Eine System-Entwicklungsumgebung mit realen und virtuellen ... · des Fahrzeugs per Software ganz...

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In den letzten Jahren hat sich das technische Innen- leben unserer Autos dra- matisch verändert. Konnte man früher bei geöffneter Motorhaube noch Bauteile wie Vergaser oder Zünd- verteiler erkennen, haben heute elektronische Steu- ergeräte das Regiment übernommen. Anders wäre gar nicht mehr realisierbar, was auch wir als Käufer und Fahrer der Autos an Funk- tionen und Eigenschaften erwarten. Hierzu gehören etwa ein geringer Kraft- stoffverbrauch und die Reduktion umweltschäd- licher Abgase. Aber auch Systeme, die die aktive und passive Fahrsicherheit erhöhen, wie beispiels- weise Airbag, Antiblockier- System oder Fahrdynamik- regelung, um nur diejeni- gen zu nennen, die heute schon zum Standard zählen. Eine nicht uner- hebliche Rolle spielen überdies Fahrerassistenz- systeme und technische Ein- richtungen zur Erhöhung des Komforts, wie Klima- anlagen, Navigationssyste- me oder automatische Sitz- verstellung. Voraussetzung dafür, dass solche Systeme marktfähig sind, ist ein vorteilhaftes Verhältnis vieler Eigen- schaften, wie Gewicht, Bauraum, Leistungsbedarf, einfache Austauschbarkeit und (in der Automobil- branche sehr viel stärker gewichtet als etwa in der MechatronicCarLab 36 MechatronicCarLab Raumfahrt- Technologie für Straßenfahrzeuge Das MechatronicCarLab als Fahrsimulator auf der Hannover Messe 2002 Eine System-Entwicklungsumgebung mit realen und virtuellen mechatronischen Fahrzeug-Komponenten. Bei der Entwicklung mechatronischer Komponenten sind verschiedene Ingeni- eurdisziplinen beteiligt: Das Fachwissen auf den Gebieten Mechanik, Elektronik und Informatik ist gefragt, wenn auf kleinem Raum die unterschiedlichsten Funktionen zu einem Produkt integriert werden. Beim DLR in Oberpfaffenhofen hat diese Technologie schon Tradition – ein großes Anwendungsfeld ist in- zwischen die Fahrzeugtechnik.

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In den letzten Jahren hatsich das technische Innen-leben unserer Autos dra-matisch verändert. Konnteman früher bei geöffneterMotorhaube noch Bauteilewie Vergaser oder Zünd-verteiler erkennen, habenheute elektronische Steu-ergeräte das Regimentübernommen. Anders wäregar nicht mehr realisierbar,was auch wir als Käufer undFahrer der Autos an Funk-tionen und Eigenschaftenerwarten. Hierzu gehörenetwa ein geringer Kraft-stoffverbrauch und dieReduktion umweltschäd-licher Abgase. Aber auchSysteme, die die aktiveund passive Fahrsicherheiterhöhen, wie beispiels-weise Airbag, Antiblockier-System oder Fahrdynamik-

regelung, um nur diejeni-gen zu nennen, die heuteschon zum Standardzählen. Eine nicht uner-hebliche Rolle spielenüberdies Fahrerassistenz-systeme und technische Ein-richtungen zur Erhöhungdes Komforts, wie Klima-anlagen, Navigationssyste-me oder automatische Sitz-verstellung.

Voraussetzung dafür, dasssolche Systeme marktfähigsind, ist ein vorteilhaftesVerhältnis vieler Eigen-schaften, wie Gewicht,Bauraum, Leistungsbedarf,einfache Austauschbarkeitund (in der Automobil-branche sehr viel stärkergewichtet als etwa in der

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Raumfahrt-Technologie für

Straßenfahrzeuge

Das MechatronicCarLab als Fahrsimulator auf der HannoverMesse 2002

Eine System-Entwicklungsumgebung mitrealen und virtuellen mechatronischenFahrzeug-Komponenten.

