Ein synthetisches Kaffeearoma

14

Click here to load reader

Transcript of Ein synthetisches Kaffeearoma

Page 1: Ein synthetisches Kaffeearoma

ter Bohnenkaffe (im Gegensatz zu Zichorienkaffee) einenangenehmen Duft verbreitet. Der Erfolg solcher Maßnah-men war allerdings nur mäßig.

Letztendlich war es in der Tat der Preis des Bohnen-kaffees sowie die Auswirkungen der von Napoleon 1806–1814 verhängten „Kontinentalsperre“, die zur weiten Ver-breitung von diversen Ersatzkaffees führten. Dabei kam esvorrangig auf deren Farbe an, kaum auf Geruch und Ge-schmack der Surrogate. In Norddeutschland setzte sich derbitter schmeckende Zichorienkaffee, gewonnen aus denWurzeln einer Wegwartensorte, durch; in Süddeutschlanddominierte der aus Gerstenmalz hergestellte Malzkaffee undin Österreich der Feigenkaffee. Während des 19. Jahrhun-derts etablierte sich der Genuss von Bohnen- und/oder Er-satzkaffe in allen Schichten der Bevölkerung. Mit Beginndes Ersten Weltkriegs gab es bald praktisch keinen Boh-

nenkaffee mehr und gegen Kriegs-ende wurde auch die Versorgungder Menschen mit Surrogatkaffeeszu einem echten Problem, da mandas Getreide für die Ernährung be-nötigte und Zichorien Anbauflä-chen blockierten, die auch zurNahrungsmittelerzeugung genutztwerden konnten. Andererseitsfürchtete man um die Moral so-wohl der Truppen wie der Zivilis-ten, sollte auch der „Muckefuck“nicht mehr geliefert werden kön-nen [3].

Zwar hatte Friedlieb FerdinandRunge (1794–1867) bereits 1820das Coffein als das erregendeWirkprinzip des Kaffees erkanntund isoliert [4], aber es gab zu-nächst keinerlei Möglichkeit, die-sen Stoff synthetisch herzustellen.Das chemisch als 1,3,7-Trimethyl-xanthin bezeichnete Molekül wur-de erst 1895 von Emil Fischer(1852–1919, Nobelpreis für Che-mie 1902) synthetisch hergestellt,eine technische Synthese in grö-ßerem Maßstab kam erst im frü-hen 20. Jahrhundert in Betracht.Man diskutierte während des Ers-

Tees kannte man in Europa schon lange vor der Einfüh-rung des Schwarzen und Grünen Tees, aber nur zu me-

dizinischen Zwecken in Form vonKräuteraufgüssen. Der Kaffee da-gegen war etwas bis dato Unge-kanntes; sein Geschmack, sein Ge-ruch, sein Aussehen und seineWirkung waren neu und überra-schend. Während es viele qualita-tiv schlechte, aber billige Tees gab,die ebenso coffeinhaltig warenwie bessere und teurere Sorten,war die Situation beim Kaffee an-ders. „Echter“ Kaffee, also Boh-nenkaffee, war teuer und musstegegen Devisen importiert werden.Es ist daher kein Wunder, dassschon gegen Ende des 18. und be-sonders im 19. Jahrhundert vieleVersuche unternommen wurden,echten Kaffee durch einheimischeProdukte wie Zichorienkaffee zuersetzen. Um deren Absatz zu ver-bessern, erhob man besonders inPreußen hohe Einfuhrzölle aufBohnenkaffee, was naturgemäß zueinem blühenden Schmuggel führ-te. Um diesen zu unterbinden,setzte König Friedrich II. eigensgeschulte „Kaffeeschnüffler“ ein.Man machte sich dabei den Um-stand zunutze, dass frisch gebrüh-

22 © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2014, 48, 22 – 35

Von Coffarom zu Nescafé

Ein synthetisches Kaffeearoma CLAUS PRIESNER

DOI: 10.1002/ciuz.201400625www.chiuz.de

1922 initiierte Hermann Staudinger zusammen mit seinemSchüler Tadeusz Reichstein die Isolierung des Aromas vonBohnenkaffe und die Synthese eines künstlichen, als „Coffa-rom“ bezeichneten, Ersatzaromas. Zehn Jahre später wurdendie Arbeiten beendet, ohne dass ein dem natürlichen Kaffee -aroma annähernd gleichwertiges künstliches Aroma gefun-den werden konnte. Anstelle des „Coffaroms“ eroberte dervon Max Morgenthaler bei der Firma Nestlé erfundene „Nescafé“ den Weltmarkt.

Page 2: Ein synthetisches Kaffeearoma

ten Weltkrieges auch die Anregung Fischers, Ersatzkaffeemit Coffein zu versetzen, verzichtete aber aus organisatori-schen und wirtschaftlichen Erwägungen auf coffeinhaltigeSurrogate.

Natürliches und synthetisches KaffeearomaDie beschriebene Entwicklung hatte zu einer Reihe von Er-satzkaffeesorten geführt, die zwar ähnlich aussahen wieBohnenkaffee, aber weder rochen noch schmeckten wieechter Kaffee. 1891 erfand der bei der Malzkaffeefirma „Ka-threiner“ (Abbildung 1) tätige Lebensmittelchemiker Hein-rich Trillich eine Methode, den Malzkaffee mit einem cof-feinfreien Bohnenkaffee-Extrakt zu verfeinern [5]. DieserKaffee wurde zu einem Kassenschlager und der damals ander ETH Zürich lehrende Chemiker Hermann Staudinger(1881–1965) entwickelte die Idee, den echten Bohnenkaf-fee durch einen Surrogatkaffee zu ersetzen, der auf einerTrägersubstanz, etwa Malzkaffee, ein dem natürlichen Aro-ma des Bohnenkaffees nachgebildetes synthetisches Aromatragen sollte.

Die Initiative Staudingers entstand im Rahmen seinerBemühungen, synthetische Ersatzstoffe für natürliche Ma-terialien zu entwickeln, die während des Ersten Weltkrie-ges aufgrund der britischen Seeblockade im DeutschenReich nicht verfügbar waren und zu teilweise gravierendenVersorgungsproblemen führten. Bekannte Beispiele für vorund während des Krieges entwickelte Pro-zesse sind das Haber-Bosch-Verfahren zurHerstellung von Ammoniak aus Luftstick-stoff und die Herstellung von Methyl-kautschuk. Staudinger hatte schon 1910eine Isoprensynthese erfunden, die vonder BASF industriell bei der Herstellungvon synthetischem Kautschuk genutztwurde. Er entwickelte auch ein syntheti-sches Insektizid als Ersatz für die in Chry-santhemen enthaltenen natürlichen In-sektizide (Pyrethrine) und einen Ersatz-stoff für Pfeffer [6].

Der Amerikaner L. D. Gale hatte be-reits 1865 ein Verfahren zur Extraktionder Aromastoffe des Kaffees entwickeltund diesen Extrakt auf Zucker als Träger-substanz aufgetragen [7]. Es ist nicht be-kannt, ob Staudinger von diesen Arbeitenwusste. Der Weg erschien jedenfalls vor-gezeichnet: Zunächst musste man das Aro-ma des Bohnenkaffees analysieren und esdann soweit möglich aus synthetisch ge-wonnenen Molekülen nachbilden. DasProblem erschien anfänglich relativ leichtlösbar, hatte doch Staudinger mit seinenForschungen über einen synthetischenPfeffer-Ersatz im Jahr 1916 schon Erfah-rungen auf diesem Gebiet gesammelt [8].Auch die Synthese des Vanille-Aromas hat-

te sich als relativ unproblematisch erwiesen [9]. In beidenFällen musste eine einzige Substanz chemisch charakteri-siert und dann synthetisch hergestellt werden. Wie sich zei-

gen sollte, waren die Gegebenheiten beimKaffeearoma ungleich komplexer.

Staudinger betraute seinen Schüler Ta-deusz Reichstein mit dieser Aufgabe. DieArbeiten erfolgten nicht im Rahmen übli-cher universitärer Forschung, sondern alsein von der Nahrungsmittelindustrie fi-nanziertes kommerzielles Projekt. Geld-geber war die 1913 aus den beiden be-deutendsten europäischen Ersatzkaffee-herstellern, den Firmen „Heinrich Franck’sSöhne“ (Abbildung 2) und den „Kathrei -ner Malzkaffee Fabriken“ gebildete „Inter -nationale Nahrungs- und Genußmittel AG“(INGA) in Schaffhausen, zu der 32 Fabri-ken und Beteiligungen gehörten und de-ren Aktienkapital 60 Millionen Frankenbetrug [10].

Die Suche nach einem künstlichenKaffeearoma wurde ohne staatliche För-derung betrieben. Dies belegt, dass es sichdabei nicht um einen politisch oder mili-tärisch wichtigen Ersatzstoff handelte,während den diversen Ersatzkaffees einesolche Bedeutung durchaus zukam. Vordem Hintergrund seiner sonstigen For-schungen auf diesem Gebiet wird aber be-sonders Hermann Staudinger wohl auchvon der Bedeutung dieser Arbeiten imRahmen der generellen staatlichen Autar-

Chem. Unserer Zeit, 2014, 48, 22 – 35 © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 23

A RO M A S TO F F E K A F F E E A R O M Awww.chiuz.de

B R U T S T Ä T T E N D E R S YS T E M F E I N D E

Zusammen mit der Verbreitung der Heißgetränke Tee und Kaffee in breiten Bevölke-rungskreisen während des 18. und 19. Jahrhunderts änderten sich in Mitteleuropanicht nur die Konsumgewohnheiten, sondern auch die politisch-gesellschaftlichen Ver-hältnisse, die schließlich zum Aufstieg des Bürgertums zur politisch, kulturell und wirt-schaftlich bestimmenden Schicht führten. Kaffee und Tee ersetzten nach und nachnicht nur die bis dahin üblichen Suppen als Frühstückskost, sondern wurden auchtagsüber und oft in eigens dafür bestimmten Tee- und Kaffeehäusern oder am Arbeits-platz genossen. Der Typus des Erfrischungsgetränks, das nicht nur den Durst löschte,sondern auch anregend und leistungssteigernd wirkte, war bis dahin unbekannt. Dievorher üblichen Getränke, Wasser, Bier oder Wein, hatten keine vergleichbare Wir-kung, da sie, anders als Tee und Kaffee, kein Coffein enthalten. Dessen wachmachendeund ernüchternde Wirkung war in der Epoche der Industriellen Revolution sehr er-wünscht, da damit die Arbeitskraft der Menschen besser genutzt werden konnte. Auchpasste die relativ einfache Zubereitungsweise gut zu einer von den Erfordernissen desFabrik- oder Büroalltags bestimmten Tageseinteilung [1]. Allerdings befürchtete diepolitisch noch herrschende Adelselite nicht zu Unrecht, dass die Kaffee- und Teehäuserzu Brutstätten einer systemsprengenden bürgerlichen Klasse werden könnten, die aufwirtschaftlichem Sektor ohnehin bereits tonangebend war. Dies führte zu Bestrebun-gen, diese Einrichtungen zu kontrollieren und ihre Verbreitung wenn möglich zu behin-dern [2].

Abb. 1 Malz -kaffee der Firma„Kathreiner“.

