Einst Bürgerinitiative – heute Gruppenspital: 111 Jahre ... · 1 «Lindberg»-Direktor Gugolz...

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1 «Lindberg»-Direktor Gugolz anders, besser? «Nach so vielen Veränderungsprozessen, die das ‹Lindberg› mitgemacht hat, ist es wichtig, das Vertrauen wiederzugewinnen. Gesundheit ist ein People-Business», erklärt er. So hat Gugolz mit Haus- ärztinnen und -ärzten der Stadt das Gespräch gesucht. Das «Lindberg» versteht sich als «private Ergänzung» zum Kantonsspital Winterthur. «Wir sind Teil des Medizin-Clus- ters, das Spitäler, Medtech und weitere Anbieter in Winter- thur formen», erklärt Gugolz. Die Klinik engagiert sich als Sponsor für Organisationen, die zur DNA der Stadt gehören: das «Classic Openair» des Musikkollegiums, früher der Hand- Die Klinik hiess früher schlicht «Lindberg» und gehörte zur Stadt wie «nid» statt «nöd». Generationen von Winterthure- rinnen und Winterthurern kamen hier zur Welt. Mittlerweile kann das Privatspital auf 111 Jahre des Bestehens zurück- blicken – und auf einige Hochs und Tiefs. Seit vier Jahren ist nun wieder Ruhe eingekehrt am Goldenberg. Seit 2013 ist Marco Gugolz Direktor der Privatklinik Lind- berg – länger als jeder seiner Vorgänger in der jüngeren Ver- gangenheit. In den 15 Jahren zuvor gaben sich acht Direk- toren am Goldenberg die Klinke in die Hand. Was macht Einst Bürgerinitiative – heute Gruppenspital: 111 Jahre «Lindberg» Claudia Sedioli (Text), Barbara Truninger (Bild) Vom 15-Millionen-Umbau profitieren auch die Patientenzimmer: Hotelfeeling strahlen alle aus, diese Suite bietet zudem eine eigene Terrasse.

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«Lind berg»-Direktor Gugolz anders, besser? «Nach so vielen Veränderungsprozessen, die das ‹Lindberg› mitgemacht hat, ist es wichtig, das Vertrauen wiederzugewinnen. Gesundheit ist ein People-Business», erklärt er. So hat Gugolz mit Haus-ärztinnen und -ärzten der Stadt das Gespräch gesucht. Das «Lindberg» versteht sich als «private Ergänzung» zum Kantonsspital Winterthur. «Wir sind Teil des Medizin-Clus-ters, das Spitäler, Medtech und weitere Anbieter in Winter-thur formen», erklärt Gugolz. Die Klinik engagiert sich als Sponsor für Organisationen, die zur DNA der Stadt gehören: das «Classic Openair» des Musikkollegiums, früher der Hand-

Die Klinik hiess früher schlicht «Lindberg» und gehörte zur Stadt wie «nid» statt «nöd». Generationen von Winterthure­rinnen und Winterthurern kamen hier zur Welt. Mittlerweile kann das Privatspital auf 111 Jahre des Bestehens zurück­blicken – und auf einige Hochs und Tiefs. Seit vier Jahren ist nun wieder Ruhe eingekehrt am Goldenberg.

Seit 2013 ist Marco Gugolz Direktor der Privatklinik Lind-berg – länger als jeder seiner Vorgänger in der jüngeren Ver-gangenheit. In den 15 Jahren zuvor gaben sich acht Direk-toren am Goldenberg die Klinke in die Hand. Was macht

Einst Bürgerinitiative – heute Gruppenspital: 111 Jahre «Lindberg»

Claudia Sedioli (Text), Barbara Truninger (Bild)

Vom 15-Millionen-Umbau profitieren auch die Patientenzimmer: Hotelfeeling strahlen alle aus, diese Suite bietet zudem eine eigene Terrasse.

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Den Blick über ganz Winterthur bieten die Balkone der Patientenzimmer und die Restaurantterrasse.

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Vorräte anlegen. Das strapazierte die Finanzen: Zur Deckung der Betriebsdefizite in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg musste der Betriebsfonds herhalten. Staatsbeiträge und im-mer wieder grosszügige Spenden von Privatpersonen sicher-ten aber den Betrieb und erlaubten weitere Investitionen.

