Emilia Ronagna Lambrusco

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Lambrusco ist ein geiles Zeug. WEINWELTEN von Maus und Bassler, unterhaltsame Texte und künstlerische Fotos

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emilia-romagna sorbara und castelvetro lambrusco sekt

lambrusco aus sorbara und castelvetro

Ode an den Lambrusco

rot, billig und süß, die drei schlüsselbegriffe kleben an fast jeder flasche lambrusco in nordeuropa wie billiger zuckerguss. in seiner heimatstadt modena jedoch liebt man den roten schäumer trocken. so entpuppt er sich als wunderwaffe, wenn ein umkomplizierter essensbegleiter gefragt ist. ob garnelen oder mortadella, salami oder tortellini, bei einem prickelnden lambrusco sind sie alle bestens aufgehoben.

Es war eine der ganz frühen Liebesgeschichten des Wirt-schaftswunders: der zarte Flirt kulinarisch leicht unterkühlter Nordeuropäer mit italienischen Einwanderern, die außer ihrer Arbeitskraft noch sonniges Temperament im Gepäck hatten – und Lebensart. Nicht selten bestand die aus einer Flasche Lambrusco, und die Gastgeber wussten das zu schätzen. Rotweine mit Kohlensäure sind selten, und den Lambrusco gibt es nur in der Emilia Romagna. So avancierte der spritzige Rote in den sechziger und siebziger Jahren zum Wein gewordenen Italien. Die Menschen nördlich der Alpen tranken Sommersonne und Lebensfreude, dachten an Luxus-mode und Filmstars. Lambrusco stand für das süße, prickeln-de Leben. So schmeckt er auch, süß und prickelnd – und das bedeutete auch das baldige Aus der ersten Leidenschaft.

Mit den italienischen Pizzabäckern, die sich explosi-onsartig zwischen Kiel und Graz verbreiteten, sorgte der Lambrusco als einer der ersten Weine Italiens im Ausland für Furore. Bald besorgte man Zweiliterflaschen aus dem Supermarkt, um den Durst der eingeladenen Freunde zu stillen. Doch unmerklich, aber unaufhaltsam entfremdeten sich der Norden und der Süße. Zuerst waren es trockene Rote, wie der Chianti in der bauchigen Bastflasche, die den aufkeimenden Gusto nach trockenen Weinen befrie-digten. Und während die Rotweinwelle weiterlief, startete der Prosecco in den deutschsprachigen Ländern seine steile Karriere. Schließlich nahm das weiße Pendant des Lambrusco seinen Platz ein, Ende einer Jugendliebe.

In den Regalen der Supermärkte steht der Lambrusco seitdem weit unten, in Weinhandlungen fast gar nicht.

In preiswerten Zustell-Pizzerien wird er ab einer bestimm-ten Bestellhöhe manchmal gratis mitgeliefert; nicht jeder Kunde versteht das als Anerkennung. Etwas anders sieht das in Italien aus. Dort führt jeder ordentliche Supermarkt Lambrusco. Darauf angesprochen rümpfen Menschen in Modena die Nase ob der günstigen Preise und des süßen Geschmacks. In der Hauptstadt des Lambrusco samt Umland trinken sie ihn zum Essen, und wer einen Cleto Grasparossa von Chiarli getrunken hat, der weiß warum.

Dessen Rebsorte Lambrusco di Grasparossa ist von der Natur mit reichlich Pigmenten gesegnet. Allein schon, wie er mit seinen schwarz-violetten Reflexen ins Glas sprudelt, ist eine Attraktion für sich. Die Farbe hält, was sie verspricht. Der Wein schmeckt nach Brombeeren, Himbeeren und Maulbeeren mit ihrer herben Süße. Dazu Anklänge an Blät-ter oder Baumrinde, die einen delikaten Kontrapunkt zu den üppigen Früchten setzen. Anders als durchschnittliche Wei-ne mit Kohlensäure entfaltet Lambrusco diese Komplexität der Aromen, die trotzdem leicht und verspielt wirkt. Von den verschiedenen Lambrusco-Sorten hat Grasparossa den höchsten Gerbstoffgehalt, das verleiht ihm eine angenehm herbe Note und einen ausgeprägten Rotweincharakter.