Page 3: Ein synthetisches Kaffeearoma

kiebestrebungen überzeugt gewesen sein. Die Geschichteder Kaffeearomaforschung ist aber nicht nur als Beispiel fürdie enge Verbindung von universitärer Grundlagenfor-schung und industrieller Förderung unter wirtschaftlichenAspekten ein lohnender Untersuchungsgegenstand, son-dern mehr noch aus chemiehistorischer Sicht, denn hierwurden die jeweils fortgeschrittensten Verfahren eingesetzt.Bei Reichstein und Staudinger waren das diffizile fraktio-nierte Destillationen im Vakuum oder Hochvakuum undStrukturbestimmungen mittels Mikroreaktionen, bei denenhöchste Präzision gefordert war. Heute nutzt man GC-MS-Kopplungsverfahren, die zwar sehr teure Geräte erfordern,aber viel weniger chemische Kenntnisse und laborprakti-sches Geschick verlangen.

Ehe die Forschungen von Staudinger bzw. Reichsteinnäher behandelt werden, seien einige Bemerkungen zumSprachgebrauch vorausgeschickt. Zunächst ist festzustellen,dass es „das“ Kaffeearoma nicht gibt. Vielmehr existierensehr viele ähnliche, aber doch unterschiedliche Aromen,abhängig von der Kaffeesorte, der Röstung, der Verarbei-tung und der Bereitung des Kaffees. Das Aroma liegt nichtfertig in der Kaffeebohne vor, sondern entsteht in chemischhöchst komplizierter Weise während der einzelnen Bear-beitungsschritte der rohen Bohne. Reichstein und Staudin-ger wollten daher eine Art „Standardaroma“ synthetisch her-stellen, das dem natürlichen weitgehend entspricht.

Unter „Aroma“ verstehe ich in diesem Beitrag die ge-samte Komposition von Geruchs- und Geschmacksstoffen.Erstere sind oft, aber nicht immer, leichtflüchtig, letztere inder Regel schwerflüchtig. Man beachte, dass auch ein rela-tiv hochsiedender Stoff (etwa Campher mit einem Schmelz-punkt von 177 oC) einen intensiven Geruch haben kann.Maßgebend ist das Zustandsdiagramm [11] einer Substanz;es gibt keine lineare Beziehung zwischen Geruchsintensi-tät und Siedepunkt.

Ein Aroma braucht eine Trägersubstanz, also einen ge-ruchlich und geschmacklich indifferenten Körper, der dieAromastoffe aufnimmt und verdünnt. Konzentrierte Aro-mastoffe riechen und/oder schmecken meist unerträglichund entfalten ihre angenehme Wirkungerst in mehr oder minder starker Verdün-nung. Eine geeignete Trägersubstanz istnicht leicht zu finden, da sie möglichst kei-nen besonderen Eigengeschmack habenund zudem als Konservierungsmittel die-nen, also das Aroma möglichst lange un-verfälscht erhalten können soll. In vielenSpeisen bilden Fette die Geschmacks- bzw.Aromaträger und auch Reichstein und dieFirma Haarmann und Reimer gingen da-von aus, dass das Kaffeearoma hauptsäch-lich von im gerösteten Kaffee enthaltenenFetten oder Proteinen fixiert werde, wasdie Forschungen in eine falsche Richtungführte [12]. Geeignet sind dagegen diver-se Kohlenhydrate. Diese Erkenntnis be-

deutete den Durchbruch für den 1936 erfundenen „Nesca-fé“.

Der Chemiker Tadeusz ReichsteinTadeusz Reichstein spielt bei der Erforschung des Kaffee -aromas eine Hauptrolle. Er kam 1897 in Wloclawek zurWelt, einem Teil Polens, der damals zu Russland gehörte.Sein Vater Isidor war ein Chemie-Ingenieur, der kurz nachder Geburt seines Sohnes nach Kiew in der Ukraine über-siedelte und dort ein florierendes Unternehmen als Beratervon Zuckerfabriken aufbaute. Nach erschreckenden Po-gromen verließ die jüdische Familie 1906 das Land und sie-delte in die Schweiz über. Tadeusz Reichstein verbrachte einJahr in einem deutschen Internat, wo er zahlreichen Schi-kanen ausgesetzt war. 1907 gelangte er nach Zürich zu sei-ner Familie und erhielt zusammen mit seinen vier Brüdern1914 die Schweizer Staatsbürgerschaft. Nach der Reifeprü-fung studierte Reichstein 1916–1920 an der ETH ZürichChemie. Seine Doktorarbeit [13] schrieb er unter Anleitungvon Hermann Staudinger (1881–1965).

Nach der Promotion 1922 begann Reichstein mit der Er-forschung des Kaffeearomas. Diese Arbeiten erstrecktensich bis Ende 1931. Wesentliche Impulse für die labor-praktische Arbeit gewann Reichstein dabei durch LeopoldRuzicka (1887–1976), einem weiteren Schüler Staudingers,mit dem er während seiner Dissertation ein Labor an derETH geteilt hatte. Ebenfalls von Wichtigkeit war für Reich -steins Forschung die Zusammenarbeit mit dem Feinme-chaniker Joseph v. Euw, der für ihn viele Apparate kon-struierte und baute. Da es sich bei dem Projekt um Indus-trieforschung handelte, durfte Reichstein seine Ergebnissenicht in wissenschaftlichen Fachzeitschriften publizieren.Daher sind wir über die benutzten Methoden und die er-zielten Ergebnisse hauptsächlich durch Patentschriften so-wie Archivalien informiert, die dem Archiv der Firma Haar-mann & Reimer entstammen.

Das künstliche Kaffeearoma sollte die Bezeichnung„Coffarom“ tragen [14]. Schon vor Abschluss der Kaffee-Untersuchungen wurde Reichstein 1930 Assistent von Ru-

zicka an der ETH, wo er sich schon 1929für das Fach Organische Chemie habilitierthatte [15]. 1938 wurde Reichstein auf denLehrstuhl für Pharmazeutische Chemie ander Universität Basel berufen, 1946 wurdeer dort Ordinarius für Organische Chemie.1960 gab er die Leitung des Instituts abund konzentrierte sich bis zu seiner Eme-ritierung 1967 ganz auf seine vielfältigenForschungsarbeiten. Er starb 1996 in Ba-sel.

1933 gelang Reichstein die erste To-talsynthese von Vitamin C (L-Ascorbinsäu-re), die auch technisch umgesetzt wurde.Die selektive Oxidation einer Hydroxyl-gruppe des als Zwischenprodukt auftre-tenden Zuckers D-Sorbit zu L-Sorbose mit-

24 © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2014, 48, 22 – 35

A RO M A S TO F F E K A F F E E A R O M Awww.chiuz.de

Abb. 2 Die Firma„HeinrichFranck’s Söhne“war neben den„KathreinerMalzkaffee Fabri-ken“ Geldgeberfür die Suchenach dem künst -lichen Kaffeearo-ma Coffarom.

Page 4: Ein synthetisches Kaffeearoma

tels Acetobacter suboxydans war eine der ersten bioche-mischen Reaktionen, die industriell genutzt wurden. 1932begann Reichstein auch mit der Untersuchung der Hormo-ne der Nebenierenrinde (Corticosteroide), von denen er 29isolieren und strukturell bestimmen konnte. Für diese Ar-beiten wurde ihm 1950 der Nobelpreis für Medizin verlie-hen, den er sich mit seinem Kollegen Ruzicka teilte [16].

Die Isolierung des Aromas von BohnenkaffeeDas Deutsche Reichspatent (DRP) Nr. 457 266, erteilt am24. Januar 1925 und ausgestellt auf die INGA, nennt als Er-finder „Dr. Hermann Staudinger in Zürich“. Obwohl davonauszugehen ist, dass Reichstein die wesentlichen Arbeitendurchgeführt hat, wird er nicht als Erfinder oder zumindestMiterfinder genannt. Staudinger war offenbar der Meinung,dass er als Initiator und ehemaliger Doktorvater von Reich -stein auch die alleinige Urheberschaft an diesem Patent be-anspruchen dürfe.

Das Patent trägt den Titel „Verfahren zur Gewinnung derAromastoffe aus geröstetem Kaffee“. Als bekannt wird an-gegeben, dass bislang schon Aromastoffe des Bohnenkaf-fees durch Erhitzen des gerösteten Kaffees imVakuum und Auffangen des Destillats in einerauf –20 oC gekühlten Vorlage gewonnen wer-den können. „Eine Notwendigkeit, bessereKühlmittel anzuwenden, lag nach den frühe-ren Erfahrungen über die Natur des Kaffee -aromas nicht vor, denn man hielt den für das Kaffeearomawesentlichen Riechstoff für relativ schwerflüchtig.“ [17]Entsprechende Untersuchungen hätten nun ergeben, dassdiese Auffassung falsch sei: „Das Kaffeearoma ist nicht ein-heitlich, sondern ein Gemisch, von dem wesentliche Be-standteile, z. B. aliphatische o-Diketone, wie das Diacetyl[18], aliphatische Aldehyde, wie Acetaldehyd und Methyl-äthylacetadehyd, weiter Merkaptane, wie das Methylmer-kaptan, viel leichter flüchtig sind, als daß sie nach der frü-heren Arbeitsweise hätten gewonnen werden können.“Man müsse demnach die Destillationsvorlage weitaus stär-ker, bis auf –180 oC abkühlen (Kühlung mit flüssigem Stick-stoff), um alle entweichenden Substanzen zu erhalten. Zu-dem könne man mehrere unterschiedlich stark gekühlteVorlagen anlegen und so mehrere Fraktionen erhalten.„Durch Zusammenmischen sämtlicher Kondensate kanndann ein Produkt gewonnen werden, das völlig dem Kaf-feearoma gleicht, da es alle Bestandteile desselben enthält.“Bei einem Druck von 2–5 mm genüge ein Erhitzen auf 100–110 oC, um die Aromastoffe abzudestillieren. Die Weiter-behandlung erfolge durch Lösen der unterschiedlichenFraktionen in geeigneten organischen Lösungsmitteln bzw.durch Aufnahme in Fetten oder Ölen. Unerwünschte Bei-mengungen (z. B. Essigsäure) ließen sich durch Schüttelnmit Wasser oder Carbonatlösungen entfernen. Sinnvoll seiauch eine zweite Vakuumdestillation des Gesamtgemischsmit Wasser oder unter Durchleiten von Wasserdampf. DasGesamtgemisch stellt „ein gelbliches bis braun gefärbtes Öldar, das sehr intensiv nach geröstetem Kaffee riecht.“ Eine

konkrete Vorschrift ist im Patent ebenfalls enthalten. Esheißt hier:

„In einem mit einem Rührwerk versehenen zylindri-schen Vakuumkessel, der derart elektrisch erhitzt werdenkann, daß die Innentemperatur bis auf 5° genau zu re-geln ist, werden 80–100 kg gemahlener, gerösteter Kaffeehineingebracht. Dann werden einige Kühlvorlagen vor-geschaltet, deren erste auf 0°, eine oder weitere auf –20°,schließlich weitere (z. B. mit flüssiger Luft) auf –80° bis –180° abgekühlt werden. Der Apparat wird dann mit ei-ner Hochvakuumpumpe evakuiert und die Heizung ein-geschaltet. Bei etwa 60–80° destilliert bei einem Vakuumvon 20 mm der Hauptteil des Wassers und ein großer Teilder Aromastoffe über, die in den Kühlvorlagen konden-siert werden. Nachdem die Hauptdestillation beendet ist,wird auf 100–105° erhitzt. Das Vakuum erhöht sichschließlich auf 2–3 mm. Die Gesamtdestillation dauert inder Regel 7 bis 8 Stunden. Während des ganzen Prozesseswird das Kaffeepulver durch das Rührwerk, das mit ei-ner Stopfbüchse gut abgedichtet sein muß, ab und zudurchgerührt.“

Die Ansatzgröße macht deutlich, dass essich um ein halbtechnisches Verfahren handelt.Angaben zur Menge des erhaltenen Aromaswerden nicht gemacht. Innovativ an diesemVerfahren ist nicht die fraktionierte Vakuum-destillation oder die Nutzung von flüssiger Luft

als Kühlmittel, sondern die Anwendung von beidem aufKaffeepulver. Das Verfahren zur Extraktion des Gesamtaro-mas war zwar für die 1920er Jahre labortechnisch an-spruchsvoll, aber durchaus beherrschbar.

