Energie-Autarkie im Fokus€¦ · stoßen. Da die sprichwörtliche „Öko-Diktatur“ jedoch fern...

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14 BUND Ökologisch Bauen & Renovieren 2015 GRUNDLAGEN P lusenergiehäuser sind mittlerweile Stand der Technik. Nahezu jeder Bauherr könnte beim Neubau entspre- chende Prioritäten setzen und notfalls bei anderen Dingen Abstriche machen. Oder sich den immer noch hohen Pla- nungsaufwand ersparen und sich für eine fertige Lösung von der Stange entscheiden. Selbst mit Sanierungs- objekten können Energieüberschüs- se erwirtschaftet werden, wenn die PV-Anlage groß genug ist. In eine ganz andere Dimension kommt man hingegen mit einem wirklich energieautarken Haus ohne Anschluss ans Strom-, Gas- oder Fernwärme- Netz. So reizvoll die Vision energe- tischer Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern und ihren Lieferan- ten auch sein mag, stellt sie doch eine weit größere Herausforderung dar. Die zusätzlichen Investitionen in entsprechende Speicherlösungen für Strom und Wärme machen die netz- unabhängige Energieautarkie für die meisten privaten Bauherren zum un- erschwinglichen Luxusaspekt. Wie hoch muss dann erst die Hür- de für eine Kommune sein, wenn sie sich die eigene Energie-Autarkie zum Ziel setzt? Trotz großteils altem Bau- stand eben lange nicht so hoch wie bei einer neu erstellten Insellösung. Wie das gehen soll? Vergleichsweise einfach: Das Erfolgsgeheimnis steckt im gemeinschaftlichen Ansatz. Sprich in einer hocheffizienten Nahwärme- und Stromversorgung aus einem re- generativ betriebenen Anlagen-Mix im Besitz von Stadtwerken oder Energie- genossenschaften. Voraussetzung ist natürlich, dass möglichst viele, besten- falls alle Betroffenen sich diese gran- diose Vision zu eigen machen und als Kunden zum Gelingen beitragen. In kleineren Kommunen wie Wüsten- rot ist das naturgemäß einfacher zu realisieren als in größeren, wo nicht nur viel mehr Leute unter einen Hut gebracht, sondern auch größere Ver- braucher wie Industriebetriebe ver- sorgt werden müssten. Offenbar gibt es eine Grenze, ab der die Faustfor- mel „je mehr, desto besser“ sich ins Gegenteil verkehrt: Je größer die Ein- heit, um so mehr Hemmnisse stellen sich in den Weg. Energieautarkes Land? Geradezu utopisch erscheint insofern, was das baden-württembergische Mi- nisterium für Umwelt, Klima und Ener- giewirtschaft und die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz (LUBW) untersuchen lassen: In ihrem Auftrag befasst sich ein interdisziplinä- res Forschungsteam mit der komple- xen Fragestellung, wie die Vision eines energieautarken Landes verwirklicht werden könnte. Dabei arbeiten Na- turwissenschaftler, Ingenieure, Geo- graphen, Volkswirte, Ökologen und Soziologen zusammen und wollen auch alle potenziellen Akteure und Betrof- fenen vom Energieversorger bis zum Verbraucher integrieren. Dr. Jan Tomaschek vom koordinieren- den Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) an der Universität Stuttgart erläutert den Hintergrund des ambitionierten Forschungsauftrags: Die Landesregie- rung von Baden-Württemberg habe den Klimaschutz zu einem zentralen Anliegen erklärt und hierfür konkre- te Zielvorgaben beschlossen: Bis 2025 sollen die Treibhausemissionen gegen- über dem Referenzjahr 1990 um 25 Prozent gesenkt, bis 2050 gar um 90 Prozent gegenüber den Emissionen im Jahr 1990 verringert werden. Der hierfür nötige Beitrag Erneuerbarer Energien zur Wärme- und Stromver- sorgung tendiert gegen Hundert: Für das Jahr 2050 wurde er laut Toma- schek auf 78 Prozent taxiert, wobei im Stromsektor sogar ein Anteil von 89 Prozent für möglich gehalten werde. Um diesen Sprung in ein neues Zeit- alter der Energieversorgung zu schaf- fen, müsste nicht nur die regenerative Energieerzeugung weiter verbessert werden, sondern insbesondere das Zu- sammenspiel der Technologien zur Er- zeugung, Verteilung und Speicherung. Außerdem müsste die Effizienz der Energienutzung noch deutlich erhöht werden. Entsprechende Forschungs- impulse kann eine Landesregierung an- WEB-LINKS www.um.baden- wuerttemberg.de www.lubw.baden-wuerttem- berg.de/servlet/is/6639/ www.ier.uni-stuttgart.de www.ifk.uni-stuttgart.de www.dlr.de/tt/ www.zirius.eu Vision und Umsetzung Energie-Autarkie im Fokus Vom einzelnen Haus über Dorf und Stadt bis hin zu einem ganzen Bundes- land wird die Realisierung der grandiosen Vision der Energie-Autarkie immer komplexer. Ein interdisziplinäres Forschungsteam soll die Grundlagen definie- ren und klären, unter welchen Voraussetzungen sich eine autonome Energie- versorgung Baden-Württembergs umsetzen ließe. Als Modellkommune soll Metzingen dienen. Wir blicken zudem auf die Pioniere in Wüstenrot. Diese „energieautarken“ Helma-Fertighäuser mit großem Wärmespeicher, Blei-Akkus und E-Mobil- Tankstelle sollen ohne Anschluss ans Strom-, Gas- oder Fernwärme-Netz auskommen. Für Ausfälle oder extreme Kälte haben sie einen Scheitholzofen. Bild: T. Leukefeld

