Eine Einladung in die Mathematik || Kleine Nenner: Zahlentheorie in dynamischen Systemen

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Kleine Nenner: Zahlentheorie in dynamischen Systemen Jean-Christophe Yoccoz Zusammenfassung Wir untersuchen dynamische Systeme mit zwei oder mehr sich bewegenden Teilchen, wie etwa zwei Planeten, die um die Sonne kreisen. Wenn das Verhältnis α der beiden Rotationsperioden rational ist, befinden sich die Planeten in Resonanz, und die paarweise Wechselwirkung führt zu instabiler Dynamik. Wenn das Periodenverhältnis α irrational ist, kann es beliebig gut durch rationale Zahlen angenähert werden, und die Sta- bilität hängt davon ab, wie gut diese Näherung abhängig von den Größen ihrer Zähler und Nenner ist. Dies stellen wir in einem vollständig lösbaren Modellfall, der Iteration quadratischer Polynome z e 2πiα z + z 2 , fest und zeigen, wie dies zur Frage der Diophantischen Approximation in der Zahlen- theorie führt. Zuletzt betrachten wir kurz die gleiche Situation mit mehreren Planeten. 1 Planetensysteme In der Himmelsmechanik beschreibt man die Bewegung von Himmelskörpern unter Zuhilfenahme des Newtonschen Gravitationsgesetzes. Dieses Gesetz be- sagt, dass die anziehende Kraft zwischen zwei Körpern (wir nehmen an, dass ihre Größe vernachlässigbar ist) proportional zu beiden Massen und indi- rekt proportional zum Quadrat ihres Abstands ist. Die Beschleunigung eines Körpers ist zur Summe der auf ihn wirkenden Kräfte proportional. Mathema- tisch formuliert lässt sich die Gravitations-Wechselwirkung von N Körpern somit als Lösung eines Systems von Differentialgleichungen zweiter Ordnung beschreiben. Jean-Christophe Yoccoz Collège de France, 3 rue d’Ulm, 75231 Paris Cédex 05, Frankreich. E-mail: [email protected] 43 DOI 10.1007/978-3-642-25798-8_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 D. Schleicher, M. Lackmann (Hrsg.), Eine Einladung in die Mathematik

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Kleine Nenner: Zahlentheorie indynamischen Systemen

Jean-Christophe Yoccoz

Zusammenfassung Wir untersuchen dynamische Systeme mit zwei odermehr sich bewegenden Teilchen, wie etwa zwei Planeten, die um die Sonnekreisen. Wenn das Verhältnis α der beiden Rotationsperioden rational ist,befinden sich die Planeten in Resonanz, und die paarweise Wechselwirkungführt zu instabiler Dynamik. Wenn das Periodenverhältnis α irrational ist,kann es beliebig gut durch rationale Zahlen angenähert werden, und die Sta-bilität hängt davon ab, wie gut diese Näherung abhängig von den Größenihrer Zähler und Nenner ist. Dies stellen wir in einem vollständig lösbarenModellfall, der Iteration quadratischer Polynome z �→ e2πiαz + z2, fest undzeigen, wie dies zur Frage der Diophantischen Approximation in der Zahlen-theorie führt. Zuletzt betrachten wir kurz die gleiche Situation mit mehrerenPlaneten.

1 Planetensysteme

In der Himmelsmechanik beschreibt man die Bewegung von Himmelskörpernunter Zuhilfenahme des Newtonschen Gravitationsgesetzes. Dieses Gesetz be-sagt, dass die anziehende Kraft zwischen zwei Körpern (wir nehmen an, dassihre Größe vernachlässigbar ist) proportional zu beiden Massen und indi-rekt proportional zum Quadrat ihres Abstands ist. Die Beschleunigung einesKörpers ist zur Summe der auf ihn wirkenden Kräfte proportional. Mathema-tisch formuliert lässt sich die Gravitations-Wechselwirkung von N Körpernsomit als Lösung eines Systems von Differentialgleichungen zweiter Ordnungbeschreiben.

Jean-Christophe YoccozCollège de France, 3 rue d’Ulm, 75231 Paris Cédex 05, Frankreich.E-mail: [email protected]

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DOI 10.1007/978-3-642-25798-8_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 D. Schleicher, M. Lackmann (Hrsg.), Eine Einladung in die Mathematik