Die eigentliche Schwierigkeit wird hier gar nicht er-wähnt, da sie nicht Gegenstand des Patents ist, nämlich dieIsolierung einzelner Komponenten des Gemischs und de-ren chemische Charakterisierung. Hier ging Reichstein andie Grenzen des damals Möglichen, denn zur Trennung derBestandteile stand lediglich die fraktionierte Destillation zurVerfügung (der erste Gaschromatograph wurde erst 1951gebaut). Ebenso konnte die Identifizierung der einzelnenKomponenten nur mit Hilfe klassisch organisch-chemischerAnalyseverfahren erfolgen, da spektroskopische Methodennoch nicht bekannt waren, was bei der großen Flüchtigkeitvieler Komponenten und bei der sehr geringen Menge inder sie gewonnen wurden – diese lag in manchen Fällen beiBruchteilen eines Gramms – mit enormen experimentellenSchwierigkeiten verbunden war. Zudem darf nicht verges-sen werden, dass es sich bei den Aromastoffen vielfach umnoch unbekannte Moleküle handelte und für diese auchSynthesen entwickelt werden mussten. Bedenkt man dieseHürden und Probleme, ist die Leistung der beteiligten Che-miker in höchstem Maß bewundernswert.

Das FurfurylmercaptanDie Untersuchungen ergaben, dass Furfurylmercaptan (Ab-bildung 3) ein wichtiger Bestandteil des Kaffeearomas ist.Das Molekül war bis dato unbekannt und Staudinger und

Chem. Unserer Zeit, 2014, 48, 22 – 35 © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 25

A RO M A S TO F F E K A F F E E A R O M Awww.chiuz.de

Abb. 3 Furfuryl-mercaptan ist ein wichtiger Bestandteil desKaffeearomas.

OCH2–SH

Page 5: Ein synthetisches Kaffeearoma

Reichstein meldeten die Synthese dieser Substanz zum Pa-tent an [19]. In der Patentschrift heißt es einleitend: „Fur-furylmercaptan ist bisher nicht bekannt und nach den ge-wöhnlichen Methoden kaum zugänglich, da das Furfuryl-bromid, das Ausgangsmaterial zu seiner Darstellung, nachder üblichen Darstellungsweise ein sehr zersetzlicher Kör-per ist. Es wurde nun gefunden, daß man das Mercaptansehr leicht aus dem Furfuryldisulfid mit Reduktionsmittelnerhalten kann.“ [20]

Das Disulfid wurde aus Furfurol (heute meist als Furfu-ral bezeichnet, systematischer Name Furan-1-al) durch Be-handlung mit „alkoholischem Schwefelammon“ (das ist ei-ne alkoholische Lösung von Schwefelwasserstoff und Am-moniak [21]) im Überschuss gewonnen. In der Patentschriftheißt es hierzu: „Die Umsetzung von Furfurol mit alkoholi-schem Schwefelammon wurde schon von Baumann undFromm (Ber. 24, 1891, S. 3594) [22] vorgenommen, aber indieser Arbeit wurden die Stoffe in molekularen Mengen zurReaktion gebracht und so ein polymeres Thiofurfurol er-halten. Es wurde gefunden, daß bei Anwendung eines Über-schusses der genannten Reagenzien der Aldehyd zu demDisulfid nach folgender Gleichung I reduziert wird. Die vonBaumann und Fromm studierte Umsetzung geht dagegennach Gleichung II (Abbildung 4b) vor sich.“

Es ist nun bemerkenswert, dass die von den Erfindernangegebene Gleichung (I) falsch ist (Abbildung 4a), da inihr zwei dreiwertige Kohlenstoffatome vorkommen. Derkorrekte Reaktionsablauf dürfte Abbildung 4c entsprechen:Dabei reagiert der Aldehyd zunächst mit H2S zum Thioal-dehyd und weiter zu Furanylmercaptan (1), das seinerseits

mit einem weiteren Molekül Furfural das Halbacetal (2) bil-det, aus dem im letzten Schritt durch Umsetzung mit ei-nem weiteren Molekül Furanylmercaptan das Disulfid (3)entsteht. Der in der Patentschrift in Gleichung II in mono-merer Form dargestellte Furanthioaldehyd (Thiofurfurol inder Patentschrift) hat in Wahrheit vermutlich die Formel(4), Abbildung 4d. Wie es zu den fehlerhaften Gleichungenund Formeln kommen konnte, bleibt unklar.

Das Disulfid ließ sich durch Reduktion mit Zinkstaub,„aktiviertem Aluminium“ [23] oder Natrium leicht in dasFurfurylmercaptan überführen (Abbildung 4e). Das Roh-produkt konnte durch Destillation mit oder ohne Wasser-dampf gereinigt werden. Die Eigenschaften des Furfuryl-mercaptans werden wie folgt beschrieben:

„Das Furfurylmercaptan, C4H3O-CH2-SH, ist ein farb-loses Öl, das bei 12 mm Druck bei 47 °C siedet. Es besitzteinen äußerst unangenehmen Geruch und zeigt auchsonst die Reaktionen der Mercaptane sowie der Furan-körper. In Wasser ist es unlöslich, leicht dagegen in ver-dünnten Alkalien. Mit organischen Solvenzien ist esmischbar, auch mit Petroläther. Durch Mineralsäurenwird es, besonders beim Erwärmen, verharzt. […] ZurDarstellung des Furfurylmercaptans ist es nicht not-wendig, das Furfuryldisulfid zu isolieren, sondern es istmöglich, in einer Operation vom Furfurol zum Mercap-tan zu gelangen.“

Es mag überraschen, dass das Furfurylmercaptan als äu-ßerst übelriechender Stoff beschrieben wird. Dieser übleGeruch ist eine Eigenschaft aller Mercaptane, ebenso wieihre mehr oder minder große Giftigkeit. Erst in sehr hoherVerdünnung wandelt sich beim Furfurylmercaptan Gestankin Wohlgeruch. Auch dies ist eine Eigenschaft zahlreicherBestandteile diverser Aromen: die Geruchs- oder Ge-schmacksempfindung ist eine Frage der Konzentration. AlsVerwendungszweck des Furfurylmercaptans nennen die Er-finder die Herstellung von synthetischem Kaffeearoma,„was man durch Zumischung anderer Produkte, vor allemvon Aldehyden und α-Diketonen, erreichen kann.“

In einem Zusatzpatent zur obigen Patentschrift (DRP485 138, patentiert ab dem 3. Juli 1927) wurden „Verfah-ren zur Herstellung von Substitutionsprodukten des Furfu-rylmercaptans“ geschützt. Diese Anmeldung hatte denZweck, auch ringsubstituierte Derivate des Furfurylmer-captans, etwa α-Methyl-Furfurylmercaptan oder „Oxy-Me-thyl-furfurylmercaptan“ (besser: Methoxy-Furfurylmercap-tan) zu schützen. Die Synthese erfolgte nach derselben Me-thode wie im Hauptpatent aus den substituiertenAusgangsverbindungen. Die Erfinder führen zur Begrün-dung des Patentanspruchs aus:

„Diese neuen Mercaptane besitzen, wie das Furfuryl-mercaptan, unverdünnt einen sehr unangenehmen Ge-ruch, und in starker Verdünnung, hauptsächlich nach Zu-mischung geeigneter anderer Verbindungen, tritt ein Ge-ruch nach geröstetem Kaffee auf, und so können dieProdukte zur Herstellung von synthetischem KaffeearomaVerwendung finden.“ [24]

26 © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2014, 48, 22 – 35

A RO M A S TO F F E K A F F E E A R O M Awww.chiuz.de

− = + → − − − − − + +

− = + → − = + =

− = + → − = +

− = + → − − +

− − + − = → − − − −

− − − − + − − → − − − − − +

− − − − −

⎢⎢⎢⎢⎢⎢

⎥⎥⎥⎥⎥⎥

− − − − − ⎯ →⎯⎯ − −

(I) 2R CH O 3H S R CH S S CH R 2H O S

(II) R CH O H S R CH S H O R

R CH O H S R CH S H O

R CH S H S R CH SH S

OH|

R CH SH R CH O R CH S CH R

OH|

R CH S CH R R CH SH R CH S S CH R H O

SH|

R C S|

H

SH|

C S|

R

SH|

C R|

H

R CH S S CH R 2 R CH SH

2 2

2 2

2 2

2 2

2 2

2 2 2 2 2

X

2 2[H ]

22

Abb. 4 Reaktio-nen laut Patent-schrift.

a)

b)

c)

d)

e)

(1)

(2)

(3)

(4)

O

Page 6: Ein synthetisches Kaffeearoma

Synthetisches KaffeearomaDie Folge der Patente mündete schließlich im DRP 489 613.Der Patentschutz trat am 5. November 1925 in Kraft, die Be-kanntmachung erfolgte indes erst am 2. Januar 1930. Of-fenbar wollten die Anmelder, also die INGA, schon Schutz-rechte beanspruchen können, aber erst an die Öffentlich-keit treten, wenn auch die wichtigsten bisher noch nichtin der Literatur beschriebenen Aromakomponenten ge-schützt waren. Der lange Zeitraum zwischen Patentertei-lung und -bekanntmachung ist jedenfalls auffallend. Als Er-finder traten erneut Staudinger und Reichstein auf, der Titeldes Patents lautete: „Verfahren zur Herstellung eines Pro-duktes, welches für die Aromatisierung von Nahrungs- undGenußmitteln, insbesondere von Kaffeesurrogaten, be-stimmt ist.“ Einleitend heißt es:

„Gegenstand der Erfindung ist die Herstellung vonkünstlichem Kaffeearoma durch Vermischen der im äthe-rischem Öl des gerösteten Kaffees nachgewiesenen oder inihrer Wirkung ähnlichen Substanzen, welche entwederkünstlich hergestellt oder aus Naturprodukten gewonnenwerden, sowie die Verwendung der erhaltenenProdukte, um das Aroma des gerösteten Kaf-fees anderen Stoffen zu verleihen.“ [25]

Hier kommt bereits die Essenz der gan-ze Coffarom-Forschung zum Ausdruck: Esging darum, das natürliche Aroma zu analy-sieren und ein synthetisches zu mischen,das aus den gefundenen Substanzenund/oder aus „in ihrer Wirkung ähnlichen“,aber im Naturaroma nicht enthaltenen Molekü-len bestand. Der Grund hierfür liegt in der teilwei-se sehr schwierigen und aufwendigen Synthese vieler Na-turstoffe.

