Eine Studie von Georg Schell zu Kassenkrediten

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Der Kassenkredit – Vorbote der kommunalen Pleite unter spezieller Berücksichtigung des Rhein-Sieg-Kreises Am 18. Juni 2012 veröffentlichte der Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein- Westfalen (IT.NRW) als Statistisches Landesamt den Stand der Investitions- und der Kassen- kredite der Gemeinden und Gemeindeverbände in Nordrhein-Westfalen zum Jahresende 2011. Die Einleitung der Pressemitteilung lautet: „Die Verbindlichkeiten der Gemeinden und Gemeindeverbände für die Aufrechterhal- tung der Zahlungsfähigkeit der Kernhaushalte sind 2011 im Laufe des Jahres um 9,9 Prozent gestiegen und haben zum Jahresende mit 22,2 Milliarden Euro (1 245 Euro je Einwohner) einen neuen Höchststand erreicht. […] sind diese sog. Kassenkredite seit dem Jahr 2000 (damals: 2,5 Milliarden Euro) kontinuierlich angestiegen.“ Es wird im Folgenden kurz auf die Investitionskredite eingegangen und die Mitteilung endet mit einer Aufzählung von insgesamt 15 Gemeinden, Städten und Kreisverwaltungen, die zum Ende 2011 weder über Kassen- noch über Investitionskredite verfügten. Es hat den Anschein, dass diese Nachricht aufgrund der Eurokrise, bei der inzwischen bekannt- lich schon über 1 Billion (= 1.000 Milliarden = 1 Million Millionen) Euro gesprochen wird, nicht den Niederschlag in der Öffentlichkeit gefunden hat, der ihr eigentlich gebührt. Denn neben der erwähnten Pressemitteilung veröffentlichte IT.NRW auch den Stand der Kassen- und Inves- titionskredite jeder Stadt, Gemeinde und Kreisverwaltung in NRW von 2000, 2010 und 2011. Und diese zeichnen insbesondere aufgrund der stetig steigenden Kassenkredite ein sehr düsteres Bild der aktuellen und vor allem künftigen Entwicklung der kommunalen Finanzlage. I. Grundlagen Im Begriff „Kreis“ ist im Folgenden immer die Städteregion Aachen eingeschlossen. A. Kommunale Struktur Das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) mit seinen mehr als 17,8 Mio. Einwohnern ist verwal- tungstechnisch in fünf Regierungsbezirke (Arnsberg, Detmold, Düsseldorf, Köln und Münster) unterteilt, die sich wiederum in 31 Kreise und 22 kreisfreie Städte gliedern, wobei durch die Kreise insgesamt 374 Gemeinden und Städte zusammengefasst werden. In den kreisfreien Städten wohnten ca. 7,1 Mio. Menschen (von 110 Tsd. in Remscheid bis 1,01 Mio. in Köln) und in den kreisangehörigen Kommunen 10,7 Mio. Menschen (von 4 Tsd. in Dahlem bis 258 Tsd. in Aachen).

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Der Kassenkredit – Vorbote der kommunalen Pleite

unter spezieller Berücksichtigung des Rhein-Sieg-Kreises

Am 18. Juni 2012 veröffentlichte der Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein-

Westfalen (IT.NRW) als Statistisches Landesamt den Stand der Investitions- und der Kassen-

kredite der Gemeinden und Gemeindeverbände in Nordrhein-Westfalen zum Jahresende 2011.

Die Einleitung der Pressemitteilung lautet:

„Die Verbindlichkeiten der Gemeinden und Gemeindeverbände für die Aufrechterhal-

tung der Zahlungsfähigkeit der Kernhaushalte sind 2011 im Laufe des Jahres um

9,9 Prozent gestiegen und haben zum Jahresende mit 22,2 Milliarden Euro (1 245 Euro je

Einwohner) einen neuen Höchststand erreicht. […] sind diese sog. Kassenkredite seit dem

Jahr 2000 (damals: 2,5 Milliarden Euro) kontinuierlich angestiegen.“

Es wird im Folgenden kurz auf die Investitionskredite eingegangen und die Mitteilung endet

mit einer Aufzählung von insgesamt 15 Gemeinden, Städten und Kreisverwaltungen, die zum

Ende 2011 weder über Kassen- noch über Investitionskredite verfügten.

Es hat den Anschein, dass diese Nachricht aufgrund der Eurokrise, bei der inzwischen bekannt-

lich schon über 1 Billion (= 1.000 Milliarden = 1 Million Millionen) Euro gesprochen wird, nicht

den Niederschlag in der Öffentlichkeit gefunden hat, der ihr eigentlich gebührt. Denn neben

der erwähnten Pressemitteilung veröffentlichte IT.NRW auch den Stand der Kassen- und Inves-

titionskredite jeder Stadt, Gemeinde und Kreisverwaltung in NRW von 2000, 2010 und 2011.

Und diese zeichnen insbesondere aufgrund der stetig steigenden Kassenkredite ein sehr

düsteres Bild der aktuellen und vor allem künftigen Entwicklung der kommunalen Finanzlage.

I. Grundlagen

Im Begriff „Kreis“ ist im Folgenden immer die Städteregion Aachen eingeschlossen.

A. Kommunale Struktur Das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) mit seinen mehr als 17,8 Mio. Einwohnern ist verwal-

tungstechnisch in fünf Regierungsbezirke (Arnsberg, Detmold, Düsseldorf, Köln und Münster)

unterteilt, die sich wiederum in 31 Kreise und 22 kreisfreie Städte gliedern, wobei durch die

Kreise insgesamt 374 Gemeinden und Städte zusammengefasst werden.

In den kreisfreien Städten wohnten ca. 7,1 Mio. Menschen (von 110 Tsd. in Remscheid bis

1,01 Mio. in Köln) und in den kreisangehörigen Kommunen 10,7 Mio. Menschen (von 4 Tsd. in

Dahlem bis 258 Tsd. in Aachen).

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Für die folgenden Betrachtungen werden die Gemeinden und Städte in 3 Gruppen unterteilt:

Kleinkommunen hierbei werden die 186 Kommunen mit jeweils weniger als 20.000 Einwoh-

nern zusammengefasst, die insgesamt knapp 2,4 Mio. Bürger repräsentie-

ren

Mittelkommunen hierbei werden die 181 Kommunen mit jeweils ab 20.000 und weniger als

100.000 Einwohnern zusammengefasst, die insgesamt knapp 7,4 Mio.

Bürger repräsentieren

Großkommunen hierbei werden die 29 Kommunen mit jeweils 100.000 und mehr Einwoh-

nern zusammengefasst, die insgesamt etwas mehr als 8,1 Mio. Bürger

repräsentieren

B. Kreditformen

1. Grundsätzliches

Gemäß § 77 Abs. 3 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) dürfen

Gemeinden Kredite nur aufnehmen, wenn eine andere Finanzierung nicht möglich oder

wirtschaftlich unzweckmäßig wäre.

Ansonsten sind die zur Aufgabenerfüllung notwendigen Finanzmittel gemäß § 77 Abs. 2 GO

NRW - soweit vertretbar und geboten - aus speziellen Entgelten für die von der Gemeinde

erbrachten Leistungen oder durch Steuern zu beschaffen, soweit die sonstigen Finanzmittel

nicht ausreichen.

2. Investitionskredit

Gemäß § 86 Abs. 1 GO NRW dürfen Kredite nur für Investitionen und auch nur unter Voraus-

setzung von § 77 Abs. 3 (s. o.) aufgenommen werden. Darüber hinaus müssen die daraus

resultierenden Verpflichtungen (also primär die Zinsen und Tilgungen) mit der dauernden

Leistungsfähigkeit der Gemeinde in Einklang stehen. Und schließlich müssen laut § 86 Abs. 3

ggf. Restriktionen des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der

Wirtschaft berücksichtigt werden.

Sicherheiten für derartige Kreditaufnahmen dürfen laut § 86 Abs. 5 GO NRW seitens der

Gemeinde wenn überhaupt nur mit einer Ausnahmegenehmigung der Aufsichtsbehörde

bestellt werden.

Für die zahlreichen Kommunen in NRW, die sich im genehmigten Haushaltssicherungskonzept

(HSK) oder gar im Nothaushalt (nicht genehmigtes HSK) befinden, gelten für die Kreditauf-

nahme die Regularien der Leitlinie „Maßnahmen und Verfahren zur Haushaltssicherung“,

Kapitel 4.5 „Aufnahme von Krediten für Investitionen“. Hierin wird insbesondere festgelegt,

dass eine Neuverschuldung für Investitionen grundsätzlich unzulässig ist. Zudem ist der

Kreditaufnahmerahmen auf 2/3 der ordentlichen Tilgungen des Haushaltsjahres begrenzt und

die Investitionen, die mit diesen Krediten getätigt werden sollen, müssen durch die Aufsichts-

behörden einzeln genehmigt werden.

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Diese Kappung der Investitionsmöglichkeiten gemäß Leitfaden in Verbindung mit der hohen

Anzahl an Kommunen mit HSK oder Nothaushalt führt in der Folge zu dem festzustellenden

Rückgang der Gesamtsumme der Investitionskredite von Kommunen in NRW, worauf im

Folgenden noch eingegangen wird.

Da die Investitionen in der Regel langfristig sind – z. B. die Errichtung von Gebäuden – werden

auch die zugehörigen Investitionskredite langfristig abgeschlossen; in der Regel über 10 Jahre.

