Einführung in die Museologie - leseprobe.buch.de · I. Einführung: Warum Museologie? Mit dieser...

15

Transcript of Einführung in die Museologie - leseprobe.buch.de · I. Einführung: Warum Museologie? Mit dieser...

Katharina Flügel

Einführungin die Museologie

3. Auflage

26493-3 Flügel 01 Haupt_26493-3_Flügel 30.06.14 16:31 Seite 3

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung inund Verarbeitung durch elektronische Systeme.

3., überarbeitete Auflage 2014© 2014 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt1. Auflage 2005Die Herausgabe des Werkes wurde durchdie Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.Redaktion: Dr. Katrin Boskamp-Priever, LeipzigEinbandgestaltung: schreiberVIS, BickenbachSatz: schreiberVIS, BickenbachGedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem PapierPrinted in Germany

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-26493-3

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:eBook (PDF): 978-3-534-73883-0eBook (epub): 978-3-534-73884-7

26493-3 Flügel 01 Haupt_26493-3_Flügel 30.06.14 16:31 Seite 4

Inhalt

I. Einführung: Warum Museologie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

II. Begriff, Gegenstand und Aufgaben der Museologie . . . . . . . . . . . 131. Gegenstand und Charakter der Museologie . . . . . . . . . . . . . . 132. Das System der Museologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173. Das Musealphänomen: Musealisierung und Musealität . . . . . 224. Das museale Objekt – Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . 25

III. Historische Museologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311. Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312. Sammeln als Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333. Das Mouseion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354. Museales Sammeln im Mittelalter – Zwischen Schatzkammer

und Universität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375. Museales Sammeln in der frühen Neuzeit – Die Kunst-

und Wunderkammern des 16. und 17. Jahrhunderts . . . . . . . . 396. Das 18. Jahrhundert und die Entstehung des modernen

Museums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467. Einige Aspekte der Museumsgeschichte des 19. Jahrhunderts . 498. Zwischen Krisen und Konjunkturen – Grundzüge der

Geschichte des deutschen Museumswesens im 20. Jahrhundert 52

IV. Theorie und Methodik musealer Bestandsbildungund -bewahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541. Voraussetzungen und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542. Theorie der musealen Bestandsbildung – Charakteristik . . . . . 563. Bestandsbildung: Methoden und Richtlinien . . . . . . . . . . . . . 614. Museale Bestandsbewahrung – Charakteristik, Aufgabe,

Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

V. Theorie und Praxis musealer Vermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 991. Voraussetzungen einer Theorie der musealen Kommunikation 992. Charakteristik musealer Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . 1023. Objekt und Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1054. Die Ausstellung im Kontext musealer Kommunikation . . . . . . 1075. Zur Methodik des Ausstellungswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

VI. Museum und Pädagogik – Museumspädagogik . . . . . . . . . . . . . . 134

VII. Museum und Geschichte – ein Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . 142

Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

26493-3 Flügel 01 Haupt_26493-3_Flügel 30.06.14 16:31 Seite 5

I. Einführung: Warum Museologie?

Mit dieser Frage wollen wir unseren Blick auf ein Fach richten, das als einso genanntes junges Wissenschaftsfach gelten kann. An deutschen Univer-sitäten ist es noch kaum vertreten, in der deutschen Museumspraxis wirdes nur partiell akzeptiert, hier sind sogar ablehnende Einstellungen gegen -über unserem Fach keine Seltenheit. Das stimmt nachdenklich, ja mutetsogar merkwürdig an, kann doch die Museologie auch in Deutschland aufeine mehr als 400-jährige Geschichte zurückblicken, ist sie vor 125 Jahrenerstmals in die deutsche Fachterminologie eingeführt worden und seitmehr als einem Vierteljahrhundert (seit 1971) international als wissen-schaftliche Ausbildungsdisziplin für museale Berufe anerkannt. Das Aufde -cken der Gründe für die Aversion des deutschen Museumswesens gegen -über der Museologie ist noch immer ein Desiderat musealwissenschaft-licher, insbesondere musealhistorischer Forschung. Zwei Wurzeln könnenaber für diese Entwicklung wahrscheinlich gemacht werden. Einmal ist imdeutschen Museumswesen noch immer fest die Auffassung verankert, dassmuseale Arbeit zunächst eine Angelegenheit praktischer Tätigkeiten ist, diekeiner eigenen musealen Theorie bedürfen. Museale Forschung dagegen istfachspezifisch ausgerichtet und orientiert, sie ist eine Angelegenheit alljener Fächer, die in den gesammelten Objekten ihr Quellenmaterial haben.

Die Vorurteile gegenüber einer eigenständigen Musealwissenschaft kön-nen aber auch politische Ursachen haben. Obwohl mit der 1946 erfolgtenGründung des Internationalen Museumsrates ICOM im internationalenMuseumswesen zunehmende Bemühungen um die Klärung des Charakterseiner musealen Theorie und die Bestimmung des Gegenstandes einer mu-sealen Wissenschaft beobachtet werden können, gingen die entscheiden-den Impulse zu ihrer Formulierung von den mittel- und osteuropäischenLändern aus. Diese Entwicklungen konnten aufgrund der damaligen politi-schen Verhältnisse in der westlichen Welt kaum zur Kenntnis genommenwerden. Erst seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts bahnten sichposi tive Veränderungen an, so dass zunehmend die erkenntnistheoretischausgerichteten Ansätze zur Formulierung einer Musealwissenschaft, wie sienamentlich in der Brünner Schule gemacht worden sind, rezipiert und– wenn auch in unterschiedlichem Maße – akzeptiert werden konnten. Be-sonders schwierig hat sich diese Situation im geteilten Deutschland gestal-tet. In der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik entbrannteeine heftige Diskussion um die 1964 von einer Gruppe von Museumswis-senschaftlern formulierten Thesen zur Museumswissenschaft, die letztend-lich in ihrem Verdikt endete, das auch auf die Auseinandersetzung mit denmuseumstheoretischen Fragestellungen Zbynek Z. Stránskys ausgeweitetworden war, wie Jan Scheunemann überzeugend dargelegt hat (Scheune-mann 2003/2004). In diesem Zusammenhang darf aber nicht unerwähntbleiben, dass weiterhin die Auseinandersetzung mit museumstheoretischenFragen, insbesondere im Zusammenhang mit den sich etablierenden Infor-mations- und Dokumentationswissenschaften erfolgte. Auch das Verhältnisder Museologie zu den einzelnen Fachwissenschaften, insbesondere zurGeschichtswissenschaft, wurde immer wieder thematisiert. Namen wie