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Wenn es sich nur um zwei Körper handelt, kann das System sogar explizitgelöst werden und führt zu den berühmten Keplerschen Gesetzen, die langevor dem Newtonschen Gesetz experimentell entdeckt wurden: Die Körper ent-weichen entweder gegen unendlich (der uninteressante Fall), oder sie bewegensich periodisch auf elliptischen Bahnen, die durch eine zentrische Streckungam sich nicht bewegenden Schwerpunkt beider Körper ineinander überführtwerden können. Sobald wir aber drei oder mehr Körper betrachten, wird dasDifferentialgleichungssystem ungeheuer kompliziert, und viele Fragen könnenbis zum heutigen Tag nicht beantwortet werden. Poincaré zeigte Ende des 19.Jahrhunderts, dass man die Lösungen dieses Systems nicht durch „explizite“Formeln ausdrücken kann (dies erinnert an Galois’ einige Jahrzehnte ältereFeststellung, dass es keine explizite, nur Wurzeln benutzende Lösungsformelfür allgemeine Polynomgleichungen vom Grad fünf oder höher gibt). Poincaréversuchte daraufhin, die Lösungen auf andere Art und Weise zu studieren,und begründete dabei die moderne Theorie dynamischer Systeme [8].

Planetensysteme bilden einen besonders interessanten Spezialfall des all-gemeinen N -Körperproblems, bei dem einer der Körper (die Sonne) als sehrviel schwerer als die anderen (die Planeten) angenommen wird. In einer erstenNäherung kann man daher die gravitationelle Wechselwirkung zwischen denPlaneten vernachlässigen, womit sich jeder Planet unabhängig von den an-deren periodisch auf einer Ellipse bewegt, deren einer Brennpunkt die Sonneist. Wird nun die Bewegung aller Planeten zusammen betrachtet, so ist diesenicht mehr periodisch, es sei denn, die Perioden aller Planeten sind kommen-surabel (d. h. es gibt ein gemeinsames Vielfaches aller Perioden): Eine solcheÜberlagerung periodischer Bewegungen (deren Perioden nicht notwendiger-weise kommensurabel sind) heißt quasiperiodisch.

Die Hauptaufgabe ist nun, zu verstehen, inwiefern sich dieses Bild än-dert, wenn man die paarweisen Schwerkraftwechselwirkungen der Planetenmit einbezieht. Auf kurze oder mittlere Sicht (einige Drehungen um die Son-ne) ist dieser Effekt eher unwichtig, da diese Störung sehr viel kleiner als dieanziehende Kraft der Sonne ist. Auf lange Sicht kann er hingegen durchaussignifikant sein, zumindest wenn einige Perioden fast kommensurabel sind.1So ist etwa die Periode des Jupiter fast 2/5 der Periode des Saturn, und dieserzeugt in den Umlaufbahnen dieser beiden Planeten Abweichungen von denKeplerschen Lösungen, die schon vor einigen Jahrhunderten von Astronomenbeschrieben wurden.

Hundert Jahre lang war die Frage der Stabilität quasiperiodischer Bewe-gungen unter kleinen Störungen eines der Hauptforschungsgebiete der Theo-rie dynamischer Systeme. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhundertserschienen erste, negative, Resultate, doch ein wirklicher Durchbruch gelang

1 Natürlich ist jede reelle Zahl „fast“ rational, da sie beliebig nah bei bestimmten rationa-len Zahlen ist; wir werden im Folgenden aber untersuchen, wie gut eine reelle Zahl (dasVerhältnis der beiden Perioden) durch rationale Zahlen in Abhängigkeit von der Größeihrer Zähler und Nenner approximiert werden kann, und hieraus kann man Aussagen überdie Stabilität des Systems ableiten.

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erst Siegel im Jahr 1942. Auf sein Ergebnis werden wir später noch genauereingehen. Speziell für Planetensysteme konnte man ab 1950 weitere Ergeb-nisse erzielen, die man nach Kolmogorow, Arnol’d und Moser, die Pioniere indieser Forschungsrichtung waren, KAM-Theorie nennt. Eine sehr gute Über-sicht hierzu ist [1].

2 Komplexe quadratische Polynome und Linearisierung

In diesem Abschnitt betrachten wir Folgen (zn)n≥0 komplexer Zahlen, diedurch ihren Anfangsterm und die Rekursionsgleichung zn+1 = f(zn) gegebenist. Die Abbildung f soll hierbei fest sein, und wir wollen das Verhaltender Folge (zn)n≥0 für n → ∞ (wobei n als Zeit interpretiert werden sollte)verstehen. Im Allgemeinen hängt der hierfür benötigte Ansatz von f ab; wirbeschränken uns auf solche Beispiele, die für die Stabilität quasiperiodischerBewegungen wichtig sind. Zum Thema dieses Abschnitts, und allgemeiner zukomplexer Dynamik, ist [7] eine gute Referenz.

