ELENA SANTIAGO Wind der Gezeiten - bücher.de · 2017. 7. 12. · stell te. Sie fuhr he rum und sah...

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ELENA SANTIAGO Wind der Gezeiten

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  • ELENA SANTIAGO

    Wind der Gezeiten

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  • Elena Santiago

    Wind der GezeitenRoman

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  • Elena Santiago

    Wind der GezeitenRoman

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  • Ers ter Teil

    Bar ba dosFrüh jahr 1652

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    Eli za beth war von Dun kel heit um ge ben. Der Him mel war schwarz, vol ler ja gen der Sturm wol ken, die al les Licht aus ge löscht hat ten.

    »Mommy?«, frag te John ny ängst lich.»Sei still, mein Klei ner. Al les wird gut. Wir müs sen nur

    Daddy fin den, dann sind wir in Si cher heit.«Sie hielt ih ren Sohn fest an sich ge drückt, wäh rend sie

    wei ter rann te. Um sie he rum tob te der Sturm. Äste und Sand wir bel ten durch die Luft, man konn te nicht die Hand vor Au gen se hen. Der to ben de Wind über la ger te alle Ge-räu sche, doch Eli za beth wuss te ge nau, dass ihr Ver fol ger dicht hin ter ihr war, nur we ni ge Schrit te trenn ten ihn noch von ihr. Böen peitsch ten ihr ins Ge sicht, ihre Füße ver fin-gen sich in Treib gut, das der Sturm über das Land ge trie-ben hat te.

    »Bleib ste hen«, hör te sie ihn durch den Sturm wind ru fen. »Hab kei ne Angst vor mir!«

    Doch sie wuss te, dass er sie und John ny tö ten wür de, wenn sie in ne hielt.

    »Eli za beth«, schrie Har old. »Lauf nicht weg. Ich lie be dich doch!«

    Na tür lich log er. Je mand, der so ab grund tief böse war, konn te nicht lie ben. All sei ne Ge füh le wa ren nur Zerr bil der des Has ses, mit dem er je den ver nich te te, der sich ge gen ihn

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    stell te. Sie fuhr he rum und sah sein Mes ser fun keln. Ab weh-rend hob sie die Hand und schrie auf.

    Im nächs ten Au gen blick war Dun can bei ihr. Er hielt sie um fan gen und wieg te sie in sei nen Ar men. »Schsch. Ist ja schon gut, Lie bes. Es war nur ein Traum.«

    Mit ei nem Auf schluch zen wur de Eli za beth end gül tig wach. Sie schmieg te sich an Dunc ans war men Kör per und um klam mer te ihn. »Er war wie der da. Er woll te John ny und mich tö ten.«

    »Er ver rot tet in sei nem Grab, Liz zie. Er kann nie man dem mehr was tun.«

    Sie war selbst da bei ge we sen, als Har old Dunm ore in der Nacht des Hur rik ans zur Höl le ge fah ren war, doch die Er eig-nis se schie nen im mer noch all ge gen wär tig. So gar nach sei-nem Tod ge lang es ih rem eins ti gen Schwie ger va ter, sich in ihre Träu me zu drän gen und ihr Angst ein zu ja gen. Mit tie fen Atem zü gen ver such te sie, sich zu be ru hi gen. Dunc ans Nähe half ihr da bei. Sie spür te, wie sie sich all mäh lich ent spann te.

    »Es wird Zeit, dass wir von hier weg kom men«, mur mel te sie, das Ge sicht an sei ner Schul ter. »Wir sind so wie so schon viel zu lan ge hierge blie ben. Ich has se die ses Haus. Es ist ver-fucht.«

    »Es ist nur ein Haus.«»Es ist sein Haus.«»Er ist tot.«»Trotz dem. Es nimmt mir die Luft zum At men.«»Nur noch drei Tage, Liz zie. Die ge hen schnell vor bei.«Dun can hat te die Bei ne aus dem Bett ge schwun gen, das

    Mos ki to netz zur Sei te ge scho ben und eine Ker ze an ge-zün det. Das fa ckern de Licht zeich ne te die Um ris se sei ner Schul tern nach, als er sich zu Eli za beth um dreh te. »Geht es wie der?«

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    Eli za beth nick te wort los, in dem Wis sen, dass es an de re Näch te mit wei te ren Alb träu men ge ben wür de. Doch hier und jetzt war sie si cher, mit Dun can an ih rer Sei te. Ihr Sohn schlief ge bor gen im Ne ben raum, und wenn der Him mel ih-nen gnä dig war, wür den sie bald noch ein Kind in den Ar men hal ten.

    Dun can zog sie an sich und ver grub sein Ge sicht in ih rem Haar. »Al les wird gut.«

    Er sag te das mit sol cher Ent schie den heit, dass auch sie da-ran glaub te. Ge mein sam lausch ten sie dem Wind und dem Pras seln des nächt li chen Re gens. Die höl zer nen Lä den klap-per ten im Luft zug, und die Trop fen schlu gen mo no ton ge-gen die Quer stre ben vor den Fens tern.

    »Es wird bald Tag.« Dun can strich mit der Hand über ih ren ge run de ten Leib und be rühr te eine ih rer vol len Brüs te. Sei-ne Au gen fun kel ten im Ker zen schein, und sein Lä cheln be-kam et was Ver we ge nes. »Ei gent lich lohnt es sich kaum noch, wie der ein zu schla fen. Was meinst du?«

    Sie mur mel te eine Zu stim mung und spür te, wie sich sei ne Er re gung auf sie über trug, als er sie sanft, aber be stimmt in die Kis sen zu rück dräng te und sie küss te. Er hat te schon im-mer ge wusst, wie er sie auf an de re Ge dan ken brin gen konn te.

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    Eli za beth zü gel te die Stu te auf dem Hü gel und blick te über die ver steck te klei ne Bucht. Pearl schnaub te lei se und be weg te wit ternd den Kopf. In der Nähe ra schel te ein Tier im Un ter holz. Eli za beth tät schel te der Stu te be ru hi-gend den Hals.

    Das Meer war in kup fer far be nes Licht ge taucht, die Son ne stand be reits tief. In die sen tro pi schen Brei ten kam die Dun-kel heit schnell. Ein kur zes, feu ri ges Far ben spiel, von Oran-ge über Rot bis hin zu dunk lem Pur pur, das die gan ze Welt zum Leuch ten brach te – und dann war plötz lich al les Licht ver schwun den, bis auf ein sam ti ges, tief vi o let tes Nach glühen auf dem Was ser.

    »Viel Zeit bleibt nicht mehr«, sag te Deir dre hin ter ihr. »In spä tes tens ei ner Stun de ist es dun kel.«

    Eli za beth zau der te, je doch nur kurz. »Es ist viel leicht das letz te Mal. Eine hal be Stun de reicht mir.«

    Ent schlos sen lenk te sie Pearl den Hü gel hi nab, und die jun-ge iri sche Magd, die sie schon seit Jah ren auf ih ren Aus rit ten be glei te te, folg te ihr auf dem Wal lach, der frü her Ro bert ge-hört hat te. Eli za beth be merk te, dass ihre Ge dan ken sich in eine un er wünsch te Rich tung be weg ten. Ro bert war tot, ge-nau wie sein Va ter Har old, aber die bö sen Er in ne run gen an ihn leb ten eben falls fort. Sei ne zü gel lo se Viel wei be rei, sei ne un be re chen ba re Sprung haf tig keit – ihre Ehe, aus rei nen Ver-

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    nunft grün den ge schlos sen, war ein De sas ter ge we sen, eine ein zi ge Ver ket tung un se li ger Irr tü mer und Feh ler, und Ro-berts ge walt sa mer Tod der Auf takt grau en haf ter Er eig nis-se. Doch das al les war vor bei. Sie und die Men schen, die sie lieb te, hat ten es über lebt. Wenn sie es sich selbst nur oft ge nug vor sag te, muss te die Ver gan gen heit ih ren Schre cken ver lie ren.

    Eli za beth be rühr te ih ren Ehe ring, je nen, den Dun can ihr an ge steckt und sie da mit vor Gott und der Welt zu sei ner Frau ge macht hat te. Sie ge hör te zu ihm. Mit ihm ge mein sam konn te sie al les hin ter sich las sen, die schlim men Er eig nis se eben so wie die Orte, an de nen sie sich zu ge tra gen hat ten. In zwei Ta gen wür den sie in See ste chen und Bar ba dos ver las-sen. Dann fing ihr neu es Le ben wirk lich an.

    Sie er reich te den Strand und saß ab. Ohne zu zö gern, zog sie sich aus und wa te te ins Was ser, das köst lich warm über ihre Haut spül te. Die Son ne leuch te te wie ein Flam men-ball über dem Ho ri zont, und als Eli za beth hi naus schwamm und un ter tauch te, er glüh ten un ter ihr am Mee res grund die Ko ral len gär ten in atem be rau ben den Far ben. Man che der pfan zen ar ti gen Aus wüch se wa ren ge formt wie Blu men, an-de re wie Bu ckel, Za cken, Röh ren oder Fä den. Sie be weg-ten sich trä ge mit der Mee res strö mung und bo ten al ler lei Ge tier Un ter schlupf. Ent zückt be ob ach te te Eli za beth ei nen Schwarm blau schil lern der Fi sche, die, auf ge schreckt durch ei nen grö ße ren Jä ger, aus dem Riff sto ben und blitz ar tig ver-schwan den. Der Raub fisch, ein klei ne rer Hai, ließ sich wie-der zwi schen die bi zar ren For ma ti o nen des Mee res bo dens zu rück sin ken, um dort auf neue Beu te zu war ten.

