EINE LIFE-PERFORMANCE MIT TANZ, CELLO UND LOOPGERÄT · 6 Projekt Terremoto „Terremoto“ ist...
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TERREMOTO
EINE LIFE-PERFORMANCE MIT TANZ, CELLO UND LOOPGERÄT
MATURITÄTSARBEIT VON ALINE PERINO UND ADELINA LAHR
KLASSE 5B LICEO ARTISTICO ZÜRICH
BETREUT VON KONRAD JENNY
ABGABE 07.01.2019
SCHULJAHR 2018/19
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Inhaltsverzeichnis
PROJEKT TERREMOTO ...................................................................................................................................... 6
WARUM DIESES PROJEKT .................................................................................................................................... 7
ARBEITSPROZESS.............................................................................................................................................. 9
INDIVIDUELLE ARBEIT ......................................................................................................................................... 9 Komposition mit Cello und Loopgeräten ................................................................................................... 9 Auswahl der Stücke................................................................................................................................ 12 Entstehung der Choreografie ................................................................................................................. 14 Tanzstile ................................................................................................................................................ 16
GEMEINSAME ARBEIT ...................................................................................................................................... 18 Erste Intensivwoche ............................................................................................................................... 18 Zwischen Sommer- und Herbstferien ...................................................................................................... 18 Zweite Intensivwoche ............................................................................................................................ 19 Nach den Herbstferien - Der Endspurt .................................................................................................... 20
DIE AUFFÜHRUNG .......................................................................................................................................... 21
ENTSTEHUNGSPROZESS .................................................................................................................................... 21 Rohkonzept ........................................................................................................................................... 21 Suche nach dem Titel ............................................................................................................................. 22 Design des Flyers ................................................................................................................................... 23 Kostüm, Bühnenbild und Licht ................................................................................................................ 24
KONZEPT ...................................................................................................................................................... 25 TAG DER AUFFÜHRUNG .................................................................................................................................... 28 RÜCKMELDUNGEN .......................................................................................................................................... 33 NACH DER AUFFÜHRUNG .................................................................................................................................. 36
ARBEITSWEISE................................................................................................................................................ 36
ARBEITSJOURNALE UND ZEITPLAN ....................................................................................................................... 36 STRATEGIEN GEGEN STRESS UND KREATIVITÄTSBLOCKADEN ....................................................................................... 37 KOMMUNIKATION UND INSPIRATION ................................................................................................................... 37 BETREUUNGSPERSON ....................................................................................................................................... 38
AUSWERTUNG ............................................................................................................................................... 39
ANFANGSIDEE VS. ENDPRODUKT ......................................................................................................................... 39 GRÖSSTE SCHWIERIGKEITEN UND ÜBERWINDUNGEN ............................................................................................... 40 WAS WIR ANDERS GEMACHT HÄTTEN ................................................................................................................... 40 WAS WIR DAZUGELERNT HABEN ......................................................................................................................... 41
SCHLUSSWORT ............................................................................................................................................... 42
DANKSAGUNG................................................................................................................................................ 42
ANHANG ........................................................................................................................................................ 43
MANUSKRIPT DES CELLOSTÜCKES1 ...................................................................................................................... 43
QUELLEN ...................................................................................................................................................... 50
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Projekt Terremoto
„Terremoto“ ist eine Performance mit Tanz, Cello und Loopgeräten. Das Stück handelt vom
Druck, den die Gesellschaft, aber auch wir selbst, uns auferlegen. Gefangen in diesem immer
gleichen Kreislauf kommt es zur Eskalation. Wir driften ab in eine Traumwelt, losgelöst von
allen Sorgen, jedoch ist es nicht möglich, für immer zu verdrängen: Irgendwann holt uns die
Wirklichkeit ein, und wir werden aufgefordert, neue Wege zu gehen; uns selbst einen Weg zu
suchen, auf dem wir nichts verdrängen müssen.
Ein halbes Jahr lang haben wir unsere Kreativität und Energie eingesetzt, um diese Aufführung,
die unsere zwei Leidenschaften vereint, auf die Beine zu stellen.
Im schriftlichen Teil der Arbeit vermitteln wir in Form einer Arbeitsdokumentation einen
tieferen Einblick in unser Projekt und erklären, wie es zum Endprodukt kam und welche
Gedanken dahinterstecken. Wir beschreiben unseren Prozess aus persönlicher und
gemeinsamer Sicht und reflektieren über gelungene oder gescheiterte Ansätze.
„Terremoto“ bedeutet „Erdbeben“ auf italienisch und kennzeichnet als roter Schriftzug unser
Stück der inneren Erschütterung. Alle roten Teile dieser Arbeit erschüttern somit auch die
Dokumentation in schwarz und zeigen persönliche Erlebnisse, Anekdoten und Zitate, welche
unseren Arbeitsprozess beeinflusst oder auf lustige Art geprägt haben. Dabei versuchen wir,
die Atmosphäre unserer Zusammenarbeit einzufangen und ein vollständiges Bild des Projekts
„Terremoto“ zu vermitteln.
Die Farbe Rot steht für die innere Erschütterung und Eingrenzung, ist aber auch ein
hoffnungsvolles Zeichen von Stärke, innerem Feuer und Leidenschaft. Zudem ist Rot die
verbindende, auffallende und emotionsstarke Farbe, die unser ganzes Stück, sowie Flyer,
Kostüm und schriftliche Arbeit kennzeichnet.
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Warum dieses Projekt
Die Hände schwitzen und das Herz klopft bis zum Hals. Kein Geräusch ist zu hören und alle
Augen sind auf uns gerichtet. Dann ein Blick, ein unhörbares einatmen und der erste Ton
erklingt. Von da an gibt es nur noch die Musik, Blicke zum einen oder anderen Musikerkollegen
und die Bilder, die in meinem Kopf vorüberziehen: „Ein Blatt wird vom Wind durch eine
trostlose, graue Stadt getragen, als plötzlich eine Pferdeherde vorbeigaloppiert. Es riecht nach
Schnee. Am Ufer eines Flusses träumt ein junger Mann von seiner Liebsten, die unerreichbar
am anderen Ufer badet.“ Gefühlt einen Augenblick später schon ist es vorbei und der Applaus
bricht los. Mit einem leichten, frohen Gefühl lächeln wir uns zu und verbeugen uns. Im
Publikum entdecke ich bekannte, stolze Gesichter.
„Das Cellospielen ist schon lange nicht mehr aus meinem Leben wegzudenken. Es gibt mir
Struktur und die Gelegenheit, mich von meinen Sorgen abzulenken und ganz in eine andere
Welt einzutauchen. Mit dem Cello kann ich ohne Worte zeigen, was in mir steckt und mich
stark und selbstbewusst fühlen. Dazu kommt die tolle Erfahrung von Gemeinschaft und
Verbundenheit, wenn ich mit anderen zusammen musiziere und auftrete.“
- Adelina
In dieser Maturitätsarbeit kombinieren wir unsere zwei Passionen, das Cello und den Tanz. So
wie unsere Persönlichkeiten sind es zwei sehr verschiedene künstlerische Ausdrucksformen,
die sich gut ergänzen. So vereinen wir das, womit wir uns am besten ausdrücken können, zu
einem Werk. Die Bewegung und die Musik verbinden sich, unterstützen und verstärken sich
gegenseitig und kreieren so eine grosse Harmonie, die aber auch durchbrochen werden kann.
Sie verbinden Hören, Sehen und Fühlen und haben eine eindrückliche Wirkung.
Zu diesen beiden eher traditionellen Ausdrucksformen kommt das Loopgerät als modernes
Mittel dazu, das den Klang verändern und vervielfachen kann und so unzählige neue
Möglichkeiten eröffnet und ein spannendes neues Element in die Arbeit bringt.
Wir möchten beide mehr über die Kunstform des andern, und gleichzeitig über unsere eigene
erfahren, und alles aus uns herausholen. Wir möchten Grenzen überschreiten,
experimentieren, unserer Kreativität freien Lauf lassen und damit die Zuschauer ansprechen.
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Unser Stück soll Emotionen hervorrufen, zum Denken anregen und viele persönliche
Interpretationen zulassen. Es interessiert uns sehr, was unsere Arbeit im Zuschauer auslöst.
Bei vielen Schulprojekten haben wir uns schon als Partner zusammengetan und wissen, dass
wir uns aufeinander verlassen können. Mit diesem Projekt lernen wir eine neue Seite des
Anderen kennen. Es wird sicher Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen geben, doch wir
sind bereit, diese zu überwinden und Kompromisse einzugehen. So wollen wir als Team
wachsen und unser Projekt verwirklichen.
...5, 6, 7, 8 Schritt, Schritt, Oberkörper, tac tac, Sprung, Sixsteeeeep, Bein in out, Sprung,
Drehung - Suspention und steh...steh... steh, fall, roll up, boom tschaa tac tac ha wooooom ta,
Bein hoch, Drehung links, tschäää, laaaangsaaaam, go...
Mein Atem geht schnell, der Schweiss tropft, doch Erschöpfung gibt es nicht. Hier und jetzt
kann ich alles rauslassen und zeigen, was ich kann. „Vergiss nicht die Emotionen in deinem
Gesicht, nicht zu schnell, atmen!“, ermahne ich mich. Ich spüre die Energie meiner
Tanzkollegen um mich herum, gebe noch alle meine Kraft für den letzten Teil, 7, 8 und Pose.
Grosser Applaus schallt mir entgegen. Ein Strahlen breitet sich auf meinem
schweissüberströmten Gesicht aus und mein Atem rast. Das Licht geht aus und ich verlasse
die Bühne, stehe einen Augenblick schnaufend da, bevor ich mich auf etwas Trinkbares stürze.
Jubelnd gratulieren wir uns alle zum gelungenen Auftritt. Ein warmes Gefühl von Stolz breitet
sich in mir aus und ich bin überglücklich.
„Tanz bedeutet für mich Freiheit. Das Tanzen fordert mich immer wieder aufs Neue heraus,
meinen Körper so zu bewegen, wie ich es zuvor noch nie getan habe. Tanzen gibt mir Kraft,
lehrt mich, offener und kreativer zu denken und macht mich selbstbewusst. Ich kann mich
selbst sein und mich, wie auch andere, faszinieren.“
- Aline
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Arbeitsprozess
Individuelle Arbeit
Komposition mit Cello und Loopgeräten
Als es sicher ist, dass Aline und ich unsere Maturitätsarbeit zusammen machen, stehe ich vor
der Entscheidung, wie ich das Cello einsetzen werde. Ich möchte die Musik solistisch und live
spielen können, finde aber auch, es braucht mehr als nur den Celloklang alleine. Da erinnere
ich mich an ein Youtube-Video von Kevin Olusola7, der gleichzeitig beatboxt und Cello spielt.