Bei der Entwicklung mechatronischer Komponenten sind verschiedene Ingeni-eurdisziplinen beteiligt: Das Fachwissen auf den Gebieten Mechanik, Elektronikund Informatik ist gefragt, wenn auf kleinem Raum die unterschiedlichstenFunktionen zu einem Produkt integriert werden. Beim DLR in Oberpfaffenhofenhat diese Technologie schon Tradition – ein großes Anwendungsfeld ist in-zwischen die Fahrzeugtechnik.

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len renommierten Unternehmender Automobil- und Eisenbahnin-dustrie im In- und Ausland einge-setzt. Zu den Untersuchungen amInstitut für Robotik und Mechatro-nik gehören Simulationen derKippstabilität von LKW und Bus-sen. Elastische Verformungen desFahrzeugrahmens, die genauenEigenschaften der Reifen, dieReaktion des Fahrers, schwappendeFlüssigkeiten in Tanks sowie dieInteraktion von Fahrzeug und elas-tischem Fahrweg (z.B. bei einerBrückenüberfahrt) sind Beispielefür Fragestellungen, für die Simu-lationsmodelle und neue Simula-tionsmethoden erarbeitet werden.

Ein 1996 gemeinsam vom Institutfür Robotik und Mechatronik mitBMW durchgeführtes Projektlegte den Grundstein zum virtuel-len Antriebsstrang. Unter Verwen-dung der neuartigen Technologiedes objektorientierten Modellie-rens mit Modelica® werden einfa-che Motormodelle und je nachBedarf detaillierte Getriebemodellevom Schaltgetriebe bis zum Sechs-gang-Automatikgetriebe im Zu-sammenspiel mit realen Steuer-geräten, das heißt in Echtzeit simu-liert. Die Modellierung von Fahr-zeug-Antriebssträngen wird der-zeit vorangetrieben im Rahmen

tion, die mit der Analyse vonMagnetschwebebahn-Systemenund des Laufverhaltens von Eisen-bahnwagen im Gleis begann. EinSchwerpunkt der ebenfalls vomBayerischen Staatsministerium fürWirtschaft, Verkehr und Techno-logie geförderten Arbeiten ist dieSimulation der Fahrdynamik vonStraßen- und Schienenfahrzeugen.So ist im Laufe der Zeit in Ober-pfaffenhofen eine Labor-Infra-struktur entstanden, die sich ausrealen Hardware- und virtuellenKomponenten zusammensetzt.Die virtuellen Komponenten be-stehen aus mathematischen Model-len. Eine mechatronische Einheitkann so unter Berücksichtigung derWechselwirkung mit dem gesam-ten Fahrzeug entwickelt und unter-sucht werden. Beispielsweise wer-den die nicht real vorhandenenTeilsysteme des Fahrzeugs in Echt-zeit simuliert und über geeigneteSchnittstellen mit den realen Kom-ponenten verbunden (Hardware-in-the-Loop-Simulation). Je nachkonkreter Fragestellung und Ver-fügbarkeit können reale und virtu-elle Komponenten gegeneinanderausgetauscht werden. Die virtuel-len Komponenten werden nachBedarf skaliert, das heißt sie wer-den mit genau dem Detaillierungs-grad und dem Aufwand berück-sichtigt, wie es der Aufgabenstel-lung angemessen ist. Für die Simulation von Mehrkör-persystemen entstand am Institutfür Robotik und Mechatronik dasProgramm SIMPACK, welchesheute von der Fa. INTEC GmbHvertrieben und weiterentwickeltwird. Durch Schnittstellen zu viel-fältigen CAE-Programmen istSIMPACK über die reine Mehr-körpersimulation hinausgewachsen.Als Werkzeug für die Analyse undAuslegung komplexer mechatroni-scher Syteme wird es auch bei vie-