Transcript of Energie-Autarkie im Fokus€¦ · stoßen. Da die sprichwörtliche „Öko-Diktatur“ jedoch fern...

  • 14 BUND Ökologisch Bauen & Renovieren 2015

    GrundlaGen■■■■■■■■■■■■

    P lusenergiehäuser sind mittlerweile Stand der Technik. Nahezu jeder Bauherr könnte beim Neubau entspre-chende Prioritäten setzen und notfalls bei anderen Dingen Abstriche machen. Oder sich den immer noch hohen Pla-nungsaufwand ersparen und sich für eine fertige Lösung von der Stange entscheiden. Selbst mit Sanierungs-objekten können Energieüberschüs-se erwirtschaftet werden, wenn die PV-Anlage groß genug ist. In eine ganz andere Dimension kommt man hingegen mit einem wirklich energieautarken Haus ohne Anschluss ans Strom-, Gas- oder Fernwärme-Netz. So reizvoll die Vision energe-tischer Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern und ihren Lieferan-ten auch sein mag, stellt sie doch eine weit größere Herausforderung dar. Die zusätzlichen Investitionen in entsprechende Speicherlösungen für Strom und Wärme machen die netz-unabhängige Energieautarkie für die

    meisten privaten Bauherren zum un-erschwinglichen Luxusaspekt. Wie hoch muss dann erst die Hür-de für eine Kommune sein, wenn sie sich die eigene Energie-Autarkie zum Ziel setzt? Trotz großteils altem Bau-stand eben lange nicht so hoch wie bei einer neu erstellten Insellösung. Wie das gehen soll? Vergleichsweise einfach: Das Erfolgsgeheimnis steckt im gemeinschaftlichen Ansatz. Sprich in einer hocheffizienten Nahwärme- und Stromversorgung aus einem re-generativ betriebenen Anlagen-Mix im Besitz von Stadtwerken oder Energie-genossenschaften. Vor aussetzung ist natürlich, dass möglichst viele, besten-falls alle Betroffenen sich diese gran-diose Vision zu eigen machen und als Kunden zum Gelingen beitragen. In kleineren Kommunen wie Wüsten-rot ist das naturgemäß einfacher zu realisieren als in größeren, wo nicht nur viel mehr Leute unter einen Hut gebracht, sondern auch größere Ver-

    braucher wie Industriebetriebe ver-sorgt werden müssten. Offenbar gibt es eine Grenze, ab der die Faustfor-mel „je mehr, desto besser“ sich ins Gegenteil verkehrt: Je größer die Ein-heit, um so mehr Hemmnisse stellen sich in den Weg.