    Eli za beth zog eine ge mäch li che Run de über das Riff und tauch te an schlie ßend auf, um Luft zu ho len. Mitt ler wei le konn te sie recht lan ge un ten blei ben. Es war al les eine Fra ge

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    der Übung, und da von konn te sie reich lich vor wei sen. Dun-can fand ihre Lei den schaft fürs Tau chen ein we nig be ängs-ti gend. Er be fürch te te im mer noch, sie könn te aus Ver se hen ein at men, wenn sie un ter Was ser war, was un aus weich lich ih ren Tod zur Fol ge ha ben wür de. Wäre es nach ihm ge gan-gen, hät te sie längst da mit auf ge hört, zu mal sie nach sei ner Über zeu gung we gen ih rer Schwan ger schaft mehr Rück sicht auf ihre Ge sund heit neh men soll te. Um sei nen Un wil len nicht he raus zu for dern, war sie in der letz ten Zeit nur noch tau chen ge we sen, wenn er nicht auf Bar ba dos war, was in den ver gan ge nen Mo na ten al ler dings kaum noch vor ge kom-men war. Ein mal war er nach St. Vin cent ge se gelt, ein an de-res Mal zu den nörd li chen An til len, bis hi nauf zu den Ba ha-mas, doch seit zwei Wo chen lag die Eli se in der Bucht von Bridge town vor An ker – Dun can be rei te te an Bord be reits al les für ihre ge mein sa me Über fahrt nach Eng land vor.

    Ge dan ken ver lo ren ließ Eli za beth sich auf den Wel len trei-ben. Sie lag auf dem Rü cken und trat lang sam Was ser. Der Him mel über ihr war in leuch ten des Rot ge taucht, das Meer um sie he rum wie füs si ges Gold. Sie spür te ei nen Tritt des Kin des, und un will kür lich tas te te sie über die glat te Run-dung ih res Bauchs.

    Der Zwei fel der Un ge wiss heit be mäch tig te sich ih rer, und wie so oft in der letz ten Zeit frag te sie sich, was die Zu kunft für sie und ihre Fa mi lie be reit hal ten moch te. Sie lieb te die Ka ri bik über al les, aber auf Bar ba dos woll ten sie und Dun can nicht län ger le ben. Zu viel Schlim mes war hier im ver gan ge-nen Jahr ge sche hen, zu feind se lig seit her die Stim mung auf der In sel. Wo im mer sie er schie nen, wur den sie von boh ren-den Bli cken ver folgt. Es hat te Arg wohn und Ab nei gung bei den Leu ten her vor ge ru fen, dass sie so bald nach Ro berts Tod den ver ru fe nen Frei beu ter Dun can Hay nes ge hei ra tet hat te,

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    und als sie ihre Schwan ger schaft nicht mehr hat te ver ber gen kön nen, war erst recht das Ge tu schel los ge gan gen. Be stimmt wür de es auch nicht mehr lan ge dau ern, bis den Klatsch mäu-lern die Ähn lich keit zwi schen Jona than und Dun can auf fiel. Der Klei ne war erst zwei Jah re alt, aber so gar dem Dümms-ten konn te nicht auf ewig ver bor gen blei ben, dass er Dun can wie aus dem Ge sicht ge schnit ten und folg lich nicht Ro berts Sohn war. Nur gut, dass sie weg sein wür den, be vor je mand es be merk te.

    Da von ab ge se hen hat te sie schon zu Ro berts Leb zei ten viel Ge re de auf sich ge zo gen – eine Frau, die im Her ren sat-tel ritt, das Haar of fen trug und ihr Mie der der ar tig nach-läs sig schnür te, konn te in den Au gen der Leu te un mög lich als tu gend haft gel ten. Sie stand im An se hen kaum hö her als Claire Dub ois, die fran zö si sche Bor dell be sit ze rin im Ha fen von Bridge town.

    »My la dy!«, rief Deir dre. »Die Son ne geht un ter!«Eli za beth schrak zu sam men. Sie hat te völ lig die Zeit ver-

    ges sen. Ei lig wa te te sie zu rück zum Strand, mit bei den Hän-den das nas se Haar aus wrin gend. Deir dre reich te ihr ein sau be res Lei nen tuch, das sie sich um den Kopf wi ckel te. Das Käm men wür de sie spä ter er le di gen. Mit ei nem an-de ren Tuch trock ne te sie sich ab, be vor sie in ihre Sa chen schlüpf te, die Deir dre über ei nen Fel sen ge brei tet hat te. Sie hat ten be reits so häu fig die se ge mein sa men Aus fü ge un-ter nom men, dass sämt li che Hand rei chun gen sich wie von selbst an ei nan der reih ten. Eli za beth war bin nen Mi nu ten be-reit zum Auf bruch. Deir dre hat te vor sorg lich zwei mit ge-brach te Wind lich ter an ge zün det, denn mit der sin ken den Son ne schwand be reits das letz te Licht des Ta ges. Sie wür-den ei nen Teil des Heim wegs bei Dun kel heit zu rück le gen müs sen. Blieb nur zu hof fen, dass Dun can noch nicht zu

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    Hau se war, sonst wür de er es fer tig brin gen, ein Such kom-man do aus zu schi cken.

    Eli za beth ritt vo ran. Die La ter ne spen de te nicht viel Licht, doch in der auf zie hen den Däm me rung reich te es, um den Weg zu er ken nen. Sie war ihn schon so oft ent lang ge rit ten, dass sie ihn not falls auch im Dun keln ge fun den hät te. Deir-dre folg te ihr stumm auf dem Wal lach. Sie hat te nicht viel ge re det seit ih rem Auf bruch am spä ten Nach mit tag. Eli za-beth wand te sich zu ihr um.

    »Ist al les in Ord nung mit dir?«, frag te sie das Mäd chen.Deir dre nick te stumm, be vor sie die Hand hob und ei-

    nen Mos ki to tot schlug, der sich auf ih rem Arm nie der ge las-sen hat te. Bei Däm me rung ka men die gie ri gen klei nen Blut-sau ger in Schwär men aus den Zu cker rohr fel dern am Ran de des Dschun gels und stürz ten sich auf je des Le be we sen in der Nähe.

    Eine wi der spens ti ge Lo cke hat te sich aus Deir dres Hau be ge stoh len und leuch te te loh far ben im Licht der La ter ne an ih rem Sat tel horn. Das Ge sicht der jun gen Irin war ver-schlos sen und ernst. Eli za beth wuss te, was das Mäd chen be drück te – Deir dre hat te im mer noch kei ne Ent schei dung ge trof fen. Eli za beth hat te ih ren Schuld kont rakt zer ris sen, Deir dre war frei und konn te ge hen, wo hin sie woll te, doch dazu hät te sie zu erst wis sen müs sen, wo ihr Ziel lag. Eli za-beth hat te ihr an heim ge stellt, mit ihr und Dun can fort zu se-geln. Zu nächst nach Eng land, wo Eli za beth auf dem Land-gut ih res Va ters nach dem Rech ten se hen und ihr Kind zur Welt brin gen woll te, und dann wie der zu rück in die Ka-ri bik, wo es un zäh li ge In seln gab, die nicht von bi got ten, hart her zi gen Skla ven hal tern be völ kert wa ren und auf de-nen es sich ge wiss bes ser le ben ließ als auf Bar ba dos. Dun-can hat te be reits an ge fan gen, sich nach ei ner neu en Hei mat

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    für sie um zu tun, und Eli za beth wünsch te sich, dass Deir-dre mit kam.

    Das Mäd chen war als Schuld magd nach Bar ba dos ge kom-men, aber die ge mein sam durch leb ten Schre cken hat te sie bei de zu sam men rü cken las sen. Deir dre war Eli za beth im mer mehr ans Herz ge wach sen. Au ßer dem lieb te sie John ny fast wie ein ei ge nes Kind. Doch da gab es auch Pa ter Ed mond, an dem Deir dre noch mehr hing und den sie nicht ver las sen woll te. Ihre in ne re Zer ris sen heit war kaum noch zu über se-hen. Eli za beth be schloss, nicht län ger um den hei ßen Brei he rum zu re den. Sie zü gel te Pearl, bis sie mit der Irin auf glei-cher Höhe ritt.

    »Deir dre, über mor gen ge hen wir auf die Rei se. Ich weiß, dass dich viel mit Pa ter Ed mond ver bin det und du des halb mit dem Ge dan ken spielst, sei net we gen auf Bar ba dos zu blei ben. Aber du soll test nicht ver ges sen, dass du dich da-durch in Ge fahr be gibst.«

    »Ich weiß, My la dy.« Es klang er ge ben, aber auch eine Spur trot zig.

    »Wie soll dein Le ben aus se hen, wenn du hier bleibst?«, frag-te Eli za beth. »Willst du wie der bei Ed mond in den Wäl dern hau sen? Stän dig auf der Flucht, ge äch tet und ver folgt? So lan ge, bis sie ihn schnap pen und auf knüp fen? Dich wür den sie eben falls be stra fen, we gen Un ter stüt zung ei nes ent fo he-nen Schuld knechts.«

    »Er ist kein Schuld knecht, son dern ein Pries ter und aus gu-ter Fa mi lie«, pro tes tier te Deir dre hef tig. »Er hat sich nie et-was zu schul den kom men las sen! Ge mei ne Men schen händ-ler ha ben ihn in Dub lin von der Stra ße weg ent führt und in die Ge fan gen schaft ver kauft!«

    »Das weiß ich doch. Aber das schert die Leu te hier nicht, so wie es sie auch sonst nicht küm mert, wen sie un ter jo-

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    chen. Haupt sa che, sie ha ben ge nug Ar beits kräf te für die Zu-cker rohr ern te, egal wo her die se kom men. Wer im mer da-bei stirbt, wird gleich durch den nächs ten er setzt, sei en es Schwar ze oder Iren. Ihre Hun de be han deln sie bes ser als ihre Ar bei ter und Skla ven. Du weißt, wie sehr die Eng län der die Iren has sen, und noch mehr has sen sie Pa pis ten. Dein Le ben in der Nähe die ses Man nes wäre nicht si cher, ge nau so we-nig wie sei nes!«

    Deir dre gab kei ne Ant wort, doch im Schein der La ter ne war zu se hen, wie sie sich auf die Lip pe biss. Ihr Blick of fen-bar te die gan ze Qual ih rer aus sichts lo sen, ver bo te nen Lie be zu ei nem Mann, zu dem sie nie mals wür de ge hö ren kön nen, so we nig, wie sie fä hig war, ihn zu ver las sen.