Auch habe ich die Cellistin Fatima Dunn in einem Theater gesehen, wo sie mit Cello und
Loopgerät die Vorstellung musikalisch begleitete. So komme ich auf die Idee, auch für meine
Musik Effektgeräte zu benutzen. Zum Glück haben wir schon einige davon zuhause und später
kann ich von meinem Nachbarn noch ein Loopgerät ausleihen.
Das Loopgerät ergänzt den klassischen Celloklang mit einem modernen Element und mit
seiner Hilfe kann ich alleine ein vielstimmiges Stück erzeugen. Vor allem fasziniert mich das
Spiel mit all den Geräuschen, die ich aus dem Cello herausholen kann, wie das Zupfen,
Streichen oder Schlagen mit der Hand oder dem Bogen auf den Steg, das Griffbrett oder den
Korpus des Instruments. So können unendlich viele Geräusche zu Melodien und Rhythmen
kombiniert werden, die eine neue Art von Musik entstehen lassen.
Bei der Frage, wie viel von der Musik ich selbst komponieren soll, verändert sich mein
Vorhaben mehrmals. Zuerst habe ich die Idee, nur Cello-Solostücke zu verwenden und diese
neu zusammenzusetzen. Da dies aber grösstenteils Stücke sind, die ich noch nie gespielt habe,
sind sie mir noch nicht vertraut und es hätte einen riesigen Aufwand bedeutet, sie erst einmal
einzuüben. Also entscheide ich mich, nur Stücke zu verwenden, die ich schon einmal gespielt
habe, oder die ich gerade am üben bin. Diese kenne ich gut und verbinde sehr viele Gefühle
und Erinnerungen damit. Einen Teil möchte ich selbst komponieren, um eigene Ideen
einzubringen und die Fragmente aus den bestehenden Stücken zusammenzufügen.
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Zuerst liste ich mein ganzes Repertoire auf und schreibe zu jedem Stück die Epoche,
Stimmungen und Emotionen auf, die ich damit verbinde. Dann wähle ich eine möglichst
abwechslungsreiche Mischung der Stücke, von der Bachsonate bis zum Cellokonzert von Elgar
aus. Diese schaue ich auch mit Konrad Jenny an und wir sammeln erste Ideen, was man mit
den Stücken anfangen könnte, wie zum Beispiel, Begleitstimmen dazu aufzunehmen. Auch
spiele ich sie Aline vor und sie sagt, welche sie am meisten beeindrucken und welche Stellen
ich unbedingt gebrauchen soll.
Parallel setze ich mich mit dem Cello an die Loopgeräte und probiere alles aus, was mir einfällt.
Ich erzeuge Rhythmen, indem ich mit der Hand oder dem Bogen aufs Cello klopfe, schichte
Melodien übereinander, experimentiere mit Verzerrern und anderen Effektgeräten und baue
Teile der ausgewählten Stücke ein. All dies dokumentiere ich mit Videoaufnahmen. Gute Ideen
greife ich später wieder auf und baue sie weiter aus.
Obwohl viel Material entsteht, bin ich noch unzufrieden, denn die Musik wird durch die
ständige Wiederholung des Loops oft eintönig. Auch haben wir zu diesem Zeitpunkt unser
Thema noch nicht festgelegt, was es sehr schwierig macht, sich auf Stimmungen oder konkrete
Ziele zu konzentrieren. So kommen mir Zweifel, ob ich überhaupt komponieren kann und ob
ich es schaffe, die Musik für unser Projekt zu machen.
Als Aline und ich in den Sommerferien intensiv zusammenarbeiten, bin ich überhaupt nicht
zufrieden mit dem Resultat und fühle mich von Tag zu Tag unfähiger. Es fühlt sich an, als
würden wir feststecken und nichts Gutes produzieren. Nach ein paar Tagen rufe ich meine
Eltern an, die mir empfehlen, einmal eine Pause zu machen und ein wenig Abstand zu
gewinnen. Wir nehmen uns also einen Nachmittag lang frei und danach habe ich schon ein
besseres Gefühl. Am Ende dieser Woche finden wir auch unser Thema.
Nach den Sommerferien gehe ich mit neuem Mut ans Komponieren und komme endlich
weiter. Mit dem erarbeiteten Konzept, an das ich mich halten kann, ist es viel einfacher, die
Stücke nach ihrem Charakter bestimmten Szenen zuzuordnen und eigene Teile einzubauen,
die es noch braucht.
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Zuerst sammle ich Ideen zu den fünf Teilen des Stücks, die aus bestehender Cellomusik,
Videos, die ich aufgenommen habe, und neuen Ideen bestehen. Dann arbeite ich mich Stück
für Stück durch die Abschnitte und benutze dazu alle möglichen Techniken: Ich schneide
Noten aus und klebe sie anders wieder zusammen, kopiere sie und schreibe eigene Noten
hinein. Für die Perkussionsteile benutze ich eine eigene Schreibweise und auch für die
Angaben zu den Loops erfinde ich passende Symbole:
Mein Ziel ist es, ein vielseitiges Stück zu komponieren, das unser Konzept vermittelt. Ich
kombiniere die besten, spannendsten Teile aus der Celloliteratur mit eigener, moderner
Musik und bewirke so eine Reise durch Gefühle, Sinneseindrücke, Musikepochen und -stile.
Hilfreich und inspirierend ist es auch, wenn ich mit Aline zusammen komponiere, da sie mir
einerseits als «Aussenstehende» ihre Meinung zu meinen Cellostücken sagen, aber auch mit
ihrer Rolle als Tänzerin im Hinterkopf ihre Wünsche und Vorstellungen einbringen kann. Das
hilft mir an Stellen, bei denen ich nicht weiterweiss und verhindert auch, dass ich vom Thema
abkomme.
In dieser produktiven Zeit nehme ich meine Entwürfe in die Cellostunde mit, was sich als sehr
hilfreich erweist. Mein Lehrer Albert Hartkamp ist sehr offen und neugierig, zeigt mir
Geräusche auf dem Cello, auf die ich nie gekommen wäre und hilft mir bei der
Zusammensetzung von Akkorden und der Bestimmung der Tonarten. Am meisten hilft mir
aber, dass er sicher ist, dass etwas Gutes dabei herauskommen wird. Diese aufmunternden
Worte von einem Profi zu hören, gibt mir einen grossen Motivationsschub und viel Mut.
In den Herbstferien stelle ich die Noten fertig und bin sehr zufrieden und erleichtert. Ich kann
endlich das ganze Stück durchspielen und schicke sofort Aufnahmen an Aline, damit sie die
Choreografie dazu machen kann.
Jetzt gehe ich ans Üben. Ungewohnt sind da vor allem das Bedienen des Loopgeräts und das
Üben der Improvisationsteile. Auch fallen mir während des Übens Stellen auf, die ich noch
verändern oder verbessern möchte. Dazu notiere ich Fingersätze und Dynamik und überlege
mir Bilder, die ich mir während des Spielens vorstelle.
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Auswahl der Stücke
Johann Sebastian Bach: Suiten für Violoncello Solo: Suite I, Prélude in G-Dur und Suite III, Prélude in C-Dur 1
Diese Stücke kommen beide in Teil 1 zum Einsatz. Sie sind für Cello Solo geschrieben und mir
gefallen die schönen, vielfältigen Harmonien und der gleichmässige Aufbau. Bach schrieb die
Stücke um 17205, das heisst sie gehören zur Epoche des Barocks. Die Werke waren sogar
ursprünglich zum Tanzen gedacht. Beides sind Stücke, die den Anfang einer Suite bilden,
weshalb ich sie auch als Eröffnungsstücke für unsere Aufführung wähle. Die Musik ist sehr
gleichförmig, was die ewigen Wiederholungen des Alltags widerspiegelt.
Ich kombiniere diese zwei Suiten, da die erste den perfekten Anfang bildet und die zweite
noch besser die gleichförmige, wiegende Atmosphäre vermittelt. Die erste Prélude ist im 4/4-
Takt und die zweite im 3/4-Takt geschrieben. Aber da beide über einen Rhythmus gespielt
werden, der ebenfalls verschoben ist, stört dies nicht. Es unterstützt sogar den Gedanken,
dass schon an dieser Stelle die Überforderung zu ahnen ist.
Astor Piazzolla: Le Grand Tango in A-Moll 1
Le Grand Tango wurde von Astor Piazzolla 1982 geschrieben.2 Er vereint den traditionellen
Tango mit modernen Elementen, wodurch das Stück sehr rhythmisch, intensiv und
experimentell wirkt. Es passt sehr gut zum Anfang des zweiten Teils, wo die Tänzerin wie eine
Puppe von einer fremden Macht geführt wird, sich in abgehackten Gesten zum
Tangorhythmus bewegt und dabei wie eine Showtänzerin lächelt. Auch zeigen die Glissandi
das Abrutschen aus der Normalität und die verlorene Kontrolle, die im Rhythmus noch einmal
verzweifelt festgehalten wird.
Schliesslich wird dieses Thema in Teil 4 noch einmal aufgenommen, als sich die Protagonistin
wieder an diese Kontrolle erinnert und noch einmal in die Rolle der Puppe schlüpft.
Camille Saint-Saens: Cellokonzert Nr. 1 in A-Moll, Op.33 1
Dieses Werk der Spätromantik6 kommt an mehreren Stellen des Stückes vor. Als ich mir
überlege, was ich in Teil 2 zum Thema „Überforderung“ benutzen könnte, fällt mir sofort
dieses Konzert aus dem Jahr 18721 ein. Vor allem an den schnellen Läufen mit Sext- und
Oktavgriffen bin ich selbst einmal fast verzweifelt und man hört den Stellen die Schwierigkeit
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und Virtuosität auch an. Das Werk taucht immer wieder in kleinen Stücken auf, was die
Verwirrung und Überforderung von Teil 2 verstärkt.
Joseph Haydn: Cellokonzert Nr. 1 in C-Dur 1
Aus Haydns Cellokonzert, das zwischen 1762 und 1765 entstand1, suche ich mir die
virtuosesten stellen für Teil 2 heraus. Dieses Werk der Wiener Klassik3 ist sehr imposant und
geordnet aufgebaut. Ich wähle eine wilde Stelle, die grosse Sprünge zwischen den Tönen von
bis zu zwei Oktaven enthält, für den Anfang von Teil 2. Den geordneten Charakter breche ich
auf und füge neue Töne hinzu, die die Ordnung zerstören und die Überforderung darstellen.
Edward Elgar: Cellokonzert in E-Moll, Op. 85 1
Aus diesem Konzert von 19191 wähle ich den schnellen, nervösen Spiccato-Teil des zweiten
Satzes für Teil 2 und den solistischen, dramatischen Anfang für Teil 3.
Der Spiccato-Teil ist eine leisere Phase zwischen Haydn und Saint-Saens, ist aber nie ruhig,
sondern sehr angespannt. Das hohe Tempo und das Hüpfen des Bogens, sowie die
ansteigenden Läufe kündigen die Überforderung an und steigern die Spannung.
