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NR. 4 DEZEMBER 2001 DAS DEZA-MAGAZIN FÜR ENTWICKLUNG UND ZUSAMMENARBEIT Zentralasien: Die ehemaligen Sowjetrepubliken und ihre heikle Gratwanderung nach der Unabhängigkeit Tadschikistan: Schwierige Entwicklung im Armenhaus Zentralasiens. Ein Porträt Finanzierung von Entwicklung: Ein Streit- gespräch über Perspektiven und Möglichkeiten Un seul monde Un solo mondo Eine Welt

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NR. 4DEZEMBER 2001DAS DEZA-MAGAZINFÜR ENTWICKLUNG UND ZUSAMMENARBEIT

Zentralasien: Die ehemaligenSowjetrepubliken und

ihre heikle Gratwanderung nach der Unabhängigkeit

Tadschikistan: Schwierige Entwicklung imArmenhaus Zentralasiens. Ein Porträt

Finanzierung von Entwicklung: Ein Streit-gespräch über Perspektiven und Möglichkeiten

Un seul mondeUn solo mondoEine Welt

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InhaltEditorial 3Periskop 4Einblick DEZA 25Was eigentlich ist... gebundene/ungebundene Hilfe? 25Service 33Impressum 35

Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), die Agentur der internationalen Zusammenarbeit im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), ist Herausgeberin von «Eine Welt». Die Zeitschrift ist aber keine offizielle Publikation im engeren Sinn; in ihr sollen auch andere Meinungen zu Wort kommen; deshalb geben nicht alle Beiträgeunbedingt den Standpunkt der DEZA und der Bundesbehörden wieder.

DOSSIER

DEZA

HORIZONTE

FORUM

KULTUR

Eine Welt Nr.4 / Dezember 20012

ZENTRALASIENSpannungen und Wandel zwischen Pamir und UralZentralasien zwischen Demokratisierung und Korruption,wirtschaftlicher Öffnung und Menschenrechtsverletzungen

6Flucht aufs LandEin Bericht zum Schweizer Engagement in den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens

12«Die Weltbank sollte selektiver sein» Ein Interview mit Weltbank-Exekutivdirektor Matthias Meyerüber die Schweizer Stimmrechtsgruppe

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TADSCHIKISTAN Wo Granatäpfel blühen und das Elend wächst Das Armenhaus Zentralasiens kämpft mit Wirtschafts-problemen und Bildungsmanko

16Die ungerechteste Sache der Welt Der Tadschike Roman Kozhevnikov über seine Arbeit unddas Leben ganz allgemein

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DEZA-StandpunktDer digitale Graben ist nicht einfach ein weiterer Grabenzwischen Reich und Arm

21Lebensrettende EinrichtungenMit Schweizer Unterstützung konnten in rumänischenSpitälern leistungsfähige Notfallsysteme eingerichtet werden

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Gemeinsam wissen, gemeinsam forschen Die Schweiz hat ein Nord-Süd-Forschungszentrum eröffnet

23Frauen an die Macht In Bangladesch gehen im Rahmen eines Schweizer ProjektsFrauen in die Schule der Demokratie

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«Steter Tropfen höhlt den Stein»Bruno Gurtner von der AG der Hilfswerke und RégisAvanthay von der DEZA debattieren über die Finanzierungvon Entwicklung

26Noma, das Gesicht des Elends Der Ballonflieger Bertrand Piccard über eine beschämendeKrankheit und Solidarität

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Von der Nähe des Fernen Die arabische Literatur hat weit mehr zu bieten alsTausendundeine Nacht

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Wunderschön exotische Namen haben sie – etwaTurkmenistan, Kasachstan oder Usbekistan – unddoch wissen die meisten von uns sehr wenig oderpraktisch nichts über die Länder Zentralasiens, eineRegion, welche bis 1990 zur ehemaligen Sowjet-union gehörte. Im Zuge der Afghanistan-Krise ist die-se Region ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit gerückt.Bisher war uns vielleicht gerade noch bekannt, dasseinst die berühmte Seidenstrasse dort entlang führte,oder dass der legendäre Dschingis Khan über diezentralasiatischen Steppen und Wüsten ritt und mitseinen Feldzügen das mongolische Weltreich aufbau-te. Doch diese Zeiten sind längst vorbei.

Höchste Zeit also, diese Region, welche im Westen andas Kaspische Meer, im Norden an Sibirien und imSüdosten ans Pamir-Gebirge grenzt, näher kennen zulernen. Und vor allem seine Vielvölkerstaaten. HabenSie beispielsweise gewusst, dass in Usbekistan 40Prozent Usbeken, 30 Prozent Russen, 20 ProzentTadschiken und 10 Prozent Kirgisen leben? UnserZentralasien-Dossier (ab Seite 6) sowie das Länder-portrait über Tadschikistan (ab Seite 16) thematisierennicht nur die verschiedensten geografischen, kulturel-len, politischen oder wirtschaftlichen Aspekte dieserriesigen Gegend, sondern auch die spezifischenHerausforderungen der einzelnen Länder, die sich seitder Auflösung der Sowjetunion stark im Umbruchbefinden.

Und: Die Schweiz hat einiges mehr mit Zentralasiengemein als auf den ersten Blick angenommen werdenkönnte. Nicht nur mit Kirgistan, dem Land desDichters Tschingis Aitmatow, welches wegen seinereindrücklichen Gebirgs- und Seenlandschaften oderder Tatsache, dass es ein Binnenland ist, gerne als dieSchweiz Zentralasiens betitelt wird. Seit 1992 vertrittdie Schweiz auch vier zentralasiatische Staaten ineiner Stimmrechtsgruppe bei der Weltbank, undsowohl die DEZA wie auch das Staatssekretariat fürWirtschaft seco engagieren sich stark in der Region.Dies sowohl bei den schwierigen Transitionsprozessenvon der Plan- zur Marktwirtschaft wie auch von einerautoritären Staatsform hin zu Demokratie und Plura-lismus. Diesem Engagement kommt im Zusammen-hang mit den Entwicklungen in Afghanistan eine zu-nehmende Bedeutung zu.

Harry SivecChef Medien und Kommunikation DEZA

* Diese Nummer von «Eine Welt» ging Mitte Oktober inDruck – auf mögliche nachfolgende und aktuelleEntwicklungen in Zentralasien und Afghanistan wirddeshalb nicht eingegangen.

Von Dschingis Khan und Tadschikistan

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Editorial

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Die Kunst des Scheidens inMauretanien(jls) In Mauretanien ist mehrma-liges Heiraten und Scheidenalltäglich. In der maurischenGesellschaft ist dieses Phänomenzum Ersatz für die praktisch feh-lende Polygamie geworden. Esgibt Männer, welche astrono-mische Summen für eine Eheausgeben, die kaum ein Wochen-ende währt.Andere sichern sichPrivilegien durch die Heirateiner Ministertochter oder Präsi-dentennichte. Ist der Verwandtenicht mehr an der Macht, lassensie sich scheiden. Die Initiativezur Scheidung geht aber längstnicht immer nur vom Ehemannaus. Für die Frauen gehört es garzum guten Ton, sich mehrmalszu verheiraten. «Der Wert einerFrau besteht darin, sich oft zuverheiraten und scheiden zu las-sen», bestätigt Aïchetou, eine ele-gante Sechzigjährige, die fünfMal verheiratet war. Die ehe-liche Instabilität ist vor allem beischönen, attraktiven Frauen sehrausgeprägt, die den Luxus lieben.Sie heiraten immer reicheMänner, die ihnen Auto, Reisen,Schmuck bieten können...

Zurück zur Ökologie(gn) Die Mitglieder der Bauern-organisation Nayakrishi Andolon(Neue Landwirtschafts-Bewe-gung) in Bangladesch haben sichstrenge Regeln auferlegt. So dür-

fen sie zum Beispiel auf ihrenFeldern weder Pestizide nochchemischen Dünger verwenden,statt auf Monokultur setzt manauf Mischkulturen, dabei stehtdas Gesamteinkommen proHaushalt im Vordergrund, nichtder Ertrag einzelner Kulturen.Diese Regeln entstanden inReaktion auf die Fehlschlägeder Grünen Revolution, die zurZerstörung von Böden geführthatte und schliesslich die Bauernin ihrer Existenz bedrohte. Sobeschlossen die Mitglieder vonNayakrishi Andolon, sich künftigauf eine naturnahe Landwirt-schaft zurückzubesinnen unddiese konsequent zu fördern.Bevorzugt werden dabei traditio-nelle Zuchtlinien, sowohl bei derViehhaltung, wie auch beimSaatgut. Erste Erfolge wurdenbereits erzielt: Seit das Agrar-Giftaus den Dörfern verschwundenist, finden die Bauern wieder

zahlreiche Fischarten in ihrenGewässern, und auf den Feldernwachsen, zum Teil gar spontan,verschiedenste Kulturen.

Auf Stroh gebaut(bf) Strohdumm? Mitnichten!Denn Stroh ist billig, leicht zuverarbeiten und wächst nach:Fachleute entdecken das Strohals einen viel versprechendenBaustoff – auch und besondersfür Entwicklungsländer. ImRahmen internationaler Hilfs-projekte wurden vorab in Weiss-russland und der MongoleiHunderte von Stroh-Wohnhäu-sern errichtet. Neuste Tests erga-ben nämlich, dass sogar ohneVersteifung Wände aus gepress-ten, wie Ziegel aufeinander ge-setzten Strohballen einem Druckvon acht Tonnen standhalten.Wegen ihrer Elastizität werdensie mit grossen Schneelastenfertig und bieten einen sehrhohen Erdbebenschutz.Verputztgewährleisten Strohwände einebessere Wärmeisolierung als vielekonventionelle Wände, und siesind überraschend brandsicher.Die meisten Strohhäuser stehenin den USA, wo der Strohbauseit 200 Jahren praktiziert wird –ursprünglich als Notlösung inholzarmen Regionen. ImHandel sind sogar schon vorge-fertigte Platten aus hoch ver-dichtetem Stroh erhältlich,die sich so unkompliziert wiePress-spanplatten verarbeiten lassen.

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Erfolgreiche Katzenkralle(bf) Die Rinde der Katzenkralle,welche in der Fachsprache derBotaniker Uncaria tomentosaheisst, ist in Peru für die Renais-sance der Traditionsmedizinverantwortlich. Die erstaunlicheHeilpflanze aus dem Amazonas-becken ist der Star im Botani-schen Garten von Iquitos, wo

Wissenschaftler 600 Amazonas-Medizinalpflanzen züchten undderen Wirkung studieren. DieKatzenkralle ist, getrocknet undzerkleinert, als Tee, in Kapsel-form oder als Tonikum einge-nommen, entzündungshemmendund das beste Stimulans fürsmenschliche Immunsystem.Indianerfrauen nützen es zurEmpfängnisverhütung. Krebs-,Aids- und Rheumatherapiescheinen die interessantestenAnwendungsbereiche zu sein.Ein Pilotprojekt mit komple-mentärer Kräutermedizin fürchronisch Kranke verlief in Peruso erfolgreich, dass die Indianer-medizin generell nun in allenTeilen des Landes angebotenwird. Mit den hergestelltenPflanzenextrakten spart Perueine Stange Geld, weshalb dasfür Südamerika einmalige For-schungsprogramm voran getrie-ben wird. Regelmässig brechenWissenschaftler in die hintersten

Winkel Amazoniens auf, wo sievon Indianern und Schamanenneue Pflanzen und Heilverfahrenkennen lernen.

Unauffindbare Produkte inBurkina Faso(jls) In Burkina Faso stellen eineganze Reihe Kleinstunterneh-mer lokale Lebensmittel her:Sirup aus Guajave, Konfitüre ausTamarinde, Biskuits aus Petit-mil

(einer Hirseart), Couscous ausYams, Popcorn aus Sorghumusw. stehen der entsprechendenImportware in nichts nach.Ohne Werbung ist es aber oftschwierig, diese Produkte aufden Markt zu bringen, weshalbsie in den Läden kaum zu findensind. Die Produzenten könnensie lediglich über Mundpropa-ganda verkaufen.Wie die etwavierzigjährige Frau, die ihremageren Ersparnisse als Beamtinin die Produktion von Wein aufder Basis von lokalem Getreideund Früchten investiert: «Icharbeite ohnehin bereits mitVerlust.Wie soll ich da Millio-nen von Francs CFA für dieVerbreitung von TV-Spots auf-treiben?»

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Die Länder Zentralasiens – Kasachstan, Kirgistan, Tadschiki-stan,Turkmenistan und Usbekistan – kämpfen noch immer mitden Nachwehen aus der Sowjetära. Die Region ist in stetemUmbruch, ihre Entwicklung pendelt zwischen Demokratisie-rung und Korruption, wirtschaftlicher Öffnung und Menschen-rechtsverletzungen. Die Schweiz vertritt vier dieser Länder inder Stimmrechtsgruppe der Weltbank. Von Vicken Cheterian*.

Spannungen und Wandel zw

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Kirgistan 1998: Familie auf dem Heimweg von einem Fest

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Zentralasien

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Müssten wir eine Person nennen, welche unserenEindruck von Zentralasien am stärksten beeinflussthat, wäre das unbedingt Amin Maalouf mit seinemRoman «Samarcande».Der libanesisch-französischeAutor beschreibt in dem 1988 erschienenen Buchdas Leben des persischen Poeten Omar Khayyam.Maalouf führt seine Leser durch den alten Orientund dessen kulturelle Vielfalt, aber auch durchKriege und Tyrannei des Mittelalters. Als «Samar-cande» veröffentlicht wurde, herrschte noch der

Kalte Krieg, und Zentralasien war für Touristenoffen, welche bereit waren, sich von der offiziellensowjetischen Tourismusagentur Intourist führen zulassen.1991 kehrte Zentralasien plötzlich in die Gegen-wart zurück. In seiner letzten Anordnung beschlossder Kreml, die fünf zentralasiatischen Republiken(wie auch die anderen Unionsrepubliken) zu sou-veränen Staaten zu machen, obwohl sie doch in derUdSSR bleiben wollten. Diese Umwandlung be-deutete einen enormen Stress für die Völker unddie Regierungen Zentralasiens. Sie erbten nichtnur ein bankrottes Wirtschaftssystem und eineschwer geschädigte Umwelt, sondern auch ein äus-serst schwach verwurzeltes politisches System, dasGesetzmässigkeit benötigte. Noch ist dies nichterreicht.

Von den Bergen zu den Steppen Zentralasien ist eine riesige Region mit mehrerengeografischen Zonen und Zivilisationen. Der nörd-liche Teil Kasachstans ist eine natürliche Fortsetz-ung Sibiriens, während der westliche, an das Kas-pische Meer anstossende Teil eine grosse, gelbsandi-ge Wüste ist. Im Südosten stösst sie an den Pamir,die Rückseite des Himalaja-Plateaus. Im Altertumwar die Region die Heimat iranischer Stämme.Seit den frühen Jahrhunderten unserer Zeitrech-nung wurde sie von Norden her von Turkstämmenüberrannt. Heute ist die Region vor allem vonTurkvölkern (Usbeken, Kasachen, Turkmenenusw.), von Iranern (Tadschiken) und Europäern(Russen, Deutsche) bewohnt.Das Herz Asiens ist auch ein Treffpunkt der Kul-turen von Sesshaften und Nomaden. In denSteppen leben Kirgisen, Kasachen und Turkme-nen, deren Nomadenleben immer noch sichtbarist. Gegen Süden liegen die «offenen Museen» vonSamarkand, Buchara und Chiva, wo in früherenZeiten die alten Koranschulen und Moscheen mitblauen Kuppeln Lernzentren waren. Dazu kom-men moderne Städte wie Almaty, Bischkek oderTaschkent mit sowjetischen Hochhäusern und sla-wischer Bevölkerung.Für die meisten Beobachter konnte Zentralasienden Schock des Zusammenbruchs des Sowjet-reichs schlicht nicht verkraften. Es war nur schwervorstellbar, dass die politische Elite, ausgebildet umMoskau zu dienen, nun ohne dieses überlebenkonnte. Viele erwarteten schwere Konflikte, ähn-lich jenen im Balkan oder im Kaukasus in denneunziger Jahren. Es gab genügend beunruhigendeAnzeichen für diesen Pessimismus. In Almaty kames bereits 1986 zu ethnischen Unruhen. In Bucharaund Samarkand fingen ethnische Tadschiken an,sich zu organisieren. Und 1990/91 arteten ethni-

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sche Unruhen in Pogrome aus wie die Anti-Mek-shet-Pogrome im Ferghana-Tal in Usbekistan unddie kirgisisch-usbekischen Zusammenstösse in Süd-kirgistan. In Tadschikistan führten Machtkämpfezwischen regionalen Eliten 1992 zu einem Bürger-krieg, dem in wenigen Monaten gegen 160000Menschen zum Opfer fielen.