Aktuell liegen die Zinsen hierfür bei ca. 3% p.a. und damit über denjenigen bei kürzerer Lauf-

zeit. Dafür hat die aufnehmende Kommune aber während der Kreditlaufzeit Planungssicherheit

und ist vor allem währenddessen auch gegen Zinsausschläge nach oben gewappnet.

3. Kassenkredit

Die Definition für den im allgemeinen Sprachgebrauch „Kassenkredit“ genannten Kredit findet

sich in § 89 Abs. 2 Satz 1 GO NRW:

„Zur rechtzeitigen Leistung ihrer Auszahlungen kann die Gemeinde Kredite zur Liquidi-

tätssicherung bis zu dem in der Haushaltssatzung festgesetzten Höchstbetrag

aufnehmen, soweit dafür keine anderen Mittel zur Verfügung stehen.“

Diese Kreditform wird aufgrund der Landesvorgaben

„Für die Hälfte des Gesamtbestandes an Krediten zur Liquiditätssicherung darf die

Gemeinde Zinsvereinbarungen mit einer Laufzeit von bis zu zehn Jahren vorsehen. Für

ein weiteres Viertel am Gesamtbestand an Krediten zur Liquiditätssicherung dürfen

Zinsvereinbarungen mit einer Laufzeit von maximal fünf Jahren getroffen werden. Die

jeweiligen Anteile dürfen nicht wesentlich überschritten werden. Maßgeblich für die

Berechnung dieser Umschuldungsmöglichkeit ist der Bestand an Krediten zur Liquidi-

tätssicherung zum Ablauf des 31.12.2010.“

zu großen Teilen kurzfristig abgeschlossen und danach, da die Kommune in der Regel den

Kredit mindestens in dieser Höhe weiterhin benötigt, neu verhandelt.

Hierin liegt eine große Gefahr für die Gemeinden, da Veränderungen des allgemeinen Zins-

niveaus bei dieser Kreditform aufgrund der tendenziell kurzen Laufzeit sehr schnell haushalts-

wirksam werden. Derzeit ist für Kassenkredite ca. 1% p.a. an Zinsen zu zahlen. Steigt das Zins-

niveau z. B. auf 3% an, verdreifachen sich die derzeitigen Zinsaufwendungen für alle Kassen-

kredite, die den Gesamtbetrag vom 31.12.2010 überschreiten, sowie für die, die nicht mittel-

oder langfristig aufgenommen wurden – mindestens also ein Viertel des Restes – nach

spätestens einem Jahr; auf dieses latente Risiko wird im Folgenden noch eingegangen.

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C. Eigenkapital Das Eigenkapital (1. Posten der Passivseite der Bilanz) einer Gemeinde setzt sich nach der

Verordnung über das Haushaltswesen der Gemeinden im Land Nordrhein-Westfalen

(Gemeindehaushaltsverordnung NRW - GemHVO NRW) aus der Allgemeinen Rücklage,

Sonderrücklagen, Ausgleichsrücklage und Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag zusammen. Da

mit der Eröffnungsbilanz in NRW bei der Einführung des neuen kommunalen Finanzmanage-

ment (NKF) automatisch eine Allgemeine sowie in den meisten Fällen eine Ausgleichsrücklage

gebildet wurden und Überschüsse im kommunalen Bereich NRW seltene Ausnahmeerschei-

nungen sind, werden diese beiden Rücklagenarten als maßgebliche Bestandteile des Eigen-

kapitals kurz erläutert.

1. Allgemeine Rücklage

„Die allgemeine Rücklage als Bestandteil des Eigenkapitals dient den Zwecken der Haushalts-

wirtschaft. Ergibt sich ein positiver Saldo aus der Gegenüberstellung von Aktivposten und

Passivposten, erhöht dieser Saldo die bereits in der Bilanz ausgewiesene allgemeine Rücklage

in der Schlussbilanz. Ist der Saldo negativ, so handelt es sich hierbei um den nicht durch Eigen-

kapital gedeckten Fehlbetrag. Je nach Umfang der Inanspruchnahme der Allgemeinen Rücklage

wird die Pflicht der Gemeinde zur Aufstellung eines Haushaltssicherungskonzepts ausgelöst.“

(Bezirksregierung Arnsberg)

2. Ausgleichsrücklage

„Als besonderer Posten des Eigenkapitals darf gemäß § 75 Gemeindeordnung eine Ausgleichs-

rücklage bis zu einem Drittel des Eigenkapitals der Eröffnungsbilanz, höchstens jedoch bis zu

einem Drittel der Höhe der durchschnittlichen jährlichen Steuereinnahmen und allgemeinen

Zuweisungen der drei dem Eröffnungsbilanzstichtag vorangehenden Haushaltsjahre angesetzt

werden. Die Ausgleichsrücklage wird einmalig im Rahmen der Eröffnungsbilanzierung

ermittelt. Der hier ermittelte Wert stellt den Höchstbetrag der Ausgleichsrücklage dar.

Überschüsse aus der Ergebnisrechnung können die Ausgleichsrücklage bis zum gesetzlichen

Höchstbetrag verändern. Ist die Ausgleichsrücklage durch Defizite aufgebraucht, führen

weitere Defizite aus der Ergebnisrechnung zu einer Inanspruchnahme der allgemeinen Rück-

lage, was weitere haushaltsrechtliche Konsequenzen auslöst.“ (Bezirksregierung Arnsberg)

3. Anmerkung

Es ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Rücklage“ im Zusammenhang mit der Allgemeinen

und der Ausgleichsrücklage für den Laien trügerisch ist; erweckt er doch den Anschein, als

hätte die Kommune etwas „auf die hohe Kante gelegt“, um damit spätere Ausgaben zu tätigen

(gilt nicht für Sonderrücklagen, da dies dann tatsächlich zutreffen kann). Die Ausgleichsrück-

lage ist aber eine rein rechnerische Größe (siehe oben) und die Allgemeine Rücklage, die

grundsätzlich ebenfalls nur eine Rechengröße ist, könnte man mit dem (Teil-)Vermögen einer

Kommune vergleichen – Straßen, Bäume, Gebäude, Parkanlagen etc. Wird letztere reduziert,

hat man im Zusammenhang mit Krediten bzw. deren Zinsen in gewisser Form dieses Vermögen

belastet.

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D. Konnexität

1. Grundgesetz

Vom Grundsatz her ist die Konnexität im Grundgesetz geregelt, wenn den Ländern und damit

ggf. den Kommunen Ausgaben aufgrund von Bundesgesetzen aufgebürdet werden. Dort heißt

es in Artikel 104a (2):

„Handeln die Länder im Auftrage des Bundes, trägt der Bund die sich daraus ergebenden

Ausgaben.“

Weitere grundlegende Dinge bezüglich des Finanzwesens zwischen Bund und Ländern sind

ebenfalls in diesem Artikel des Grundgesetzes dargelegt.

2. Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen

In Artikel 78 (3) der Landesverfassung sind die finanziellen Zusammenhänge zwischen Land

und Kommunen grundsätzlich klar geregelt:

„Das Land kann die Gemeinden oder Gemeindeverbände durch Gesetz oder Rechts-

verordnung zur Übernahme und Durchführung bestimmter öffentlicher Aufgaben

verpflichten, wenn dabei gleichzeitig Bestimmungen über die Deckung der Kosten

getroffen werden. Führt die Übertragung neuer oder die Veränderung bestehender und

übertragbarer Aufgaben zu einer wesentlichen Belastung der davon betroffenen

Gemeinden oder Gemeindeverbände, ist dafür durch Gesetz oder Rechtsverordnung

aufgrund einer Kostenfolgeabschätzung ein entsprechender finanzieller Ausgleich für die

entstehenden notwendigen, durchschnittlichen Aufwendungen zu schaffen. Der

Aufwendungsersatz soll pauschaliert geleistet werden. Wird nachträglich eine wesent-

liche Abweichung von der Kostenfolgeabschätzung festgestellt, wird der finanzielle

Ausgleich für die Zukunft angepasst. […]“

3. Konnexitätsausführungsgesetz NRW

Das Gesetz zur Regelung eines Kostenfolgeabschätzungs- und eines Beteiligungsverfahrens

gemäß Artikel 78 Abs. 3 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen

(Konnexitätsausführungsgesetz - KonnexAG) regelt insbesondere im Ersten Teil (Grundlagen)

mit den Paragraphen 1 (Anwendung des Konnexitätsprinzips), 2 (Geltungsbereich des strikten

Konnexitätsprinzip), 3 (Kostenfolgeabschätzung) und 4 (Belastungsausgleich) den grundsätz-

lichen Ausgleich finanzieller Natur zwischen Land und Kommunen bei neuen oder veränderten

Gesetzen, sofern sich dadurch eine wesentliche Belastung der betroffenen Gemeinden und

Gemeindeverbände ergibt.

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E. exponentielles Wachstum Für die im Weiteren über die veröffentlichten Zahlen hinaus ermittelten Werte reichen in den

meisten Fällen die Grundrechenarten völlig aus. Für die Betrachtung des durchschnittlichen

jährlichen prozentualen Zuwachses in der Zeit von 2000 bis 2011 ist allerdings das Hinzu-

ziehen der Zinseszinsformel notwendig. Es ist darauf hinzuweisen, dass sich das durch sie

ebenfalls ermittelbare exponentielle Wachstum schon bei einem relativ kurzen Zeitraum von

11 Jahren deutlich bemerkbar machen kann. So werden beispielsweise aus einem jährlichen

Zuwachs der Kassenkredite von nur 2% nach 11 Jahren 24,3%, aus 5% p.a. werden danach

71,0% und aus 10% p.a. werden 185,3%.