Raumfahrt) geringe Kosten. DieseAnforderungen haben dazu beige-tragen, dass heute mechanische,elektrische und elektronische Bau-teile zu hochintegrierten mecha-tronischen Komponenten zusam-mengefasst werden. In Verbindungmit der Informationstechnik undden Software-Algorithmen verfü-gen sie über einen teilweise sehrhohen Grad an Intelligenz undAutonomie. Die Verbindung vonSensoren, Regelung und Aktuato-ren zu kompakten Einheiten ent-spricht ganz dem Trend der Modu-larisierung in der Fahrzeugindus-trie. Durch die Blüte der Mecha-tronik im Fahrzeug und ihre wirt-schaftliche Bedeutung hat diesesThema auch im Oberpfaffen-hofener Institut für Robotik undMechatronik einen hohen Stellen-wert erreicht. Die Expertise aufdem Gebiet der Integration hoch-komplexer mechatronischer Syste-me wurde durch die Entwicklungvon Komponenten für die Raum-fahrt-Robotik erarbeitet. Heute istdas Institut mit seinen vielseitigenStandbeinen zu einem gefragtenPartner der Industrie geworden.Das Interesse richtet sich dabeinicht nur auf mechatronische Kom-ponenten selbst, sondern auch aufdie Methoden zu deren Entwick-lung sowie die wissenschaftlichfundierten regelungstechnischenVerfahren und Werkzeuge.

Geforscht und entwickelt wird imRahmen des Bayerischen Kompe-tenznetzwerks Mechatronik. Dazukommen Auftragsarbeiten für dieAutomobilindustrie und derenZulieferer. Die Fahrzeugsystem-dynamik, die dynamische Analyseund Evaluierung von Fahrzeugenhaben eine jahrzehntelange Tradi-

37MechatronicCarLab

Neue Möglichkeiten durchobjektorientiertes

Modellieren

Flexible Abgrenzungzwischen Wirklichkeit

und Computerwelten

Fahrdynamiksimulation mit Modelica®/Dymola

Tanklastwagen-Simulationsmodell mitschwappender Flüssigkeit

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eines vom Bayerischen Staatsminis-terium für Wirtschaft, Verkehrund Technologie geförderten Pro-jekts „Test und Optimierung elek-tronischer Fahrzeug-Steuergerätemit Hardware-in-the-Loop-Simu-lation“. Dieses Projekt wird vomInstitut für Robotik und Mechatro-nik gemeinsam mit BMW undLiebherr Aerospace bearbeitet. DieErgebnisse fließen in die kommer-ziell vertriebene Antriebsstrang-Bibliothek PowerTrain ein, die beimehreren Automobilherstellernund -zulieferern verwendet wird.An der Entwicklung der Modellie-rungssprache Modelica® (als offe-ner Standard zur Erstellung multi-physikalischer Modelle komplexerSysteme) war das Institut vonAnfang an maßgeblich beteiligt.Neben der Entwicklung des Stan-dards ist die Verfügbarkeit umfas-sender Komponentenbibliothekenfür die Anwendbarkeit dieser Tech-nologie von großer Bedeutung. Soentstanden am Institut für Robotikund Mechatronik in Zusammen-arbeit mit anderen Mitgliedern derModelica Association Basisbiblio-theken für regelungstechnische undelektrische Komponenten, Antriebs-stränge, mechanische Mehrkörper-systeme und Wärmeleitung, sowieSpezialbibliotheken u. a. für Robo-ter, Flug- und Fahrdynamik.

Die Simulation der Fahrdynamikim MechatronicCarLab kann inEchtzeit mit Hilfe von 3D-Grafik

dargestellt wer-den, gleichzeitigin verschiedenenProjektionen, et-wa aus der Per-spektive des Fah-rers oder jederanderen beliebi-gen Sicht. Einevon mehreren An-wendungen desMechatronicCarLab ist daher dieeines Fahrsimu-lators. Dem Fah-rer können ver-schiedenartige Schnittstellen zurBedienung angeboten werden: Essteht ein kraftreflektierendes Lenk-rad zur Verfügung, welches denFahrerwunsch erfasst und demFahrer Lenkmomente zurücklie-fert. Der Aktuator hierfür ist einekompakte elektrische Antriebsein-heit mit Harmonic-Drive-Getrie-be. Der Unterschied zu herkömm-lichen Servoantrieben ist ein