Die Herausforderungen derUnabhängigkeitNach dem Zusammenbruch der Sowjetunion be-stand die grösste Herausforderung für die lokalenNomenklaturen darin, eine neue Grundlage fürRechtsmässigkeit zu schaffen. In den letzten Jahrender Perestroika übten Basisbewegungen zuneh-menden Druck auf die regierenden Eliten aus. InUsbekistan verlangten nationalistische Parteien wieErk (Freiheit) und Birlik (Einheit) die Aufhebungder aus Sowjetzeiten stammenden Teilung der Re-gion und die Schaffung eines vereinigten Turk-estan. Die steigende Mobilisierung der usbekischenIntelligenz ängstigte nicht nur die ländlichen Herr-

scher, sondern auch die Nachbarstaaten, welchefürchteten, dass sich hinter den Slogans der Ein-heit der Turkstämme ein regionaler MachtanspruchUsbekistans verbarg.Nach Erreichen der Unabhängigkeit verloren dienationalen Bewegungen ihren Trumpf, den Rufnach nationaler Unabhängigkeit. In Usbekistanwurde Islam Karimow, früherer Generalsekretärder usbekischen Kommunistischen Partei, zu ei-nem glühenden Nationalisten. In Zentraltaschkentund anderswo auf dem Land ersetzten riesigePosters und Statuen von Amir Temur (Tamerlan),Eroberer aus dem Mittelalter, jene von Marx undLenin. Rote Banner wurden ersetzt durch nationa-listische Slogans wie «Usbekistan ist ein grossartigerStaat».Anders jedoch als die Opposition ermutigtedie Führung Usbekistans die Überprüfung der be-stehenden Grenzen nicht (welche 1920 von dersowjetischen Führung als Teil der Politik des «teileund herrsche» gezogen wurden).Vielmehr sprachsie sich für den Status quo aus, mit dem Anspruchauf eine Rolle als Schlüsselspieler in der Region.

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Sommer-Camp an der Hauptstrasse zwischen Bischkek und Osh, Kirgistan 1998

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Die neunziger Jahre waren auch Jahre wirtschaftli-cher Unruhen. Für die Mehrheit der BevölkerungZentralasiens, wie auch anderswo im ehemaligenSowjetreich, verschlechterten sich die Lebensbe-dingungen so dramatisch, dass man von «Demo-dernisierung» sprach. Wer zur Zeit des Sowjet-zusammenbruchs älter als vierzig war, hatte we-gen der massiven Arbeitslosigkeit und des Fehlensvon Ausbildungs- und Umschulungsprogrammenpraktisch keine Chance mehr auf eine Stelle. Diemeisten verloren ihre Ersparnisse zu Beginn derneunziger Jahre, als der Wechselkurs des sowjeti-schen Rubels und später der nationalen Währun-gen zusammenbrach. Sie erhalten keine Arbeits-losenunterstützung, die Pensionierten bekommenlediglich 10 bis 20 US-Dollars monatlich, wennüberhaupt.

Privatisierung und StaatskontrolleIm letzten Jahrzehnt entwickelten sich in Zentral-asien drei Modelle politischer Systeme und wirt-schaftlicher Wandlung. Kirgistan und Kasachstanentschlossen sich zu «marktorientierten Wirt-schaftsreformen» und erklärten, dass ihr Ziel dieSchaffung von Bedingungen für die demokra-tische Beteiligung am Beschlussfassungsprozess sei,wie es die westlichen Staaten und internationaleOrganisationen fordern. Die Resultate vor Ortsind aber alles andere als ermutigend. Parlaments-und Präsidentschaftswahlen sind mehr und mehrformale Ereignisse, von denen wirkliche Kandida-ten, welche eine Alternative bieten, ausgeschlossenwerden. Die wichtigste Oppositionsfigur Kasach-stans, der frühere Ministerpräsident AkezhanKazhegeldin, lebt heute im Exil in London. Derfrühere Leiter des lokalen KGB, Felix Kulov, wel-cher an den letzten Präsidentschaftswahlen inKirgistan teilnehmen wollte, sitzt im Gefängnis.Die Massenmedien wurden zum Schweigen ge-bracht. In Kirgistan wurden Anfang Jahr zwei derOpposition nahe stehende Zeitungen geschlossen,in Turkmenistan und Usbekistan gibt es keineunabhängigen Massenmedien. Anderseits profitie-

ren Personen aus dem Umkreis der regierendenFamilien vom Wirtschaftswandel. In Kasachstankontrolliert Dariga Nasarbajewa, die Tochter desPräsidenten, das nationale Fernsehen und zahl-reiche Zeitschriften, während ein SchwiegersohnLeiter der staatlichen Ölpipelinegesellschaft ist.Laut dem früheren kasachischen Ministerpräsi-denten Kathegeldin hat die US-Firma Mobil-Oilvon den 1 Milliarde US-Dollars, die sie für ihre 25-prozentige Beteiligung am Tengis-Ölfeld zahlensollte, bis zum Ende seiner Amtszeit 550 bis 600Millionen bezahlt, aber nur 350 Millionen flossenin die kasachische Staatskasse.Das zweite Modell ist jenes der staatlichen Kon-trolle in Usbekistan und Turkmenistan. Der Staatkontrolliert nach wie vor einen Grossteil der Pro-duktion und der Warenverteilung. Gleichzeitigwird der Wechselkurs von der Regierung eng kon-trolliert, und für den US Dollar gibt es mehrerestaatlich festgelegte Kurse, zusätzlich zu dem imBasar geltenden Kurs. Taschkent und Aschkabadbegründen dieses System mit der Erhaltung der

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Zentralasien

AbschottungIn Turkmenistan verlangtein neues, im Juni diesesJahres verabschiedetesGesetz, dass ausländischeStaatsangehörige, welcheeine Bürgerin oder einenBürger Turkmenistans hei-raten wollen, der Regie-rung 50000 US-Dollars zubezahlen haben. LautRegierungsangaben solldas Geld im Fall einerScheidung als «Garantie»für die Kinder dieser Ehendienen. Menschenrechts-gruppen und Nachbar-länder mit traditionellenBeziehungen über dieGrenze hinweg äussertenKritik. Der turkmenischePräsident SaparmuradNiyazov ist engen Kontak-ten zwischen ausländi-schen und turkmenischenStaatsangehörigen offen-sichtlich abgeneigt.

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Ein Bauer treibt seine Yak-Herde über die Hochebene

Viehmarkt in Zentralasien

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Staatssubventionen für Grundgüter, also für densozialen Frieden. Kritiker beschuldigen korrupteStaatsbeamte der Kollaboration mit ausländischenGesellschaften und der Fälschung von Zahlen, sodass sie Dollars zum offiziellen Kurs kaufen und aufdem Schwarzmarkt verkaufen können.Tadschikistan war die ärmste Sowjetrepublik undstürzte wegen des Bürgerkriegs in noch grössereArmut. Ein grosser Teil des Landes ist gebirgig, undder Zugang zum Meer ist wegen des fehlendenTransportsystems schwierig. Das aus Afghanistankommende Heroin gibt zu grosser Besorgnis An-lass. Laut russischer Quellen belaufen sich die mitDrogenhandel verbundenen Aktivitäten auf 30 bis50 Prozent der Wirtschaft des Landes.Die wichtigste Einnahmequelle Zentralasiens istder Export von Rohstoffen. Kasachstan ist auf denExport von Erdöl angewiesen, Turkmenistan aufGas,Usbekistan auf Baumwolle und Gold.Aber diealte Infrastruktur der Industrie muss restrukturiertund modernisiert werden. Das gilt auch für dieLandwirtschaft. Die benötigten, riesigen Investitio-nen sind aber vor Ort nicht vorhanden. Und aus-ländische Investoren in der Region sind unzufrie-den: «Wir gingen nach Kasachstan, um ein Tor zurWelt zu bieten. Als sie uns nicht mehr brauchten,warfen sie uns hinaus, bedrohten unsere Leute»,erklärt Moritz Gerke,Vizepräsident der DeutschenTelekom. Die Behörden der Region sind inkom-petent.Das erstaunt nicht, denn Insider kennen denPreis jedes öffentlichen Amtes: In Kasachstan kostetes 3000 Dollars, will man Polizist oder Grenzbe-amter werden.

Wachsende UnzufriedenheitEine kleine Gruppe Intellektueller und Medien-leute versuchte, der Korruption im Staat zu wider-stehen. So auch Uamira Sydikowa, Chefredaktorinvon Res Publica. Der kirgisische Präsident klagtesie 1995 persönlich an. Sie erhielt eine 18-monati-ge bedingte Gefängnisstrafe und durfte währenddieser Zeit nicht als Journalistin arbeiten.In Usbekistan, wo die Verfassung Redefreiheit ga-rantiert, organisierte die Zeitung TashkentskayaPravda im Sommer 2001 in ihrer Eingangshalleeine Ausstellung von Artikeln, welche wegen derZensur nicht veröffentlicht werden durften. Chef-redaktor Olo Chodschajew wurde auf einen ande-ren Posten «versetzt»…Je mehr in der Öffentlichkeit Diskussionen verhin-dert werden und die Möglichkeit der Auflehnungschwindet, desto stärker geht die Opposition in denUntergrund. In Usbekistan gab die Polizeirepres-sion gegen die Religionsausübung zudem derbewaffneten islamischen Opposition Aufwind.Nach einer Reihe von Bombenanschlägen inTaschkent im Februar 1999 warf die usbekischeRegierung Tausende von Menschen ins Gefäng-nis, mit der Anschuldigung, sie gehörten einer isla-mischen Untergrundbewegung wie der Islami-schen Bewegung Usbekistans (IMU) oder Hisb ul-Tahrir an. Die IMU wird von Dschuma Naman-

Aitmatows OptimismusAskar Aitmatow ist nichtnur der Sohn des be-rühmten Autors von«Jamila», sondern auchAuslandberater des kirgi-sischen Präsidenten. Erist nicht einverstandenmit jenen die sagen, dassin seinem Land dieDemokratie einen kleinenStellenwert habe: «Diesdenkt man im Westen, esist aber nicht wahr. Wirunternehmen konkreteSchritte hin zur Demo-kratie» Und er fügt bei:«Die Demokratie ist einProzess, und wir stehenerst am Anfang.» Erbetont, dass zur Überwin-dung der Übergangspe-riode «eine Änderung inder Mentalität der Men-schen» nötig sei, ebenso«Ressourcen aus demAusland zum Vorantreibender Wirtschaftsreformen».Die Nischen Kirgistans:Tourismus, Transport undFinanzdienstleistungen. Ineinem Wort: die künftigeSchweiz Zentralasiens.

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)Lange Zeit für den Westen unbekannte Schönheit, weil jenseits des EisernenVorhangs: Das städtebauliche Juwel Buchara, muslimische Friedhöfe in atembe-raubender Kulisse, ursprüngliche Flusslandschaft in Kirgistan.

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Zentralasien

gani geleitet, einem Usbeken, der während desBürgerkriegs in Tadschikistan auf der Seite derOpposition kämpfte. Nach dem Friedensabkom-men schloss er sich mit seinen Anhängern anderentadschikischen Kämpfern im Karategintal an, überdas die tadschikischen Behörden keine Kontrollehaben. In den beiden letzten Sommern führte dieIMU in Südkirgistan und Teilen UsbekistansGuerillaangriffe durch, mit dem Ziel, aus Usbekist-an eine islamische Republik zu machen. Es gibtBerichte, wonach ihr bewaffneter Arm auf mehre-re tausend Kämpfer gewachsen ist, unter denen

verschiedene Nationalitäten zu finden sind.Das Auftreten der IMU führte zu wachsenderSpannung in der Region und zur Angst, dassZentralasien dem Weg Afghanistans folgen könnte.Die ausländische Militärhilfe in der Region nahmzu: das FBI unterstützt die usbekische Polizei undbildet sie im Kampf gegen Terrorismus undDrogenhandel aus. Russland lieferte Panzer undKampfhelikopter im Wert von 30 Millionen US-Dollars. Aber nicht alle sind überzeugt von der«zunehmenden Bedrohung durch den Islam». Lautdem politischen Analytiker Yerlan Karin ausAlmaty übertreiben die Kreise der Regierung undnutzen die von islamischen Gruppen ausgehendeGefahr aus, «um die Aufmerksamkeit der Bevöl-kerung von den internen politischen Fragen abzu-lenken». ■

(Aus dem Englischen)

* Vicken Cheterian, gebürtiger Armenier mit libanesi-schem Pass, lebt seit 10 Jahren in der Schweiz undschreibt als Journalist vorwiegend über den Kaukasusund Zentralasien.Momentan ist er Direktor von Cimera,einer auf Medienentwicklung und Konfliktprävention inden GUS-Staaten spezialisierten Organisation mit Sitzin Genf.

See-KatastropheMuynak war ein Fischer-hafen am Aralsee. Dies war,bevor die Sowjetbehördenbeschlossen, das Wasservon Amu Darya und SyrDarya abzuleiten, um in derWüste und den SteppenUsbekistans und Turk-menistans Baumwolleanzupflanzen. Heute istMuynak 70 Kilometer vomSee entfernt. Andernortsging das Ufer gar um 120Kilometer zurück. Von denursprünglich 45000Bewohnern leben noch27000 dort. Seit 1960 hatder Aralsee 75 Prozentseines Volumens verloren,und 33000 km2 sind zuWüste geworden – eine dergrössten, vom Menschenverursachten Katastrophen.

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Afghanistan

Pakistan

Iran

China

Indien

Nepal

Russland

Kaspisches Meer

Arabischer Golf

Aralsee

Bischkek

Astana

Tachkent

Männer in kirgisischer Tracht

Aserbaidschan

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(mr) Was tun, wenn Ärzte, Physikerinnen, Raum-fahrtspezialisten und Lehrerinnen seit Jahren nurnoch dank dem Gemüsegarten vor dem Haus über-leben, und ein historisch gesehen einzigartigerUmkehrprozess vom Dienstleistungs- und Indus-triesektor in den Agrarsektor läuft? Seit 1991 sinddie zentralasiatischen Republiken Kasachstan,Turk-menistan, Kirgistan, Usbekistan und Tadschikistanauf sich selbst gestellt und suchen mit unterschied-lichen Strategien und Erfolg ihren Weg in dieMarktwirtschaft. Die ärmsten Länder Zentralasienssind Kirgistan und Tadschikistan, auf diese zweiStaaten und auf das wirtschaftlich entwicklungsfähi-gere Usbekistan konzentriert sich seit Mitte derneunziger Jahre die Schweizer Zusammenarbeit.Übergeordnetes Ziel der DEZA und des seco in derZusammenarbeit mit dieser Region ist die Unter-stützung des Wandels von der Plan- zur Markt-

wirtschaft und von einer autoritären Staatsform zuDemokratie und Pluralismus. Was es dazu brauchtsind ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zur Be-kämpfung der Armut, politische Stabilität und dieIntegration der Region in die Weltwirtschaft.Das Tätigkeitsfeld des seco und der DEZA ist ent-sprechend breit und umfasst im wesentlichen fünfBereiche: Die Schaffung makroökonomischer Rah-menbedingungen, die Entwicklung des Privatsek-tors, das Management der natürlichen Ressourcenund der Infrastrukturen, gute Regierungsführungund Friedenssicherung sowie Gesundheit.

