EINFÜHRUNGSVORLESUNG in das Fach ALLGEMEINMEDIZIN · Sn + Sp. 61 Getestet werden 10.000 Probanden...

77
1 Dr. Stefan Sachtleben Pirmasens Facharzt für Allgemeinmedizin Hausarzt www.uks.eu/amuh - hier finden Sie die Vorlesung als Download Medizinische Fakultät der Universität des Saarlandes, Lehrbereich Allgemeinmedizin EINFÜHRUNGSVORLESUNG in das Fach ALLGEMEINMEDIZIN

Transcript of EINFÜHRUNGSVORLESUNG in das Fach ALLGEMEINMEDIZIN · Sn + Sp. 61 Getestet werden 10.000 Probanden...

1

Dr. Stefan Sachtleben

Pirmasens

Facharzt für Allgemeinmedizin

Hausarzt

www.uks.eu/amuh - hier finden Sie die Vorlesung als Download

Medizinische Fakultät der Universität des Saarlandes, Lehrbereich Allgemeinmedizin

EINFÜHRUNGSVORLESUNG

in das Fach

ALLGEMEINMEDIZIN

2

In dieser Vorlesung hören Sie:

• Berufsaussichten in der Hausarztmedizin

• Unterschiede der Allgemeinmedizin zur

spezialärztlichen Medizin

• Wesentliche Charakteristika

hausärztlichen Denkens und Handelns

Berufsaussichten

3

4

5

6

8

9

Berufsaussichten

• WEITERBILDUNGSVERBÜNDE -, die finanziell gefördert werden, auch im ambulanten Teil!

In den Krankenhäusern gezielt danach fragen! Bei Unklarheiten wenden Sie sich bitte an den hausärztlichen

Vorstand der Ärztekammer, den Hausärzteverband oder im Idealfall an das zuständige Institut für

Allgemeinmedizin.) .

Z.B: 18 Mo Innere, 6-12 Mo Chirurgie, 6 Monate Wahlfach, 2 Jahre Hausarztpraxis.

• Förderung: - Famulaturen 500,-/Mo in RLP (auf Antrag + nach Eingang)

ein Pflichtmonat seit 7/12, zusätzlich Pflicht-Blockpraktikum 2 Wo ohne Förderung

- Weiterbildungsassistenten 3500,-/Mo in RLP (auf Antrag + nach Eingang)

• Regresse werden weniger scharf gefahren, aber das Thema ist noch immer auf der Agenda.

• All-abendliche Bereitschaft, Wochenenddienste werden von Bereitschaftsdienstzentralen

übernommen.

• Position der Allgemeinmedizin an den Universitäten, in der ärztlichen Selbstverwaltung ( v a der

KBV), aber auch in der Politik zumindest unklar. Jedoch sehr hoffnungsfroh stimmende Signale des Umdenkens in

jüngster Zeit.

10

Berufsaussichten

Es findet ein tiefgreifender Wandel in der Leistungserbringung statt:

• Einzelpraxen werden weniger.

Hausärztliche Versorgungszentren entstehen, die nicht mehr zwingend die

Selbstständigkeit zur Voraussetzung der hausärztlichen Arbeit haben. Derzeit 1/5 der

Praxen.

• Versorgungsassisstentinnen(VERAH = Versorgungsassisstentinnen in der Hausarztpraxis),

„nursing practionners“

werden Teile der Versorgung übernehmen.

(Beispiel: Großbritannien, Niederlande)

• Völlig neue Berufsaussichten als Ambulanzmediziner

11

Unterschiede der Allgemeinmedizin zur

spezialärztlichen Medizin

12

Allgemeinmedizin ist nicht nur ein Fach –

es ist eine bestimmte von der stationären Medizin

VERSCHIEDENE Art Medizin zu treiben.

Die Unterschiede zur stationären Medizin bestehen in der:

PATIENTENPOPULATION

13

1000

Menschen

800 haben

Symptome

230 niedergelassener

Arzt/Hausarzt

8 Krankenhaus

<1 Universitätsklinik

Wo werden Menschen medizinisch versorgt?

Nach Green LA et al. (2001) N Eng J Med 344: 2021-5 (alle Altersgruppen / Monat)

Das Verhältnis

allgemeinärztliche Betreuung

zu

spezialärztliche Betreuung

ist etwa:

20:1

14

Die Patientenpopulation in der Allgemeinmedizin ist von

von der stationären Population stark verschieden.