Das Standardbeispiel für eine reine ungestörte quasiperiodische Bewegungist

zn+1 = λzn ,

d. h. f(z) = λz. Hierbei ist λ eine feste komplexe Zahl mit Betrag 1; einesolche Zahl kann auf genau eine Weise als λ = exp(2πiα) mit α ∈ [0, 1) ge-schrieben werden. Geometrisch ist zn+1 das Bild von zn unter einer Drehungum den Ursprung der komplexen Zahlenebene mit Winkel 2πα. Die Folgeder Punkte z0, z1, z2, . . . , zn, . . . heißt Orbit des Anfangspunktes z0. (DieOrbitpunkte zn kann man sich als die Position eines kleinen Planeten, derum den Ursprung kreist, zur Zeit n vorstellen. Die Zeiteinheit wurde dabeibeliebig gewählt; weiter unten wird sie genau festgelegt.) Dies ist das unge-störte System. Für dieses sehr einfache Beispiel können wir alle Glieder derFolge explizit berechnen:

zn = λnz0 = exp(2πinα)z0 .

Somit müssen wir zwei Fälle unterscheiden:

• α ist eine rationale Zahl pq (mit teilerfremden p und q). In diesem Fall gilt

λq = 1, also zn+q = zn für alle n ≥ 0, und die Folge (zn) ist periodischmit Periode q.

• α ist irrational. Sieht man vom trivialen Fall z0 = 0 ab, so sind die znalle verschieden und liegen auf dem Kreis um den Ursprung mit Radius|z0|. Es ist nicht schwer zu zeigen, dass die Folge zn sogar dicht in diesemKreis ist: für jeden Punkt z auf dem Kreis und alle δ > 0 gibt es ein zn,dessen Abstand zu z kleiner als δ ist (wir können sogar stets unendlichviele solche zn finden).

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Wir werden nun eine sehr spezielle Störung des letzten Beispiels mit derRekursionsgleichung

zn+1 = λzn + z2n ,

betrachten, d. h. f ist hier das komplexe quadratische Polynom λz+z2. Hier-bei nehmen wir an, dass der Anfangswert z0 (im Absolutwert) klein ist; fürkleine z ist die Störung (der quadratische Term z2) sehr viel kleiner als derlineare Term λz, und das aktuelle Beispiel ist in der Tat eine kleine Störungdes vorherigen.

Diese quadratische Abbildung ist besonders interessant, da sie die kleinstenichtlineare Störung des ungestörten Systems z �→ λz ist. Sie beschreibtdie Bewegung zweier schwach miteinander wechselwirkender Planeten. Essei nämlich α das Verhältnis der Umlaufzeiten von Planet 1 und 2; dannüberstreicht Planet 1 während einer Periode von Planet 2 genau den Winkel2πα. Die Bewegung von Planet 1 wird also durch die Abbildung zn+1 = λznmit λ = e2πα beschrieben, wenn wir als Zeiteinheit die Periode von Planet2 wählen. Der Term z2n beschreibt die Gesamtstörung, die Planet 2 währendeiner Umrundung auf Planet 1 ausübt. (Man könnte für diese Störung auchzn+1 = λzn + εz2n wählen, um zu illustrieren, dass sie sehr klein sein soll;wechselt man dann jedoch zu den Koordinaten wn = εzn, so erhält manabermals wn+1 = λwn + w2

n.)Obwohl rationale Werte von α recht interessant sind [7, Sec. 10], wollen

wir diesen Fall hier nur kurz streifen: Angenommen, es ist α = 0. Die Rekur-sionsgleichung ist also zn+1 = zn + z2n, und wir nehmen an, dass z0 reell undnahe bei 0 liegt. Die Folge (zn) konvergiert dann gegen 0, falls z0 < 0, unddivergiert gegen +∞ für z0 > 0. Das System verhält sich also vollkommenanders als im ungestörten Fall zn+1 = zn.

Wir erhalten nun als offensichtliche Verallgemeinerung die Frage, ob diefolgende Eigenschaft für eine beliebige Zahl α gilt:

(Bes) Falls z0 ∈ C hinreichend nah am Ursprung ist, ist die Folge(zn) beschränkt.

Gerade haben wir gesehen, dass dies für α = 0 nicht der Fall ist, und ebenfallsnicht für alle rationalen Zahlen α [7, Lemma 11.1]. Im ungestörten linearenBeispiel gilt diese Eigenschaft hingegen offensichtlich für alle α ∈ [0, 1), obrational oder nicht.

Betrachte nun die folgende (auf den ersten Blick) viel stärkere, Lineari-sierbarkeit genannte Eigenschaft:

(Lin) In einer Umgebung des Ursprungs gibt es einen Koordinaten-wechsel z = h(y), die durch eine bijektive komplex differen-zierbare2Abbildung h(y) mit h(0) = 0 beschrieben wird, so dassmit yn = h−1(zn) die Rekursionsgleichung zn+1 = λzn + z2n inyn+1 = λyn übergeht.