    Energieautarkes Land?

    Geradezu utopisch erscheint insofern, was das baden-württembergische Mi-nisterium für Umwelt, Klima und Ener-giewirtschaft und die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz (LUBW) untersuchen lassen: In ihrem Auftrag befasst sich ein interdisziplinä-res Forschungsteam mit der komple-xen Fragestellung, wie die Vision eines energieautarken Landes verwirklicht wer den könnte. Dabei arbeiten Na-turwissenschaftler, Ingenieure, Geo-graphen, Volkswirte, Ökologen und Soziologen zusammen und wollen auch alle potenziellen Akteure und Betrof-fenen vom Energieversorger bis zum Verbraucher integrieren. Dr. Jan Tomaschek vom koordinieren-den Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) an der Universität Stuttgart erläutert den Hintergrund des ambitionierten Forschungsauftrags: Die Landesregie-rung von Baden-Württemberg habe den Klimaschutz zu einem zentralen Anliegen erklärt und hierfür konkre-te Zielvorgaben beschlossen: Bis 2025 sollen die Treibhausemissionen gegen-über dem Referenzjahr 1990 um 25 Prozent gesenkt, bis 2050 gar um 90 Prozent gegenüber den Emissionen im Jahr 1990 verringert werden. Der hierfür nötige Beitrag Erneuerbarer Energien zur Wärme- und Stromver-sorgung tendiert gegen Hundert: Für das Jahr 2050 wurde er laut Toma-schek auf 78 Prozent taxiert, wobei im Stromsektor sogar ein Anteil von 89 Prozent für möglich gehalten werde.Um diesen Sprung in ein neues Zeit-alter der Energieversorgung zu schaf-fen, müsste nicht nur die regenerative Energieerzeugung weiter verbessert werden, sondern insbesondere das Zu-sammenspiel der Technologien zur Er-zeugung, Verteilung und Speicherung. Außerdem müsste die Effizienz der Energienutzung noch deutlich erhöht werden. Entsprechende Forschungs-impulse kann eine Landesregierung an-

    ■■■■Web-Links

    www.um.baden-wuerttemberg.de

    www.lubw.baden-wuerttem-berg.de/servlet/is/6639/

    www.ier.uni-stuttgart.de

    www.ifk.uni-stuttgart.de

    www.dlr.de/tt/

    www.zirius.eu

    Vision und Umsetzung

    Energie-Autarkie im FokusVom einzelnen Haus über Dorf und Stadt bis hin zu einem ganzen Bundes-

    land wird die Realisierung der grandiosen Vision der Energie-Autarkie immer komplexer. Ein interdisziplinäres Forschungsteam soll die Grundlagen definie-ren und klären, unter welchen Voraussetzungen sich eine autonome Energie-

    versorgung Baden-Württembergs umsetzen ließe. Als Modellkommune soll Metzingen dienen. Wir blicken zudem auf die Pioniere in Wüstenrot.

    Diese „energieautarken“ Helma-Fertighäuser mit

    großem Wärmespeicher, Blei-Akkus und E-Mobil-

    Tankstelle sollen ohne Anschluss ans Strom-,

    Gas- oder Fernwärme-Netz auskommen. Für Ausfälle oder extreme Kälte haben sie einen Scheitholzofen.

    Bild

    : T. L

    euke

    feld

  • stoßen. Da die sprichwörtliche „Öko-Diktatur“ jedoch fern jeglicher Realität ist, muss sie darüber hinaus Mittel und Wege finden, wie die dafür erforderli-che „Energiewende hoch zwei“ vermittelt, eingeleitet und um-gesetzt werden könnte. Auf der Basis einer umfassen-den Analyse der Ausgangslage soll das breit aufgestellte For-scherteam um die Projektleiter Dr. Ulrich Fahl und Dr. Jan To-maschek nach Lösungen suchen und 2016 präsentieren. Neben dem IER sind drei weitere Ins-titute der Universität Stuttgart und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit im Boot. In ihrer hier in Auszügen wiedergegebenen Projektbeschreibung legen sie dar, wie weit gefasst ihr For-schungsfeld bzw. die für ihre Studie einzubeziehende Ziel-gruppe an Akteuren und Be-troffenen ist. Die Ergebnisse der Projektpartner sollen laut Tomaschek ein differenziertes

    Modell für verschiedene Gra-de der Energie-Autarkie erge-ben „und deren Auswirkungen auf die Treibhausgasemissionen und den Energieverbrauch in Niveau und Struktur bilanzie-ren“. Außerdem soll die Analy-se aufzeigen, „welche Techno-logien sich für die erforderliche Umgestaltung der Infrastruk-tur auf Landesebene und spe-ziell für die Modellkommune empfehlen“.