Nur ca. 1% aller Menschen mit gesundheitlichen Problemen

kommen in ein Krankenhaus, nur ca 0,1 % in eine

Universität. Der Rest, ca. 20 %, wird im ambulanten

System behandelt – d.h., nicht nur, aber vor allem von

Hausärzten.

Ältere + alte Menschen kommen am häufigsten und in

Zukunft noch häufiger in die Hausarztpraxis.

15

Allgemeinmedizin ist nicht nur ein Fach –

es ist eine bestimmte von der stationären Medizin

VERSCHIEDENE Art Medizin zu treiben.

Die Unterschiede zur stationären Medizin bestehen in der:

PATIENTENPOPULATION

16

Berufsaussichten

• Kaum ein anderer ärztlicher Beruf ist medizinisch so breit und vielfältig

angelegt.

• Kaum ein Beruf gibt eine so intime Kenntnis der gesellschaftlichen

Verhältnisse.

• Es ist der einzige Beruf im Gesundheitswesen, von welchem aus ALLE

Teile des Gesundheitswesen gesehen werden und in ihrer Funktionalität

beurteilt werden können.

• Sie lernen Menschen in ihrer ganzen überwältigenden Verschiedenheit

kennen

17

1000

Menschen

800 haben

Symptome

230 niedergelassener

Arzt/Hausarzt

8 Krankenhaus

<1 Universitätsklinik

Wo werden Menschen medizinisch versorgt?

Nach Green LA et al. (2001) N Eng J Med 344: 2021-5 (alle Altersgruppen / Monat)

Das Verhältnis

allgemeinärztliche Betreuung

zu

spezialärztliche Betreuung

ist etwa:

20:1

18

Wie unterscheiden sich diese

allgemeinmedizinischen Patientinnen

und Patienten von stationären

Patienten???

19

Die Unterschiede zur stationären Medizin bestehen in der:

PATIENTENPOPULATIONund daraus folgend:

• UNAUSGELESENES PATIENTENGUT

• NIEDRIG-AUSPRÄGUNG

• MULTIMORBIDITÄT

• LEBENSLANGE PATIENT-ARZT-BEZIEHUNG

• THERAPIE-AUTONOMIE-KONFLIKT

• NIEDRIG-PRÄVALENZ

• KLINISCHES DENKEN

20

Viele Patienten - unselektiert - unausgelesen

UNAUSGELESENES

PATIENTENGUT

Aus dem Heidelberger CONTENT-Projekt (www.content-info.org) : 100.000 Patienten in 3 Jahren

Aus dem Heidelberger CONTENT-Projekt (www.content-info.org) : 100.000 Patienten in 3 Jahren

Aus dem Heidelberger CONTENT-Projekt (www.content-info.org) : 100.000 Patienten in 3 Jahren

24

• Viele Patienten, unselektiert, unausgelesen

mit vielen verschiedenen Beschwerden

= große Breite des Faches:

• AM ist das einzige Fach i d Medizin, dass Einblick in ALLE

Disziplinen verlangt.

UNAUSGELESENES

PATIENTENGUT

Hausarztmedizin verlangt intensive Kenntnis des Pharmakologie

Aus dem Heidelberger CONTENT-Projekt (www.content-info.org) : 100.000 Patienten in 3 Jahren

GERIATRIE ist ein wesentlicher Bestandteil der Allgemeinmedizin

27

Breite des Faches

Prozentanteil der 20 häufigsten Diagnosen an der Menge aller Diagnosen (Häussler, 1960)

Allgemeinmedizin 53 %

Innere Medizin 70 %

Chirurgie 75 %

Urologie 82 %

Pädiatrie 83 %

Gynäkologie 97 %

HNO 98 %

Augen 99 %

28

Die Unterschiede zur stationären Medizin bestehen in der:

PATIENTENPOPULATIONund daraus folgend:

• UNAUSGELESENES PATIENTENGUT

• NIEDRIG-AUSPRÄGUNG

• MULTIMORBIDITÄT

• LEBENSLANGE PATIENT-ARZT-BEZIEHUNG

• THERAPIE-AUTONOMIE-KONFLIKT

• NIEDRIG-PRÄVALENZ

• KLINISCHES DENKEN

29

• Patienten mit weniger ausgeprägten

Krankheiten als Patienten in Krankenhäusern

und

daher oft nur relativer Behandlungsindikation -

Niedrigausprägung

NIEDRIG-AUSPRÄGUNG

30

Beispiele:

Multiple Sklerose

Diabetes

COPD

KHK, etc.