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(FG) λh(y) + h(y)2 = h(λy) ,

für y hinreichend nahe am Ursprung erfüllen (siehe Abbildung 1).

Die Eigenschaft (Lin) bedeutet, dass sich das Verhalten der Folgen (zn)beim Einführen des quadratischen Terms z2n nicht qualitativ ändert, sondernnur verzerrt wird: (Lin) impliziert also (Bes).

2 Ein grundlegendes Resultat der komplexen Analysis besagt, dass eine Funktion h in einerUmgebung des Ursprungs genau dann komplex differenzierbar ist, wenn sie als Potenzreiheh(z) =

∑�≥0 h�z� darstellbar ist, wobei |h�| so langsam anwächst, dass dies für ein

beliebiges r > 0 für alle z in der Kreisscheibe |z| < r konvergiert. Solche Funktionenheißen auch holomorph. Eine holomorphe Abbildung h mit h(0) = 0 ist genau dann in einerUmgebung des Ursprungs umkehrbar, wenn h1 = 0; in diesem Fall ist die Umkehrfunktionauch holomorph.

Anders gesagt, muss der Koordinatenwechsel h die gestörte lineare Abbildungf : z �→ λz+z2 in die ursprüngliche lineare Abbildung y �→ λy überführen (sielinearisiert f). Hierfür muss h die Funktionalgleichung h−1 ◦ f ◦ h(y) = λy,oder äquivalent

Abb. 1. Links: Die Dynamik eines Polynoms f(z) = λz+z2 mit |λ| = 1, das Bedingung(Bes) erfüllt. (Hierbei ist λ = e2πiα, wobei α = (

√5 − 1)/2 der „goldene Schnitt“ ist.)

Die Menge der Punkte z0 ∈ C, für die die Folge zn beschränkt ist, ist orange; ihr Randheißt Julia-Menge. Die Bedingung (Bes) besagt, dass der Ursprung (hier mit ‘+’ gekenn-zeichnet) eine orange Umgebung hat. Die größte aller solchen offenen Umgebungen heißtSiegel-Scheibe. Es gibt einen Koordinatenwechsel h−1 von der Siegel-Disk zu einer rundenKreisscheibe D (rechts), die die Dynamik von f in Multiplikation mit λ, d. h. in eine starreRotation um Winkel 2πα überführt: Anders gesagt, h−1 ◦ f ◦ h(y) = λy für alle y ∈ D,und Bedingung (Lin) gilt. Für jeden von 0 verschiedenen Punkt y0 ∈ D liegen die Punkteyn = λny0 dicht auf dem Kreis; einige solche Kreise sind zusammen mit ihren Bildernin der Siegel-Disk unter h eingezeichnet. (Linkes Bild mit freundlicher Genehmigung vonArnaud Chéritat.)

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Die Stabilität des Fixpunkts im Ursprung ist eine verwandte, wichtigeEigenschaft: Dies bedeutet, dass es für alle ε > 0 ein δ > 0 so gibt, dassfür jeden Punkt z, der höchstens Abstand δ vom Ursprung hat, der gesamteOrbit höchstens Abstand ε vom Ursprung hat. Offensichtlich impliziert (Lin)Stabilität, und Stabilität impliziert (Bes), so dass alle drei Bedingungen fürholomorphe Abbildungen f äquivalent sind.

Man kann übrigens leicht sehen, dass für rationale α und Polynome f vomGrad 2 (oder höher) (Lin) nie gelten kann: Ist nämlich etwa α = p/q, soist die q-fache Hintereinanderausführung der Drehung um 2πα die Identität.Gälte nun (Lin), so hätte der Ursprung eine Umgebung, in der die q-facheHintereinanderausführung von f die Identität ist; aber diese ist ein Polynomvom Grad 2q und hat daher nur endlich viele Fixpunkte.

Von nun an betrachten wir irrationale α. Betrachte wieder die Funktion haus Bedingung (Lin). Da diese Abbildung komplex differenzierbar ist, hat sieeine Potenzreihenentwicklung h(y) = y +

∑�≥2 h�y

� (wir können nach einerNormierung stets h1 = 1 annehmen). Im Prinzip können die Koeffizienten h�

rekursiv mittels (FG) berechnet werden. Die so erhaltenen Formeln werdenfür große � immer komplizierter; ihre Nenner enthalten Faktoren der Formλj−1. Diese Faktoren können sehr klein sein (für beliebiges irrationales α giltinfn≥1 |λn−1| = 0). Je nachdem, wie schnell sie klein werden, können die Ko-effizienten h� sehr schnell wachsen, und somit kann h(y) = y+

∑�≥2 h�y

� fürbeliebig kleine, von Null verschiedene Werte von y divergieren. Da diese Grö-ßen also die Stabilität der Bewegung beeinflussen, wurde als Sammelbegrifffür dieses und weitere Probleme die Bezeichnung „kleine Nenner“ eingeführt.