Museologiein Deutschland

Neue museums-theoretische Ansätze

26493-3 Flügel 01 Haupt_26493-3_Flügel 30.06.14 16:31 Seite 7

Ernst Hofmann, Ilse Jahn, Wilhelm Ennenbach und Klaus Schreiner müssenin diesem Zusammenhang genannt werden. In der Bundesrepublik hieltman dagegen am traditionellen Begriff der Museumskunde, der 1905 mitder von Karl Koetschau herausgegebenen Zeitschrift gleichen Namens eta-bliert worden war, fest. Mit dieser Wortschöpfung hat sich der bedeutendeMuseumsdirektor wahrscheinlich bewusst von dem bereits 1878 erstmalsvon Johann Georg Theodor Graesse verwendeten Begriff „Museologie“ dis-tanziert (Klausewitz 1989, 22), denn die Themen kreisen um Fragen derMuseumstechnik und der Museumsverwaltung, berühren aber nicht dienach einer musealen Wissenschaft.

Diese Sichtweise dominiert noch gegenwärtig das deutsche Museums-wesen und erschwert die Etablierung einer eigenständigen musealen Theo-rie, ja hat sie sogar verhindert, wie Klausewitz in diesem Zusammenhangvermutet. Versuche, diese Situation zu bessern, blieben bis in die zweiteHälfte des 20. Jahrhunderts singulär, Ansätze, die zum Beispiel in Frank-reich die Beziehung zwischen Museum und Museologie thematisierten,wurden in Deutschland nicht wahrgenommen. Auch die Entwicklung inden Niederlanden, die mit der Gründung der Reinwardt-Akademie in Lei-den einen nicht zu übersehenden Beitrag in die Diskussion um museums-theoretische Fragestellungen beigesteuert hat, blieb unbeantwortet. Ähn -liches lässt sich von den Diskussionen und Entwicklungen sagen, die vonder bereits 1954 in Köthen gegründeten und in Leipzig beheimateten Fach-schule für Museologen ausgingen. In der Bundesrepublik blieb man derkonventionellen Museumskunde weiterhin treu. Die zunehmend im inter-nationalen Maßstab aufgeworfenen Fragestellungen hinsichtlich der For-mulierung einer musealen Theorie sind unter anderem vor dem Hinter-grund eines sich ausweitenden Wissenschaftsbegriffes und dem durch ihnprovozierten Bemühen zu verstehen, museale Arbeit in einem spezifischwissenschaftlichen Bezugssystem darzustellen. Die Diskrepanz zwischenhochspezialisierten Fachwissenschaften und den spezifischen Aufgabendes Museums in einer sich verändernden Gesellschaft trat immer stärkerzutage. Gleichzeitig stellten die allgemeinen kulturellen, gesellschaftlichenund auch ökonomischen Veränderungen das Museumswesen in veränderteBezugssysteme, die ebenfalls eine theoretische Auseinandersetzung mit In-stitution und Phänomen Museum notwendig machten. Dass in ihr immerwieder das Verhältnis von musealer Theorie und musealer Praxis themati-siert wird, liegt auf der Hand.

Die Zeit, eine Musealwissenschaft zu formulieren, die sich um die Klä-rung des Verhältnisses von Theorie und Praxis bemüht, die danach fragt, obes überhaupt eine theoretische Basis für museale Arbeit geben kann, istherangereift. Die Frage nach Geschichte und Bedeutung des Sammelns,nach der Bedeutung des zu sammelnden Gegenstandes selbst, dem Wesenmusealen Ausstellens und Vermittelns verlangt, je länger, desto dringender,eine Antwort. Aber man sucht auch Antworten auf die Frage nach der all-gemeinen gesellschaftlichen Bedeutung des Museums, die es insbesondereim Zusammenhang mit den Fragen um das Verhältnis zum Kultur- oder Na-turerbe einnimmt.

Gleichzeitig ist auch ein starkes Bemühen zu erkennen, Normen zu fin-den und Regeln aufzustellen, mit deren Hilfe die museale Praxis optimiert

Situation im20. Jahrhundert

Optimierung derMuseumsarbeit

I. Einführung8

26493-3 Flügel 01 Haupt_26493-3_Flügel 30.06.14 16:31 Seite 8

werden kann, eine die museale Arbeit dominierende Empirie wird als nichtmehr zeitgemäß angesehen. Die Forderung nach einer eigenständigen Mu-sealwissenschaft begleitet die international zunehmend artikulierte Forde-rung nach der professionellen Ausbildung von Museumsfachleuten.

