Einige psychiatrische Erfahrungen als Truppenarzt

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Einige psychiatrische Erhhrungen als Truppenarzt. Von Dr. Kurt Schneider (KSln), Oberarzt der Reserve. (Eingegangen am 29. November 1917.) Bei der grol~en Zahl der in Etappen- und Heimatlazaretten be- handelten Kriegsneurotiker ist es eine zun~tchst verwundernde Tatsache, dab die Truppeni~rzte des Feldheeres selten fiber groBe kriegspsychia- trische Erfahrungen verffigen. Dies hat versehiedene Ursachen. Be- kanntermaBen erkrankt nur ein Teil der Kriegsneurotiker wirklich im .Bereich der ki~mpfenden Truppe mit in die Augen fallenden nervSsen Symptomen, vielmehr entwiekeln sieh diese h~ufig erst im Lazarett im Anschlul~ an mehr oder weniger kSrperliche Befunde : Versehfittungs- folgen, leichtere SchuBverletzungen, Rheumatismus, so dab die Kranken, als sie durch die Hande des Truppenarztes kamen, noch keine oder zum mindesten verdeckte nervSse Symptome geboten haben. Nieht zu untersch~tzen ist abet eine zweite Ursache: In Stellungsperioden, in denen der Truppenarzt Zeit und Ruhe hat, seine Patienten genau anzusehen, kommen erfahrungsgem~B wenig neurotische Erkrankungen vor, und man kann da monatelang Truppenarzt sein, ohne je Neurosea zu sehen. Das vermehrte Auftreten von Neurosen f~llt vielmehr stets mit der Anhi~ufung chirurgischer Erkrankungen zusammen, und diese nehmen den Truppenarzt dann so sehr in Anspruch, dab er keine Zeit hat, sich auch nur einigermaBen mit den Neurotikern abzugeben, die m5glichst rasch welter nach hinten abgeschoben werden. So sieht der Arzt h5ehstens Augenblicksbilder, kommt aber kaum einmal zu einer eingehenden Untersuchung. Man stelle sieh einen T r u p p e nver b a nd- platz, einen Sanit~ttsunterstand nahe der vorderen Linie bei einer grSBeren Gefeehtshandlung vor. Infolge des groBen Andranges ist der Arzt mit den Schwerverwundeten, die oft zu mehreren gleichzeitig hereingetragen werden, vollauf beschi~ftigt. Der meist kleine verffig- bare Lagerraum reicht kaum, diese Schwerkranken bis zum Abtraus- port unterzubringen. So werden selbst Leichtverwundete meist naeh einem Blick auf den Notverband und Verabreiehung des Starrkrampf- serums als marschfi~hig gleich weiter nach hinten zur Saniti~tskompagnie oder zum Regimentsrevier geschiekt, und i~hnlich verh~lt es sich mit

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Einige psychiatrische Erhhrungen als Truppenarzt.

Von Dr. Kurt Schneider (KSln),

Oberarzt der Reserve.

(Eingegangen am 29. November 1917.)

Bei der grol~en Zahl der in Etappen- und Heimatlazaretten be- handelten Kriegsneurotiker ist es eine zun~tchst verwundernde Tatsache, dab die Truppeni~rzte des Feldheeres selten fiber groBe kriegspsychia- trische Erfahrungen verffigen. Dies hat versehiedene Ursachen. Be- kanntermaBen erkrankt nur ein Teil der Kriegsneurotiker wirklich im .Bereich der ki~mpfenden Truppe mit in die Augen fallenden nervSsen Symptomen, vielmehr entwiekeln sieh diese h~ufig erst im Lazarett im Anschlul~ an mehr oder weniger kSrperliche Befunde : Versehfittungs- folgen, leichtere SchuBverletzungen, Rheumatismus, so dab die Kranken, als sie durch die Hande des Truppenarztes kamen, noch keine oder zum mindesten verdeckte nervSse Symptome geboten haben. Nieht zu untersch~tzen ist abet eine zweite Ursache: In Stellungsperioden, in denen der Truppenarzt Zeit und Ruhe hat, seine Patienten genau anzusehen, kommen erfahrungsgem~B wenig neurotische Erkrankungen vor, und man kann da monatelang Truppenarzt sein, ohne je Neurosea zu sehen. Das vermehrte Auftreten von Neurosen f~llt vielmehr stets mit der Anhi~ufung chirurgischer Erkrankungen zusammen, und diese nehmen den Truppenarzt dann so sehr in Anspruch, dab er keine Zeit hat, sich auch nur einigermaBen mit den Neurotikern abzugeben, die m5glichst rasch welter nach hinten abgeschoben werden. So sieht der Arzt h5ehstens Augenblicksbilder, kommt aber kaum einmal zu einer eingehenden Untersuchung. Man stelle sieh einen T r u p p e nve r b a nd- p l a t z , einen Sanit~ttsunterstand nahe der vorderen Linie bei einer grSBeren Gefeehtshandlung vor. Infolge des groBen Andranges ist der Arzt mit den Schwerverwundeten, die oft zu mehreren gleichzeitig hereingetragen werden, vollauf beschi~ftigt. Der meist kleine verffig- bare Lagerraum reicht kaum, diese Schwerkranken bis zum Abtraus- port unterzubringen. So werden selbst Leichtverwundete meist naeh einem Blick auf den Notverband und Verabreiehung des Starrkrampf- serums als marschfi~hig gleich weiter nach hinten zur Saniti~tskompagnie oder zum Regimentsrevier geschiekt, und i~hnlich verh~lt es sich mit

