Emmerling, I. (2013). Die DDR und Chile (1960–1989). Außenpolitik, Außenhandel und Solidarität....

3
REZENSION Z Außen Sicherheitspolit DOI 10.1007/s12399-014-0397-9 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 M. Klein, PhD () Lehrstuhl für Internationale Politik und Außenpolitik, Universität zu Köln, Zeppelinstraße 6, 53177 Bonn, Deutschland E-Mail: [email protected] Emmerling, I. (2013). Die DDR und Chile (1960– 1989). Außenpolitik, Außenhandel und Solidarität. Berlin: Christoph Links, 528 S., ISBN: 978- 3861537250, € 49,90. Marcus Klein Bis zum Abschluss des Vertrags über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik im Dezember 1972 waren die Bemühungen der DDR um die völkerrechtliche Anerkennung als zwei- ter, gleichberechtigter deutscher Staat neben der Bundesrepublik nur bedingt erfolgreich. Nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu der überschaubaren Zahl anderer Volksdemokratien in Mittel- und Osteuropa sowie Asien unmittelbar nach der Gründung des selbsternannten Arbeiter- und Bauernstaats 1949 und in den folgenden Jahren waren Staaten erst wieder in den 1960er Jahren und zu Beginn der 1970er willens, sich über die (zunehmend an Bedeutung verlierende) Hallstein-Doktrin und den Alleinvertretungsan- spruch Bonns hinwegzusetzen und Ost-Berlin formell anzuerkennen. Dabei handelte es sich vorwiegend um ehemalige europäische Kolonien in Afrika und Asien. In Lateiname- rika hingegen, wo traditionell konservative, antikommunistische Eliten dominierten und es gerade in den 1960ern im Zuge des globalen Kalten Kriegs zu zahlreichen von den USA ermutigten als auch unterstützten Militärputschen kam, hatte nur das revolutionäre Kuba 1963 Beziehungen zur DDR aufgenommen. 1971 folgte schließlich noch Chile unter dem sozialistischen Präsidenten Salvador Allende als zweites und letztes Land im Subkonti- nent diesem Beispiel vor der Anerkennungswelle, die mit der Unterzeichnung des Grund- vertrags einsetzte. Anfang April informierte Neues Deutschland prominent und wohl mit einiger Genugtuung auf der Titelseite über die „Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der DDR und der Republik Chile […] mit Wirkung vom 16. März“. Die Beziehungen der DDR zu Chile in ihren verschiedenen Facetten – vor, während und nach der Anerkennung – sind Gegenstand von Inga Emmerlings gut 500-seitiger Untersuchung, die ursprünglich in einer noch längeren Version als Dissertation an der

Transcript of Emmerling, I. (2013). Die DDR und Chile (1960–1989). Außenpolitik, Außenhandel und Solidarität....

Rezension

Z Außen SicherheitspolitDOI 10.1007/s12399-014-0397-9

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

M. Klein, PhD ()Lehrstuhl für Internationale Politik und Außenpolitik, Universität zu Köln,Zeppelinstraße 6, 53177 Bonn, DeutschlandE-Mail: [email protected]

Emmerling, I. (2013). Die DDR und Chile (1960–1989). Außenpolitik, Außenhandel und Solidarität. Berlin: Christoph Links, 528 S., ISBN: 978-3861537250, € 49,90.

Marcus Klein

Bis zum Abschluss des Vertrags über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik im Dezember 1972 waren die Bemühungen der DDR um die völkerrechtliche Anerkennung als zwei-ter, gleichberechtigter deutscher Staat neben der Bundesrepublik nur bedingt erfolgreich. Nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu der überschaubaren Zahl anderer Volksdemokratien in Mittel- und Osteuropa sowie Asien unmittelbar nach der Gründung des selbsternannten Arbeiter- und Bauernstaats 1949 und in den folgenden Jahren waren Staaten erst wieder in den 1960er Jahren und zu Beginn der 1970er willens, sich über die (zunehmend an Bedeutung verlierende) Hallstein-Doktrin und den Alleinvertretungsan-spruch Bonns hinwegzusetzen und Ost-Berlin formell anzuerkennen. Dabei handelte es sich vorwiegend um ehemalige europäische Kolonien in Afrika und Asien. In Lateiname-rika hingegen, wo traditionell konservative, antikommunistische Eliten dominierten und es gerade in den 1960ern im Zuge des globalen Kalten Kriegs zu zahlreichen von den USA ermutigten als auch unterstützten Militärputschen kam, hatte nur das revolutionäre Kuba 1963 Beziehungen zur DDR aufgenommen. 1971 folgte schließlich noch Chile unter dem sozialistischen Präsidenten Salvador Allende als zweites und letztes Land im Subkonti-nent diesem Beispiel vor der Anerkennungswelle, die mit der Unterzeichnung des Grund-vertrags einsetzte. Anfang April informierte Neues Deutschland prominent und wohl mit einiger Genugtuung auf der Titelseite über die „Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der DDR und der Republik Chile […] mit Wirkung vom 16. März“.