Die Universität in Brno (Brünn) nimmt in dieser Entwicklung eine Pio-nierrolle ein, 1962 gründete sie die Lehrkanzel für Museologie. Damitwurde an eine Tradition angeknüpft, die bis in die ersten Jahrzehnte des20. Jahrhunderts zurückreichte, als im tschechischen Museumswesen dieForderung nach museumsrelevanten Universitätsstudien laut gewordenwar. Wenn es auch nicht zu einem eigenständigen Studienfach kam, sowurden doch an der Universität Weiterbildungskurse eingerichtet, die– nur unterbrochen in der Zeit der Naziherrschaft – bis zum Jahr 1948dauer ten. Auch in Deutschland können wir in dieser Zeit ähnliche Entwik-klungen beobachten, denn Karl Koetschau (1868 – 1949) stellte 1918 aufder Würzburger Tagung des Deutschen Museumsbundes fest, dass es dendeutschen ‚Museumsbeamten‘ bisher nicht gelungen sei, einen eigenenBerufsstand zu etablieren, denn es fehle an einer seiner wichtigsten Vor-aussetzungen: der Erziehung und Ausbildung des Nachwuchses, die alsdringend erforderlich angesehen wurde. Allerdings unterschied sich diedeutsche Situation gravierend von der in den östlichen Nachbarländern.Während in Brno (Brünn) von Anfang an auch Fragen einer musealen The-orie virulent für die Ausbildung waren, forderte Koetschau ausschließlicheine Verbesserung museumstechnischer Kenntnisse, die Museumskundeordnete er der Kunstgeschichte als ein Hilfsfach zu, um sie in den Rangeiner akademischen Disziplin zu heben (Klausewitz 1989, 23).

Das gleiche Phänomen lässt sich auch bei den von 1909 bis 1912 inBerlin durch Koetschau abgehaltenen Museumskursen beobachten. Siestellen sich nicht der Aufgabe, theoretische Einsichten normbildenden Cha-rakters zu entwickeln oder zu vermitteln, sondern sie dienten der Vermitt-lung einer genauen Kenntnis des vielgestaltigen Museumswesens, undzwar im Sinne des praktischen Museumsdienstes. Systematische Einfüh-rung in die Museumstechnik in ihren vielfachen Verzweigungen ist dasausschließlich verfolgte Ziel. Durch die Vermittlung museumstechnischerErfahrungen sollten „die Nöte eines in der Museumskunde nicht fachge-mäß vorgebildeten Museumsbeamten“ abgebaut beziehungsweise solltensie bei den ‚Anwärtern des Museumsdienstes‘ von vornherein vermiedenwerden. Zwar wurden bei diesen Kursen einleitend die Geschichte derMuseen und die verschiedenen Museumsgattungen behandelt, ansonstenlehrte Koetschau aber vorwiegend Fragen der „Museumstechnik in ihremganzen Umfange“ vom Museumsbau bis zum Feuerschutz und zur Hand-habung der Finanzen (Klausewitz 1989, 22f.).

Der 1917 gegründete Deutsche Museumsbund unterstützt die einmaleingeschlagene Richtung. In seinen Satzungen und Definitionen wird derBegriff „Museologie“ vermieden. Wolfgang Klausewitz (*1922) äußert indiesem Zusammenhang die Ansicht, dass wohl die Haltung Koetschausdafür verantwortlich zu machen ist, dass in Deutschland bis zum heutigenTag die Museologie noch nicht allgemein im Museumswesen eingeführt istund sich auch als Wissenschaft noch nicht an den Universitäten etablierenkonnte. Ähnliches kann partiell auch für das westliche Ausland konstatiert

Gründung einerLehrkanzel

FehlendeAusbildung

Museologie ist nochnicht etabliert

Warum Museologie? 9

26493-3 Flügel 01 Haupt_26493-3_Flügel 30.06.14 16:31 Seite 9

werden, selbst die ICOM-Administration verfügte anfangs noch nicht überein stringent formuliertes museologisches Konzept.

So wundert es nicht, dass die Entwicklungen, die, wie wir bereits gese-hen haben, hinter dem so genannten „Eisernen Vorhang“ für neue Diskus-sionen sorgen, kaum wahrgenommen wurden, obwohl sich bereits 1965 inNew York anlässlich der dort stattfindenden ICOM-Generalkonferenz dertschechische Museologe Jan Jelinek für die Etablierung der Museologie ein-gesetzt hat. Er leitete seit 1964 die Fachrichtung Museologie an der philo-sophischen Fakultät der Brünner Universität, 1977 wurde er zum erstenPräsidenten des neu gegründeten ICOM-Komitees für Museologie berufen.Als bedeutungsvoll für die Ausarbeitung einer musealen Theorie müssenauch die Denkansätze des Polen Wojciech Gluzinsky angesehen werden.Gluzinsky gelangte zur Überzeugung, dass sich sowohl die Erkenntniszieleder in den Museen engagierten Fachwissenschaften als auch deren Metho-den grundsätzlich von denen einer Musealwissenschaft unterscheiden.Sollte ein museologisch-theoretisches System aufgestellt werden können,dann wäre schlüssig die Frage zu beantworten, ob die Museologie als eineeigene wissenschaftliche Disziplin anzusehen ist oder nicht.

Die Initialzündung für die Formulierung einer Definition der Museologieund ihrer Abgrenzung von einer Museographie ging von Georges Henri Rivière aus. 1958 forderte er in seiner Eigenschaft als Direktor des ICOM,des Internationalen Museumsrates, auf einem internationalen Seminar inRio de Janeiro, die Museologie als selbstständige Disziplin anzuerkennen.Rivière reagierte damit nicht nur auf die Äußerungen des tschechischenForschers Jirí Neustupny (*1933), sondern er verband mit dieser Forderunggleichzeitig den Versuch, die Museologie als Lehrfach an der Pariser Uni-versität zu etablieren. Rivière erkannte, dass das Museum nicht von denmusealen Fachdisziplinen aus erklärt werden könne, gleichwohl sie zuein-ander in enger Wechselbeziehung stünden. Er unterscheidet konsequentzwischen Museologie und Museographie, wobei er letztere gewisserma-ßen als Beschreibung technischer Abläufe und Verfahren auffasst. Die Mu-seologie als eine theoretische Disziplin hat sich dagegen mit Fragen derGeschichte, der Erziehung, der Organisation, der Konservierung und vorallen Dingen mit der Beziehung des Museums zur Gesellschaft auseinan-der zu setzen. Allerdings: Auch die Denkanstöße Rivières hatten keine aus-reichende Resonanz im Musealwesen gefunden.

