte man in der Tat in dem Personennamen der 1. und 3. Zeile einen
griech. Namen vermuten. Allerdings ist ein Samier Timaios o. ä. aus der Alexander-Literatur
nicht bekannt.
{Òlksndlkysl} Hansen liest in beiden Fällen {kÒysl} k�sar mit Aleph, was schwerlich zu
veriŸzieren ist; besser vielleicht einfach ohne Aleph wie im Buch-Pahlavi, {kysl} ‚Caesar‘
(CPD 51). — Der Name „Alexander“ selbst ist mit -ks- geschrieben, wie auch in sogd.
nksyntr TM 393, Zeile 26, was als korrumpierte Form von *Òrlsyntr angesehen wird. Die
Schreibung mit -ks- spricht für eine direkte Übernahme aus dem Griechischen, genau so,
wie wir es auch bei den griech. Ortsnamen in Unterägypten beobachten können; vgl. den
Ortsnamen {ÒlksndÒlyÒ} P. 159, 3 = 'Alex£ndria, der insofern beachtenswert ist, als er
möglicherweise eine sekundäre Längung in {-dÒl-} zeigt. Eine andere Tradition des Namens
zeigt statt -ks- die Abfolge -xs- wie in man. mp. Òlxsyndrgyrd M 2 I R I 27, in der
sogd.Version rxsyntÒykyrÑ KG 395,9 oder in atürk. ÒÒlÒxsyntwrwz = Alaxsintoroz, auch (in
uighur. Schrift) ÒÒlÒxsÒntwrwz, wohingegen in syr.-türk. Grabinschriften aus Semire�ýe wieder
die Schreibung Òlksndrws belegt ist, worauf Peter Zieme hingewiesen hat.
Zeile 3: {b[y]thš} bidaxš ‚viceroy‘ (CPD 18). Es handelt sich letztlich um ein parth. Wort:
pd¾šÒ Titel Hatra 127 (Caquot 1964, 256), Nebenform bÞ¾šÒ Hatra 143, ~ gr. piti£xhj,
weitere mögliche Nebenform bdšÒ Hatra 188, 1 (Caquot 1964, 267, oder zu d¾š- [vgl.
Caquot 1964 ad. loc.]); vgl. bty¾škn Bit£xšak¡n (?) Patronymikon Nis¡.
{yÞls[} am Ende der Zeile nicht zu veriŸzieren.
Zeile 5: {hwÞÒyk} statt {hwÞÒk} (Hansen) s. Weber 2007, 187Ù.
Zeile 6: {pÞý l..b... lÒd} ist syntaktisch problematisch wegen der Annahme der Verwendung von
Prä- und Postposition.
{mhstk[} ist auch aus einem Berliner Papyrus bekannt: P. 159, 2–4 enthält eine Gruß-
adresse an einen D¡dÚhrmazd £ pad Alaksand¡ry¡ mahistag¡n mahistag; vgl. man.mp. mhystg
312 Dieter Weber
10 Zu mahist(ag) bzw. parth. masišt(ag) als „Beehrungstitel“ vgl. J. Harmatta, Acta Antiqua Academiae
Scientiarum Hungaricae, 6 (1958), 133.