Der Anfang ist dominant und imposant. Deshalb kommt er in Teil 3 zum Einsatz, um die
ausgelassene Stimmung der Tänzerin zu zerstören und ihr die ganze Aufmerksamkeit zu
stehlen. Er kann sehr ausdrucksstark und frei gespielt werden.
Die vier Anfangsakkorde werden dann wieder aufgenommen und im Tangorhythmus gezupft.
Diese ruhige Interpretation des Anfangs bildet die Grundlage für die Teile 4 und 5.
Johannes Brahms: Cellosonate in E-Moll, Op. 38 1
Diese Sonate ist eines meiner Lieblingsstücke und hat deshalb einen kurzen Auftritt in Teil 3.
Diese Stelle klingt tief und romantisch und passt perfekt in den Teil der sogenannten
„Waltöne“. Wie ein Strudel zieht einen die Musik immer tiefer hinab.
Das Stück gehört der Spätromantik6 an und drückt grosse Leidenschaft und Trauer aus. Brahms
schrieb es im Sommer 1862, als er von seiner unglücklichen Liebe zu Clara Schumann geplagt
wurde.4
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Entstehung der Choreografie
Vor dem Choreographieren
Damit ich die Choreographie machen kann, muss zuerst die Musik stehen, deshalb helfe ich
Adelina bis zu den Herbstferien mit dem Cellostück. Dabei überlege ich mir, ob das
Komponierte spannend ist, mich emotional berührt und viele Möglichkeiten bietet, um später
dazu eine abwechslungsreiche und spannende Choreografie zu kreieren.
Diese Zusammenarbeit ist äusserst spannend und wichtig, da ich von Anfang an mit der Musik
zu tun habe und diese schon auf mich wirken lassen kann. Ich bin sehr beeindruckt von
Adelinas Fähigkeiten und dem, was sie aus ihrem Cello herausholen kann. Das Instrument
fasziniert mich immer mehr und ich bin begeistert, als aus der anfänglichen
Improvisationsblockade plötzlich ein kreatives Ausprobieren entsteht.
Ich sammle Ideen aus inspirierenden Tanzvideos8, mache mir Notizen nach meinen
Tanzstunden und Workshops und überlege mir, welche von mir schon choreografierten Stücke
brauchbar sind. Das Ziel ist es, viele verschiedene Ideen zu haben, damit ich Blockaden schnell
überwinden kann. Zusätzlich führe ich eine Liste mit Stichworten und Tipps, worauf ich bei der
Performance achten muss und welche verschiedenen Qualitäten und Effekte eingebaut
werden können. Verschiedene Personen aus dem Fach Performance und Tanz spreche ich auf
das Projekt an und bekomme gute Ratschläge.
Das Choreographieren
Notizen mit Bewegungsideen und ein grober Ablauf des jeweiligen Choreografieteils mit den
vorgesehenen Stimmungen, Raumnutzungsideen und Qualitäten, passend zum Cellospiel,
liegen vor mir. Ich arbeite intensiv im Tanzstudio an den Bewegungen, probiere aus, schaue
erneut Videos und versuche, meinen Ansprüchen und unseren gemeinsamen Vorstellungen
gerecht zu werden. Einen Anfang zu finden, ist schwer und je mehr ich eintauche, desto mehr
muss ich aufpassen, dass ich mich nicht im Ausprobieren verliere.
Fällt mir nichts ein, höre ich andere Musikstücke mit Gesang und passender Stimmung, die
mich inspirieren, oder arbeite mit Bildern und den Vorstellungen von Tieren,
Fantasiekreaturen und Zuständen. Ich versuche zum Beispiel, das Gefühl von Wasser zu
verkörpern oder meine Bewegungen zwischen hart, weich, sanft und eckig zu variieren.
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Neben mir schon bekannten Tanzstilen nehme ich auch Voguing, ein mir noch eher
unbekannter Tanzstil, der Adelina und mich sehr fasziniert und erfreut, hinzu. Diesen zu lernen
gibt mir erneut Inspiration und bringt mir eine neue, sehr ausdrucksstarke Bewegungssprache
bei. Entscheide ich mich für einen Bewegungsablauf, tanze ich diesen mehrmals durch, filme,
überdenke und ändere ihn erneut.
„Sind die einzelnen Bewegungen aussagekräftig genug?
Vermitteln sie die richtige Stimmung? Verstärken sie die Aussage des Stückes?
Fühle ich den Fluss beim Zusammenhängen der Bewegungen? Kann ich die Bewegungen
ästhetisch und technisch meistern?“
Die Bewegungen sollten durch verschiedene Bewegungsqualitäten und Dynamiken Charakter
und Spannung erhalten. Genug Pausen, Unerwartetes und Abstraktes sollte enthalten sein
und gleichzeitig auch technisches Können gezeigt werden. Eine Verbindung zu Adelina und
ihrem Cello sollte immer präsent sein und in mehreren Phasen zusätzlich betont werden.
Schliesslich überarbeite ich zusammen mit Adelina die Choreographie und forme mit ihr das
Tanzstück so, dass es für uns beide die gewünschte Vorstellung erfüllt. Um die nötige
Ausdauer aufzubauen und die Bewegungen sauber zu meistern, übe ich, so oft ich kann. Ich
entscheide mich, doch keine choreographische Hilfe einzuholen und fordere mich so umso
mehr heraus, meine Choreographie bis ins letzte Detail zu perfektionieren.
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Tanzstile
Der Stil dieses Stückes ist hauptsächlich dem Zeitgenössischen Tanz, auch bekannt als Modern
oder Contemporary Dance, zuzuordnen. Hinzu kommt der Vogue im Teil 3 und allgemein sind
verschiedene Elemente aus dem Jazz Dance und Hip Hop präsent.
Zeitgenössischer Tanz
Unter diesem Stil wird die Bühnentanzkunst der gegenwärtigen Zeit verstanden. Es ist ein
freier und individueller Ausdruckstanz mit vielseitigen Bewegungsmöglichkeiten. Stilistische
Elemente vom klassischen Ballett und dessen Technik sind durchaus erwünscht, jedoch bleibt
der Ausdruck stets das Wichtigste. Dies erlaubt, dass Fantasie und Kreativität, sowie andere
Tanzstile in diesen Tanz einfliessen können. Neben getanzten Choreographien wird viel
improvisiert.9
Feste Regeln gibt es keine. Auszeichnen tut sich dieser Tanzstil, neben dem persönlichen
Ausdruck des Tänzers/der Tänzerin, durch grosse Bewegungen im Raum, Tanzelemente am
Boden, das Wechselspiel von An- und Entspannung, sowie das gewollte und gekonnte Fallen.
Der Atem ist ein wichtiges begleitendes Element, welches einem Bewegungsablauf Dynamik
und Fluss verleiht. Die Herausforderung des Gleichgewichts, Drehungen, Spiral-Bewegungen
sowie Sprünge oder andere akrobatische Bewegungen sind ebenfalls enthalten. Getanzt wird
fliessend, schwungvoll oder rhythmisch. Einmal langsam und weich, dann wieder schnell.9
Vogue
Voguing ist vielen dank Madonnas Lied „Vogue“ oder vom „Vogue Magazin“ ein Begriff. Dieser
Tanzstil wurde von Männern kreiert und ist unter anderem eine wichtige Ausdrucksform der
LGBTQ (Lesbian Gay Bisexual Transgender Queer) community.11
Durch das Voguing kann jede und jeder einzelne lernen, sich selbst auszudrücken, sich zu
lieben und ein selbstbewusstes und stolzes Individuum zu sein.11 Der Tänzer oder die Tänzerin
bringen eigene Ideen und Bewegungen ein und prägen die Szene mit ihrem individuellen
Ausdruck.10
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Aufgebaut ist Voguing aus den folgenden Elementen:
- Posing: Inspiriert vom Laufsteg und dem Vogue Magazin10
- Face (Ausdruck): Attitude und Arroganz dürfen nicht fehlen10
- Feminine Bewegungen10
- Hand und Armbewegungen: Elegante und perfekt lineare Formen werden
konstruiert12
- Catwalks: Katzenartiges, von Hüftschwung gezeichnetes Laufen zum Rhythmus, wie
auf einem Laufsteg12
- Duckwalks: Entenartiges Laufen, welches an russischen Volkstanz erinnert12
- Drehungen aller Art12
- Dips: Aus einer Drehung zu Boden fallen und mit einem Bein in der Luft, dem anderen
angewinkelt, sowie Kopf und Oberkörper nach hinten gebeugt, posieren12
- Deathdrops: Schnelles zu Boden werfen10
- Tanz am Boden12
- Bewegungen, die von anderen Künsten oder Tanzstilen übernommenen wurden: Zum
Beispiel inspiriert von Karate-Filmen, Ballett oder Jazztanz10
Weitere Stile und Elemente
Die Elemente des Jazz Dance im Stück sind vor allem die Drehungen. Diejenigen des Hip Hop
sind Backslides, Sprünge (z. B. der «Butterfly») und im Freestyle gebrauchte Bewegungen,
welche jedoch alle in der Bewegungsqualität des zeitgenössischen Tanzes ausgeführt wurden.
Mehrere Improvisationsteile sind im ganzen Stück verteilt. Jedoch sind diese nicht ganz frei,
sondern alle durch eine bestimmte Idee, ein bestimmtes Bild, geprägt.
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Gemeinsame Arbeit
Erste Intensivwoche
In den Sommerferien arbeiten wir eine Woche intensiv an der Maturitätsarbeit. Diese erste
„Intensivwoche“ dauert vom 21. bis zum 25. Juli. In dieser Zeit sind unsere Hauptziele, ein
Thema und Konzept zu finden und viel im Studio mit Cello und Tanz zu experimentieren.
Wir probieren unzählige Herangehensweisen aus und stellen uns kleine Aufgaben:
• Wir erstellen zu einer Emotion oder Stimmung ein kurzes Stück
• Wir improvisieren Zu einem Begriff
• Adelina spielt ein Stück, Aline improvisiert dazu
• Aline tanzt, Adelina improvisiert dazu
• Beide sind gleich wichtig und müssen auf die andere reagieren
Dabei werden auch die Loopgeräte eingesetzt und ausprobiert. Zwischendurch legen wir
unsere gewohnten Mittel ganz weg und erzeugen Perkussionsgeräusche auf dem Boden und
unseren Körpern.
„Ach nei, ich bring gar nüt ufd Reihe, das gfallt mer nöd!“
„Doch chum, probier efach mal chli meh abwechslig mit so bumschaka pingssssmm!“
„Ich weiss nöd wie du meinsch, mir chömed so nöd witer und mir müssted jetzt eigentlich
scho wüsse wie d Uffüerig söll usgseh!“
„Jetzt chill mal! Mir sind ersch i de Summerferie, mir hend no ewig ziit!“
Zwischen Sommer- und Herbstferien
Wir bekommen einen neuen Stundenplan, der uns erlaubt, den Donnerstag und Freitag zu
„Maturitätsarbeitstagen“ zu erklären. Dazu treffen wir uns oft auch am Wochenende.