In den nach Patent 457 266 hergestellten Kaffee-Ex-trakten, auch „Kaffeeöl“ genannt, seien „sehr viele ver-schiedenartige Körper“ gefunden worden, die summarischaufgezählt werden. Die Liste enthält neben Mercaptanenauch weitere organische Sulfide, Aldehyde und Ketone, Al-kohole, Säuren und Säureester, Phenole, N-Heterocyclenund Kohlenhydrate. Beeindruckend ist nicht nur die Kom-plexität des Kaffeearomas, das nach heutiger Kenntnis meh-rere Hundert Komponenten enthält, sondern noch mehrdie analytisch-experimentelle Leistung, die hier zum Aus-druck kommt.

Weiter hätten die Untersuchungen ergeben, dass „imGegensatz zu der früheren Annahme, weder Phenole nochstickstoffhaltige Substanzen, sondern flüchtige schwefel-haltige Verbindungen der Merkaptanreihe oder Derivatederselben“ besonders wichtig für das Aroma seien. „Be-merkenswert ist, daß gleiche oder ähnliche Wirkungen wiedurch die im Kaffeearoma aufgefundenen schwefelhaltigenKörper durch synthetisch hergestellte Produkte, die einenähnlichen Bau besitzen, aber die nicht im natürlichen Aro-ma vorkommen, hervorgerufen werden können. Beispiels-weise kann das besonders wichtige Furfurylmerkaptandurch Thienylmerkaptan [26] oder Benzylmerkaptan [27]

ersetzt werden.“ Die Erfinder weisen darauf hin, dass dasAroma „nach der Sorte des Kaffees und der Art des Röstensstark variiert“. Wichtig ist die folgende Feststellung: „Dabeiist es nicht notwendig, alle Bestandteile, die im natürlichenAroma aufgefunden sind, zuzusetzen, sondern es genügeneinzelne dieser Stoffe, um ein brauchbares Aroma zu er-halten.“ Die Erfinder bedachten auch, dass einige der Kom-ponenten des natürlichen Aromas beim Erhitzen miteinan-der reagieren können, beispielsweise sich aus Säuren undAlkoholen Ester bilden können.

Da das Patent kein bestimmtes, eindeutig beschriebenesGemisch schützen kann [28] und dies auch gar nicht be-absichtigt ist, folgen in der Patentschrift einige Beispiele fürsynthetische Aromamischungen. Dieses Vorgehen ist etwasungewöhnlich, aber sehr zweckmäßig, da dadurch verhin-dert wird, dass ein Konkurrent lediglich einen oder zwei Be-standteile hinzufügt oder die Mischungsverhältnisse vari-iert und damit den Patentschutz umgehen kann. Der Pa-tentschutz ist de facto also weit gefasst. Hier das einfachsteder genannten Rezepte:

„6 Teile Acetylpropionyl, Methyläthylacetalde-hyd, 4 Teile Acetaldehyd, 4 Teile Furfurol, 0,4

Teile Methylmerkaptan werden zusammen-gemischt. Es wird dann Schwefelwasserstoffkurze Zeit eingeleitet, wobei die Mischungmit Aceton oder Alkohol, Fetten oder Ölenverdünnt werden kann.“ Die Einleitung

von H2S bewirkt offenbar die Bildung vonSpuren von Furfurylmercaptan. Bei den ande-

ren aufgeführten Beispielen wird letzteres ent-weder zugefügt oder in situ aus Difurfuryldisulfid

gewonnen. „Von dem obenstehenden Gemische werdenetwa 2 bis 10 Teile zur Aromatisierung von 1000 TeilenNahrungs- oder Genußmitteln gebraucht, z. B. werden 3Teile der Mischung von [Beispiel] Nr. 3 in 10 Teilen Rübölgelöst, mit 100 Teilen Getreidekaffee oder Zichorie innigvermengt und weiter 1000 Teile Kaffeesurrogate zuge-mischt.“

Schließlich werden auch noch Produkte geschützt, dieaus einer Mischung von synthetischem und natürlichemKaffeearoma bestehen. Man fabriziert dazu ein syntheti-sches Aroma, fügt gerösteten, gemahlenen Kaffee hinzu unddestilliert das Gemisch nach eintägigem Stehen. Der Hin-tergrund dieses Patentanspruchs war, dass es rechtlich nichtmöglich war, eine völlig kaffeefreie Schokolade als „Mok-kaschokolade“ zu deklarieren [29].

Wie weit ist die entsprechende Forschung inzwischengediehen? Hierzu sei aus einem modernen Standardwerkzitiert:

„Die chemische Aufklärung des Kaffeearomas kannals abgeschlossen angesehen werden. Sie war möglich ge-worden durch die Einführung der Aromaverdünnungs-analyse nach Grosch und den AufarbeitungsmethodenSDE, SPME und SAFE in Verbindung mit den instrumen-tellen Techniken der Gaschromatographie und der hoch-auflösenden Massenspektrometrie mit nachfolgender

Chem. Unserer Zeit, 2014, 48, 22 – 35 © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 27

A RO M A S TO F F E K A F F E E A R O M Awww.chiuz.de

Abb. 5 Waren-zeichen Haar-mann und Reimer.

Page 7: Ein synthetisches Kaffeearoma

NMR-Identifizierung. Von den ca. 1000 bisher bekanntenflüchtigen Verbindungen im Kaffeearoma geben nur ca.30–40 Schlüsselverbindungen die Gesamtheit des Kaf-feearomas wieder.“ [30]

Zu diesen Schlüsselverbindungen zählen auch die Fu-ranylmercaptane von Reichstein und Staudinger. Deren Ar-beiten werden in der dem Artikel beigefügten Literaturlis-te jedoch gar nicht mehr erwähnt.

Die Zusammenarbeit mit der Firma Haarmannund Reiner

Zu Beginn des Jahres 1928 machte sich die INGA auf die Su-che nach einem Partner, der die Fertigung des syntheti-schen Kaffeearomas übernehmen und die Umsetzung derLaborsynthesen in den technischen Maßstab vornehmenkonnte. Hierzu bot sich eine Firma in ganz besonderer Wei-se an, nämlich das 1875 von Wilhelm Haarmann (1847–1931) und Ferdinand Tiemann (1848–99) gegründete Un-ternehmen, das seit dem Eintritt von Karl Ludwig Reimer(1845–83) im Jahr 1876 unter dem Namen „Haarmann undReimer“ (H&R) firmierte. Die Firma H&R war der führen-

de Hersteller von synthetischen Aromen. 1874 hatten Haar-mann und Tiemann, beide Schüler von August Wilhelm v.Hofmann (1818–92), ein Verfahren zur Synthese von Glu-covanillin aus Coniferin (einem Bestandteil des Baumsaftesvon Nadelhölzern) entdeckt. Zusammen mit Reimer, einemweiteren Schüler Hofmanns, gelang die Synthese von Va-nillin aus in Nelkenöl enthaltenem Eugenol. H&R war da-mit die erste chemische Fabrik weltweit, die einen synthe-tischen Geschmacksstoff fabrizierte. In der Folgezeit kamenweitere Aromastoffsynthesen hinzu, so der Veilchenaroma-stoff Ionon und Cumarin als Bestandteil des Waldmeisters.Auch natürliche Aromen wurden aus firmeneigenen Plan-tagen gewonnen.

In Frankfurt/Main trafen sich am 25. Februar 1928 MaxKerschbaum als Vertreter von H&R, Fritz Bon als Vertreterder INGA, Albert Beitter als Repräsentant der Fa. Franckund Tadeusz Reichstein. Bon führte aus, dass die INGA einProdukt mit der Bezeichnung „Coffarom“ besitze, das inerster Linie für den Kaffee-Surrogatmarkt gedacht sei, aberauch in anderen geeigneten Branchen verwertet werdensolle. Man wolle sich daher mit einer Firma verbinden, „die

28 © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2014, 48, 22 – 35

A RO M A S TO F F E K A F F E E A R O M Awww.chiuz.de

Abb. 6 Das Cof-farom sollte indrei Variantenauf den Marktkommen: in fes-ter, fettlöslicherForm besondersfür Schokoladen-fabriken, in flüs-siger, wasserlös -licher Form zurHerstellung vonSirupen für Ge-tränke und Gefro-renes und als Pul-ver „für amerika-nische Produktewie „Candies“,„Chewing-gum“,Gelatine-Produk-te usw.“.

Page 8: Ein synthetisches Kaffeearoma

auf dem Gebiet der Anwendung künstlicher Riechstoffe,Essenzen etc. speziell in der Nahrungsmittelbranche gros-se praktische Erfahrungen besitzt, sowie eine geeignete Ver-kaufsorganisation.“ [31] Eine solche Firma sei H&R, die zu-dem auch über Zweigfirmen in den USA verfüge. WeitereVerhandlungen fanden vom 12. bis 19. März 1928 in Holz-minden zwischen Kerschbaum und Reichstein statt.

Laut Protokoll über die Ergebnisse dieser Gesprächesollte H&R die Kosten „für die Ausarbeitung und Ein-richtung der Fabrikation einer Anzahl von Bestandteilendes Aromas und die Kosten für die Aufmachung und Ein-führung der verschiedenen Aromaformen und die Pro-paganda“ übernehmen. H&R hatte Versuche mit Coffa-romproben angestellt und war „zu der Überzeugung [ge-langt], dass das Produkt brauchbar ist“. Das Coffaromsollte in drei Varianten auf den Markt kommen: als „Coffa-rom F“ in fester, fettlöslicher Form besonders für Schoko-ladefabriken, als „Coffarom W“ in flüssiger, wasserlöslicherForm zur Herstellung von Sirupen für Getränke und Ge-frorenes und als „Coffarom P“ als Pulver „für amerikanischeProdukte wie „Candies“, „Chewing–gum“, Gelatine-Pro-dukte usw.“ [32]. Die Aromatisierung von Ersatzkaffeeswollte die INGA selbst durchführen und dazu sollte Coffa-rom W eingesetzt werden (Abbildung 6).

Am 14. April 1928 kam ein Vertrag zustande, bei demdie INGA die Rechte zur Verwertung eines Verfahrens zurHerstellung des Coffaroms, zu dessen alleiniger Fabrikation,und zum Vertrieb „an die verarbeitende Industrie aller Län-der“ an H&R abtrat. Angebote und Lieferungen an Kaffee-surrogathersteller durften nur in Nord- und Südamerika er-folgen (wo die INGA offenbar keine eigenen Interessen hat-te). „Der aus dem Vertrieb des Kaffeearomas erzielteReingewinn wird unter die Kontrahenten in der Weiseverteilt, dass H & R 40 %, die Inga 60 % erhalten, wobeidie Inga die Befriedigung der Ansprüche der Herren Prof.Dr. Staudinger und Dr. Reichstein übernimmt.“ [33] Dieendgültige Unterzeichnung einer etwas ergänzten Fassungdes Vertrags erfolgte am 28. November 1928 [34].

Die Zusammenarbeit zwischen Reichstein und Max Kerschbaum

Die oben vorgestellten Patentschriften geben in ihrer knap-pen und präzisen Formulierung zwar wichtige Ergebnissewieder, aber naturgemäß kein zutreffendes Bild der For-schungspraxis. Diese lässt sich anhand zahlreicher Doku-mente aus dem Firmenarchiv der Firma Haarmann und Rei-mer in Holzminden recht anschaulich rekonstruieren [35].Zwar lag die Hauptlast der Aromaforschung auf den Schul-tern Reichsteins, aber ein für die praktische Umsetzung derResultate maßgeblicher Partner war der bei H&R tätige Che-miker Dr. Max Kerschbaum, mit dem Reichstein freund-schaftlich verbunden gewesen zu sein scheint [36].