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den Zitterern, Aphonischen und anderen Schreckneurotikern auch - - sie passieren hSchstens fliichtig den vielbesch~ftigten Truppenarzt, werden oft schon vom Eingang des Unterstandes aus weitergeschickt, wenn sie ~uBerlich nicht verletzt sind und deshalb keine Einspritzung bekommen. Jedenfa]Is hat der Arzt des Truppenverbandplatzes keine M5glichkeit, sich mit den Neurotikern mit mehr Ms einem Bliek zu be- fassen. Das gilt meist auch fiir die, welche n i c h t marschf~hig sind und daher kfirzere oder l~ngere Zeit auf dem Verbandplatze bleiben, also vorwiegend ffir Di~mmerzustande, Kri~mpfe, Stuporformen und schwere L~hmungserscheinungen. Im ]nteresse des Dienstes auf dem Verbandplatz ist bei aufgeregten Kranken eine Hyoscininjektion oft nicht zu vermeiden, mag sich das psychiatrische Geffihl auch dagegen str~uben, und so werden die psychiatrischen Bilder so- fort coupiert. Mit schweren Stupor- und Krampfzustanden kann man nach meinen Erfahrungen, auch wenn man zuf~tllig far sie Zeit hat, in vorderer Linie nicht viel anfangen. In zwei F~llen, an die ich reich erinnere, ist es mir nicht gelungen, sie irgendwie zu beeinflussen. Zweifel- los ist dies erst dann mSglich, wenn die Kranken sich in Sicherheit ftihlen, was auf dem Verbandplatz noch nicht der Fall ist, Die not- gedrungene Vernachl~tssigung der ausgesprochenen Neurotiker und der psychisch verstSrten, unverwundeten Verschfitteten, erstreckt sich auch noch auf den L e i c h t v e r w u n d e t e n s a m m e l p l a t z der Sanitgts- kompagnie, wo viele Marschf~thige und die sitzend Transportierbaren sich einfinden. Ich habe einmal auf einem solchcn Sammelplatz nach einer grSlteren Unternehmung eine ganze Nacht Mann auf Mann ver- bunden und auch hier reich mit den zahlreichen Neurotikern keine Se- kunde abgeben kSnnen: auch hier wurde jeder Nichtverwundete so- fort einer Baracke zugewiesen, wo er verpflegt wurde, um mit oinem der in kurzen Zwischenrgumen fahrenden Kleinbahnzi~ge zum Feld- lazarett und yon da in die Etappe zu kommen.

Sind so die psychiatrischen Bilder, die der Arzt in vorderer Linie samme]n kann, keine haufigen und die wenigen, die er zu sehen bekommt, sehr flfichtig, so lernt er doch a n sic h s e 1 b s t die Bedingungen kennen, unter denen Kriegsneurosen entstehen. Freilich ist er in den allermeisten Fallen im Vergleich zur kampfenden Truppe noch einigermal~en ge- schfitzt, doch nicht so, da$ er nicht selbst standig in grolter Lebens- gefahr wgre. Was mir am meisten auffiel, ist der Wechsel der , ,Tages - dis p o s i t i o n"; wahrend man an einem Tage mit grSSter t~uhe schwe- fetes Artilleriefeuer fiber sich ergehen last, hat an anderen schon ge- .ringes Schiel~en lebhaftes Unbehagen, Unruhe, UnmSglichkeit zu lesen, sich zu zerstreuen zur Folge. Von was diese Schwankungen abh~tngen, die mir von vielen best~ttigt wurden, vermag ich nicht zu beurteilen. An solchen kritischen Tagen wird man auch den Einfluf.~ der inneren