    Modellkommune Metzingen

    Als Fallstudie soll hierfür die Stadt Metzingen dienen, wel-che aufgrund der bestehenden Infrastruktur wie dem Pump-speicherkraftwerk in Metzin-gen-Glems und den fünf be-stehenden Nahwärmenetzen, sowohl die Möglichkeit einer großtechnischen Stromspei-cherung als auch zukunftsorien-tierte Ansätze im Wärmemarkt bietet, und damit ideale Vor-aussetzungen zur Umsetzung

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    einer lokalen Energie-Autarkie aufweise. Außerdem habe der Metzinger Arbeitskreis Klima und Energie (AKE) laut Toma-schek schon wertvolle Vor-arbeit geleistet. Über 400.000 Euro Fördermit-tel fließen über das Forschungs-projekt in die wissenschaftliche Analyse und die Unterstützung „dieser in Sachen Energiewen-de und Bürgerbeteiligung gut aufgestellten Gemeinde“. Wei-tere 40.000 Euro investieren die Stadtwerke.Relevant für die Forschung ist auch, wie kongruent die Ener-giekonzepte für das Land und die Auswahlgemeinde Metzin-gen letztlich sind.

    Wer versteht was unter Energie-Autarkie?

    Bevor sich die Wissenschaft-ler mit der Simulation eines autarken Energiesystems und dessen Optimierung befassen können, muss geklärt sein, was unter Autarkie zu verstehen ist.

    Blockheizkraftwerk in Metzingen

    Verlegung von Nahwärme-leitungen in Metzingen

    Das Pumpspeicherkraftwerk in Metzingen-Glems verfügt über eine Leistung von 90 MW. Die Fallhöhe zwischen Ober- und Unterbecken beträgt 283 Meter.

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    Null Emissionen: Testfahrzeug der DLR an der Waserstoff-Tankstelle

    Bei einem Gebäude ist der Begriff der Energie-Autarkie relativ einfach zu definieren: Seine Haustechnik stellt den Strom- und Wärmebedarf ohne Netzanschluss mit Hilfe von Spei-chern zu hundert Prozent selbst be-reit. Auf lokaler oder gar regionaler Ebene wird die Abgrenzung schwie-riger, wie der Sozialwissenschaftler Wolfgang Hauser vom Institut ZIRIUS weiß: „Denn die verschiedenen Ak-teure verstehen darunter unter Um-ständen ganz verschiedene Inhalte, und damit können Konflikte vorpro-grammiert sein.“ Deshalb bemüht sich das Forschungsteam, „alle relevanten und betroffenen Akteure“ einzubin-den, um Konventionen zum Begriff der regionalen Energie-Autarkie zu diskutieren, die über den Gebäude-bestand hinaus nicht nur den Energie-bedarf der Wirtschaft, sondern auch den des Straßen- und Schienenver-kehrs miteinbeziehen muss. Ziel ist, gemeinsam mit den Entschei-dungsträgern und Interessensgruppen zu definieren, welche Maßnahmen zum Pflichtprogramm, welche zur Kür gerechnet und welche Kompromisse bei der Abgrenzung toleriert werden. Aus den Interviews mit Akteuren und einer umfassenden Literaturrecherche wollen die Sozialwissenschaftler dann sinnvolle und gewünschte Szenarien für das zukünftige Energiesystem ab-leiten, welche anschließend von den anderen Projektgruppen mit Hilfe von Simulationen analysiert werden können.