Zwei Weine, zwei Geschmackswelten

Probiert man im Vergleich dazu den Premium Vecchia Mo-dena, sieht die Welt des Weins gleich ganz anders aus. Ob-wohl beide Rebsorten nur Spielarten der Lambrusco-Rebe sind, hat die Sorbara, aus der der Wein gekeltert ist, so gar keine Ähnlichkeit mit der schwarzen Schwester. Quirlige Bläschen steigen in einer hellrot-transparenten Flüssigkeit nach oben. Wäre es ein Limonade-Glas mit Strohhalm, dächte man an einen Kindergeburtstag im Garten.

Lambrusco di Sorbara schmeckt nach frischen Erdbee-ren und roten Johannisbeeren. Die präsente Säure trägt die Fruchtaromen und spielt gleichzeitig mit ihnen. Weil der Wein kaum Bitterstoffe hat, tänzelt er ohne anzuecken durch die Mundhöhle und versprüht mit seiner sprudeln-den Kohlensäure ein bisschen Sommerfest-Atmosphäre in jeden Winkel. In gewisser Weise verhalten sich die beiden

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Trauben wie Rot- und Weißwein. Säurefrisch und fruchtig der Sorbara, dunkelbeerig, leicht herb, mit Oliven- und Kakaonoten der Grasparossa. „Wie guter Rotwein, nur eben viel leichter“, wirbt Anselmo Chiarli. Niedrige Alkoholwerte von zehn bis elf Prozent machen den Lambrusco wirklich tageslichttauglich. Chiarli ist ein Mittfünfziger mit randloser Brille und khakifarbener Weste über dem Baumwollhemd.

Neben seinen Flaggschiffen erzeugt der Erbe der Kellerei Chiarli 1860 ein paar Millionen Flaschen Wein für Super-märkte in ganz Italien. Trotz seiner Topweine kämpft er dabei mit seinem Image als Billigheimer. Denn wer Mengen absetzen will, muss sehr preiswert sein, um entsprechend große Käuferschichten zu finden. Qualität traut man ihm einfach nicht zu. Das Gründungsjahr 1860 trägt Anselmo deshalb manchmal als Segen, manchmal als Last durchs Berufsleben. Der Traditionsbetrieb schaffte für italienische Verhältnisse schon früh den Sprung auf verschiedene Export-märkte. Im 19. Jahrhundert gab es lediglich vier italienische Weine, die in die weite Welt exportiert wurden: Lambrusco war einer davon, Barbera, Chianti und Marsala die anderen. Chiarli zeigt seinen Besuchern gern Preise, die seine Weine bei der Weltausstellung in Paris 1900 gewonnen haben.

Für Großvater Cleto Chiarli war Lambrusco das selbst-verständlichste Getränk in seinem Restaurant. Als Anselmo seine Topweine in den Neunzigern Cleto nannte, war das

Programm. Der Trockene sollte den Lambrusco wieder dahinbringen, wo er einmal war. Doch die hochwertigen Weine für die Gastronomie in der Umgebung und im Ausland hatten es nicht leicht. An dem Rufverfall nach dem Export-Boom der siebziger Jahre hatte auch Chiarli zu knapsen. „Immer wieder mussten wir gegen Vorurteile ankämpfen“, sagt er.

Am Ende setzte sich Qualität doch durch. Heute steht neben der alten Scheune der Chiarlischen Wochenendvilla eine moderne Kellerei, die ganz dem Premium-Lambrusco gehört. Eigene Weinberge sind angelegt, daraus werden moderate Erntemengen in den Keller gebracht und der Saft gekonnt versektet, um die Fruchtaromen frisch zu erhalten. Auch dazu, dass Lambrusco außerhalb der Region Emilia-Romagna auf Weinkarten zu finden ist, hat er seinen Teil mit seinem Qualitätsprojekt, aus dem die Cleto-Weine entstanden sind, beigetragen.

Solche Weine finden sich heute sogar auf Weinkarten guter italienischer Restaurants. Ein ganz schöner Fortschritt gegenüber den siebziger Jahren. Da wurde das Anbauge-biet in seinen Grenzen zum ersten Mal gesetzlich definiert. Grasparossa, deren botanische Ursprünge in Castelvetro liegen, wird dort südlich von Modena an den sanften Hängen am Nordrand des Apennin-Gebirges angebaut. Der Traube Sorbara aus dem gleichnamigen Dorf gehö-

Weintanks aus Edelstahl. Kälte und Hygiene sind für den Lambrusco ein Muss.