So wurde 1928 eine Röntgen-anlage aus zweiter Hand an-geschafft. 1946 eröffnete das Labor und die erste Penizillin-behandlung wurde durchge-führt. Das «Lindberg» war be-liebt, doch finanziell brauten sich über dem Goldenberg im-mer wieder dunkle Wolken zu-sammen: «… müssen wir fest-stellen, dass defizitäre Abschlüsse häufig waren und es nur der vorsichtigen Finanzgebarung der jeweiligen leitenden Organe so-wie unseren Gönnern und in

einem gewissen Ausmasse auch der öffentlichen Hand zu verdanken ist, dass das Haus seine positive Entwicklung neh-men konnte», heisst es rückblickend in der Festschrift zum 75-jährigen Bestehen. Die beiden Erweiterungen 1992 und 1996 und der Bau des markanten Haupteingangs waren architektonische Meilen-steine am Lindberghang, der vom Haldengutareal aufwärts mehr und mehr bebaut wurde.

Seit 2012 im «Schutz eines Grossen»Auch nach der Jahrtausendwende stand es finanziell nicht gut um die Klinik: Im Jahr 2002 sank die durchschnittliche Bettenbelegung auf 48 Prozent und die Integration des Win-terthurer Spitals in eine Spitalgruppe war kein Tabu mehr. Die Ausrichtung auf Übergewichtsmedizin sollte 2006 die Lösung sein: Nachdem der international bekannte Stoffwechsel spe-zialist Dr. Fritz Horber 2005 die Hirslandengruppe unter Be-gleitgeräuschen verlassen hatte, eröffnete er ein Jahr später das Adipositaszentrum im «Lindberg». Doch allen Neupositionierungen, Strukturanpassungen und Entlassungen von Klinikdirektoren sowie dem zeitweise dras-tischen Personalabbau zum Trotz: 2012 hiess die Rettung für das «Lindberg» Genolier oder, wie das Spitalnetzwerk sich heute nennt, Swiss Medical Network (SMN). SMN ist die zweitgrösste rein schweizerische Spitalkette, die sich auch als «Marktführer für Medizintourismus» bezeichnet. 16 Spitäler in der Schweiz in drei Sprachregionen gehören mittlerweile dazu, darunter die Privatklinik Bethanien in Zürich. Marco Gugolz leitet seit Juli 2017 das «Lindberg» in Winterthur so-wie die Klinik Bethanien in Zürich als Generaldirektor. SMN

ballclub Pfadi Winterthur, heute der Eishockeyclub Winter-thur. Der Winterthurer Frauenlauf und das Museum Oskar Reinhart stehen ebenfalls auf der Sponsoringliste.

Thurgauer statt ScheichsGugolz will «festgefahrene Meinungen über die Klinik ent-kräften» – zum Beispiel den Mythos, vor allem reiche Scheichs liessen sich im «Lindberg» behandeln. «80 Prozent unserer Patientinnen und Patienten kommen aus der Region, woh-nen nicht mehr als 15 Autominuten von Winterthur entfernt, viele kommen aus dem Thurgau oder aus dem Grossraum St. Gallen und Schaffhausen», so Gugolz, dessen Grossmut-ter im «Lindberg» zur Welt kam. «Winterthur ist die sechst-grösste Stadt der Schweiz und hat ein Einzugsgebiet von rund einer halben Million Menschen – ich glaube an diesen Stand-ort.» Neu ist dieses Bekenntnis nicht, schon frühere Direkto-ren betonten die Standortqualitäten, doch Gugolz scheint es ernst damit zu sein, das «Lindberg» wieder winterthurerisch zu machen.