Am Anfang des 20. Jahrhunderts konstruierte Cremer [3] Beispiele irra-tionaler Zahlen α, die (Lin) nicht erfüllen. Es gilt zunächst

z1 = λz0 + z20 ,

z2 = λ2z0 + (λ + λ2)z20 + 2λz30 + z40 ,

z3 = λ3z0 + · · ·+ z80 ,

und allgemeiner

zn = λnz0 + · · ·+ z2n

0 =: Pn, λ(z0) .

Ist z∗0 Lösung von Pn, λ(z0) − z0 = 0, so ist die Folge (zn) mit Anfangsgliedz0 = z∗0 periodisch mit Periode n. Das Produkt der 2n − 1 von Null verschie-denen Lösungen ist nach dem Satz von Vieta 1−λn. Es gibt daher eine solcheLösung mit

|z∗0 | ≤ |λn − 1| 12n−1 .

Gilt andererseits Eigenschaft (Lin) nicht, so kann auch Eigenschaft (Bes)nicht gelten: Es gibt dann beliebig kleine Anfangswerte z0, so dass die Fol-ge (zn) unbeschränkt ist. Wir können dies hier nicht zeigen; siehe [7, Lem-ma 11.1]. Im Ergebnis sind die Eigenschaften (Bes) und (Lin) stetsäquivalent (für holomorphe Abbildungen f).

daher

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Nun erfülle λ die Bedingung

(Cr) infn≥1

|λn − 1| 12n−1 = 0 .

Folglich gibt es periodische Folgen (zn), die beliebig nahe bei 0, aber nichtin 0 anfangen. Aber dann kann (Lin) nicht erfüllt sein, da das ungestörteStandardbeispiel keine solchen periodischen Folgen enthält.

Es muss also nur noch die Existenz von irrationalen α, die (Cr) erfüllen,gezeigt werden. Eine solche Zahl lässt sich durch b0 = 2, bk+1 = bk

2bk fürk ≥ 0, und α =

∑k≥0 b

−1k definieren. Dies ist offensichtlich eine irrationale

Zahl (dies sieht man am einfachsten an ihrer Binärdarstellung). Wertet man|λn − 1| für n = bk aus, so erhält man

|λbk − 1| =∣∣∣exp(2πibk∑

�≥0

b−1�

)− 1

∣∣∣ = ∣∣∣ exp(2πibk∑�>k

b−1�

)− 1

∣∣∣≈ 2πbk/bk+1 = 2πb

−(2bk−1)k ,

und daher |λbk − 1|1

2bk−1 ≈ 1/bk.

Hiermit schließen wir die Untersuchung jener α, die (Lin) nicht erfüllen,ab, und untersuchen nun die umgekehrte Frage. Siegel [9] erzielte 1942 dasfolgende erstaunliche Ergebnis:

Theorem 1 (Siegel). Erfüllt λ die Diophantische Bedingung

(DB)γ,τ |λn − 1| ≥ γ

n1+τ

für gewisse Konstanten γ > 0, τ ≥ 0 und für alle n > 0, dann gilt (Lin).

Siegels Ergebnis gilt für viel allgemeinere als die von uns betrachteten Stö-rungen. Genauer gesagt gilt es für Rekursionsgleichungen der Form

zn+1 = λzn + g(zn) ,

solange g in einer Umgebung des Ursprungs komplex differenzierbar mitg(0) = g′(0) = 0 ist.

Bedingungen wie (Cr) oder (DB)γ,τ hängen mit der Approximation irratio-naler durch rationale Zahlen zusammen, womit wir uns im nächsten Abschnittgenauer auseinandersetzen. Vorher definieren wir zunächst ein fundamentalesKonzept und zeigen, wie es mit (DB)γ,τ zusammenhängt.

Definition (Diophantische Zahlen). Eine irrationale Zahl α heißt Dio-phantisch mit Exponent τ , falls es γ > 0 gibt, so dass alle p, q ∈ Z mit q > 0die Ungleichung |α− p/q| > γ/qτ erfüllen.

Offensichtlich ist eine Zahl α genau dann Diophantisch mit Exponent 2 + τ ,wenn λ = e2πiα Bedingung (DB)γ,τ für ein bestimmtes γ > 0 erfüllt.

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3 Diophantische Näherung

Zu jeder irrationalen Zahl α und reellen Zahl ε > 0 lässt sich eine rationaleZahl p

q mit |α − pq | < ε finden. Wird ε aber klein, so muss q (und p ≈ αq)

groß werden. Wie schnell geschieht dies in Abhängigkeit von ε?