Kerschbaum sandte Reichstein am 18. Mai 1928 einenBrief, dem ein Laborbericht beigefügt war. Darin wird be-schrieben, wie bei H&R eine Charge Kaffee extrahiert wur-de (siehe Infokasten).

Chem. Unserer Zeit, 2014, 48, 22 – 35 © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 29

A RO M A S TO F F E K A F F E E A R O M Awww.chiuz.de

LABORBERICHT „KAFFEEDESTILLATION MAI 1928“

„Ausgangsmaterial: 200 kg gerösteter Kaffee Caracas Nro. 690von Kaffeedarboven [Darboven war und ist eine renommierteRösterei und Kaffeegroßhandlung] Hamburg, pro Kilo RM[Reichsmark] 6.10 franko. Der Kaffee war nicht stark geröstetu. hatte ein feines mildes Aroma im Gegensatz zu hier in Holz-minden geröstetem Caracas-Kaffee, der wesentlich stärker gebrannt [ist] u. ein strenges Aroma aufwies.Wasserdampfdestillation: 200 kg wurden möglichst fein gemahlen, in einer grossen 2500 l fassenden Kupferblase mitWasser gemischt u. dann mit Dampf destilliert. Im Vorlaufwar deutlich Acetaldehyd wahrnehmbar, späterhin roch dasDestillat kaffeeartig. Es wurden 800 l Destillat abgenommen,dieses mit 80 kg Kochsalz versetzt u. 5 mal ausgeäthert. Der konzentzrierte noch ätherhaltige Extrakt wurde mit über-schüssiger Bicarbonatlösung geschüttelt, um die freien Säurenherauszunehmen, die Bicarbonatlösung oft ausgeschüttelt,mit Schwefelsäure angesäuert und die Säuren oft ausge -äthert.I Destillat Neutralöl mit Bicarb[onat] gewaschen = crc. 250 g.Das Gewicht wurde nicht genau festfestgestellt, da noch etwas ätherhaltig. Der Geruch des Öles ist schön kaffeeartig,besonders nach einigem Liegen des Riechstreifens.II Bicarbonat-Säuren aus dem Destill. Öl = ca. 27 g. Die Säurenzeigen den Geruch von Fettsäuren.Destillationsrückstand: Dieser roch schwach kaffeeartig, süss-lich in der Richtung Fleischextrakt, schmeckt jedoch stark, zuletzt etwas bitterlich. Die wässrige Flüssigkeit wurde vomKaffeesatz abzentrifugiert, letzterer mit Wasser nachgewa-schen. Der Kaffeesatz zeigt weder Geruch noch Geschmack.Die abzentrifugierte Flüssigkeit betrug crc. 400 Liter. Sie bilde-te beim Schütteln mit Äther üble Emulsionen, welche wedermit Kochsalz u. ä. oder durch Säurezusatz zu entfernen [gemeint ist: zu klären] waren, jedoch gelang es die Flüssig-keit durch Zusatzvon 4 kg Na-bicarbonat mit Äther zu extra-hieren. Es wurde 5 mal ausgeäthert. Der Ätherextrakt III(crc. 540,0 [Gramm]) hatte starke Geruchseigenschaften inder Richtung Fleischextrakt mit einem anfänglichen Einschlagnach Fettsäuren (Valeriansäure). Diese Fraktion scheint mirfür das Zustandekommen des Kaffeegeschmacks sehr wichtigzu sein. [Hervorhebung des Autors] Nach dem Absieden desÄthers war das zurückbleibende Öl nicht homogen, sondernzeigte zwei ineinander unlösliche Schichten, eine helle dünn-flüssige, wieder in Äther lösliche und eine dunklere, in Ätherschwer oder unlösliche. Das übersandte Öl III enthält beideSchichten.

Aus dem konzentrierten noch ätherhaltigen Rückstandeschieden sich beim Stehen in der Kälte neben etwas amor-phem Harze eine Menge kleiner filziger Kristalle aus, welcheabgesaugt wurden, aus Methylalkohol 2 x umkist[allisiert] um 235oC schmolzen u. sich als Coffein erwiesen. Um diedurch das zugegebene Bicarbonat gebundenen Säuren zu iso-lieren, wurde dem Destillationsrückstand die entsprechendeMenge H2SO4 [Schwefelsäure] zugegeben u. wieder ausge -äthert. Es entstanden jedoch wieder ganz dicke Emulsionen,aus denen nur mir grosser Mühe etwas Äther abgeschiedenwerden konnte, der abgesiedet wurde. Der Ätherrückstand IV= 90,0 [Gramm] bestand nach dem Geruch zu schliessen, ausniederen Fettsäuren, besonders Valeriansäure. Aus den Emul-sionen wurde der Äther abgesiedet u. die Lauge weggegoss-sen.“ [37]

Page 9: Ein synthetisches Kaffeearoma

Dieses Dokument bedarf eines Kommentars. Zunächstist festzustellen, dass sich der geschilderte Arbeitsablaufdrastisch von dem in DRP Nr. 457 266, erteilt am 24. Ja-nuar 1925, beschriebenen unterscheidet. Wohl gemerkt,entstand der eben zitierte Bericht mehr als drei Jahre nachder Erteilung des Patents. Hier wird weder im Vakuum ge-arbeitet, noch werden tiefgekühlte Vorlagen verwendet.Der Ansatz ist von der Größe her halbtechnisch und dieMethode so grob, dass sämtliche empfindlichen, insbe-sondere oxidationsempfindlichen Substanzen dabei verlo-ren gehen oder zerstört werden. Erhalten werden also imDestillat, das etwa 800 Liter ausmacht, ca. 250 Gramm ei-nes ätherlöslichen Gemischs (I). Das zugesetzte Kochsalzdient vermutlich der Ausfällung schwerlöslicher Bestand-teile. Durch den Bicarbonatzusatz werden freie Säuren ver-salzt, die dann anschließend durch Ansäuern mit Schwe-felsäure wieder freigesetzt und ebenfalls ausgeäthert wur-den (II).

Bedenkt man, welche Mengen zu handhaben waren,sind die gewonnen Auszüge relativklein, aber immer noch gut zu unter-suchen; allerdings handelt es sich umkomplizierte Stoffmischungen. Dervom Satz abzentrifugierte Rückstandwurde in analoger Weise wie das Des-tillat behandelt, was sich aber als schwieriger erwies, daEmulsionsbildung die Trennung erschwerte. Wie es seinkann, dass man schließlich einen Ätherextrakt (III) erhielt,der eine Mischung aus einer löslichen und einer unlösli-chen Phase enthielt, entzieht sich meiner Erklärung. Be-sonders bemerkenswert scheint mir die EinschätzungKerschbaums, dass ausgerechnet in dem (bei Normaldruck)schwer oder gar nicht flüchtigen Rückstand der Wasser-dampfdestillation (die mindesten 8–10 Stunden dauerte) ei-ne für den Kaffeegeschmack besonders wichtige Kompo-nente enthalten sei. Um das mehrfach erwähnte Furfuryl-mercaptan kann es sich dabei keinesfalls gehandelt haben.Die Lektüre des Arbeitsberichts vermittelt insgesamt denEindruck, dass die in Holzminden angewandten Extrakti-onsmethoden weit hinter den im entsprechenden Patentbeschriebenen zurückblieben [38]. Wie es scheint, ging esbei diesen Extraktionsversuchen um die Auffindung schwer-flüchtiger Geschmacksstoffe.

Reichstein nahm sich die übersandten Fraktionen vorund schrieb am 6. Juni 1928 an Kerschbaum, er habe ausdem Destillat I drei Fraktionen hergestellt, von denen einewahrscheinlich großenteils aus Acetylfuran (C4H3-COCH3)bestehe und noch weitere Ketone enthalte („Ketonge-misch“) [39]. Ferner habe er ein Gemisch von Alkoholen er-halten, das aber nicht näher bestimmt werden konnte. Wei-ter heißt es: Das Gemisch der Neutralkörper [Destillat I, s. o.] (Ist verseift und von Ketonen und Alkohlen befreit)hat den starken „Erdgeruch“, den ich synthetisch bis jetztleider noch nicht wiedergeben konnte, und der für denwässrigen Aufguss, sowie die Haltbarkeit beim Lagern sehrwichtig wäre.“ [40]

1928 bestanden also durchaus noch größere praktischeProbleme bei der Herstellung des Coffaroms. Staudingerträgt dem Rechnung, wie aus seinem Brief an Kerschbaumvom 14. Juni 1928 ersichtlich [41]. So schlägt er vor, dasmangelhafte Coffarom durch Zusatz von echtem Kaffee-Ex-trakt aufzubessern. Es scheint aber, dass dieser Vorschlagnicht aufgegriffen wurde. Vielmehr setzte man die Bemü-hungen fort, die im Wesentlichen in serienartigen Misch-versuchen bestanden.

Interessant ist die Bemerkung, wonach ein von Reich -stein schon früher fabriziertes Coffarom günstigere Eigen-schaften aufweist, als die zuletzt gesandten Proben, dennhier wird ein ganz wesentlicher Punkt eher beiläufig ange-sprochen, nämlich die Frage der Trägersubstanz. Beim „Tria-cetin“ handelt es sich um Glycerintriacetat (C9H14O6), einenKörper, der schon eine gewisse strukturelle Nähe zu denKohlenhydraten aufweist, mehr jedenfalls, als die sonst ver-wendeten Öle. Man weiß heute, dass fette Öle als Aroma-träger wenig geeignet sind, da sie dazu neigen, ranzig zu

werden. Aus den Akten ergibt sich,dass später vielfach mit Glykol und teil-weise auch mit Caramel als Träger-substanz gearbeitet wurde, das Triace-tin erscheint nur mehr am Rande.

Die Probleme bei der Kompositionwaren nach wie vor nicht gelöst, wie eine BemerkungKerschbaums vom April 1928 zeigt: „Es ist immer dasselbeLied: Geruch gut, Geschmack nicht befriedigend. Ich denkeaber, wir kommen auch noch näher an die Geschmackstof-fe heran.“ [41] Auch Reichstein war unzufrieden: „Es wirdfür mich immer eine grosse Enttäuschung sein, wenn manimmer noch ein brauchbares Produkt nicht liefern kann.Wenn es aber für die Fabrikation ungenügend ist, so bleibtkein anders übrig als weiter zu suchen. – Allerdings habe ichkeine sehr grosse Hoffung die eigentlichen Geschmacksstoffesynthetisch nachbilden zu können. – Den einzigen Weg se-he ich in einer Vervollkommnung des eigentlichen Aromasund Ersatz der Geschmacksstoffe durch Pepton [42], Cara-mel usw.“ Eine undatierte „Anleitung“, vermutlich aus demJahr 1928, gibt u. a. folgende Rezepturen für die Herstellungvon mit Coffarom versetzten Essenzen:

„Essenz für feine Konditorei-Waren, Gefrorenes u.s.w.1 kg Zucker wird in einer Kupferpfanne unter stän-

digem Umrühren erhitzt. Sobald die flüssige Masse unterSchäumen steigt, wird dieselbe vom Feuer genommen undmit 1/2 Ltr.Wasser abgelöscht. Nach dem Erkalten werden6 g Coffarom W zugesetzt.