Ärzte werden mit Naturalien bezahltObwohl die Programme und Projekte in der Re-gion noch jung sind, zeichnen sich schon erste klei-ne Erfolge ab. In Kirgistan stösst unter den vielenProjekten insbesondere die Rehabilitation der Spi-

Wo zuerst anpacken in Ländern, in denen während der letztenzehn Jahre die Kaufkraft ständig geschrumpft ist, die Fabrikenverschrottet werden und das Gesundheitssystem kollabiert?Die jungen zentralasiatischen Republiken stecken mitten inden Wirren und Nöten eines äusserst schwierigen Übergangs-prozesses. Ein Bericht zum Schweizer Engagement.

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Industrieanlagen aus derSowjetzeit: veraltete Tech-nologien führen zu hohenUmweltbelastungen

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täler in der Region Naryn und in Bischkek aufgrosses Interesse der Bevölkerung. Zur Zeit derSowjetunion herrschte eine eigentliche medizini-sche Überversorgung: Es gab zu viele Spitäler undzu viele spezialisierte Ärzte. Heute sind die Infra-strukturen der Spitäler teilweise bis zur Unbrauch-barkeit verkommen. Der Zerfall des Gesundheits-wesens ist so voran getrieben, dass kaum noch dieGrundimpfungen gewährleistet werden können.Konnten früher die Menschen auf ein funktionie-rendes Gesundheitssystem zurückgreifen, welcheserst noch gratis war, so müssen heute die meistenArztbesuche mit Naturalien bezahlt werden, denndie Löhne der Ärzte reichen nicht für ihr Auskom-men.Die Ärztedichte ist noch heute mit 350 Bewohnernpro Arzt vergleichbar mit jener der Schweiz. EineRationalisierung der Spitäler und des Personalssowie die Instandstellung der Infrastrukturengehören daher zu den Prioritäten der Reform deskirgisischen Gesundheitswesens. In den fünf wich-tigsten Spitälern der Region Naryn finanzierte dieSchweiz die dringend nötigen Verbesserungen ander Infrastruktur und unterstützt die Schulung desSpitalpersonals.

Von der Molkerei bis zur Messstation Die Selbstversorgungswirtschaft hat in den zentral-asiatischen Staaten ein noch nie dagewesenes Aus-mass angenommen.Wer kann, egal ob das notwen-dige Wissen vorhanden ist, sucht Zuflucht in derLandwirtschaft. Gut zwei Drittel der Bevölkerunglebten heute bereits auf dem Land – Tendenz stei-gend.Der Agrarsektor trägt 46 Prozent zum Brutto-sozial-produkt und 38 Prozent zum Exportvolu-men bei. Knapp die Hälfte der Arbeitskräfte ist imAgrarsektor tätig. Besonders geschätzt wird deshalbdie Schweizer Zusammenarbeit im Bereich derlandwirtschaftlichen Beratung.In Kirgistan unterstützt die Schweiz zusammen mitWeltbank und IFAD (International Fund for Agri-

cultural Development) den Aufbau eines dezentra-len Beratungsnetzes, den sogenannten Rural Advi-sory and Development Service.Ein weiteres landwirtschaftliches Projekt befindetsich bereits in der Abschlussphase. Die 1995 mitSchweizer Mitteln gegründete Molkerei Siut Bulaksoll bis im Jahre 2002 zu einem selbständigen, pro-fitorientierten Unternehmen werden. An die 1250Familien aus der Region Tiup in Kirgistan liefernihre Milch an die Molkerei und haben somit einregelmässiges Einkommen.Rund 80 Prozent der gesamten Bevölkerung Zen-tralasiens, also 45 der insgesamt 57 Millionen Ein-wohner, sind vom Wasser des Flusses Amu-Darya inTadschikistan und des Syr-Darya in Kirgistan ab-hängig. Ein wirkungsvoller und nachhaltiger Um-gang mit dem Wasser ist in dieser Gegend für dieFriedenserhaltung von enormer Bedeutung. Dochwie soll mit der Ressource Wasser effizient umge-gangen werden, wenn aufgrund fehlender hydro-meteorologischer Messstationen die Wasserqualitätund die Wassermengen nicht erfasst werden kön-nen? Ein Projekt der DEZA zur Ausbildung von810 Hydrometeorologen ist in den fünf Ländernauf grosses Interesse gestossen und soll bis im Jahre2003 eine nachhaltigere Wassernutzung ermögli-chen. ■

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Investitionen Bis im Jahre 2006 werdendie DEZA jährlich 20Millionen (siehe Artikel),und das Staatssekretariatfür Wirtschaft (seco) 27Millionen Franken für dieProjekte und Programmein Zentralasien einsetzen.Tadschikistan und Kirgi-stan, die zwei ärmstenLänder der Region, habenwichtige Schritte eingelei-tet, um die Liberalisierungder Wirtschaft und die not-wendigen Reformen voran-zutreiben. Die Zusammen-arbeit des seco konzen-triert sich in dieser Regiondenn auch prioritär aufdiese zwei Länder.Kasachstan und Usbekistansind der potenzielle wirt-schaftliche Motor Zentral-asiens und somit die inter-essantesten Länder fürden Schweizer Aussen-handel.

Landwirtschaft und Kleinhandel bieten vielen eine karge Existenz

Baumwolle ist nach wie vor ein wichtiger Rohstoff -trotz massivem Produktionsrückgang

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Eine Welt: Welche gemeinsamen Interessenverfolgen die auf den ersten Blick sehr unter-schiedlichen Länder der Schweizer Stimm-rechtsgruppe in der Weltbank?

Matthias Meyer: Im wesentlichen sind sie daraninteressiert, wie letztlich alle Empfängerländer,möglichst viele und gute Dienstleistungen derWeltbank zu erhalten. Alle sind Transitionsländer,was wiederum grossen Einfluss auf ihre Entwick-lungsproblematik hat. Diese Staaten machten eineeigentliche Revolution von der Planwirtschaft zurMarktwirtschaft und von einem autoritären Staatzur Demokratie durch. Das wohl gravierendsteProblem ist, dass sie sich nicht mehr auf dieSowjetwirtschaft beziehen können. Sie müssen ihrWirtschaftssystem und den Handel unter sehr

ungünstigen Umständen neu ausrichten. DerBruch mit der alten Herrschaft hat zu einer riesi-gen Verminderung des Bruttosozialproduktes undsomit des Wohlstandes der Bevölkerung geführt.Heute herrschen in einigen zentralasiatischen Staa-ten grosse Arbeitslosigkeit und Armut, wie sie seitlanger Zeit in dieser Gegend nicht mehr bekanntwaren. Wir sprechen von Ländern, die – wie imFall von Tadschikistan – ein ähnliches Prokopf-Einkommen wie die ärmsten Länder Afrikas ha-ben.

Was fordern diese Länder?Es geht darum, die Privatisierung voranzutreiben,den Staat zu verbessern oder wo nötig abzubauenund gleichzeitig die Bedürfnisse der ärmsten Be-völkerungsschichten einzubeziehen. Die Weltbanknimmt in diesen Ländern eine ganz spezielle Rolleein. Sie ist nebst dem Währungsfonds der wichtig-ste externe Partner und hat dadurch auch ein sehrweites Aktionsfeld.

Welche heissen Themen stehen in der Welt-bank im nächsten Jahr an?Für die nächsten Jahre stellt sich insbesondere einegrosse Frage: Wie kann die Weltbankpolitik mehrEinfluss auf die Armutsminderung ausüben undgleichzeitig eine selektive Politik betreiben? DieBank hat in den letzten Jahren sehr an Einfluss undGrösse zugenommen. Sie ist heute der wichtigsteinternationale Entwicklungspartner in vielen Sek-toren, von der Wirtschaft bis zur Umwelt undGesundheit. Aber ist eine so starke Stellung wirk-lich gut, und kann man sich es leisten, auf all diesenunterschiedlichen Gebieten spezialisiert zu sein? Ichdenke, die Weltbank sollte selektiver sein, in gewis-sen Bereichen vermehrt andere Partner zum Zugekommen lassen,und gleichzeitig ihre Methoden zurArmutsbekämpfung verbessern. Es ist ein Anliegender ärmeren Länder unserer Gruppe, dass sie ver-stärkt aus den Fehlern lernt, die im Bereich Priva-tisierung und im Aufbau von neuen Sozialsiche-rungssystemen während den ersten Jahren mit denTransitionsländern gemacht wurden.

Scheinbar bunt zusammengewürfelt, und dennoch überwie-gen gemeinsame Interessen: Zur Schweizer Stimmrechts-gruppe in der Weltbank gehören nebst den zentral- und süd-westasiatischen Republiken Aserbaidschan, Kirgistan, Tad-schikistan, Turkmenistan und Usbekistan auch Polen undneuerdings Jugoslawien. Maria Roselli sprach mit Weltbank-Exekutivdirektor Matthias Meyer über diese nicht alltäglicheInteressengemeinschaft.

Die Organisationen derWeltbankgruppeDie Weltbankgruppeumfasst fünf eng verfloch-tene Organisationen:• IBRD: Die InternationaleBank für Entwicklung undAufbau gewährt Darlehenan Entwicklungsländer miteinem relativ hohen Pro-Kopf-Einkommen.• IDA: Die InternationaleEntwicklungsorganisationgewährt Kredite zu Vorzugs-bedingungen an die ärm-sten Entwicklungsländer.• IFC: Die InternationaleFinanz-Corporation unter-stützt den Privatsektor inden Entwicklungsländern.• MIGA: Die MultilateraleAgentur für Investitions-garantien fördert auslän-dische Direktinvestitionenin Entwicklungsländern.• ICSID: Das Zentrum zurBeilegung von Investitions-streitigkeiten fördert inter-nationale Investitionen,indem es bei Meinungs-verschiedenheiten zwi-schen Investoren undEmpfängerländern schlich-tet.

«Die Weltbank sollte selektiver sein»

Matthias Meyer,Exekutivdirektor bei derWeltbank, vertritt dieSchweiz in den Exekutiv-organen der Weltbankund leitet die sogenannte«Schweizer Stimmrechts-gruppe». Im Exekutivorgander Weltbank sind insge-samt 24 Ländergruppenvertreten.

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Das Stimmgewicht der einzelnen Länderinnerhalb der Gruppe ist je nach Kapital-anteil sehr unterschiedlich. Die Schweiz hältalleine mit 1,66 der insgesamt 3.05 Prozentder Stimmrechtsgruppe die Stimmenmehr-heit.Wie werden die Entscheidungen gefällt?Im Konsensverfahren.Wann immer möglich, ver-suchen wir die anderen Mitglieder der Gruppeeinzubeziehen. Aber aus Kapazitätsgründen äus-sern sich die Länder meist nur über Fragen, die sieselbst betreffen. Im Büro der Weltbank oder desWährungsfonds arbeiten Vertreter aller Länder.Diese sind unsere beste Verbindung. In gewissenFällen schreiben wir an die Gouverneure, zudemtreffen wir die Ländervertreter an den Jahresver-sammlungen der Weltbank und des Währungs-fonds und natürlich bei offiziellen Reisen.

Gibt es beim Fällen der Entscheidungen auchSpannungen?Selten. Ich kann ein Beispiel nennen: Polen ist einLand, welches die Weltbank-Dienstleistungen nurnoch beschränkt braucht, aber von ihr ein grossesDarlehen aufgenommen hat, das es noch zurück-zahlen muss. Es versteht sich von selbst, dass Polenals Empfängerland bei der Festsetzung der Zins-sätze für tiefe Sätze plädierte, währenddem dieSchweiz in solchen Fragen finanzpolitisch eherkonservativ ist und sich für die Interessen derWeltbank einsetzt. Das ist ein typischer Interessen-

gegensatz. Man könnte denken, dass grosse Ge-wissenskonflikte entstehen, aber in der Praxis ist esmir bisher nie schwer gefallen, die legitimen Inte-ressen dieser Länder gegenüber der Bank zu ver-treten.

Ist die weltweit wachsende Kritik an derPolitik der Weltbank innerhalb Ihrer Stimm-rechtsgruppe ein Thema?Es ist ganz sicher ein Thema bei uns im Exekutiv-rat, aber weniger in der Stimmrechtsgruppe. Den-noch ist es für uns wichtig, denn es kann diezukünftige Politik beeinflussen. Eines der heiklenProbleme ist die Frage, wie stark sich die Weltbankkünftig noch an schwierigen Infrastrukturprojek-ten beteiligen soll. Diese Interventionen sind mithohen politischen Kosten verbunden. Dennochdenke ich, dass ein Rückzug aus solchen Projekteneiner Art Kapitulation gleichkäme, die wahr-scheinlich für die betroffene Bevölkerung wesent-lich negativere Auswirkungen hätte. ■

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Stellung der SchweizerExporteureDie Schweizer Exporteureprofitieren in einem bemer-kenswerten Mass von denVergaben der Weltbank.Seit der Schaffung dieserInstitution bis zum 30. Juni1999 hat die SchweizerWirtschaft Güter undDienstleistungen in einemGesamtwert von 5,846Milliarden Dollar an dieIBRD und die IDA liefernkönnen.

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Birnen, die in ihren Gärten wachsen. Die Früchte sind von vor-züglicher Qualität, ein Zeichen dafür, dass dort, wo trotz Dürrebewässert werden kann,Tadschikistan ein Paradiesgarten ist.Doch was diese Menschen uns mit einem herzlichen Lächelnanbieten, gehört zum ganz Wenigen, das ihnen noch gebliebenist. Letztes Jahr erlebte Tadschikistan, zusammen mit weitenTeilen Zentralasiens, die schlimmste Dürre seit 70 Jahren. ImSpätherbst war die Situation besonders schlimm: «Wir lebenwie in Afrika», sagt ein Bauer in zerschlissenen Kleidern. «Wirwerden Rebstöcke und Äste von Apfelbäumen verbrennenmüssen, wenn wir im Winter nicht erfrieren wollen.» Erdgaskomme schon seit Jahren nicht mehr in ihre Dörfer.Tadschikistan litt ganz besonders stark unter den Folgen derTrockenheit im letzten Jahr, weil das Land und seine Wirtschaft

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Jungeblodt / laif

Abgestorbene, kohlschwarze Rebstöcke, die aus der ausgetrock-neten Erde ragen, erinnern daran, dass hier einst Weintraubenwuchsen. Unser Fahrer auf der Fahrt von Duschanbe nachSüden Richtung afghanischer Grenze zeigt stumm auf dieÜberreste eines Bewässerungskanals entlang der Bergflankeüber dem ehemaligen Rebberg. Obwohl einst die ärmsteRepublik der Sowjetunion, war Tadschikistan doch ein rechtentwickeltes Land.Selbst in abgelegenen Regionen hatten die Sowjets riesigeBewässerungsanlagen gebaut, um den Anbau von Baumwolle,Trauben und anderen Früchten zu ermöglichen. Heutzutageholt sich die Wüste das einst fruchtbare Land zurück. AmStrassenrand verkaufen Dorfbewohnerinnen und Dorfbewoh-ner den Vorbeifahrenden Granatäpfel, Pflaumen, Äpfel und

Einst Stolz der Sowjetunion, ist Tadschikistan heute das Armenhaus Zentral-asiens. Nach einem fünfjährigen Bürgerkrieg wurde das Land vergangenesJahr auch noch von einer schlimmen Dürre heimgesucht. Momentan kämpftes mit einer schlingernden Wirtschaft, einem verheerenden Bildungsmankound einer zunehmenden Abschottung gegen aussen. Von Max Schmid*.

Wo Granatäpfel blühen und das Elend wächstH

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Anthony Suau / Agence VU

Tadschikistan

durch einen fünfjährigen Bürgerkrieg geschwächtwaren. Das volle Ausmass des jahrelangen Zerfallsund der Isolation sind erst in jüngster Zeit richtigsichtbar geworden.