Der Kettenbruchalgorithmus erzeugt zu jeder irrationalen Zahl α eine Folgerationaler Zahlen pk/qk, die Konvergenten von α genannt werden und auf eineweiter unten genauer präzisierte Weise die besten rationalen Näherungen fürα sind. Der Algorithmus analysiert auch die Qualität dieser Näherungen. Fürgrundlegende Fakten und weitere Informationen zu Kettenbrüchen verweisenwir auf [4, Sec. X–XI] sowie [7, Sec. 11].

Für eine reelle Zahl x sei [x] der ganze und {x} der gebrochene Teil vonx, also x = [x] + {x}, [x] ∈ Z, {x} ∈ [0, 1). Sei α nun eine irrationale Zahl.Wir definieren a0 = [α], α1 = {α}, und ak = [α−1

k ], αk+1 = {α−1k } für k ≥ 1.

Rekursiv erhält man also

(KB) α = a0 +1

a1 +1

a2+1

a3+...

.

Für k ≥ 0 seipkqk

= a0 +1

a1 +1

.. .+ 1ak

der k-te Konvergent von α (in vollständig gekürzter Form). Die ganzzahligenFolgen (pk), (qk) erfüllen die folgende Rekursionsgleichung:

pk = akpk−1 + pk−2 , qk = akqk−1 + qk−2

mit den Anfangswerten p−2 = q−1 = 0, p−1 = q−2 = 1. Für den goldenenSchnitt α =

√5+12 sind etwa alle ak = 1, und (pk = qk+1) ist die Folge der

Fibonaccizahlen.

Umgekehrt definiert (KB) für jede Folge (ak) ganzer Zahlen mit ak ≥ 1für k ≥ 1 eine eindeutige irrationale Zahl α.

Die Konvergenten sind die besten rationalen Näherungen für α, was wiefolgt zu verstehen ist: Sei k ≥ 0 und seien p, q ganze Zahlen mit 0 < q < qk+1;aus

|qα− p| ≤ |qkα− pk|folgt q = qk und p = pk [4, Sec. 10.15].

Für die Qualität der durch die Konvergenten gegebenen Näherungen gibtes für k ≥ 0 die folgenden Abschätzungen:3

3 Wir begründen kurz die inneren Ungleichungen, da sich diese in der einführenden Li-teratur nicht allzu leicht finden lassen. Hierzu benutzen wir, dass die Konvergenten al-

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1

(ak+1 + 2)qk≤ 1

qk+1 + qk< |qkα− pk| < 1

qk+1≤ 1

ak+1qk.

Große ak+1 entsprechen also besonders guten rationalen Näherungen für α.Der goldene Schnitt ist deshalb die irrationale Zahl mit den schlechtestenrationalen Näherungen und daher der beste Kandidat für einen Parameterα, der (Lin) und somit Stabilität erfüllt.

Aus den obigen Ungleichungen folgt zusammen mit der Rekursionsformelqk+1 = ak+1qk + qk−1 leicht, dass eine Zahl α genau dann Diophantisch mitExponent 2 + τ ist, wenn

qk+1 = O(q1+τk

)oder äquivalent ak+1 = O(qτk)

(dies bedeutet nur, dass die Folgen qk+1/q1+τk und ak+1/q

τk beschränkt sind).

So ist der goldene Schnitt etwa Diophantisch mit Exponent 2. Dies hängtdamit zusammen, dass er Lösung der Gleichung α2 = α + 1 ist. Allgemei-ner ist die Folge (ak) für alle irrationalen Zahlen α, die Lösung einer Po-lynomgleichung zweiten Gerades mit ganzen Koeffizienten ist, für große kperiodisch, also beschränkt, und α ist daher Diophantisch mit Exponent 2 [4,Sec. 10.9].

Viele weitere Diophantische Zahlen liefert trotz eines recht elementarenBeweises (siehe etwa [7, Theorem 11.6] oder [4, Sec. 11.7]) der folgende Satz:

Theorem 2 (Liouville). Sei α eine irrationale Zahl, die Nullstelle einesPolynoms mit ganzzahligen Koeffizienten vom Grad d ≥ 2 ist. Dann ist αDiophantisch mit Exponent d.

In dieser Richtung ist der Satz von Roth ein sehr viel stärkeres und schwie-rigeres Ergebnis.