    Bedarfsprognose

    Viel Detailarbeit erfordert auch eine möglichst präzise Erfassung des bishe-rigen Energieverbrauchs in Gebäuden, in der Wirtschaft und im Verkehr, um daraus die Entwicklung des künftigen Energiebedarfs möglichst zuverlässig abschätzen zu können. Denn davon hängen unter anderem die Ausge-staltung und Kalkulation der Leistung der zukünftig benötigten Kraftwerke, Speicher und Stromnetze ab. Die ökologische Bilanzierung all die-ser Maßnahmen ist eine weitere For-schungsaufgabe im Projektverbund. Mi-chael Baumann und Roberta Graf von der Abteilung „GaBi“ des Lehrstuhls für Bauphysik haben diese Aufgabe über-nommen und modellieren die komple-xen Zusammenhänge der benötigten Materialien, der Transporte, Stoff-ströme und Energien. Denn auch die Energiewende und deren Umsetzung benötigt und verbraucht laut Baumann „massiv Energie, wenngleich dadurch überaus effektive und ökologisch sinn-volle Kreisläufe erneuerbarer Energie-quellen geschaffen werden können“.

    Technische Aspekte

    Mittlerweile stehen viele verschiedene Technologien zur Nutzung erneuerba-rer Energiequellen wie Wind, Sonne, Biomasse, Wasser oder Geothermie zur Wärme- und Stromerzeugung bereit. Diese sind intelligent mitein-ander zu kombinieren, um vor allem die stark variierende Stromeinspeisung

    In Freiburg soll ab 2015 der vom Architekturbüro Frey entwor-fene „Green City Tower“ in den Himmel wachsen. Der rund 50 Meter hohe Wohn- und Gewerbeturm soll aufgrund seiner Grö-ße, Architektur und umwelttechnischen Ausstattung „zu einem Leuchtturmprojekt im Bereich innovativer gebäudeintegrierter Energiesysteme avancieren“. „Herausragendes Kennzeichen“ sei ein ausgeklügeltes Energieversorgungskonzept für Großobjekte mit einem hohen solaren Deckungsgrad. Sein Energiekonzept basiert auf folgenden Aspekten:

    ■ Eigene Energieerzeugung auf Basis Erneuerbarer Energien in einem Volumen, das temporär über den Eigenbedarf hinausgeht.

    ■ Flexible interne Energiespeicherung in großer Dimension mit der Option, weitere Energieerzeuger im Stadtteil anzubinden.

    ■ Optimierter Umgang mit Energie nach aktuellem Angebot und Bedarf sowohl innerhalb des Gebäudes wie in Wechselbeziehung mit dem Netz auf Quartiersebene mit dem Fokus, Energie effi-zienter einsetzen zu können.

    ■ Bereitstellen von ausbalancierten Energielasten aus dem Gebäu-de heraus im Verbund mit dem angrenzenden Stadtteil über eine intelligente Anbindung an das Smart Grid.

    Insbesondere ein intelligentes Energiemanagement innerhalb und außerhalb des Gebäudes soll dabei eine optimierte Regelung sämt-licher lokaler Energieströme ermöglichen. Ziel sei laut Frey also nicht die Stromautarkie des Gebäudes, sondern ein offenes Sys-tem als Basis für ein Energiemanagement auf Quartiersebene. Das Konsortium, das diese „Vision Smart Energy City“ entwickelt hat und umsetzen will, besteht aus Experten der Architekten Frey, des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) und der Unternehmen Siemens AG, Ads-tec und Badenova.

    Green City Tower

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    : DLR

  • aus den angebotsabhängigen Ener-giequellen Sonne und Wind durch flexibel regelbare Erzeugungsan-lagen wie Biomasse-Kraftwerke oder gespeicherte Reserven aus-zugleichen. Denn zu hohe Span-nungsabweichungen und zu gro-ße thermische Ströme können die Leitungen, die elektrischen Betriebsmittel und nicht zuletzt die angeschlossenen Geräte be-schädigen. Deshalb gilt es, die Infrastruktur bestmöglich an zu-nehmende Schwankungen von An-gebot und Nachfrage anzupassen. Die Grundlagen dafür sollen Flo-rian Gutekunst und Andreas Sie-benlist von der Abteilung Strom-erzeugung und Automatisierungs-technik des Uni-Instituts für Feu-erungs- und Kraftwerkstechnik (IFK) liefern. Ihr Team erstellt die notwendigen Netzanalysen und Simulationen für die zuvor ausge-wählten Autarkie-Szenarien, um den technologischen Handlungs- bzw. Investitionsbedarf einschät-zen zu können.

