Eine Doppelbildung bei Nereïs Dumerilii

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Eine Doppelbildung bei Nere'l's Dumerilii. Yon stud. rer. nat. Johannes Schneider. Mit 12 Figuren im Text. Eingegangen am 25. November 1911. Bei meinem Aufenthalte an der Zoologischen Station zu Neapel im M~trz und April 1911 gelangte mir eine eigenartige Doppelbildung der Larre yon ~Vere~:~ Dumerilii zur Beobachtung. Am 15. April n~tmlich bemerkte ich unter tier einer Wurmrtihre entnommenen Brut eine Larve, die sich durch ihre ungewtihnliche Form yon den iibrigen abhob. Sie wurde soffleich isoliert und in einem Zuchtglase getrennt yon den anderen gehalten. Bei einer genaueren mikroskopischen Untersuchung stellte sich dann heraus, dab das unre~elmiiBige )~uBere dutch zwei Stummel, die Anlagen zu zwei Hinterenden, verursacht wurde. Der einhcitliche Kopf setzte sich als kleine, kuglige Vorwtilbung ctwa in der Richtung dcr L~tnffsachse nur undcutlich yore K~irper ab. Auch machten sich be- reits je 4 Paar Parapodien und die Anlagen zu zwei 5. Paaren be- merkbar; und zwar enthielt dcr vordere gemeinsame K~irperabschnitt die 3 ersten Parapodienpaare, die beiden Schw~inze die 4. und 5. Paare. 0ffenbar waren die beiden Tiere mit den RUcken- oder Bauch- seitcn miteinander verschmolzcn; denn die Parapodien nahmen die schmalen Ri~nder der plump-scheibenfSrmigen KSrper ein, die mit ihren breiten F]~tchcn miteinander verwachsen waren (Fig. 1 a). Leider lieB sich am lebenden Tiere tiber die Art der Vereinigung, ob mit Rticken- oder Bauchseitc, nichts Sicheres ermitteln; verhindertc doch der Nahrungsdotter mit seiner eigenartigen, schmutzig-gelben Farbe jeden Einblick in die innere Organisation des Tieres. Zum

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Eine Doppelbildung bei Nere'l's Dumerilii. Yon

stud. rer. nat. Johannes Schneider .

Mit 12 Figuren im Text.

Eingegangen am 25. November 1911.

Bei meinem Aufenthalte an der Zoologischen Station zu Neapel im M~trz und April 1911 gelangte mir eine eigenartige Doppelbildung der Larre yon ~Vere~:~ Dumerilii zur Beobachtung.

Am 15. April n~tmlich bemerkte ich unter tier einer Wurmrtihre entnommenen Brut eine Larve, die sich durch ihre ungewtihnliche Form yon den iibrigen abhob. Sie wurde soffleich isoliert und in einem Zuchtglase getrennt yon den anderen gehalten.

Bei einer genaueren mikroskopischen Untersuchung stellte sich dann heraus, dab das unre~elmiiBige )~uBere dutch zwei Stummel, die Anlagen zu zwei Hinterenden, verursacht wurde. Der einhcitliche Kopf setzte sich als kleine, kuglige Vorwtilbung ctwa in der Richtung dcr L~tnffsachse nur undcutlich yore K~irper ab. Auch machten sich be- reits je 4 Paar Parapodien und die Anlagen zu zwei 5. Paaren be- merkbar; und zwar enthielt dcr vordere gemeinsame K~irperabschnitt die 3 ersten Parapodienpaare, die beiden Schw~inze die 4. und 5. Paare.

0ffenbar waren die beiden Tiere mit den RUcken- oder Bauch- seitcn miteinander verschmolzcn; denn die Parapodien nahmen die schmalen Ri~nder der plump-scheibenfSrmigen KSrper ein, die mit ihren breiten F]~tchcn miteinander verwachsen waren (Fig. 1 a).

Leider lieB sich am lebenden Tiere tiber die Art der Vereinigung, ob mit Rticken- oder Bauchseitc, nichts Sicheres ermitteln; verhindertc doch der Nahrungsdotter mit seiner eigenartigen, schmutzig-gelben Farbe jeden Einblick in die innere Organisation des Tieres. Zum

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UnglUek war noeh der Dotter abnormerweise nieht in Dotterzellen enthalten, sondern erfUllte das ganze Tier als eine grebe, zusammen- hiing'ende Masse.