    »Ich hat te dir schon an ge bo ten, dass er mit kom men kann«, sag te Eli za beth. »Er könn te von Lon don aus zu sei ner Fa mi-lie zu rück keh ren.«

    »Er will nicht zu rück nach Dub lin.« Deir dres Stim me klang ver zwei felt. »Ich habe ihn an ge feht, dass er mit uns fah ren soll, aber er hat ge sagt, sein Platz sei hier. Weil sonst nie mand den Müh se li gen und Be la de nen Got tes Wort ver-kün den wür de.«

    Eli za beth un ter drück te eine är ger li che Ant wort. Nach ih-rem Emp fin den ge fiel die ser jun ge Ire sich all zu sehr in der Rol le des ka tho li schen Mär ty rers. Es wür de nicht lan ge dau-ern, bis der Rat der Pfan zer be schloss, dass es wie der ein-mal an der Zeit für eine Straf ex pe di ti on sei. Es kam häu fi ger vor, dass Skla ven oder Schuld knech te weg lie fen und sich im Dschun gel ver steck ten, so wie Ed mond. Im letz ten Jahr, vor dem gro ßen Sturm, wa ren die Schuld knech te und Skla ven in Scha ren von den Plan ta gen ge fo hen, um ei nen Auf stand an zu zet teln. Da rauf hin hat ten die Pfan zer be waff ne te Bri-ga den in die Wäl der ent sandt, um die Flücht lin ge auf zu spü-

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    ren. Mit Blut hun den hat ten sie die Schwar zen und Iren zu-sam men ge trie ben und an schlie ßend vie le von ih nen ge hängt. Ed mond hat te Glück ge habt. Er war ei ner der we ni gen ge-we sen, die der Men schen jagd ent kom men wa ren. Doch es war nur eine Fra ge der Zeit, bis sie ihn schnapp ten, und dann war sein Le ben kei nen Penny mehr wert.

    Vor ih nen tauch te in der Dun kel heit Dunm ore Hall auf.Das von ei ner ho hen Mau er um ge be ne An we sen war von

    Fa ckeln be leuch tet, die zu bei den Sei ten des gro ßen To res brann ten. Har old Dunm ore hat te ein Ver mö gen in den Bau die ses Her ren hau ses ge steckt. Nach sei nen Vor stel lun gen hät-ten hier Ge ne ra ti o nen von Dun mo res he ran wach sen sol len – eine Dy nas tie, von ihm ge grün det. Sein gro ßer Traum, für den er zum Mör der ge wor den war und so gar Ro bert, sei nen ei ge-nen Sohn, ge tö tet hat te, weil er sich in den Kopf ge setzt hat te, Eli za beth für sich selbst zu ge win nen. Bei dem Ge dan ken an den Wahn sinn ih res Schwie ger va ters über lief sie ein Frös teln.

    Sid, ei ner von Dunc ans Män nern, hielt bei der Mau er Wa-che. Er öff ne te ihr das Tor.

    »My la dy.« Er tipp te mit sei ner drei fin gri gen Lin ken an die Müt ze und ver zog das ver narb te Ge sicht zu ei nem zahn lo-sen Lä cheln. Der Ver lust sei ner Fin ger und Schnei de zäh ne war auf eine höchst un an ge neh me Be geg nung mit den Spa-ni ern zu rück zu füh ren. Vor Jah ren war er ih nen in die Hän-de ge fal len und ge fol tert wor den.

    Dun can zu fol ge schreck ten die meis ten Spa ni er vor nichts zu rück, um an Gold und Sil ber zu kom men. Auf Scho nung konn ten nur Ge fan ge ne von bes se rem Stand hof fen. Alle an-de ren wur den ge fol tert, bis sie ihre Geld ver ste cke ver rie ten.

    »Sid hat te keins, aber das woll ten sie ihm nicht glau ben«, hat te Dun can er zählt. »Sie fin gen mit den Zäh nen an. Ir gend-wann be gan nen sie, ihm die Fin ger ab zu ha cken.«

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    »Was hat sie dazu ge bracht, nach zwei Fin gern auf zu hö-ren?«, hat te Eli za beth mit ei nem An fug von Grau en ge fragt.

    »Ich«, kam es la pi dar zu rück. »Wir hat ten zu fäl lig den sel-ben Kurs wie die Spa ni er, sie la gen ge nau vor un se ren Ka no-nen. Eine Breit sei te, und sie muss ten sich er ge ben.«

    Nach dem Dun can die Ga le o ne ge en tert und alle Ge fan-ge nen be freit hat te, hat te Sid sei ne ge sun de Hand be nutzt, um dem spa ni schen Be fehls ha ber und des sen Fol ter knecht die sel be Be hand lung an ge dei hen zu las sen, die ihm zu teil-ge wor den war. Da ran muss te Eli za beth häu fig den ken, wenn sie Sid ge gen ü ber trat. Er wirk te im mer so harm los und zu-vor kom mend, doch der Grat zwi schen leut se li ger Freund-lich keit und er bar mungs lo ser Ge walt war bei Män nern, die zur See fuh ren, meist sehr schmal – Dun can nicht aus-ge nom men. Er war der lie be volls te Va ter und zärt lichs te Lieb ha ber, aber im An ge sicht der Ge fahr konn te er tö ten, ohne mit der Wim per zu zu cken. Wäh rend des Auf stands im ver gan ge nen Jahr hat te er vor Eli za beths Au gen bin nen ei ner Mi nu te drei Män ner um ge bracht, um Eli za beths Le-ben zu ret ten. Das sel be wür de auch Sid tun, wann im mer es nö tig war.

    »Mas ter Hay nes hat sich Sor gen ge macht«, sag te er. Sei ne Stim me klang vor wurfs voll. »Wir woll ten ge ra de auf bre chen und nach Euch su chen. Euer Gat te holt nur rasch noch fri-sche Mu ni ti on.«

    Im sel ben Mo ment, als er das sag te, kam Dun can auch schon aus dem Haus. Im un ste ten Licht der Fa ckeln, die zu bei den Sei ten des Ein gangs brann ten, wirk te sei ne im-po san te Ge stalt wie die ei nes Krie gers, der zum An griff be-reit war. Über sei ner Brust kreuz ten sich zwei Leib gur te mit Pat ro nen, und an sei nem Weh r ge henk hin gen un ü ber seh bar Pis to le, Dolch und Streit axt. Sein Ge sicht of fen bar te sei ne

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    Er leich te rung, als er Eli za beth sah, aber die se Re gung ver-schwand so fort und mach te ei nem un durch dring li chen Aus-druck Platz.

    »Du warst tau chen«, sag te er, den Blick auf das feuch te Tuch um ih ren Kopf ge hef tet.

    Sie konn te es schlecht ab strei ten, da die Tat sa chen für sich spra chen.

    »Es war das letz te Mal«, sag te sie, um ei nen ver söhn li chen Ton be müht. »Wer weiß, ob ich je mals in mei nem Le ben wie der Ge le gen heit dazu ha ben wer de.«

    »Komm mit, wir müs sen re den«, er wi der te er nur knapp, be vor er sich um dreh te und im Haus ver schwand. Eli za-beth über gab Pearls Zü gel Pad dy, dem al ten Pfer de knecht. Er führ te Pearl und den Wal lach hi nü ber zu den Stal lun gen. Deir dre ging auf ihre Kam mer, wäh rend Eli za beth mit mul-mi gen Ge füh len den Durch gang zum Pat io an steu er te, wo Dun can schwei gend auf sie war te te.

    Er blick te sie ein dring lich an, als sie auf ihn zu kam.Ihre Züge of fen bar ten ihr schlech tes Ge wis sen, doch er sah

    auch den Trotz in ih ren Au gen.»Ich habe gut auf ge passt und bin in un mit tel ba rer Nähe

    des Ufers ge blie ben. Und Deir dre hat mich kei nen Mo ment aus den Au gen ge las sen. Ich bin nicht so lan ge un ten ge blie-ben, wie es mir mög lich ge we sen wäre. Ich füh le mich groß-ar tig. Und ge sund. Dem Kind habe ich ge wiss nicht da mit ge scha det. Bis zur Ge burt dau ert es noch an die sechs Wo-chen.«

    Sie gab sich sol che Mühe, sich zu recht fer ti gen, und für ei-nen Mo ment wünsch te er sich, es hät te für sie bei de kei nen an de ren Grund sich zu sor gen ge ge ben als den, dass sie tau-chen ge we sen war. Er trat auf sie zu und hob die Hand. Sie

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    blieb reg los ste hen, wäh rend er ihr über die Wan ge strich. Ihre Haut war so un glaub lich zart, dass er manch mal Angst hat te, sie zu be rüh ren. Vor sich tig zog er ihr das Tuch vom Kopf. Ihre nas sen Lo cken fie len he rab und rin gel ten sich über ihre Schul tern. Im Ker zen licht hat ten sie die Far be von dunk lem Gold. Dun can nahm eine da von und wi ckel te sie sich um den Fin ger.