Neun Franken Lohn pro MonatFachrabad, eine Mutter von fünf Kindern, die ander Strasse bei Schalabad Granatäpfel feilbietet,kann es sich nicht mehr leisten, ihre drei schul-pflichtigen Kinder in die Schule zu schicken: «Wiesollen sie zur Schule gehen, wenn sie keine anstän-digen Kleider und keine Schuhe haben, wenn wirihnen keine Bleistifte und Hefte kaufen können?»Zudem seien viele Lehrerinnen und Lehrer ein-fach weggegangen, die könnten ja nicht mehr vonihrem Lohn leben, fügt eine Nachbarin bei – eineLehrkraft verdient umgerechnet rund neun Fran-ken im Monat.Die Generation der Mütter und Väter erinnert sichnoch daran, wie es einst der Stolz der Sowjet-union war, dass auch arme Republiken wie Tad-schikistan praktisch eine hundertprozentige Alpha-betisierungsrate aufwiesen. Heute gibt es beängsti-gende Anzeichen dafür, dass nach einer Dekadedes Krieges und der Wirren die Zivilisation in die-sem kleinen isolierten Land auf dem Rückzug ist.«Jetzt wird eine Generation erwachsen, die kaumeine Erziehung und Bildung genossen hat. Vielesind tatsächlich ungebildet. Sie haben nichts zu

verlieren. Sie werden zornig sein auf alles und alle,und sie werden kämpfen. Wenn wir diese Gene-ration verlieren, bekommen wir hier ein zweitesAfghanistan», sagt Munira Schahidi, die zur schma-len geistigen Elite des Landes gehört.In der Hauptstadt Duschanbe lässt sich da und dortan vereinzelten neuen Geschäften, Restaurantsund Bauten sowie an den vorbeiflitzenden schi-cken Wagen der Neureichen und Mafia-Bosseablesen, dass Tadschikistans Wirtschaft wächst –wenn auch auf tiefstem Niveau. Im Jahre 2000stieg das Bruttosozialprodukt real um mehr als achtPro-zent. Ein wichtiger Wachstumsfaktor ist dieexport-orientierte Aluminium-Industrie, die ihrenAus-stoss im letzten Jahr um fast ein Drittel erhöhthat.

Unerträgliches LebenAuf dem Lande jedoch ist von Erholung undWachstum nichts zu spüren. Im Gegenteil, dasElend wächst. Die Getreideproduktion sank letztesJahr gegenüber dem Vorjahr um fast die Hälfte undlag mit 255000 Tonnen so tief wie in denschlimm-sten Jahren des Bürgerkrieges. DerGesamtbedarf an Getreide ist viermal höher.Das wichtigste Agrarprodukt ist indes seit Sowjet-zeiten die Baumwolle: Der Süden Tadschikistans,der an Afghanistan grenzt, war eines der Zentrendes Baumwoll-Anbaus der Sowjetunion.

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Auf einem weiten Feld im Chatschk-Tal pflückteine Gruppe von Frauen und Kindern die weissenBüschel von niedrigen Sträuchern. Früher, als dieBewässerung noch gut funktionierte und genü-gend Dünger vorhanden war, waren die Baum-wollsträucher hier fast dreimal so hoch. «Damalswaren riesige Erntemaschinen im Einsatz», erzähltuns Savzagul, die Anführerin der Gruppe. Nichtnur, dass sie jetzt die Baumwolle von Handpflücken, sie müssen die Säcke mit den geerntetenBüscheln jetzt auch selber ins drei Kilometer ent-fernte Dorf tragen, weil die Kolchose nicht genü-gend Diesel hat für die Traktoren und Lastwagen.Den Erntearbeiterinnen wurde wochenlang derLohn nicht ausbezahlt.Männer sieht man keine auf den Feldern: «Siegehen ihren Geschäften nach», antwortet Savzagulzögernd auf die Frage,was denn die Männer arbei-teten. Geschäfte? «Sie sammeln und verkaufenAlteisen und Stahl.» Von anderen Geschäften maghier keine reden, doch Andeutungen werdengemacht. Tadschikistan ist das wichtigste Durch-gangsland von Drogen aus Afghanistan nach Russ-land und dem Westen. Laut UNO werden 60Prozent der afghanischen Rauschmittel durchTadschikistan geschleust. «Unser Leben ist uner-träglich geworden», sagt Savzagul. Dies habe sieauch Präsident Rachmonow gesagt, als dieserkürzlich mit einer Delegation ihre Kolchose be-sucht habe.

Gespannte VerhältnisseEmomali Rachmonow ist 1999 mit 97 Prozentder Stimmen als Präsident wiedergewählt worden.Wie seine zentralasiatischen Kollegen, regiert erdas Land äussert autoritär und nimmt wenigRücksicht auf Menschrechte:Über 50 Journalisten

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Das Ding im AlltagDer GranatapfelGranatapfelbäume, diekaum höher als vier Metergross werden, gehörenzum typischen Erschei-nungsbild tadschikischerDörfer. Der Baum hatseine Heimat in Zentral-asien, wahrscheinlich inPersien. In den fruchtbarenTälern Tadschikistansscheinen Granatäpfelbesonders gut zu gedei-hen. Hier sind die leuch-tend orangeroten Früchte,die reich sind an VitaminC, auch sehr beliebt. DieSchale ist hart, das Innerebesteht aus vielen Samenin einem säuerlich süssenerfrischend schmeckendenMark. Die Früchte werdenfrisch gegessen, oftmalswerden jedoch ihre Kerneauch getrocknet und alsAlternative zu Rosinen ver-wendet. Beliebt ist auchdie Grenadine, der einge-kochte Saft aus frischenGranatapfelsamen.«Granatiniki», wie sie aufrussisch heissen, warenfrüher zusammen mitandern Früchten ein tad-schikisches Exportgut inandere Sowjetrepubliken.

sind in den letzten neun Jahren ermordet worden.Nur wenige Intellektuelle wagen offen Kritik: Zuihnen gehört Dododschon Atowullojew, der imExil lebende Herausgeber der Zeitung TscharogiRus, die im Baltikum gedruckt und in Tadschi-kistan verteilt wird. Atowullojew wirft der tad-schikischen Führung vor, gemeinsam mit den mit-regierenden Islamisten das bitterarme Land aus-zurauben: «Sie teilen sich ausländische Kredite,Hilfsgüter und Erlöse aus dem Rauschgifthandel.»In den letzten zwei Jahren wurde Tadschikistanvon seinen Nachbarn angeklagt, es toleriere dieExistenz von Trainingslagern für islamistische Re-bellen auf seinem Territorium. Die Beziehungenzu Usbekistan und Kirgistan, auf deren Gebiet dieRebellen regelmässig in den SommermonatenAnschläge verüben, sind gespannt. Die Minen, dieUsbekistan entlang seiner Grenze zu Tadschikistanausgelegt hat, und die neu eingeführte gegenseiti-ge Visumspflicht sind nur zwei Elemente einer zu-nehmenden Abschottung der zentralasiatischenStaaten untereinander. Wegen dieser Sicherheits-probleme und der wirtschaftlichen Not hängtTadschikistan stark von russischer Hilfe ab. Alseinziges Land der Region lässt es die Stationie-rung russischer Truppen zu. Rund 10000 russi-sche Soldaten kontrollieren die Grenze zu Afgha-nistan. ■

* Max Schmid ist Korrespondent von Schweizer RadioDRS für die Länder der ehemaligen Sowjetunion. Erlebt und arbeitet in Moskau.

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(bf) Tadschikistan ist eines jener Länder, mit denendie DEZA erst seit relativ kurzer Zeit zusammenarbeitet. Mit Kirgistan gehört es zu den Schwer-punktländern der von der DEZA unterstütztenStaaten in Zentralasien.Während des Bürgerkriegs(1992-97) leistete die Schweiz humanitäre Hilfe.Weil es die politische Situation erlaubte, beganndie DEZA 1998 ein Programm der technischenZusammenarbeit aufzubauen und die humanitäreHilfe stark zu reduzieren. Das Koordinationsbüroin Duschanbe, welches auch für Projekte des secozuständig ist, betreut im Jahr 2001 ein DEZA-Budget von rund vier Millionen Franken.Die DEZA-Projekte konzentrieren sich vorwie-gend auf zwei Tätigkeitsbereiche:

Gouvernanz: Einerseits geht es darum, die Le-bensbedingungen ganz allgemein zu verbessernund die Armut zu bekämpfen. Andrerseits sollendas Funktionieren von staatlichen Institutionenunterstützt, und die Beteiligung der Bevölkerungan Entscheidungsprozessen gefördert werden. Fo-kussiert wird dabei auf «Lokale Entwicklung»,«Justizsystem und Menschenrechte» sowie «Bildung

einer pluralistischen und toleranten Gesellschaft».Dies u.a. mit Projekten welche helfen, Dorf-organisationen aufzubauen, mit Mikrokrediten fürKleinunternehmer und im speziellen für Frauen,oder indem Vertreter der Zivilgesellschaft und derBehörden an einen Tisch gebracht werden und eingemeinsames Vorgehen suchen. Weitere Projektezielen darauf ab, den Aufbau eines unabhängigenJustizsystems zu unterstützen, die Zustände imStrafvollzug zu verbessern oder die Gewalt gegenFrauen einzudämmen.

Soziales: In der osttadschikischen AutonomenRegion Gorno Badakshan wird die soziale Ent-wicklung mit der Unterstützung des Bildungs-wesens (Kindern und Jugendlichen soll eine guteAusbildung gewährleistet werden) sowie des Ge-sundheitswesens (Sicherstellung des Zugangs zurmedizinischen Grundversorgung für die ganzeBevölkerung) gefördert. Gleichzeitig will sich dieDEZA auch auf nationaler Ebene beim Aufbaueines landesweiten funktionstüchtigen Gesund-heitssystems engagieren.

Zahlen und Fakten

NameRepublik Tadschikistan

Hauptstadt Duschanbe 528000 Einwohner

Fläche 143100 km2

Bevölkerung 6,4 Millionen Einwohner(fast die Hälfte von ihnensind weniger als 14 Jahrealt) davon sind:65% Tadschiken 25% Usbeken 3,5% Russen 6,5% andere

Sprachen Tadschikisch (eng ver-wandt mit Farsi, das imIran gesprochen wird),Russisch, Usbekisch

ReligionIslam (mehrheitlich sunni-tisch)

BeschäftigungOffizielle Arbeitslosigkeit:2,6 Prozent (entsprichtsicher nicht der Realität);fast die Hälfte derBeschäftigten arbeitet inder Landwirtschaft, rundein Fünftel in der Industrie

WichtigsteExportprodukteAluminium, Elektrizität,Baumwolle, Früchte

Währung Seit Oktober 2000:Somoni

Tadschikistan und die Schweiz: Lokale und soziale Entwicklung im Vordergrund!

Tadschikistan

Aus der Geschichte8. Jh. Tadschiken erscheinen erstmals als geson-

derte ethnische Gruppe.Arabische Stämme erobern Zentralasien und führen den Islam ein.

9./10. Jh. Die persische Samaniden-Dynastie dehnt ihre Herrschaft über Zentralasien aus.Buchara wird eines der Zentren muslimi-scher Kultur.

13. Jh. Dschingis Khan erobert Tadschikistan und das übrige Zentralasien (Mongolenreich).

14. Jh. Tadschikistan wird dem Reich des turk-stämmigen Herrschers Tamerlan (Timur Lenk) einverleibt.

16.-18. Jh. Während fast drei Jahrhunderten herrscht die Safavid-Dynastie.

1860-1900 Das Land ist geteilt: Den Norden kontrol-liert das zaristische Russland, den Süden derEmir von Buchara.

1917/18 Bewaffnete zentralasiatische Rebellen pro-ben vor dem Hintergrund der Revolution in Russland erfolglos den Aufstand.

1921 Nordtadschikistan wird Teil der AutonomenSozialistischen Sowjetrepublik Turkestan.

1929 Bildung der Sozialistischen Sowjetrepublik Tadschikistan mit – gegen verbreiteten Widerstand – anschliessender Kollektivie-rung der Landwirtschaft.

1989 Oberster Sowjet Tadschikistans erklärt Tadschikisch zur Landessprache.

1990 Nach Demonstrationen für Demokratie wird der Ausnahmezustand ausgerufen.Oberster Sowjet erklärt Souveränität Tadschikistans.

1991 Nach missglücktem Putsch in Moskau erklärt sich Tadschikistan als letzte Sowjet-republik für unabhängig. Beitritt zur GUS.

1992 Demonstrationen gegen die Regierung eskalieren zum Bürgerkrieg zwischen den pro-kommunistischen Regierungskräften und der islamistischen sowie der demo-kratischen Opposition. Zehntausende von Menschen werden getötet, ein Zehntel derBevölkerung in die Flucht getrieben.

1994 Der wichtigste Führer des Regierungs-lagers, Emomali Rachmonow, wird zum Präsidenten gewählt.

1997 Der Krieg endet mit einem von der UNOvermittelten Friedensabkommen. Die Islamisten werden an der Macht beteiligt.Tadschikistan bleibt freilich das am wenig-sten stabile Land Zentralasiens.

1999 Rachmonow wird wiedergewählt.

2000 Wahlen zum Zweikammer-Parlament. Die bisherigen Wahlen sind von internationalenBeobachtern weder als frei noch als fair beurteilt worden.

DuschanbeTadschikistan

China

PakistanIndienAfghanistan

Usbekistan

Kirgistan

Kasachstan

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Eine Welt Nr.4 / Dezember 200120

Zum Glück kann ich zu Fuss zur Arbeit gehen,dennmein Büro liegt ganz in der Nähe. Meine Arbeitliebe ich fast.Weshalb fast? Weil ich jedes Mal vonmeinen Vorgesetzten Vorwürfe ernte, wenn ich zuspät komme.Weshalb sehen die Vorgesetzten immerund überall nur die Verspä-tungen und nicht dieTatsache, dass man beinahe jeden Abend länger da-bleibt,um mehr zu tun, als an einem gewöhnlichenArbeitstag möglich ist? Dabei bezahlen sie dir nichtnur wenig, sondern sehr wenig.Trotzdem bereitetmir meine Arbeit eine gewisse Genugtuung. Amvorherigen Arbeits-platz war mein Engagementgrösser und es gefiel mir nicht nur deshalb besser,weil die Arbeit prestigeträchtiger war, sondern eheraus dem Grunde, dass ich sah, dass Vieles von mirabhängt und ich deshalb alles möglichst gut machenmuss.Aber manchmal muss man einfach weg. Dasmacht dir wie niemand sonst dein Chef klar,wobeier pharisäerhaft deine Vorzüge und Leistungen her-vorhebt,gleichzeitig dein Entlassungsschreiben un-terzeichnend.Nichtsdestotrotz – das Leben ist wunderbar in allenseinen Facetten.Das Leben ist schon dadurch wun-derbar, dass du es besitzt, obwohl es die ungerech-teste Sache der Welt ist.Das Leben ist ungerecht, aber es gibt Momente, daman leben möchte.Ein Kind hat dich auf der Strasseangelächelt, der Hund der Nachbarn bei deinemAnblick mit dem Schwanz gewedelt. Das alles sindangenehme Kleinigkeiten,aus denen das glücklicheBand, der weisse Streifen unseres Lebens besteht.Herrlich, wenn du arbeitest und dabei spürst, dasses nicht umsonst ist, dass man deine Arbeit schätzt.Das kommt selten vor.Während du dich mit et-wasEintönigem beschäftigst,erinnerst du dich plötzlich,dass in der Kindheit, wenn du alleine zu Hausewarst, du für dich selbst Konzerte mit Tanz-einla-gen veranstaltetest. Du warst dabei in einer Person

Bühnenbildner, Regisseur und Hauptdar-stellerdeiner Show.Später wirst du dann der beste Tänzerauf Parties sein und die Mädchen tanzen mit dir,nicht weil du ihnen besonders sympathisch bist,sondern weil du nicht schlecht tanzt.Das Leben ist ungewöhnlich. Es ist rätselhaft undwir spielen immer damit – manchmal spielt es auchmit uns. Man muss weiterleben. Ich will jetzt nichtdas banale «man muss an sich glauben» oder Ähn-liches wiederholen. Nein, man muss einfach lebenund keine Angst davor haben, falsch verstanden zuwerden.Wie sagte der grosse Salvador Dalí: «Habtkeine Angst vor der Vollkommenheit. Ihr werdet sieniemals erreichen.» So bemühe ich mich, mit klei-nen Dingen zufrieden zu sein, aber nach Grossemzu streben. Darin besteht, meiner Meinung nach,der hauptsächliche Sinn und Zweck des Lebens.Und ich mag nicht denken,dass mein ganzes Lebenwie ein Tag vergangen sein wird. Die Tage unter-scheiden sich in der Tat von den vorhergehen-den, man muss sich einfach ständig bemühen, daswahrzunehmen.Am schlimmsten ist doch,wenn esnichts gibt, woran man sich erinnern könnte. Ichhabe mich an was zu erinnern. Das ist manchmal,ganz einfach, ein schöner Sonnenuntergang (habenSie irgendwo einen Sonnenuntergang gesehen, dernicht schön ist?), manchmal ein Blick in DeineRichtung, oder der Anruf eines Freundes, der dirfrüher einmal viel bedeutete und von dem du sein-erzeit dachtest, dass dein Leben sich ausschliesslichum ihn herum abspielen wird. Es kam anders undjetzt denkst du, zum Glück, ohne Emotionen, weildu siehst,dass du dich geirrt hattest und dein Freundauch ohne dich das Glück findet.Lasst uns weiterleben, mit dem Leben spielen, oh-ne jemals die eigenen Niederlagen einzugestehen.