Fig-. I a.

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Trotzdem das Doppelwesen wie an den ersten Tagen naeh seiner Aut'findung immer noeh v~llig bewegungslos auf dem Boden seines Ge- fitl3es lag, begann allm~thlieh eine eigenartige Asymmetrie yon auger-

Fig. 1 b.

I':opf yon :,oben,: gesehen.

ordentlieher Bedeutung "tufzu- treten: An dem Kopfe hatte sieb nSmlieh inzwisehen die reeht an- sehnliehe Anlage zweier Palpen bemerkbar gemacht; nnd zwar riehtete sieh ihre L[ingsaehse ungef~ihr parallel der ~ehmalseite der beiden Kt~rper, Fig'. 1 a u. I b. Sehon hier sei es mir gestattet, die Lage der Palpen mit ,unten~,, zu bezeiehnen. Ht~ehst eigenartig ist die Tatsaehe, dab die Palpen nieht vSllig symmetriseh zu der dureh Kopt' und Kiirpermitte ge- daehten Mediane liegen, sondern,

wie ein Bliek auf Fig. 1 b, 3 nnd 4 a lehrt, ein klein wenig naeh reehts verschoben sind. Gleichzeitig plattet sich der anfangs rnnde KoI)f- hSeker ab, um sehr~,ig naeh hinten-~oben< / anzusteigen (Fig. 1 a und 2).

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Es beginnt sieh somit an dem Tiere offenbar in Anpassung an die vSIlig neuen Verh~ltnisse eine p h y s i o l o g i s e h e Dor sa l - und Ven t r a l s e i t e zu bilden.

Fig. 2.

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a o ~ c o ' F " , " 4 ~ ,

Nzr/a,.qe ~e,., r ~ Orren:asres.

Auch das Verhalten der Augen harmoniert mit der eben ge- maehten Beobachtung. Diese sind n~,imlich iuzwisehen auf der >>Dorsal- seite, des Kopfes aufge- treten; je ein Paar mehr lateral rechts und links am Kopf, je ein weiteres Paar mehr dorsal, unmittelbar rechts und links der Me- diane. Nicht unerw~ihnens- wart seheint es mir, dab an Stelle des linken obe- ren Augenpaares sieh zu- n~,iehst nut ein einziges Auge~nlegte, Fig. t b u. 1 a, dem sich erst am 8. Beob- achtungstage das fehlende zweite Auge hinzugesellte (Fig. 2 und 3).

Fig. 3.

�9

~ l~la~e des ~ C/rrenpaa:eS.

Als weiteres Kriterium der physiologischen Rtiekenseite hat sich dorsal, genau in der Mediane auf dem Kopfe, kurz vor den oberen Augen ein einziger unpaarer Tentakel eingestellt, im Gegensatze zu

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den paarigen~ weiter vorn dieht tiber den Palpen liegenden Ten- takeln.

Dorsal und ventral legen sieh unmittelbar hinter dem Kopfe auf einem gemeinsamen H~eker in der Mediane die Cirren an, Fig. i b, 4 b, 4 a, 3 und 2. Aus ihrer Lage zneinander h~ttten sich vielleieht Schltisse tiber den Verwachsungsmodus der beiden Individuen ziehen lassen kSnnen; denn der ventrale Cirrus tritt, wie HEMPELMAN~ naehgewiesen hat~ in der Normalentwieklung erst als kleiner Stummel in Erscheinung,

wenn der tiber ihm liegende dorsale Cirrus bereits eine ansehnliche L~nge erreicht hat. Je nachdem die Tiere mit ihren morphologischen Rticken- oder Bauchseiten verwachsen gewesen wiiren, hiitte der kleinere ventrale tiber bzw. unter dem dorsalen Cirrus liegen mUssen. Leider befanden sich aber beide in einer Horizontalebene, der dor- sale vor dem ventralen (Fig. 2).

Gleichzeitig sind die Analcirren aufgetreten. Nut am reehten Schwanzende fehlt noeh der obere (Fig. 1 und 4 b).