    Akzeptanz der Bürger

    Ohne die Akzeptanz der Verbrau-cher kann sich die Landesregierung das hehre Ziel einer regionalen Energie-Autarkie allerdings gleich wieder abschminken. Deshalb ist die Akzeptanzforschung zentraler Bestandteil des Forschungsvorha-

    bens. Mit Hilfe von Bürgerumfra-gen soll das Institut für Technische Thermodynamik, Systemanalyse und Technikbewertung der DLR „sozialwissenschaftlich relevante Einstellungen und Verhaltenswei-sen, aber auch konkrete Betei-ligungsbereitschaften“ erfassen. Projektleiter Dr. Uwe Pfenning kann hierbei auf die wissenschaft-liche Begleitung eines Projekts zur lokalen Energie-Autarkie in Rottweil-Hausen zurückgreifen. Dort votierten die Einwohner im Rahmen von Bürgerumfragen und eines Bürgergutachtens für ein modernes Biogasheizkraftwerk, das sie autonom mit Nahwärme und Strom versorgt.Erstmals soll in der Modellkom-mune Metzingen das in Hausen erfolgreiche Beteiligungsverfah-ren mit „Bürgergutachtern“, die sich über ein Jahr hinweg intensiv mit der Materie auseinandersetz-ten, um dann eine Empfehlung an die Politik abzugeben, durch ein Schülergutachten ergänzt wer-den. Denn die Wende hin zur Energie-Autarkie sei schließlich ein generationenübergreifendes Projekt, das maßgeblichen Ein-fluss auf ihre Zukunft habe. Davon versprechen sich die For-scher Erkenntnisse über mögliche Spielräume bei der Änderung des Energienutzungs- und Mobilitäts-verhaltens und die Akzeptanz ver-schiedener Technologien. Die da-bei erzielten Erkenntnisse wollen sie anschließend mit Experten-Statements korrelieren.Darüber hinaus könnte sich Pfen-ning vorstellen, ein lokales „Ener-gieparlament“ einzurichten, in dem die Bürgerschaft, Interes-sensvertreter von Wirtschafts- und Umweltverbänden, Kom-munalpolitiker, lokale Arbeits-kreise zu Klima und Energie sowie die projektbegleitenden Wissen-schaftler vertreten sein könnten. Dieses Forum könnte, so Pfen-ning, „modellhaft unterschiedliche Interessen abwägen, dabei eine bürgernahe Umsetzung gewähr-leisten und im besten Falle wis-senschaftliche Politikberatung für die Entscheidungsträger leisten“.

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    Pioniere in Wüstenrot

    Im hohenlohischen Wüstenrot kam der Impuls nicht von außen, sondern aus der 6.600 Einwohner zählenden Gemeinde. Engagierte Bürger haben sich hier schon 2007 für die Verwirk-lichung einer autarken Energiever-sorgung stark gemacht, wie Thomas Löffelhardt, technischer Leiter des Fachbereiches Bauen und Energie in Wüstenrot, stolz berichtet. In der Ver-waltung zeigte man sich offen für die-ses visionäre Anliegen und 2009 gab der Gemeinderat schließlich Grünes Licht. Bis 2020 will sich die zwischen Löwenstein und Mainhardt gelegene Gemeinde, die durch die Gründung einer Bausparkasse bekannt wurde, komplett selbst mit Energie versorgen. Eine grundlegende Voraussetzung wur-de durch die Übernahme des Strom-netzes geschaffen, das seit 2012 in den Händen der regionalen „Energiever-sorgung Mainhardt-Wüstenrot“ (EMW) liegt. Der zweite wichtige Schritt auf dem Weg zur Unabhängigkeit war laut Löffelhardt die Ausweisung der Plus-

    energie-Wohngebiets „Vordere Vieh-weide“, dessen 25 Ein- und Zweifami-lien-Häuser mehr Energie bereitstel-len sollen, als sie selbst verbrauchen. Binnen kurzer Zeit waren bereits 70 Prozent der Bauplätze verkauft. In-zwischen sind die ersten Häuser im Kfw-55-Standard nahezu fertiggestellt. Und die Nachfrage hält weiter an. „So etwas haben wir in den letzten 20 Jah-ren nicht erlebt“, freut sich Löffelhardt.