II. kurzfristige Entwicklung der kommunalen Kredite (2010 ŁŁŁŁ 2011)

A. NRW Gesamt Am 31.12.2011 betrugen die Verbindlichkeiten aus Investitionskrediten aller Kommunen in

NRW inkl. denen der Kreisverwaltungen 22,667 Mrd. Euro und lagen damit um 0,385 Mrd. Euro

bzw. 1,7% unter denen Ende 2010.

Zum gleichen Zeitpunkt betrugen die Kassenkredite 22,203 Mrd. Euro, was einem Zuwachs um

9,9% bzw. 1,998 Mrd. Euro entspricht. Die Kassenkredite haben Ende 2011 somit fast die Höhe

der Investitionskredite erreicht.

Die Gesamtverbindlichkeiten aus diesen Krediten betrugen somit 44,870 Mrd. Euro und lagen

damit um 3,7% bzw. 1,613 Mrd. über dem Vorjahreswert. Der Zuwachs bei den Kassenkrediten

betrug dabei mehr als das Fünffache des Rückgangs bei den Investitionskrediten. Pro Einwoh-

ner ergibt sich rechnerisch eine Verschuldung von 2.516 Euro, die sich mit 1.271 Euro auf die

Investitions- und mit 1.245 Euro auf die Kassenkredite verteilt.

B. nach Kommunengröße

1. Kleinkommunen

Die 186 Kleinkommunen mit unter 20.000 Einwohnern waren Ende 2011 mit 1,647 Mrd. Euro

im Bereich der Investitionskredite verschuldet. Dies entsprach einem Rückgang um 0,039 Mrd.

Euro bzw. 2,3%. Pro Einwohner beliefen sich die Investitionsschulden (Kommunen inkl. Kreis-

verwaltungsverschuldung) auf 822 Euro, was 35,3% unter dem Landesschnitt liegt. 11 dieser

Kommunen, also knapp 6%, hatten zu diesem Zeitpunkt keine Investitionskredite bilanziert;

dies war sogar eine mehr – Rommerskirchen im Rhein-Kreis Neuss hat 2011 seine Kredit-

verpflichtungen aus Investitionen endgültig getilgt – als noch 2010.

Zum gleichen Zeitpunkt beliefen sich die Kassenkredite der Kleinkommunen auf 0,825 Mrd.

Euro, was einem Zuwachs um 0,098 Mrd. Euro bzw. 13,4% entsprach. Pro Einwohner machte

dies inkl. der Kreisverwaltungsverschuldung 372 Euro aus, was fast 70% unter dem Landes-

schnitt liegt. Waren es Ende 2010 noch 92 Kleinkommunen, die ohne Kassenkredite

ausgekommen waren, waren es Ende 2011 nur noch 81 – hierdurch stieg der Anteil der

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betrachteten Kommunen, die zum Jahresende Kassenkredite in Anspruch genommen hatten,

von 50,5% auf 56,5% an.

Saldiert lag die Verschuldung bei 2,473 Mrd. Euro und damit 0,059 Mrd. Euro bzw. 2,4% über

dem Vorjahr, was 1.048 Euro pro Einwohner ergibt; 1.194 Euro, wenn man die Verschuldung

der Kreisverwaltungen hinzuzieht. Wie 2010 waren auch 2011 10 kleine Kommunen ohne

jeglichen Kredit ausgekommen.

2. Mittelkommunen

Die 181 Mittelkommunen mit mehr als 20.000 und weniger als 100.000 Einwohnern waren

Ende 2011 mit 7,505 Mrd. Euro im Bereich der Investitionskredite verschuldet. Dies entsprach

einem Rückgang um 0,108 Mrd. Euro bzw. 1,4%. Pro Einwohner beliefen sich die Investitions-

schulden (Kommunen inkl. Kreisverwaltungsverschuldung) auf 1.142 Euro, was gut 10% unter

dem Landesschnitt liegt. 5 dieser Kommunen (Dormagen, Erftstadt, Langenfeld, Schmallenberg

und Verl), also knapp 3%, hatten zum Stichtag keine Investitionskredite bilanziert; dies waren

die gleichen fünf wie 2010.

Zum gleichen Zeitpunkt beliefen sich die Kassenschulden der Mittelkommunen auf 4,756 Mrd.

Euro, was einem Zuwachs um 0,494 Mrd. Euro bzw. 11,6% entsprach. Pro Einwohner machte

dies inkl. der Kreisverwaltungsverschuldung 667 Euro aus, was fast 46,4% unter dem Landes-

schnitt liegt. Die Anzahl der Mittelkommunen, die Ende 2011 ohne Kassenkredit dastand, blieb

mit 54 zum Vorjahr unverändert. Es waren allerdings nicht die 54 gleichen Kommunen, da

einige bei den Kassenkrediten eine Entschuldung geschafft hatten, während andere 2011

erstmalig zum Jahresende solche Kredite bilanzieren mussten.

Saldiert lag die Verschuldung bei 12,261 Mrd. Euro und damit 0,386 Mrd. Euro bzw. 3,2% über

dem Vorjahr, was 1.663 Euro pro Einwohner ergibt; 1.809 Euro, wenn man die Verschuldung

der Kreisverwaltungen hinzuzieht. Wie 2010 waren auch 2011 2 mittlere Kommunen ohne

jeglichen Kredit ausgekommen – also nur geringfügig mehr als ein Prozent.

3. Großkommunen

Die 29 Kommunen ab 100.000 Einwohnern waren Ende 2011 mit 11,350 Mrd. Euro im Bereich

der Investitionskredite verschuldet. Dies entsprach einem Rückgang um 0,234 Mrd. Euro bzw.

2,0%. Pro Einwohner beliefen sich ihre Investitionsschulden auf 1.401 Euro. Wie schon im

Vorjahr gab es keine Stadt in dieser Klasse, die ohne Investitionskredite ausgekommen wäre.

Zum gleichen Zeitpunkt beliefen sich die Kassenschulden der Großkommunen auf 16,199 Mrd.

Euro, was einem Zuwachs um 1,294 Mrd. Euro bzw. 8,7% entsprach. Pro Einwohner machte

dies 1.999 Euro aus. Ende 2011 bilanzierte mit Düsseldorf auch die letzte kreisfreie Stadt

Kassenkredite. Im Rahmen der Großkommunen gab es allerdings mit Paderborn eine Stadt, die

auch 2011 weiterhin am Ende des Jahres frei von Kassenkrediten war. Bemerkenswert ist, dass

die Summe der Kassenkredite in dieser Kommunenklasse inzwischen 46% über den Investi-

tionskrediten liegen.

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Saldiert lag die Verschuldung bei 27,549 Mrd. Euro und damit 1,060 Mrd. Euro bzw. 4,0% über

dem Vorjahr, was 3.400 Euro pro Einwohner ergibt. Alle 29 Kommunen hatten sowohl Investi-

tions- als auch Kassenkredite zu bilanzieren. (siehe Grafik 2)

C. Kreise in NRW Ende 2011 hatten alle Kreisverwaltungen bis auf die des Rheinisch-Bergischen Kreises und des

Rhein-Erft-Kreises Investitionskredite bilanziert und die von Mettmann mit 1,64 Euro je

Einwohner bzw. Euskirchen mit 2,81 Euro je Einwohner lagen äußerst niedrig. Zudem hatten 10

der 31 Kreisverwaltungen Liquiditätskredite in einer Größenordnung von 12,18 bis 132,58 Euro

je Einwohner; die übrigen kamen ohne diese Kreditform aus.

Bei der Betrachtung der Kreisverwaltungen darf allerdings nicht unberücksichtigt bleiben, dass

sie einen Großteil ihrer Aufwendungen mittels der Kreisumlage auf die ihnen zugehörigen

Kommunen umlegen. Diese sind von Kreis zu Kreis sehr unterschiedlich – so liegen z. B. die

aktuellen Umlagesätze im Regierungsbezirk Köln zwischen 36,90% im Rhein-Sieg-Kreis und

48,18% im Kreis Düren. Da die Kreise jeweils eine Gemeinschaft der in ihnen zusammengefass-

ten Kommunen sind, ist es letztendlich fast unerheblich, ob Schulden bei einer Kreisverwaltung

anfallen oder ob diese sie mittels Umlage auf die Kommunen umlegt. Die Höhe der Kreis-

umlage kann von Fall zu Fall aber entscheidend sein, ob eine Kommune ins HSK oder gar in den

Nothaushalt muss oder nicht.

Bei den Krediten je Einwohner gab es für die saldierten Beträge der Kommunen eines Kreises

inkl. der jeweiligen Kreisverwaltungen erhebliche Unterschiede. Bei den Investitionskrediten

waren der Rhein-Sieg-Kreis mit 1.801 Euro, der Oberbergische Kreis mit 1.670 Euro und der

Kreis Wesel mit 1.605 Euro Spitzenreiter, während die Kreise Gütersloh mit 608 Euro, Höxter

mit 496 Euro und Kleve mit 395 Euro das untere Ende darstellten. Bei den Kassenkrediten

belegten der Kreis Recklinghausen mit 2.416 Euro, der Ennepe-Ruhr-Kreis mit 1.734 und der

Kreis Düren mit 1.182 Euro die Höchstwerte, während die Kreise Borken mit 34 Euro,

Paderborn mit 34 Euro und Gütersloh mit 20 Euro um unteren Ende der Beträge lagen.