abtriebsseitiger Drehmoment-Sen-sor, der eine hochdynamische undpräzise Momentenregelung er-laubt. Die Antriebseinheit wurdeausgehend vom Gelenkantrieb desDLR-Leichtbauroboters entwickeltund bietet die Grundlage für diejüngste Ausgründung des Instituts.Die Firma SENSODRIVE GmbHhat es sich zur Aufgabe gemacht,innovative drehmomentgeregelte An-triebe auf den Gebieten Industrie-und Servicerobotik, Rehabilitationund Training sowie im Anlagenbauzum Einsatz zu bringen. Ein kraf-treflektierendes Lenkrad wurdeauch an das Braunschweiger DLR-Institut für Verkehrsführung undFahrzeugsteuerung geliefert, womitim dort geplanten Fahrsimulatorund Drive-by-Wire-Versuchsfahr-zeug neue Assistenzsysteme unter-sucht werden, die den Fahrer auchbeim Lenken unterstützen. ImMechatronicCarLab ermöglicht da-rüber hinaus ein leistungsfähigerund präziser Joystick mit Kraftrück-kopplung die Untersuchung neuarti-

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Anschauliche und fühlbareEntwicklung von

Drive-by-Wire und fahr-dynamischen Regelsystemen

durch „Virtual Reality“

MechatronicCarLab mit kraftreflektierenden Lenkeingabegeräten(Lenkrad, Joystick) und kraftreflektierendem Gaspedal, Echtzeit-Fahrdynamiksimulation und -visualierung

Die mechatronische Antriebseinheit mitMomentensensor eignet sich zur Erzeu-gung von Lenkmomenten am Steer-by-Wire-Lenkrad

Getriebesimulation mit Modelica®/Dymola

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ger Bedienkonzepte alternativ zumherkömmlichen Lenkrad. Ein kraf-treflektierendes Gaspedal ergänztdie Anordnung. Für virtuelle Untersuchungen zurPlatzierung und Gestaltung vonBedienelementen (z.B. einemSchaltknüppel) in einem Fahrzeugkann der DLR-Leichtbauroboterins MechatronicCarLab geholtwerden. Die Handhabung des

Bedienelements kann einer Test-person vermittelt werden, indemdas Bedienelement auf die Spitze

des Roboters montiert wird. Dermit hochgenauer Kraft- und Mo-mentensensorik ausgestattete Leicht-bauroboter wird dabei so geregelt,dass er die Elastizitäten, Steifigkei-ten und Freiheitsgrade des Bedien-elements widerspiegelt. Neben denStandard-Bedienelementen heuti-ger Autos können mit diesem uni-versellen Kraftrückkopplungsgerätin flexibler Weise beliebige, neuar-tige (z.B. Multifunktions-) Bedien-elemente auf Ergonomie undHandhabbarkeit untersucht werden.Das MechatronicCarLab lässt sichauch als Prüfstand für mechatroni-sche Komponenten oder ganzeDrive-by-Wire-Systeme betreiben.Gegenwärtig konzentrieren sichdie Arbeiten auf die Momentenre-gelung des Lenkradaktuators unddie Erprobung einer übergeordne-ten Steer-by-Wire-Regelung, diedie aufgetrennte mechanische Ver-bindung zwischen Lenkrad undVorderrädern mittels der mecha-tronischen Aktuatoren wieder her-stellt. Die Regelung bestimmt dasLenkgefühl und die Dynamik desSteer-by-Wire-Lenksystems undwurde gemeinsam mit der FirmaTRW Fahrwerksysteme ent-wickelt. Ein weiteres Einsatzgebiet für dasMechatronicCarLab ist die virtuelleErprobung von Fahrdynamikrege-lungen. Mit Überlagerungslenkun-gen oder mit Steer-by-Wire lassensich beispielsweise Lenkeingriffezur Stabilisierung des Fahrzustan-des durchführen. Damit kann einedeutliche Verminderung des Risi-kos von Schleudern oder Umkip-

pen erreicht werden. Auch kannauf diese Weise das Lenkverhaltendes Fahrzeugs per Software ganzneu gestaltet werden, ohne dasszusätzliche konstruktive Änderun-gen am Fahrwerk notwendig wärenoder ein Kompromiss zu Lastenanderer fahrdynamischer Kriterieneingegangen werden muss.