Kaffee-Sirup.400 g Caramel (leicht gebrannter Zucker), 600 g Was-

ser, 0,5 bis 0,8 g Coffarom W.“ [43] Man sieht, dass sehr geringe Mengen Coffarom bereits

einen deutlichen Geschmacks- und Geruchseindruck auf-wiesen, auch wenn dieser nicht nahe genug an das natürli-che Vorbild heranreichte. Die Versuche wurden fortgesetztund Kerschbaum berichtete am 22. Februar 1929 an AlbertBeitter von der Fa. Franck:

30 © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2014, 48, 22 – 35

A RO M A S TO F F E K A F F E E A R O M Awww.chiuz.de

„GERUCH GUT, GESCHMACK

NICHT BEFRIEDIGEND“

Page 10: Ein synthetisches Kaffeearoma

„An dem Coffarom wird eifrig gearbeitet, sowohl inZürich wie hier [in Holzminden]. Reichstein ist an derUntersuchung des Ausgangsmaterials, das hier auf an-dere Weise als bisher hergestellt wurde [44]. Wir hoffen ei-nige neue für den Geschmack wichtige Stoffe aus diesemMaterial herauszuschälen. Es wird allerdings noch einigeMonate dauern, bis man an eine Neu-Komposition desCoffaroms denken kann. Ich habe die begründete Hoff-nung, daß sich die neue Untersuchung lohnen wird unddaß wir doch noch zu einem brauchbaren Produkte kom-men. Das Kaffeearoma ist, wie Sie wissen, ein sehr kom-pliziertes Problem.“

Im September konnte Reichstein zwei neue Proben derSerie 4 an Kerschbaum senden [46]. Es handelte sich um0,86 Gramm der Substanzmischung mit der Nummer 444und 0,77 Gramm von Nr. 445. Beide Proben entsprachenin ihrer Intensität jeweils einem Kilogramm Kaffeepulver.Kurz darauf schien das Coffarom-Projekt plötzlich eine enor-me Dynamik zu entwickeln, wie sich aus einem SchreibenReichsteins an Kerschbaum ergibt:

„Gestern hatte ich eine Unterre-dung mit Geheimrat Aust von Ka-threiner. Diese Firma verkauft im Mo-nat ca. 450 Waggons Malzkaffee undwäre bereit ihr ganzes Produkt zuaromatisieren, falls eine wirklich gute Ware damit erzieltwird. Das gäbe natürlich einen tüchtigen Umsatz von ca.3000 kg Reinaroma im Monat. Zunächst ist natürlich da-ran zu denken, wie man ein gutes Produkt herausbe-kommen könnte [47].“

In der Tat eine bemerkenswerte Perspektive. Die beidenProben Reinaroma Nr. 444 und 445 entsprachen bei einemGewicht von knapp einem Gramm jeweils einem Kilo-gramm Kaffee. Legt man einen Faktor von 1:1000 zugrun-de, könnte man mit 3000 Kilogramm Coffarom 3000 Ton-nen Malzkaffee aromatisieren. Man hat damit zugleich eineInformation über die Mengen an Malzkaffee, die Kathreinerzu dieser Zeit erzeugte. Man wird sich erinnern, dass derKneipp-Malzkaffee der 1891 auf den Markt kam, einen Ex-trakt von entcoffeiniertem Kaffee enthielt. Kathreiner, einGesellschafter der INGA, war demnach bereit, diesen Na-turextrakt durch Coffarom zu ersetzen, sofern dieses denQualitätsanforderungen entsprach. Dass es hier noch ha-perte, war Reichstein bewusst. Kerschbaum bremste dieBegeisterung Reichsteins etwas, indem er auf praktischeProbleme aufmerksam machte:

„Die Größe des Umsatzes in Reinaroma bei einemGelingen der Aromatisierung des Malzkaffees hat michetwas erschüttert im Gedenken an die große Zahl vonverhältnismäßig schwierig herzustellenden Körpern, dieSie ja selbst kennen. Von einer Anzahl derselben (Me-thyläthylacetaldehyd, Acetylpropionyl, Furfurylmethyl-keton, Oxymethylfurfurylmerkaptan etc.) wissen wirnoch gar nicht, ob sie sich in großen Ansätzen herstel-len lassen; die bisherigen Ansätze blieben im Rahmendes Fabriklaboratoriums und waren zunächst für

Mengen von 10 000 Kilo Coffarom (4%) berechnet.“[48]

Wie sich zeigen sollte, waren die Sorgen Kerschbaumsunnötig, da es nie zu einem solchen Großauftrag kam. VielMühe wurde auch auf den Versuch verwendet, Coffarom inseiner fettlöslichen Form [49] zur Aromatisierung von Mok-kaschokolade zu verwenden. Abgesehen von den rechtli-chen Fragen bezüglich der Deklarierung eines solchen Zu-satzes waren auch die Schokoladenhersteller recht zurück-haltend. In einem Brief Kerschbaums an Reichstein vom13. Mai 1930 wundert sich Kerschbaum:

„Merkwürdigerweise verhalten sich die Schokoladen-fabriken, auf die wir am meisten bauten, besonders ab-lehnend. Sie sind sehr konservativ und ängstlich und wol-len an dem althergebrachten Kaffeegeschmack ihrer Prä-parate nichts ändern. In dieser Branche braucht dieEinführung viel Zeit und gute Worte. – Es ist immer nurder fehlende Kaffeegeschmack, der beanstandet wird. Stoll-werk stellten bei der Verwendung in Cream einen gum-

miartigen Geschmack fest, der dieVerwendung ausschließt.“ [50]

Es ist schon bemerkenswert, wiebetriebsblind die Forscher langsamwurden. Weshalb sollten die angeblichso konservativen Erzeuger einen Aro-

mastoff einsetzen, der ihr Image beschädigen würde? DieSchokolade musste lediglich 3 % Kaffee enthalten; dessenPreis spielte daher praktisch keine Rolle. Es wäre sehrschwierig gewesen, hier mit Coffarom einen deutlichenPreisvorteil zu bieten. Und die Klage, es fehle doch „nur“am Geschmack, grenzt an Realsatire. Es wurde zeitweisesogar geprüft, ob sich Coffarom als Medikament zur Kreis-laufanregung einsetzen ließe, allerdings mit negativem Er-gebnis. Man ließ keine Möglichkeit unbeachtet.

Die einzelnen Probegemische wurden in zahlreichenTestreihen von diversen Prüfern auf Geschmack und Ge-ruch untersucht. Die Ergebnisse waren recht unterschied-lich, da es keine messbaren Parameter gab. Am 26. März1931 berichtet Kerschbaum von einem solchen Test:

„Heute erhielt ich von Dr. Freudenberger die Beurtei-lung der Nummern 607-12. Er stellt genau das Gegenteilvon uns fest und erteilt schon dem synth[etischen] Phe-nolgemisch (60) die Note ‚Unangenehmer jauche- undholzteerartiger Geschmack‘. Diese Beurteilung wirkt et-was verheerend auf unser Programm. Ich frage mich, obwir hier gar nicht mehr in der Lage sind, einigermaßenobjektiv zu prüfen.“ [51]

Die schwankenden und insgesamt nicht zufriedenstel-lenden Ergebnisse der Geschmacks- und Geruchsprobendürfen den Blick auf die bei dieser Forschung vollbrachtenmikrochemischen Leistungen nicht verstellen. Einen be-eindruckenden Beleg dafür liefert ein Brief Reichsteins anKerschbaum vom 4. September 1931:

„Im Labor hat hier das „Kaffeeketon“ Nr. 315 dank derguten Mikroanalyse trotz der geringen Menge eine glatteAufklärung gefunden. Mit den vorhandenen 40 mg hat

Chem. Unserer Zeit, 2014, 48, 22 – 35 © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 31

A RO M A S TO F F E K A F F E E A R O M Awww.chiuz.de

DIE FORSCHER WURDEN MIT

DER ZEIT BETRIEBSBLIND

Page 11: Ein synthetisches Kaffeearoma

mir Dr. Furter sogar eine gut stimmende Mol-Refraktiongemacht. Dann wurden 17 mg mit Permanganat oxydiert.Ergebnis Terephthalsäure, als Dimethylester identifiziert.Der Rest wurde ins Oxim verwandelt Smp. 89–90°. Diesessowie das Semicarbazon erwiesen sich als identisch mitden entsprechenden Derivaten von synthetisch herge-stelltem p-Methyl-propiophenon CH3–C6H4–CO–C2H5.Auchder Geruch und der Smp. des freien Ketons (Smp. ca. 3,5°)stimmt überein.“ [52]

Dies zeigt ganz klar die verwendete Verfahrensweise:Man stellte nur wenige physikalische Messungen an; hierwurde die Molrefraktion bestimmt, eine Größe, die sich ausdem Brechungsindex berechnen lässt. Zentral war die Er-mittlung funktioneller Gruppen und die Darstellung vonDerivaten wie Oximen (Umsetzung eines Ketons oder Al-dehyds mit Hydroxylamin, NH2OH) oder Semicarbazonen(Umsetzung mit Semicarbazid, H2N-NH-CO-NH2), die sich diesen Gruppen zu-ordnen ließen. Deren Eigenschaften wur-den mit synthetisch gewonnen Derivatenverglichen. Natürlich musste man schoneine ungefähre Vorstellung von den in Fra-ge kommenden Strukturen haben.

Die Coffarom-Forschung neigte sichihrem Ende zu. Am 17. Dezember 1931richtete Reichstein ein Schreiben anKerschbaum, in dem er von einem Ge-spräch mit Dr. Fritz Bon, einem Vertreterder INGA, berichtete und seine Einschät-zung der Lage erläuterte. Es heißt hier u.a.:

„Es scheint wenig Aussicht dafür zu bestehen, dass imConzern [gemeint: die INGA] die Fabrikation von aro-matisierten Produkten aufgenommen werden kann. […]Ich schlug vor, wie ursprünglich vorgesehen, ein kleineMarke einfach einmal zu riskieren und in schwach aro-matisiertem Zustand (natürlich noch deutlich aromati-siert, also ca. 5 gr 5%iges Coffarom pro kg, unter Zusatzvon etwas Bohnenkaffee oder einem Auszug aus solchem)in den Handel zu bringen. Ich bin nach wie vor über-zeugt, dass ein einwandfreies Handelsprodukt erhaltenwerden kann, dem ein guter Absatz sicher sein sollte. DieSchwierigkeit ist hier die, dass Erfolg nur eintreten kann,wenn sich ein Herr der Fabrikation selber energisch mitder Sache befasst. […] Vor allem müsste man einen mög-lichst definitiven Vorschlag bezüglich der Aromatisie-rungsstärke und event[uellen] Zusätzen von Kaffee oderirgendwelchen Bitterstoffen machen.- Auf Mithilfe von Her-ren des Conzern möchte ich mich nach den bisherigen Er-fahrungen nicht verlassen. […] Besonders interessiertmich Ihr Eindruck, ob Sie den Zusatz von Wermut fürgünstig halten, er hat sich von den verwandten Bitter-stoffen bisher am besten bewährt, um den Surrogatauf-guss dem Bohnenkaffee etwas anzugleichen, […]. Falls dieBehandlung des Coffarom mit Naturkaffee sich als wirk-lich sehr wirksame Verbesserung herausstellen sollte, sowürde ich ferner von allem Anfang an vorschlagen, die-

se Kombination trotz den höheren Kosten zunächst ein-mal festzuhalten. Die Wirkung in Glycol scheint dabei grö-ßer zu sein als in Fett, andererseits ist das Aroma im Fettauch nach der Verteilung auf Surrogat besser haltbar alsin Glycol. […] Als günstigstes Produkt schwebt mir unge-fähr folgendes vor. Malzkaffee 70–75% Zichorie 25–30%.Diese Mischung aromatisiert mit 0,5% Coffarom F, wo-möglich über Bohnenkaffee abgepresst, und mit Zusatzvon Bitterstoff, event. 0,5% Wermut.“ [53]

Der ganze Brief lässt eine gewisse Enttäuschung erken-nen, da der „Conzern“ offenbar keine große Bereitschaftzeigte, ein mit Coffarom gefertigtes Produkt selbst auf denMarkt zu bringen. Damit war die Aromatisierung von Kaf-feesurrogaten – jedenfalls in großem Stil – unwahrschein-lich geworden. Die Idee mit der „kleinen Marke“ wurde je-doch durch die Firma Pfeiffer & Diller, die in Horchheim na-

he Worms ansässig war, in etwasmodifizierter Form aufgegriffen. Über denVerlauf dieser Versuche ist mir bislangnichts bekannt [54].