Während in nur 5 Kreisen die Investitionskredite im Vergleich zum Vorjahr anstiegen, traf dies

bei den Kassenkrediten auf 27 Kreise zu. Spitzenreiter dabei waren die Kreise Paderborn mit

117,0%, Heinsberg mit 124,3% und Höxter mit 124,4% - alle drei allerdings auf einem

niedrigen absoluten Niveau.

Im Vergleich zum Vorjahr ist auffällig, dass die Kommunen im Kreis Olpe die gesamten Kredite

um 13,9% senken konnten, die des Kreises Gütersloh ebenfalls immerhin um 6,2%. Es gab

weitere 10 Kreise, bei denen die Kredite insgesamt rückläufig waren. Andererseits stieg in den

übrigen 19 Kreisen das Kreditvolumen bis hin zu 5,9% im Kreis Recklinghausen, 8,7% im Rhein-

Sieg-Kreis und 10,6% im Kreis Herford. Dabei ist anzumerken, dass die Kreise, bei denen die

Kredite sanken, zumeist ohnehin schon im Vorjahr niedrigere Pro-Kopf-Kredite aufzuweisen

hatten, während bei den Kreisen mit einer Steigerung die große Mehrzahl auch vorher schon

eine höhere Verschuldung hatte.

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Betrachtet man beide Kreditformen gemeinsam, ist auffällig, dass die Pro-Kopf-Verschuldung

im Kreis Recklinghausen mit 3.971 Euro 42% über der zweithöchsten im Oberbergischen Kreis

mit 2.795 Euro lag. Am besten schnitt dabei der Kreis Kleve mit 480 Euro ab. (siehe Grafik 22)

Bei all diesen Betrachtungen darf nicht vergessen werden, dass die zum Teil erheblichen

Unterschiede bei den Kredithöhen in den Kreisen z. B. aus räumlichen (eher ländliche oder

städtische Struktur) oder sozialen (z. B. hohe Quote an Hartz-IV-Empfängern) Aspekten

herrühren können und keineswegs zwingend eine Aussage über ein schlechtes Wirtschaften in

den Kommunen darstellen.

1. Rhein-Sieg-Kreis

Bei den Investitionskrediten je Einwohner ist auffällig, dass die Kreisstadt Siegburg mit

4.784 Euro 125% über der am zweithöchsten verschuldeten Kommune Rheinbach mit

2.123 Euro liegt – auf dem dritten Platz liegt Sankt Augustin mit 1.856 Euro. Die Siegburger

Kredite betragen je Einwohner sogar das 11,5fache des „Schlusslichts“ Swisttal mit 416 Euro.

(siehe Grafik 25)

Bei den Kassenkrediten bilden ebenfalls Siegburg mit 1.963 Euro und Rheinbach mit 1.595 Euro

die Spitze, gefolgt von Ruppichteroth (1.220 Euro). Allerdings sind die Differenzen bei den

höher verschuldeten Kommunen nicht so eklatant. Bemerkenswert ist allerdings, dass

Niederkassel zum 31.12.2011 keinerlei Kassenkredite bilanziert hatte und damit sogar noch

besser lag als Swisttal mit 37 bzw. Eitorf mit 60 Euro je Einwohner. (siehe Grafik 27)

Insgesamt ergeben die Investitions- und Kassenkredite Summen je Einwohner von 6.747 Euro

für Siegburg, 3.719 Euro für Rheinbach und 2.674 Euro für Hennef an der Spitze und 857 Euro

für Alfter, 753 Euro für Eitorf und 453 Euro für Swisttal am Ende. (siehe Grafik 29)

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III. mittelfristige Entwicklung der kommunalen Kredite (2000 ŁŁŁŁ 2011)

A. NRW Gesamt Zwischen 31.12.2000 und 31.12.2011 sind die Investitionskredite in NRW um 2,679 Mrd. Euro

zurückgegangen. Dies entspricht einem Rückgang um 10,6% bzw. einem jährlichen Rückgang

um 0,9%. Der Verbraucherpreisgesamtindex [Basis 2005 = 100] zu beiden Zeitpunkten betrug

93,8 bzw. 111,9 (Statistisches Bundesamt, 2012), was einer jährlichen Steigerung in diesem

Zeitraum von 1,6% entspricht. Beides zusammen bedeutet, dass die inflationsbereinigte Wert-

haltigkeit der Investitionskredite von 2000 bis 2011 um 25,0% zurückgegangen ist, was jährlich

2,6% entspricht. Dies hat zwar einerseits für die Kommunen den Vorteil, dass ihre Investitions-

kredite real um ein Viertel gesunken sind, bedeutet aber andererseits für die Handwerker und

Baufirmen in den jeweiligen Regionen, dass sie weniger Aufträge von den Kommunen

bekommen haben.

Im gleichen Zeitraum stiegen die Kassenkredite von 2,465 Mrd. Euro um etwas mehr als

800% (!) auf 22,203 Mrd. Euro. Dies entspricht einer jährlichen Steigerung in Höhe von 22,1%

bzw. einem jährlichen Zuwachs um 1,794 Mrd. Euro. Zwar liegt die Steigerung von 2010 auf

2011 mit 9,9% unter dem mittelfristigen Schnitt; dies ist aber auf die niedrige Ausgangsbasis

des Jahres 2000 zurückzuführen, da die absolute Steigerung mit 1,998 Mrd. um 0,204 Mrd.

Euro bzw. 11,4% über dem Schnitt der letzten 11 Jahre lag.

Neben den reinen Beträgen wird die erhebliche Verschlechterung bei den Kassenkrediten

durch folgenden Umstand deutlich: Ende 2000 waren von den 396 NRW-Kommunen noch 308

(77,8%) in diesem Kreditbereich schuldenfrei und von den 88 verschuldeten hatten 86 eine

Verschuldung von unter 1.000 Euro pro Einwohner; die restlichen 2 Kommunen Remscheid und

Oberhausen lagen mit 1.069 bzw. 1.358 Euro je Einwohner nicht wesentlich über 1.000 Euro.

Im Jahr 2011 waren nur noch 136 (34,3%) der Kommunen schuldenfrei – also weit weniger als

die Hälfte des Wertes von 2000 (siehe Grafik 15). Auch die Spitzenwerte haben sich drastisch

erhöht – Wuppertal (4.214 Euro), Remscheid (4.998 Euro), Hagen (5.618 Euro) und Oberhausen

(6.870 Euro) liegen zum Teil sogar drastisch über 4.000 Euro Kassenkredit je Einwohner, wobei

Oberhausen nicht nur die bedauerliche Spitzenposition gehalten hat, sondern den Pro-Kopf-

Wert in den 11 Jahren mehr als verfünffacht hat.

Dass vor allem einwohnerstarke Kommunen verhältnismäßig hohe Kassenkredite pro Kopf

haben, hat sich nicht geändert und zeigt sich daran, dass 2000 60,9% aller Einwohner in

Kommunen ohne Kassenkredite lebten, während es 2011 sogar nur noch 18,3% waren (siehe

Grafik 16). Diese Prozentwerte liegen jeweils um ca. 16 bis 17% unter denen der Anteile der

Kommunen.

Betrachtet man unter Zuhilfenahme der Zahlen aus der Finanzplanung 2011 bis 2015 des

Landes NRW (Drucksache 16/301) die Entwicklung über die Jahre, muss festgestellt werden,

dass in jedem der Jahre 2001 bis 2011 die Kassenkredite um mindestens 1 Mrd. Euro (2001 und

2008) bis zu 3,0 Mrd. Euro (2010) zugenommen haben – im Schnitt jährlich um 1,8 Mrd. Euro.

Ein grober Vergleich mit dem Wachstum des nationalen Bruttoinlandproduktes (BIP)

(Statistisches Bundesamt, 2012) lässt die Vermutung zu, dass eine gewisse zeitlich verzögerte

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Abhängigkeit zwischen der Neuaufnahme von Kassenkrediten und der Entwicklung des BIP

besteht, da häufig im Jahr nach einem hohen BIP-Zuwachs verhältnismäßig wenig zusätzliche

Kassenkredite aufgenommen wurden, während nach schlechten BIP-Jahren die Kassenkredite

oft stiegen. Festzuhalten bleibt allerdings, dass selbst nach Jahren mit einem BIP-Zuwachs von

4% und mehr trotzdem zusätzliche Kassenkredite in Milliardenhöhe von den NRW-Kommunen

aufgenommen werden mussten – ein Sinken der Gesamtkassenkreditsumme der Kommunen

hat es in diesem Jahrhundert bis jetzt noch nie gegeben. (siehe Grafik 1)

B. nach Kommunengröße

1. Kleinkommunen

Von 186 Kleinkommunen mit unter 20.000 Einwohnern waren 182 Ende 2000 mit 1,613 Mrd.

Euro im Bereich der Investitionskredite verschuldet. Dies ist mit einer Differenz von 0,034 Mrd.

Euro nur sehr geringfügig weniger als 11 Jahre später. Waren 2000 nur 4 Kommunen in diesem

Bereich schuldenfrei, waren es 2011 sogar 11.