Es ist das bleibende Verdienst des Philosophen und Mitbegründers desBrünner Lehrstuhls für Museologie Zbynek Z. Stránskys (*1926), hier eineWende herbeigeführt und schulbildend gewirkt zu haben. Stránsky hattenicht nur das notwendige methodologische Rüstzeug geliefert, mit dessenHilfe die Museologie als Wissenschaftsfach definiert und gelehrt werdenkann, sondern er hatte als erster überhaupt eine stringente museologischeTheorie aufgestellt. Die Bedeutung dieses Wissenschaftskonzeptes liegtdarin, dass es die Museologie nicht als eine Wissenschaft von den Museenund ihren Funktionen definiert, sondern die Gesetzmäßigkeit zu ergründensucht, aus der heraus das museale Phänomen entsteht. Zbynek Z. Stránskyhat es als erster formuliert.

Seine Gedanken sind in der Folgezeit aufgegriffen und weiter entwickeltworden. Hier müssen insbesondere der Niederländer Peter van Mensch, der

Entwicklungenin Europa

Museographieund Museologie

MuseologischeTheorie

I. Einführung10

26493-3 Flügel 01 Haupt_26493-3_Flügel 30.06.14 16:31 Seite 10

Österreicher Friedrich Waidacher und der Kroate Ivo Maroevic (1937 – 2007)genannt werden. Ihre Ansichten, die unter anderem durch das InternationaleKomitee für Museologie ICOFOM akzeptiert und verbreitet werden, bildenauch die Grundlage für die hier vorgelegte Einführung in die Museologie.

In der Bundesrepublik Deutschland sind museumstheoretische Fragestel-lungen erst möglich geworden, als im Zuge des Paradigmenwechsels der68er Jahre des 20. Jahrhunderts auch das Museum als Institution in Fragegestellt worden war, als insgesamt Fragen zum Umgang mit dem kulturel-len Erbe auf neue Antworten warteten. Jetzt erst mehrten sich die Zugriffeauf das Phänomen Museum sowohl aus allgemein kulturhistorischer alsauch aus erkenntnistheoretischer Sicht. Die Akzeptanz oder die Formulie-rung einer wie auch immer verstandenen Museologie blieb dagegen aus,auch wenn in diesem Zusammenhang Namen wie Wolfgang Ernst oderWolfgang Zacharias stellvertretend für zahlreiche andere genannt werdenmüssen. Den wohl wichtigsten deutschen Beitrag in der Beschäftigung mitmuseumstheoretischen und museumshistorischen Fragestellungen in denletzten 25 Jahren hat aus universitärer Sicht wohl Gottfried Korff geleistet,indem er nicht nur die museale Mensch-Ding-Beziehung zu erfassen suchte, sondern sich auch den Problemen des Sammelns und Ausstellenswidmete. In diesem Zusammenhang muss angemerkt werden, dass imRahmen universitärer Geschichtsforschung zunehmend die Auseinander-setzung mit historischen Sammelkonzeptionen eine Rolle spielt.

In den beiden letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hat die Diskus-sion um Bedeutung und Stellenwert des Museums einen rasanten Anstiegerfahren, der sich in einer kaum noch zu überblickenden Literatur nieder-schlägt. Charakteristisch ist, dass je nach der allgemeinen kulturpolitischenSituation verschiedene Einzelthemen im Mittelpunkt des Interesses stehen.Waren es zunächst Probleme der Museumspädagogik, der Besucherbetreu-ung und Besucherforschung, die zu neuen Denkansätzen geführt haben, sofolgten ihnen solche zur Ausstellung, zum Ausstellungswesen und zu Fra-gen des Museumsbetriebes, insbesondere seines wirtschaftlichen Stellen-wertes. Letztere müssen durchaus vor dem Hintergrund der allgemeinengesellschaftlichen Situation gesehen werden, die zunehmend das Museumin eine Identitätskrise zu stürzen scheint. Marktwirtschaft und Massenpu-blikum mögen hier die Stichworte sein. Die Fragen, die diese Problemeaufwerfen, bedürfen dringender Antworten. Neue theoretische Ansätze ver-suchen, sie zu liefern. Sie sind in der Auseinandersetzung mit dem Phäno-men der Musealisierung oder dem Konzept einer „Ökomuseologie“ zusehen. Ihr Ausgangspunkt ist ein verstärkt integrativer Ansatz, der selbstver-ständlich einer eigenständigen museologischen Methodologie bedarf.