    Nahwärme mit Agrothermie

    Der Clou der Plusenergiehäuser sei ihre „agrothermische“ Nahwärmever-sorgung: Die Leitungen des sogenann-ten Doppelacker-Systems werden in zwei Metern Tiefe in den Ackerboden eingefügt, ohne diesen zu umbrechen. Die Röhren führen ein Wasser-Gly-kol-Gemisch, das die Niedrigtempe-raturwärme der Erde aufnimmt und die Wohnhäuser über Wärmepumpen heizt oder kühlt. Nach der Verlegung dieses „kalten“ Erdwärmekollektor-Sys tems können die Bauern ihre Äcker und Wiesen ohne Abstriche weiterbe-wirtschaften. Der Wärmeentzug wird

    mit einer Pachtgebühr vergütet. Ein Lastmanagement analysiert die Ener-gieflüsse im Wohngebiet und steuert die Einspeisung von Solarenergie in Stromspeicher oder in das kommu-nale Netz.

    Wissenschaftliche Begleitung

    Dem Modellcharakter dieses Vor-habens verdankt die Kommune drei Millionen Euro Fördermittel vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und die wissenschaftliche Be-gleitung durch das Forschungszentrum für Nachhaltige Energietechnik an der Stuttgarter Hochschule für Technik (HFT), das Zentrum für Solar- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) und das Institut für Feuerungs- und Kraftwerks-technik an der Uni Stuttgart. Das Team um Projektleiter Dr. Dirk Pietruschka wird den gesamten Prozess zur Ener-gieautarkie nicht nur mit Rat und Tat unterstützen, sondern auch für Nach-ahmer dokumentieren. Auf dem Weg zur autonomen Versor-gung stehen laut Pietruschka noch eine Reihe von Aufgaben an: Um auch den Gebäudebestand energetisch optimie-ren zu können, ermitteln die Wissen-schaftler den baulichen Zustand und den Energieverbrauch aller Gebäude und visualisieren ihre Ergebnisse an-hand von GIS-basierten 3D-Model-len aller fünf Teilorte. Auf dieser Basis entwickeln sie maßgeschneiderte Vor-schläge, wie man die Energieeffizienz der jeweiligen Gebäude am besten er-höhen kann und wo sich die Installa-tion zusätzlicher Photovoltaik-Anlagen anbietet. Außerdem soll ein weiterer Ortsteil über ein Nahwärmenetz mit Energie aus einem Biomasse-Heizkraft-werk versorgt und das Potenzial einer Windkraftanlage untersucht werden. Mit Hilfe von Simulationen wird die Belastbarkeit des gemeindeeigenen Stromnetzes für die Ausbauszenarien analysiert und dessen Schwachstel-len lokalisiert, um notwendige Netz-ausbauszenarien bzw. den Bedarf an intelligenter Netz- und Verbrauchs-steuerung zu ermitteln. Obwohl die Zielgerade noch nicht in Sichtweite und der Leitfaden noch lange nicht fertiggestellt ist, melden sich in Wüstenrot mehr und mehr In-teressenten aus anderen Kommunen.

    Peter Fendrich

    Als Alternative für vertikale Erdwärmesonden haben die Brüder Jens und Jür-

    gen Kluge die Agrothermie entwickelt. Ihr Firmen-

    name „Doppelacker“ ist Programm und steht für

    die Zweitnutzung von Agrarflächen. Die Leitun-

    gen werden in zwei Meter Tiefe verlegt, ohne die

    Bodenstruktur zu stören. Oben: Anlieferung der Erd-

    wärmeleitungen und Anset-zen des Verlegeschwerts.

    Unten: Start der VerlegungBilder: Doppelacker