Gleich nehmen wir wieder die Ideen für unser Thema hervor und stellen uns die Aufgabe, uns
in wenigen Tagen je mindestens drei konkrete Konzepte für die Aufführung zu überlegen.
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Beim nächsten Treffen schauen wir diese an und erarbeiten aus den besten Ideen das
Grundkonzept unserer Performance.
Mit dem vereinbarten Konzept können wir mit dem Komponieren loslegen und erarbeiten die
fünf Teile des Stücks. Unbemerkt entwickelt sich eine eigene Sprache aus den Diskussionen,
die wir zur Musik haben. Viel wichtiger als theoretische und technische Überlegungen sind
uns subjektive Assoziationen, Bilder und Gefühle, die wir ausdrücken wollen.
„Also, mir hend jetzt d Eskalation mit Usraschter und Zemebruch. Söllemer jetzt bim Vogue
witer mache?“
„Nei, ich wür jetzt ehner mal d Waltön mache mit chli rauchigem Brahms drin und denn zum
Metal überga. denn chömer nacher grad bim Reggae witermache.“
„Guet, aber nacher willi scho au no chli am Elgar-Tangoteil schaffe, will das isch min
Lieblingsteil!“
Die Suche nach einem geeigneten Aufführungsort beginnt. Wir entscheiden uns für die Aula
der Kantonsschulen Freudenberg und Enge, die wir für den 14. Dezember 2018 reservieren
können. Zusätzlich buchen wir sie für zwei Probentage. Die Aula ist ideal für unsere
Aufführung, da sie eine grosse Bühne von 6 mal 12 Metern, eine gute Licht- und Tonanlage
besitzt und für uns kostenlos ist.
Ein paar Tage später treffen wir Andreas Zihler, der sich mit der Technik in der Aula auskennt
und uns die Möglichkeiten der Bühnenbeleuchtung vorstellt.
Zweite Intensivwoche
In der ersten Woche der Herbstferien arbeiten wir beide produktiv weiter. Aline kann jetzt mit
der Choreografie loslegen, da die Musik schon grösstenteils feststeht.
Die erste Hälfte der Woche arbeiten wir separat, in der zweiten machen wir gemeinsam
weiter. In dieser Zeit können wir für die ganze Aufführung die Musik und zu grossen Teilen
auch die Choreografie festlegen. Das Ganze dokumentieren wir mit Videos.
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Als wir uns für den Titel „Terremoto“ entscheiden, entwerfen wir den Flyer, den wir zwei
Wochen später fertigstellen und abschicken. Wir legen den Inhalt der schriftlichen Arbeit in
Stichworten fest und planen weiter die Inszenierung der Aufführung.
Nach den Herbstferien - Der Endspurt
Die Aufführung rückt immer näher und somit steigt die Spannung. Aline beendet die
Choreografie und wir beginnen mit gemeinsamen Proben, die ab Mitte November jedes
Wochenende in Alines Studio stattfinden. Wir beginnen, uns mit dem schriftlichen Teil der
Arbeit zu beschäftigen und planen das Musikvideo, welches aber nicht Teil der
Maturitätsarbeit ist.
Dann beginnen auch schon die Proben in der Aula der Kantonsschulen Enge und Freudenberg.
Am 25. November treffen wir uns am Mittag mit Konrad Jenny dort, um die Beleuchtung und
den Ton auszuprobieren, die Positionen festzulegen und uns an den Raum zu gewöhnen. Wir
machen unseren ersten Durchlauf, bei dem unsere Väter Stefan und Hansjürg und natürlich
unser Betreuer zuschauen. Es passieren zwar ein paar Pannen, doch schaffen wir es, das
komplette Stück auswendig aufzuführen und sind sehr zufrieden mit unserer Leistung und
dem Gefühl im Saal. Danach besprechen wir das Ganze und unsere Zuschauer geben uns
Rückmeldungen. Dabei entstehen spannende Ideen und wichtige Verbesserungsvorschläge.
Die Woche der Aufführung ist da. Am 10. Dezember treffen wir uns mit Andreas Zihler in der
Aula, um das Licht einzuprogrammieren. Wir haben schon genaue Vorstellungen zu den
einzelnen Teilen und dank seines Fachwissens kommen noch gute Details, wie Spots aus
mehreren Richtungen, hinzu.
Am 13. Dezember proben wir noch einmal den ganzen Tag. Mit Hansjürg schauen wir die
Lichtführung an und machen anschliessend zwei Durchläufe.
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Die Aufführung
Entstehungsprozess
Rohkonzept
Die Suche nach dem passenden Thema für unsere Aufführung ist der erste grosse Schritt
unserer Maturitätsarbeit. Wir wollen ein spannendes Thema finden, das dynamisch und
abwechslungsreich verkörpert und vertont werden kann.
Unsere erste Idee ist das Erdbeben. Wir haben in den Studienwochen in Urbino mehrere
Erdbeben erlebt und der Begriff „Terremoto“ ruft deshalb viele Erinnerung und Emotionen
hervor. Wir nehmen die Idee auf und fangen an, Brainstormings und Skizzen zu machen.
Jedoch legen wir diesen ersten Einfall wieder auf die Seite, da uns ein logischer roter Faden
fehlt.
Wir überlegen uns, ob wir eine Geschichte erzählen, ein Bild oder Gedicht als Vorlage nehmen,
Farben oder Wörter vertonen sollen und ob die Performance aus einem Teil oder mehreren
verschiedenen Kapiteln bestehen soll.
Anhand der Frage „Was beschäftigt uns und unsere Generation im Hier und Jetzt?“ arbeiten
wir vier zusammenfassende Begriffe heraus:
Überforderung – Flucht/Verdrängung – Gleichgültigkeit – Hoffnung
Mit diesen Begriffen sind alle vertraut und gleichzeitig beinhalten sie eine grosse Kritik. Wir
stellen uns vor, in verschiedenen Teilen der Aufführung auf diese Themen einzugehen und
versuchen, zu jedem Begriff passende Tanzstile sowie Cellosuiten zuzuordnen. Gleichzeitig
listen wir die dazugehörigen Gefühle und Stichworte auf und sammeln eigene kreative Ideen
und Vorstellungen zu dieser möglichen Performance. Es stellt sich die Frage, wie wir diese
Themen logisch anordnen sollen. Wir beschliessen, uns auf einen Begriff zu beschränken und
entscheiden uns für die Flucht im Sinne von Verdrängung und persönlicher Flucht.
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Wir erstellen ein Mindmap mit den verschiedenen Arten von Flucht und Verdrängung im
persönlichen Leben und erarbeiten daraus unser erstes Konzept.
Dieses Rohkonzept besteht aus vier Teilen, welche jeweils die Ideen für Musik und Tanz und
die dabei auszudrückenden Gefühle und Gedanken nebeneinanderstellen.
Diese vier Hauptteile sind: Der monotone und stressige Alltag, die Überforderung, welche sich
aus diesem entwickelt, die Verdrängung als dessen Resultat und die darauffolgende
Gleichgültigkeit.
Ein Anfang und ein fünfter Teil am Ende sollen das Ganze umrahmen und die Aussage des
Stückes verdeutlichen. Der Anfang stellt das unwissende Eintreten in den Teufelskreis dar und
im Gegensatz dazu zeigt das Ende das deutliche Ausbrechen: Die Hoffnung.
Suche nach dem Titel
Das Rohkonzept steht, die Musik ist komponiert und die Choreografie entsteht laufend. Der
Name der Aufführung ist uns dagegen immer noch ein Rätsel.
Brainstormings bringen uns zu vier möglichen Titeln: Blank Space sowie Silent-, Blank- oder
White Noise. Alle drei klingen interessant, doch Reaktionen von Aussenstehenden nehmen
uns die Überzeugung, einen dieser Begriffe zu wählen. Blank Space stellt sich als Lied von
Taylor Swift heraus und Blank sei allgemein unpassend. Noise ist zu negativ für Cellomusik und
unsere anderen Optionen sind ebenfalls unbrauchbar. Dann fällt uns unsere erste Idee
„Terremoto“ wieder ein. Dieser Titel erscheint uns jetzt äusserst passend und wir entscheiden
uns dafür.
Ein Erdbeben zerstört, macht Angst, erschüttert und hat eine unkontrollierbare Gewalt.
Diese innere Erschütterung kann durch den komplizierten Weg des Erwachsenwerdens und
die Suche nach der eigenen Identität hervorgerufen werden. Eine solche Erschütterung
kommt ohne Warnung und ist unkontrollierbar. Das Erdbeben betrifft uns alle, weshalb wir
uns für diesen Titel entschieden haben.
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Design des Flyers
Als der Titel „Terremoto“ feststeht, entwerfen wir den Flyer. Auf der Vorderseite bildet ein
Gewirr von Linien und schraffierten Flächen ein Cello und eine tanzende Figur ab. Darüber
steht der Titel in grossen, roten Buchstaben. Das Bild wirkt unruhig und bewegt, was an den
Tanz und gleichzeitig an das Erdbeben erinnert.
Die Rückseite ist graphischer gestaltet, nimmt aber in der Schraffur und den Rot- und
Schwarztönen die Vorderseite wieder auf. Es sind zwei Füsse zu sehen. Einer auf einem
Loopgerät und der andere in der „Relevé-Stellung“, welche den Tanz symbolisiert. Die Füsse
sind verbunden durch ein rotes Kabel, das für die Verbindung von Cello und Tanz steht. Auf
der Rückseite sind die wichtigsten Informationen zu Ort und Zeit der Aufführung aufgeführt,
sowie das Zitat:
„Und sie bewegt sich doch“
von Galileo Galilei.
Diesen Satz sagte Galilei angeblich kurz nachdem er von Vorwürfen der Ketzerei
freigesprochen wurde, als er seine Behauptung zurücknahm, die Sonne sei das Zentrum, um
das die Erde kreise.13,14
Einerseits spielen wir mit dem Zitat auf die Bewegung der Erde beim Erdbeben, und die der
Tänzerin zur Musik an, andererseits zeigt es auch das Streben nach Wahrheit und die
Willensstärke Galileis, was am Ende unseres Stückes zum Ausdruck kommt. Galilei liess sich
nicht von seinem Weg abbringen und machte mit dem heliozentrischen Weltbild eine wichtige
Entdeckung und einen grossen Schritt nach vorne. Er brach aus den Konventionen und festen
Vorstellungen der Gesellschaft aus, wozu unser Stück auch aufmuntern soll.
Mit einem Satz erklären wir, um was für eine Aufführung es sich handelt. Das Wortspiel „LIFE-
Performance“ spielt darauf an, dass das Stück live aufgeführt wird, von Geschehnissen in
unserem Leben inspiriert ist und sicher auch viele Zuschauer sich darin wiedererkennen.