Ende 2000 waren nur 18 dieser Kommunen mit insgesamt 0,043 Mrd. Euro mittels Kassen-

krediten verschuldet. 2011 traf dies zu auf 105 Kommunen mit insgesamt 0,825 Mrd. Euro, was

einer Betragssteigerung um fast das 18fache bzw. einer jährlichen Steigerung von 30,6%

entspricht. Lag der Maximalbetrag der Pro-Kopf-Verschuldung der Kassenkredite bei einer

Kommune 2000 noch bei 499 Euro (Nümbrecht), so lag er 2011 schon bei 2.747 Euro

(Heimbach).

Der Anteil der Kassenkredite an den Gesamtkrediten für diese Kommunenklasse erhöhte sich

von 2,6% Ende 2000 auf 33,4% Ende 2011. Obwohl die Investitionskredite nur leicht stiegen,

erklärt sich dadurch die insgesamt starke Steigerung der Gesamtkredite in diesem Zeitraum

um 49,2% bzw. um jährlich 3,7%.

2. Mittelkommunen

Die 181 Mittelkommunen mit mehr als 20.000 und weniger als 100.000 Einwohnern waren

Ende 2000 mit 7,302 Mrd. Euro im Bereich der Investitionskredite verschuldet. Dies waren

noch 0,203 Mrd. Euro und damit 2,7% weniger als später im Jahr 2011. Die Stadt Goch hatte als

einzige der betrachteten Kommunen damals keinerlei Investitionskredite bilanziert und

Erftstadt (0,75 Euro), Delbrück (5,28 Euro), Senden (7,02 Euro) und Verl (7,52 Euro) hatten eine

äußerst niedrige Verschuldung je Einwohner. Mit Rheinbach (2.075 Euro), Hennef (2.091 Euro),

Velbert (2.109 Euro), Stolberg (2.301 Euro) und Euskirchen (2.582 Euro) bildeten 5 Kommunen

mit über 2.000 Euro Pro-Kopf-Verschuldung die Spitze in diesem Bereich. Die heutige Spitze in

dieser Klasse hält mit weitem Vorsprung Siegburg (4.784 Euro) vor Bünde (2.513 Euro) und

Jülich (2.395 Euro).

Ende 2000 waren nur 50 dieser Kommunen mit insgesamt 0,526 Mrd. Euro mittels Kassen-

krediten verschuldet. 2011 traf dies zu auf 127 Kommunen mit insgesamt 4,756 Mrd. Euro, was

einer Betragssteigerung um mehr als das 8fache bzw. einer jährlichen Steigerung von 22,2%

entspricht. Lag der Maximalbetrag der Pro-Kopf-Verschuldung der Kassenkredite bei einer

Kommune 2000 noch bei 763 Euro (Witten), so lag er 2011 schon bei 3.275 Euro (Waltrop).

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Der Anteil der Kassenkredite an den Gesamtkrediten für diese Kommunenklasse erhöhte sich

von 6,7% Ende 2000 auf 38,8% Ende 2011. Obwohl die Investitionskredite nur leicht stiegen,

erklärt sich dadurch die insgesamt starke Steigerung der Gesamtkredite in diesem Zeitraum

um 56,6% bzw. um jährlich 4,2%.

3. Großkommunen

Die 29 Kommunen ab 100.000 Einwohnern waren Ende 2000 mit 14,049 Mrd. Euro im Bereich

der Investitionskredite verschuldet. Bis zum Jahr 2011 sank dieser Betrag um 2,699 Mrd. Euro

und damit um insgesamt 19,2% bzw. 1,9% pro Jahr. Alle Städte hatten Investitionskredite

bilanziert, wobei die Bandbreite der Pro-Kopf-Verschuldung von 46 Euro in Solingen und

126 Euro in Wuppertal bis 2.559 Euro in Düsseldorf, 2.569 Euro in Köln und 2.879 Euro in Bonn

ging. 2011 lagen die unteren Werte mit 159 Euro in Bielefeld und 162 Euro in Düsseldorf, die

oberen mit 2.474 Euro in Bochum, 2.563 Euro in Münster und 3.246 Euro in Moers. Den

stärksten prozentualen Rückgang bei den Investitionskrediten in den 11 Jahren wiesen

Düsseldorf mit -93,4% (von 1,455 Mrd. Euro auf 0,096 Mrd. Euro) und Bielefeld mit -93,1%

(von 0,752 Mrd. Euro auf 0,052 Mrd. Euro) auf.

Ende 2000 hatten 9 Großkommunen keine Kassenkredite bilanziert – Aachen, Dortmund,

Düsseldorf, Essen, Köln, Leverkusen, Münster, Paderborn und Recklinghausen. Remscheid mit

1.069 Euro und Oberhausen mit 1.357 Euro waren die beiden einzigen Städte, deren Pro-Kopf-

Verschuldung bei den Kassenkrediten über 1.000 Euro lag. Insgesamt beliefen sich die Kassen-

kredite aller Kommunen dieser Klasse auf 1.860 Mrd. Euro. 11 Jahre später war der Gesamt-

betrag auf das 8,7fache (16,199 Mrd. Euro) gestiegen, was einer jährlichen Steigerung um

1,304 Mrd. Euro bzw. 21,7% entspricht. Und waren es 2000 nur zwei Städte mit einer Pro-Kopf-

Verschuldung über 1.000 Euro, waren es 2011 schon 21, für die dies zutraf – zum Teil mit z. B.

Remscheidt (4.998 Euro), Hagen (5.618 Euro) und Oberhausen (6.870 Euro) auch erheblich

darüber.

Der Anteil der Kassenkredite an den Gesamtkrediten für diese Kommunenklasse erhöhte sich

von 11,7% Ende 2000 auf 58,8% Ende 2011 und lag damit deutlich über dem der Investitions-

kredite. Obwohl letztere im Zeitverlauf erheblich gesunken sind, erklärt sich dadurch die

insgesamt starke Steigerung der Gesamtkredite in diesem Zeitraum um 73,2% bzw. um jährlich

5,1%.

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C. Kreise in NRW Ende 2000 hatten alle Kreisverwaltungen Investitionskredite in ihren Bilanzen aufgeführt,

wobei die Verwaltungen der Kreise Euskirchen mit 35 Euro, Borken mit 57 Euro und Reckling-

hausen mit 58 Euro am niedrigsten und die des Kreises Gütersloh mit 238 Euro, des Rhein-

Kreises Neuss mit 294 Euro und die des Kreises Olpe mit 346 Euro je Einwohner am höchsten

lagen. Kassenkredite führten mit den Verwaltungen der Kreise Minden Lübbecke (98 Euro je

Einwohner) und Lippe (8 Euro je Einwohner) nur zwei der 31 Kreisverwaltungen in ihrer Bilanz

auf. Die Gesamtsumme der Investitionskredite der Kreisverwaltungen veränderte sich von

2000 (1,347 Mrd. Euro) bis 2011 (1,328 Mrd. Euro) nur äußerst geringfügig.

Bei den Kassenkrediten sah dies mit 0,035 Mrd. Euro im Jahr 2000 und 0,236 Mrd. Euro und

einer damit verbundenen jährlichen Steigerung um 19,1% bedeutend schlechter aus. Dadurch

ergibt sich eine Steigerung des Anteils der Kassenkredite an den Gesamtkrediten von 2,5% in

2000 auf 15,1% in 2011 sowie ein Steigerung der Gesamtkredite in den 11 Jahren um 13,2%.

Bei der Entwicklung der saldierten Kredite der Kommunen eines Kreises inkl. der jeweiligen

Kreisverwaltung gibt es erhebliche Unterschiede. Am besten schneidet der Kreis Höxter mit

einer jährlichen Kreditreduzierung um 5,3% ab, gefolgt von den Kreisen Olpe mit 2,4% und

Gütersloh mit 0,9%. Die höchsten Kreditzuwächse pro Jahr hatten die Kreise Herford mit 8,5%

und Recklinghausen mit 8,7%; Spitzenreiter war die Städteregion Aachen mit 11,2% p.a., was

eine Steigerung in den 11 Jahren von insgesamt 222,6% bedeutet. (siehe Grafik 23)

Besonders negativ wirkten sich bei der prozentualen Entwicklung über die Jahre die Kassen-

kredite im Ennepe-Ruhr-Kreis aus, bei dem die Investitionskredite um 0,4% p.a. sanken, die

Gesamtkredite aber um 6,4% p.a. stiegen (6,8 Punkte Differenz), im Kreis Düren, wo die Inves-

titionskredite um 2,8% sanken, die Gesamtkredite aber um 4,4% p.a. stiegen (7,2 Punkte

Differenz), und vor allem im Kreis Recklinghausen, wo die Investitionskredite um 1,4% p.a.

stiegen, die Gesamtkredite aber um 8,7% p.a. (7,3 Punkte Differenz).

Auch die Feststellung, dass die Investitionskredite in der Zeit von 2000 bis 2011 in 17 Kreisen,

also in mehr als der Hälfte aller Kreise, sanken, während die Gesamtkredite nur in 6 Kreisen

sanken, zeigt die negative Auswirkung der Kassenkredite auf die Gesamtverschuldung.

Auf die Anmerkungen zu den Krediten der Kreisverwaltungen und den Gesamtsummen der

Kreiskommunen unter II.C wird verwiesen.