    »Ich will dir kei ne Straf pre digt hal ten«, sag te er.»Oh.« Er staunt und leicht ver un si chert blick te sie ihn an.

    »Wirk lich nicht?«»Wirk lich nicht.« Er zupf te kurz an der Haar sträh ne und

    ließ sie wie der los. »Ich weiß, dass du das Tau chen be herrschst und da bei nur das tust, von dem du si cher bist, dass du es kannst. Da mit will ich nicht sa gen, dass es mir ge fällt, wenn du es machst. Lie ber wäre mir, du wür dest es las sen. Zu-min dest so lan ge, bis un ser Kind ge bo ren ist. Das zwei fel los mit Kie men auf die Welt kom men wird.« Er un ter drück te ein Lä cheln, als er ihre Er leich te rung be merk te. »Du hät test Feli ci ty Be scheid sa gen sol len, was du vor hast.«

    Er merk te so fort, dass er sich die sen Vor wurf auch hät-te spa ren kön nen, denn ge ra de das hat te sie wahr schein lich ab sicht lich nicht ge tan, weil ihre Cou si ne sonst al les da ran-ge setzt hät te, den Aus ritt zu ver hin dern. Feli ci ty war in ih-rer Für sor ge nicht zu brem sen. Wäre es nach ihr ge gan gen, hät te Eli za beth mit Rück sicht auf die Schwan ger schaft von früh bis spät im Lehn stuhl sit zen müs sen und höchs tens zum Kirch gang auf ste hen dür fen. Sie hielt es be reits für le-bens ge fähr lich, dass Eli za beth sich in ih rem Zu stand noch auf ein Pferd setz te.

    »Feli ci ty wuss te, dass ich ein biss chen an die fri sche Luft woll te.«

    »Wuss te sie auch, dass du tau chen woll test?«

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    Eli za beth schüt tel te schuld be wusst den Kopf.»Du hast zu ihr ge sagt, du wärst vor der Däm me rung zu-

    rück. Jetzt ist es stock dun kel.«»Es tut mir leid, dass du dir Sor gen ge macht hast. Ich habe

    ein fach die Zeit ver ges sen. Au ßer dem hat te ich ur sprüng lich frü her von hier los rei ten wol len, aber Feli ci ty muss te un be-dingt noch ein mal mit mir zu sam men die Wä sche kis te um-pa cken, weil sie dach te, sie be kommt dann viel leicht noch mehr hi nein …« Sie ver stumm te und blick te ihn fra gend an. »Du siehst so … be sorgt aus. Was ist los?«

    »Es wird Är ger ge ben. Der In sel rat hat ge tagt, und wie es scheint, wol len sie mir vor un se rer Ab rei se noch ans Le der. Ich soll hoch of fi zi ell vor ge la den und ver nom men wer den.«

    Eli za beth stock te vor Schreck der Atem. Dun can sah, wie an ih rem Hals eine klei ne Ader an fing zu klop fen. Er über leg-te, wie er es ihr scho nen der hät te bei brin gen kön nen, doch er fand kei ne Mög lich keit.

    »Wa rum?«, ent fuhr es ihr.»Sie brau chen da für kei nen be son de ren Grund. Du weißt,

    was sie hier auf Bar ba dos von mir hal ten.«Je der wuss te das. Er war auf der In sel nicht gut ge lit ten. Es

    war durch ge si ckert, dass er wäh rend des Un ab hän gig keits-kampfs ge gen das eng li sche Mut ter land die Sei ten ge wech-selt hat te. Wäh rend er nach au ßen hin als Be ra ter und Emis-sär des Ra tes der Pfan zer auf ge tre ten war, hat te er heim lich die Ma ri ne kom man dan tur Crom wells da bei un ter stützt, im Schut ze der Nacht Trup pen auf die In sel zu brin gen. Auf die se Wei se hat te er da für ge sorgt, dass die Re bel li on der Ko lo nis ten nie der ge schla gen wur de, be vor sie rich tig an fan-gen konn te.

    »Wie kön nen sie dir dein Ver hal ten vor wer fen?«, er ei fer-te Eli za beth sich. »Es war doch nur zu ih rem Bes ten. Dir al-

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    lein ha ben sie es zu ver dan ken, dass sie alle mit ei nan der ihre Plan ta gen be hal ten durf ten! Ja so gar, dass sie über haupt noch ei nen Rat bil den dür fen. Nur du hast Zer stö rung und Blut-ver gie ßen ver hin dert und die In sel vor ei nem viel schlim me-ren Schick sal be wahrt. Ad mi ral Ays cue hät te doch sonst mit den Ka no nen der Res ti tu ti on ganz Bridge town in Schutt und Asche ge schos sen! Und hin ter her die Auf stän di schen auf-ge hängt, statt ih nen ihre Äm ter und Län de rei en zu las sen.«

    Da mit zähl te sie un be streit ba re Tat sa chen auf, doch längst nicht je der auf Bar ba dos war ih rer Mei nung. Da bei hat ten Ad mi ral Ays cues Trup pen nicht ein mal dem Gou ver neur als ver ant wort li chem Rä dels füh rer der Re bel li on ein Haar ge-krümmt. Er hat te le dig lich ab dan ken und die In sel ver las sen müs sen. Sein nichts nut zi ger Nef fe Eu ge ne da ge gen war in Amt und Wür den ge blie ben und fun gier te nun als Ad ju tant des neu en Gou ver neurs.

    »Ich wet te, Eu ge ne Wins ton steckt da hin ter«, sag te Eli za-beth em pört. »Die ser int ri gan te Em por kömm ling ist wü tend auf dich, weil er Bar ba dos gern selbst an die Ad mi ra li tät aus-ge lie fert und da für Eh ren ein ge heimst hät te.«

    »Das ist nicht aus zu schlie ßen. Aber wahr schein lich ist er eher des halb wü tend auf mich, weil ich sei ne Plä ne durch-schaut hat te. Viel leicht auch weil ich ihm bei die ser Ge le-gen heit sein fei nes Ja bot zer drückt und ihm ge sagt habe, dass sein Ver stand zu wün schen üb rig lässt. Ah, oder mög li-cher wei se auch we gen mei ner An dro hung, ihm eins hin ter die Löf fel zu ge ben.« Dun can lä chel te kurz, aber freud los, als er sich an sei ne un er sprieß li che Be geg nung mit Eu ge ne Wins ton er in ner te, der seit her frag los in brüns tig auf Ra che sann. »Da von ab ge se hen – die Pfan zer sind auch nicht ge ra-de gut auf mich zu spre chen, im Ge gen teil. Au ßer dem wer-ten Lord, der mich aus ir gend wel chen Grün den als eh ren-

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    haf ten Mann schätzt. Und der im mer hin so freund lich war, mich da von zu un ter rich ten, dass mir Är ger ins Haus steht.« Dun can be müh te sich, den Groll aus sei ner Stim me he raus-zu hal ten. Es war nicht die pas sen de Zeit, die alte Ei fer sucht auf Wil liam No ring ham wied erzu be le ben, nur weil die ser ein mal in Eli za beth ver liebt ge we sen war. Der jun ge Pfan-zer, den Dun can zu wei len un ver hoh len spöt tisch als Rit ter ohne Fehl und Ta del be zeich ne te, war Eli za beth da mals auf der Über fahrt von Eng land nach Bar ba dos zum ers ten Mal be geg net, und seit her ver ehr te er sie, was bei Dun can im Lau fe der Zeit nicht we nig Ver druss her vor ge ru fen hat te. Dass sie nach Ro berts Tod den An trag des ad li gen, be gü ter-ten Wil liam No ring ham aus ge schla gen und statt des sen ihn, den ruch lo sen Frei beu ter mit zwei fel haf ter Ver gan gen heit, ge wählt hat te, er schien Dun can im mer noch ein we nig ir re al, ob wohl sie nun schon eine Wei le sei nen Ring am Fin ger trug und au ßer dem be reits das zwei te Kind von ihm er war te te.

    Dun can leg te den Waf fen gurt und das Ban de lier mit den Pat ro nen auf der Bank am Ran de des In nen hofs ab, be vor er sich wie der zu Eli za beth um wand te. »No ring ham zu fol ge ist es aus ge mach te Sa che, dass der Pfan zer rat mir was am Zeug fi cken will.«

    Eli za beth ging auf ge bracht hin und her. Die Wachs stö cke, die an den Säu len ne ben dem Durch gang zum Pat io brann-ten, war fen ein fa ckern des Licht auf ihre Ge stalt. Ihr Leib wölb te sich wie eine Ku gel un ter ih rem wal len den Ge wand, des sen Far be das in ten si ve Tür kis blau ih rer Au gen wi der-spie gel te. Das feuch te Haar fiel ihr bis zur Hüf te, ihre Au gen blitz ten. Sie sah aus wie eine Frucht bar keits göt tin auf ei nem al ten Ge mäl de, das er ein mal in ei nem ve ne zi a ni schen Pa-laz zo ge se hen hat te.

    »Sie soll ten dir lie ber dank bar sein!«, sag te sie wü tend.

