Eine bemerkenswerte syrische Lesart in Mk 14,25

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ZNW 104. Bd., S. 146 DOI 10.1515/znw-2013-0006 © Walter de Gruyter 2013 Miszelle Eine bemerkenswerte syrische Lesart in Mk 14,25 Michael Lattke (Dept. of Studies in Religion, The University of Queensland, Brisbane, QLD 4072, Australia; [email protected]) Bei der Durchsicht der eucharistischen Einsetzungsberichte (Mt 26,26–29; Mk 14,22–25; Lk 22,15–20; 1Kor 11,23–25) für das neue von David Hellholm geleitete Forschungsprojekt »Sacred Meal, Communal Meal, Table Fellowship, and the Eucharist – Late Antiquity, Early Judaism and Early Christianity« bin ich auf eine syrische Lesart in Mk 14,25 gestoßen, die Aufnahme in die Ausgaben des Nestle–Aland (Novum Testamentum Graece samt der Synop- sis Quattuor Evangeliorum) verdient hätte. Dort lautet der Schluss dieses Verses folgender- maßen: ταν ατ πν καινν ν τ βασιλε το εο. In Mt 26,29 heißt es dagegen: ταν ατ π(ν) με μν καινν ν τ βασιλε το πατρ« μοψ . Worauf es hier nur ankommt, ist der matthäische Zusatz με μν. Anscheinend gibt es keine griechische Handschrift, in der με μν auch bei Mk auftaucht. Eine solche Lesart wäre sicher verzeichnet worden, und zwar mit der üblichen Angabe »p)«. Vielleicht wäre dann als weiterer Textzeuge der Sinai-Syrer (sy s ) genannt worden, wo sich der in der Peschitta fehlende matthäische Zusatz wrÎÓÚ (>amm_ kon) 1 tatsächlich findet. Für diesen Zusatz gibt es (mindestens) zwei Erklärungen. Erstens wäre es möglich, dass die alten syrischen Übersetzer die matthäische Lesart με μν in einer heute nicht mehr erhaltenen griechischen Handschrift von Mk vorgefunden hätten. Zweitens könnten die Über- setzer bei der Übersetzung von Mk ins Syrische einen Blick auf Mt geworfen und so den Zusatz με μν = wrÎÓÚ (>amm_ kon) ins zeitlich erste Evangelium übertragen haben. Wie auch immer die Erklärung ausfällt, erhalten wir wieder einmal einen winzigen Einblick in die handschrift- lichen Quereinflüsse der Synoptiker, die eine Annäherung an den verloreren Urtext des Neuen Testaments erheblich erschweren. Im unmittelbaren Kontext gibt es übrigens eine ähnliche, allerdings weniger gravierende syrische Variante, die auf το« μαητα« (Mt 26,26) statt auf ατο« (Mk 14,22; Lk 22,19) beruht. Daher ist anzunehmen, dass eine systematische Kollation von sy s weitere Lesarten zu Tage fördern würde. 1 Zitiert nach F. Crawford Burkitt, Evangelion da-Mepharreshe: The Curetonian Version of the Four Gospels, with the readings of the Sinai Palimpsest and the early Syriac Patristic evidence edited, collected and arranged. I. Text, Cambridge 1904, 230f: »with you«. Im Cureton-Syrer (sy c ) fehlt der Text von Mk. In der Vulgata findet sich das mat- thäische »vobiscum« übrigens auch nicht bei Mk. Brought to you by | Brown University Rockefeller Library Authenticated | 128.148.252.35 Download Date | 3/21/13 5:11 PM

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ZNW 104. Bd., S. 146 DOI 10.1515/znw-2013-0006© Walter de Gruyter 2013

Miszelle

Eine bemerkenswerte syrische Lesart in Mk 14,25

Michael Lattke

(Dept. of Studies in Religion, The University of Queensland, Brisbane, QLD 4072, Australia; [email protected])

Bei der Durchsicht der eucharistischen Einsetzungsberichte (Mt 26,26–29; Mk 14,22–25;Lk 22,15–20; 1Kor 11,23–25) für das neue von David Hellholm geleitete Forschungsprojekt»Sacred Meal, Communal Meal, Table Fellowship, and the Eucharist – Late Antiquity, EarlyJudaism and Early Christianity« bin ich auf eine syrische Lesart in Mk 14,25 gestoßen, dieAufnahme in die Ausgaben des Nestle–Aland (Novum Testamentum Graece samt der Synop-sis Quattuor Evangeliorum) verdient hätte. Dort lautet der Schluss dieses Verses folgender-maßen: �ταν α�τ� πν καιν�ν ν τ� βασιλε� το� �εο�. In Mt 26,29 heißt es dagegen: �τανα�τ� π(ν) με�� �μ�ν καιν�ν ν τ� βασιλε� το� πατρ�« μοψ. Worauf es hier nur ankommt,ist der matthäische Zusatz με�� �μ�ν. Anscheinend gibt es keine griechische Handschrift, in derμε�� �μ�ν auch bei Mk auftaucht. Eine solche Lesart wäre sicher verzeichnet worden, und zwarmit der üblichen Angabe »p)«. Vielleicht wäre dann als weiterer Textzeuge der Sinai-Syrer (sys)genannt worden, wo sich der in der Peschitta fehlende matthäische Zusatz wrÎÓÚ (>amm_kon)1

tatsächlich findet.Für diesen Zusatz gibt es (mindestens) zwei Erklärungen. Erstens wäre es möglich, dass

die alten syrischen Übersetzer die matthäische Lesart με�� �μ�ν in einer heute nicht mehrerhaltenen griechischen Handschrift von Mk vorgefunden hätten. Zweitens könnten die Über-setzer bei der Übersetzung von Mk ins Syrische einen Blick auf Mt geworfen und so den Zusatzμε�� �μ�ν = wrÎÓÚ (>amm_kon) ins zeitlich erste Evangelium übertragen haben. Wie auch immerdie Erklärung ausfällt, erhalten wir wieder einmal einen winzigen Einblick in die handschrift-lichen Quereinflüsse der Synoptiker, die eine Annäherung an den verloreren Urtext des NeuenTestaments erheblich erschweren. Im unmittelbaren Kontext gibt es übrigens eine ähnliche,allerdings weniger gravierende syrische Variante, die auf το�« μα�ητα�« (Mt 26,26) statt aufα�το�« (Mk 14,22; Lk 22,19) beruht. Daher ist anzunehmen, dass eine systematische Kollationvon sys weitere Lesarten zu Tage fördern würde.

1 Zitiert nach F. Crawford Burkitt, Evangelion da-Mepharreshe: The Curetonian Versionof the Four Gospels, with the readings of the Sinai Palimpsest and the early SyriacPatristic evidence edited, collected and arranged. I. Text, Cambridge 1904, 230f: »withyou«. Im Cureton-Syrer (syc) fehlt der Text von Mk. In der Vulgata findet sich das mat-thäische »vobiscum« übrigens auch nicht bei Mk.

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