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Unruhe und Spannung auf die tlarnsekretion und die Darmperistaltik beobachten kSnnen. DaB aus einem solchen Harndrang sich eine entsprechende funktionelle StSrung entwickeln kann, erscheint mir sehr wohl mSglich. Ich bin sogar fiberzeugt, dab sich viele F~lle von P o ll a k u r i e bei Soldaten nicht auf Erki~ltungen, sondern auf diese rein psychische Genese zurfickfiihren lassen. DaB das bei Darmkatarrhen auch der Fall sein kann, erscheint mir zum mindesten mSglich. DaB psychische Erregungen bis zum unwillkfirlichen Abgang yon Stuhl- gang ffihren kSnnen, ist bekannt. Ich habe im Beginn des Feldzuges einen fiberaus tfichtigen und unerschrockenen Kavallerieoffizier gesehen, der, w~hrend er sich aus einer sehr fiblen Lage, die ihn fast alle seine Leute gekostet hatte, als einziger Unverwundeter alff angeschossenem Pferd heraushieb, Stuhlgang verlor, ohne sieh des Vorgangs bewugt zu werden oder mit Wissen Angst empfunden zu haben. Ieh habe den Eindruek, dag sich Kriegsneurosen hiiufig an die Wirkung psychiseher Eindrficke auf das vegetative System ansehliegen; vielfaeh melden sich auch Leute wegen soleher Besehwerden krank. Wenn der Wunsch, aus vorderer Linie wegzukommen, grog ist, werden sich diese Be- sehwerden naturgemi~g steigern. Anlag zur Neurose ist jedenfalls auf Schritt und Tritt gegeben, ebenso die Versuchung, allerlei k6rperliehem Unbehagen, wie es die Verhi~ltnisse vorn mit sich bringen, nachzugeben, bewugt oder unbewugt in sine Erkrankung zu fliehen. Wohl jeder, der li~nger im Feuer war, hat sich schon, wenn auch nur blitzschnell, versucht gefiihlt, einem k6rperlichen Unbehagen, einer Erki~ltung, einer leiehten Angina, einem Darmkatarrh nachzugeben und sieh krank zu melden. Man soll sieh d a r a n e r i n n e r n u n d d a n n mi lder u r t e i l e n fiber L e u t e , die info lge ihrer g e r i n g e r e n B i ldung , E r z i e h u n g , ih res k l e i n e r e n ge i s t igen H o r i z o n t s , ihrer we- niger widers tands f i~h igen k 6 r p e r l i e h e n oder ne rv6sen Ver- a n l a g u n g d iesem Dri~ngen nachgeben . Dag Alkohol in kleinen Mengen fiber die innere Unruhe hinweghelfen kann, ist eine altbekannte Tatsache. ~ngstliche Menschen, besonders in Stellen, die sich Alkohol beschaffen k6nnen, sind deshalb besonders im Stellungskrieg zweifel- los in Gefahr, Alkoholisten zu werden. Dennoch darf der Alkohol als Stimulans im Felde nicht g~nzlich verurteilt werden; er ist in kleinen Mengen augerordentlich belebend ffir die Stimmung, besonders auch im Bewegungskrieg an kalten und nassen Tagen und in verregneten Biwaks. In diesem Zusammenhang m6chte ich erwi~hnen, dab ich groge Mfihe hatte, einem psychopathischen Offizier cocainhaltige ,,Marschtabletten" wieder abzugew6hnen; es mug auch vom nerven- ~rztlichen Standpunkt dringend vor ihnen gewarnt werden.

DaB nach Stunden groger Gefahr eine gewisse Euphorie, eine hypo- manische Stimmung, sich der Truppe bemiichtigt, ist wiederholt be-

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obachtet, doch habe ich dies wenigstens im Beginn des Krieges auch w ~ h r e n d st~rkeren Schiei~ens gesehen; ein gehobenes Geftihl uud raseheres und gewandteres Handeln scheint nicht selten vorzukommen. So kSnnen auch dem Nichtgeiibten rasche Verb~nde und planm~6iges Disponieren und Ansnfitzen vorhandener Mittel viel leichter gelingem als bei theoretische~n ~ber]egen oder in der l~uhe. Ich wenigstens habe diese Hilfe bei meinen ersten chirurgischeu Hilfeleistungen im Feuer sehr angenehm empfunden.