1. Rhein-Sieg-Kreis

Schon Ende 2000 bilanzierten alle Kommunen des Kreises Investitionskredite, die damals je

Einwohner von 385 Euro in Swisttal, 522 Euro in Windeck und 651 Euro in Neunkirchen-

Seelscheid am unteren Ende bis zu 1.890 Euro in Lohmar, 2.075 Euro in Rheinbach und

2.091 Euro in Hennef am oberen Ende reichten. Kassenkredite hatten mit Hennef (7 Euro pro

Kopf), Wachtberg (18 Euro), Bornheim (30 Euro), Ruppichteroth (133 Euro) und Windeck

(134 Euro) nur 5 der 19 Kommunen und das auf sehr niedrigem Niveau.

11 Jahre später hatte nur Niederkassel weiterhin keine Kassenkredite zum Jahresende in den

Büchern. Im gleichen Zeitraum hatte mit 9 Kommunen knapp die Hälfte ihre Investitions-

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kredite reduziert – am stärksten Alfter um 34,0%, Meckenheim um 36,2% und vor allem

Wachtberg um 47,9%. Bei den 10 Kommunen, bei denen diese Kreditart bis 2011 einen größe-

ren Umfang angenommen hatte, lagen Bornheim mit einem Zuwachs um 50,4%, Windeck mit

61,2% und insbesondere Siegburg mit 336,2% (von 43,6 Mio. Euro auf 190,3 Mio. Euro) an der

Spitze.

Berücksichtigt man beide Kreditarten zusammen, konnten nur Eitorf (-13,4%) und Mecken-

heim (-19,5%) ihre saldierte Kreditsumme zwischen 2000 und 2011 reduzieren. Im anderen

Extrem stiegen in der gleichen Zeit die Gesamtkredite in Neunkirchen-Seelscheid um 180,4%,

in Windeck um 194,7% und in der Kreisstadt Siegburg um 515,3% (224,8 Mio. Euro, das

entspricht einer jährlichen Steigerung um 18,0% - zum exponentiellen Wachstum siehe auch

I.E– an (siehe Grafik 30).

Im gesamten Rhein-Sieg-Kreis stiegen die Kredite insgesamt um 84,1% (5,4% p.a.) bzw.

648,6 Mio. Euro an. Siegburg mit seinem Bevölkerungsanteil am Kreis von nur 6,6% steuerte

34,7 Prozentpunkte zu dieser Steigerung bei; ohne Siegburg läge die Steigerung nur bei

423,9 Mio. Euro bzw. 58,2% (4,3% p.a.)

IV. Prognose

A. kurzfristige Entwicklung Am Ende 2012 wird die Gesamtsumme aller kommunalen Kassenkredite in NRW mit an Sicher-

heit grenzender Wahrscheinlichkeit erstmalig in der Landesgeschichte die der Investitions-

kredite übersteigen – was bei den Großkommunen schon seit mehreren Jahren der Fall ist.

Steigen die Kassenkredite um den Mittelwert der letzten 10 Jahre in Höhe von 1,8 Mrd. Euro,

werden sie 24,0 Mrd. Euro betragen. Selbst, wenn die Investitionskredite unverändert zu 2011

blieben, würden sie mit 22,7 Mrd. Euro dann schon 1,3 Mrd. Euro unter den Kassenkrediten

liegen. Die Investitionskredite werden aber voraussichtlich um ca. 1,5%, also ca. 0,34 Mrd. Euro

sinken, so dass sie dann sogar 1,6 Mrd. Euro unter den Kassenkrediten liegen werden.

Die Gesamtverschuldung der NRW-Kommunen wird in diesem Jahr somit um mehr als 2,1 Mrd.

Euro auf dann ca. 47 Mrd. Euro anwachsen. Je Einwohner – vom Neugeborenen bis zum Greis –

sind das mehr als 2.600 Euro und eine vierköpfige Familie ist neben ihren eventuell vorhande-

nen direkten Verbindlichkeiten rechnerisch durch die Kommunen mit weiteren gut 10.000 Euro

verschuldet.

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B. mittelfristige Entwicklung

1. Abarbeitung von Instandhaltungsrücklagen

In den nächsten Jahren wird neben den bisher schon bestehenden Finanzengpässen der Städte

und Gemeinden ein weiterer Effekt zum Tragen kommen. Viele Kommunen haben in ihrer

Eröffnungsbilanz gemäß § 36 (3) GemHVO NRW Rückstellungen für die Instandhaltung von

Sachanlagen (insbesondere von Gebäuden) gebildet. Diese Instandhaltungsrückstellungen, die

nur angesetzt werden durften, wenn die „Instandhaltung hinreichend konkret beabsichtigt

war“, müssen daher in den nächsten Jahren abgearbeitet werden, da sie sonst gegen die ihnen

zugrunde liegende Sachanlage wertmindernd gebucht werden müssen. Werden die Rückstel-

lungen verbraucht, sind die Instandhaltungen für die Ergebnisrechnung der Kommune bis zum

Betrag der Rückstellung neutral; die Liquidität für die Bezahlung der Handwerker etc. muss

allerdings vorhanden sein und daher in den meisten Fällen über weitere Kassenkredite

aufgenommen werden.

Dies ist einer der Hauptgründe dafür, warum z. B. in Sankt Augustin, einer Kommune mit

aktuell 55.442 Einwohnern, die Kassenkredite gemäß des von der Kommunalaufsicht

genehmigtem Haushaltssicherungskonzepts von 8,680 Mio. Euro Ende 2011 auf 68,950 Mio.

Euro Ende 2016 steigen werden. Dies entspricht einem Anstieg um 1.087 Euro pro Kopf. Von

dieser Zahl aus hochgerechnet würde dies für die Kommunen im Rhein-Sieg-Kreis einen

Gesamtzuwachs von 652 Mio. Euro von 341 Mio. Euro Ende 2011 auf 993 Mio. Euro Ende 2016

bedeuten, wobei eventuelle Instandhaltungsrückstellungen der Kreisverwaltung dabei nicht

berücksichtigt sind. Dies wiederum würde einer Steigerung von knapp 24% p.a. für diese fünf

Jahre entsprechen. Auch, wenn dieser Wert hoch erscheinen mag, darf nicht übersehen

werden, dass die Steigerung der Kassenkredite von 2010 zu 2011 für den gesamten Rhein-Sieg-

Kreis sogar 26,7% betragen hat.

Rechnet man die 1.087 Euro auf der Basis der Anzahl der Einwohner der Kommunen, die Ende

2011 Kassenkredite bilanziert hatten, auf das Land NRW hoch, würde dies einen Zuwachs bis

2016 um 15,8 Mrd. Euro von Ende 2011 20,2 Mrd. Euro auf Ende 2016 36,0 Mrd. Euro und

damit 12,3% p.a. bzw. 3,2 Mrd. Euro pro Jahr bedeuten. Zur Erinnerung: Die Steigerung der

Kassenkredite aller Kommunen in NRW belief sich im Jahr 2011 auf 9,9% im Vergleich zum

Vorjahr.

Die im vorigen Kapitel angenommene vierköpfige Familie hat dann rechnerisch in fünf Jahren

ca. 15.000 Euro Schulden alleine durch die Kommunen.

Selbstverständlich kann eine Hochrechnung von einer Stadt auf ein ganzes Bundesland nur

eine sehr grobe Annäherung sein. Durch sie wird aber andererseits die Vermutung gestützt,

dass der jährliche Anstieg der Kassenkredite in den nächsten Jahren über dem Mittelwert der

vergangenen Jahre von 1,8 Mrd. Euro liegen und eher in Richtung 3,0 Mrd. Euro tendieren wird.

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2. Zinsrisiko der Kassenkredite

Aktuell liegt das Zinsniveau für Kassenkredite unter 1% p.a., da sich die Bundesrepublik

aufgrund der internationalen Finanzmarktsituation in einem historischen Zinstief befindet.

Allerdings dürfte die Annahme falsch sein, dass die Zinsen in den nächsten Jahren immer der-

art niedrig bleiben werden. Steigen aber die Zinsen, so hat dies im Bereich der Kassenkredite

sehr schnell gravierende Auswirkungen auf den Ergebnishaushalt der Kommunen.

Ausgehend von derzeit einem Prozent Zinsen zahlen die Kommunen in NRW ca. 220 Mio. Euro

pro Jahr für die Ende 2011 von ihnen aufgenommenen Kassenkredite in Höhe von 22,0 Mrd.

Euro. Steigt das Zinsniveau um nur einen Prozentpunkt, werden aufgrund der Kurzfristigkeit

der Zinsvereinbarungen für Kassenkredite innerhalb spätestens eines Jahres weitere 220 Mio.

Euro pro Jahr fällig – die Zinsen für diesen Kreditbereich hätten sich dann schon verdoppelt.

Auch ein Zinsniveau von 3% oder 4% für Kassenkredite ist, schaut man einmal in die Vergan-

genheit, nichts Unmögliches. Und jeder zusätzliche Prozentpunkt bedeutet weitere 220 Mio.

Euro Zinsen pro Jahr. Alleine für die vom Betrag her höchstverschuldete NRW-Kommune Essen

bedeutet jeder Prozentpunkt 21,6 Mio. Euro Mehraufwand für Kassenkreditzinsen.