Die Vermarktung des CoffaromsH&R begann 1930 mit der Herstellung vonCoffarom (Abbildung 7). Das Präparat soll-te neben der Aromatisierung von Ersatz-kaffee auch bei anderen Produkten einge-setzt werden. Die INGA sollte einen Preisentrichten, der lediglich 15–20 % des sonstverlangten Preises ausmachte und dadurch

eine Art Monopolstellung auf dem Markt für Kaffeesurro-gate erhalten.

Der Absatz verlief allerdings nicht wie erhofft. Kersch-baum schreibt am 20. März 1931 an Reichstein: „Wir habenin 1930 für ca. 27 000 Mark Coffarom verkauft, die Ab-rechnung wird nach Fertigstellung der Bilanz an die Inga ge-hen. Mit einem besseren Produkt wird man, denke ich, dasZehnfache verkaufen können.“ [55] Im selben Brief ist auchvon einer verbesserten Serie 607 die Rede: „Das allgemei-ne Urteil war sehr gut, die kaffeeartige Note unverkenn-bar.“ Es wurde sogar erwogen, Briefpapier oder Verpa-ckungsfolien mit Coffarom zu „parfümieren“. Kerschbaumhielt jedoch wenig von dieser Idee [56].

Am 2. Juni 1931 berichtet Reichstein von einem Treffenmit Dr. Bon und Wilhelm Franck (einem Sohn von RichardFranck). Demnach „ist dort [bei der INGA bzw. Fa. Franck]nicht beabsichtigt so weit zu gehen um einen Kaffee vor-zutäuschen, es soll lediglich die Aromamenge zugegebenwerden, die etwa einem Zusatz von 5 % Bohnenkaffee ent-spricht. Ich glaube, dass für diesen Zweck unser Aroma si-cher gut sein wird.“ [57] Es ist demnach klar ersichtlich,dass man lediglich einen mit Bohnenkaffee aromatisiertenSurrogatkaffee durch einen mit Coffarom aromatisierten er-setzen wollte. Über den Abstand zu Bohnenkaffee war mansich (zumindest zu dieser Zeit) im Klaren.

Die Bemühungen, fettlösliches Coffarom zur Aromati-sierung von Schokolade zu verwenden, stießen nach wie

32 © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2014, 48, 22 – 35

A RO M A S TO F F E K A F F E E A R O M Awww.chiuz.de

Abb. 7 H&R be-gann 1930 mitder Herstellungvon Coffarom.

Page 12: Ein synthetisches Kaffeearoma

vor auf Vorbehalte. Kerschbaum berichtet am 12. Novem-ber 1931 an Reichstein: „Unser umfangreiches Angebot anSchokoladefabriken und deren intensive Bearbeitung hatleider sehr wenig Erfolg gehabt. Als Grund dieses Mißerfolgssind 2 Ursachen festzustellen. 1) der jetzige Preis 2) der ab-weichende Geschmack der Coffarom-Schokolade gegen-über der Kaffeebohnenschokolade. Ad 1) Der Preis würdenatürlich kein Hinderungsmittel sein, er kann den wei-chenden [gemeint ist: sinkenden] Kaffeepreisen entspre-chend gesenkt werden. Wir sind von 70 Mark schon auf50–55 Mark heruntergegangen. Ad 2) Geschmack. Uns al-len schmeckt die richtig dosierte Coffarom-Schokolade ganzausgezeichnet und auch kaffee-artig. Die Schokolade-Fabri-ken wagen aber an dem herkömmlichen mittels Kaffee-bohnen erzielten Geschmack, der sich immerhin stark un-terscheidet [Hervorhebung des Autors], nichts zu ändern.Es scheint jetzt ganz allgemein üblich zu sein in der Scho-koladeindustrie, daß zur Herstellung von Mokkaschokoladekeine Extrakte sondern nur noch fein-pulverisierter (geschliffener) Kaffeeverwendet wird.“ [58]

Hier hatte sich also seit Mai 1930[59] nichts geändert. Das Unverständ-nis Kerschbaums ist dasselbe geblie-ben. Obwohl er selbst einräumt, dassder Geschmack der Coffarom-Schokolade deutlich anders istals der von Mokkaschokolade, kann er nicht verstehen, wes-halb die Schokoladenfabrikanten kein Coffarom wollen.

Reichstein sah seine Aufgabe als mehr oder minder be-endet an:

„Gestern war ich bei Herrn Dr. Bon um über die Fort-setzung der ganzen Arbeit zu sprechen“ teilte er am 14.November 1931 Kerschbaum mit. „Ich sagte ihm, dass ichvon der Fortsetzung der rein chemischen Arbeit zur Auf-klärung weiterer Bestandteile [des natürlichen Aromas]und Veränderung der Dosierung [der Coffarom-Mischun-gen] keine einschneidende Verbesserung des Coffaromsmehr erwarte. Dass ich glaube, dass für den Fall dass sichdas bisherige [Produkt] (besonders Nr. 625) für die Ver-wendung in Surrogaten als völlig ungeeignet erweisensollte, auch keine grosse Wahrscheinlichkeit dafür besteht,dass in dieser Hinsicht von weiteren Arbeiten ein we-sentlich anderes Resultat zu erwarten wäre.- Ich bin zwarder Meinung, dass eine Verwendung für Kaffeesurrogatedurchaus in Frage kommt, die Entscheidung darübermuss aber den Herren aus der Fabrikation überlassenwerden.“ [60]

Aus diesen Worten spricht schon viel Enttäuschung.Man stelle sich vor, dass Reichstein ca. 10 Jahre mehr oderweniger ausschließlich an der Erforschung des natürlichenund der Synthese eines künstlichen Kaffeearomas gearbei-tet hat. Dabei konnte er ca. 70 Bestandteile isolieren, che-misch charakterisieren und synthetisieren. Es wurden Hun-derte von Versuchsmischungen hergestellt und getestet. Eswurden alle Möglichkeiten einer Nutzung des Coffaroms,bis hin zu seinem Gebrauch als Medikament in Erwägung

gezogen. Man war subjektiv mit den gefundenen Mischun-gen zufrieden. Und dennoch waren die „Herren aus der Fa-brikation“ nicht bereit, mal etwas zu riskieren und in einen„Coffarom-Kaffee“ in dem Stil zu investieren, der nötig ge-wesen wäre, ein solches Produkt auf einem umkämpftenMarkt zu positionieren. Dann solle man es eben lassen, sag-te da der Chemiker Reichstein, der wusste, dass weitereVersuche im Labor keinen Sinn hatten. Seine wirtschaftli-che Situation würde sich bei einem solchen Schritt natür-lich auch ändern:

„Falls ich mein Verhältnis zur Inga dadurch auflöse,so müßte ich mich natürlich nach einer anderen Arbeitumsehen. Was da in Frage kommt, ist mir noch absolutschleierhaft, dagegen glaube ich, dass ich am Poly [ge-meint ist die ETH] bleiben werde, wenigstens wenn es sichirgend einrichten läßt.“

In der Tat blieb Reichstein in seiner Funktion als Assis-tent Ruzickas an der ETH, wo er 1934 zum Titular- und

1937 zum außerordentlichen Profes-sor ernannt wurde, ehe er 1938 denRuf nach Basel erhielt.

Wilhelm Heinrich Franck, der inder Nachfolge seines Vaters nun für dieCoffarom-Vermarktung zuständig war,äußerte sich in einem Schreiben an

Kerschbaum vom 21. November 1931 wie folgt: „Prof. Staudinger, der gestern Nachmittag zu einem

ganz kurzen Besuch bei mir weilte, um sich über denStand der Coffarom-Angelegenheit zu orientieren und mireinige Aromatisierungsproben zu zeigen, schliesst sich un-serer Auffassung [von der fehlenden Marktreife des Cof-faroms] an, obwohl er eigentlich derjenige ist, der denTatsachen immer gern vorauseilt. Er teilte mir u.a. mit,dass er die Absicht habe, seinen Bruder, der Staatssekre-tär im Preussischen Handelsministerium ist, auf die grossewirtschaftliche Bedeutung dieser Synthese [des Coffaroms]aufmerksam zu machen. Ich habe ihn natürlich gebeten,bei diesem brüderlichen Gespräch kurz zu treten undrecht vorsichtig zu sein.“ [61]

Dies ist eine recht aufschlussreiche Bemerkung, diezeigt, dass Staudinger nichts unversucht lassen wollte, demCoffarom zum Durchbruch zu verhelfen, aber eben auch,dass damals eine Furcht vor möglichen Korruptionsvor-würfen bestand, die heute vielfach nicht mehr anzutreffenist. Im selben Brief fährt Franck fort:

„Es ist eigentlich schade, dass wir in einer Zeit, die für[die] Verwertung des synthetischen Kaffeearomas ganzbesonders günstig ist, stillhalten und zuwarten müssen,da die unvollkommene Qualität des Coffaroms eine prak-tische Verwertung noch nicht zulässt. Umso mehr würdeich es begrüssen, wenn Sie bald die Zauberformel findenwürden, mit deren Hilfe eine, wenn auch nicht 100%igeAromatisierung unserer Kaffee-Ersatzstoffe, so doch einegeschmackliche Verbesserung derselben möglich wäre.“

Leider fand Kerschbaum die ersehnte Zauberformelnicht und es lag an der fehlenden Qualität des Coffaroms

Chem. Unserer Zeit, 2014, 48, 22 – 35 © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 33

A RO M A S TO F F E K A F F E E A R O M Awww.chiuz.de

SOGAR DIE NUTZUNG

ALS MEDIKAMENT WURDE

FÜR COFFAROM ERWOGEN

Page 13: Ein synthetisches Kaffeearoma

und nicht an der Uneinsichtigkeit der „Herren aus der Fa-brikation“, wenn es nicht auf den Markt kam. Seitens derbeteiligten Forscher war diese Einsicht indes nicht ausge-prägt. In seiner Antwort vermerkt Kerschbaum:

„Es ist natürlich sehr bedauerlich, daß Sie die jetzigeu. E. [unseres Erachtens] wesentlich verbesserte Qualitätdes Coffaroms noch nicht für verwendbar halten für dieSurrogatindustrie. Die schwierige Aufgabe, das Kaffeea-roma künstlich herzustellen, ist in all den Jahren sogründlich bearbeitet worden, daß es schwer hält, neueWege zur Auffindung der „Zauberformel“ zu suchen.“ [62]

Die Chemiker hatten ihre Möglichkeiten in der Tat so-weit als möglich ausgenutzt, fanden das Ergebnis durchausakzeptabel und wollten nicht recht verstehen, dass ihre Mü-hen nicht angemessen belohnt werden sollten. Das „offi-zielle“ Aus folgte mit einem Schreiben Fritz Bons als Ver-treter der INGA an die Geschäftsleitung der Fa. H&R vom13. Januar 1932. Hier heißt es u. a.:

„Wir betrachten die wissenschaftlichen Arbeiten überdie Zusammensetzung des Kaffeearomas als abgeschlos-sen. Das Laboratorium in Albisrieden [wo Reichstein ge-arbeitet hatte] wird geschlossen undes fällt daher die in §10 [des Vertragszwischen der INGA und H&R] vorge-sehene Mitbeteiligung Ihrerseits anden Spesen des genannten Laborato-rium ab1. ds. [dieses Monats] dahin.“

Ferner machte die INGA den Vorschlag, dass man sichkünftig die Kosten für die Aufrechterhaltung der Patentezum Coffarom von 3100 Franken pro Jahr so aufteilen soll-te, dass die INGA 1600 und H&R 1500 Franken überneh-men, „was im selben Verhältnis wäre wie Ihre bisherigeBeteiligung an den Totalausgaben, nämlich rund etwasweniger als 1/3, repräsentiert durch die von uns jeweilsvergüteten jährlichen Fr. 10.000.“ [63] Damit ist auch be-kannt, dass die Aufwendungen für die Arbeiten in Albisrie-den bei etwa 10.000 Schweizer Franken lagen, das GehaltReichsteins eingeschlossen. H&R teilte der INGA daraufhinmit, dass „an der Aufrechterhaltung der Patente nur dannein Interesse [bestehe], wenn die INGA in absehbarer Zeitselbst zur Verwendung des Coffarom kommen kann. Derfreihändige Absatz des Coffaroms scheint nach den Re-sultaten unserer bisherigen intensiven Bemühungen nichtüber einen beschränkten Umfang zu steigern zu sein.“[64]

Allen Widrigkeiten zum Trotz wollte man das Coffarom-Projekt nicht einfach begraben. Vielmehr rief die INGA ei-ne neue Tochtergesellschaft ins Leben, die „Coffarom AG“mit Sitz in Glarus. Zwischen dieser und der INGA sowieH&R wurde im Juni 1934 ein neuer Vertrag geschlossen. Da-nach trat die INGA sämtliche das Kaffeearoma betreffen-den Patente an die Coffarom AG ab und diese trat anstelleder INGA in den Vertrag ein, der im November 1928 zwi-schen der INGA und H&R geschlossen worden war [65].

Während des Zweiten Weltkriegs wurde Coffarom imDeutschen Reich in gewissem Umfang verkauft. Im Okto-

ber 1942 schlossen Staudinger, die INGA und TadeuszReichstein eine Vereinbarung zur Ausräumung finanziellerUnstimmigkeiten. Daraus geht hervor, dass Staudinger vonden Zahlungen, die die Firma H&R von den mit Coffaromerzielten Gewinnen an die INGA zu leisten hatte, ein Sechs-tel zustand, von dem er wiederum die Hälfte an Reichsteinzu zahlen hatte. Die INGA verpflichtete sich nun zur Zah-lung von „insgesamt 40.000 Schweizer Franken in demZeitpunkt, in dem erstmals 100.000 kg mit Coffarom aro-matisierter Nahrungs- und Genussmittel verkauft waren[gemeint ist: worden sein werden], an Herrn Professor Dr.Staudinger und Herrn Professor Reichstein je 20.000 sfrs.“Ferner verzichtete die INGA auf Rückzahlung „des angeb-lich zuviel überwiesenen Betrags von sfrs. 1394,94“. Da-mit seien alle gegenseitigen Ansprüche bis zum 31.12. 1939erledigt [66]. Ob die in diesem Vertrag festgelegte Min-destmenge an Coffarom-Produkten jemals erreicht wurdeund die INGA die besagten 40.000 Franken auszahlen muss-te, ist nicht bekannt.

Nach dem Krieg versuchte man die Produktion fortzu-setzen und zog sogar in Betracht, den verfügbaren Boh-

nenkaffee mit Coffarom zu verbessern[67–69]. Diese Versuche waren inso-weit erfolgreich, als ein Produkt mitdem Markennamen „Coffarom Supra“zustande kam, über das H&R 1951 anDr. Helmut Beitter, offenbar ein Sohn

von Albert Beitter und Mitarbeiter von „Franck & Ka-threiner“, folgendes berichtete:

„Unsere fortgesetzten Bemühungen haben zu einemProdukt geführt, das allgemein günstiger beurteilt wirdals die früheren Coffarom-Sorten und den Vorzug hat, ingewissen Grenzen eine Überdosierung zu ermöglichen,ohne dabei so unangenehm in Erscheinung zu treten, wiees bei der bisherigen Standardqualität der Fall ist. […]Versuche mit Kaffee-Surrogaten haben ergeben, daß eineAromatisierung mit 1,4 Gramm dieses Coffaroms je Kiloin frischem Zustand als zu stark empfunden wird, jedochbald etwas zurückgeht und dann einen angenehmen Kaf-feeduft zeigt, der auch noch nach 5 Wochen [in einer] inverschlossener Flasche aufbewahrten Probe deutlich war.“[70]

Max Morgenthaler, der Nescafé und der Aufstieg der Firma Nestlé

Der wirkliche Durchbruch erfolgte im Frühjahr 1936 in derSchweiz. Der für die Firma Nestlé tätige Chemiker Max Mor-genthaler (1901–1980) [71], hatte schon 1930–1934 an derEntwicklung eines löslichen Kaffee-Extrakts gearbeitet.Auch ihm war es nicht gelungen, das aus Kaffeebohnen ex-trahierte Naturaroma auf seine wasserlöslichen Pulverkaf-fees zu übertragen und dort zu binden.

Nestlé stellte daher die Arbeiten ein, Morgenthalerforschte auf eigene Kosten weiter und fand heraus, dass derSchlüssel zum Erfolg in der verwendeten Trägersubstanzliegt. Nicht Fette oder fettähnliche Substanzen waren ge-

34 © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2014, 48, 22 – 35

A RO M A S TO F F E K A F F E E A R O M Awww.chiuz.de

DAS KÜNSTLICHE KAFFEE -

AROMA SCHEITERTE

Page 14: Ein synthetisches Kaffeearoma

eignet, sondern Kohlenhydrate. Es kam darauf an, die inder Kaffeebohne enthaltenen Fette soweit als möglich zuentfernen. Als Träger verwendete Morgenthaler eine sirup-artige Mischung aus Maltodextrin und Glucose, das aus Wei-zenmehl, Reis oder Kartoffelstärke gewonnen wurde [72].Am 1. April 1938 kam der „Nescafé“ auf den Markt und warsofort ein großer Erfolg.

Das „Coffarom“ scheiterte aus zwei Gründen: Erstensgelang es nicht, ein überzeugendes synthetisches Aroma zuentwickeln und zweitens war der Grundgedanke, dass espreiswerter sei, einem Ersatzkaffee ein synthetisches Aro-ma aufzuprägen, als diesen mit natürlichem Aroma zu ver-setzen, falsch. Die tatsächliche Entwicklung auf dem Kaf-feemarkt ging nicht in Richtung eines besonders teuren Na-turprodukts, sondern in Richtung fallender Preise. DerAuslöser für Morgenthalers Versuche war nicht Kaffee-knappheit, sondern eine Rekordernte 1930 in Brasilien, dieden Kaffeepreis ins Bodenlose stürzen ließ. Der löslicheKaffee sollte den Konsum von Bohnenkaffee ankurbeln,nicht ihn ersetzen. Die Vorstellungen von Staudinger,Reichstein, H&R sowie der INGA waren von der Mangelsi-tuation während und nach dem Ersten Weltkrieg geprägt.Der wahre Bedarf lag aber nicht in einem mehr oder min-der guten Ersatzkaffee, sondern im Instant-Kaffee. Das Na-turprodukt Kaffee musste gar nicht ersetzt werden – esmusste nur in eine Zubereitungsform überführt werden,die eine rasche und unkomplizierte Bereitung jederzeit er-laubte. Selbst wenn das Coffarom ein wirklich gutes Produktgewesen wäre, hätte es vermutlich gegen den Nescafé kei-ne Chance gehabt.

Für Nestlé bedeutete der Nescafé einen enormen wirt-schaftlichen Aufschwung und es ist wohl nicht übertreibenzu sagen, dass mit ihm der Grundstein für die Expansion desUnternehmens zum weltgrößten Nahrungsmittelkonzerngelegt wurde.

SchlagwörterCoffarom, Kaffeearoma, Staudinger, Reichstein, Nescafé

ZusammenfassungAusgelöst durch die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges initi-ierte Hermann Staudinger 1922 zusammen mit seinem Schü-ler Tadeusz Reichstein die Isolierung des Aromas von Boh-nenkaffe und die Synthese eines künstlichen, als „Coffarom“bezeichneten, Ersatzaromas. Die Forschungen wurden ab1928 in enger Zusammenarbeit mit Max Kerschbaum von derin der Aromastoff-Fabrikation führenden deutschen FirmaHaarmann und Reimer durchgeführt. 1932 beendete Reichs-

tein seine Arbeiten, ohne ein dem natürlichen Kaffeearomaannähernd gleichwertiges künstliches Aroma gefunden zuhaben. Die von der Nahrungsmittelindustrie finanzierten Ar-beiten waren zwar wirtschaftlich kein Erfolg, sind aber als he-rausragende mikrochemische Leistungen von Bedeutung fürdie Chemiegeschichte und stellen auch ein bemerkenswertesBeispiel für die Verbindung von universitärer Grundlagenfor-schung und wirtschaftlich ausgerichteter Zweckforschungdar. Anstatt des „Coffaroms“ eroberte der von Max Morgen-thaler bei der Firma Nestlé erfundene „Nescafé“ den Welt-markt.

SummaryInitiated by the experiences of World War I HermannStaudinger tried to create a synthetic coffee flavor and askedhis assistant Tadeusz Reichstein first with the isolation andanalysis of the natural flavor followed by the development ofa synthetic substitute. Reichstein worked from 1922 until1932 to solve this task which proved to be very intricate. Since1928 he worked closely together with Max Kerschbaum from“Haarman and Reimer”, then the leading company for artifi-cial flavors. They finished their research without being able tocreate with their “Coffarom” a real substitute for the naturalcoffee flavor. Nevertheless this project is of significant inter-est for the history of chemistry because of the highly sophis-ticated microchemical methods applied as well as it is inter-esting as an early example of the cooperation between uni-versity-based scientific research and industry-sponsoredapplied chemistry. When Max Morgenthaler, working for theNestlé company developed his “Nescafé”, the ascent of thisfirm to the biggest food producing conglomerate in the worldbegan.

LiteraturDie Literaturhinweise zu diesem Artikel finden Sie auf www.chiuz.de alssupporting information bei diesem Aufsatz

Der AutorClaus Priesner, geboren 1947 in München, studierteChemie und war nach seiner Promotion zunächstam Deutschen Museum in München tätig, später bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.Seine chemiehistorischen Arbeiten behandelnvorrangig die Geschichte der Alchemie in der Frühen Neuzeit und der Chemie vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Priesner lehrt an der LMU MünchenGeschichte der Chemie. Seine „Geschichte derAlchemie“ erschien 2011 im Beck Verlag.

Chem. Unserer Zeit, 2014, 48, 22 – 35 © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 35

A RO M A S TO F F E K A F F E E A R O M Awww.chiuz.de