Eine interessante Beobachtung habe ich an mir und anderen ge- macht : Die M S g l i c h k e i t , s i ch in u n b e h a g l i c h e r L a g e d u r c h z i e l b e w u l ~ t e s i n n e r e s A b l e n k e n v o n d e r U m g e b u n g in e i n e n Z u s t a n d z w i s c h e n S c h l a f e n u n d W a c h e n zu v e r s e t z e n , in dem man zwar alles hSrt, aber alles leichter und unwirklicher empfiudet und mit geschlossenen Augen nicht unangenehm vor sich hind~mmert. Intensives Denken an andere Dinge, Dunkelheit, Miidigkeit sind viel- leicht die Vorbedingung dieses ergebenen Sich-in-sich-Verkriechens. Am leichtesten gelingt es, wenn man aus uattirlichem Schlaf im Unter- stand durch Granateinschli~ge geweckt wird; es ist dann mSglich, sich in einem Halbschlaf zu erhalten, in dem man kein Unbehagen fiihl~, und gewissermal~en absichtlich nicht ganz zur rauhen Wirklichkeit aufzuwachen. Ich kannte einen jungen Offizier, der auch am hellen Tage, wenn es sehr schol~, sich hinlegen und schlafen kounte; er schlief, wie er sagte, um nichts zu hSren und zu sehen, um nicht dabei zu sein. Es scheint mir sehr wohl mSglich, dal~ solche Zust~nde wenigstens ei ne Art der im Feuer entstehenden D~mmerzusti~nde erklaren. Ich meine diejenigen, die uicht i~ngstlichen, sondern euphorisehen Charakter haben. Es ist ein Fliichten aus der unangenehmen Wirklichkeit in eine andere Welt, ein Ignorieren des Tatsi~chlichen. Weft man k6rperlieh sieh nicht entfernen kann, fltichtet man psychisch an einen anderen Platz, in ein anderes Milieu. Es ware eine interessante klinisehe Auf- gabe, zu sehen, ob diese e u p h o ri s c h e n D~mmerzust~nde tats~chlieh n i c h t infolge Schreck entstehen; doch wird sie sich wegen der Amnesie uud wegen des Fehlens von Zeugeu schwerlich 16sen lassen. Gerade in so gef~rbten Zust~nden verhalten sieh die Kranken anscheinend auch keineswegs stets vorsiehtig. Ein eben bef6rderter Offizier, yon dem mir am Tage darauf erz~hlt wurde, erhob sich in gr61~ter NiChe des Feindes aus seinem Granatloeh, ging an den nitchsten L6chern vorbei und schrie die dort liegenden Leute an: ,,Wollt ihr wohl aufstehen, wenn ieh vorbeigehe." Er hatte sich in die angenehmere Seite des Vorgesetzten- seins gefltichtet. Diese Zusti~nde sind das Maximum dessen, was man vulgi~r als ,,Vogelstrau6politik" bezeichnct; verwandt damit ist die Tatsache, da6 sich viele selbst in einem ganz schlechten Unterstand, in dem sie aber nieht sehen, woes einschl~gt, sieherer fiihlen, als drauiten,

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und dab man nicht seltcn in den Bereitschaften Leute sieht, die mit (lurch Zeltbahn oder Mantel verhiilltem Kopf dalicgen und zu schlafen versuchen.