11 Vgl. Weber 1983, 222f., Tafel 25 (dort noch fälschlicherweise {PWN sty} gelesen).
‚Presbyter‘ (dritte Stufe der Hierarchie), könnte hier vielleicht so etwas wie einen ‚Führer,
Befehlshaber‘ bezeichnen.10
Zeile 7: {gytydy} besser statt {gyÞÒh}[ (so Hansen), vgl. {pÞý gytydy} in (Wien) P.Pehl. 577, 3.11
Es ist oÙensichtlich, dass es zwei Schlüsselwörter in diesem kurzen Text gibt: (1) {tymws} und
(2) {Òlksndlkysl}. Der erste, von Hansen als gr. *Tima‹oj gedeutete Name, veranlasste ihn, in
seinen Aufzeichnungen vom sog. „Timaios“-Fragment zu sprechen, während er später, als er
sich der Lesung Alexander sicher war, in einem handschriftlichen Zusatz zu seiner
maschinenschriftl. Liste der Wiener Papyri und Pergamente vom „Alexander“-Fragment sprach,
dies allerdings nur in seinem Handexemplar in seinem Nachlass, nicht jedoch in dem der
Österreichischen Nationalbibliothek (Papyrussammlung) übermittelten Exemplar, das Mitte
der 50er Jahre des letzten Jhs. in Wien eintraf. Während die Lesung des fraglichen *Tima‹oj
unsicher bleibt (s. oben), ist diejenige des Namens Alexander nicht zu beanstanden und führt
deshalb auch zu einer weitreichenden Schlussfolgerung, nämlich der, dass es sich hier um eine
Episode aus der Erzählung um Alexander handelt. Das wäre ein einmaliges Zeugnis, und zwar
in mehrfacher Hinsicht.
Einmal hätten wir hier aus dem Fundus von insgesamt über 1000 Zeugnissen von Pahlavi-
Papyri und Pergamenten das erste und gleichzeitig sichere Beispiel eines literarischen Textes
aus Ägypten. Dies ist um so bemerkenswerter, als bisher immer wieder behauptet werden
konnte, es gäbe ausschließlich nur ofŸzielle oder private Dokumente. Es gibt, das darf man
inzwischen mit Recht vermuten, noch eine weitere Ausnahme in der Wiener Sammlung, und
zwar das Pergament-Fragment P.Pehl. 346, wo es heißt (Tafel XIV, Abb. 4):
R 2 ]…… MN dlwnd Òhlmný
3 ]…… MNW III-III-III-C W III-III-III
Hier scheint es sich deutlich um einen Textausschnitt mit zoroastrischem Hintergrund zu
handeln; darauf deuten einmal die Erwähnung Ahremans (Zeile 2) sowie der Zahl 900 + (in
der Folgezeile), die Reminiszenzen an zoroastrische Zahlenspekulationen aufruft. Auch
Hansen hat dieses Stück in seinen Aufzeichnungen als literarisches Fragment bezeichnet. Es
wird hier herangezogen, weil es auch den erheblichen Unterschied im Duktus der Pahlavi-
Schrift zwischen beiden Fragmenten lebhaft vor Augen führt. Während P.Pehl. 346 den
313Ein Pahlavi-Fragment des Alexanderromans aus Ägypten?
12 Ferner erscheint auf dem sehr schlecht erhaltenen Pergament-Fragment P.Pehl. 404 in derselben typischenBuch-Pahlavi-Schrift der Name von ×hrmazd. Es ist allerdings zweifelhaft, ob es sich hierbei ebenfalls um einliterarisches Zeugnis handelt, da der Name auch im anthroponymischen Bereich häuŸg vorkommt.
13 Der Terminus Alexanderroman (gegenüber Alexandersage) wurde entschieden von Nöldeke, Ausfeld u. a.vertreten (s. Fuchs 1907, 3 Anm. 1) und ist heute der allgemein übliche (vgl. auch engl. Romance of
Alexander).
14 Nöldeke 1890, 11–18.
15 S. Frye 1985 und Ciancaglini 2001.
16 Brief vom 6. August 2006.
typischen Charakter der zoroastrischen Texte repräsentiert,12 zeigt P.Pehl. 371 (das
„Alexander“-Fragment) eine gänzlich andere Schreibtradition, oÙenbar die einer „weltlichen“.