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Die anatomischen Beobaehtungen stimmten mit den biologischen Uberein : Jedesmal, wenn das Tier auf eine der physiologischen Lateral- seiten oder gar auf die Dorsalseite gelegt wurde, fUhrte es solange strampelnde Bewegungen aus, bis es die normale Lage wieder ein- genommen hatte. Denn ich darf nieht unerw~thnt lassen, dab mit zunehmendem Alter sieh aueh eine gesteigerte Beweglichkeit einge- stellt hatte, die sich besonders auf die sich unabhangig voneinander beweglichen Schwanzenden erstreckte.

Fig. 5.

Am 10. Beobachtungstage kann man eine deufliche Gabelung der Dottermasse an der Wurzel der beiden Schw~inze konstatieren. Offenbar setzt sich also der gemeinschaftliche Darm in jeden Schwartz getrennt fort (Fig. 4 b).

Bei der ~iuBeren Untersuchung des Tiercs ist uns ein eigenartiges Durcheinander yon Merkmalen entgegengetreten, die bald fur die eine, bald fur die andre Auffassung der stattgehabten Verwachsung sprechen.

Erst eine gcnauere Untersuchung der inneren Anatomie sollte mich in die Lage versetzen~ ein sicheres Urteil tiber die tats~tchlichen Beziehungen zu gewinnen.

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Da das Tier in ein Stadium gelangt war, yon welehem aus sieh die weitere Entwicklung libersehen lieB, wurde es am selben Tage konserviert und spater in Quersehnitte yon 5 tt Dicke zerlegt.

Sehr iibersichtlich liegen die Verh~ltnisse am Verdaunngstractus. Vorn an der Ventralseite des Kopfes befindet sich kurz hinter der Palpenbasis die Mundtiffnung. Die sic umgebenden Papillen sind er- fUllt yon dem Secrete der dem Unterschlundganglion dieht anliegen- den MunddrUsen, die sich auch bei der normalen Larve an dieser Stelle finden (Fig. 5).

Fig. 6.

An die Mundtiffnung schliefit sich der erstaunlich kr~ftige Pharynx. Ein Vergleich mit gleichalterigen normalen Tieren lehrt, dab die SchlundkopfgrSBe der Doppelbildung weit liber das normale Mal~ hinausgeht. Der Mitteldarm ist mit Dotter erfiillt; auch in der LeibeshShle finden sich einzelne Dotterschollen (Fig. 6 und 7) 1).

1) Auf diese Verh~iltnisse wird in einer Arbeit tiber die Darmentwieklung yon Au Dumeri l i i n~her eingegangen werden. Ich bin bereits in der Lage, folgendes Ergebnis mitzuteilen: Aus dem an der Verschlul3stelle des Blasto- porus befindlichen Plug of small cells yon WILSOS (The Cell-lineage of Au Journ. Morph. Boston. Vol. 6. 1892. Considerations on Cell-lineage. Ann. New York, Acad. Sc. Vol. 11. 1898) wandern amiiboide Zellen an der Peripherie der Dotterentomeren entlang und bilden vorn an der Beriihrungsstelle der 0esophago-

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Kurz hinter dem 3. Parapodium gabelt sich der Darm in zwei engere Forts~tze, die in die beiden Schwanzteile hineinziehen. Dort mUnden

sie am Hinterende zwischen den Analcirren nach auBen (Fig. 7 und 8).

~oeh einfaeher ist das Muskelsystem angeordnet: Parallel der

linken und reehten Wand des gemeinsamen KSrperabschnittes ver- streiehen unmittelbar unter diesen zwei starke L~tngsmuskelbiinder. An

ihrer Besehaffenheit erkennt man ohne Schwierigkeit, dab wir hier

d i e m o r p h o l o g i s e h d o r s a l e n L ~ n g s m u s k e l n vor uns haben. Beide treten ohne jede Veriinderung auf derselben KSrperseite in die

zugehSrigen Sehwanzabschnitte tiber.

Fig. 7.