Jetzt können wir abschließend unsere Frage: „Warum Museologie?“ be-antworten. Die Museologie liefert eine Methodologie, die nicht nur ein -zelne Aspekte musealer Arbeit untersucht, sondern das Phänomen des Museums als ein gesamtes beschreibt und erklärt, ein Phänomen, dasdurch sich wandelnde Beziehungen zur Gesellschaft und deren Verant-wortlichkeiten charakterisiert ist. Die Museologie ist eine Notwendigkeitfür das moderne Museumswesen. Sie liefert Gesetze und Methoden, durchdie ein wissenschaftlich fundierter Umgang mit den Erscheinungen desMusealphänomens möglich ist, sie entwickelt eine klare Terminologie, ein

Museologie in Deutschland

Notwendigkeitder Museologie

Warum Museologie? 11

26493-3 Flügel 01 Haupt_26493-3_Flügel 30.06.14 16:31 Seite 11

definiertes Verhältnis zu den Fachwissenschaften und Nachbardisziplinen,und sie gibt Anweisungen zu optimalem Handeln. Noch eines darf nichtvergessen werden: Sie ist auch in der Lage, den Museumsberuf zu definie-ren. Dass dies schon längst geübter Brauch ist, zeigt die Realität selbst.Nicht wenige Mitarbeiter in den Museen reklamieren den „Museologen“für sich als moderne Berufsbezeichnung, unabhängig davon, welche Fach-wissenschaft sie vertreten oder welche Qualifikation sie besitzen. Der Be-griff des Museologen scheint nicht nur Professionalität zu garantieren, son-dern zugleich dem Streben nach höherer gesellschaftlicher Anerkennungmusealer beruflicher Tätigkeit sichtbaren Ausdruck zu verleihen. Die Mu-seologie ist, um eine Formulierung Friedrich Waidachers zu gebrauchen,„Erkenntnissystem und Handlungsanweisung“ zugleich (Waidacher 1991/1992, 9). Sie begründet die Einheit von musealer Theorie und musealerPraxis. Diese Einheit schließt das fachspezifische Forschen ebenso ein wiemuseales Ausstellen oder in die Öffentlichkeit wirkendes, museales Han-deln ermöglichendes Management. Der Sinn aller Tätigkeiten, die sich imMuseum institutionalisieren, liegt nicht darin, voneinander isoliert zu funk-tionieren oder betrachtet zu werden, sondern darin, dass sie ein Systembilden, dessen Bedeutung in seinem ganzheitlichen strukturellen Gefügeliegt.

In diesem Sinne ist die hier vorliegende Einführung zu verstehen. Sie hatnicht den Charakter eines Lehrbuches oder eines Handbuches, indem um-fassend alle Entwicklungen und Diskurse dargelegt werden. Diese Einfüh-rung will insbesondere den Studierenden, aber auch jeden am MuseumInteressierten vertraut machen mit einem System, das sich immer mehr –auch gegen verbreitete Widerstände – durchzusetzen beginnt. Sie will ver-standen sein, als eine grundlegende Hinführung zu weiteren und vertiefen-den Studien. Sie will insbesondere aber auch das Bewusstsein dafür schär-fen, dass das Museum eine besondere kulturelle Leistung des Menschenist, deren Eigengesetzlichkeit und Komplexität einer gesonderten Betrach-tungsweise bedarf. Wenn dies gelingt, dann hat sich die Aufgabe dieserSchrift erfüllt.

I. Einführung12

26493-3 Flügel 01 Haupt_26493-3_Flügel 30.06.14 16:31 Seite 12

II. Begriff, Gegenstand und Aufgabender Museologie

1. Gegenstand und Charakter der Museologie

Die Bedeutung des von Zbynek Z. Stránskys entwickelten Wissenschafts-konzeptes liegt in seiner Struktur. Stránsky definiert die Museologie nichtals eine Wissenschaft von den Museen und ihren Funktionen, wie das sei-nerzeit Georges Henri Rivière (1897–1985) getan hatte, sondern er de -finiert sie aus dem musealen Phänomen selbst. Stránsky geht von der ein -fachen Prämisse aus, dass die Entwicklung einer Wissenschaftsdisziplin abhängig ist von der Definition ihrer Intentionen und ihres Erkenntnis-gegenstandes. Erst dann ist es möglich, eine spezifische Terminologie zufinden, mit deren Hilfe das System der zu treffenden Aussagen gefasst undvorgetragen werden kann. Unter diesem Aspekt hat Stránsky alle bisheri-gen Auffassungen verallgemeinernden Charakters über das Museum unter-sucht und festgestellt, dass sie sich kaum mit dem musealen Phänomenselbst auseinander gesetzt haben, sondern sich vorwiegend der Erörterungvon Verfahrensweisen widmen, museumstechnische Aspekte untersuchen,organisatorische Probleme benennen oder gar über mehr oder weniger er-folgreich realisierte Aktivitäten berichten. Verwaltungsmäßige oder techni-sche Aspekte sind zwar notwendig, aber als Basis, auf der eine struktur-und systembildende Wissenschaftstheorie aufbauen kann, sind sie nicht zugebrauchen.

In der Reflektion dieser Situation, der Analyse des als unzulänglich er-kannten methodischen Niveaus, wie es sich ihm in der zeitgenössischeninternationalen Fachliteratur dargestellt hat, und der Erkenntnis, dass das inihr vorhandene Spektrum noch nicht einmal die gesamte Problematik desMuseumswesens widerspiegelt, setzt sich Stránsky mit dem Begriff „Mu -seologie“ auseinander. Seine Überlegungen werden zur Grundlage für denAusbau einer Lehrmeinung, die sich vor allem über die ISSOM, die Inter-national Summer School of Museology weites Terrain erobern kann undauch Eingang in das International Committee of Museology (ICOFOM) desInternational Council of Museums, des Internationalen Museumsrates, fin-det und letztlich 1962 zur Gründung eines Lehrstuhles für Museologie ander Universität Brno führt. Vor dem Hintergrund des analysierten Schrift-tums und der gängigen Museumspraxis konnte Stránsky seine Theorie ent-wickeln. Sie sei im folgenden kurz skizziert.