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    »Wie kann dir der Rat ei nen Strick da raus dre hen, dass du ge gen über Oli ver Crom well lo yal warst? Wenn man dir jetzt des we gen Ver rat vor wirft, wür den die Rund köp fe in Lon-don das so fort als Zei chen ei nes neu en Auf stands wer ten und aber mals ihre Schlacht schif fe her schi cken, nur dies mal mit we ni ger Nach sicht und Lang mut als beim letz ten Mal.«

    »Ich glau be, da misst du mir deut lich mehr Be deu tung zu, als mir ge bührt.« Dun can grins te füch tig. »Bei der Nie der-schla gung des Frei heits kamp fes ging es den Rund köp fen au-ßer dem nicht ums Prin zip, son dern um den re gel mä ßi gen Nach schub an Zu cker und die Meh rung ih res Ver mö gens.« Er schüt tel te den Kopf. »Letzt lich dreht sich al les nur ums Gold. Hier auf Bar ba dos ist es nicht an ders. Die Plan ta gen-be sit zer müs sen drin gend ihre Kas sen auf fül len. Der ver lo-re ne Un ab hän gig keits kampf und der Skla ven auf stand ha ben sie ei ni ges ge kos tet, und noch mehr ist durch die Sturm fut und die Ern te aus fäl le drauf ge gan gen. Im Au gen blick gibt es auf ganz Bar ba dos nur zwei Men schen, die eine nen nens-wer te Men ge Gold be sit zen, und ei ner da von bin ich. Oder ge nau er: bist du.«

    Das weck te erst recht ihre Ent rüs tung.»Wenn sie glau ben, dass wir es ih nen ein fach ge ben, täu-

    schen sie sich ge wal tig!«, rief sie.»Sie wer den ei nen Pro zess ins ze nie ren, an des sen Ende ein

    Ur teil mit ei ner ho hen Geld bu ße steht. Und da bei wer den sie ein kal ku lie ren, dass du sie für mich be gleichst, da mit ich nicht zu lan ge hin ter Git tern schmo ren muss. Für die An kla-ge wer den sie schon was fin den. Ver rat, Pi ra te rie, Schmug-gel – ganz gleich, Haupt sa che, es bringt ih nen ge nug ein.«

    »Aber du hast seit Jah ren kein Schiff mehr auf ge bracht! Au ßer dem be sitzt du ei nen Ka per brief von Crom wells Ad-mi ra li tät. Und ge schmug gelt hast du auch nichts.«

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    »Ge nau ge nom men doch, und zwar stän dig. Im mer hin habe ich bei mei nen Han dels fahr ten jah re lang ton nen wei-se Sil ber und Waf fen von Lon don nach Bar ba dos ge bracht, und das ist na tür lich nach eng li schen Ge set zen ver bo ten.«

    »Aber das war doch al les vor dem Auf stand! Au ßer dem ha-ben die Pfan zer hier auf Bar ba dos da von pro fi tiert. Sie wollten Sil ber und Waf fen, sie ha ben dir ih ren Zu cker förm lich auf ge drängt, da mit du ih nen ge nug von bei dem brach test. Wie kön nen sie dich für et was an kla gen, was sie selbst mit sol chem Ei fer von dir ver langt ha ben?«

    »Mein Lie bes, mich musst du nicht da von über zeu gen, dass es der pure Wi der sinn ist. Es liegt auf der Hand, dass sie nur ei nen Vor wand brau chen, um ihre Bör sen zu fül len. Doch das ist im Au gen blick gar nicht die Fra ge.«

    »Was ist denn die Fra ge? War te, lass mich ra ten – die Fra-ge ist, wie wir sie rein le gen kön nen, be vor sie uns rein le gen, stimmt’s?«

    »Klu ges Mäd chen.« Dun can lä chel te sie an. »Du weißt stets im Vo raus, wo rum es mir geht.«

    »Dazu braucht es kei ne gro ße Klug heit. Hast du schon ei-nen Plan?«

    »Habe ich den nicht im mer? Komm her.« Er streck te die Arme nach ihr aus, und ohne zu zö gern kam sie zu ihm. Tief durch at mend, leg te sie den Kopf an sei ne Schul ter, und für ein paar kost ba re Au gen bli cke ge noss er es ein fach nur, sie zu hal ten. Im Hin ter grund plät scher te der Spring brun nen, und der Duft der Fran gip ani bü sche, die ent lang der Um frie-dungs mau er wuch sen, misch te sich mit dem Ge ruch von Meer, der Eli za beths nas sem Haar ent ström te. Er um fing sie fest und spür te die Run dung ih res Bauchs an sei nen Rip-pen. Eine Auf wal lung von Zärt lich keit er fass te ihn. Er küss-te ihre Lip pen und zeich ne te mit sei nem Mund ihre Wan-

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    gen nach, be vor er sacht in ihr Ohr läpp chen biss. »Mhm, du schmeckst nach Salz.«

    »Das kommt vom Schwim men. Was kön nen wir tun, Dun-can?«

    »Wir ha ben die gan ze Zeit kein Ge heim nis da raus ge macht, dass wir über mor gen mit der Mit tags fut aus lau fen wol len. Alle Welt weiß es. Also wer den sie mir vor her eine Ab ord-nung be waff ne ter Sol da ten schi cken, um mich zu ar re tie ren, da mit ich ih nen nicht mit dem gan zen Gold durch die Lap-pen gehe. Wahr schein lich kom men sie mor gen Abend, denn sie wis sen, dass ich um die Zeit im mer hier bin, wäh rend mei ne Mann schaft auf dem Schiff ist. Folg lich müs sen wir vor her ver schwin den. Wir bre chen noch heu te Nacht auf.«

    Er merk te, wie sie die Luft an hielt. Es war nicht wei ter schwer, ihre Ge dan ken zu er ra ten.

    »Es geht nicht an ders, Liz zie. Zum Ab schied neh men bleibt kei ne Zeit mehr. Du kannst Anne und Wil liam No ring ham ei nen Brief hin ter las sen. Rose kann ihn mit neh men, wenn sie mor gen zu ih nen geht.«

    Eli za beth nick te. Sie schien sich da mit ab zu fin den, auch wenn es ihr nicht ge fiel.

    »Und was tun wir, wenn et was schief geht? Ge setzt den Fall, sie kom men uns doch zu vor – was dann?«

    »Für die sen Fall habe ich mir eben falls et was aus ge dacht.« In knap pen Wor ten schil der te er ihr, was er sich über legt hat te.

    Es er for der te die Mit hil fe von Wil liam No ring ham, doch Dun can wuss te, dass der al les für Eli za beth tun wür de, wenn sie ihn da rum bat. Nach Ro berts Tod hat te No ring ham um Eli za beths Hand an hal ten wol len, und es hat te ihn ziem lich ge trof fen, dass die Frau sei ner Träu me sich für ei nen an de ren Mann ent schie den hat te, der zu dem ein übel be leu mun de-

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    ter Frei beu ter war. Doch No ring ham war kein nach tra gen der Mensch, und da rauf bau te Dun can, trotz sei ner ge le gent li-chen An wand lun gen von Ei fer sucht auf den gut aus se hen-den jun gen Lord.

    »Wir schaf fen nach her al les, was noch nicht auf der Eli se ist, an Bord«, fuhr Dun can fort. »Es sind so wie so nur noch zwei, drei Kis ten. Und Pearl na tür lich. Ich las se die Eli se am Ende der Hunds wa che von ei ner Scha lup pe aus dem Ha fen schlep pen. Und ehe die Son ne auf geht und ei ner von die sen geld gie ri gen Zu cker sä cken rich tig mit ge kriegt hat, was los ist, sind wir schon auf ho her See.«

    Eli za beth at me te durch und lös te sich aus sei nen Ar men.»Hast du Feli ci ty schon ge sagt, dass wir frü her als er war-

    tet ab rei sen wol len?«Dun can lä chel te ein we nig be müht.»Das über las se ich lie ber dir. Sie war so wie so schon die

    gan ze Zeit völ lig auf ge löst we gen der Rei se vor be rei tun gen.«»Wenn das so ist, soll te ich wohl zu se hen, dass ich ihr beim

    Pa cken hel fe.«

    Auf dem Weg zur Trep pe kam ihr die alte Rose ent ge gen.»My la dy, Ihr habt noch nicht zu Abend ge ges sen. Ich habe

    Euch et was her ge rich tet. Soll ich es hi nauf auf Eure Kam-mer brin gen?«

    »Ja, tu das«, sag te Eli za beth. Sie blieb ste hen und blick te die Magd an. »Hat Mas ter Dun can heu te schon mit dir über un se ren Auf bruch ge re det?«

    »Nein, My la dy. Ich weiß nur, dass Ihr über mor gen fort-geht.«

    »Nun, das hat sich ge än dert. Wir rei sen schon heu te Nacht.«Rose nick te nur kurz, zum Zei chen, dass sie ver stan den

    hat te. In die sem Haus hat te sie be reits so viel ge hört und ge-

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    se hen, dass eine vor ge zo ge ne Ab rei se sie nicht in Schre cken ver set zen konn te.

    »Sol len Pad dy und ich dann mor gen schon zu un se rer neu-en Herr schaft ge hen?«

    »Das steht euch frei. Aber erst am Nach mit tag, dann sind wir weit ge nug fort. Rede bis da hin mit nie man dem da r über, sonst könn te Schlim mes ge sche hen. Sor ge auch da für, dass Pad dy den Mund hält. Je spä ter man merkt, dass wir weg sind, des to bes ser.«

    Auch die se Be mer kung quit tier te Rose nur mit ei nem knap pen Ni cken, be vor sie sich in die Kü che zu rück zog, um das für Eli za beth vor be rei te te Abend es sen zu ho len. Sie wür-de kei ne Fra gen stel len und sich nicht be kla gen, das hat te sie noch nie ge tan. Den noch wuss te Eli za beth, dass auf die alte Frau Ver lass war. Rose und Pad dy wa ren ihr treu er ge-ben. Die zwei wa ren die letz ten Dienst bo ten, die nach Ha-rolds Tod noch im Haus ge blie ben wa ren. Von den üb ri gen wa ren ei ni ge be reits in an de ren Haus hal ten un ter ge kom-men. Ein paar hat ten auch die Heim rei se nach Eng land an-ge tre ten, nach dem Eli za beth ih nen ein Hand geld aus ge zahlt und ihre Schuld kont rak te ge löst hat te. Die meis ten Knech te und Mäg de wa ren je doch, eben so wie sämt li che Skla ven der Dun mo res, in Wil liam No ring hams Diens te ge tre ten. Auf Sum mer Hill gab es alle Hän de voll zu tun. In der Nacht des Hur rik ans hat te Har old Dunm ore das Her ren haus der No-ring hams nie der ge brannt, eine wei te re sei ner vie len Schand-ta ten. Der zeit wur de es mit ei ni gem Auf wand wie der auf-ge baut. Auch auf den Zu cker rohr fel dern brauch te Wil liam vie le Ar beits kräf te – Eli za beth hat te ihm die Ver wal tung von Rain bow Falls über tra gen. Ir gend je mand muss te sich um die Plan ta ge küm mern, und es war Eli za beth nur fol ge rich tig er schie nen, Wil liam das Land zur Nut zung zu über las sen,

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    zu mal es un mit tel bar an sei ne ei ge nen Län de rei en grenz te. Dunm ore Hall hin ge gen woll te sie ver kau fen – das Stadt haus lag mei len weit von der Plan ta ge ent fernt, Wil liam konn te da-mit nichts an fan gen. Au ßer dem ver ab scheu te Eli za beth das Haus, das bis in den letz ten Win kel ein be red tes Zeug nis für den Grö ßen wahn ih res Schwie ger va ters war.