Theorem 3 (Roth). Sei α eine irrationale Zahl, die Nullstelle eines Po-lynoms mit ganzzahligen Koeffizienten von beliebigem Grad ist. Dann ist αDiophantisch mit Exponent 2 + τ für alle τ > 0.

ternierend gegen α konvergieren, also p2k/q2k < p2k+2/q2k+2 < · · · < α < · · · <p2k+3/q2k+3 < p2k+1/q2k+1 für alle k. Außerdem zeigt man mithilfe der Rekursions-gleichungen für pk und qk per Induktion leicht pk+1qk − qk+1pk = (−1)k . Es folgt∣∣∣α− pk

qk

∣∣∣ <∣∣∣pk+1

qk+1− pk

qk

∣∣∣ = 1qkqk+1

.

Für die zweite Ungleichung benutzen wir wiederholt, dass aus ac< b

dfür a, b, c, d > 0

auch ac< a+b

c+d< b

dfolgt. Somit erhalten wir (für gerade k; der andere Fall läuft analog)

pk

qk<

pk + pk+1

qk + qk+1

≤ pk + ak+2pk+1

qk + ak+2qk+1

=pk+2

qk+2

< α <pk+1

qk+1

,

also∣∣∣∣α− pk

qk

∣∣∣∣ >∣∣∣∣pk + pk+1

qk + qk+1

− pk

qk

∣∣∣∣ =∣∣∣∣pk+1qk − pkqk+1

qk(qk + qk+1)

∣∣∣∣ =1

qk(qk + qk+1).

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Wählt man eine zufällige Zahl α ∈ [0, 1), indem man nacheinander un-abhängig die Ziffern der Dezimaldarstellung mit gleicher Wahrscheinlichkeitwählt, so ist α fast sicher (d. h. mit Wahrscheinlichkeit 1) irrational, und dieentsprechenden Folgen (ak), (qk) erfüllen fast sicher die folgenden Eigenschaf-ten:

• die Folge(

akk log k

)k≥2

ist unbeschränkt;

• für alle ε > 0 ist die Folge(

akk(log k)1+ε

)k≥2

beschränkt;

• Die Folge(1

klog qk

)konvergiert gegen

π2

12 log 2.

Also ist ein zufällig gewähltes α fast sicher Diophantisch mit Exponent 2+ τfür jedes τ > 0. Die entsprechenden Zahlen λ = e2πiα erfüllen dann dieVoraussetzung des Satzes von Siegel, womit die entsprechende Rekursions-gleichung zn+1 = λzn + g(zn) die Bedingung (Lin) erfüllt.

Anmerkung. Die ersten beiden Eigenschaften sind Spezialfälle eines allgemei-neren Satzes von Chintschin; siehe [6, Sec. II] oder [5, Theorem 30]. Die dritteEigenschaft ist mehr oder weniger der Satz von Lochs: aus diesem folgt leicht,dass die Anzahl der richtigen Dezimalstellen von α in pk/qk geteilt durch kfür zufällige Zahlen fast sicher gegen π2/6 log 2 log 10 ≈ 1.0306 . . . strebt (mitanderen Worten liefert jeder weitere Term in der Kettenbruchentwicklung vonα durchschnittlich ein bisschen mehr als eine Dezimalstelle).

4 Weitere Ergebnisse und offene Fragen

Sei α eine irrationale Zahl und λ = exp(2πiα). Wir haben bereits gesehen,dass, falls die Konvergenten (pk/qk) von α die Bedingung

(DB) qk+1 = O(q1+τk

)für irgendein τ ≥ 0 erfüllen, λ notwendigerweise (DB)γ,τ für ein γ > 0 erfülltund daher nach dem Satz von Siegel die durch zn+1 = λzn + z2n definiertenFolgen die äquivalenten Bedingungen (Bes) und (Lin) erfüllen. Nun ist ein„zufälliges“ α aber Diophantisch mit Exponent 2 + τ und erfüllt damit fastsicher (DB).

Andererseits sieht man leicht, dass die Cremersche Bedingung (Cr) äqui-valent zu

(Cr) ′ supk≥0

log qk+1

2qk= +∞

ist. Wir wissen, dass in diesem Fall die äquivalenten Bedingungen (Bes) und(Lin) nicht gelten.

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Wie verhält es sich nun mit irrationalen α, die weder (DB) noch (Cr)erfüllen? Zwischen den von beiden Bedingungen geforderten Wachstumsver-halten klafft eine recht große Lücke: Die erste Bedingung besagt log qk+1 <(1+ τ) log qk +C für ein C ∈ R und alle k, während die zweite log qk+1 > 2qk

für unendlich viele k impliziert.

Brjuno [2] zeigte 1965, dass (Bes) und (Lin) bereits erfüllt sind, wenn

(Br)∑k≥0

log qk+1

qk< +∞ .