Kein «Herrenspital»Entstanden ist die Klinik 1906 aus der Mitte der damaligen Winterthurer Gesellschaft. Im Kantonsspital Winterthur stan-den damals nur zwei Privatzimmer zur Verfügung, eine Ge-burtsabteilung wurde erst rund zehn Jahre später eröffnet. Die meisten Frauen gebaren zwar zu Hause, doch wenn sich Komplikationen einstellten, mussten sie im Pferdekranken-wagen in die Frauenklinik Zürich gefahren werden – zu einem für viele Familien damals exorbitanten Fahrpreis von 35 Fran-ken. Auch Dr. Robert Stierlin, von 1899 bis 1922 Direktor am Kantonsspital, befürwortete deshalb den Bau eines privaten Krankenhauses. 1902 wurde ein Verein gegründet, der schon ein Jahr später 82 000 Franken aus Spenden und Zuwendun-gen beschafft hatte. Das Architekturbüro Jung & Bridler plante den Krankenhausbau auf dem Grundstück am Goldenberg, das der Verein erworben hatte. Am Sonntag, 28. Oktober 1906, stand das neue Krankenhaus dann der Bevölkerung zur Besichtigung offen. Kein «Herren-spital» sollte es sein, wird in der Festschrift zum 50-jährigen Bestehen betont, sondern eine von Privaten gegründete Kli-nik für «Arm und Reich». Das Spital bot Platz für 40 Kinder- und Erwachsenenbetten, die jedoch schon bald nicht mehr ausreichten. Bereits 1910 wurde im Westen ein Flügel ange-baut, Personalunterkünfte wurden zu Patientenzimmern. 1928 konnte das Personal ins «Tannegg», ein vom Hauptgebäude abgetrenntes Wohngebäude, umziehen. Doch die beiden Weltkriege wirkten sich stets negativ auf die Wirtschaftlich-keit des Spitals aus. Pflegepersonal und Ärzte wurden wäh-rend beider Kriege mobilisiert oder auf Pikett gestellt. Auf Weisung der Militärbehörden musste das Spital kostspielige

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Marco Gugolz ist seit 2013 Direktor des «Lindberg».

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neproblem», wie Gugolz betont. Die Lobby und das öffent-liche Restaurant Trois Tilleuls bieten einen superben Blick bis in die Berner Alpen. Pate für den Umbau in Winterthur stand die kurz vorher durchgeführte Renovation der Privatklinik Bethanien am Zürichberg: die gleiche sanfte Farbwelt, edle Textilien, kein Spitalgeruch, ein Kokon der Behaglichkeit.Als Gruppenspital profitiere das «Lindberg» von weiteren Sy-nergien, führt der Direktor aus: Gemeinsame Versicherungs-verträge mit den Krankenkassen, das zentralisierte Controlling in Solothurn sowie zentrale Unterstützung bei Finanzen, EDV und weiteren administrativen Aufgaben würden den Betrieb in Winterthur entlasten. «Aber sonst sind wir eigenständig. Verglichen mit anderen Spitalgruppen glaubt unser Eigentü-mer fest daran, dass wir vor Ort stark sein müssen, eben eine lokale Marke.»

Die Fast­alles­Könner Kann ein vergleichsweise kleines Spital bestehen, das sich nicht ganz klar in einer Nische positioniert? Von Kardiologie über Urologie, Handchirurgie und Gynäkologie bis zu Wirbel-

ist Teil der Aevis Victoria SA, die in Spitäler, in Luxus hotels wie das Victoria-Jungfrau Grand Hotel, in Telemedizin und Immobilien investiert und zwei Schweizer Hauptaktionäre hat. Für Direktor Gugolz, der vorher zwölf Jahre für den Konkur-renten Hirslanden tätig war, ist der «Schutz eines Gros sen» unabdingbar: «Ich bin fest der Meinung, dass es diese Klinik ohne die Gruppe nicht mehr gäbe», betont er. «Eine Klinik der Grösse des ‹Lindberg› mit 70 Betten, 90 Belegärzten und 250 Mitarbeitenden kann nur als Teil einer Gruppe überle-ben. Man glaubt bei SMN an den Standort Winterthur, hat hier viel investiert und viel vor.»

Fünfzehn Millionen Franken für Medizin und KomfortInvestiert wurde nach der Übernahme in Operationssäle, das Ärztehaus, den Park, die Tiefgarage, in Patientenzimmer und die Lobby. Gegen 15 Millionen Franken hat die Renovation gekostet. Gebracht hat sie neben neuster medizinischer Inf-rastruktur das perfekte Hotelfeeling: Die Zimmer sind in sanften Erdfarben gehalten, Teppiche dämpfen den Schritt – sie «werden aber wöchentlich shampooniert, kein Hygie-

Der markante Haupteingang wurde 2008 neu gestaltet.