(Aus dem Russischen)

Roman Kozhevnikov,23, ist russischstämmigerTadschike, wohnt inDuschanbe und arbeitetedrei Jahre lang für dashumanitäre Aga KhanProjekt. Heute ist er alsWeb-Designer in einerWerbeagentur tätig: «Ichliebe die Filme von DavidLynch und die Romanevon Stephen King undwerde nächstens stolzerVater.»

Die ungerechteste Sache der Welt

Stimme aus... Tadschikistan

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Allein in Manhattan gibt es wesentlich mehrInternet-Anschlüsse als in ganz Afrika – in einemStadtteil mehr als auf einem ganzen Kontinent.Was hier krass zum Ausdruck kommt, hat einenNamen: «Digital divide». Der digitale Graben istnicht einfach ein weiterer Graben zwischen rei-chen und armen Ländern, zwischen dem Nordenund dem Süden. Er ist mehr und gefährlicher.

Die «alten» Gräben kennen wir: Lebensstandard,Lebenserwartung, Zugang zu sauberem Trink-wasser und Nahrung, Arbeit und Ausbildung.Gegen diese Gräben kämpfen wir von der Ent-wicklungszusammenarbeit an. Erst recht müssenwir gegen den digitalen Graben antreten: Er birgtdie Gefahr, dass arme Länder ausgegrenzt werden,dass sie abgekoppelt werden vom Rest der Welt.Dies ist schmerzlicher als «nur» arm zu sein. Dastönt vielleicht seltsam, ist es aber nicht:Wer keinenZugang zu Informationen hat, hat auch keinenZugang zu Wissen – und läuft damit auch Gefahr,von Entwicklung überhaupt abgekoppelt zu wer-den. Auf meinen Reisen wird es mir immer wie-der vor Augen geführt: Viele Leute werden mitArmut eher fertig als mit Ausgegrenzt-Werden.Um den digitalen Graben zuzuschütten, brauchtes dreierlei. Erstens die Verbundenheit mit der Welt(«Connectivity»). Zweitens die Ermächtigung, d.h.die Möglichkeiten, welche neue Informations-technologien bieten, sollen auch vom Süden ge-nutzt werden können. Drittens geht es darum, lo-kales Know-how von Ländern und Kulturen welt-weit einzubringen.

Die DEZA ist mit ihrer multilateralen Entwick-lungszusammenarbeit hier dabei: Wir engagierenuns stark darin, das Thema im Rahmen derStaatengemeinschaft einzubringen. Ganz konkretunterstützen wir eine Reihe von Programmenund Projekten der Weltbank, des UNO-Entwick-

lungsprogramms UNDP oder der UNESCO.Diese betreffen die Ausbildung von Journalistin-nen und Journalisten oder die Ausrüstung vonUniversitäten. So leistet die Schweiz Beiträge, dendigitalen Graben zu verkleinern.Künftig werden wir dies noch verstärkt tun kön-nen: Die DEZA ist neu im Exekutiv-Komitee der«Global Knowledge Partnership» (GKP) vertreten.Zudem haben wir für zwei Jahre die Präsident-schaft dieses informellen Netzwerkes öffentlicherund privater Institutionen aus dem Norden undSüden übernommen. Die GPK ist 1997 gegründetworden und hat sich einen ausgezeichnetenNamen gemacht in der Debatte zu Chancen undRisiken der Informations- und Kommunikations-technologien aus Sicht der Entwicklungszusam-menarbeit. Die Schweiz möchte besonders dieVertretung der Entwicklungsländer in der GKPstärken. ■

Walter FustDirektor der DEZA

Den digitalen Graben überbrücken

DEZA-Standpunkt

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Zwei EtappenDas Zusammenarbeits-programm zur Verbes-serung der medizinischenNotfalldienste ging in zweiEtappen vor sich. Von1994 bis 1996 finanziertenDEZA und seco mit 5,5Millionen Franken Ausrüs-tung und Ausbildung die-ser Dienste in der Haupt-stadt Bukarest. 1998wurde ein ähnliches Pro-jekt in den DepartementenCluj, Constanta, Dolj, Iasi,Mures und Timis in Angriffgenommen, wo sechsUniversitätsspitäler refor-miert wurden. Für diezweite Phase, die imJanuar 2001 abgeschlos-sen war, setzte die Schweiz9,5 Millionen Franken ein.

(jls) Unweit der Kathedrale von Iasi, im NordostenRumäniens, ringt eine Frau nach einem schwerenVerkehrsunfall mit dem Tod. Jemand ruft die imganzen Departement geltende Notfallnummer 961an. Keine 90 Sekunden später fährt eine Ambulanzlos. Die Verletzte wird ins Spital Sankt Spiridongebracht. Sie wird 24 Stunden von den Notfall-ärzten versorgt, welche ihr Leben retten können.Vor einigen Jahren wäre diese Rettung undenkbargewesen. Kein Spital in Iasi verfügte über eineNotfallabteilung. Weil die klinischen Spezialitätenauf die verschiedenen Einrichtungen aufgeteiltwerden, wäre die Frau, die schwere Schädelverlet-zungen aufwies, zuerst ins Neurochirurgiespitalgebracht worden. Nach der Feststellung, dass zu-erst die inneren Blutungen behandelt werden müs-sen, hätte sie der Notfallarzt wieder in die Am-bulanz verfrachtet und ins Kreisspital bringen las-sen, das am anderen Ende der Stadt liegt.Dieses Szenario wird vom rumänischen Journalis-ten Mirel Bran beschrieben, der den Schlussbe-richt über das Programm zur Verbesserung desmedizinischen Notfallsystems in sechs rumäni-schen Departementen verfasste. Im Auftrag derDEZA und des Staatssekretariats für Wirtschaft(seco), welche das Programm finanzierten, fassteder Autor die auf technischer und konzeptuellerEbene erzielten Resultate zusammen.

Die Mentalität verändern Die Umstellung der Alarmzentralen auf EDV unddie Modernisierung der Kommunikationsmittelreduzierten die Zeitspanne zwischen einem Tele-fonanruf und der Ankunft der Ambulanz amUnfallort beträchtlich. Mit Finanzhilfe der Welt-bank wurden die alten Dacia-Kombiwagen, dieohne irgendwelche medizinische Ausrüstung unter-wegs waren, durch richtige, voll eingerichteteAmbulanzen ersetzt. Nach der Ankunft im Spitalkommen die Kranken in autonomen Aufnahme-stationen in professionelle Behandlung. Ärzte,Krankenschwestern und das Ambulanzpersonal er-hielten die nötige Ausbildung.«Dank diesem Programm hat Rumänien zumersten Mal ein umfassendes medizinisches Notfall-system, das auf die Patientinnen und Patienten aus-gerichtet ist. Die materielle Hilfe ist zwar unab-dingbar, sie kann aber einen Dienst nur verbessern,wenn sie von einem Umdenken begleitet ist»,schliesst Mirel Bran. ■

(Aus dem Französischen)

Die Alarmzentralen sind baufällig, die Ausrüstung fehlt unddie veralteten Ambulanzen fahren verspätet ab... Die Situationder medizinischen Notfallabteilungen in Rumänien war bis vorkurzem so prekär, dass viele Kranke dort ihr Leben lassenmussten. Dank einem Schweizer Programm konnten in Bu-karest und sechs Departementen leistungsfähige Systemeeingerichtet werden.

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Die Schweiz hat ein Nord-Süd-Forschungszentrum eröffnet.Mehrere wissenschaftliche Institute werden die Auswirkun-gen der weltweiten Veränderungen und mögliche Strategienzu deren Milderung studieren. In Partnerschaft mit lokalenForscherinnen und Forschern werden sie in acht Regionenarbeiten, wo diese Syndrome Bevölkerung und Umwelt bedro-hen.

Gemeinsam wissen, gemeinsam forschen

(jls) Das Netz wurde im Juni geschaffen, alsNational- und Ständerat eine Weiterführung derBudgets für die Nationalen Forschungsprogramme(NFP) beschlossen. Damit kann der Nationalfondszur Förderung der wissenschaftlichen Forschungdie Forschungskosten in der Schweiz überneh-men. Die DEZA ihrerseits finanziert die Beteili-gung der Institutionen in den Partnerländern.«Dass Wissen das Wohlergehen fördert, ist unbe-stritten. Wir messen den Anstrengungen zumAbbau der Ungleichheiten zwischen Nord undSüd in diesem Bereich grosse Bedeutung zu»,betont Daniel Maselli von der DEZA.Das Zentrum Nord-Süd, für das eine Laufzeit vonzehn Jahren vorgesehen ist, wird vom Zentrum fürEntwicklung und Umwelt (CDE) der UniversitätBern koordiniert. «Unser Projekt baut auf einerbereichsübergreifenden Analyse der Syndromeauf», betont Hans Hurni, Direktor des Zentrumsund Co-Direktor des CDE. Das Vorgehen nachEinzeldisziplin reicht nicht mehr aus, um die Än-derungen zu studieren, welche heute die Strukturder Erde bedrohen. «Ein Arzt muss nicht nur miteinem Tierarzt, sondern auch mit einem Ethno-logen oder einem Agronomen zusammenarbei-ten», führt Hurni aus.

Auslöser für KrisenAls «Syndrom» bezeichnet man die Anhäufungverschiedener, eng miteinander verbundener Pro-bleme, die in einem bestimmten Kontext auftre-ten. So tritt die Wüstenbildung – das «Sahel-Syn-drom» – in semi-ariden Zonen auf. Sie ist dieFolge von Wassermangel in Verbindung mit einerÜbernutzung der Böden und einer übermässigenAbholzung zur Energiegewinnung. Die Syndro-me der weltweiten Veränderungen führen im All-gemeinen in den Entwicklungs- und Transitions-ländern zu schweren Krisen.Die Arbeiten des Zentrums befassen sich mit dreiwichtigen Syndromen: der Wüstenbildung, derVerstädterung und den Risiken in den Bergge-bieten. Sie werden in wissenschaftlichen Partner-schaften mit lokalen Instituten in acht Regionendurchgeführt – drei in Afrika, drei in Asien undzwei in Lateinamerika. Die Forscherinnen undForscher studieren die Auswirkungen zahlreichergrundlegender Probleme wie institutionelle Hin-dernisse, Konflikte, Armut, ansteckende Krank-heiten, Wasserknappheit, Verschlechterung derBöden usw. ■

(Aus dem Französischen)

Ein weltweites NetzDem NFP Nord-Süd gehö-ren sieben SchweizerInstitutionen an: das CDE,die eidgenössische Anstaltfür Wasserversorgung,Abwasserreinigung undGewässerschutz (EAWAG-EPFZ), das Schweize-rische Tropeninstitut, dasForschungs-Institut fürUrbanisierung (IREC-GPFL), das Universitäts-institut für Entwicklungs-studien (IUED), dieSchweizerische Friedens-stiftung und die UniversitätZürich. Dazu kommt eineAnzahl kleinerer Partner,welche für Spezialauf-gaben hinzu gezogenwerden können. Im Sü-den, wo das Zentrumregelmässig mit einerGruppe anerkannter Insti-tutionen zusammenarbei-tet, wird nach dem glei-chen Prinzip verfahren,während gleichzeitig jenach Bedürfnis zusätzlicheFachleute anderer Partnerzugezogen werden kön-nen.Jo

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(jls) Das Treffen findet alle zwei Wochen aufeinem schattigen Dorfplatz statt. Ein DutzendBangla-descherinnen aus den ärmsten Schichtensitzt in ihren Saris vor der Ausbildnerin auf demBoden. Einige etwas unsichere Ehemänner hörenaus sich-erer Distanz den Diskussionen zu.Heute spricht die Gruppe über das Gesetz, dasden Frauen einen Drittel der Sitze in den neuenLo-kalräten reserviert: seine Auswirkungen, dasnötige Verfahren will frau sich zur Wahl stellen,und die Aufgaben, welche die Gewählten zuerfüllen haben. Bei einem nächsten Treffen wirddie Aus-bildnerin erklären, über welche Kanäledie Be-völkerung ihre Forderungen an dieLokalregie-rung stellen muss, oder wie dieFrauen eigene politische Netze aufbauen kön-nen.Auch die Rechte der Frauen, die in der sehrpatriarchalischen islamischen Tradition ziemlichabschätzig behandelt werden, werden zur Sprachekommen: die Teilnehmerinnen werden merken,dass sie das Recht auf Meinungsäusserung haben,bei der Erziehung der Kinder mitreden können,frei wählen und auch Anzeige gegen Gewalt inder Ehe erstatten können.

Neulinge an der MachtIn zehn Distrikten Bangladeschs nehmen zahlrei-che solche Gruppen am Projekt der DEZA teil.«Die lokale Demokratie soll über die Frauen ge-stärkt werden. Die Bangladescherinnen, die in dertraditionellen Gesellschaft überhaupt keine Machthaben, müssen Selbstvertrauen entwickeln. Ohnedies können sie die Rolle nicht spielen, die ihnendie neue Gesetzgebung zuspricht», erklärt DEZA-Programmleiterin Véronique Hulmann.Bei einem anderen Teil des Projekts geht es um dieAusbildung der Gewählten. Im Dezember 1997brachten die ersten Lokalwahlen Zehntausendevon Menschen an die Macht, welche keine Erfah-rung in der Regierungsführung hatten. DieGewählten beiderlei Geschlechts müssen lernen,worin ihre Rolle, ihre Rechte und ihre Pflichtenbestehen.Véronique Hulmann: «Diese Ausbildunghilft ihnen zu verstehen, dass ein gewähltes Gre-mium die Interessen der Bevölkerung vertritt unddieser Rechenschaft schuldig ist. Es fasst seineEntschlüsse nach Beratungen mit den Organender Zivilgesellschaft. Und wenn die Entschlüssegefasst sind, informiert es die Öffentlichkeit.» ■

(Aus dem Französischen)

Seit 1997 werden in Bangladesch die Macht dezentralisiertund Regierungsstrukturen auf lokaler Ebene aufgebaut. Umvon dieser für sie neuen Demokratie profitieren zu können,muss die Landbevölkerung deren Mechanismen lernen. EinSchweizer Projekt bietet den Frauen politische Schulung anund bildet die gewählten Volksvertreterinnen und -vertreter inder guten Leitung von öffentlichen Ämtern aus.

LaufendeDezentralisierung Das Parlament Bangla-deschs verabschiedete1997 eine Gesetzgebung,welche die Stärkung derlokalen Verwaltung aufdem Land zum Ziel hat. Eshat einen Prozess eingelei-tet, der die Volkswahl vonRäten auf vier Regierungs-ebenen umfasst: Dörfer,Unionen, Thanas (Unter-Distrikte) und Distrikte. Injeder dieser Strukturenmuss ein Drittel aller Sitzevon Frauen besetzt wer-den. Zur Zeit gibt es Räteerst auf Ebene der Unio-nen – Einheiten von rundfünfzehn Dörfern. DieWahlen fanden im Dezem-ber 1997 statt. Damalsübernahmen dank derQuotenregelung rund 14000 Frauen öffentlicheFunktionen.