Diese Bedingung schränkt das Wachstum der qk sehr viel weniger als (DB)ein; so folgt sie etwa aus log qk+1 = O(

√qk) (da die qk mindestens exponentiell

wachsen).Der Satz von Brjuno lässt sich auf die gleichen, allgemeineren Rekursi-

onsgleichungen zn+1 = λzn + g(zn) wie der Satz von Siegel ausweiten (g inUmgebung des Ursprungs komplex differenzierbar, g(0) = g′(0) = 0).

Andererseits bewies ich 1988:

Theorem 4. Sei die Brjunosche Bedingung (Br) nicht erfüllt:

∑k≥0

log qk+1

qk= +∞ .

Dann erfüllen die durch die quadratische Rekursionsgleichung zn+1 = λzn +z2n definierten Folgen nicht (Bes) (also auch nicht (Lin)). Insbesondere gibtes Anfangswerte z0, die beliebig nahe an 0 liegen, so dass (zn) gegen ∞ di-vergiert.

Für die quadratische Rekursionsgleichung zn+1 = λzn + z2n wissen wir alsogenau, welche α die Bedingungen (Bes) und (Lin) erfüllen. Quadratische Po-lynome sind somit die erste Familie, in der sich explizite hinreichende undnotwendige Bedingungen für Stabilität, d. h. (Bes), angeben lassen.

Dies ist noch nicht das Ende der Geschichte. Wir können die quadratischeRekursionsgleichung zn+1 = λzn + z2n durch ein Polynom vom Grad d ≥ 3der Form

zn+1 = λzn +∑

2≤ �≤ d

f� z�n

mit fd �= 0 ersetzen. Wie zuvor sei λ = exp(2πiα). Der Satz von Brjuno besagtnun, dass (Bes) und (Lin) erfüllt sind, wenn α die Bedingung (Br) erfüllt. DieUmkehrung hiervon ist eine offene Vermutung: Noch gibt es keinen Beweis,dass (Bes) und (Lin) nicht erfüllt sind, wenn α (Br) nicht erfüllt.

Zum Thema dieses Abschnitts befinden sich weitere Informationen in [7,Sec. 11].

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54 Jean-Christophe Yoccoz

5 Mehrere Freiheitsgrade

Zuletzt kehren wir nochmals zu den im ersten Abschnitt eingeführten Pla-netensystemen aus einem schweren Mittelkörper (der Sonne) und N − 1 umdiesen kreisenden Planeten zurück. Betrachte eine beschränkte Lösung desungestörten Systems (d. h. unter Vernachlässigung der Wechselwirkung zwi-schen den Planeten). Jeder der N − 1 Planeten durchläuft nach Kepler einenelliptischen Orbit der Periode Ti (1 ≤ i ≤ N − 1). Seien ωi = T−1

i die zuge-hörigen Frequenzen. Wir befinden uns im vollständig irrationalen (oder nichtresonanten) Fall, wenn es keine Gleichung

(Res)N−1∑i=1

ki ωi = 0

mit ki ∈ Z gibt, bei der nicht alle ki verschwinden.Der Frequenzenvektor ω = (ωi) heißt Diophantisch, falls es Konstanten

γ > 0, τ ≥ 0 derart gibt, dass

(HDB)γ,τ

∣∣∣∣∣N−1∑i=1

ki ωi

∣∣∣∣∣ ≥ γ

(N−1∑i=1

|ki|)2−N−τ

für jeden von Null verschiedenen Vektor k = (ki) ∈ ZN−1 gilt. Die KAM-Theorie erlaubt uns, unter dieser Annahme Aussagen über die Stabilität desSystems herzuleiten, die jedoch den Rahmen dieses Beitrags sprengen wür-den. Moralisch gesprochen überleben solche Lösungen des ungestörten Sys-tems als leicht deformierte quasiperiodische Lösungen des gestörten Systemsmit gleichem Frequenzenvektor, für die dieser Vektor diophantisch (mit fes-tem τ und nicht allzu kleinem γ abhängig von der Größe der Störung) ist.Da ein zufälliger Frequenzenvektor die notwendige Bedingung (HDB)γ,τ mitecht positiver Wahrscheinlichkeit erfüllt (die Wahrscheinlichkeit ist kleinerals 1, da γ nicht zu klein sein darf), führen zufällige Anfangsbedingungenfür die Differentialgleichungen mit echt positiver Wahrscheinlichkeit zu einerquasiperiodischen Lösung mit diophantischem Frequenzenvektor.

Wir erwarten allerdings, dass es auch andere mit echt positiver Wahr-scheinlichkeit auftretende Anfangsbedingungen gibt, die zu nicht quasiperi-odischen Lösungen führen. Der Beweis dieser Aussage und das Verständnisdieser Lösungen ist ein bedeutendes offenes Problem.

Literaturverzeichnis

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Kleine Nenner: Zahlentheorie in dynamischen Systemen 55

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