    Plan ta ge und Stadt haus wa ren durch Har olds Tod an sei-nen ein zi gen männ li chen Nach kom men ge fal len – sei nen En kel Jona than. Dass John ny in Wahr heit gar nicht Har olds leib li cher Nach fah re war, wuss ten nur we ni ge, und Eli za beth tat ihr Mög lichs tes, dass es da bei blieb. Sie und Dun can woll-ten ih rem Sohn das er erb te Land er hal ten, auch wenn Eli za-beth oft dach te, dass ein Fluch da rauf lie gen müs se. Rain bow Falls und Dunm ore Hall – Har old hat te sei nen Be sitz tü mern blu mi ge Na men ge ge ben, aber hier wie dort hat te er ein Schre ckens re gi ment ge führt und Ver der ben über die Men-schen ge bracht.

    Dun can sah das Gan ze we sent lich prag ma ti scher.»Land be sitz ist wert be stän dig«, hat te er ge meint. »Und

    viel leicht will John ny ja ei nes Ta ges ein fau ler, rei cher Pfan-zer wer den. Das ist im mer noch bes ser als ein Pi rat, der im-mer nur ei nen Schuss Pul ver vom Grab ent fernt ist.« Bei die sen Wor ten war das ihm ei ge ne, ver we ge ne Grin sen auf-ge blitzt, bei dem sich Eli za beths Herz schlag im mer noch ge-nau so un wei ger lich be schleu nig te wie zu Be ginn ih rer Be-zie hung.

    Sie ging die Trep pe hi nauf ins Ober ge schoss und drück te sich da bei leicht die Hand ins Kreuz. Mitt ler wei le merk te sie, dass sie ei nen lan gen und an stren gen den Tag hin ter sich hat te. Viel leicht hät te sie sich bes ser nicht vor ge nom men, un be dingt noch ein letz tes Mal zu tau chen. Zwar war ihre Schwan ger schaft bis her, ab ge se hen von der Mor gen ü bel keit

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    in den ers ten Mo na ten, ohne be son de re Be schwer nis se ver-lau fen, doch sie hat te mehr an Lei bes um fang zu ge nom men als da mals bei John ny, und ent spre chend müh sa mer wa ren ihre Be we gun gen. Vor al lem beim Auf- und Ab sit zen merk-te sie ihre wach sen de Un be hol fen heit, ob wohl ihre klei-ne Schim mel stu te dem rie si gen Wal lach, den Deir dre ritt, kaum bis zur Schul ter reich te. Das Schwim men war da ge gen leicht, denn da bei trug das Was ser ihr Ge wicht. Doch da mit war es ja nun vor läu fig vor bei. Im Grun de traf es sich gut, dass sie jetzt zum Ende der Schwan ger schaft hin eine län ge-re Schiffs rei se an trat – auf der Eli se konn te sie so wie so nichts wei ter tun, als ta ten los he rum zu sit zen und sich aus zu ru hen.

    Eli za beth klopf te kurz an die Tür, be vor sie Feli ci tys Kam-mer be trat. Ihre Cou si ne knie te vor ei ner der Klei der kis ten, die noch an Bord der Eli se ver staut wer den muss ten. Über all um sie he rum la gen Wä sche stü cke – auf dem Sche mel, dem Bett, der Kom mo de, den Die len des Fuß bo dens. Sie sprang auf, als Eli za beth die Kam mer be trat.

    »Wie konn test du nur so lan ge fort blei ben, Liz zie! Ich habe mir Sor gen …« Feli ci ty hielt inne. Em pör te Un gläu big keit zeich ne te sich in ih rem Ge sicht ab, als sie Eli za beths nas ses Haar be merk te. Sie stemm te die Hän de in die üp pi gen Hüf-ten. »Du warst schwim men!«

    Eli za beth un ter brach ihre Cou si ne, be vor sie zu lang at mi-gen Vor wür fen an set zen konn te. »Feli ci ty, un se re Plä ne ha-ben sich ge än dert. Wir müs sen schon heu te Nacht ab rei sen.«

    Feli ci ty fiel ein Un ter kleid zu Bo den, sie starr te Eli za beth mit of fe nem Mund an. Ihr herz för mi ges Ge sicht war ein ein-zi ges ent setz tes Fra ge zei chen.

    »Was sagst du da?«»Wir bre chen vor dem Mor gen grau en auf. Dun can könn te

    sonst ver haf tet wer den.«

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    »Ver haf tet?« Feli ci tys Stim me klang schrill. »Aber wa rum denn? Was hat er ge tan?«

    Eli za beth er klär te ihr al les, doch Feli ci ty war zu ver stört, um ihre Aus füh run gen rich tig zu be grei fen.

    »Was tun wir denn jetzt?«, rief sie au ßer sich.»Pa cken«, sag te Eli za beth la ko nisch. »Und dann aufs Schiff

    ge hen.«Doch da mit konn te sie Feli ci ty nicht be ru hi gen.»Und wenn sie ihn doch noch ver haf ten? Was soll dann aus

    un se rer Rei se wer den?«Ihre ein zi ge Sor ge war, dass sie wo mög lich hier blei ben

    muss te. Sie sehn te sich mit ei ner sol chen In brunst nach ih-rem Ver lob ten, dass seit Wo chen kein Tag ver gan gen war, an dem sie nicht da rauf ge drängt hat te, end lich den Rei se-tag fest zu set zen. Ni klas Vande meer war ein nie der län di scher Han dels ka pi tän, der aus Ams ter dam stamm te. Nach dem das eng li sche Rumpf par la ment im ver gan ge nen Jahr un ter Oli-ver Crom well Ge set ze er las sen hat te, die den Schiffs han-del zwi schen den Nie der lan den und den eng li schen Ko lo-ni en ver bo ten, hat te Ni klas Bar ba dos über stürzt ver las sen müs sen. Die eng li sche Ma ri ne setz te die neu en Vor schrif ten mit Waf fen ge walt durch; es wa ren be reits et li che Kauf fah rer hol län di scher Her kunft auf ge bracht wor den. Dun can hat te dazu so gar die Ein schät zung ge äu ßert, dass es ver mut lich noch in die sem Jahr des we gen Krieg ge ben wer de. Seit dem fürch te te Feli ci ty erst recht, Ni klas viel leicht nie wie der zu-se hen. Sie hat te ei nen Brief von ihm er hal ten, den er dem Ka pi tän ei nes Skla ven schiffs für sie mit ge ge ben hat te. Da rin hat te er ge schil dert, wie schwie rig sei ne Lage der zeit sei, und be dau ernd ge meint, es sei we nig wahr schein lich, dass er in der nächs ten Zeit nach Bar ba dos käme.

    Ur sprüng lich hat te Feli ci ty mit Eli za beth und Dun can

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    schon zu Be ginn des Jah res nach Eu ro pa se geln wol len, doch kurz vor dem ge plan ten Auf bruch hat te sie eine Fehl ge burt er lit ten, und die her bei ge ru fe ne Heb am me hat te pro phe zeit, dass sie ster ben wer de, wenn sie die stra pa zi ö se Schiffs rei se an trat. Da rauf hin hat ten sie die Rei se ver schie ben müs sen. Es hat te lan ge ge dau ert, bis Feli ci ty sich von den schwe ren Blu tun gen und ih rer tie fen Nie der ge schla gen heit er holt hat-te, doch mitt ler wei le ging es ihr wie der gut. Nun konn ten sie end lich die Über fahrt wa gen, die sie hin ter sich brin gen woll ten, be vor die jähr lich wie der keh ren de Zeit der Stür me kam und Eli za beths Nie der kunft nah te.

    Eli za beths An kün di gung, dass es frü her als ge plant auf die Rei se ging, ver setz te Feli ci ty in hek ti sche Be trieb sam keit. Auf ge scheucht rann te sie he rum, such te nach Klei dungs stü-cken, von de nen sie be haup te te, sie eben noch be reit ge legt zu ha ben, und zerr te an schlie ßend doch wie der al les aus der Tru he, was sie erst kurz zu vor hin ein ge packt hat te.

    »Es reicht nicht!«, klag te sie. »Wir brau chen noch eine Klei-der kis te!«

    »Die se da ge nügt. Sie ist rie sig. Pack ein fach ein, was hi-nein passt, und den Rest las sen wir hier.«

    »Bist du von Sin nen? Die gute Wä sche?«Eli za beth fühl te sich leb haft an ei nen ähn li chen Dis put vor

    drei Jah ren er in nert, als sie von Eng land aus die Über fahrt in die Ka ri bik an ge tre ten hat ten.