31

.Krankheits Ausprägung

Anzahl Patienten

hausärztlicher Bereich

stationärer Bereich

log.Skala1 2 3 4

gesund

moribund

Klinische oder Krankheits-Prävalenz

Diagnostische oder Befund-Prävalenz

NIEDRIGAUSPRÄGUNG

32

In der Allgemeinmedizin sind die Krankheiten

weniger stark ausgeprägt, wie im Krankenhaus.

Man sieht sehr viele leichtere Verläufe von

bekannten Krankheiten, die nie

krankenhauspflichtig werden.

33

Die Unterschiede zur stationären Medizin bestehen in der:

PATIENTENPOPULATIONund daraus folgend:

• UNAUSGELESENES PATIENTENGUT

• NIEDRIG-AUSPRÄGUNG

• MULTIMORBIDITÄT

• LEBENSLANGE PATIENT-ARZT-BEZIEHUNG

• THERAPIE-AUTONOMIE-KONFLIKT

• NIEDRIG-PRÄVALENZ

• KLINISCHES DENKEN

34

Viele verschiedene Krankheiten über

alle(!) Fachgebiete hinweg

Multimorbidität

ALLGEMEINMEDIZIN

35

Nur die Allgemeinmedizin weiß, dass zum Beispiel die Patienten mit der Hüftfraktur, auch

noch mäßig eingestellte Diabetikerin, augenkrank, einsam, depressiv und leichtgradig

dement ist, darüber hinaus inkontinent und außerdem seit Jahren beim Heilpraktiker

sich Spritzen für den „Aufbau“ geben läßt.

Nur der Hausarzt kennt ihre soziale Situation, ihre 85 Jahre lange Anamnese und ihren

Willen zum Leben oder Tod und zwar als persönliches Erleben!!! (Nicht angelesen

oder berichtet = ERLEBTE ANAMNESE)

Multimorbidität

36

Multimorbidität bedeutet nicht nur viele Krankheiten zu

haben (Polymorbidität) sondern völlige neue über die

Symptome der einzelnen Krankheiten hinausgehende

körperliche, seelische und soziale Probleme zu haben,

deren Verständnis eine lange Kenntnis der Anamnese und

des Menschen erfordert – nur die Allgemeinmedizin hat

diese Kenntnis. ERLEBTE ANAMNESE

37

Die Unterschiede zur stationären Medizin bestehen in der:

PATIENTENPOPULATIONund daraus folgend:

• UNAUSGELESENES PATIENTENGUT

• NIEDRIG-AUSPRÄGUNG

• MULTIMORBIDITÄT

• LEBENSLANGE PATIENT-ARZT-BEZIEHUNG

• THERAPIE-AUTONOMIE-KONFLIKT

• NIEDRIG-PRÄVALENZ

• KLINISCHES DENKEN

38

Lebenslange Patient-Arzt-

Beziehung – erlebte Anamnese

39

Die Unterschiede zur stationären Medizin bestehen in der:

PATIENTENPOPULATIONund daraus folgend:

• UNAUSGELESENES PATIENTENGUT

• NIEDRIG-AUSPRÄGUNG

• MULTIMORBIDITÄT

• LEBENSLANGE PATIENT-ARZT-BEZIEHUNG

• THERAPIE-AUTONOMIE-KONFLIKT

• NIEDRIG-PRÄVALENZ

• KLINISCHES DENKEN

40

Therapie-Autonomie-Konflikt

• „Herr Doktor, blaue Tabletten helfen mir nicht“

• Mein Blutdruck braucht keine Therapie

• Können wir nicht noch warten mit der

Krankenhauseinweisung.

• So viele Tabletten nehme ich nicht

• Meine Nichte hat aber gesagt, ihre Tabletten sind

gefährlich.

• Usw.

41

Der Therapie-Autonomie-Konflikt ist die

Auseinandersetzung des objektiven, rationalen,

wissenschaftlichen, „richtigen“ Denkens +

Handelns des Arztes

mit den subjektiven, „eigensinnigen“ Wünschen +

Vorstellungen unserer Patienten. Das Ergebnis

ist partnerschaftliches Miteinander - die

partizipative Entscheidungsfindung, das

SHARED-DECISION-MAKING.