Pharynx-Anlage und der Entomeren den vorderen Mitteldarmkeim. Der Zellpflock hShlt sich aus und schlie[3t sein Lumen, den hiuteren Mitteldarmabschnitt, gegen den sich zwischen den Entomeren bildenden Spalt, den vorderen Mitteldarmab- sehnitt, dureh die Mitteldarmlamelle ab. Von den unmittelbar cranialwiirts dieser Lamelle gelegenen Zellen, die Abk~immlinge des Zellpfloeks sind und yon mir als hinterer Mitteldarmkeim bezeichnet werden, wird ebenso wie yore vorderen Mitteldarmkeim in den Winkeln, unter denen die vier Entomeren zusammen- stol3en, Str~inge eines provisorisehen Dottermitteldarmepithels gebildet. Vorher sind schon oberfl~tehlich in den Dotter Vitellophagen eingedrungen, die, amito- tiseh sich vermehrend, auf spiiteren Stadien zugrunde, gehen. Vom 8-Segmente- stadium ab erfolgt die Abstoi3ung des provisorischen Mitteldarmepithels unter gleiehzeitiger Erneuerung yon den Darmkeimen aus. Dieser Prozel3 hat gleich- zeitig mit der Dotterresorption auf dem 11-Segmentestadium seinen Abschlul3 gefunden. Kur~ zuvor ist die zwischen dem ectodermalen Oesophagus und dem vorderen Mitteldarmabschnitt befindliehe Scheidewand durchgebrochen. Des-

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Naeh dem Verhalten der ,dorsa len , Liingsmuskelb~inder wiiren die Tiere also mit ihren morphologisehen Ventralseiten miteinander

verwaehsen. Die ebenso leieht zu erkennenden ,ventralen~ Liingsmuskel-

blinder folgen dem Verlaufe der je tz t zu bespreehenden Nervenstamme (Fig. 6, 7, 8).

Hier liegen nun die Dinge recht verwickelt. Zwar besitzt die Larve ein viillig einheitliches Cerebralganglion (Fig. 9 und 10), yon dem ihrer Doppelnatur entsprechend dorsal und ventral j e ein s tarker

Fig. 8.

Liingsstamm yon der typischen Beschaffenheit des Annelidenbauch- markes im gemeinsamen KSrperabsehnit te nach hinten zieht. Beide

gleichen wird die Kommunikation zwischen dem hinteren Mitteldarmabschnitt und dem als kleine, ectodermale Einstiilpung entstehenden Enddarm nach Durch- rei[3en der trennendeuWand hergestellt. Auch die Mitteldarmlamelle ist zugrunde gegangen. Neben dieser typischen, normalen Darmbildung gibt es zahlreiche Modifikationen: 1) Durch Entleerung yon Dotter aus einer Entomere in das Lumen des Dottermitteldarmes, ja selbst einer ganzen oder mehrerer Entomeren, wird der yon HE~PELMANN (Zur Naturgeschichte yon 1Vere~s Dumerilii. Zoologica. Bd. 61. 1910) als Rote Kiirper bezeichnete Dotterkiirper gebildet. Dieser fiillt, yon zahlreichen Vitellophagen durchfureht, der Resorption anheim. 2) Entleerung des Dotters in die LeibeshShle durch Platzen yon 1--4 Entomeren. Auch bier resultiert nach der Dotterresorption ein normales Tier. 31 Kombination der unter 1 und 2 angefiihrten Modifikationen.

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St~imme erseheinen im Querschnitte als halbmondF6rmige Rinnen und kehren sich und dem Darmrohre ihre konkaven Seiten zu (Fig. 5 u. 6).

~ach ihrem Verhalten im gemeinsamen K(irperabsehnitte zu ur- teilen, sollten die beiden Tiere mit den Dorsalseiten miteinander ver- waehsen sein, ganz entgegen dem SehluB, den wir aus den Lage- beziehungen der dorsalen Liingsmuskelbiinder gezogen hatten (vgl. S. 378, 1. Absatz).

VSllig normal umfassen die kurz hinter der Palpenbasis aus dem Gehirn entspringenden zwei ~ervenstr~nge als Schlundkommissur die Mandiiffnung, um sich unmittelbar hinter ihr zum ~ventralen,, Bauch- mark zu vereinigen. Abweichend dagegen verhlilt sich das ~dorsale~ Bauehmark. Ganz gegen die Norm tritt es als viillig einheitlicher

Fig. 9. Fig. 10.

Schnitt (lurch den Kopf tier Doppellarve. Schnitt (lurch den Kopf einer normalen Larve.

Strang aus dem Gehirne aus. Aueh nicht die geringste Spur einer Schlundkommissur ist zu finden.