Aus zahlreichen schriftlichen Quellen geht hervor, dass seit dem Zeit -alter der Renaissance Versuche existieren, das Sammeln bestimmter Objek-te zu begründen, dieses zu strukturieren und in Übereinstimmung mit denjeweils herrschenden Erkenntnistheorien zu bringen. Gleichzeitig zeigt unsdiese Geschichte, dass das Sammeln bestimmter Dinge nicht nur in dieherrschenden Wissenschaftsdisziplinen eingebunden ist, sondern darüberhinaus mit den zeitgenössischen philosophischen Systemen im Einklangsteht. Es gibt also eine in der Geschichte erkennbare theoretische Einstel-lung zur musealen Tätigkeit. Sie ist nicht Ausdruck eines temporären indi-viduellen Interesses, vielmehr zeigt sie, dass auch die Vor- und Frühformen

Theorie Stránskys –Prämissen

Sammlungstheoriender Renaissance

26493-3 Flügel 01 Haupt_26493-3_Flügel 30.06.14 16:31 Seite 13

des modernen Museums das Ergebnis einer spezifischen menschlichen Äußerung sind, die den Charakter einer schöpferischen Tätigkeit haben.Oder anders ausgedrückt: das Bemühen, die jeweils zeitgenössischen Sam-melaktivitäten methodisch genau zu definieren, dazu eine begrifflich ver-bindliche Ebene zu schaffen, und gleichzeitig ihre gesellschaftliche Rele-vanz aufzuzeigen, ist ein historisches Faktum. Kritisch reflektiert kann esdie Basis für die Ausarbeitung theoretischer Neuorientierung sein undsomit Veränderungen in der bisherigen Praxis herbeiführen.

Zum anderen kann Stránsky feststellen, dass museale Tätigkeit in dergegenwärtigen Fragestellung weniger vor der Grundlage einer sie verall-gemeinernden Theorie, sondern vor allen Dingen im Vollzug technisch- organisatorischer, verwaltungsgemäßer Handlungen gesehen wird. Diedafür notwendigen Kenntnisse werden zumeist durch die eigene Erfahrungerworben. Wissenschaftlicher Zugriff besteht nur hinsichtlich jener Fach-disziplinen, die im Museum ihr „Quellenmaterial“ besitzen. Aus dieser An-nahme heraus wird auch der Schluss gezogen, dass der wissenschaftlicheCharakter der Museologie nur insoweit theoretische Relevanz besitzt, als ernotwendig für das jeweilige Quellenfach ist, das quellenfachliche Spezial-gebiet mithin die museale Bezugswissenschaft darstellt. Diese nimmt immusealen Kontext den Charakter einer speziellen Museologie an, Museolo-gie stellt sich demnach als eine Applikation der jeweiligen Fachwissen-schaft dar. Diese Ansicht muss naturgemäß in Konflikt zu jener Auffassunggeraten, die davon ausgeht, dass museale Arbeit immer durch einen spezi-fischen Zeitbezug und den aus ihm resultierenden gesellschaftlichen Be-dürfnissen charakterisiert ist und demzufolge ganz bestimmte spezifischeMerkmale aufweist, die weder durch Pragmatik noch durch fachwissen-schaftliche Forschung allein erklärt werden können.

Stránsky hat immer wieder betont, dass aus den Positionen der für dasMuseum operierenden einzelnen fachwissenschaftlichen Disziplinen keinetragfähige Basis für die Konzeption einer selbstständigen musealen wissen-schaftlichen Disziplin entwickelt werden kann. Diese Fächer sind aufgrundihrer spezifischen methodischen Ausrüstung und aufgrund ihrer spezifi-schen Erkenntnissysteme nicht in der Lage, das Wesen des musealen Phä-nomens hinlänglich zu beschreiben oder zu erklären. Auch für eine zu de-finierende Musealwissenschaft muss die allgemeine Erkenntnis gelten, dasses keine wissenschaftlichen Strategien gibt, mit deren Hilfe alle Erschei-nungen gleichermaßen erforscht werden können. Es gibt keine universellanwendbare wissenschaftliche Methodologie. Die verschiedenen Proble-me müssen stets in unterschiedlicher Weise angegangen werden, sie be-dürfen eigener Verfahren, die auf der Grundlage der konkreten Analyse desjeweiligen zu untersuchenden Problems entwickelt werden. Auch die aus-schließliche Erforschung technischer Vorgänge erweist sich als ungeeignet,um das Musealwesen zu erkennen und zu beschreiben. Dies vermag nurein spezifischer theoretischer Zugriff. Die Museologie kann nur dann Er-kenntnisse produzieren, wenn ihr Gegenstand definiert, dessen gesell-schaftlicher Kontext abgesteckt und die zu benutzenden Mittel und Metho-den festgelegt sind.

Schließlich fokussiert sich die Kritik Stránskys an den bisher gemachtenzahlreichen Versuchen, das museale Phänomen zu definieren, vor allem in

Museologie undQuellenfächer

II. Begriff, Gegenstand und Aufgaben der Museologie14

26493-3 Flügel 01 Haupt_26493-3_Flügel 30.06.14 16:31 Seite 14

der Frage nach dem Wesen der Museologie. Seiner Meinung nach ist bis-her der Gegenstand ihrer Erkenntnisintention weder bestimmt noch sindentsprechende Methoden zur Lösung des Problems vorgelegt worden. All-gemeine Kriterien der Begriffe Theorie, Praxis oder auch Wissenschaft füh-ren zu keiner Lösung. Stránsky übt Kritik an der weit verbreiteten Meinung,dass Museumswissenschaft gleichbedeutend ist mit Museumstheorie. Somuss er in seinen Darlegungen auch darauf Bezug nehmen, dass Theorieund Wissenschaft nicht identisch sind, dass erstere nur ein Teil der Wissen-schaft ist. Unter Beachtung dieser Prämissen, kommt Stránsky zur Über-zeugung, dass die Annahme, die Museumsarbeit oder das Museum selbstseien Gegenstand der Museologie, ein Standpunkt ist, der „nur auf den ers -ten Blick hin“ richtig sein kann. So kann er denn feststellen, dass der