    »Auf Ra leigh Manor ha ben wir Wä sche in Hül le und Fül-le. Über treib es nicht.«

    »Willst du auf dem Schiff wie der ohne sau be re Hem den da sit zen? Hast du ver ges sen, wie wir auf der Her fahrt ge-stun ken ha ben und wie ver dreckt al les war?« Feli ci ty schien es als Fra ge der per sön li chen Ehre zu be trach ten, al les mit zu-neh men, was ih rer Mei nung nach für eine er träg li che Über-

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    fahrt nö tig war. Eli za beth sah es sich eine Wei le lang an und ver such te halb her zig, ih rer Cou si ne zu hel fen, doch dann gab sie es auf.

    »Du kriegst das al lein si cher bes ser hin«, sag te sie. »Ich gehe Deir dre Be scheid sa gen.«

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    Die jun ge Irin hat te ur sprüng lich eine der Dienst bo ten-kam mern im Ge sin de an bau von Dunm ore Hall be-wohnt, war aber nach dem Tod des Haus herrn in die ehe-ma li ge Kam mer von Mar tha Dunm ore ge zo gen, Eli za beths Schwie ger mut ter. Es mach te ihr nichts aus, dass Mar tha in dem Bett ge stor ben war, in dem sie nun ihre Näch te ver-brach te.

    »Es ist das ers te Bett, in dem ich je ge schla fen habe«, hat te sie Eli za beth auf de ren Fra ge, ob es sie des we gen grau se, ge-ant wor tet. »Bis her habe ich im mer auf Mat ten ge le gen. Oder auf dem nack ten Bo den.« Sie hat te an ih rem pfau men far-be nen Kleid ge zupft. »Seht Ihr das, My la dy? Das hat frü her ei ner al ten Frau ge hört, der Mut ter ei nes Auf se hers oben bei Speights town. Sie ist da rin ge stor ben. Ei gent lich hät te man sie auch da mit be gra ben müs sen, doch die To ten grä ber zo-gen es ihr aus, weil sie al les zu Geld ma chen, was ir gend wie geht. Ich hab’s ih nen für zwei Pen nys ab ge kauft.« Kopf schüt-telnd hat te sie hin zu ge fügt: »Wie dumm müss te ich sein, eine wei che Mat rat ze und gute Dau nen kis sen zu ver schmä hen, nur weil eine Tote da rauf lag?«

    Die se Un ter hal tung hat te Eli za beth deut lich ge macht, wie sehr sich ihr bis he ri ges Le ben von je nem un ter schied, das Deir dre ge führt hat te. Sie selbst war be hü tet und in Reich-tum auf ge wach sen. Als ver wöhn te Toch ter ei nes Vis counts

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    hat te sie im mer ge nug zu es sen ge habt und konn te sich in die feins ten Ge wän der klei den, wäh rend Deir dre aus ei ner Fa mi lie stamm te, in der von acht Ge schwis tern drei ver-hun gert wa ren und die üb ri gen nur des halb noch leb ten, weil sie ent we der stah len oder sich pros ti tu ier ten. Deir dre hat te als Ein zi ge von ih nen we der das eine noch das an de re ge tan, son dern sich per Schuld kont rakt als Dienst magd in den Ko lo ni en ver dingt – für sie ben lan ge Jah re. Sie war ge-ra de erst fünf zehn ge we sen, als sie nach Bar ba dos ge kom-men war.

    Es la gen Wel ten zwi schen dem Wohl stand auf Ra leigh Ma-nor, dem herr schaft li chen An we sen, auf dem Eli za beth auf-ge wach sen war, und den Elends quar tie ren am Ran de der Dub li ner Docks, wo Deir dre ihre frü he Ju gend ver bracht hat te. Das Mäd chen war kaum neun zehn, zwei Jah re jün ger als sie selbst, doch oft kam es Eli za beth so vor, als hät te Deir-dre die dop pel te An zahl an Jah ren ge lebt, al lein ge mes sen an dem, was sie schon hat te durch ma chen müs sen.

    Deir dre hat te be reits ge schla fen, sie schrak hoch, als Eli-za beth ins Zim mer trat.

    »My la dy?«Eli za beth teil te ihr mit knap pen Wor ten mit, was los war,

    wo rauf Deir dre sie nur mit schreck ge wei te ten Au gen an-starr te. Das kas ta ni en far bi ge Haar hing in zer zaus ten Lo-cken um das schma le Ge sicht, die zar ten Schul tern wa ren ver krampft hoch ge zo gen. Im Licht der klei nen Talg leuch-te, die Eli za beth trug, sah Deir dre aus wie eine zer rupf te Elfe. Nicht ein mal ihr of fen kun di ges Ent set zen konn te ih ren Lieb reiz schmä lern.

    »Dir bleibt kei ne Zeit, um Ab schied von ihm zu neh men«, sag te Eli za beth sanft. »Du musst dich jetzt ent schei den.«

    Deir dre straff te sich. Plötz lich sah sie sehr ent schlos sen

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    aus. »Ich habe mich schon ent schie den, My la dy. Ohne Ed-mond will ich nicht mit kom men.«

    Eli za beth seufz te, das Herz wur de ihr schwer.»Ver sprich mir, dass du nicht wie der im Dschun gel lebst«,

    bat sie. »Geh mit Rose und Pad dy zu den No ring hams, du kannst dort als Haus magd ar bei ten. Wil liam wird dir auch nicht ver bie ten, in dei ner frei en Zeit aus zu rei ten. Den Wal-lach darfst du be hal ten.«

    Sie wuss te, wie sehr Deir dre das Le ben im Dschun gel hass-te. Die Mos ki tos, die schwü le, feuch te Luft, die kar ge Nah-rung. Und vor al lem die stän di ge Ge fahr, von den Blut hun-den der Plan ta gen be sit zer auf ge spürt zu wer den. Nach den schlim men Er eig nis sen im ver gan ge nen Jahr hat te sie sich dank bar wie der Eli za beths Haus halt an ge schlos sen und gab sich seit her mit ver stoh le nen Aus rit ten in die Hü gel zu frie-den, die meist nur sonn tags statt fan den. Häu fi ger wag te sie es nicht, weil sie kei ne Auf merk sam keit auf sich und das Ziel die ser Aus fü ge len ken woll te. Doch ih ren Ge füh len für Ed-mond hat te das kei nen Ab bruch ge tan.

    »Ich las se dir auf je den Fall ge nug Geld da«, fuhr Eli za-beth fort. »Falls du es dir an ders über legst, kannst du dir da-von eine Über fahrt nach Eng land kau fen und dich ir gend-wie nach Ra leigh Manor durch schla gen. Dort wirst du in Frie den le ben kön nen und dein Aus kom men ha ben, da für sor ge ich, auch wenn ich selbst dann be reits wie der wo an-ders sein soll te.«

    »Ich dan ke Euch, My la dy.«»Du musst mir nicht dan ken. Ich ste he bis zum Ende mei-

    nes Le bens in dei ner Schuld.« Nur zu gut er in ner te Eli za-beth sich an die ra ben schwar zen Stun den der Ver zweif ung, als Har old ihr John ny weg ge nom men und sie und Feli ci ty in der Kam mer ne ben an ein ge sperrt hat te. Da mals hat te sie

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    ei nen Blick in den Ab grund der Höl le ge tan. Deir dre hat te sie in je ner Nacht be freit, zu sam men mit Pa ter Ed mond. Das wür de Eli za beth den bei den nie mals ver ges sen.

    Deir dre schlug das La ken zur Sei te. Das graue Baum woll-hemd fiel ihr bis zu den Knö cheln, als sie aus dem Bett stieg.

    »John ny muss für die Rei se fer tig ge macht wer den, My la-dy.« Ge schäf tig ging sie zur Tür. »Ich muss sei ne Spiel sa chen ein pa cken. An schlie ßend we cke ich ihn und zie he ihn an. Und dann wer de ich ihm viel leicht noch et was vor sin gen, da mit ihm die Zeit bis zum Auf bruch nicht lang wei lig wird.«

    Eli za beth setz te an, Deir dre auf zu for dern, sich ru hig wie-der hin zu le gen, da sie al lein mit al lem fer tigwer den kön ne, doch dann nick te sie nur. Ihr war un ver mit telt klar ge wor-den, wo rum es Deir dre wirk lich ging – sie woll te die noch ver blei ben de Zeit mit dem Kind ver brin gen, an dem sie mit sol cher Lie be hing. Und das sie nach die ser Nacht viel leicht nie wie der se hen wür de.

    »Ja«, sag te sie lei se. »Sing ihm was vor.«

    Sie nahm in ih rer Schlaf kam mer das Abend es sen ein, das Rose ihr he rauf ge bracht hat te – et was Käse, kal ten Bra ten und dazu Mais brot. Sie konn te nicht viel es sen, ob wohl sie nach dem Schwim men Hun ger ge habt hat te wie ein Wolf. Die Be dro hung durch die neue Si tu a ti on war ihr auf den Ma-gen ge schla gen. Dun can hat te sich schon ge gen vie le Fein-de zur Wehr set zen müs sen, aber die hat te er mit Pis to len oder Ka no nen be schie ßen kön nen. Hier war eine stär ke re Macht an ge tre ten, die er nicht mit Waf fen ge walt be kämp-fen konn te.