AuBerordentlieh interessant ist der Befund, daB, wie auf der Ventralseite, auch dem 1. Ganglion des dorsalen Bauchmarkes die bereits erw~thnten MunddrUsen angelagert sind. Trotz des Fehlens einer MundSffnung entsenden sie ihre Secrete in das unmittelbar dar- tiber befindliche Gebiet der Haut (Fig. 5).

Dorsales and ventrales Bauchmark verstreiehen gleichmiii]ig in der Mitre des Tieres nach hinten und geben in jedem Segmente die Parapodialnerven ab, das dorsale Bauehmark an die dorsalen, das ventrale an die ventralen Parapodien (Fig. 6, 7, 8).

AuBerordentlich Uberraschend ist das Verhalten der Nerven- stiimme an der Gabelungsstelle des einheitlichen K(irperabschnittes.

Die linken Strlinge des ~dorsalen~ and ,ventralen, Bauchmarkes niihern sich an dieser Stelle bis znr Bertihrung, indem der dorsale

Archiv f. Entwicklungsmechanik. XXXIV. ~5

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ein klein wenig herabsteigt, der ventrale sich ebensoviel hinaufzieht. Gleiehzeitig beschreiben beide Str~tnge eine Drehung um 90~ der linke obere Strang im Sinne des Uhrzeigers, der linke untere im ent- gegengesetzten Sinne. So werden diejenigen Seiten der Striinge~ die im gemeinsamen K~irperabschnitte als Innenseiten im Bauchmark fungiert hatten, wieder zu Innenseiten des auf die eben beschriebene Weise neugebildeten Bauchmarkes, das nunmehr im linken Schwanze in der Mitre der medianen K(irperseite nach hinten zieht und seinen halbmondfiirmigen Querschnitt nach links-auBen kehrt. Das Verbal- ten der beiden rechten Str:ange ist, vice versa~ das gleiche (Fig. 6, 7~ 8; linke ~ervensubstanz punktiert, rechte sehraffiert).

Das Blutge~Bsystem sehlief~t sich eng an die lateralen (morpho- logisch dorsalen) Li~ngsmuskelbiinder und anderseits an das Bauch- mark an.

Im gemeinsamen Kiirperabschnitte finden wir vier starke, nach hinten verlaufende Gef~f~e. Die beiden lateralen liegen dicht unter der Mitte der beiden lateralen L~tngsmnskelb~nder und verstreichen wie diese ohne jede Ver~tnderung naeh hinten. Offenbar entsprechen sie den morphologisch dorsalen Gef~tBen.

Komplizierter ist das Verhalten der beiden anderen, zwischen Bauchmark und Darmrohr verlaufenden, offenbar ventralen Blutgefiil~e. Indem das dorsale dem linken dorsalen Nervenstrange folgt, gelangt es mit diesem in den linken Schwanz; das dem reehten ventralen Strange sich anschlieBende ventrale Gef~iB gelangt mit diesem in den rechten Schwanz (Fig. 6~ 7, 8.

GemiiB der Doppelnatur des Tieres begegnen wir auch vier Ge- schleehtsdriisen in jedem Segmente (Fig. 7 und 8).

Auf Grund dieses anatomisehen Befundes kann nnnmehr erneut der Frage nach dem Verschmelzungsmodus niihergetreten werden.

DaB tatsi~chlich eine durch Verwachsung zweier Individuen ent- standene Doppelbildung vorliegt, wie bis jetzt immer stillschweigend angenommen wurde, wird dadureh bewiesen~ dab jedes der beiden Tiere die Gr~iBe eines normalen, gleichalterigen Tieres besitzt, dab ferner Organe, die im gemeinsamen Kiirperabschnitte nut in der Ein- zahl vertreten sind, erheblieh gr0Ber als am normalen Tiere er- scheinen, z. B. der Kopf mit Gehirn, Darm und Pharynx. Da liegt denn aueh die Frage nahe, weshalb nicht e in Individuum yon doppelter GrSBe zustande gekommen ist.

Offenbar hat aber keine vollstiindige Verschmelzung stattgefunden. Der Beweis hierftir ist ja die Anwesenheit der beiden Schwanz-

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absehnitte. Die Lage d e r be iden Schwi inze z u e i n a n d e r g ib t uns a l so AufschluB tiber d i e L a g e b e z i e h u n g e n der b e i d e n I n d i v i d u e n w~thrend der V e r s c h m e l z u n g .