Zwar dürfen Kommunen inzwischen auch Teile ihrer Kassenkredite mittel- oder langfristig

anlegen (siehe I.B.3). Aufgrund des Umstandes, dass hierfür mit dem 31.12.2010 ein Stichtag

als Basis für die nicht kurzfristig anlegbaren Anteile der gesamten Kassenkredite gewählt

wurde, dürfen beispielsweise Düsseldorf und Sankt Augustin gar keine langfristigen Kassen-

kreditverbindlichkeiten aufnehmen, da sie zum 31.12.2010 noch gar keine Kassenkredite

bilanziert hatten. Zudem dürfen daher alle Kommunen für die Kassenkredite, die den Stand

vom 31.12.2010 übersteigen, keine Anteile längerfristig anlegen – bei Essen trifft dies z. B.

derzeit auf 191,7 Mio. Euro zu.

Da die Kommunen ursprünglich schon keine Liquidität besaßen, um ihren originären Aufgaben

nachzukommen, und daher Kassenkredite aufgenommen haben, haben sie natürlich in der

Regel ebenfalls keine Liquidität für die Zinsen der Kassenkredite und müssen dann für die

Begleichung der Zinsen weitere Kassenkredite aufnehmen – die klassische Schuldenspirale.

3. Aufgaben für die Kommunen

a) Grundsicherung im Alter – Beispiel für schon bestehende Aufgaben

In der Vergangenheit wurden seitens Bund und Land immer wieder Aufgaben an die Kommu-

nen übertragen, die dort auch Kosten verursacht haben. Als Beispiel der Vergangenheit sei die

Grundsicherung im Alter genannt, für die die Kommunen bundesweit 2011 3,5 Mrd. Euro

aufgewendet haben. Ab 2014 wird der Bund die Kosten hierfür vollständig übernehmen und

nennt dies eine Entlastung der Kommunen.

Zwar hat der Bund auch bisher schon einen sich prozentual von Jahr zu Jahr verringernden

Anteil gezahlt, da der Ausgleichsbetrag einigermaßen stabil blieb, die Auszahlungen aber

stetig stiegen. Es darf aber nicht übersehen werden, dass die gesamt Grundsicherung eine

Leistung auf der Basis des SGB XII ist, die 2003 durch die Bundesregierung eingeführt wurde.

Hier hätte also gemäß Art. 104a GG schon viel früher ein finanzieller Ausgleich geschaffen

werden müssen.

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Ebenso darf nicht vergessen werden, dass die Kommunen auf den Krediten, die sie für die

Leistungserbringung bis 2014 aufnehmen mussten, sitzen bleiben – unabhängig davon, ob sie

die Leistungen direkt oder über den Kreis erbracht und im letzteren Fall via Kreisumlage finan-

ziert haben. Die daraus entstehenden jährlichen Zinsen tragen regelmäßig jedes Jahr zur

Verschlechterung der Finanzlage der Kommunen bei.

b) U3-Betreuung – Beispiel für aktuell entstehende Aufgaben

Nachdem bisher jedes Kind ab einem Alter von 3 Jahren einen rechtlichen Anspruch auf einen

Betreuungsplatz in Kindertageseinrichtungen oder in der Kindertagespflege hatte, wird dieser

Anspruch ab dem 1. August 2013 auf alle Kinder ab dem vollendeten 1. Lebensjahr ausgewei-

tet. Derzeit sind alle Kommunen mit großen Anstrengungen dabei, die Voraussetzungen für die

Erfüllung dieses Rechtsanspruches zu schaffen.

Auf dem Krippengipfel des Bundes in 2007 haben Bund, Länder und Kommunen vereinbart, die

Kosten für den U3-Ausbau untereinander zu dritteln. Ob dies auf der Basis der auch schon

damals angegriffenen kommunalen Finanzlage ein sinnvolles Verhandlungsergebnis der

Kommunalvertreter war, muss zumindest angezweifelt werden. In jedem Fall sind aber aktuelle

Pressemitteilungen der zuständigen NRW-Ministerien schlicht falsch, wenn sie darin schreibt,

dass das Land die Kommunen mit Ausgleichszahlungen „entlastet“. Wenn das Land vereinbarte

und dringend notwendige Leistungen erbringt – und das zudem sehr spät –, sollte es sich nicht

als Wohltäter brüsten. Dass das Land NRW zu diesen Zahlungen verpflichtet ist, hat nicht

zuletzt der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom

12.10.2010 festgestellt und damit den Verfassungsbeschwerden von 17 kreisfreien Städten

und zwei Kreisen stattgegeben.

Ein Problem ergibt sich zudem durch die Frage, ob die vom Deutschen Jugendinstitut vor

einigen Jahren abgegebene Schätzung für den Bedarf an Plätzen in NRW in Höhe von 32% den

heutigen Anforderungen der Eltern gerecht wird. Sehr viele Fachleute gehen nämlich davon

aus, dass der Bedarf – insbesondere im städtischen Raum – um einiges höher liegen wird. Da

für ein Reagieren auf erhöhte Anforderungen in der Regel durch die Kommune und/oder freie

Träger Baumaßnahmen durchgeführt werden müssen, ist eine kurzfristige Reaktion auf einen

sich herausstellenden größeren Platzmangel in den Kommunen nicht möglich.

Als ein weiteres Problem stellt sich aktuell der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften für die

Kindertagesstätten dar. Diesbezüglich kristallisiert sich immer mehr der Eindruck heraus, dass

Bund und Land bei ihren U3-Überlegungen die Frage des notwendigen Personals nicht

ausreichend berücksichtigt haben. Hier hätten in der jüngeren Vergangenheit entsprechende

Anreize für eine qualifizierte Ausbildung geschaffen werden müssen.

Unabhängig davon, ob aufgrund mangelnder Finanzen, planüberschreitenden Anmeldungen

oder mangelndem Personal ab dem 01.08.2013 zu wenig U3-Plätze in einer Kommune vorhan-

den sind – in jedem Fall werden nicht der Bund, der das Gesetz erlassen hat, oder das Land,

welches im Bundesrat zugestimmt hat, verklagt, sondern die Kommune. Es ist somit festzuhal-

ten, dass die finanziellen Aufwendungen zwar verteilt sind, die übrigen Risiken aber einseitig

auf kommunaler Seite liegen. Und ob z. B. Land oder Bund auch kurzfristig weitere Mittel

bereitstellen werden, wenn der Bedarf in einer NRW-Kommune über den prognostizierten 32%

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liegt, ist unklar und muss hinsichtlich einer kurzfristigen Bereitstellung sehr stark bezweifelt

werden.

c) Inklusion – Beispiel für mögliche künftige Aufgaben

Der Landtag und die Landesregierung arbeiten derzeit an einer Verbesserung des gemein-

samen Lernens von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Behinderungen. Diese auf einem

Übereinkommen der Vereinten Nationen basierenden Überlegungen sollen in der näheren

Zukunft in Ziele für die Kommunen überführt werden. Insbesondere aus den für die Kommu-

nen schmerzlichen Erfahrungen bei der U3-Betreuung sollte hier auf Bundes- und Landesebene

gelernt werden, damit die Kommunen nicht weitere finanzielle und personelle Probleme

bekommen. Denn je nach Konzept müssen Schulen nicht nur umgebaut und mit zusätzlichen

technischen Hilfsmitteln ausgestattet werden, sondern es müssen Lehrer ggf. speziell geschult

werden, um auf die individuellen Behinderungen eingehen zu können.

Im Aktionsplan der Landesregierung, der am 3. Juli 2012 veröffentlicht wurde, heißt es auf

Seite 13 unter der Überschrift „Kostenauswirkungen auf die Kommunen“:

„Nach Artikel 78 Abs. 3 Landesverfassung NRW und dem darauf basierenden

Konnexitätsausführungsgesetz NRW muss bei der Übertragung neuer Aufgaben auf die

Gemeinden bzw. bei der Veränderung der Aufgabenerfüllung durch das Land eine

Aussage über die Kostenfolge getroffen und ggf. ein Belastungsausgleich durchgeführt

werden.“

und auf der Folgeseite:

„Die Einhaltung der Menschenrechte, die Gleichbehandlung und das Verbot der Diskri-

minierung sind keine übertragbaren und übertragenen Aufgaben im Sinne des

Konnexitätsausführungsgesetzes.“

„Sie sind Wertentscheidungen, die im deutschen Recht seit langem fest verankert sind.

Aus der Erläuterung bereits bestehender, seit langem anerkannter Menschenrechte

entstehen insofern keine neuen oder veränderten Aufgaben. Die aus der UN-Behinder-

tenrechtskonvention resultierenden Anforderungen sind als solche deshalb auch nicht

konnexitätsrelevant.“

„Die Frage nach den Kostenauswirkungen der UN-Behindertenrechtskonvention kann

deshalb hier weder pauschal noch abschließend beantwortet werden. Voraussetzung ist

das Vorliegen von konkreten Novellierungsvorschlägen für Landesgesetze und

-verordnungen. Erst wenn konkret feststeht, in welcher Weise landesrechtliche Regelun-

gen verändert werden, kann in jedem Einzelfall eine daraus gegebenenfalls resultierende

Kostenfolge für die Kommunen bewertet werden.“

Diese Ausführungen zeigen deutlich, dass aus Sicht der Landesregierung keineswegs sicher ist,

dass bei der Umsetzung von Ergebnissen aus dem Aktionsplan die Kommunen die ihnen als

Schulträger entstehenden Kosten (teilweise) zahlen werden. Im negativen Fall würden dadurch

die Kassenkredite weiter – und zwar erheblich – steigen. Hier sind die Kommunalen Spitzen-

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verbände, mit denen gemäß Seite 207 des Aktionsplans Konsultationen zur Konnexität geführt

werden, gefordert, eine weitere gravierende Verschuldung der Kommunen zu verhindern.