42

Nicht Compliance, sondern

Konkordanz –

gegenseitige Übereinstimmung!

(= Arzt gibt nach – Patient gibt nach)

Das Ergebnis entfernt sich notwendigerweise von der

„reinen Lehre“.

43

Kommunikationsfähigkeit

ist hausärztliche Kernkompetenz –

gerne anderen zuhören, bereit sein zu verstehen, sich

einzufühlen, sich um verständliche Worte bemühen.

Respekt vor und Bewunderung für

die ungeheure Vielfältigkeit + Verschiedenheit

menschlichen Lebens.

AKTIVES ZUHÖREN oder

MOTIVATIONAL INTERVIEWING

44

Die Unterschiede zur stationären Medizin bestehen in der:

PATIENTENPOPULATIONund daraus folgend:

• UNAUSGELESENES PATIENTENGUT

• NIEDRIG-AUSPRÄGUNG

• MULTIMORBIDITÄT

• LEBENSLANGE PATIENT-ARZT-BEZIEHUNG

• THERAPIE-AUTONOMIE-KONFLIKT

• NIEDRIG-PRÄVALENZ

• KLINISCHES DENKEN

45

• Viele Patienten kommen, aber nur selten ist

jemand ernsthaft krank (niedrige Prävalenz) –

Niedrigprävalenz

• Niedrigprävalenz hat weitreichende Folgen

für die (Haus-) ärztliche Arbeit

ALLGEMEINMEDIZIN

46

NIEDRIGPRÄVALENZ

• Die Prävalenz aller Krankheiten nähert sich in der Hausarztpraxis der Bevölkerungs-

prävalenz. Diagnosen, die in den Krankenhäusern häufig sind, sind in den Praxen

selten = Niedrigprävalenz.

• Niedrigprävalenz hat Konsequenzen auf die Wertigkeit und Zuverlässigkeit der

diagnostischen Methoden. Diese Konsequenzen werden zu wenig beachtet.

Tatsächlich hängt der POSTIVE VORHERSAGEWERT einer Diagnostik

von der Prävalenz der Erkrankung ab! Das bedeutet, dass:

• Diagnostische Methoden, die unter klinischen Bedingungen eine hinreichende

Aussagekraft ( = hoher positiver Vorhersagewert) haben, genau diese Aussagekraft

in der Hausarztpraxis VERLIEREN!

47

NIEDRIGPRÄVALENZ

• Sensitivität und Spezifität hängen nicht nur von der

Technik des Tests, sondern auch wesentlich vom

Untersucher und der Untersuchungssituation ab.

• Daher können diese beide Werte nicht absolut

festgelegt werden.

• Bei den hier gezeigten Beispielen kommt es auf den

Effekt der PRÄVALENZ an!

48

49

EKG unter stationären Bedingungen der Hochprävalenz:

Sensitivität 70 %

Spezifität 90 %

Prävalenz der KHK auf einer kardiologischen Station sei 50%

tatsächlich

POSITIV

tatsächlich

NEGATIV

Prävalenz 50 % 50 %

EKG positiv 35 % 5 %

EKG negativ 15 % 45 %

Positiver Vorhersagewert [35/(35+5)]: 88 % (9 von 10 positiven EKGs richtig positiv)

Negativer Vorhersagewert[45/(15+45)]: 75% (7-8 von 10 negativen EKG richtig negativ)

50

EKG unter Hausarztbedingungen der Niedrigprävalenz:

Sensitivität 70 %

Spezifität 90 %

Prävalenz der KHK in Praxis: ca. 1% (35 – 69 jährige)

tatsächlich

POSITIV

tatsächlich

NEGATIV

Prävalenz 1 % 99 %

EKG positiv 0,7 % 9,9 %

EKG negativ 0,3 % 89,1 %

Positiver Vorhersagewert: 6,5 % (1 von 15 EKGs richtig positiv)

Negativer Vorhersagewert: 99,7% !!!!

51

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

Universität ambulanter Kardiologe Hausarzt

Positive Vorhersagewerte des EKG‘s bei verschiedenen Prävalenzen für KHK in der Untersuchungspopulation

Prävalenz (%)

Pos.VW (%)

52

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

Universität ambulanter Kardiologe Hausarzt

Negative Vorhersagewerte des EKG‘s bei verschiedenen Prävalenzen für KHK in der Untersuchungspopulation

Prävalenz (%)

Neg. VW (%)

53

Unter

Niedrigprävalenzbedingungen:

• Sind Gesunde besser zu erkennen als Kranke!!