Nun kehren sie abet, wie erwi~hnt, ihre Ventralseiten gegen- einander, Fig. 7 und 8. Es war dies in der Hauptsache daran zu erkennen, dab das Bauehmark an den Innenseiten der beiden Schw~inze verl~iuft, und dab seine konkave Querschnittsfigur nach auBen zeigt. Die beiden AuBenseiten hingegen sind zur Gentige als Dorsalseiten durch die unter ihnen verlaufenden bogenfSrmigen L:~tngsmuskelb~tnder charakterisiert (Fig. 8).

D e m z u f o l g e sind die b e i d e n T i e r e mit ih ren B a u c h - se i t en m i t e i n a n d e r v e r s c h m o l z e n .

Von groBem Interesse ist natUrlich die Frage nach dem Stadium, auf welchem dieser ProzeB stattgefunden hat. Sehr sympathisch ist ja der Gedanke an die Verschmelzung zweier unreifer Eier im mutter- lichen Organismus, wo sie dieht gedr~ingt in der Leibeshtihle liegen und der Membran noch entbehren. "~_hnliehe VorgSnge hat uns ja bereits KORSCHELT bei Ophryotrocha puerilis beschrieben~). Ge- wiehtige Grtinde abet, auf die ich welter unten n~,ther eingehen werde, sprechen fiir eine Verschmelzung auf sp~teren Stadien. Nut soviel sei gesagt, dab Messungen an Kernen und Zellen yon verschmolzenen Organen eine vSllige GrSl]entibereinstimmung mit den entsprechenden Komponenten der gleichen Organe normaler Tiere vom selben Alter ergeben haben.

Auch auf i~lteren Stadien - - ich greife hier ganz willkiirlich das Trochophorastadium heraus - - ist der yon mir angenommene Ver- schmelzungsprozeB sehr wohl mSglich. Denn selbst da hat sich die kUnftige Bauchseite der beiden Individuen nur wenig abgeflacht und besitzt noch annahernd die Krtimmung des ungefnrchten Eies. Es ist daher leicht verstandlich, wie bei dam hypothetischen Verwachsungs- modus Stomodiium- und Ventralplattenanlage miteinander in innige Bertihrung kommen muBten im Gegensatz zu den beiden Schwanz- knospen. Diese sind vielmehr infolge der Kriimmung welt voneinander abgertickt (Fig. 11).

Unter der durch die anatomischen Befunde bewiesenen Voraus- setzung, dais die Verschmelzung genau in der Mediane erf'olgt ist, muBte notwendigerweise der rechte Nervenstrang des linken Tieres

1: KOR.SCHELT, Uber Kernteilung, Eireifung und Befruchtung bei Ophryo- trocha puerilis. Zeitschr. fi wiss. Zoologie. Bd. 60. 1895. S. 670.

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sieh mit dem linken Strange dGs rechten Tieres paaren and auf die in Bildung begriffene physiologisehe Dorsalseite gelangen. Auf diese Weise wird das dorsale Bauehmark gebildet, und es erklart sigh zwanglos die an nnd ftir sigh unverstiindliche TatsaGhe, dab jedes Bauchmark des gemeinsamen KSrperabschnittes arts je e inem Anteil der beiden Individuen zusammengesetzt ist.

Fig. 11.

Gleichzeitig muB der linke Strang eine Drehung um 90 ~ im Sinne des Uhrzeigers ausfUhren, tier rechte ihm Gntgegen, damit ihre beidGn an der Iqervensubstanz kenntlichen Innenseiten wieder nach innen, dem Darme zugekehrt werden.

Diese DrGhung ist schon aus rein mechanischen GrUnden not- wendig. Einzig und allein das BestrebGn der beiden eben mit- Ginander verschmolzenen Larven~ ihren KSrper wiedGr abzurunden 7 und die tiefe, yon seiner Oberfl~tehe bis zur Verschmelzungsstelle sigh heraberstreckende Furche auszugleichen, genUgt bereits, die Drehnng in der eben auseinandergesetzten Weise zu veranlassen (Fig. 12).