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Zur Weltbank(sia) Pietro Veglio ist vomBundesrat zum neuen SchweizerExekutivdirektor bei der Welt-bank ernannt worden. Er wirdsein Amt als Nachfolger vonMatthias Meyer am 1.April 2002antreten.Veglio ist gebürtigerTessiner und hat an derUniversität Freiburg Ökonomiestudiert. Er trat 1969 in denDienst der Schweizer Entwick-lungszusammenarbeit, wo ersowohl in Bern wie im Auslandmehrere leitende Funktioneninne hatte. Zur Zeit leitet er inder Direktion der Entwicklungs-zusammenarbeit der OECD inParis die Abteilung Prüfung derHilfe und Nachprüfung derPolitiken.

Zur Frauenweltbank (ik) Seit dem 1.August arbeitetKathryn Imboden als politischeBeraterin (Policy Advisor) fürdie Frauenweltbank «Women’sWorld Banking» (WWB) inNew York. Die WWB ist einweltweites Netz, dem 40

Finanzinstitute angehören. IhrZiel: eine höhere Beteiligungvon Frauen mit tiefem Ein-kommen an den wirtschaftlichenErrungenschaften. BevorKathryn Imboden in den Dienstder WWB trat, arbeitete sie inverschiedenen Ländern imBereich der Förderung vonMikrofinanzierung auf lokalerEbene. Seit 1986 war sie bei derDEZA in der Abteilung Themenund Fachwissen angestellt.

Leiterin AZO(gn) Am 1. Oktober übernahmTheresia Adam die Leitung derAbteilung für die Zusammen-arbeit mit Osteuropa und derGUS (AZO), gleichzeitig wurdesie zur Vize-Direktorin derDEZA ernannt. Die Agronominarbeitet seit 1987 bei der DEZA,wo sie zuerst als Programm-beauftragte der Sektion West-afrika tätig war und anschlies-send während vier Jahren dasKoordinationsbüro in Niamey(Niger) leitete. Seit April 1999war Theresia Adam stellvertre-

tende Leiterin der Sektion Na-türliche Ressourcen und Umwelt.

Tolerantere Kids dank TV(bf) «Nashe Maalo», zu Deutsch«Unsere Nachbarschaft», heissteine mehrsprachige Fernsehserie,welche bei den albanisch, maze-donisch, türkisch und roma spre-chenden Kindern in Mazedo-nien den Sinn für Toleranz för-dern soll, und welche die DEZAzu einem wesentlichen Teil mit-finanzierte (siehe «Eine Welt»Nr. 3/2000). Eine Untersuchungbei 240 Kindern über den Bil-dungswert der Serie (durchge-führt u.a. vom Institut für Sozio-logie der Universität Skopje)zeigt «erfreuliche Resultate imHinblick auf eine bessere undfriedlichere Zukunft». Nicht nurstellte man generell bei denKindern der verschiedenenEthnien eine zunehmendeOffenheit gegenüber andersspra-chigen Jugendlichen fest, auchwurden beträchtliche Vorurteileabgebaut und festgefahreneMuster hinterfragt.

Auf zur Welt (gnt) Überraschend starkePräsenz für die DEZA an denSommer-Festivals in der West-schweiz: Ein kleiner Klebermit einem leicht veränderten«Notausgang»-Piktogrammwurde zum Kultobjekt am PaléoFestival Nyon und am Festiv’alpeChâteau d’Oex. Insgesamt wur-den davon über 35000 TausendExemplare verteilt. BesondersJugendliche reagierten positivdarauf. Das Motiv des WerbersUrs Näf mit der Botschaft«gemeinsam für die Eine Welt»lässt verschiedene Bild-Interpre-tationen und Applikations-möglichkeiten zu. In zweiterLinie verbirgt sich hinter derSolidaritätsbotschaft auch einHinweis auf die Website derDEZA, www.deza.admin.chDiese ist nun mit einer neuenArchitektur aufgestartet, welcheauch Ressourcen für denBildungsbereich enthält.

Einblick DEZA

Was eigentlich ist... gebundene/ungebundene Hilfe?(bf) Von gebundener Hilfe in Zusammenhang mit der Ent-wicklungszusammenarbeit redet man, wenn die Lieferung vonGütern und Dienstleistungen, welche aus der öffentlichen Ent-wicklungshilfe finanziert werden, auf nationale Unternehmenbeschränkt ist. Ungebunden ist die Hilfe dann, wenn die Güterund Dienstleistungen auf dem internationalen Markt beschafftwerden können. Obwohl auch gebundene Hilfe nicht bedeutet,dass auf ein Ausschreibungsverfahren verzichtet wird, ist auf-grund des grösseren Kreises von Anbietern und Lösungen dochzu erwarten, dass von einer Entbindung der Unterstützungeine Stärkung von Qualität und Effizienz der Hilfe ausgeht. Imvergangenen Frühling haben denn auch nach zähen, fast dreiJahre dauernden Verhandlungen, die Mitgliedsländer des Ent-wicklungshilfeausschusses (DAC) der Organisation für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eineEmpfehlung verabschiedet, wonach die Hilfe an die am wenig-sten entwickelten Länder von der Lieferbindung abgekoppeltwerden soll. Die Schweiz hat sich ebenfalls für dieses Anliegeneingesetzt. Diese Abkoppelung, welche die schweizerischeEntwicklungshilfe schon heute erfüllt, ist ein konkreter Schritt

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hin zur Realisierung einer Entwicklung, welche auf einer wirk-lichen Partnerschaft zwischen Geber- und Empfängerländernaufbaut.

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Eine internationale Konferenz über «Finanzierung von Ent-wicklung» soll neue Massstäbe setzen. Bruno Gurtner von derArbeitsgemeinschaft Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle,Helvetas und Caritas sowie Régis Avanthay, Dossierverant-wortlicher «Monterrey» bei der DEZA, äussern sich im Ge-spräch mit Gabriela Neuhaus zu Perspektiven und Möglich-keiten einer künftigen effizienteren Förderung der ärmstenLänder.

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Eine Welt: Die Konferenz von Monterrey hateine sehr breite Agenda (siehe S.28). Wo liegt inIhren Augen der vordringlichste Handlungsbedarf?

Bruno Gurtner: Für mich ist das Zusammen-wirken aller sechs Themenbereiche zentral – einesolche Gesamtschau hat in der entwicklungspoliti-schen Diskussion der letzen Jahre gefehlt.

Régis Avanthay: Für uns ist vor allem wichtig,dass die öffentlichen Entwicklungsgelder heute alseine von sechs Finanzierungsquellen für Entwick-lung gesehen werden und nicht mehr als die ein-zige Quelle. Darüber hinaus sind Fragen der natio-nalen wie internationalen Gouvernanz von grosserBedeutung; die Forderung nach einer Symmetrieder «guten Politik» auf nationaler wie auf interna-tionaler Ebene wird immer lauter.

Eine Welt: Öffentliche Entwicklungsgelder habenein klares Ziel – dies ist bei den anderen Finanzie-rungsquellen, wo heftige Interessenkonflikte auf-einander stossen, weniger deutlich.Wie realistischist es zu erwarten, dass in Bereichen wie Handeloder internationale Investitionen Regelungenzugunsten der Ärmsten zustande kommen undgreifen?

Gurtner: Steter Tropfen höhlt den Stein. Dieszeigt das Beispiel der Entschuldung, wo ständigerDruck von aussen langsam etwas bewirkt hat.

Noch nicht genug, aber immerhin hat man gese-hen, dass in diesem Bereich drängende Problemegelöst werden müssen. So kann man auch auf an-deren Gebieten viel erreichen. Das Thema Armutund Handel wäre noch vor drei oder vier Jahrenniemals an einer WTO-Ministerkonferenz disku-tiert worden. Nun ist es auf dem Tisch und Köhlerwie auch Wolfensohn, die Direktoren vomInternationalen Währungsfonds und von der Welt-bank sagen, dass hier etwas geschehen müsse. Sokommt doch einiges ins Rollen.

Avanthay: Im Gegensatz zu früheren Konferen-zen ist man daran, für Monterrey eine breitemultilaterale Allianz zu bilden: Im Rahmen derVorbereitungstreffen waren die Institutionen vonBretton Woods und der OECD anwesend undhaben sich engagiert, zudem war auch die Privat-wirtschaft vertreten. Dass wir diese breite Allianzzustande bringen, ist entscheidend. Dabei versteheich die Konferenz von Monterrey nicht als End-ziel, sondern als Start.

Gurtner: Vollkommen einverstanden. Die Ent-wicklungsziele 2015 fordern eine Halbierung derZahl der absolut Armen (jener die mit 1 Dollarpro Tag leben müssen) sowie die Reduktion derKinder- und Müttersterblichkeit, einen Zugangzur Primarschulbildung sowie ausreichendeGesundheitsversorgung für alle. Wenn wir dieserreichen wollen, müssen auf allen Ebenen die

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notwendigen Massnahmen getroffen werden. Indiesem Sinn hat die Konferenz etwas Gutes, aberes gibt auch Risiken. Zum Beispiel, was wir auchschon gesehen haben, dass die verschiedenen In-teressenlager je vom anderen etwas fordern, selberaber nicht bereit sind, zu geben.

Avanthay: Ein weiteres Risiko sehe ich darin,dass statt konkreter Beschlüsse, auf die man sichauch kurzfristig stützen kann, eine Politik der«interessanten Statements» betrieben wird. Des-halb wollen wir im Rahmen der gegebenen Ober-themen Teilbereiche konkret angehen. Ein zentra-les Thema ist für uns die «ökonomische Gouver-nanz», die zuwenig gewichtet wird. Dabei müsstezum Beispiel die Besteuerung prioritär beachtetwerden. Einkommens- wie auch Vermögens-steuern sind Quellen, die in den Entwicklungs-ländern ungenügend genutzt werden.

Gurtner: In der Tat werden in vielen Länderndiese Möglichkeiten nicht genügend ausgeschöpft.Dabei stellt sich aber gleich die Frage nach denweltweiten Mechanismen, die diese Ausschöpfungverhindern. Alle Länder wollen multinationaleKonzerne und reiche Einzelpersonen anziehen.Dieser internationale Steuerwettbewerb führt gro-teskerweise zu immer tieferen Steuern für Multisund für Reiche. – Eine Studie der britischen Ent-wicklungsorganisation Oxfam schätzt, dass dieEntwicklungsländer so pro Jahr 50 MilliardenDollar verlieren. Dies entspricht ungefähr demBetrag der öffentlichen Entwicklungsgelder. Off-shore-Zentren, die transnationalen KonzernenUnterschlupf bieten, sind hier mitverantwortlich,aber auch die Schweiz ist ein bekannter Steuer-fluchthafen.Wenn wir die «ökonomische Gouver-nanz» zum Thema machen, dann müssen auchdiese Probleme gelöst werden.

Avanthay: Dies zeigt, wie durch das Verhalten desNordens oft grosse Summen für die Entwicklungverloren gehen. Es gibt ein noch erschreckenderesBeispiel: die Länder des Nordens subventionierenihre Landwirtschaft mit rund 300 MilliardenDollar pro Jahr – die Gesamtsumme des Bedarfs anEntwicklungsgeldern im Agrarbereich beträgtzwischen 40 und 45 Milliarden Dollar. Die inter-nationalen landwirtschaftlichen Forschungszen-tren (CGIAR) erhalten jährlich 253 Millionen.Wenn man diese Zahlen vergleicht wird klar:Schon eine Kürzung der Export-Subventionenum blosse zehn Prozent, würde fast ausreichen, umdie Agrarentwicklung zu finanzieren...

Eine Welt: Was kann hier die Konferenz inMonterrey ändern? Was sind Ihre Hoffnungen undErwartungen?

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Gurtner: Ich erhoffe mir einen Kickoff, eine Be-lebung der weltweiten entwicklungspolitischenDebatte, die in den letzten Jahren etwas an Ortgetreten ist. Und dann bin ich glücklich, wenn 10oder 20 konkrete Massnahmen auf den Schlittenkommen und dieser an Fahrt gewinnt.

Avanthay: Ich hoffe sehr, dass die multilateraleAllianz mit einer echten Nachfolgestruktur zu-stande kommt, so dass sich die beteiligten Insti-tutionen regelmässig treffen und weiterarbeitenkönnen. In diesem Zusammenhang setze ich auchauf einen langfristigen Dialog mit breiten Teilender Gesellschaft, insbesondere auch mit der Privat-wirtschaft zu Fragen wie Entschuldung, Kapital-fluss etc. In diesen Bereichen muss sich die Privat-wirtschaft mitengagieren. Und zum Dritten hoffeich, dass diese Konferenz eine andere Dynamikhaben wird, als die klassischen UNO-Konferen-zen. Zurzeit bestehen solche Hoffnungen... ■

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Die Konferenz vonMonterreyDie Konferenz zur «Finanzie-rung von Entwicklung»konnte erst nach langemHin und Her definitiv fest-gelegt werden, auf Druckder USA ist sie keine offi-zielle UNO-Konferenz,sondern wird als «hoch-rangiges zwischenstaat-liches Treffen» deklariert.Sie findet vom 18. bis 22.März 2002 in Monterrey(Mexiko) statt – ihre Agen-da ist in sechs Themen-bereiche unterteilt:

1. Mobilisierung einheimi-scher Ressourcen: DieLänder sollen durch geeig-nete Massnahmen z.B.ihre eigenen Steuerein-künfte verbessern

2. Mobilisierung internatio-naler privater Ressourcen:Förderung langfristiger

internationaler Privat-investitionen

3. Handel: Exportprodukteaus Entwicklungsländernsollen in Industrieländernbesseren Marktzugangerhalten

4. Öffentliche Entwick-lungsgelder: Effizienzstei-gerung durch bessereKoordination und Zusam-menarbeit unter den ver-schiedenen Akteuren

5. Schulden: Die Entschul-dung der ärmsten Ländersoll weiter gefördert undverstärkt werden

6. Systemische Probleme:Bessere Transparenz inder internationalen Wirt-schaftspolitik, internationalverbindliche Regelungenz.B. für den Geldmarkt

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Hören wir den Namen zum ers-ten Mal, wissen wir nicht, was esist. Hören wir die Beschreibung,können wir es fast nicht glauben.Und sehen wir es mit eigenenAugen, sind wir für immerverändert. Noma ist eine Krank-heit, die nicht nur unentfernbareNarben auf dem Gesicht seinerkleinen Opfer hinterlässt, son-dern bei denen, welche ihr be-gegnen, für immer nachwirkt:Man schämt sich, nichts davongewusst zu haben, man ist ent-setzt, dass so etwas im 21. Jahr-hundert noch möglich ist, manversteht nicht, dass so wenigehumanitäre Organisationen sichdamit befassen.

Jedes Jahr werden, ohne dass mansich gross darum kümmert, rund100000 Kleinkinder in den ärm-sten Gegenden Asiens, Latein-amerikas und im Afrika südlichder Sahara in inakzeptabler WeiseOpfer von Mangelernährung,mangelnder Hygiene und Un-wissenheit. Nach einer Zahn-fleischentzündung, die unbe-merkt über ein Geschwür mitWundbrand zu einem Wangen-ödem wird, geht es nur ein paarTage, bis die Entzündung wegender geschwächten Abwehrkräftenicht mehr geheilt werden kann.Und doch würde während dieserZeit eine gewöhnliche Therapiemit Antibiotika genügen, um denVerlauf der Krankheit zu unter-

brechen.Aber das weiss nie-mand ... Das Kind muss erleben,wie das Gewebe in seinem Ge-sicht, an Wangen und Knochen,zunehmend abstirbt und so dersogenannten zivilisierten Welt daswahre Gesicht des Elends zeigt:grauenhaft, abstossend, inakzepta-bel. Rund 20 Prozent der Opferüberleben, zahlen aber dafür denPreis eines unerträglichen Lei-dens: mit klaffenden Wunden imGesicht, zusammengezogenenNarben, welche das Gebiss blo-ckieren und eine normale Nah-rungsaufnahme verhindern, mitSchwierigkeiten beim Atmen,sozialem Ausschluss wegen derabstossenden Folgeerscheinun-gen. Kinder ohne Gesichter –wussten Sie, dass es das gibt?