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Kostüm, Bühnenbild und Licht
Kostüm
Die Farbkombination des Flyers, rot-schwarz, übernehmen wir auch fürs Kostüm. Aline trägt
wegen dem schwarzen Hintergrund eine rote Hose, da diese ihre Bewegungen betont und gut
hervorhebt. Als Gegenstück dazu ist Adelina, bis auf die roten Socken, ganz in schwarz
gekleidet. Die Socken stellen die wichtige Verbindung zwischen ihr, dem Cello und dem
Loopgerät, sowie zu Aline dar.
Bühnenbild
Zwei Umrahmungen aus hellem Klebeband, das geklebte Rechteck um die Tanzfläche und die
Umrandung des Platzes, wo Adelina spielt, werden von Aline am Anfang der Vorstellung
vervollständigt. Sobald die Formen geschlossen sind, können weder Aline noch Adelina aus
ihnen hinaustreten. Es scheint, als gäbe es auf allen Seiten durchsichtige Wände, die Tänzerin
und Cellistin in ihrem Platz beschränken und einsperren. Die Idee, Klebeband zu benutzen,
entsteht aus dem Gedanken an das Absperrband rund um Gefahrenzonen und das Abkleben
von Leichen am Tatort. Das Kreuz in der Mitte erinnert auch an Bühnenmarkierungen für
Schauspieler.
Die Klebebandrolle ist während des ganzen Stückes auf der Bühne präsent und stellt eine
ständige Gefahr dar, welche den Zuschauer irritiert.
Licht
Das Bühnenlicht ist bei jedem Teil stimmungsgerecht gestaltet, mit dem Ziel, dass keine
Lichtsituation der vorherigen gleicht. So wird die Unterscheidung der verschiedenen Teile
unterstützt und die emotionale Wirkung verstärkt. Auf Adelina ist die ganze Zeit ein Spot
gerichtet, der ihre feste Position betont, sie zu einem beständigen Element der Aufführung
macht und von der Tänzerin abhebt.
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Lichtsituationen:
- Vorspiel: Dunkel, dann Übergang in Lichtsituation Teil 1
- Teil 1: Ganze Bühne gut ausgeleuchtet
- Teil 2: Düster, viele Schatten, Schluss dunkel
- Teil 3: Wahnsinn verstärkt durch Schatten im Gesicht, Scheinwerferlicht bei Vogue,
sonst eher Seitenlicht
- Teil 4: Kalte, trockene und distanzierte Stimmung, Bühne von Anfang an nicht
vollständig beleuchtet. Immer grössere Einschränkung des Lichts, bis nur noch zwei
einzelne Spots auf Aline und Adelina gerichtet sind
- Teil 5: Erneut ganz ausgeleuchtet wie bei Teil 1, dann Blackout
Konzept
Vorspiel
Die Vorstellung beginnt in völliger Dunkelheit. Dann wird die Beleuchtung stetig erhellt. Auf
dem Cello werden einzelne Töne und Geräusche improvisiert, die immer lauter und
rhythmischer werden. Das Klebeband wird abgerissen und es wird unsinnig, fast kindlich damit
herumgespielt. In einem weiteren Schritt werden Abgrenzungen und ein Kreuz geklebt,
welche unsere Positionen genau festlegen.
In unserer Sicht stellt das Kreuz die fixe Position in der Gesellschaft dar, die einem zugeordnet
wird. Es wird einem vorgeschrieben, was zu tun und zu lassen ist und Grenzen sollen nie
überschritten werden. Somit funktionieren die geklebten Abgrenzungen als Gefängnis. Alines
kindliches und unwissendes herumspielen und kleben zeigt, dass man sich, geleitet und
beeinflusst von der Gesellschaft und deren äusseren Einflüssen, in dieses Gefängnis
hineindrängen lässt. Die improvisierten Geräusche symbolisieren ein Erwachen und Erforschen
der Welt, wobei man sich seiner Grenzen noch nicht bewusst ist.
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Teil 1
Die Geräusche werden zu einem sich wiederholenden Rhythmus, zu dem sich die Tänzerin
mechanisch und mit erkennbaren Gesten des Alltags bewegt. Darauf folgt eine angenehme,
gleichförmige Melodie. Das Ganze steigert sich und es kommt zu einem Wendepunkt, als
„Abrutscher“ beim Cellospiel den monotonen, stressigen Alltag an eine Grenze bringen und
in die Überforderung (Teil 2) überleiten.
Die Stimmung ist anfangs locker, wird jedoch immer gestresster. Es gibt viele Wiederholungen
und die Bühne wird bis zu den abgeklebten Grenzen ausgenutzt.
Der Alltag wird mit dem immer präsenten Rhythmus repetitiv und maschinell dargestellt. Man
wird in den Teufelskreis des monotonen Alltages hineingezogen und so selbst zur Maschine
und Spielfigur der Gesellschaft. Man vergisst sich selbst, verpasst, die gegenwärtigen Dinge zu
geniessen und täuscht dabei vor, glücklich zu sein. Die Unzufriedenheit wird immer grösser und
erschüttert das innere Gleichgewicht.
Teil 2
Der Tango setzt ein, die Überforderung beginnt. Die Bewegungen werden jetzt nicht mehr nur
angeleitet, sondern kontrolliert und von der Musik erzwungen. Wilder und immer heftiger
steigern sich der Tanz und die Musik bis zum endgültigen Zusammenbruch. Verzweiflung und
Hilflosigkeit kommen zum Ausdruck. Der freie Platz wird plötzlich auf das Kreuz begrenzt.
Dieser Teil zeigt den verlorenen Zustand, welcher eine Überforderung mit sich bringt. Wir
sehen das Bild eines Menschen, der dieses Gefängnis nicht mehr aushält und dem alles von
ihm Geforderte und alle Gewohnheiten zu viel werden. Innerlich schreit er nach Hilfe, nach
Veränderung und einem festen Halt und äusserlich scheint es, als wäre alles beim Alten
geblieben. Durch dieses verbergen der eigenen Gefühle und die daraus entstehende
Hilflosigkeit wird die ganze Situation immer schlimmer und unkontrollierbarer, bis die einzige
Möglichkeit, am Leben zu bleiben, die Flucht in die Verdrängung ist.
Dieser Teil zeigt ganz deutlich die innere Erschütterung. Das Erdbeben hat vernichtende Kräfte,
welche die weiteren Teile des Stückes prägen.
27
Teil 3
Eine übertrieben hohe, schöne Melodie, komische „Waltöne“, metallisch angehauchte Klänge,
ein energetischer Voguebeat, entspannter Reggae und ein dramatischer Abschluss zeichnen
den Verlauf der Verdrängung. Die Bewegungsqualitäten verändern sich laufend, die
Stimmungen spielen verrückt und abrupte Wechsel führen von einem Wahnsinn in den
nächsten.
Die Verdrängung der Wirklichkeit stellt für uns die Flucht in eine andere, scheinbar sorgenfreie
Welt dar. Beispielsweise Drogen oder Social Media lassen die Realität in Vergessenheit
geraten. Der Mensch flüchtet sich in verschiedene Arten der Verdrängung, welche extreme
Launen und wahnsinnige Zustände auslösen, in denen von einem Hoch ins andere gewechselt
wird. Flucht und Verdrängung nützen jedoch auf längere Zeit nichts und der Tiefpunkt, welcher
schliesslich zu einem noch schlimmeren Zustand führt, trifft ohne Vorwarnung ein. Nicht bereit
dafür, seine Probleme zu überwinden, begibt sich der Mensch in den Zustand der totalen
Gleichgültigkeit.
Teil 4
Die Musik wird langsam, ruhig und zäh. Mit dem Rücken zum Publikum stellt die Tänzerin die
Gleichgültigkeit dar. Alles wirkt schwer und zieht sich ewig dahin. Nur noch ein Zupfen ist zu
hören, dann ein einziges Ticken der Zeit. Der Raum wird wieder immer mehr aufs Kreuz
beschränkt, dann bleibt alles stehen.
Die Verdrängung bewirkt, dass nichts mehr eine Rolle spielt, mit nichts mehr umgegangen
werden kann und die Person sogar sich selbst entfremdet. Die Distanz zu allem wächst
konstant an und die Lust zum Leben schwindet. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ganz
aufgegeben wird. Der Mensch zerfällt innerlich. An diesem Punkt liegt es einzig und allein an
der Person selbst, sich zu retten, alle anderen sind machtlos.
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Teil 5
Es herrscht Stille und keine Bewegung ist zu erkennen.
Dann ein kleiner wacher Moment, ein schwacher Hoffnungsschimmer. Das Klebeband lässt
sich ablösen. Schnell werden alle Grenzen abgerissen und für immer weggeworfen. Es ist der
Beginn von etwas Neuem. Hoffnung.
In diesem Moment der Stille entdeckt der Mensch, dass es doch eine Möglichkeit gibt, die
Grenzen zu überwinden. Er entscheidet sich für die Freiheit, sie niederzureissen. Er nimmt die
Herausforderung an, sich vom Negativen loszulösen, sich aufzuraffen und einen Neuanfang zu
wagen. Es ist der Beginn eines neuen Wegs mit Hoffnung auf Zufriedenheit.
Tag der Aufführung
Am 14. Dezember treffen wir uns um 16:00 Uhr in der Aula und starten, nachdem wir uns
eingerichtet und aufgewärmt haben, mit einem Durchlauf. Dabei schauen wir noch einmal,
dass das Licht stimmt. Dann kommen auch schon Jan Heldmann und Leo Feldmann, die diesen
Abend mit Film und Fotografie festhalten sollen und wir zeigen ihnen ihre Positionen.
Bei der Generalprobe hole ich mir im Holzboden einen grossen Splitter. Da er sich nicht aus
meinem grossen Zeh entfernen lässt, wird er Teil der Aufführung und stellt sicher, dass auch
jede Drehung schmerzhaft an ihn erinnert. - Aline
Die Spannung steigt immer mehr und wir ziehen uns um, schminken uns und wärmen uns auf.
„Da der Tramverkehr lahm liegt, stecken viele Leute fest und kommen zu spät. Der
Aufführungsbeginn verzögert sich um 10 Minuten. Danke für Ihr Verständnis.“
Um 20:10 Uhr beginnt die Vorstellung.
Aline und Adelina schlüpfen in ihre Rollen.
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Vorspiel
Dunkelheit.
Ein undefinierbares Knacken durchbricht die Stille. Ich bin in einem Keller. Es wimmelt von
unsichtbarem Getier. Immer mehr Kreaturen wagen sich aus ihren Verstecken und eilen in
den Gängen herum.
Raaatsch tönt es ganz laut und dann immer öfters. Dieser Ton ist anders. Wie ein Schrei, tief
in mir. Eine Warnung?