Gegenstand der Museologie das Museum ebenso wenig (ist) wie etwa die SchuleGegenstand der Pädagogik ist. Aber auch die Museumsarbeit kann nicht als Gegen-stand der Museologie angesehen werden. Das Mu seum ist eine Einrichtung, welchebestimmten Zwecken dient. Die Museumstätigkeit ist dann eine Aktivität, die dasFunktionieren dieser Ein richtung sicherstellt. Wenn ich die Intention des Erkennensauf diese Erscheinungen einstellte, wäre ich nur in der Lage, die funktionelle undorganisatorische Seite der Museums-Einrichtung, die Methodik und Technik ihrerArbeit zu erkennen. (Stránsky 1971, 36)

Der erkenntnistheoretische Sinn der Museologie liegt nicht in der Ermitt-lung bestmöglicher Bedingungen für die Museumsarbeit selbst, sonderndarin, ob es mittels des untersuchten Begriffes möglich ist, Gesetzmäßig-keiten aufzudecken, die entscheidend für die Objektivität des Auswählens,Aufbewahrens und Vermittelns spezifischer Werte sind. Mit dieser Feststel-lung kreist Stránsky die Grundfrage nach einer möglichen Konzeption derMuseologie näher ein. Er stellt nicht die Frage nach dem „Wie“ und „Wo -mit“, sondern er fragt nach dem „Warum“ und „Wozu“. Wenn die Museo-logie eine Wissenschaft ist, dann ist sie mehr als nur ein geordneter Kom-plex von Erkenntnissen über die Museumsarbeit, dann muss sie eine theo-retische Aussage enthalten, auf deren Grundlage verallgemeinerungsfähigeund überprüfbare Lösungen für die museale Praxis gefunden werden kön-nen. Stránsky sucht nach einem logischen Gedankengebäude, das keineWidersprüche enthält, sich aus einem Erkenntnisgegenstand der Disziplinableiten lässt und so als Erkenntnismodell fungieren kann. Er findet „desPudels Kern“ in der Antwort auf die Frage: Warum wählt der Mensch be-stimmte Dinge aus, warum bringt er sie an einen bestimmten Ort, verwahrtsie dort und hat sie dennoch immer verfügbar? Stránsky findet die Erklä-rung im Phänomen des Sammelns selbst. Er erkennt, dass dieses mensch -liche Bestreben unabhängig von seinen jeweiligen gesellschaftlichen Be-ziehungen immer gegeben ist, es ist durch den Verlauf der Geschichteselbst nachweisbar, es ist objektiv vorhanden. Mithin können weder dersich im Laufe der Geschichte dauernd verändernde Ort der aufbewahrtenDinge noch diese selbst das museale Phänomen erklären.

Das museale Phänomen liegt in einer eigenartigen Mensch-Ding-Bezie-hung begründet. Diese Beziehung entsteht immer dann, wenn der MenschDinge als so wesentlich erkennt, dass er sie aus ihrer Umgebung herauslöst,um sie und ihre Bedeutung dauerhaft zu bewahren. Durch diesen Akt – wirwerden uns später noch mit ihm zu beschäftigen haben – werden die Dinge

Erkenntnis-gegenstandder Museologie

Das museale Phänomen

1. Gegenstand und Charakter der Museologie 15

26493-3 Flügel 01 Haupt_26493-3_Flügel 30.06.14 16:31 Seite 15

zu Repräsentanten von bestimmten Kulturwerten, er ist Bestandteil der „kul-turellen Dimension“ des Menschen. Stránsky definiert die Museologie fol-gerichtig als eine Wissenschaft, die sich mit einer spezifischen, sowohl ge-sellschaftlich als auch historisch bedingten Beziehung des Menschen zurRealität beschäftigt, die sich aus seiner Ding-Beziehung ergibt. Stránsky hatfür diese Beziehung den Terminus „Musealität“ eingeführt und ihn alsGegenstand der Museologie benannt. Er bedarf der Untersuchung durch dieGnoseologie, die Ontologie, die Axiologie und die Mnemologie. Ihre Ergeb-nisse sind notwendig, um die Museologie fest im kulturellen Kontext zu ver-ankern. Diese Bestimmung des Gegenstandes der Museologie umgrenzt eineigenständiges, spezifisches Gebiet, welches von anderen Disziplinen nichtvoll erfasst wird. Das Museum selbst ist kein Gegenstand unserer Wissen-schaft. Es ist nur der institutionalisierte Ort, an dem sich etwas ereignet.Und dieses „Etwas“ ist das Phänomen, das es zu erkennen, zu definierenund diachronisch und synchronisch, also hinsichtlich seiner Historizität undseiner Befindlichkeit zu beschreiben gilt. An diesem Punkt angelangt, kön-nen wir auch ganz klare Begriffe fassen und sie gegeneinander abgrenzen:

Museologie ist die Wissenschaft des Musealwesens, also der Gesamtheitaller Ideen und Vorgänge, die das Musealphänomen selbst betreffen. Ins -besondere trifft sie Aussagen über Kategorien, Begriffe und Gesetzmäßig-keiten musealer Sachverhalte. Ihr zentrales Anliegen ist die Definition undBeschreibung des Musealphänomens. Dieses ist Ausdruck und Ergebnisbestimmter kultureller Bedürfnisse des Menschen, die zur Entstehung mu-sealer Einrichtungen führen und geführt haben. Die Museologie widmetsich demzufolge der Gesamtheit der Eigenschaften und Aussagen, die denkomplexen Prozess des Sammelns, Bewahrens, Erschließens und Ausstel-lens bestimmter beweglicher Objekte im musealen Kontext charakterisie-ren. Das Erkenntnisziel der Museologie ist nicht das Museum, sondern dasPhänomen, das zur Entstehung des Museums führt. Die Museologie kannals Gesamtheit der Geschichte, Theorie und Methodik des Musealwesensbezeichnet werden. Sie ist aber auch in der Lage, das Museumswesen zuerklären. Die Museologie ist ihrem Charakter nach eine Kulturwissen-schaft, mithin eine Geisteswissenschaft.