3. Der Alexanderroman13
Da, wie oben gezeigt wurde, die Lesung des Personennamens in den beiden Zeilen 1 und 3 in
keiner Weise als gr. *Tima‹oj gesichert werden kann, ist es im Augenblick noch nicht möglich,
die vorliegende Episode des Alexanderromans zu bestimmen. Wir dürfen allerdings festhalten,
dass mit diesem Fragment die alte Postulierung einer (frühen) Pahlavi-Version durch Theodor
Nöldeke in seinem berühmten Beitrag zum ersten Mal seine Bestätigung Ÿndet. Nöldeke
hatte aufgrund bestimmter Besonderheiten in der syrischen Version diese einer Übersetzung
aus dem Pahlavi zugeschrieben und damit ein Zwischenglied in der Überlieferung von Pseudo-
Kallisthenes (a) zur syrischen und weiteren Versionen aufgezeigt.14 Allerdings hat R.N. Frye
diese Annahme eines mittelpersischen Zwischenglieds in Frage gestellt; weitere Kritik an den
Überlegungen Nöldekes sind mit neuen Argumenten ist auch von Cl. Ciancaglini
vorgetragen worden,15 so dass die Annahme einer Übersetzung der syrischen Version aus einer
Pahlavi-Vorlage heute mehr denn je unsicher ist.
Die Szene selbst, die das Pahlavi-Fragment sehr unvollständig wiederzugeben scheint, ist,
wie mir J. Trumpf freundlicherweise mitteilt,16 in dieser Form in keiner griechischen Vorlage
nachzuweisen. Nach ihm gibt es nur eine Stelle, wo es heißt, „Alexander ward über dieses Wort
nicht zornig, …“, die im sog. „Gymnosophistengespräch“ III 6 p. 105 Kroll, p. 145, 10Ù.
Bergson, steht und seiner Meinung nach inhaltlich zu dem Pahlavi-Fragment nicht zu passen
scheint. Die Situation, die in unserem Fragment geschildert ist, könnte jedoch sehr wohl zu
einem „Gymnosophistengespräch“ gehören, dessen Tradition uns bislang allerdings noch nicht
erschließbar ist. Die Traditionen der verschiedenen Versionen in den Literaturen Europas und
des Vorderen Orients sind im Schema in Abb. 5 vereinfacht zusammengefasst. Es zeigt sich,
dass wir es im wesentlichen mit drei bzw. vier Überlieferungssträngen zu tun haben, die alle
314 Dieter Weber
ihren Ursprung in Pseudo-Kallisthenes (a) haben. Von verschiedenen Autoren wird eine nicht
erhaltene Rezension *d postuliert, von der die syrische Version (und damit auch alle übrigen
orientalischen Versionen), aber auch die Übersetzung durch Leo von Neapel abzuleiten sind.
Bei diesen Autoren spielt die von Nöldeke angenommene mittelpersische Version keine Rolle.
Wenn aber eine mittelpersische Version im Sinne Nöldekes existiert haben sollte, könnte sie
das Zwischenglied zwischen der Rezension *d und den orientalischen Versionen sein; die
Vorlage für Leo von Neapel ist auf jeden Fall von *d abzuleiten. Das Schaubild in Abb. 6
versucht diesen Überlegungen Rechnung zu tragen.
Abb. 5
315Ein Pahlavi-Fragment des Alexanderromans aus Ägypten?
Abb. 6
316 Dieter Weber
Anhang
{ÒYK} k¥ (CPD)
P. 59, 5 P. 136, 7 P. 154, 2 P. 196, 4 P. 317, 7
P.Pehl. 126, 4 P.Pehl. 561, 6 P.Pehl. 570, 2 P.Pehl. 571 V 2
P.Pehl. 371, 5 P.Pehl. 373a, 2 Teheran A, 8 P.Pehl. 568, 9 P.Pehl. 562, 3
Dok. 11, 11 Dok. 13, 2 (?)
Dok. 27, 3:
{ÒYK-Þ} Dok. 27, 10 Khal. 129, 10
P. 44, 14
P.
44,
21
Dok. 30 a R 14 P. 19, 4 P. 138, 2
Istanbul 2 P. 74 V 5*
* Weber 1992, 179 (wo die Lesung {ZK} vorgezogen wurde) ist zu verbessern.
317Ein Pahlavi-Fragment des Alexanderromans aus Ägypten?
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