Eine dankbare ncrveni~rztliche Aufgabe erw~tchst dem Truppen- arzt im R . e g i m e n t s r e v i e r , das meist zwar nicht au[terhalb der Feuer- zone, aber wom6glich doch an gar nicht oder wenig beschossenem Platz, unter UmstKnden in einem WMdlager, eingerichtet, zu werden pflegt. In ruhigen Zeiten sind auch dort wenig reine Neurosen, dagegen viele psychogen tiberlagerte kSrperliche Erkrankungen zu schen. Es ist l~ngst von den mal]gebendcn Stellen erkannt worden, wie wichtig es ffir die Truppe ist, ihre Kranken, wenn es irgend geht, bei sich zu behalten, um sie nicht ganz zu verlieren. Und nerven~rztlich muft dem roll zugestimmt werden. Wir sehen viele Leute, die mit nerv5sen Sym- ptomen von vorn kommen und sich in der Ruhe des geviers in kurzem vollkommen erholen und wieder in den Graben gehen kOnnen, w~hrend sie, einmal ins Lazarett oder gar in die Heimat gelangt, schwerlich wieder ,,k. v." werden dfirften. Menschenkenntnis, Unterscheiden- kOnnen zwischen ErschOpften und B6swilligen, Versti~ndnis ftir Psycho- pathen, riehtiges Maghalten zwischcn dem Auftreten des Arztes und Vorgesetzten sind bier unsehi~tzbare Eigenschaften des Truppenarztes. In hSchstem Mage trifft dies wAhrend einer gr6geren Unternehmung zu; die oben erwi~hnten Marsehf~higen treffen oft in groger Zahl in der Regimentskrankenstube ein; d ie i i b e r w i e g e n d e M e h r z a h l d i e s e r R h e u m a t i s m u s k r a n k e n , E r k i ~ l t e t e n , G a s k r a n k e n , V e r s c h t i t t e t e n s i n d n e r v e n i ~ r z t l i c h e Fi~lle. AuBerdem pflegen abet in solchen Zeiten auch eine Reihe ausgesproehen nervSser Zu- sti~nde, Zitterer, Stotterer, StuporSse in der Krankenstube einzutreffen. Es ist meines Erachtens nicht richtig, sie alle sofort weiterzusehicken, denn sie kSnnen nieht selten der Truppe erhalten werden. Die Ps y e h o - t h e r a p i e so u n m i t t e l b a r n a c h d e m p s y c h i s c h e n T r a u m a i s t l eie h t. Vielfaeh geniigt Ruhe, ordentlieher Schlaf und die Versicherung, wirklich einige Tage oder etwa w~hrend der augenblieklichen Stellungs- periode nicht mehr vorn verwendet zu werden, vSllig, um die Kranken wieder ganz genesen und ,,k. v." werden zu lassen. Erleichtert werden diese Erfolge vor Mlem wohl dadurch, dab hier R e n t e n f r a g c n wohl so gut wie n ies c h o n eine l~olle spielen. ErsehSpfung, Schreek, Sclbst- erhMtungstrieb seheinen mir, vielfaeh miteinander kombiniert, die ein- zigen Ursachen der im Feucr entstehenden Kriegsneurosen zu sein. N i e m ~ I s habe ich bei der Truppe auch nur in e i n e m Fall den Ver- daeht yon ,,Begehrungsvorstellungen" im Sinn dcr gcnte gehabt. Diese sind spi~tere Frtichte, gewaehsen im Lazarettleben unter (lem Ein- flug yon Kameraden, Verwandten oder eigener ruhiger Uberlegung. Vorn ist. das e m o t i v e E r l e b e n , l e d i g l i e h d e r i n s t i t ~ k t i v e