Eine verrostete Tür öffnet sich quietschend und lässt so das erste Tageslicht hinein. Die ersten
Leute sind auf dem Weg zur Arbeit. Sie gehen eilig vorbei, steigen in die nächste Strassenbahn
und sind wieder verschwunden. Die Bahn rattert, der Wind rauscht durch die Gassen und die
Türen der Läden knacken, als sie aufgeschlossen werden. Ich trete hinaus und mische mich
unter die Leute. Ich laufe im Takt ihrer Schritte mit, mache die gleichen Bewegungen, die
gleichen Geräusche.
Teil 1
Gefangen im Alltag. Alle sagen, ich sei frei. Ich sollte glücklich sein. Ich sehe meine Markierung,
meinen Platz in dieser geregelten Gesellschaft. Alle sagen, ich sei frei. Alles bremst mich. Ich
komme nicht über diese unsichtbaren Grenzen. Und es zieht mich wie eine Maschine in diesen
sich wiederholenden monotonen Rhythmus. Was zu tun ist, das musst du tun, Zeit rennt, keine
Lust, Handy kontrollieren, arbeiten, Langeweile, weiter, Kaffee trinken und von vorne. Was zu
tun ist, das musst du tun, Zeit rennt, keine Lust, Handy kontrollieren, arbeiten, Langeweile,
weiter, Kaffee trinken und von vorne. Was zu tun ist, das musst du tun, Zeit rennt, keine Lust,
Handy kontrollieren, arbeiten, Langeweile, weiter, Kaffee trinken, Mist! Verschüttet! Was zu
tun ist, das musst du tun, Zeit rennt, keine Lust, Handy kontrollieren, arbeiten, Langeweile,
weiter, Kaffee trinken und von vorn...
Handy da, dort, überall.
Achtung, die Zeit rennt.
Dies, das und da drüben noch etwas.
Alles auf einmal, keine Zeit!
Die Zeit rennt!
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Lass mich, Leben, Alltag, ihr alle, lasst mich in Ruhe! Ich möchte nicht mehr jeden Tag das
Gleiche tun, ich möchte mich vom Handy befreien, ich möchte endlich mich selbst sein.
Machen, was ich will!
Ich rutsche ab. Nur kurz war ich unaufmerksam, jetzt muss ich mich aber zusammenreissen!
Doch da ist er wieder, der Fehler im System. Ich kann nichts dagegen tun, rutsche ab, verliere
die Kontrolle.
AHHHHHHHHH! - Alle sagen ich bin frei. Ich will glücklich sein.
AHHHHHHHHHH! - Ich kann nicht mehr. Es bebt in mir. Es schreit. Arbeit. Handy. Kaffee.
Weiter.
Du musst, du musst, du musst, du musst!
AHHHHHHHHHHH! - Alles ist doch gut. Perfekt. Super. Steh auf!
Teil 2
Ich sehe meine äussere Erscheinung, lachend, den Kopf hoch und übertrieben stolz. Wie ein
getanzter Tango. Innerlich ein Schrei. Schreie.
Ich kämpfe gegen die Dunkelheit. Kämpfe, um diese Maske aufrecht zu erhalten. Kämpfe
wofür? Ich bin überfordert, verliere völlig die Orientierung. Ich werde in die Dunkelheit
gezogen, herumgewirbelt, hin und her, nach oben und unten. Es gibt keinen Ausweg.
Es bebt.
Fürchterlich bebt es und das Erdbeben zerstört alles. Nimmt mir alles.
Da balanciere ich auf einem dünnen Faden über einer unendlich tiefen Schlucht und strample
um mein Leben. Ich kann nicht mehr. Ich falle. Ich falle. Ich strample, falle, schlage um mich
und falle immer weiter.
Die Grenzen, diese durchsichtigen Wände, kommen immer näher. Sie nehmen mir alle Luft.
Engen mich ein. Stoooopp, bitte, stopp!
Ich kann nicht mehr.
Zusammenbruch.
31
Dunkelheit.
Nur mein schweres Atmen stört die Stille.
Teil 3
Das Erwachen in einer anderen Welt. Es ist wunderschön hier. Ich bin glücklich, es ist friedlich
und tausend Sterne glitzern am silbernen Himmel. Gleichzeitig brodelt tief in mir ein ungutes
Gefühl. Das Aufstehen fällt mir schwer. Es kribbelt in mir. Ich bin verwirrt. Fasziniert.
Da bricht es heraus, durch mich hindurch, das kurze Glücksgefühl ist verschwunden und schon
zieht es mich in einen Strudel hinab. Es wirbelt und braust, ich verliere die Orientierung und
finde mich am Grunde des Meeres wieder.
Energie überströmt mich. Leidenschaft. Frust. Wut bricht hervor und ich drehe die Musik so
laut es geht auf, schüttle den Kopf und die Haare. Ich fühle mich wie ein Löwe, der seine Beute
zerfleischt. Wie eine furchterregende Bestie. Wie die Königin des Universums. Die Energie der
Musik erfüllt mich und ich bekomme Lust, gesehen zu werden und meinen Körper zu zeigen,
in Szene zu setzen. Alle sollten es sehen, mich sehen, mich vergöttern.
Alles verdränge ich und bin glücklich. Ich bin eins mit dem Rhythmus und zeige meinen
Zuschauern alles, was ich kann. Ich will euch beeindrucken, verführen! Dann, auf dem
Höhepunkt, breche ich zusammen.
Eine angenehme Melodie weckt mich. Ich liege auf einer Blumenwiese, rieche die lauwarme
Frühlingsluft und fühle mich richtig wohl. Meine Sorgen sind weit weg, eine Libelle tanzt durch
die Luft. Es scheint, als ob die ganze Natur, die ganze Welt nur für diesen Moment gemacht
ist, und alles in die Melodie mit einstimmt. Und ich tänzle und singe, klopfe und jauchze. Ich
bin glücklich.
32
Teil 4
Ich wende mich ab, alles ist mir egal, absolut gleichgültig. Der Regen tropft vor sich hin, die
Melodien fügen sich zu einem undefinierbaren Sumpf zusammen. Ich schwebe im Nichts, falle
ins Nichts, fühle nichts und sehe weit entfernt mich selbst. Schreiend. Mich selbst beissend.
Doch es bringt nichts, ich drifte immer weiter ab. Werde schwerer und schwerer. Alles dreht
sich unendlich im Kreis. Im Takt, das Ticken der rennenden Zeit.
Tic Tac
Tic Tac
Tic Tac
Tic Tac
Tic Tac
...
Plötzlich ändert sich etwas. Wie konnte ich mich so
gehen lassen? Das ist ja richtig peinlich. Ich muss mich
auf mein erstes Solokonzert in der Tonhalle
vorbereiten. Ich wische ein letztes Mal meine Hände
ab, nicke dem Dirigenten zu und dann ist mein grosser
Moment gekommen. Mit grossartigem Schwung setze
ich den Bogen auf und lasse den ersten Akkord den
ganzen Saal erfüllen und die Leute den Atem anhalten.
Ich reisse die Macht an mich. Nichts kann meine Klänge
besiegen, denn sie sind so gewaltig wie der Schmerz der
ganzen Welt.
Es ist vorbei. Ich habe meine Aufgabe erfüllt. Die Nacht
legt sich über die Felder und Sterne erscheinen am
Himmel. Es fängt an, zu regnen.
Da durchschneidet eine Erinnerung die friedliche
Stimmung: Am Horizont tanzt die Puppe mit ihren
festgebundenen, hölzernen Gliedern vorbei. Doch sie
interessiert mich nicht im Geringsten.
Plötzlich wirft es mich in die Realität
zurück. All diese schrecklichen
Gefühle, all dieser Schmerz, dieser
Hass, diese Erschöpfung, alles. Ich
will nicht, ich kann nicht. Wie eine
Puppe werde ich ausgespielt, wie an
Fäden dirigiert. Bestimmt wird über
mein Dasein. Ich möchte mich
wehren, strampeln, doch kann
nicht. Meine Hände greifen an
meinen Hals und schnüren meine
Luftröhre zu.
33
Teil 5
Das Nichts fängt an, mich aufzufressen. Wo bin ich? Wer bin ich? Stopp!
Ich sehe mein Spiegelbild, sehe mich selbst, und reisse an meinen Fesseln. Und diese lassen
sich ablösen! Ich war gar nicht wirklich eingesperrt! Ich renne los und befreie mich aus
meinem Gefängnis. Fieberhaft reisse ich alles davon ab, bis ich endlich frei im Raum stehe. Ich
kann jetzt überall hin! Die ganze Welt steht mir offen! Ich sehe Licht, sehe Positives!
Meine Hoffnung ist zurück. Nie wieder werde ich mir diesen Käfig bauen. Ich werde neu
anfangen und glücklich sein.
Dunkelheit.
Adelina und Aline erwachen aus ihren Rollen.
Rückmeldungen
Als wir nach der Aufführung im Saal mit allen Zuschauern zusammentreffen, zeigt sich grosse
Begeisterung. Adjektive wie „wunderschön, interessant, faszinierend, beeindruckend,
fassungslos und genial“ fallen von allen Seiten. Von Hühnerhaut, nahenden Tränen und
Lieblingsmomenten wird erzählt. Gleichzeitig füllen grosse Fragezeichen, was die letzte halbe
Stunde wirklich zu bedeuten hatte, den Raum.
Auf den folgenden zwei Seiten: Mündliche und schriftliche Rückmeldungen
(Schwarz: Positive Rückmeldungen, Rot: Kritik, Kursiv: Interpretationen)
34
An alles habt ihr gedacht:
tolles Licht, gute Dramaturgie,
gute Bühnenbildidee,
ausdrucksstarker Tanz,
wundervolle Musik und sehr
charmante Kostüme
Die Ruhemomente
und Pausen waren
wunderbar
Die leisen, speziellen
Klänge im Dunkeln
waren spannend und
toll, doch dann kam das
Licht und ich hätte mir
gewünscht, dass die
Klänge stärker werden
würden, abgrenzender
zu Alines Aktion
Das Licht mit den
Schattenwürfen hatte
eine geniale Wirkung
Die Spannung
wurde durch die
Vielfältigkeit
immer erhalten
Klebeband als Umrahmung
des Ganzen, als Gefängnis,
als Grenze
Innere Erschütterung
Leise und laut,
wild,
euphorisch
und
verzweifelt
Gerne wüsste ich, was die
einzelnen Gesten und
Bewegungen wirklich
bedeuteten und wie sich
das ganzen Stücke
entwickelt hat, um so auch
die ganze Aufführung
besser zu verstehen
Dass ihr die starke
Farbe Rot für den Tanz
in einer Hose
eingesetzt habt, die
die Dynamik von
Alines Bewegung
verstärkt hat, und bei
Adelina in den Socken,
als Verbindung
zwischen
ihrem Cello und dem
Loopgerät, war toll.