Museumskunde dagegen ist keine Wissenschaft. Sie beschäftigt sich aus-schließlich mit den Formen, Verfahrensweisen, Verrichtungen, Vorgängenund Organisationsbedingungen einer Institution und nicht mit dem Phäno-men selbst, das zur Entstehung dieser Institution geführt hat. Museumskun-de und Museologie können deshalb nicht, wie oft zu beobachten, als Syn-onyme gebraucht werden. Das geschieht immer dann, wenn Museologieals eine Art Regelwerk verstanden wird, in dem auf Erfahrungswissen ba-sierende Kenntnisse über museale Praktiken zusammengefasst werden.Museologie wird dann allenfalls als eine eigenartige, auf das Museum be-zogene Spezialisierung angesehen.

Eine mögliche Ursache für die weit verbreitete Verwechslung von Mu-seumskunde und Museologie liegt sowohl in der Geschichte des Museumsselbst als auch in der Entwicklung der im Museum vertretenen Fachwissen-schaften zu selbstständigen Disziplinen. Diese Fachwissenschaften sindnicht im Museum institutionalisiert. Ohne sie kann Museumsarbeit zwarnicht vonstatten gehen, sie sind im Kontext des Musealwesens selbstver-

Musealität

Wissenschaft desMusealwesens

Museumskundeund Museologie

Fachwissenschaftenund Musealwesen

II. Begriff, Gegenstand und Aufgaben der Museologie16

26493-3 Flügel 01 Haupt_26493-3_Flügel 30.06.14 16:31 Seite 16

ständlich unverzichtbar, nur: Sie übernehmen im museologischen Systemdie Rolle von Hilfswissenschaften. Ihre Erkenntnisse ermöglichen die fach-liche Durchdringung des musealen Bestandes, sie selbst sind aber nicht inder Lage, das Musealwesen zu erklären, da sie auch in anderen Zusam -menhängen eine Rolle spielen. Am Beispiel der Kunstgeschichte ist diesleicht einsehbar: Sie ist sowohl für die quellenfachliche Forschung im Mu-seum als auch in der denkmalpflegerischen Arbeit von Belang, kann vonsich aus aber weder das Museum noch die Institution der Denkmalpflegeerklären. Wir können mithin feststellen, dass die Museologie Kausalzusam-menhänge ergründet. Ihr Anliegen ist es, große Strukturzusammenhängeaufzuzeigen und der Fülle musealer Einzeltatbestände ein echtes Gestalt-gerüst zu geben. Sie ordnet das Verhältnis von Fachwissenschaft und dergenuin das Museum betreffenden Phänomene und schafft so die Möglich-keit der Zusammenschau, ohne sich auf fragwürdige Spekulationen zurück -zuziehen.

2. Das System der Museologie

Das von Stránsky entwickelte System, das den gesamten Musealisierungs-prozess, also die Geschichte des Musealwesens, die Bildung von Samm-lungen, ihre Erschließung und Vermittlung darstellt, wird als AllgemeineMuseologie bezeichnet. Es hat drei Subsysteme: die historische Museolo-gie, die theoretische Museologie und die angewandte Museologie oderMuseographie. Hat die historische Museologie genetischen Charakter, sohat die theoretische strukturellen und die Museographie praktischen Char-akter. Der österreichische Museologe Friedrich Waidacher (*1934) hat dieBeziehungen zwischen diesen drei Subsystemen und den im Museum eta-blierten Fachwissenschaften im folgenden Schema graphisch dargestellt.(Abb. 1) Es zeigt deutlich den Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis,aber auch den Stellenwert und den Ort der am musealen Prozess beteilig-ten Fachwissenschaften. Es zeigt aber auch, dass alle Tätigkeiten, die sichim Museum institutionalisieren, nur dann einen Sinn ergeben, wenn sie alsein einheitliches Ganzes in einem ganzheitlichen strukturellen Gefüge auf-gefasst werden.

Museales Handeln wendet sich nicht nur dem einzelnen Objekt zu, son-dern auch bestimmten inneren und äußeren Verhaltensweisen des Men-schen. Betrachten wir sie isoliert und unabhängig voneinander, sind sievon sich aus keine museologischen Fakten, weil sie auch unter andererSinngebung auftreten können. Es geht also immer um die Verbindung allermusealen Funktionsgruppen, es geht immer um die Erklärung der Tatsache,dass museales Sammeln, Bewahren, Forschen und Mitteilen nur unter mu-sealen Bedingungen und vor museologisch intendiertem Handeln erfolg-reich sein kann. Oder mit unserem Schema gesprochen: Die drei großenTeildisziplinen, theoretische, historische und angewandte Museologie,kommunizieren miteinander, wirken auf die so genannten Quellenfächerein und empfangen von diesen wiederum die Ergebnisse ihrer Theorien,Methoden und Technologien. Die einzelnen Teildisziplinen seien im fol-genden kurz charakterisiert.

AllgemeineMuseologie besitztdrei Subsysteme

2. Das System der Museologie 17

26493-3 Flügel 01 Haupt_26493-3_Flügel 30.06.14 16:31 Seite 17