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Claudia Sedioli ist Redaktorin des Winterthurer Jahrbuchs. Barbara Truninger ist freischaffende Fotografin und Bildredaktorin beim «Landboten».

säulenchirurgie listet das Spital heute 16 Fachgebiete auf. Nach dem 2012 beendeten Versuch, das «Lindberg» als Kom-petenzzentrum für bariatrische Medizin – die Behandlung stark übergewichtiger Menschen – über die Region hinaus bekannt zu machen, setzt Gugolz auf Multidisziplinarität: «Das stimmt, wir sind relativ breit aufgestellt. Doch von der Geburtsklinik, einem Urgestein des ‹Lindberg›, mussten wir uns trennen. Ich habe sehr damit gehadert, dass die Geburten mit der Klinik Bethanien fusioniert wurden. Doch wenn Sie eine gewisse Fallzahl nicht mehr erreichen, macht es einfach keinen Sinn mehr, ein Angebot aufrechtzuerhalten. Sicherheit geht vor.» Bei der Übernahme investierte die Gruppe auch in die Ge-burtsabteilung und noch 2013 war zu lesen, dass die Geburts-station bleibe. Das Ziel heute sei die Fokussierung auf den Bewegungsapparat, erklärt Gugolz, «aber andere Angebote wollen wir nicht vernachlässigen. Ich bin überzeugt, dass gewisse Patienten gerne ins ‹Lindberg› gehen. Als kleines Spi-tal sind wir familiär, das ist unsere Einzigartigkeit – neben der guten Lage.»

Vom KSW ans «Lindberg»Schwerpunkte setzen im «Lindberg» oft Spezialisten, die den Weg vom Kantonsspital Winterthur (KSW) auf den Golden-berg finden: 2013 sorgte der Wechsel des Unfallchirurgen Dr. Thomas Hotz an das Privatspital für Aufsehen. Kürzlich stiessen zwei KSW-Rheumatologen neu zum «Lindberg». Ein neuer Fokus soll denn laut Gugolz auch auf der Rheuma-tologie liegen. Ein Angebot an bariatrischer Medizin besteht weiterhin. In den Räumen der ehemaligen Geburtssta tion werden gegen Ende 2017 neu eine Dialysestation und die entsprechende ärztliche Praxis eingerichtet – «mit einer schnellen Internetverbindung und gut ausgestatteten Arbeits-plätzen», wie Gugolz betont. Wer mehrmals wöchentlich stun-denlang Dialyse machen müsse, wolle dabei oft arbeiten oder sich bei der regelmässigen Blutwäsche wenigstens an einem schönen Ort aufhalten. Dafür biete das «Lindberg» die per-fekte Infrastruktur.Die gute Lage der Klinik am besten geniessen kann, wer eine der luxuriösen Suiten gebucht hat: Die behaglich ausgestatte-ten Appartements sind nur am Spitalbett als Krankenhaus-unterkunft zu erkennen. Eigene Terrassen, Sitzgruppen und Küchen zeilen garantieren Privacy. Ein klinikeigener Chauffeur steht allen Patientinnen und Patienten zur Verfügung. Denn der Trend «ambulant vor stationär» macht auch vor dem «Lindberg» nicht halt: 20 bis 25 Prozent der jährlich über 2500 Patientinnen und Patienten werden ambulant behandelt – wie Direktor Gugolz betont, auch grundversicherte und sol-che, deren Kosten von der Unfallversicherung gedeckt sind. Auch der 24-Stunden-Privatnotfall steht allgemein versicher-

ten Patientinnen und Patienten für eine Erst abklärung offen. 60 Prozent sind halbprivat versichert, ein Drittel privat, die restlichen 8 Prozent haben eine allgemeine Versicherung oder sind Selbstzahler. 95 Ärztinnen und Ärzte sind akkreditiert und der Bestand an Mitarbeitenden ist inzwischen wieder auf 250 gestiegen. Elf Lernende werden zurzeit im «Lindberg» ausgebildet, von der Fachangestellten Gesundheit bis zum Fachmann Betriebsunterhalt.Inzwischen steht ein weiterer Ausbau am Goldenberg an. Be-reits frühere Klinikbetreiber nahmen zusammen mit der Stadt Winterthur eine Testplanung vor. Auf den 14 000 Quadrat-metern westlich des Hauptgebäudes soll ein Neubau die Süd-fassade der Klinik verlängern. «Ob eine ambulante OP-Ein-heit, eine Rehaklinik, eine Altersresidenz oder ein Angebot für Akut- oder Langzeitgeriatrie – das ist noch völlig offen», erklärt Gugolz. 2016 hat der Gemeinderat den Gestaltungs-plan genehmigt. Gugolz ist zuversichtlich, dass das «Lind-berg» im Anbau bald neue Angebote machen wird: «In fünf Jahren steht der Neubau.»