Mit einem hochwertigen hydrau-lischen Linearaktuator-Prüfstandkann eine weitere mechatroni-sche Steer-by-Wire-Komponen-te aus der Dimension der Model-le und der Simulation ans Lichtder Realität geholt werden: derLenkmotor, welcher die Spur-stangen eines Fahrzeugs ver-schiebt und somit den Lenkwin-kel an den Vorderrädern einstellt.Die Lasten kommen aus derFahrdynamiksimulation und wer-den dem Lenkmotor mit Hilfeeines Hydraulik-Kolbens aufge-prägt. Als Lenkmotor kann wahl-weise die Hardware eines Kun-den oder der eigene mechatroni-sche Linearaktuator mit Positi-ons- und Kraftsensorik zum Ein-satz kommen.

39MechatronicCarLab

Kraftreflektierender Joystick als Alterna-tive zu Lenkrad und Pedalerie

Entwicklung von Steer-by-Wire-Algorithmen und -Komponenten am hydraulischenLinearaktuatorprüfstand

Leichtbauroboter als kraftreflektierndeSchnittstelle für virtuelle Bedienelemente

Drive-by-Wire kennzeichnet allgemein inFahrzeugen das Ersetzen mechanischer(auch hydraulischer) Verbindungen durchelektromechanische Komponenten, Sen-soren und Steuergeräte, welche lediglichüber Signalleitungen miteinander kom-munizieren. Steer-by-Wire und Brake-by-Wire sind spezielle Ausprägungen fürLenk- bzw. Bremssysteme. Die Vorteile lie-gen in den wesentlich flexibleren Gestal-tungsmöglichkeiten; so werden z. B. Ein-griffe in die Fahrdynamik zur Verbesse-rung der Fahrsicherheit in manchen Fällenerst auf diese Weise möglich. Offenkundigerfordern Drive-by-Wire-Systeme einenhohen Aufwand zur Absicherung gegenAusfall oder Fehlverhalten, dennoch wer-den sie langfristig die herkömmlichenmechanischen Verbindungen in Fahrzeu-gen verdrängen.

MechatronischeKomponentenentwicklung

unter realitätsnahenBedingungen

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Letzterer hat seine Ursprünge imGreifer für den weltweit erstenWeltraumroboter ROTEX undbasiert auf der patentierten DLR-Planetenwälzgewindespindel (PWG).Wegen seiner hohen Leistungs-dichte und programmierbarenDynamik bietet der mechatroni-sche Linearaktuator noch vielfälti-ges Potenzial zum Einsatz im Fahr-zeug, beispielsweise für aktiveFahrwerke. Auch dies wird man mitdem MechatronicCarLab testenkönnen.Unterstützt wird die Entwicklungneuer Konzepte auch durch wei-tere Untersuchungen mit dembereits erwähnten hydraulischenPrüfstand, unter anderem zur Iden-tifikation mechatronischer Linear-Komponenten. Ziel der Experi-mente beispielsweise mit derPWG und einem semiaktiven,magnetorheologischen Dämpfer istes in beiden Fällen, die Kompo-nenten über ein weites Betriebs-spektrum kennen zu lernen undaus den gewonnenen Daten reali-stische Simulationsmodelle abzu-leiten. Mit diesen können dannwiederum Aussagen über dieEffektivität neuer Konzeptegewonnen werden. Ein wichtigerAnwendungsbereich ist dieStraßen schonende Fahrwerksaus-legung von LKW. Hier lassen sichso genannte semiaktive Stoßdämp-fer einsetzen, deren Härtegrad sichje nach Fahrzustand stufenlos undsehr schnell verstellen lässt.Abhängig vom Straßenzustand las-sen sich die vertikalen Schwingun-gen auf diese Weise um bis zu 15Prozent verringern. Da es vorallem diese dynamischen Lasten

sind, die den Fahrbahnbelag schädi-gen, können solche Konzepte dazubeitragen, den Erhaltungsaufwandfür das Straßennetz in Deutschlandund Europa trotz steigendenLKW-Verkehrs zu begrenzen.