Weil Noma nicht ansteckend ist,hat es für niemanden Priorität.Weil die Krankheit direkt mitMangelernährung und mangeln-der Hygiene zusammenhängt,scheint sie ein unlösbares Pro-blem zu sein. Sie ist aber einSymbol: das Symbol der unglei-chen Entwicklung unserer Welt,mit einer Wegwerfgesellschafteinerseits und hungerndenMenschen andererseits, mit ultra-moderner Technologie und tota-ler Armut. Es ist das Symbolunserer Kurzsichtigkeit, denn wirvergessen, dass die Menschheitkeine grossen Fortschritte ma-chen kann, wenn drei Viertel da-

von nichts davon haben.Wennwir Alarm schlagen, ist das nichteine Frage naiver Solidarität, son-dern vielmehr eine Frage derSicherheit für die Zukunft unse-rer Erde.

Im Fall von Noma haben Chi-rurgenteams begonnen, ihre afri-kanischen Kolleginnen und Kol-legen zu unterrichten, wie dieentstellten Kinder vor Ort ope-riert werden können. Nicht-regierungsorganisationen (NGO)wie Sentinelles, HilfsaktionNoma und Hymne aux Enfantsreisen durch den Sahel, um denMüttern zu zeigen, wie sie dieKrankheit in einem noch heilba-ren Stadium erkennen können.Winds of Hope, die von BrianJones, Breitling und mir nachunserer Weltumfahrung imBallon gegründete Stiftung, hatsich zum Ziel gesetzt, die breiteAufmerksamkeit der Medien anunserem Projekt BreitlingOrbiter zu nutzen, um Noma beiEntscheidungsträgern aus Politikund Finanzwelt besser bekanntzu machen.Ausserdemunterstützt Winds of Hope jedesJahr Projekte verschiedenerNGOs mit einem finanziellenBeitrag. Im Niger finanziert dieOrganisation das nationaleProgramm zur Prävention undfrühzeitigen Erkennung vonNoma. Das Programm soll 2200Gesundheitsverantwortliche, alsopraktisch in jedem Dorf einePerson, für das Problem sensibili-sieren und ihnen zeigen, wie siedie ersten Symptome der Krank-heit erkennen können. Danachsollen die Aktionen auf andereLänder ausgedehnt werden, indenen sie ebenfalls nötig sind.

Wenn wir dank der Weltum-fahrung im Ballon auf dem Wegder menschlichen Würde einenSchritt weiterkommen, dannkann man unsere Fahrt wirklichals einen Erfolg betrachten. ■

(Aus dem Französischen)

Noma, das Gesicht des Elends

Carte blanche

Bertrand Piccard ist weltbe-kannt, seit ihm 1999 die ersteununterbrochene Ballonfahrtrund um die Welt gelungen ist.Der Waadtländer Psychiater, dereiner bekannten Forscherfamilieentstammt, wird aus allen Welt-gegenden gebeten, Vorträgezu halten oder an Anlässenteilzunehmen. Er ist ausserdemfliegender Botschafter desBevölkerungsfonds der Verein-ten Nationen. Das Buch, das ermit seinem Kollegen der Ballon-fahrt, Brian Jones, geschriebenhat, Le Tour du monde en 20jours, ist ein in neun Sprachenübersetzter Bestseller gewor-den. Piccard ist Präsident derhumanitären Stiftung Winds ofHope, welche die finanziellenAuswirkungen dieses Erfolgsund die Aufmerksamkeit in denMedien für den Kampf gegendie vergessenen Leiden der Weltnutzt.

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Eine Welt Nr.4 / Dezember 2001Eine WeltNr.2 / Juni 2001

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Von der Nähedes FernenMärchen, Zauber, Magie, Tausendundeine Nacht ist meist der erste Gedanke,der Mitteleuropäern kommt, wenn von arabischer Literatur gesprochen wird.Doch dieser Gedanke genügt für die zeitgenössische arabische Literatur nichtmehr, denn diese geht weit darüber hinaus. Von Hartmut Fähndrich*.

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Etwas ist wesentlich für dieseLiteratur, die moderne arabi-sche, etwas, das sie gemein hatmit einigen anderen, etwasaber auch, wodurch sie sichvon vielen anderen Literatu-ren unterscheidet: Hinter ihrsteht eine eineinhalbtausend-jährige Schriftkultur, eineimmense Literatur, die auf dieZeit kurz vor dem Erschei-nen des Islam Anfangs des 7.Jahrhunderts n.Chr. zurück-geht, dann aber besonders mitdiesem, bzw. zu dessen Zeiteine bemerkenswerte Ent-wicklung angetreten hat. ImRahmen von Poesie undProsa, als Geschichtsschrei-bung und wissenschaftlicheAbhandlung, als theologischeund staatsrechtliche Werke, als

Fürstenspiegel oder Erzählun-gen aus den besagten, denberühmtberüchtigten Tau-sendundeine Nacht, hat sichin den Jahrhunderten nachdem Auftreten des Islam eingrosser literarischer Reichtumentwickelt, ein Kanon vonFormen und Stilen, ja sogarInhalten.Trotz dieses historischen Ge-wichts, das an ihr hängt, istdie arabische Literatur heuteeine Literatur wie viele ande-re, in der, manchmal mehr,manchmal weniger erfolg-reich, die Welt, das Leben, dieUmgebung erfasst und mitsprachlich stilistischen Mittelngestaltet werden. Es ist eineLiteratur, die sich seit densechziger Jahren vielfältig

gewandelt und vielfach vari-iert hat, so dass es inzwischenlängst schwer fällt, im Singularvon arabischer Literatur zureden, die sich immerhin, wiedie arabische Welt, von Mau-retanien bis Oman erstrecktund auch noch einige Ortedes Exils miteinschliesst.

Entfremdung der UmgebungIn diesen Ländern, die diearabische Welt ausmachen,gibt es, neben vielen Paralle-len, durchaus unterschiedlicheEntwicklungen. Die Einheitist ein politisches Postulat,eine Forderung, wie es seinsollte. Die Wirklichkeit siehtoft sehr anders aus, weil bei-spielsweise die GeschichteMarokkos und des Irak nicht

identisch verlaufen ist. Und sokommt es, dass auch literari-sche Stilarten unterschiedlichsind, dass der Einfluss derfranzösischen Kultur dort,derjenige der anglo-amerika-nischen hier stärker ist.Indessen gibt es Gemeinsam-keiten: die Literatursprache,die im Prinzip überall diegleiche ist; das arabischeliterarische Erbe; die Gesell-schafts- und Herrschafts-strukturen, die vielfach grosseÄhnlichkeiten aufweisen.Dadurch ähneln sich auch dieThemen, die in Romanen,Kurzgeschichten,Theater-stücken und Gedichten inmannigfaltigen Stilartenbehandelt werden: Das Ver-hältnis zum Westen ist das

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Hauptthema seit dem Ent-stehen der zeitgenössischenarabischen Literatur; dazukommt das Erlebnis derEntfremdung von der eige-nen, gewohnten Umgebung.Die Situation der Frau unddas Gefängnis sind die beideninnenpolitischen Themen, diesich mit dem Gesellschafts-und dem Machtgefüge aus-einandersetzen.Auch derKrieg ist angesichts der politi-schen Situation in der arabi-schen Welt ein brennendesThema. Schliesslich finden«moderne» Themen wie dieÖkologie mehr und mehrihren Weg in die Belletristik;die Zerstörung der Umge-bung wird auch in der arabi-schen Welt immer deutlicherwahrgenommen.Überraschend mag uns er-scheinen, dass die Religion

keinen sehr hohen Stellen-wert als Gegenstand der Lite-ratur hat. Der Grund liegtwohl darin, dass die Autorensie nicht für vorrangig halten,sondern als ein Element untervielen im täglichen Leben inder islamischen Welt, und dassihnen andere Themen wichti-ger erscheinen.

Das Allerprivateste nicht sospannendEin Phänomen indessen istzur Zeit dem literarischenAusdruck in der ganzen Re-gion gemeinsam, der Drangzum Autobiografischen. DieErklärung für diese Fülle lässtsich wohl irgendwo zwischenzwei Extremen finden, zwi-schen der Selbstbestätigung,dem Versuch, sich den ande-ren zu zeigen, wie man selbstist oder sich zumindest sieht,

und der Nostalgie, dem Ver-such zurückzublicken undsich an einer Vergangenheitfestzuhalten, die dabei ist zuverschwinden, also angesichtsder ungeheuren Veränderun-gen von einer Zeit zu träu-men, die auf die eine oderandere Art besser gewesensein soll.Sicher lässt sich diese Fülleautobiografischer Texte nichtauf die eine oder andereTendenz festmachen.Schliesslich handelt es sichdabei um je individuelleAussagen der Autoren undAutorinnen über persönlicheErfahrungen und Erlebnisse.Arabische Autobiografien sindfast immer, und das steht häu-fig auch ausdrücklich darin,Zeugnisse einer Generation,ausgehend von der Vorstel-lung, dass erstens das Aller-

privateste vielleicht dochnicht so spannend und we-sentlich ist und dass zweitenssich die Erfahrungen vonZeitgenossen, aufgrund derVerhältnisse, doch in vielerHinsicht gleichen. Insofernunterscheidet sich autobiogra-fisches Schreiben in der arabi-schen Welt oft von demjeni-gen in Europa.

Wenn zum Beispiel...Wenn eine Frau wie dieÄgypterin Latifa al-Sajjat,Feministin, Dozentin, Natio-nalistin und Ehefrau, Bruch-stücke aus ihrem Leben vonden späten dreissiger bis zumBeginn der achtziger Jahrefesthält,....Wenn eine andere, dieIrakerin Alia Mamduch, inhalbfiktionalisierter Weise sichselbst als Mädchen in Bagdad,

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Autobiografische TexteDie folgenden autobiografischenTexte sind im Rahmen des euro-päischen Übersetzungsprojekts«Zeugnisse vom Mittelmeer/Mémoires de la Méditerranée/Memorie del Mediterraneo»jeweils in mehrere europäischeSprachen gleichzeitig übersetztworden:

Latifa al-Sajjat,Durchsuchungen. Eine Lebens-geschichte (übers. H. Fähndrich;Basel, Lenos, 1996)

Alia Mamduch,Mottenkugeln. Roman (übers. R. Karachouli; Basel, Lenos, 1998)

Chaled Sijade,Freitag. Sonntag. Eine Kindheit(aus dem Arabischen von H. Fähndrich; Basel, Lenos, 1996)

Abdalrachman Munif,Geschichte einer Stadt. EineKindheit in Amman (übers. L. Bender und H. Fähndrich;Basel, Lenos, 1996)

Raschid al-Daïf,Lieber Herr Kawabata. Roman(übers. H. Fähndrich; Basel,Lenos, 1998);

Majj al-Tilmissani,Dunjasâd. Erzählung aus Ägypten(aus dem Arabischen von H.Fähndrich; Basel, Lenos, 1999)

Verlage mit arabischerLiteraturDie meiste arabische Literaturin einer der drei schweizerischenLandessprachen findet sich inden Programmen der folgendenVerlage: Lenos (Basel) fürdeutsch, Actes Sud/Sindbad(Arles) für französisch undJouvence (Rom) für italienisch.Ausserdem Interesse in dieserRichtung, jedoch weniger breitgefächert haben: Unionsverlag(Zürich), Das arabische Buch(Berlin) und C.H. Beck (München)für deutsch; Du Seuil (Paris),Gallimard (Paris) und L’esprit despéninsules (Paris) für französisch;Edizioni Lavoro (Rom) für italie-nisch.

samt dem Ausbruch aus denpatriarchalischen Verhältnis-sen, darstellt,....Wenn der libanesischePolitologiedozent ChaledSijade die baulichen, demo-grafischen und politischenVeränderungen in seinerHeimatstadt Tripoli in denfünfziger und frühen sechzi-ger Jahren schildert und dazuden veränderten Verhaltens-weisen der Bevölkerungnachspürt,....Wenn der grosse Romanciersaudisch-irakischer Herkunft,Abdalrachman Munif, sich anseine Heimatstadt Amman imJahrzehnt vom Beginn desZweiten Weltkrieges bis zurGründung des Staates Israelerinnert,....So haben alle diese Bemü-hungen den Zweck zu ver-deutlichen, was ihre, dieGeneration der Schreibendendurchgemacht hat.Natürlich gibt es auch in derarabischen autobiografischenLiteratur Stimmen, die stärkerindividuell bestimmt sind, diemehr vom Leiden und Erle-ben der einzelnen Personausgehen, z.B. der libanesi-sche Literaturdozent Raschidal-Daïf, der in einer fiktiona-

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lisierten «Lebensbeichte» sei-nen Weg vom nordlibanesi-schen Dorf der fünfziger Jahreins Beirut der sechziger unddurch den Bürgerkrieg dersiebziger und achtziger Jahrehindurch zeigt, samt allenVerwundungen, die er da unddort erhalten hat; oder diejunge Ägypterin Majj al-Tilmissani, die die Erfahrungeiner Totgeburt schreibend zubewältigen versucht.Die Lektüre all dieser undvieler anderer ähnlicherWerke bringt uns «Normali-täten» des täglichen Lebens inder arabischen Welt näher,und sie zeigt gleichzeitigElemente der Vergleichbarkeitmenschlicher Existenz undgesellschaftlichen Lebens. Diearabische Welt ist eben dochnicht sooo weit von der uns-rigen entfernt.Auch das zuerfahren, kann ein Grundsein, Literarisches aus anderenTeilen der Welt zu lesen. ■

* Hartmut Fähndrich ist Arabist,Dozent für Arabisch an der ETHZürich und freier Übersetzer zeit-genössischer arabischer Literatursowie verantwortlicher Heraus-geber für die Reihe ArabischeLiteratur im Lenos Verlag Basel

Alia Mamduch Chaled SijadeLatifa al-Sajjat

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Vaterdiebe (bf) Der Vater des kleinen Meriçwird am helllichten Tag von derpolitischen Polizei verschleppt.Meriç, der alles mit angesehenhat, glaubt, dass sein Vater vonDieben gestohlen wurde. Erflüchtet sich in seine Phantasie-bilder, wo er seinen Vater immerwieder trifft.Als seine Mutter aneiner Versammlung von Frauenteilnimmt, die wegen der ver-schwundenen Söhne und Ehe-männer demonstrieren, fragt erseine Schwester, warum sie denVater denn nicht direkt suchengehen.Als der Umzug derFamilie nach Kurdistan ansteht,versteckt sich Meriç weinend imKeller.Der mehrfach preisgekrönteFilm – u.a. erhielt er am Fern-sehworkshop «Entwicklungs-politik 2001» in Köln den Film-preis – erzählt mit den Augeneines Kindes glaubwürdig vonden traumatischen Erfahrungen,die Angehörige von Opfernpolitischer Verfolgung undGewalt erleiden.«Babami Hirsizlar Caldi», EsenIsik, Schweiz 1999.Türkisch/d/f,Video VHS, 24', Kurzfilm, geeignetab 15 Jahren;Verleih / Verkauf:Bildung und Entwicklung,Tel 031 389 20 21,[email protected];Information und Beratung:Fachstelle «Filme für eine Welt»,Tel 031 398 20 88,[email protected],www.filmeeinewelt.ch

Spannende Brassbegegnung(er) Virtuos betätigt die Frau amSousaphon (Basstuba) die Ventil-tasten. Die Perkussionisten wir-beln die Schlegel. Und Johnny

Kalsi, einer der meistbeschäf-tigtsten «Weltmusiker» entlocktseiner Dhol-Trommel aus demPunjab (Indien/Pakistan) pum-pend peitschende Rhythmen.The Bollywood Brassband, dieeinzige in England beheimateteindische Wedding-Brass Band(Hochzeits-Blaskapelle), spieltauf und hat ihre erste CD einge-spielt. Das Resultat dieser höchstbuntfrohen Begegnungen zwi-schen Orient und Okzident sindspannende, karnevaleske, dannwieder swingende Arrangementsvon Soundtracks zu populärenindischen Filmen (Bollywood)und eines Hits des «HindiRemix»-Stars Bally Sagoo.Sozusagen als Bonus erklingtnoch eine britische Dance-floor-Bearbeitung und ein «Sambhan-gra»-Mix. So nennt die anglo-indische Szene in London dieMischung von Bhangra-Folksowie Bollywood-Pop mit Euro-Sounds, Samba sowie Reggae-Rhythmen!The Bollywood Brass Band(Emergency Exit Arts/RecRec)