Die Beziehungen der DDR zu Chile in ihren verschiedenen Facetten – vor, während und nach der Anerkennung – sind Gegenstand von Inga Emmerlings gut 500-seitiger Untersuchung, die ursprünglich in einer noch längeren Version als Dissertation an der

2 M. Klein

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg angenommen worden war. Der Untersu-chungszeitraum umfasst die knapp vier Jahrzehnte zwischen 1960 und 1989. Die von Emmerling dargelegten Gründe für ihre Wahl des Jahres 1960 als Ausgangspunkt sind nachvollziehbar, intensivierten sich doch ab diesem Jahr, wie sie durch mehrfache Ver-weise auf Archivmaterialien belegt, die Kontakte zwischen der DDR und der Kommu-nistischen Partei (KP) Chiles. Weniger klar ist, warum die Narration mit 1989 endet, selbst wenn es in diesem Jahr in beiden Ländern wichtige Ereignisse gab, die einerseits das Ende des SED-Regimes einläuteten und andererseits den Übergang zur Demokratie nach über 17-jähriger Herrschaft des Militärs unter General Augusto Pinochet bedeute-ten (Sieg des oppositionellen Christdemokraten Patricio Aylwin in den Präsidentschafts-wahlen am 14. Dezember). Naheliegender und zudem plausibler wäre es gewesen, hätte Emmerling ihre Ausführungen mit den Auseinandersetzungen um die Flucht von Margot und Erich Honecker in die chilenische Botschaft in Moskau 1991 und deren späterem Asyl in Chile beendet. Mehr als einige spärliche Anmerkungen dazu in der Einleitung finden sich in der Studie leider nicht.

Eingerahmt von einer relativ kurzen Einleitung und reichlich knappen Schlussbemer-kungen, denen noch ein Kapitel „Fazit und Ausblick“ folgt, ist die Arbeit in drei große Abschnitte unterteilt, die sich mit der DDR-Außenpolitik gegenüber Chile (I.), den wirt-schaftlichen Beziehungen und der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit (II.) sowie verschiedenen Maßnahmen beschäftigen, die Emmerling unter dem Stichwort „Solidarität“ (III.) zusammenfasst; darunter subsumiert sie die Unterstützung für die chilenische KP genauso wie Aktionen für die Unidad-Popular-Regierung von Allende zwischen 1970 und 1973 und die Aufnahme von chilenischen EmigrantInnen nach dem Coup 1973, der mit der massiven Verfolgung ehemaliger ParteigängerInnen und Sym-pathisantInnen des gescheiterten chilenischen Wegs zum Sozialismus gleichbedeutend war. Durchgehend verweist Emmerling auf eine beachtliche Zahl von Dokumenten aus verschiedenen (ost- wie westdeutschen) Beständen, aus denen sie in aller Regel gekonnt Passagen als Zitate in ihren Text integriert. Unterlagen aus chilenischen Archiven sowie Interviews mit vorwiegend chilenischen ZeitzeugInnen werden ergänzend herangezo-gen. Kritisch anzumerken ist, dass Emmerling gleichzeitig die ohnehin überschaubare Sekundärliteratur1 zum Thema bloß selektiv heranzieht und Periodika ebenso nur bedingt verwendet; so wird versäumt, das große Interesse insbesondere an Allende und seiner Administration zu vermitteln, das nicht nur auf der Ebene von Partei und Regierung bestand, sondern auch über die staatlichen Medien in der DDR transportiert wurde.