Am Institut für Robotik undMechatronik werden auch Kompo-nenten für Brake-by-Wire-Syste-me entwickelt. Der bereits erwähn-ten Planetenwälzgewindespindelmit ihrer geringen Reibung undWirkungsgraden über 80 Prozentwird gerade für den Einsatz fürBrake-by-Wire noch eine großeZukunft vorausgesagt. Das „klassi-sche“ Brake-by-Wire-Prinzip ver-wendet eine Motor-PWG-Spin-delkombination, um die Brems-backen aktiv zusammenzudrücken.Zuspannkräfte im Bereich von 30 kNsind dabei nicht ungewöhnlich.Durch einen Lizenznehmer, dieFirma Narr in Kirchheim/Teck,wurden erstmals erfolgreich Ver-fahren zur Herstellung der PWGeingesetzt, die eine Produktion ingroßen Serien erlauben. Beimgemeinsam mit der Firma KnorrBremse realisierten ersten Proto-typ einer Bremse für Schienenfahr-zeuge erwies sich die PWG jüngstmit einer Lebensdauer von weit

über einer Million Bremszyklen alsweit überlegen gegenüber allenVergleichsspindeln.Noch ein weiterer Ansatz für einehocheffiziente mechatronischeBremse wurde im DLR-Institut fürRobotik und Mechatronik geboren.Er wird in der Fachwelt inzwischenviel als mögliches Bremskonzeptder Zukunft diskutiert. Die For-scher haben die selbstverstärkendeBremswirkung eines Keils wieder-entdeckt aus den Zeiten, als esnoch keine virtuellen oder mecha-tronischen Fahrzeuge, sondernlediglich Kutschen gab. Damals

steckte der Kutscher einen Keilzwischen Rad und Radkasten, undder Keil zog sich selbst fest. Diesesehr energieeffiziente Art zubremsen kann man auch in einermodernen Bremseinheit anwen-den. Mechatronische Konzepte mit

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Die selbstverstärkende mechatronische Bremse eBrake® mit RoboDrive-Antrieb

Die mechatronischeBremse für Brake-by-Wire

Die Planetenwälzgewindespindel alsKernstück neuartiger mechatronischerBremsen für Schienenfahrzeuge hat einekonkurrenzlos hohe Lebensdauer

Mechatronischer Linearaktuator aufBasis der Planetenwälzgewindespindel

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Kraftsensorik und flinker Regelungvermeiden (im Gegensatz zur Kut-sche) ein Festklemmen des Keilsund das Blockieren der Räder.Dabei ist der Energiebedarfgegenüber herkömmlichen Brem-sen um bis zu 97 Prozent reduziert,denn fast die gesamte benötigteLeistung wird aus der kinetischenEnergie des Fahrzeugs genommen.Gleichzeitig bleibt die bestmögli-che Bremswirkung erhalten. DieEntwicklung einer mechatroni-schen Bremse dieses zweiten Typs(eBrake®) wird inzwischen durcheine weitere Institutsausgründung,die Seefelder Firma eStop, weiter-geführt. Sie kann bereits die erstenPrototypen demonstrieren und hatfür die Keilverstellung sowohl diePWG-Spindel als auch den neuen,extrem verlustarmen DLR-Robo-tergelenkmotor RoboDrive inte-griert. Dieser neue, intelligente,drehmomentgeregelte und hochin-tegrierte Leichtbau-Antrieb ist vorallem auf Anwendungen hin opti-miert worden, die einen ständigreversierenden Betrieb mit hoherDynamik und hohem Drehmo-ment, aber geringes Eigengewichtund geringe Verlustleistung erfor-dern. Darüber hinaus bietet dieserMotor einen quasi linearen („rip-pelarmen“) Momentenverlauf und