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FUr die beiden anderen Nervenstriinge ergibt sigh natUrlich das entsprechende Verhalten.

Immerhin bleibt es merkwUrdig, dab die beiden heterogenen Komponenten des Bauehmarkes in den Ganglienknoten miteinander in Verbindung treten. Eine interessante Illustrierung des vom Ganzen auf seine Teile ausgeUbten Einflusses!

Erst anf diese Weise wird das Doppelwesen zu einer hiiheren organisehen Einheit erhoben, ganz abgesehen yon der Anwesenheit eines einheitliehen gemeinsamen Gehirnes. Zugleieh bleibt bei dieser eigenartigen Paarung jedem Strange die Miigliehkeit gewahrt, auch in der neuen topographisehen Lage die ihm zukommenden Parapodien auch weiterhin mit seinen h'erven zu versorgen (Fig. 6).

Das Verhalten tier MunddrUsen i~hnelt auBerordentlieh dem des lqervensystems. Die morphologiseh linke Drtise des linken Tieres

Fig. 12.

kommt neben die rechte des rechten Tieres auf der physiologischen Ventralseite zu liegen, w~thrend sich auf der physiologischen Dorsal- seite die morphologisch rechte DrUse des linken Tieres und die linke des rechten Tieres paaren. Man braucht sich nnr in Fig. 12 an Stelle der Nervensubstanz die MunddrUsen zu denken.

Zwischen dem erstgenannten Driisenpaare bricht sp~tter die Mund- 5ffnung dutch, w~hrend das andere saint den zugehSrigen l'~erven- strttngen weir nach oben auf die physiologische Dorsalseite gelangt. Auch in dem Verhalten der MunddrUsen ist ein Beweis fur die Richtigkeit der aufgestellten Verschmelzungstheorie zu erblicken, be- sonders in dem Verhalten des dorsalen Paares, dessen Lage an der physiologischen Dorsalseite sonst vSllig unverstandlieh ware.

Der yon mir angenommene Verwaehsungsmodus erkl~trt ferner ohne Schwierigkeiten die Vereinigung der eng aneinander liegenden Kopfanlagen mit ihren Gehirnen zu einer Einheit, die Vereinigung der einander zugekehrten vier Palpenanlagen paarweise zu zwei Palpen;

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dab weiterhin die beiden Stomodiiumanlagen~ sowie die beiden Mittel- d~irme und LeibeshShlen zu einheitlichen Organen versehmolzen.

Leider machte es die auf den Schnitten unregelmiiBige Gestalt der durch Versehmelzung hervorgegangenen einheitlichen Organe un- m(iglich, zuvertiissige Messungen ihrer GrSBe vorzunehmen. Sollte man doch nach DIr erwarten~ dab sie, entsprechend ihrem doppelten Keimwert~ auch nahezu die doppelte GrSBe besitzen wUrden. Ich muB mich daher mit der Tatsache begntigen, dab die in Frage kommenden Organe bedeutend griiBer sind als bei einer gleieh- alterigen~ normalen Larve; z. B. verhalten sich die Radien des an- n~thernd kreisf6rmigen Querschnittes des Pharynx der Doppellarve und einer normalen wie 9 :7 .

Wiehtig ist abet die Feststellung, dab dieser GrSBenunterschied nicht durch ein grSBeres Volumen 7 sondern eine grSi~ere Zahl der Zellen be- dingt wird; denn Messungen an Zellen und Kernen bewiesen bei beiden zum Vergleich benutzten Tieren vSllige Ubereinstimmung in der GrSBe.

Hierin sehe ich einen wichtigen Beweis ftir die oben ausge- sprochene Behauptung, dab die Doppellarve nicht durch Verschmelzung zweier unreifer Eier hervorgegangen ist; denn dann mtiBte analog den aus Rieseneiern hervorgegangenen Ascariden die ZellengrSBe die doppelte sein. Mit den obigen Befunden stimmten gleichfalls die Messungen an den Gehirnzellen tiberein. Auch hier ist das schon aus Fig. 9 ersichtliche grSBere Volumen des Doppellarvengehirnes nieht durch grSBere, sondern dutch zahlreichere Zellcn bedingt.