Die Musik kontrolliert
die Tänzerin, solange
diese vom Klebeband
umgeben ist
Überforderung,
alles wird zu viel,
danach keine
Ahnung...
Ausdrucksstark,
energiegeladen und
eine eindrückliche
Körperbeherrschung
Cool, aber ich
habe es nicht
ganz
verstanden
Ein famoses
Zusammenspiel,
es wurde mir
nie langweilig
Die Interpretationsmöglichkeiten
waren gross und spannend, wie es bei
Kunstwerken sein sollte
Weird but
amazing
Die Bedeutung des
Klebebandes ist mir
unklar
Das Klebeband
cool, speziell, witzig
Das Erdbeben ist
rübergekommen
Neu und ungewohnt
Eindrückliche, schöne
und abstrakte
Bewegungen,
gezeichnet durch sich
teilweise wiederholende
Gesten oder Teile,
ergänzten oder
widersetzten sich der
Musik
Ihre Dehnbarkeit und
die Leichtigkeit, mit der
sich Aline zu Boden und
wieder weg vom Boden
bewegte, ist
bewundernswert.
35
Ein eigenständiges
und einzigartiges
Kunstwerk
Musik und Tanz
boten zusammen
eine eindrückliche
Darstellung von
Gefühlen
Das Kleben am
Anfang war ein
wenig zu lang und
einzelne
Bewegungen nicht
so sauber
ausgeführt
Das Musikstück mit den
veränderten Cellosuiten
und Improvisationsteilen
übertraf jede Erwartung
und Adelina liess keine
Zweifel an ihrem Können
Der Flyer ist sehr
kreativ und
spannend
Der Rhythmus am
Anfang war ein wenig
verschoben
Dauerndes
Rauschen in den
Lautsprechern
Vogue <3
Ich brauchte eine
Weile, um mich auf
die Aufführung
einzulassen
Überrascht und
verwirrt stellte ich
fest, dass Adelina
plötzlich aufhörte zu
spielen und die Musik
trotzdem weiterlief.
War alles nur fake?!
Den Stil der
Kostüme fand ich
sehr gut gewählt,
modern und jung
jedoch nicht zu
charakterstark, was
die Performance
gestört hätte
Der Schluss zeigt
Befreiung,
gegenseitige Hilfe und
Hoffnung
Grenzen am
Anfang noch mehr
zeigen
Der Soundeffekt
des Klebebandes
zu Beginn war
spannend
Man sieht die
Arbeit dahinter.
Hammer Resultat!
Struggling with life,
stuck in a loop, too
much pressure in
society that puts you
down, trying to keep
up, losing it
Ich habe fast
geweint an einer
Stelle
Schön zu
schrecklich,
melodiös zu
desaströs
Die Cellistin war
verbunden mit
ihrem Instrument
und erschuf
unvorstellbare und
unerwartete Töne
Der Tanz
akzentuiert bis in
die Finger
Kostüme
minimalistisch und
expressiv zugleich,
kontraststark,
feurig
Professionell
Ich würde sofort
wiederkommen
Der Aufbau war
super und wurde
am Ende gut
abgerundet
Wunderbare melodische und
tänzerische Produktion
Cello und Cellistin als eigene
Komposition, ein eigener
Tanz, wunderbar anzuhören
Grazie per il bel
momento
36
Nach der Aufführung
Nach der Aufführung sind wir völlig kaputt, aber wir können uns nicht lange ausruhen, denn
in der nächsten Woche gibt es wieder viel zu tun: Wir sammeln das ganze Videomaterial und
die Fotos und suchen nach einem Drehort für das Musikvideo.
Am 20. Dezember treffen wir den Kameramann Damien Hauser und besprechen zusammen
unser Konzept und unsere Vorstellung des Musikvideos. Zwei Tage später stehen wir früh auf
und fahren an unseren Drehort; eine Wohnung, die Alines Vater geerbt hat und die gerade
frisch gestrichen wurde. Den ganzen Tag filmen wir in verschiedenen Zimmern, mit
Absperrband, Abdeckfolie und weissem Papier bewaffnet. Es entstehen sehr eindrucksvolle
und abwechslungsreiche Bilder.
Dann beginnen auch schon die Weihnachtsferien und wir beenden unsere schriftliche Arbeit.
Es ist unglaublich, wie schnell die Zeit vergangen ist und wir sind gleichzeitig froh und traurig,
dass unsere Maturitätsarbeit dem Ende naht.
Arbeitsweise
Arbeitsjournale und Zeitplan
Wir entscheiden uns dafür, drei Arbeitsjournale zu erstellen. In eines schreiben wir unsere
gemeinsamen Treffen, Planungen und Arbeitsschritte. Wir tragen für jeden Arbeitstag die
Ziele ein, die wir erreichen wollen und schauen am Ende des Tages, ob wir sie erreicht haben.
Wenn nicht, passen wir den Zeitplan so an, dass wir sie noch einmal angehen können.
Zusätzlich haben wir jeweils ein eigenes Journal, in dem wir unsere separate Arbeit am Tanz
oder der Musik dokumentieren und persönliche Ideen, Gefühle und Erfahrungen festhalten.
Dieses separate Journal führt jede nach ihrer Art und wir halten uns gegenseitig über die
wichtigsten Neuerungen auf dem Laufenden.
37
Die erste grobe Planung des Projekts steht in der Vereinbarung. Dort setzen wir die
wichtigsten Ziele über das ganze Jahr verteilt fest. Im gemeinsamen Arbeitsjournal erstellen
wir von Hand noch mehrere Kalender zur Übersicht einzelner Zeitabschnitte.
Strategien gegen Stress und Kreativitätsblockaden
„Ich cha nüme“
„Aber Aline, das passt doch nöd ganz uf d’Musig! “
„Hemmer alles gmacht? “
„Mist scho nach Mitternacht... “
„AHHHHHHHHHHHHH“
„Mi münds eif schaffe“
Alltäglicher Schul- und zusätzlicher Maturitätsarbeitsstress lassen jede Woche den Druck
steigen und die Nerven leiden. Um unsere Kreativität und Energie trotzdem möglichst gut zu
erhalten setzen wir unser Fokus auch auf Auszeiten und Pausen, in denen wir reisen oder
anderen Dingen nachgehen. Oft kommen uns in diesen Pausen neue Ideen und gleichzeitig
können Blockaden für eine Weile auf die Seite geschoben und später mit frischer Energie
gelöst werden.
„Machen wir Pause“, und schon stehen beide an der Kaffeemaschine und schauen sich,
während sich der sehnlichst erwartete Kaffeeduft ausbreitet, nach etwas Süssem um. Kuchen,
Schokolade, Apfelringe, Cookies und Sirupwaffeln sind dringend nötig, um uns bei Laune zu
halten.
Kommunikation und Inspiration
Konversationen über unsere Maturitätsarbeit finden überall statt, egal ob in der Schule, im
Ausgang, über Whatsapp, völlig übermüdet irgendwo liegend, auf Reisen oder sogar im
Traum. Sehr spontan und ungewollt rutschen wir ins Thema hinein und oftmals entstehen so
die besten und hilfreichsten Ideen oder unser Unterbewusstsein wird nochmals zusätzlich zum
Verarbeiten und Nachdenken angeregt.
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Inspiration für unser Projekt finden wir vor allem in unserem Alltag und auch unsere
Cellostunden sowie Tanztrainings helfen uns immer wieder weiter mit neuen Inputs und
Ideen, sowie guten Tipps. Videos, Performances und eigene Erfahrungen bringen uns neue
Einfälle und führen zu entscheidenden Wendepunkten.
Zu zweit ein Projekt zu realisieren, bedeutet, zwei Meinungen und so auch
Auseinandersetzungen zu haben. Man muss sich absprechen, Kompromisse eingehen und sich
aufeinander verlassen können. Gleichzeitig entstehen so viele verschiedene, kreative Ideen,
gegenseitige Unterstützung und ein grosses Vertrauen.
Übermüdet liegen wir am Freitagnachmittag auf dem Sofa und machen ein Brainstorming zu
passenden Namen für unsere Aufführung. Die Begriffe werden immer „kreativer“, so dass wir
uns selbst auslachen, bis uns die Tränen kommen. Mit letzter Kraft wählen wir die drei besten
Begriffe aus, dann sind wir so kaputt, dass Aline behauptet, ihre schwarze Hose sei rot, und
unser Wochenende definitiv beginnen muss.
Betreuungsperson
Unsere Betreuungsperson Konrad Jenny lässt uns viele Freiheiten, was wir sehr geniessen. Ab
und zu vereinbaren wir ein Treffen, um ihn über unseren aktuellen Stand zu informieren und
gemeinsam das weitere Vorgehen zu planen. Von Anfang an haben wir das Gefühl, dass er an
unser Projekt glaubt, da er sich nicht gross in unser Schaffen einmischt.
„Sie liessen sich nicht reinschwatzen, ich musste ihnen einfach vertrauen.“
- Konrad Jenny
Etwas schwierig ist die Besprechung zu unserem ersten Entwurf des Motivationsschreibens.
Wir haben sehr verschiedene Vorstellungen davon, wie der Text aufgebaut sein sollte und
verstehen nicht, wie Konrad Jenny sich das vorstellt.
Nach der Abgabe der Rohfassung ist diese Sorge zu unserer Erleichterung behoben.
Als der Endspurt beginnt, ist Konrad Jenny bei den Proben in der Aula anwesend und
unterstützt uns mit hilfreichen Inputs.
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Auswertung
Anfangsidee vs. Endprodukt
Unsere anfänglichen Erwartungen haben wir definitiv übertroffen. Weniger Inhalt und eine
viel kürzere Performance hatten wir, damals im Sommer, für möglich gehalten. Auch die
vielen Improvisationsteile hatten wir beide aus Unsicherheit nicht in Betracht gezogen. Die
vielen komplizierten Loopgeräteffekte waren dagegen überflüssig. Aus verschwommenen
Vorstellungen und dem Druck, alles schon von Anfang an geplant und durchdacht zu haben,
ergab sich eine prozesshafte Entwicklung, wobei sich das Bild von „Terremoto“ erst in der
Woche der Aufführung durch das Bühnenbild mit Licht und Kostüm vervollständigte.
Wir konnten Überforderung, Verdrängung, Gleichgültigkeit und Hoffnung erfolgreich in ein
in sich geschlossenes Stück einbauen, ohne dass die Befürchtung eintraf, es werde zu
vollgestopft. Die Musikzusammenstellung aus eigener Komposition und Celloliteratur ergab,
trotz schwierigen Anfängen, ein interessantes Musikstück und der eigenständig
choreographierte Tanz verkörperte dieses treffend. Das Klebeband als Requisit und die
Kostüme vervollständigten die Aufführung und unterstrichen den Inhalt.