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Der Präsident der Cantina di Carpi hat alles unter Kontrolle.

ren die Schwemmlandböden im Umland zwischen den Po-Nebenflüssen Panaro und Secchia. Die Gebiete trennt nur ein Steinwurf. Trotzdem hat die mutationsfreudige Rebsorte zwei sehr unterschiedliche Spielarten entwickelt, die sich auf wenigen Kilometern deutlich in Geschmack und Farbe des Weins unterscheiden. Beide entstammen einem ziemlich exklusiven Club. Die Vitis lambrusci gehört anders als fast alle bekannten hochwertigen Rebsorten nicht zur Gruppe Vitis vinifera. Seit Urzeiten wächst sie nur in der Emilia Romagna. Sie hatte also genügend Zeit, zahllose Unterarten zu bilden, die im Laufe der Jahrhunderte zu eigenen Rebsorten der Lambrusco-Familie wurden. Sorbara und Grasparosso sind die bekanntesten, jedoch bei weitem nicht die einzigen. Dritter im Bunde in Modena ist der Lambrusco Salamino di Santa Croce, der in Geschmack und Farbe zwischen Sorbara und Grasparossa liegt und zumeist in der Region getrunken wird oder als Basis für die günstigen, gebietsübergreifenden Lambrusco-Weine dient.

Feine Perlen im Winterschlaf

Fast alle Lambruscos werden auf Abruf in großen Mengen hergestellt. Dazu wird der unvergorene Most in riesigen Tanks luftdicht und gekühlt eingelagert. Kommt dann die

Millionenbestellung aus Deutschland oder den USA, tritt der Kellermeister auf den Plan. Mit Hefen, die speziell auf die Bedürfnisse der Lambrusco-Herstellung gezüchtet sind, startet er den Gärvorgang. In Tanks, die 50.000 oder 100.000 Liter fassen, kontrolliert er die Abläufe genau. Leistungsfähige Kühlspiralen im Innern lassen die Reak-tion bei den gewünschten Temperaturen ablaufen. Von der Kohlensäure, die als natürliches Nebenprodukt bei der Umwandlung des Zuckers in Alkohol entsteht, entweicht kein Hauch, die Behälter sind hermetisch dicht. So kommen die Bläschen in den Lambrusco. Darum müssen auch alle notwendigen Pump- und Filtervorgänge unter Druck stattfinden. Mit Stahltanks, an denen sich Rohre und Wendeltreppen hochwinden, wirken viele Kellerei-en eher wie Industrieanlagen. Dichtigkeit, Kühlung und Hygiene garantieren zumindest fehlerfreie Weine, was noch vor 20 Jahren alles andere als selbstverständlich war. Ist der Wein bereitet, stehen die Tankwagen schon Schlange. Abgefüllt wird meist bei einem Vermarkter wie Cavicchi-oli oder Chiarli 1860, der die Weine dann günstig in die Exportmärkte verkauft. Für solche Weine gibt es keine Tabellen mit den besten Jahrgängen: Lambrusco lebt von seiner Frische und wird am besten jung getrunken.

Um den Rohstoff für solche Weine zu gewinnen, wird meist geerntet, was das Land hergibt. Aber ausnahmsweise

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So unterschiedlich kann Lambrusco sein − in der Farbe und auch im Geschmack.

ist Lambrusco eine Rebsorte, die auch bei hohen Erträgen gute Qualität liefern kann. Viele Rotweine schmecken dünn, wenn zu viele Trauben pro Stock geerntet werden, weil die Konzentration der Inhaltsstoffe verwässert wird. Nicht so beim Lambrusco. Der kommt bei doppelten und dreifachen Erntemengen nur günstiger. Teuer sind nur die Investitionen in die Anlagen. Selbst in der Boom-Zeit der neunziger Jahre investierte fast kein Investor in eine neue Kellerei, kaum ein junger Winzer wagte, sich von seiner Genossenschaft zu lösen. Das Image war einfach zu schlecht. In den Flussebenen halten deshalb wenige, dafür riesige cantine sociale und Privatversekter die Produktion in Händen. Wo sich in anderen Regionen Hunderte von kleinen ambitionierten Weingütern unter dem Dach des Weinbauverbands drängeln, zählt das Consorzio dei Lam-bruschi Modenesi gerade mal elf Erzeuger, die den Markt mit 85 Prozent der Gesamtmenge versorgen.