Eine notwendige Folge des yon mir angenommenen Verwaehsungs- modus ist weiterhin die Erscheinung~ dab Organe mit etwas welter voneinander entfernten Anlagen nicht verwachsen konnten; so die Parapodien, die Augen~ die ja auf den voneinander abgewandten morphologischen Dorsalseiten des Kopfes angelegt werden. Hier seh~IeBen sich die Tentakeln und die Cirren an.

Das AufrUcken der Tentakeln wie der Augen yon der morpho- logischen Dorsalseite auf die neue physiologische Dorsalseite muB als Anpassung an die neageschaffenen Verh~ltnisse betrachtet werden~ desgleiehen das Herabwandern des Vorderdarmes mit der MuM- 5ffnung, Organe, die wiihrend der Verschmelzung ihren Platz genau in der durch Kopf- und KSrpermitte gedachten Mediane gehabt haben mUssen; ferner das Herabrticken der Palpen, deren verschmolzene Anlagen ursprUnglich in der Verl~ngerung des Kopfes symmetriseh zur Kiirpermediane gelegen haben werden. Wie vielleieht noch er- innerlieh, nehmen dic Palpen in den auf Fig. lb, 3, 4a und Fig. 9

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wiedergegebenen Stadien eine etwas asymmetrische, nach rechts ver- echobene Lage ein. Auch diese a priori unversti~ndliche Erscheinung laBt sich ungezwungen an der Hand meiner Verechmelzungstheorie erkl~tren: Wenn die Tiere mit ihren Bauehseiten aneinander liegen, so gelangt der ursprtinglich rechte Palpus des linken Tieree and der linke Palpus des rechten Tieres miteinander zur Yerschmelzung. Und zwar vereinigen sie sich zu einem einheitlichen Palpus, welcher dorsal der KSrpermediane liegt. Er befindet eich also auf der ktinftigen physiologisehen Dorsaleeite.

Die enteprechenden andern Palpen liefern den einheitlichen Palpus auf der ktinftigen physiologischen Ventralseite. Beide Palpen werden hSchstwahrscheinlich ihre mit Sinneszellen dicht besetzten Vorderenden nach vorn gekehrt haben. Bei der Ausbildung der physio- logischen Ventral- and Dorsalseite muBte nun notwendigerweiee der dorsal g.elegene Palpus auf die in der Entstehung begriffene u seite herabwandern. Bei weitem leichter war fur den ventralen Palpus die Anpassung an die neugescbaffenen Verhiiltnisse. :Nur eine ganz geringe Drehung wird nStig gewesen sein, um sein ursprting- lich naeh vorn in der Richtung. der Kiirpermediane orientiertes Sinneeende abwSrts zu wenden. Schon liing.st wird er mit dieser Verschiebung. die definitive Lag.e erreicht haben, zu einer Zeit, wo der rechte Palpus anniihernd erst die reichliche Hiilfte der zu durch- wandernden Strecke zurtickg.elegt hat. Dieses Stadium wird sehr echiin durch unsern Querschnitt auf Fig.. 9 veranschaulicht.

Eig.enartig. ist das Vorhandensein eines dritten unpaaren Tentakels, zumal er durchaus nicht etwa stlirker ist ale die beiden paarig.en. Er ist also sicher nicht durch Verschmelzung. zweier Anlagen entstanden. Die Bildung. dee vierten Tentakels muB also unterblieben sein. Einen Grand weiB ich nieht anzuftihren, and ich darf vermuten, dab seine Bilduug. aue derselben unbekannten Ureache unterblieben ist, wie die dee einen Analcirrue (Fig.. 4). Aueh das eine Aug.e win'de ja erst ver- hiiltnismiiBig, epiit angeleg.t, eine vielleicht auf ~thnliche unbekannte Ursachen zurUckzuftihrende Hemmung.serscheinung..

T e c h n i s c h e B e m e r k u n g e n .

Alle Schnitte warden mit dem ABnnschen Zeichenapparat mit LEITZ Obj. 6a, Comp.-Oc. 4 gezeichnet. Zeichenebene in Hiihe des Objekttisches. Fig.. 1--4 nach dem Leben.

Herrn Geheimrat CHux and den Herren Privatdozenten Dr. HEMPEL)IANN und STECHE danke ich g.leiehzeitig, fUr die wertvollen Anreg'ung.en.