Durch das Ausfeilen des ganzen Konzeptes entstand ein Stück von unerwarteten
Dimensionen. Die Länge von dreissig Minuten forderte viel Ausdauer. Kürzen sollte man das
Kleben am Anfang und eventuell einzelne Teile des dritten Teils.
Im Laufe des Prozesses hat sich die Anfangsvision der ganzen Arbeit stark verändert. Unsere
Anfangsidee der Aufführung ist dagegen die Grundlage für das Endprodukt geblieben und
somit ist vom Anfang bis zum Ende des Prozesses nur der Rahmen um das ganze Stück
hinzugekommen, der Kern jedoch gleichgeblieben.
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Grösste Schwierigkeiten und Überwindungen
Ein spannendes Thema zu finden, war am schwierigsten.
Hatten wir unser Konzept erst einmal in der Hand, kam die schwierige Aufgabe, diese
Nachricht verständlich zu vermitteln und durch einen sinnvollen Aufbau zu verstärken und
abzurunden. Einen spannenden, einladenden Titel zu finden, war nochmals eine Hürde.
Für uns waren das Überschreiten von Gewohnheiten und das Ausprobieren und sofortige
Anwenden von neuen Techniken die grössten Überwindungen. Beide mussten diesen Schritt
wagen und dabei an sich selbst und die andere glauben, wobei jede mit voller Überzeugung
hinter dem Erarbeiteten stehen musste.
Die schriftliche Arbeit stand lange Zeit an zweiter Stelle. Erst nach der Aufführung konnten wir
das Projekt vollständig erfassen. Die grössten Schwierigkeiten waren, Wiederholungen zu
vermeiden und den Überblick über den Text zu behalten. Auch mussten wir das
Originaldokument immer hin und her senden.
Was wir anders gemacht hätten
In unserer Arbeitsweise wäre ein Verbesserungsvorschlag, die Zeiten noch besser einzuteilen
und vor allem in den Intensivwochen auch Auszeiten zu nehmen, wo wir uns getrennt ein
wenig den Kopf leeren können, um dann wieder frisch weiterzuarbeiten.
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Da hinter unserem Endprodukt ein riesiger Prozess steckt, wäre es für die Zuschauer
interessant gewesen, eine kleine Einführung über den Inhalt und unsere Reflektionen und
Ideen zum Stück zu hören. Dies hätte zu besserem Verständnis geführt, jedoch auch die
eigenständige Interpretation der Zuschauer eingeschränkt.
Was wir dazugelernt haben
Wir haben gelernt, dass die Dokumentation des Arbeitsprozesses sehr hilfreich ist, um immer
auf alle Informationen zurückgreifen zu können. Räume können nie früh genug reserviert
werden und man kann auch mit guter Planung nicht verhindern, dass ab und zu etwas
schiefgeht.
Unsere Arbeit gewann an Qualität als wir Leute ansprachen, die sich in einem bestimmten
Bereich auskennen. Die meisten waren gerne bereit, uns zu helfen und dabei entstanden ganz
neue Möglichkeiten und Ideen. Wir lernten, dass es besser ist, eine Absage zu bekommen, als
gar nicht gefragt zu haben und dass sich durch einen Kontakt oft viele weitere eröffnen. Auch
die Aufführung probten wir einige Male vor Publikum, was uns die Angst vor dem Auftritt
nahm und wichtige Rückmeldungen einbrachte.
Das Projekt verschaffte uns einen Blick in verschiedenste Bereiche: Wir arbeiteten mit Musik,
Tanz, Ton- und Lichttechnik, Effektgeräten und der Theaterbühne, sowie mit Film, Fotografie
und Design. Von Anfang bis Ende eine Performance zu planen und auf die Bühne zu bringen,
brachte uns ein Gefühl für die Arbeit, die in solchen Produktionen steckt und viele neue
Erfahrungen, die uns helfen werden, unseren eigenen Weg zu finden.
Inhaltlich kommt es gut an, lustige, auflockernde Elemente einzubauen. Wichtig sind auch
Pausen und längere Ruhemomente, die Raum für Überlegungen lassen und die Spannung des
Stückes steigern. Das wichtigste am Stück ist, dass es uns gefällt, berührt und beschäftigt.
Wenn dies der Fall ist, wird es beim Publikum etwas auslösen, auch wenn es nicht das gleiche
ist, das wir uns denken. Wenn etwas Neues und Unerwartetes gewagt wird, ist es für alle
Beteiligten interessant.
Wir wissen jetzt, wie wir Krisen überwinden können und werden beim nächsten Projekt von
Anfang an mehr an uns glauben und auf unsere Fähigkeiten vertrauen.
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Schlusswort
Am Ende unserer Maturitätsarbeit angelangt, können wir stolz auf unsere Leistung
zurückblicken. Wir haben zu zweit ein Stück kreiert, welches eine wichtige Aussage vermittelt
und alle Zuschauer, egal ob die Aussage verstanden wurde oder nicht, beeindruckt und
emotional berührt. Mit unserem Werk sind auch wir gewachsen und haben in verschiedensten
Bereichen hinzugelernt.
Es gibt immer Verbesserungsmöglichkeiten, doch wir sind insgesamt sehr zufrieden mit
unserer Arbeit und haben unsere Ziele erreicht.
Danksagung
Liebe
Betreuungsperson (Konrad Jenny),
Eltern und Freunde,
Cello- und Tanzlehrer (Albert Hartkamp, Sarah Weilenmann, Sarah Keusch, Eleonora Zweifel),
Helfer Technik (Leo Feldmann, Jan Heldmann, Hansjürg Perino, Damien Hauser, Christian
Fürholz, Andreas Zihler),
BäckerInnen und KöchInnen für den Apéro,
Zuschauer, die zu unserer Aufführung gekommen sind
Wir danken euch von ganzem Herzen für die grossartige Unterstützung bei
unserer Maturitätsarbeit!
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Anhang
Manuskript des Cellostückes1
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49
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Quellen
1: Musiknoten
Johann Sebastian Bach:
Suiten für Violoncello Solo: Suite I, Prélude in G-Dur und Suite III, Prélude in C-Dur, Verlag Breitkopf &
Härtel (1720-1723)
Astor Piazzolla:
Le Grand Tango in A-Moll, Bèrben Verlag, Edizioni musicali – Ancona, Italia (1982)
Camille Saint-Saens: Cellokonzert Nr. 1 in A-Moll, Op.33, G. Henle Verlag, Urtext (1872)
Joseph Haydn: Cellokonzert Nr. 1 in C-Dur, G. Henle Verlag, Urtext (1762 – 1765)
Edward Elgar: Cellokonzert in E-Moll, Op. 85, Bärenreiter Verlag, Urtext (1919)
Johannes Brahms: Cellosonate in E-Moll, Op. 38, G. Henle Verlag, Urtext (1862)
Musiktheorie
2: http://www.piazzolla.org/biography/biography-english.html (29.12.18)
3: http://www.mgnmusik.de/materialien/epochen.html (30.12.18)
4: https://www.kammermusikfuehrer.de/werke/360 (30.12.18)
5: https://www.br-klassik.de/themen/klassik-entdecken/starke-stuecke-bach-cello-suite-nr-6-d-
dur-100.html (30.12.18)
6: http://www.fundus.org/pdf.asp?ID=11653 (30.12.18)
Inspirationsvideos Adelina
7: https://www.youtube.com/watch?v=NKVNrrrNxU0 (01.01.19)
https://www.youtube.com/watch?v=a3inNyGNMXw (01.01.19)
https://www.youtube.com/watch?v=h54d8QOtZvQ (01.01.19)
https://www.youtube.com/watch?v=EqeL65GBX_8&frags=pl%2Cwn (01.01.19)
8: Inspirationsvideos Aline
https://www.youtube.com/watch?v=zMjPg1ts9Og (Zugriff: 01.01.19)
https://www.youtube.com/watch?v=qStBW4SCkdY (Zugriff: 01.01.19)
https://www.youtube.com/watch?v=8-HRcEfUH0s (Zugriff: 01.01.19)
51
https://www.youtube.com/watch?v=9EMAst0liKE (Zugriff: 01.01.19)
https://www.youtube.com/watch?v=2POsofDkCmQ (Zugriff: 01.01.19)
https://www.youtube.com/watch?v=rMsow2vuYDM (Zugriff: 01.01.19)
https://www.youtube.com/watch?v=um3Fd4onAlc (Zugriff: 01.01.19)
https://www.youtube.com/watch?v=1Q-4dOI7Blo (Zugriff: 01.01.19)
https://www.youtube.com/watch?v=49SNdWNHXR8 (Zugriff: 01.01.19)
https://www.youtube.com/watch?v=b9snGgsLBtE (Zugriff: 01.01.19)
https://www.youtube.com/watch?v=CcLWQpgE5Bs (Zugriff: 01.01.19)
https://www.youtube.com/watch?v=mBowksYVtRQ (Zugriff: 01.01.19)
https://www.youtube.com/watch?v=gFUXCanzOMo (Zugriff: 01.01.19)
https://www.youtube.com/watch?v=6lAKlYTQVKY (Zugriff: 01.01.19)
https://www.youtube.com/watch?v=ziv_SGoISvo (Zugriff: 01.01.19)
Tanzstile
9: http://www.emfit.ch/methoden/methode.las?m=1085 (Zugriff: 28.12.18)
10: https://mixmag.net/feature/a-brief-history-of-voguing (Zugriff: 28.12.18)
11: https://www.diggitmagazine.com/articles/voguing-definition-self-expression-within-lgbtq-
community (Zugriff: 28.12.18 )
12: http://www.standardhotels.com/culture/a-gif-guide-to-voguing--short-history (Zugriff:
28.12.18)
Musikstücke
https://www.youtube.com/watch?v=Wt97FxeGOg4 (Zugriff: 01.01.19)
https://www.youtube.com/watch?v=U-iHnbPb60Y (Zugriff: 01.01.19)
https://www.youtube.com/watch?v=r30D3SW4OVw (Zugriff: 01.01.19)
https://www.youtube.com/watch?v=me6HqPoKcBw (Zugriff: 01.01.19)
https://www.youtube.com/watch?v=oSuLp7Pxu-U&frags=pl%2Cwn (Zugriff: 02.01.19)
Galileo Galilei
13: https://www.welt.de/kultur/history/article12829542/Der-beruehmte-Satz-den-Galilei-nie-
sagte.html
14: https://www.stern.de/panorama/wissen/natur/astronomie-galileo-galilei----und-sie-bewegt-
sich-doch---3374970.html
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Fotos Leo Feldmann
Film Jan Heldmann
Alle Abbildungen stammen aus unserem Arbeitsjournal
Beigelegt auf einem USB-Stick
- Dokumentation der Aufführung in Form von drei Videoaufnahmen aus verschiedenen
Perspektiven (Totale, Nahaufnahme Aline, Nahaufnahme Adelina)
- Tonaufnahme der Aufführung
- PDF der schriftlichen Arbeit
- PDF des Flyers
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