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W u n s e h , l e b e n d i g h e r a u s z u k o m m e n , v ie l zu f i b e r w e r t i g , u m e t w a s a n d e r e s a u f k o m m e n zu l a ssen . Als Beispiele, wie raseh Kriegsneurotiker in der wenige Kilometer hinter der Front ge- legenen Regimentskrankenstube genesen k6nnen, erwghne ieh das eines h6hei'ml Offiziers, der naeh einer Versehiittung mit einem leiehten Zittern der Arme und einer hochgradigen stotternden Sprachst6rung ankara, und den ich schon deshalb ausgezeichnet beobaehten konnte, weil ieh mehrere Tage sti~ndig mit ihm zusammen war. Das Zittern gab sich schon naeh wenigen Stunden, die SpraehstSrung hielt sich einige Tage, um dann, hSehstens ganz allgemein psychisch behandelt, auch zu versehwinden. Es war interessant, dab der Kranke bei allen W6rtern, die mit ,,G" oder ,,Gr" anfingen, ganz besonders stotterte, und diese E~seheinung raseh verschwand, als ieh ihm gesagt hatte, dab dies das Wort ,,Granate" sei. Den grSBten Fortsehritt machte die Besserung aber infolge einer neuen Emotion, einer ~rgerliehen ni~chtlichen Dureh- n~ssung in der undiehten Baraeke; der Kranke erwachte zu sp~t, lag nun sehon ganz in der Nhsse, muBte sich mitten in der Naeht im Regen umziehen, i~rgerte sich sichtlieh und spraeh in diesem Affekt zum ersten- mal ~4eder fast vbllig normal mit seinem Burschen. G:,tnzlieh hergestellt reiste er dann in Erholungsurlaub und tibernahm nachher seine Dienst- stelle wieder. Diese so gut wie spontane Heilung erfolgte in einer Zeit, in der t~tglich Nachrichten yon Tod oder sehwerer Verwundung naher Freunde und Bekannter in derselben Stellung bei dem Kranken eintrafen. Auch bei Mannschaften habe ich dasselbe gesehen, so bei einem Kranken- trigger, dessen Zittern rasch verschwand, nachdem er sich etwas erholt und erfahren hatte, dag er, w:cthrend das Bataillon diesmal eingesetzt sei, in der Krankenstube helfen diirfe. Er hatte fibrigens denselben Tremor schon frtiher einmal gehabt; er war beim ersten Sehug wieder- gekommen. Und zwar war dies ein A b s c h u B eigener Artillerie, der also den Mann lediglich aus dem Schlaf aufschrecken lieB. Auch im B e w e g u n g s k r i e g e , in dem ich vol]ends nur ganz vereinzelt Neu- rosen beobachten konnte, ist es zweckm~gig, die Kranken, w e n n es d ie ~ tugeren Umsti i~nde e r l a u b e n , bei der Truppe zu behMten. Es wird sich hier mehr um ErschSpfungs- als um Schreckneurosen handeln. W~ihrend des serbischen Feldzuges wurde ich nach einem h6chst beschwerlichen Marsch in tiefem Schnee und heftigstem Schnee- gest6ber zu einem kriegsfreiwilligen Kanonier gerufen, der weder gehen noeh stehen konnte und auch nicht mehr recht zu sehen vorgab. Ich schickte ihn nic h t weg, sprach ihm beruhigend zu, woftir er sehr empfiing- lich war, und lie[.~ ihn am anderen Tag auf der Protze fahren. Er erholte sich vollkornmen und ist withrend der ni~chsten Monate, die ich ihn noch beobachten konnte, nicht wieder erkrankt.

Schwere psychoneurotische Zusthnde pflegen selten zur Regiments-

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krankenstube zu kommen, sondern, wie schon oben erwi~hnt wurde, gleich yore Truppenverbandplatz zur Saniti~tskompagnie gefahren zu werden. Was an Neurosen auf dem Regimentsrevier vorhanden ist, ist also schon eine gewisse Auswahl. Nicht so selten kann es vorkommen, dab sich schwere psychotische Zust:,tnde erst a u Jt e r hal b d e r u n m it t e lb a r e n G e f a h r entwickeln. So kam einmal ein Mann yon vorn zu unserer ca. 10 km hinter der Front gelegenen. Regimentskrankenstube, einen sehwierigen Weg, den er nie gemacht hatte, meldete sieh ganz korrekt, machte abbr einen verstSrten Eindruek und konnte nicht recht angeben, was ihm passiert war. Als er dann verpflegt werden sollte, begann er :,ingstlich zu werden, a[.~ nieht, rief einen nicht anwesenden Kameraden, blickte horchend um sieh und war nicht mehr zu fixieren. Er wurde dem Feldlazarett iibergeben.

Die R e g i m e n t s k r a n k e n s t u b c is t ein Or t der A u s l e s e ; nichts ist verkehrter, als alle nervSsen Zust:A.nde yon dort naeh trick: wgrts zu sehieken, denn damit gehen der Truppe unnStig Leute verloren. Unter all den Verschfitteten, Gaskranken, RheumatikenL Darm- kranken, ErkMteten die herauszulesen, die wieder unmittelbar vor- zugehen haben, die zu bestimmen, die in der Krankenstube mit Erfolg zu behandeln sind, endlieh diejenigen auszuscheiden, <lie zweckmM~ig ins Lazarett zn verbringen sind, ist nieht zuletzt, j a v o r all e m n e r v e n - a , ' z t l i c h e T ~ t i g k e i t . Und ebenso die Behandlung dieser sitmtlich mehr oder weniger nervSs erkrankten Leute. Nicht jeder Arzt verftigt jedoch fiber <tie nStigen Kenntnisse und das nStige Verst~ndnis fiir diese Auslese. Es dtirfte daher yon grol.~em Wert sein, welm er darin yon einem F a e h a r z t untersttitzt wird, der, zu einer Sanit~ttskompagnie oder einem Feldlazarett gehSrend, in den unruhigen Zeiten vermehrt vorkommender Neurosen und damit Erkrankungen tiberhaupt die l~eviere abreitet und dem Truppenarzt behilflieh ist. In ruhigen Zeiten wfirde er eine kleine Beobaehtungsstation haben und fi~r das (1erieht der Division begutachten konnen.