ist daher auch außerordentlich gutfür Anwendungen geeignet, beidenen ein menschlicher Bedienerden gleichförmigen Rundlauf er-fühlt. So sind zur Zeit neben denersten Testmustern der estop-Bremse auch einige Lenkrad-Pro-totypen für Steer-by-Wire undFahrsimulatoren mit diesem Motor-konzept ausgerüstet.

Das MechatronicCarLab des Insti-tuts für Robotik und Mechatronikumfasst die experimentelle Infra-struktur zum Test mechatronischerKomponenten für Anwendungenin Fahrzeugen ebenso wie dieVielzahl der bereits entwickeltenKomponenten selbst. Es beinhaltetauch die Summe der Methodenund Werkzeuge zur Entwicklungund Analyse mechatronischerSysteme. In MechatronicCarLab,einem inspirierenden Gebäude ausvirtuellen und realen Räumenarbeiten lebendige Kollegen, derenEngagement, Erfahrung und Wis-sen ebenfalls zum Mechatronic-CarLab gehören. Daher ist es auchals Ort geeignet, um das Interessevon Schülern für technische Fra-gestellungen zu wecken und zufördern. Der Rundgang durch die

Labors, der im Laufe dieses Bei-trags beschritten wurde, soll imDLR_School_Lab des gemeinsa-men Standortes Oberpfaffenhofenenden. Hier können Schüler bei-spielsweise die Fahrdynamik selbst-gebauter und -programmiertermobiler Miniroboter untersuchen.ASURO steht für „A Small andUnique Robot from Oberpfaffen-hofen“. Der Bausatz aus leicht zubeschaffenden Bauteilen wurde imDLR-School-Lab schon etlicheMale von Jugendlichen zusammen-gebaut und mit kostenfreien Soft-ware-Werkzeugen programmiert.Mittels der eingebauten Sensorenkann ASURO zum Beispiel einerLinie folgen oder auch flottePirouetten drehen. Wenn er rich-tig programmiert ist, weicht derRoboter selbstständig Hindernis-sen aus oder folgt einer vorpro-grammierten Bahn. Via Infrarotkönnen sogar mit einer herkömm-lichen IR-Fernbedienung die ver-schiedensten Funktionen vonASURO kommandiert werden.Bei vielen Schülern hat ASURObereits zu dem so genannten Aha-Erlebnis geführt: Auf spielerischemWeg wurde den Jugendlichenbewusst, wozu Mathematik undPhysik alles gut sein kann. Mag dieBegeisterung über die gewonne-nen Einsichten vielleicht die Eineoder den Anderen zu Ideen für dieFahrzeuge der Zukunft oder fürneue Paradigmen zu deren Ent-wicklung anspornen. Erstveröffentlichung in dem Magazin DLR-Nachrichten 106,

Dezember 2003, Herausgeber: Deutsches Zentrum für Luft-

und Raumfahrt.

Autor:

Institut für Robotik und Mechatronik,DLR Oberpfaffenhofen

82230 WeßlingTel. 08153/28-1627E-Mail: [email protected]

Dr.-Ing.Tilman BünteWissenschaftlicherMitarbeiter

Mechatronik zum Anfassenim DLR_School_Lab

Überreichung des „HERMES AWARD - Internationaler Technologiepreis der HANNOVERMESSE“ im April 2004 durch den Bundeskanzler Gerhard Schröder an die Firma eStop fürdie mechatronische Keilbremse - eBrake®. Dieser Preis für herausragende wissenschaftli-che und technologische Entwicklungen wurde in diesem Jahr erstmals vergeben und istmit 100.000 Euro einer der weltweit höchstdotierten Technologiepreise

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