Das heißt: ein Test ist sicherer, wenn er KEINE

Krankheit anzeigt.

• Er ist unsicher bis nicht bewertbar, wenn er eine

krankhafte Veränderung anzeigt!!!

54

Beispiele:

- Test auf okkultes Blut im Stuhl:

Gujak basierte Tests: Sensitivität: 6%-83%

immunolog. Tests: Sensitivität: 6%-62%

Spezifität für beide: 98%!!

- D-Dimer-Test:Sensitivität 60%

Spezifität >90%

55

EKG unter stationären Bedingungen der Hochprävalenz:

Sensitivität 70 %

Spezifität 90 %

Prävalenz der KHK auf einer kardiologischen Station sei 50%

tatsächlich

POSITIV

tatsächlich

NEGATIV

Prävalenz 50 % 50 %

EKG positiv 35 % 5 %

EKG negativ 15 % 45 %

Relation Falsch-Positiver zu Richtig-Positiver: 0,14

56

EKG unter Hausarztbedingungen der Niedrigprävalenz:

Sensitivität 70 %

Spezifität 90 %

Prävalenz der KHK in Praxis: ca. 1% (35 – 69 jährige)

tatsächlich

POSITIV

tatsächlich

NEGATIV

Prävalenz 1 % 99 %

EKG positiv 0,7 % 9,9 %

EKG negativ 0,3 % 89,1 %

Relation Falsch-Positiver-zu-Richtig-Positiver: 14

57

0

2

4

6

8

10

12

14

16

Universität ambulanter Kardiologe Hausarzt

Falsch positive EKGs im Verhältnis zu den richtig positiven EKGs abhängig von der Prävalenz der KHK

in der Untersuchungspopulation

58

Im Niedrigprävalenzbereich (= in der Hausarztpraxis !!!)

produziert unkritisch angewandte Diagnostik

HOHE Zahlen von FALSCH POSITIVEN!!!

Diese Anzahl der fälschlicherweise als krank bezeichneten Menschen kann

das 10-200-Fache der tatsächlich Kranken betragen!

59

Je höher der Anteil an potentiell GESUNDEN!!! in meiner

Untersuchungspopulation ist (= je geringer die Prävalenz), desto

schwieriger wird die Bewertung einer technischen Untersuchung

60

HIV-Krankheit

Prävalenz: 1:10.000

Sensitivität des HIV-Testes: 99,99%

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein positiver HIV-Test tatsächlich positiv ist?

A. 100 %

B. 99,99 %

C. 50 %

D. 0,01%

E. 0,001 %

Sn + Sp

61

Getestet werden 10.000 Probanden

10000 Probanden

1 richtig Positiver

9999 sind richtig negativ

Testsicherheit 99,99 %

1 falsch Positiver

Testsicherheit: 1:1

= 50%

62

Krebsvorsorgeuntersuchungen:

Sensitivität 85%

(liegt insgesamt eher niedriger; jedoch für einige

Tests, z.B. Koloskopie in entsprechenden Zentren auch höher)

Spezifität 90 %

Prävalenz sei 0,1% ( = 1:1000)

tatsächlich

POSITIV

tatsächlich

NEGATIV

Prävalenz 0,1 % 99,9 %

Vorsorge positiv 0,085 % 9,9 %

Vorsorge negativ 0,015% 90 %

Positiver Vorhersagewert: 0,85 %

Relation Falsch-Positiver-zu-Richtig-Positiver: 116

63

Cochrane 2006 + 2013:

2000 Frauen müssen 10 Jahre lang mammographiert werden um 1 zu retten.

Jedoch werden bei 10 gesunden Frauen Krebs diagnostiziert und sie werden behandelt.

200 müssen sich der Abklärung eines Verdachtes unterziehen.

Cochrane-Autor Gotsche rät von der Mammographie-Vorsorge ab.

64

Akkumulieren von Untersuchungen.