4. Weitere mögliche Kredite

In den kommenden Jahren können im Rahmen der Veröffentlichung der Gesamtabschlüsse der

Kommunen, in denen dann auch Eigenbetriebe und Beteiligungen konsolidiert werden, weitere

umfangreiche Kreditverbindlichkeiten der Kommunen auftauchen. In der Statistik von IT.NRW

sind nämlich nur die direkten Investitions- und Kassenkredite der Kommunen aufgeführt, nicht

aber die der ihnen (anteilig) gehörenden Wasserwerke, Kläranlagen, Energieversorger,

Entwicklungsgesellschaften etc.

Um diese denkbaren Kredite, die die Kommunen zusätzlich belasten würden, darzulegen oder

auszuschließen, ist es notwendig, dass die gemäß § 116 GO NRW vorgeschriebenen Gesamt-

abschlüsse erstellt und möglichst vom Statistischen Landesamt bezüglich ihrer Kreditverbind-

lichkeiten ausgewertet und veröffentlicht werden.

V. Fazit

Kassenkredite sind eine Finanzierungsform, die die Kommunen erst seit dem Jahr 2000 in

größerem Umfang nutzen müssen. Sie sind ein eindeutiger Indikator dafür, dass die Finanzlage

der Kommunen zunehmend schlechter wird. Gestützt wird diese Indikation dadurch, dass die

Ausgleichsrücklagen in vielen Kommunen schon aufgezehrt sind oder dies in Kürze sein

werden und dass auch die Allgemeinen Rücklagen immer weiter angegriffen werden müssen.

Dies hat in der jüngeren Vergangenheit dazu geführt, dass immer mehr Kommunen ein

Haushaltssicherungskonzept aufstellen mussten bzw. in den Nothaushalt gerieten. Die Landes-

regierung NRW hat als Reaktion nicht die Ursache, sondern nur das Symptom bekämpft, indem

sie den Planungshorizont von fünf auf zehn Jahre erweitert hat. Dies führt unter Einbeziehung

der von ihr vorgegebenen Planzahlen auf Einnahmen- und Ausgabenseite dazu, dass sich

wieder weniger Kommunen im Nothaushalt befinden. Allerdings weiß jeder, der sich ein wenig

mit kommunaler Planung beschäftigt, dass eine Planung über 10 Jahre sowohl der Einnahmen-

als auch der Ausgabenseite praktisch unmöglich ist; dies wurde insbesondere durch die beiden

Wirtschaftskrisen seit 2000 deutlich vor Augen geführt.

Es dürfte jedem klar sein, dass eine alleinige Änderung der Kriterien, wann eine Kommune ein

HSK aufstellen muss oder sich im Nothaushalt befindet, keinesfalls zu einer Verbesserung der

finanziellen Situation an sich führen kann. Eine solche Verbesserung kann nur durch höhere

Einnahmen und/oder niedrigere Ausgaben erzielt werden. In beiden Belangen sind die

Kommunen auf den Bund und das Land angewiesen, da ein Großteil ihrer Einnahmen über

Schlüsselzuweisungen erfolgt und ein Großteil ihrer Ausgaben durch Bundes- und Landes-

gesetze begründet sind.

Wenn Kommunalminister Jäger bei der Vorstellung der Eckpunkte des Gemeindefinanzie-

rungsgesetzes (GFG) 2013 mitteilt, dass die dort vorgesehenen Zuweisungen der Summe nach

neuer Rekord sind, ist das richtig. Richtig ist allerdings auch, dass dies offensichtlich immer

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noch viel zu wenig ist, da die Betragssteigerung in Höhe von 0,3 Mrd. Euro in 2013 nur ein

Sechstel der durchschnittlichen Zunahme an Kassenkrediten der letzten 11 Jahre beträgt.

Somit werden auch in 2013 wieder Kassenkredite in Milliardenhöhe zusätzlich aufgenommen

werden und die Schuldenspirale dreht sich nahezu ungebremst weiter.

Es ist aufgrund der sich durch die immense Kassenkredithöhe der Kommunen aufgezeigte

ständig andauernde Überlastung der kommunalen Finanzen durch die von Bund und Land

übertragenen Aufgaben zu prüfen, ob dies nicht gegen Art. 78 Abs. 3 Satz 4 der Landes-

verfassung

„Wird nachträglich eine wesentliche Abweichung von der Kostenfolgeabschätzung fest-

gestellt, wird der finanzielle Ausgleich für die Zukunft angepasst.“

verstößt, da bei Jährlich durchschnittlich fast 2 Mrd. Euro mit Fug und Recht von einer

„wesentlichen Abweichung“ gesprochen werden kann. Und da die großen Defizite vor

20 Jahren noch nicht in diesem Maße auftraten, die Kommune seitdem aber keine weiteren,

eigenen Aufgaben definiert, sondern seitdem zahllose finanzträchtige Aufgaben von Bund und

Land gesetzlich übertragen bekommen haben, kann die Ursache für die Krise nur in letzteren

liegen.

Es ist äußerst bedauerlich, dass gute Ansätze wie die Kommunalfinanzkommission auf Bundes-

ebene als praktisch ergebnislos angesehen werden müssen. Wichtig ist, dass seitens der über-

geordneten Ebenen strukturell ein größeres Augenmerk auf die finanzielle Leistungsfähigkeit

der Kommunen gelegt wird. Insbesondere bei den sozialen Aufgaben (siehe z. B. IV.B.3) dürfen

Gesetze nicht mehr ohne eine belastbare Kostenabschätzung und entsprechende Kompensa-

tion im Hinblick auf die Kommunen verabschiedet werden. Zudem muss den Kommunen eine

Möglichkeit gegeben werden, die Kredite, die sie durch vergangene Fehler in diesem Bereich

aufgebaut haben, wieder abzubauen.

Nirgendwo ist das Gemeinwesen so nah am Bürger wie in der Kommune. Es ist daher beson-

ders wichtig, dass die Kommunen kurzfristig wieder in die finanzielle Lage versetzt werden,

ihren Aufgaben gegenüber den Bürgern im Bereich des täglichen Lebens in ausreichendem

Maße nachkommen zu können. Wird die aktuelle Finanzmisere – die sich durch die Kassen-

kredite wie ein Fieberthermometer zeigt – in den Kommunen durch den Bund und insbeson-

dere das Land nicht gestoppt, wird der „Patient Kommune“ immer fiebriger, dann arbeits-

unfähig und letztendlich in 10 bis 20 Jahren kollabieren.

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VI. Nachsatz

Wer sich länger mit kommunalen Finanzen auf Landesebene beschäftigt, stellt schnell fest,

dass man dort fast nur noch über Milliarden von Euro spricht – wie auch in dieser Ausarbeitung

– und erst recht im Zusammenhang mit Bundesfinanzen oder gar der Eurokrise.

Durch das Zahlwort „Milliarden“ verringert sich die eigentlich erfasste Zahl – aus

22.000.000.000 werden 22 Mrd. und für viele Leser wirkt letzteres gar nicht mehr so groß wie

der gleiche Wert, wenn er ganz ausgeschrieben wird. Dadurch besteht die Gefahr, dass man die

hohen Beträge nur noch als einfache kleine Zahlen betrachtet und nicht den Umstand, dass das

dadurch dargestellte Geld auf irgendeine Weise auch erwirtschaftet werden muss.

Um 1.000.000.000 Euro Schulden in eine Einkommensrelation zu bringen: Laut Statistischem

Bundesamt betrug im Jahr 2011 das durchschnittliche Nettoeinkommen (Bruttoeinkommen

abzüglich Steuern und Abgaben) einer vierköpfigen Familie, bei der der Ehemann Alleinverdie-

ner war, 33.144 Euro. Um mit dem Nettoeinkommen 1.000.000.000 Euro Schulden in einem

Jahr abzubezahlen, würde man 30.171 solcher Familien benötigen – und dann hätte noch

niemand gegessen, geheizt, Miete bezahlt etc.

Für die Kassenkredite Ende 2011 der NRW-Kommunen würde man rechnerisch fast 670.000

solcher Familien benötigen – wie gesagt, vierköpfig, so dass 2.680.000 Menschen betroffen

wären und das sind fast so viele, wie in den vier größten Städten von NRW (Köln, Düsseldorf,

Dortmund und Essen) zusammen wohnen.

Laut dem Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen beträgt das

Netto-Netto-Einkommen – also das Nettoeinkommen abzüglich der lebensnotwendigen

Ausgaben für Nahrungsmittel, Miete, Mobilität, Kinderbetreuung, etc. – knapp 50 % des

Nettoeinkommens. Auf Grundlage obiger Rechnung würde man rechnerisch dann schon ca.

1.340.000 vierköpfige Familien mit 5.360.000 Menschen benötigen – so viel, wie zusammen in

den 12 größten Städten von NRW wohnen. Und immer noch war niemand von ihnen im Kino,

im Museum, im Freibad, hat ein Buch gekauft, Eis gegessen, …

Diese Betrachtung sollte ein weiterer Grund sein, alle notwendigen Anstrengungen zu unter-

nehmen, die strukturellen Ursachen für das ständige Steigen der Kassenkredite endlich zu

beheben.

Georg Schell

Vorsitzender der CDU-Fraktion im Rat der Stadt Sankt Augustin

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