Einer dünn geschnittenen Mortadella oder einer gut ab-gehangenen, festen Salami verschafft der hellrote Sorbara einen guten Abgang. Der tiefschwarze Graspa rossa ist zu den einfach zubereiteten Tortellini mit Ricotta- oder Fleischfüllung ein Geschmacksverstärker. Doch auch als deutlich süßer Amabile kann der rote Perlwein ein unge-wöhnlicher, raffinierter Dessertbegleiter sein. Kaufen Sie Ihren trockenen Lambrusco beim Weinhändler, der sich für authentischen Wein stark macht. Im Supermarkt kann der Griff schon mal danebengehen. Suchen Sie im spe-zialisierten Italienweinfachhandel ab 6 bis 12 €. Dies ist bereits die absolute Krönung der Lambrusco-Erzeugung. In Restaurants findet sich guter Lambrusco kaum. Zu riskant ist das miese Image für den Gastronomen.

genusstipp

Mausempfehlungen für trockenen Lambrusco

Ca Montanari www.tutelalambrusco.itCantina di Carpi www.cantinasocialecarpit.itCantina Santa Croce www.cantinasantacroce.itCavicchioli www.cavicchioli.itChiarli 1860 www.chiarli.itCorte Manzini www.cortemanzini.itGaruti www.garutivini.itRiunite www.riunite.itZucchi www.vinizucchi.it

Sehnsucht nach mehr Druck

Lambrusco ist ein Perlwein. Die unauffällige Gattungs-bezeichnung unterscheidet ihn vom Schaumwein durch geringeren Druck in der Flasche. Mit anderen Worten, der Frizzante, eben Perlwein, hat weniger Kohlensäure als ein Spumante, also Sekt. Dieser Unterschied macht sich vor allem in der Art der Bläschen bemerkbar. Im Frizzante blub-bern vergleichsweise wenige dicke Perlen. Er trinkt sich etwa wie ein Mineralwasser mit wenig Kohlensäure. Das macht ihn leicht zugänglich. Selbst am Vormittag wirkt so ein Wein nicht gleich benebelnd. Die winzigen Bläschen aber, die in filigranen Ketten wie in Zeitlupe an die Oberfläche schweben, die findet man nur im Spumante. Kenner ver-ehren sie. Denn wenn der Winzer sein Handwerk versteht, erzeugen sie im Mund ein ungleich subtileres Prickeln, in dessen Kielwasser auch die Geschmackskomponenten des Weins feiner und intensiver hervortreten.

Wer also mehr aus seinem Wein machen will, wünscht sich höheren Druck. Endlich, im Jahr 2009, wurden die Produktionsvorschriften geändert, und die Erzeuger in der Emilia Romagna dürfen auch Spumante abfüllen. Gekonnt eingesetzt lassen die Gasperlen die Säure des Lambrusco etwas flotter erscheinen, geben ihm mehr Frische oder be-tonen das samtige Gefühl auf der Zunge. Eine relativ neue Entwicklung ist auch die Rückkehr zu den Ursprüngen. Manche Winzer vergären die Weine wieder wie vor Erfin-dung der Drucktanks und fügen der Flasche etwas Hefe zu. Wird es im Winter zu kalt, stellt sie ihre Tätigkeit ein und wird erst im warmen Frühling wieder aktiv. Das nehmen die Winzer bewusst in Kauf, die längere Reifezeit verfeinert die Lambruscos, sie schmecken fülliger und komplexer.

Solche Weine findet man bei Familie Cavicchioli in San Prospero. Wo sonst Millionen Liter zusammenflossen, er-zeugte Sandro mit seinen Brüdern und Vettern den Vigna del Cristo. Der erste Lambrusco von einer einzigen Weinberg-lage mit dem Jahrgangsaufdruck, 1984 war ein Novum. Es dauerte mehr als 15 Jahre, bis der Wein als solcher anerkannt wurde. Parallel erzeugten die Cavicchioli immer auch große Mengen für Supermärkte. Mittlerweile hat der Clan so viel Geld verdient, dass er ein zweites Top-Weingut zugekauft hat. Ex-Inhaber und heutiger Chef-Önologe Christian Bellei ist ein begnadeter Tüftler in der Welt der zweiten Gärung. Selbst international werden seine Lambruscos mit der Fein-heit von Champagner verglichen. Ob die Kunden dieses Mal treu bleiben, ist nicht die Frage. Die Flaschen sind so rar, dass die Rendezvous streng limitiert sind. zig

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