    Sie aß ei nen letz ten Bis sen von dem Brot und spül te es mit fri schem Brun nen was ser he run ter. An schlie ßend ging sie wie der nach un ten. Dun can hat te sich eine Pfei fe an-

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    ge zün det und stand mit zwei en sei ner Män ner zu sam men, die eben so wie Sid schon seit Jah ren zu sei ner Mann schaft ge hör ten. Bei de ver neig ten sich kurz, aber ehr er bie tig vor Eli za beth. Der eine wur de Oleg ge nannt und war ein Rie se von Mann, mit schau fel ar ti gen Hän den und enor men Mus-keln an Ar men und Bei nen. Sein tin ten schwar zes Haar war im Na cken zu ei nem Zopf ge bun den. Dun can hat te ge sagt, Oleg stam me aus Kir gi sien, ei nem der wei ten Step pen län-der öst lich des Rus sen reichs. Die exo ti schen Ge sichts zü ge mit den brei ten Wan gen kno chen und den schräg ste hen den Au gen deu te ten je den falls da rauf hin.

    Kein Mensch wuss te, ob er wirk lich Oleg hieß. Als er auf die Eli se ge kom men war, hat te ei ner der Mat ro sen ihn bei die sem Na men ge ru fen, und da bei war es ge blie ben. Er konn te nicht spre chen, zu min dest hat te ihn noch nie je-mand ein Wort sa gen hö ren. Ihm war nicht etwa die Zun-ge he raus ge schnit ten wor den, so wie vie len an de ren be dau-erns wer ten See fah rern, die man auf die se dra ko ni sche Wei se für Ge set zes ver stö ße be straft hat te – er war ganz ein fach stumm. In Er man ge lung von Wor ten ver stän dig te er sich mit Bli cken und Ges ten. Oder, wenn das nicht wei ter half, auch durch Ta ten, die al ler dings beim be tref fen den Ge gen-über zu wei len den Wunsch wach rie fen, Oleg nie ken nen-ge lernt zu ha ben. Er trug die ty pi sche See manns kluft – um den Kopf ein Tuch von un de fi nier ba rer Far be, le der ne Bree-ches, ein wei tes Hemd un ter ei ner spe cki gen Wes te, aus ge-beul te Stie fel. Sein Waf fen gurt und sein Ban de lier wa ren um fang reich be stückt. Er trug zwei Pis to len, an je der Sei te eine. Man er zähl te sich, er kön ne beid hän dig da mit schie-ßen, so treff ge nau wie kein an de rer. Mit die sem Mann leg te sich so schnell nie mand an.

    Auch der an de re Mann war schwer be waff net, wenn gleich

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    von längst nicht so angst ein fö ßen der Er schei nung wie der Kir gi se. Sein Name war Jer ry, er war ein zwei und zwan zig-jäh ri ger Schot te. Sein ka rot ten ro tes Haar stand nach al len Sei ten ab, und mit sei nem fröh li chen, som mer spros si gen Ge-sicht war er das ge naue Ge gen teil von Oleg, des sen Mie ne meist so dun kel und un durch dring lich war wie ein wol ken-ver han ge ner Him mel. Jer ry lach te gern und viel und hat te im mer ei nen Scherz auf den Lip pen. Und er war so et was wie Olegs Stim me. Auf ge heim nis vol le Wei se wuss te er stets, was der stum me Hüne sa gen woll te. Schon beim lei ses ten Wink er ahn te er, wo rum es Oleg ging, und das gab er dann, so es nö tig war, an an de re wei ter. Wo der gro ße Kir gi se sich auf hielt, war auch meist der jun ge Schot te nicht weit.

    Dun can stieß eine Rauch wol ke aus. Er gab sich ru hig, doch Eli za beth spür te sei ne An span nung. Meist rauch te er nur dann, wenn er ner vös war. In der Re gel gab er nicht viel auf die ses Las ter, zu mal er wuss te, dass Eli za beth den Qualm nicht aus ste hen konn te.

    »Oleg und Jer ry brin gen die letz ten Kis ten zum Ha fen, so-bald ihr mit Pa cken fer tig seid«, sag te er. »Und da nach schaf-fen wir dei ne Stu te an Bord.«

    »Ich möch te da bei sein, wenn Pearl auf die Eli se ge bracht wird.«

    »Du soll test dich bes ser um John ny küm mern.«»Deir dre ist bei ihm.«»Kommt sie mit auf die Rei se?«Eli za beth schüt tel te be drückt den Kopf. Oleg mach te ein

    paar ra sche Hand be we gun gen, die Jer ry für ihn über setz te.»Er will wis sen, ob sie wie der bei dem Pries ter im Wald

    le ben will.«Eli za beth sah Oleg über rascht an. Ir gend wer muss te ihm

    von Deir dre und Ed mond er zählt ha ben. Was al ler dings

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    nicht er klär te, wa rum er sich über haupt da für in te res sier te. Sei ne Mie ne gab da rü ber kei nen Auf schluss. Sein Ge sichts-aus druck war ge wohnt un er gründ lich.

    »Sie geht als Haus magd auf die Plan ta ge von Lord No ring-ham«, sag te Eli za beth.

    Dun can und die bei den Män ner blick ten an ihr vor bei zur Tür, und Eli za beth dreh te sich um. Deir dre stand dort im Durch gang. Sie war nur not dürf tig an ge klei det. Das Hemd schau te un ter dem of fen kun dig has tig über ge streif ten Ge-wand her vor, und das Haar fiel ihr wirr auf die Schul tern. Ihre Au gen wa ren angst voll auf ge ris sen.

    »Es ist John ny, My la dy. Er hat Fie ber.«

    Der Klei ne glüh te förm lich. Deir dre leg te ihm küh le Wi ckel an und föß te ihm Wei den rin den tee ein, was John ny apa-thisch über sich er ge hen ließ. Er lag schlaff da, ohne sei-ne Um ge bung rich tig wahr zu neh men. Das sonst so leb haf te Kind, das in sei nem Be we gungs drang nur sel ten zu bän di-gen war, konn te kaum die Au gen öff nen. Deir dre saß ne ben ihm und scheuch te die Mü cken weg. Den Mos ki to schlei er hat ten sie zu rück ge schla gen, da mit sie ihn bes ser be ob ach-ten konn ten. Im Licht des Kan de la bers glüh te sein Ge sicht hoch rot, und die schma le Brust hob sich un ter ras seln den, fa chen Atem zü gen.

    Eli za beth ging wie auf ge zo gen in der Kam mer auf und ab. Sie ver ging fast vor Sor ge. In die sen tro pi schen Brei ten kam es nicht sel ten vor, dass Men schen von plötz li chem Fie ber be fal len wur den, und be son ders schwer traf es Kin der. John-ny war schon ge le gent lich krank ge we sen, er hat te auch hin und wie der Fie ber ge habt, doch er hat te sich stets rasch da-von er holt, und es war nie so hoch ge we sen wie in die ser Nacht. Feli ci ty saß wei nend ne ben dem Bett chen und be te-

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    te un ter er stick ten Schluch zern für eine gnä di ge und schnel-le Ge ne sung, bis Eli za beth ihr be fahl, auf ihre Kam mer zu ge hen.

    »Da von, dass du hier he rum heulst, wird es ihm nicht bes-ser ge hen, und wir kom men da durch auch nicht schnel ler von der In sel fort.«

    »Glaubst du etwa, ich wei ne, weil wir hier blei ben müs-sen?« Feli ci ty schluchz te er neut auf und tupf te sich die Trä-nen ab, wo bei sie es fer tig brach te, zu gleich ge kränkt und zu tiefst ver ängs tigt aus zu se hen. »Ich lie be John ny mehr als mein Le ben! Ich wür de mit Freu den selbst am Fie ber ster-ben, wenn es ihm nur bes ser gin ge!«

    »Hör auf da mit.« Die ser bar sche Be fehl kam von Dun can, der vor der of fe nen Tür stand. »Rede in John nys An we sen-heit nicht vom Tod.«

    Eli za beth hielt in ih rem Auf-und-ab -Lau fen inne und blick te ihn fe hend an.

    »Wir kön nen ihn nicht aufs Schiff brin gen, Dun can.«»Das wer den wir auch nicht. Nicht so lan ge er krank ist.

    Ich habe die Män ner schon zu rück auf die Eli se ge schickt. Wir blei ben hier.«

    »Aber du musst fort! Sie ho len dich sonst!«»Ja, du soll test un be dingt fah ren!«, stimm te Feli ci ty zu.

    »Denn sonst musst du ins Ge fäng nis, und wer weiß, was sie sonst noch al les mit dir an stel len! Denk an den ar men Teu fel, dem sie im Ja nu ar die Hand ab ge schla gen ha ben, nur weil er ein Fäss chen Rum ge stoh len hat!« Rasch füg te sie hin zu: »Ich kom me mit. Du kannst mich nach Hol land brin gen, da mit du die Fahrt nicht ganz um sonst an tre ten musst.«

    Dun can be trach te te sie ir ri tiert, dann wand te er sich wie-der Eli za beth zu. »Ich las se nach dem Arzt schi cken.«

    »Bit te holt nicht den Medi cus«, wi der sprach Deir dre. »Er

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  • UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

    Elena Santiago

    Wind der GezeitenRoman

    ORIGINALAUSGABE

    Paperback, Klappenbroschur, 512 Seiten, 13,5 x 21,5 cmISBN: 978-3-7645-0435-9

    Blanvalet

    Erscheinungstermin: Juni 2013

    Jeder Traum hat seinen Preis ... Elizabeth und Duncan Haynes wollen Barbados verlassen und fern von Krieg undSklavenhandel ein neues Zuhause finden. Doch bevor sie in See stechen können, schlägt dasSchicksal zu: Ihr kleiner Sohn Jonathan erkrankt an einem lebensbedrohlichen Fieber, undDuncan droht nach einem Schauprozess die Todesstrafe. Nur knapp gelingt es ihnen, an Bordder Elise zu fliehen. Sie steuern Dominica an, eine grüne Insel in der Karibik. Doch auch diesesParadies birgt ungeahnte Gefahren, aus denen schon bald eine tödliche Bedrohung erwächst …