So beeindruckend all diese Archivquellen grundsätzlich sind, verstärkt sich beim Lesen der Arbeit zusehends der Eindruck, dass Emmerling wirklich alle gefundenen Informationen präsentieren wollte. Es finden sich durchgehend unendlich viele Namen

1 So fehlen z. B. die in Buchform veröffentlichte Magisterarbeit von Georg Dufner, Chile als Bestandteil des revolutionären Weltprozesses. Die Chilepolitik der DDR im Spannungsfeld von außenpolitischen, ökonomischen und ideologischen Interessen 1952–1973 (Saarbrücken 2008) als auch verschiedene Beiträge von Joaquín Fermandois, insbesondere Del malestar al ent-usiasmo. La reacción de Bonn ante el gobierno de la Unidad Popular 1970–1973, Boletín de la Academia Chilena de la Historia, Bd. 117, Nr. 1 (2008), S. 33–67, und ¿Reconstrucción o continuidad? La política exterior de Bonn 1952–1968: El caso de Chile, Anales del Instituto de Chile (2002), S. 107–126.

Emmerling, I. (2013). Die DDR und Chile (1960–1989) ... 3

von (untergeordneten) DDR-FunktionärInnen, chilenischen RegierungsbeamtInnen sowie Offiziellen der chilenischen KP und anderer Parteien, die nur bedingt zum Ver-stehen der Ausführungen notwendig sind. Beispielhaft für diese Vorgehensweise ist auch ein Abschnitt über den Besuch einer chilenischen Delegation in der DDR Ende 1965, in dem Emmerling darüber informiert, dass die Reisegruppe u. a. „das Grüne Gewölbe, die Sächsische Schweiz […] und Cäcilienhof“ besuchte (S. 128). Gleichzeitig widmet sie im Abschnitt über den Außenhandel (II.) einem Kupferprojekt, das letztendlich Mitte der 1960er Jahre nach langem Hin und Her nicht realisiert wurde, nicht weniger als 18 Sei-ten (S. 239–256), während sie für die Zeit der Allende-Regierung − die für die DDR unzweifelhaft von zentraler Bedeutung war − gerade einmal rund 30 Seiten übrig hat (S. 266–296). Auf die wirtschaftlichen Beziehungen nach dem Putsch verwendet sie dann in Summe überhaupt nur drei Seiten (S. 296–299). Zudem unterlässt Emmerling es, den von ihr konstatierten Widerspruch näher zu erläutern, dass nämlich die DDR zum einen „den in Chile herrschenden ,Faschismus‘“ unter Pinochet geißelte, zum anderen jedoch den Aufforderungen der nationalen chilenischen Kupfergesellschaft regelmäßig nach-kam, den Bedarf an Kupfer anzumelden (S. 298).

Die Überfülle an Details und minutiösen Ausführungen zu noch so nebensächli-chen Aspekten, die mit der eben festgestellten fehlenden Balance zwischen einzelnen Abschnitten einhergeht, überlagert die interpretativen und zusammenfassenden Passa-gen; es ist tatsächlich so, dass man den sprichwörtlichen Wald vor lauter Bäumen nur mehr ansatzweise sieht. Noch viel mehr als bereits geschehen, hätte die Dissertation im Hinblick auf die Drucklegung gekürzt und umgeschrieben werden müssen, um die Stringenz der Argumentation und die Lesbarkeit des gesamten Textes zu erhöhen. Denn hinter all den Informationen bietet Emmerling durchaus interessante und mitunter über-raschende Einsichten; sie zeigt z. B., dass im Falle von Beratung und Expertise, um die Salvador Allende kurz vor seinem Amtsantritt bat, die DDR durchaus „schnell und unbü-rokratisch“ (S. 328) zu handeln wusste, anders als man es wohl von einem durchbüro-kratisierten Staat wie jenem der SED gemeinhin erwartet hätte; ganz ähnlich verhielt sich das Regime – bei aller geheimdienstlicher Überwachung und Kontrolle – nach 1973 mit chilenischen EmigrantInnen. Insgesamt jedoch, und das macht Emmerling ebenfalls deutlich, verfolgte die DDR gegenüber Chile eine ganz normale Politik, die − ungeachtet des Entgegenkommens in einzelnen Fragen, nicht zuletzt gegenüber Allende − nach der erreichten Anerkennung 1971 davon bestimmt wurde, die eigenen wirtschaftlichen Vor-teile zu maximieren. Die nach 1973 weiter bestehenden wirtschaftlichen Beziehungen zum Militärregime sind ein beredtes Zeichen dafür.