Ethno-Techno-Tausendsassas(er) Ihre Projekte erregenAufsehen und lösen Diskussio-nen aus. Die Rede ist von zwei«Ethno-Techno-Tausendsassas»,von Pat Jabbar und AbderrahimAkkaoui. Und einige CDs ihresin Basel ansässigen Labels«Barraka El Farnatshi» schafftenes in die Charts. Beispielsweiseder algerische Pop-Star HamidBaroudi oder die marokkanischeSängerin Sapho. Sie ist auch

dabei beim neusten Barraka-Projekt «Dar Beida 04», benanntnach einem Nachtleben-Quartier von Casablanca.AndereGäste sind World Music-Divaswie Natacha Atlas und AminaAnnabi, aber auch Entdeckungenwie Amina Ray, die als nächstegrosse Rai-Hoffnung gehandeltwird, oder Makale, eine jungetürkische Hip Hop-Crew ausBasel. Es ist ein euro-afro-arabi-scher Schulterschluss der beson-deren Art – mit einem Touchvon Maroccan Dancefloor.Dar Beida 04: «ImpiriaConsequentials» (Barraka ElFarnatshi/RecRec)

Flüchtlingsstimmen(gnt) «Respekt» lautet das Mottoder diesjährigen Aktionen derSchweizerischen Flüchtlingshilfeund des nationalen Flüchtlings-tages von letztem Juni.Wenigerbekannt ist, dass dieses Mottovom UNO-Hochkommissariatfür Flüchtlinge in Genf(UNHCR) als internationalesKampagnen-Thema lanciertwurde. Dieses feiert mitUnterstützung der DEZA das50jährige Bestehen der UNO-Flüchtlingskonvention. Mehr zurganzen Kampagne erfährt manauf www.unhcr-50.org Um dem Thema Nachhall zugeben, produzierte das UNHCRdie CD «Refugee Voices». Unterder künstlerischen Leitung vonYoussou N’Dour spielten in sei-nem berühmten Xippi’s-Studioin Dakar 14 v.a. afrikanischeMusikformationen die hervorra-gende CD ein. Das Album gibt

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Betroffenen die Plattform, ihreGeschichten von Flucht undMigration zu erzählen.Wiewohlvon international kaum bekann-ten Künstlerinnen und Künst-lern geschaffen, verdient es inqualitativer Hinsicht und mitseiner stilistischen Vielfalt allenRespekt. Beim Label Stern’sveröffentlicht, ist die CD auch inder Schweiz im Handel(Vertrieb: RecRec) erhältlich,oder auf www.sternsmusic.com Refugee Voices: «Building Bridges»(Stern’s/RecRec)

Zur Lage der Flüchtlinge (bf) Aus Anlass seines 50-jährigenBestehens hat das UNO Hoch-kommissariat für Flüchtlinge einBuch herausgegeben, welcheseinen Überblick über dessenTätigkeit im vergangenen halbenJahrhundert gibt. Es spricht fürdie Seriosität dieses UN-Organs,dass daraus keine Werbeschrift,sondern ein ernsthafter, abergleichwohl aufrüttelnder Berichtüber ein Thema wurde, welchesvon Staatenvertretern gerne ver-drängt wird. Darauf dass Flücht-ling auch etwas mit politischenInteressen der Staaten zu tunhaben, verweist die frühere Hoch-kommissarin Sadako Ogata inihrem Vorwort: In bestimmtenRegionen reagierte dieStaatengemeinschaft entschlossenauf Flucht und Vertreibung, inanderen mit geringer strategi-scher Bedeutung nicht. DasBuch ist chronologisch erzähltund grafisch geschickt aufge-macht. Entsprechend leicht undspannend ist es zu lesen. Mit Hil-fe von ausführlichen Landkartenund Schaukästen werden kom-plizierte Sachverhalte auf wenigPlatz anschaulich dargestellt.«UNHCR-Report 2000/2001,Zur Lage der Flüchtling in der Welt-50 Jahre humanitärer Einsatz»,UNHCR/Verlag J.H.W. DietzNachf., Bonn 2000Das Buch ist auf Deutsch undEnglisch erhältlich.

Kirgistan im Fokus(bf) Der Fribourger FotografChristoph Schütz reist seitJahren immer wieder in die zen-tralasiatische Republik Kirgistanund bringt von dort entrückende,verzaubernde und genauso sinn-lich wie stimmige Bilder vonMenschen und Landschaftenmit. Mit seinem Fotoband «AmIssyk-Kul» porträtiert er 28Menschen aus Kirgistan, die inkurzen Texten über ihr Leben,ihr Land, ihre Probleme und ihreHoffnungen erzählen. Zuminternationalen Jahr der Berge2002 bringt er nun mit Unter-stützung der DEZA das sehrspezielle und schöne Fotobüch-lein «Kirgistan» im Quadrat-format heraus. 43 Farbfotogra-fien und Texte von kirgisischenAutoren machen das kleine,feine und äusserst liebevoll ges-taltete Werk zu einem erfri-schend exotischen Weihnachts-geschenk für jegliche Liebhabervon Fotografie, Bergen undfremden Kulturen.«Am Issyk-Kul» und «Kirgistan –Internationales Jahr der Berge» sindbeide in Deutscher, Französischerund Englischer Sprache erhältlich.Bestellung direkt beim Autor:Christoph Schütz, Espace Boxal 2E,1700 Fribourg,Tel/Fax 026 424 80 64 [email protected]

Zur Lage der Welt (bf) Seit 1984 erscheint alljährlichder vom Worldwatch Institute(WWI) herausgegebene Bericht«Zur Lage der Welt». DiePublikation avancierte seitherzum Standardwerk der interna-

tionalen Umweltbewegung undwird heute in über dreissigSprachen übersetzt. In diesemJahr werden die globalenEntwicklungstrends vor demHintergrund des ökonomischenBooms der letzten Dekade ana-lysiert, der nach Ansicht desWWI deutliche Spuren in derNatur hinterlassen hat. Diezunehmend sichtbaren Indizieneiner globalen Umweltzerstö-rung sind – so der Tenor desBuches – allerdings nur dieSpitze des Eisbergs eines weitgravierenderen Problems: derwachsenden Ungleichheit inEinkommen und Wohlstandsowohl zwischen als auch inner-halb der Staaten. Das Buch (inEnglisch) ist leicht zu lesen undüberzeugt wie seine Vorgängerdurch viele Details und Fakten.«State of the World 2001.A Worldwatch Institute Report onProgress Toward a SustainableSociety.» Verlag:W.W. Norton &Company, New York and London

Broschüren auf Internet(bf) Auf der Internetseite derDEZA (www.deza.admin.ch)sind zwei spannende Broschüreneinsehbar: Zum einen über«Information und Gute Regie-rungsführung» (verfasst von derDEZA und dem Schweizeri-schen Bundesarchiv), die in ers-ter Linie darlegen will, wiewichtig Informations- und Re-cordsmanagement für die Demo-kratisierung und Stabilisierungvon Staaten sowie allgemein fürdie Regierungsführung sind.Zum anderen die Broschüre«Dezentralisierung – Orientie-rungshilfe», welche sich alsOrientierungshilfe für die Beur-teilung und Umsetzung von De-zentralisierungsvorhaben versteht.«Information und gute Regierungs-führung» und «OrientierungshilfeDezentralisation» sind auf Deutsch,Französisch, Englisch und Spanischerhältlich und abrufbar aufwww.deza.admin.ch

Tor zur Welt(bf) An internationaler Zusam-menarbeit und entwicklungspo-litischen Themen interessiert?Dann ist seit vergangenem Som-mer das neue schweizerischeInternetportal www.interportal.chein absolutes Muss.Auf diesemsind nämlich aktuelle Informa-tionen,Themendossiers,Ver-anstaltungshinweise sowie eineFülle von Links zur schweizeri-schen und internationalen Szenezu finden. Es ermöglicht einembreiten Schweizer Publikum indiesem Bereich den Einstiegund die Suche nach spezifischenInformationen und Internet-ressourcen. Das Portal dient zu-dem als Drehscheibe für Anlie-gen und Angebote der hier täti-gen Schweizer Organisationenund Institutionen. Rund dreissigdieser Organisationen tragen dasProjekt gemeinsam. Eine Start-finanzierung der DEZA ermög-lichte den technischen undinhaltlichen Aufbau. Bei einemerfolgreichen Verlauf der Pilot-phase bis Ende 2001 (hauptsäch-lich Deutsch mit schrittweisemAusbau in Französisch undEnglisch), werden ab 2002sämtliche Dienstleistungen inDeutsch, Französisch und Eng-lisch [email protected]

WeiterbildungDas NADEL (Nachdiplomstu-dium für Entwicklungsländer)an der ETH Zürich bietet inden nächsten Monaten folgendeKurse an:14.1.-18.1. Rapid OrganisationalAppraisal in der Partnerwahl fürProjektzusammenarbeit30.1.-1.2. Knowledge Manage-ment in der Entwicklungs-zusammenarbeit2.4.-5.4. EZA im urbanenKontext: Die Stadt imSpannungsfeld zwischenEntwicklung und Umwelt8.4.-12.4. Einführung in die

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Impressum«Eine Welt» erscheint viermal jährlich indeutscher, französischer und italienischerSprache.

HerausgeberinDirektion für Entwicklung und Zusammen-arbeit (DEZA) des Eidgenössischen Depar-tementes für auswärtige Angelegenheiten(EDA).

RedaktionskomiteeHarry Sivec (verantwortlich) Catherine Vuffray (vuc)

Barbara Affolter (abb) Sarah Grosjean (gjs)Barbara Hofmann (hba) Joachim Ahrens (ahj) Antonella Simonetti (sia) Beat Felber (bf)

Redaktionelle MitarbeitBeat Felber (bf – Produktion) Gabriela Neuhaus (gn) Maria Roselli (mr)Jane-Lise Schneeberger (jls) Ernst Rieben (er)

GestaltungLaurent Cocchi, Lausanne

Lithografie City Comp SA, Morges

Druck Vogt-Schild / Habegger AG, Solothurn

WiedergabeDer Nachdruck von Artikeln ist, nach Bewilli-gung durch die Redaktion, unter Quellenan-gabe gestattet. Belegexemplare erwünscht.

Abonnemente«Eine Welt» ist gratis erhältlich bei: DEZA, Sektion Medien und Kommunikation, 3003 Bern, Tel. 031 322 44 12Fax 031 324 13 48E-mail: [email protected]

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Der Umwelt zuliebe gedruckt auf chlorfreigebleichtem Papier

Gesamtauflage 42000

Umschlag Jeremy Horner/Panos/Strates

Internet:www.deza.admin.ch

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Planung von Projekten undProgrammen22.4.-26.4.OE I:Organisationsentwicklung in derEntwicklungszusammenarbeit Anmeldeschluss: 1 Monat vorBeginn des betreffenden Kurses.Auskunft und Anmeldeunterlagen:NADEL-Sekretariat,ETH-Zentrum, 8092 Zürich,Tel. 01 632 42 40,www.nadel.ethz.ch

Gemeinsam in die Zukunft(gnt) Seit Jahren besteht beiUnterrichtenden das Bedürfnis,das Lehrplanthema Entwick-lungszusammenarbeit konkretvermitteln zu können. DieSchülerfragen nach Sinn,Wir-kung und Umfang staatlicherEntwicklungshilfe sind ebensoaktuell wie die häufigen Wün-sche, auf diesem Gebiet zu arbei-ten. Die DEZA gibt im BernerLehrmittel- und Medienverlag(BLMV) ein vielseitiges Unter-richtswerkzeug heraus, das fol-gende Elemente enthält: Sechs

Videodokumentationen zeigen,wie sich Menschen in allenKontinenten für ihre Entwick-lung einsetzen.Arbeitsblätter,von der Schülerumfrage bis zumAbschlusstest, führen zu Fragenund Themen der internationalenZusammenarbeit. Die Broschü-re «Wer arm ist, ist selber schuld»liefert Fakten und Thesen zurEntwicklungspolitik der Schweiz.Der Lehrerkommentar erleich-tert den Umgang mit demumfangreichen Material, das inden Sekundarstufen I und IIbehandelt werden kann.Bestellungen: www.blmv.ch,BLMV, Güterstr. 13, 3008 Bern Tel: 031 380 52 52

Sorgen für morgen(psi) Ein neues Dossier fürLehrpersonen aller Schulstufenzeigt Möglichkeiten, wie derBeitrag der Schule zur nachhalti-gen Entwicklung konkret ausse-hen kann. 20 in der Schweizerprobte Unterrichts- undSchulprojekte werden vorgestellt.Die Auswahl zeigt das ganzeSpektrum der Möglichkeitenauf: In der Vielfalt der Themen,der Verschiedenartigkeit dermethodisch-didaktischen Zu-gänge, in ihrem unterschiedli-chen Umfang beteiligter Perso-nen. Die Beispiele ermutigen,eigene Projekte zu starten. DasDossier enthält darüber hinauseine informative Einleitung,nützliche Adressen, eine kom-mentierte Medienliste und eineCheckliste. Herausgeben wird esvon der Stiftung Bildung und

Entwicklung und der StiftungUmweltbildung Schweiz und istin Deutsch, Französisch undItalienisch erhältlich. Zudemkönnen interessierte Lehrperso-nen ab Januar 2002 gratis einenKurs zum Thema abrufen.«sorgen für morgen. 20 erprobteProjekte für alle Schulstufen zurnachhaltigen Entwicklung.» (ca. Fr. 25.–). Info und Bestellung:Stiftung Bildung und Entwicklung,Monbijoustrasse 31, 3001 Bern,Tel. 031 389 20 21,www.globaleducation.ch

Bergkalender(bf) Zum Internationalen Jahrder Berge 2002 hat die StiftungBildung und Entwicklung imAuftrag der DEZA ein beson-deres Lehrmittel geschaffen, umdas Thema «Berge und nachhal-tige Entwicklung» in denSchweizer Schulen zu verankern:Ein grossformatiger Bergkalen-der (30 x 80cm) illustriert jedenMonat einen speziellen Aspektdes Themas aus verschiedenenWeltgegenden: Landwirtschaft,Tourismus,Anpassung vonMenschen,Tieren und Pflanzenan das Gebirge... Ein pädago-gisches Begleitdossier macht zujedem Kalenderblatt Vorschlägefür die Umsetzung des Themasauf allen Schulstufen.

Mehr Infos: www.globaleducation.chFür Schulklassen ist der Bergkalen-der kostenlos erhältlich bei: Bildung& Entwicklung, Monbijoustr. 31,3001 Bern,Tel. 031 389 20 21

«Schweiz global», dasMagazin des EidgenössischenDepartements für auswärtigeAngelegenheiten (EDA) stelltaktuelle Themen der schweizeri-schen Aussenpolitik vor. Eserscheint viermal jährlich inDeutsch, Französisch undItalienisch. Das Dossier in Nr.1/2002 von Anfang Januar istder UNO und dem Verhältnisder Schweiz zu dieserOrganisation gewidmet. ImZentrum steht die Frage desUNO-Beitritts unseres Landes.Die letzte, im Oktober publizier-te Ausgabe befasst sich schwer-punktmässig mit der GenferFlüchtlingskonvention.Gratisabonnemente können bestelltwerden bei: «Schweiz global», c/oSchaer Thun AG, Industriestr. 12,3661 Uetendorf [email protected]

Insel der GötterGenerationen von Basler For-schern arbeiteten auf Bali-ihnen verdankt Basel die wich-tigste Sammlung balinesischerKultur ausserhalb Indonesiens.Die Ausstellung «Insel der Göt-ter» spannt einen Bogen vonder alten Agrarkultur bis zumheutigen Bali im Zeitalter derGlobalisierung.Insel der Götter, Museum derKulturen, Basel

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In der nächsten Nummer:

Berge – Regionen von globaler Bedeutung:Das Internationale Jahr der Berge, dieEntwicklungszusammenarbeit im und rundums Gebirge und das spezielle Know-howder Schweiz

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