W i r k l i c h e P s y e h o s e n sieht man bekannterma6en im Felde sehr selten; ich habe in meiner dreijtthrigen truppengrztlichen T5tigkeit nut eine Alkoholhalluzinose gesehen. Der Patient hatte einmal die nSehtliche Landung eines feindliehen Flugzeugs gemeldet, das sonst niemand gesehen und geh6rt hatte. Es gab eine umfangreiehe Unter- suehung; an den krankhaften Charakter dieser Erscheinung dachte nie- mand. Erst l:~tngere Zeit naehher, als der Mann einmM im Graben mit dem Karabiner auf nicht vorhandene Feinde losging, wurde er dem Arzt vorgestellt. Echte Epilepsie sah ieh bei den a k t i v e n Soldaten h~tufiger, als man vermuten sollte. In einem Falle wurde der erste AnfM1 (mit Zungenbilt) nachts auf der Wache festgestellt, in einem anderen er- stiekte der Kranke nachts und wurde erst am Morgen tot gefunden.

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Ich erwi~hne besonders, dab gerade hier der Verdacht einer psychogenen Erkrankung vorgelegen hatte.

Ich mSchte noch kurz yon den Kriegsneurosen der P f e r d e erzi~hlen : Es ist eine jedem Kavalleristen bekannte Tatsache, da$ viele Pferde, die einmal verwundet waren, sobald die Kugeln pfeifen, Angst bekommen, umkehren, nicht mehr weiter zu kriegen sind. Ich selbst sah einmal am Raude eines Waldlagers ein gut zusammenpassendes Gespann: das eine Pferd war vSllig nail, zitterte, schnaubte und zeigte alle Zeichen ~'ofter Angst, das andere, das doch denselben Weg und dasselbe Tempo gegangen war, war vSllig trocken. In nieht sehr grofter, abet doeh un- gefa.hrlicher Entfernung schlugen Granaten ein. Als der Fahrer kam, frug ieh ihn, was mit dem Pferde denn sei, worauf er erz~hlte, es sei einmal leieht verwundet worden und seither immer in grofter Auf regung, wenn es auch nut yon ferne schiel]en hSre. - - Interessant ist auch, daft die Pferde die Riehtung der Geschosse unterseheiden. Sehwere Artillerie schieftt von hintenher fiber die Bespannungen einer Feldartillerieabteilung, ohne dab sieh die Pferde riihren, wi~hrend ein leichtes Sehrapnell, das yon vorne kommt und gar nicht in der NiChe einsehli~gt, grSl~te Verwirrung unter den aufgeregten Pferden anrichten kann. Der Sehreck infolge des Lh r m s ist as also nieht, was die Pferde unruhig macht. - -

Es ist nieht viel, was ieh mitteilen konnte. Doch scheint es mir in- teressant zu sein, mehr als bisher yon Erfahrungen psyehiatriseh be- obachtender Xrzte in ihrer Ti~tigkeit als Truppeni~rzte zu hSren. Von Wiehtigkeit seheinen mir besonders Selbstbeobaehtungen. Wit werden uns in der Erinnerung eigener Erlebnisse leichter in unsere Kranken einftihlen, ihnen auch zweifellos leichter verzeihen, wenn es ihnen nicht immer leieht war, ,,Helden" zu sein. Wit werden dabei auch hie ver- gessen dfirfen, daft Tapferkeit und Unerschrockenheit in keinem be- st immten VerhMtnis zu anderen moralisehen F~higkeiten stehen, d a b T a p f e r k e i t v i e l m e h r e r s t zu e i n e m e t h i s c h e n E t w a s w i r d , w o e s g i l t , a n g e b o r e n e Z a g h a f t i g k e i t u n d F u r c h t s a m k e i t zu f i b e r w i n d e n , und daft endlieh der a n g e b o r e n U n e r s e h r o e k e n e zwar der praktisch Brauehbarste ist, abet keineswegs der mensehlieh Wert- vollste zu seiu pflegt.