Testan-

zahl 1 2 4 6 10

Fehler-

wahr-

schlk't5% 10% 19% 26% 40%

Spezifität sei 95%

65

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

Universität ambulanter Kardiologe Hausarzt

Positive Vorhersagewerte des EKG bei verschiedenen Prävalenzen in der Untersuchungspopulation

Prävalenz (%)

Pos.VW (%)

66

0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0

-0,1

0,0

0,1

0,2

0,3

0,4

0,5

0,6

0,7

0,8

0,9

1,0

1,1

se99sp99.9

se50sp99.9

se99sp98

se80sp98

se50sp98

se80sp90

se80sp80

se95sp60

se95sp50

PP

V

PrävalenzSchneider et al., ZaeFQ 2006

67

0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0

0,0

0,2

0,4

0,6

0,8

1,0

sen99spez99

sen99spez98

sen95spez60

sen95spez50

sen80spez98

sen50spez98

sen50spez99

sen30spez99

NP

V

PrävalenzSchneider et al., ZaeFQ 2006

68

Niedrigprävalenz führt zu einer erheblichen Änderung der

Wertigkeit medizinischer Diagnostik.

Es entstehen je nach Test um den Faktor 5 bis 15 bis 200

mehr falsch positive Testergebnisse als richtig positive.

Wer viele Gesunde sieht

(= Primärversorgung=Allgemeinmedizin),

der sollte mit Diagnostik und Diagnose äußerst

zurückhaltend sein!

69

Keine VORSORGLICHEN

Untersuchungen an Gesunden

(ein Wunschtraum)

=

DON‘T SCREEN!

70

Die Unterschiede zur stationären Medizin bestehen in der:

PATIENTENPOPULATIONund daraus folgend:

• UNAUSGELESENES PATIENTENGUT

• NIEDRIG-AUSPRÄGUNG

• MULTIMORBIDITÄT

• LEBENSLANGE PATIENT-ARZT-BEZIEHUNG

• THERAPIE-AUTONOMIE-KONFLIKT

• NIEDRIG-PRÄVALENZ

• KLINISCHES DENKEN

71

KLINISCHES DENKEN

Die Allgemeinmedizin hat ein reiches

Instrumentarium entwickelt um im Arbeitsalltag

mit sehr hohen Patientenkontaktzahlen die

DIAGNOSTISCHE UNSICHERHEIT

in den Griff zu bekommen

72

Die allgemeinmedizinische Diagnostik ist KLINISCH orientiert.

Klinisch bedeutet: im Vordergrund steht nicht die Technik,

sondern das, was man

ERFRAGEN, FÜHLEN, HÖREN, SEHEN, RIECHEN, SCHMECKEN,

aus der Akte oder Literatur ERLESEN und sich DENKEN kann!

73

• Abwendbar gefährlicher Verlauf

rechtzeitig erkennen

• Klinisches Denken:

Fragen, tasten, hören, sehen, riechen, nachlesen(!) und nachdenken!

• Abwartendes Offenlassen

Wiedervorstellung oder Hausbesuch

• Symptomatisch Therapieren

„Therapie vor Diagnose“

• Technische Untersuchungen spielen eine nachgeordnete Rolle

• Kommunikation + Bemühen(!) um Konkordanz prägen den Alltag und

sind allgemeinmedizinische Kernkompetenz – ohne geht es nicht!

Allgemeine Medizin –

Prinzipien um mit Unsicherheit professionell

umzugehen

74

Klinisches Denken, lange Kenntnis des

Patienten und typische Umgangsweisen mit dem

Problem der Niedrigprävalenz kennzeichnen die

hausärztliche Arbeit! Der Hausarzt und die

Hausärztin sind die Spezialisten für

medizinische Entscheidungen in großen

unausgelesenen Populationen, im sogenannten

Niedrigprävalenzbereich

75

Die Unterschiede zur stationären Medizin bestehen in der:

PATIENTENPOPULATIONund daraus folgend:

• UNAUSGELESENES PATIENTENGUT

• NIEDRIG-AUSPRÄGUNG

• MULTIMORBIDITÄT

• LEBENSLANGE PATIENT-ARZT-BEZIEHUNG

• NIEDRIG-PRÄVALENZ

• KLINISCHES DENKEN

• THERAPIE-AUTONOMIE-KONFLIKT

76

Allgemeinmedizin ist nicht nur ein Fach –

es ist eine bestimmte von der stationären Medizin sehr

VERSCHIEDENE Art Medizin zu treiben.

Besten Dank für Ihr Interesse

und Ihre Geduld und….

77

…hoffentlich viele Anregungen und gute

Veranstaltungen im Kurs Allgemeinmedizin, denn wir brauchen

HAUSÄRZTINNEN UND HAUSÄRZTE!!